Inhalt

VGH München, Urteil v. 03.05.2023 – 14 B 22.154
Titel:

Ruhen von Versorgungsbezügen wegen eines von einer NATO-Organisation infolge eines früheren Dienstes geleisteten Kapitalbetrages 

Normenketten:
SVG § 55b
BewG § 14 Abs. 1
VwVfG § 48 Abs. 1, § 51 Abs. 5
VwGO § 92 Abs. 3, § 113 Abs. 5, § 114
AEUV Art. 157
Leitsätze:
1. Unter Berücksichtigung der im Soldaten- wie im Beamtenversorgungsrecht gleichermaßen geltenden strikten Gesetzesbindung und der verfassungsrechtlichen Verankerung des Versorgungsanspruchs verdichtet sich das Korrekturermessen und der damit korrespondierende Anspruch im Wege der Ermessensreduzierung bei höchstgerichtlichen Klärungen von Rechtswidrigkeitsgründen regelmäßig ab dem Beginn desjenigen Kalendermonats, der der jeweiligen höchstgerichtlichen Entscheidung nachfolgt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften sind als solche unzweifelhaft zulässig – die Steuerung des Verwaltungsermessens fördert Rechtssicherheit, dient der Gleichbehandlung und ist deshalb als solche rechtlich unbedenklich –, wobei sie allerdings ihrerseits vom Gericht auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen sind, und zwar auch hinsichtlich etwaiger Abwägungsfehler in den Weisungen selbst, insoweit jedoch nur in den von § 114 VwGO vorgegebenen Grenzen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Korrekturermessen bei bestandskräftig gewordenem Bescheid über das Ruhen von Versorgungsbezügen, Reduzierung des Korrekturermessens „ab“ dafür zwischenzeitlich höchstgerichtlich festgestellten Stichtagen, für Zeiträume „vor“ den höchstgerichtlich festgestellten Stichtagen, Begrenzung des Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Korrekturentscheidung durch Selbstbindung der Verwaltung in Form ministerieller Weisungen, Korrekturermessen, bestandskräftig, Bescheid, Ruhen, Versorgungsbezüge, Reduzierung, Ermessen, Stichtag, Zeiträume „vor“ den höchstgerichtlich festgestellten Stichtagen, Begrenzung, Anspruch, ermessensfehlerfrei, Korrekturentscheidung, Selbstbindung der Verwaltung, ministerielle Weisungen, Finanzministerium, Beamtenversorgungsrecht, Soldatenversorgung, Soldat, NATO, Kapitalbetrag, Erledigungserklärung, zeitliche Begrenzung, Einbeziehung, volle Höhe, Dynamisierung, Verrentung, Verrentungsdivisor, Sterbetafel, Gleichbehandlung, Durchbrechung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 22.08.2018 – M 21 K 17.4816
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 29.02.2024 – 2 B 33.23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18852

Tenor

I.Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit im Hinblick auf die durch den Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 erfolgte Abhilfe für erledigt erklärt haben. Insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 22. August 2018 wirkungslos geworden.
II.Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III.Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte.
IV.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V.Die Revision wird nicht zugelassen.  

Tatbestand

1
Der Rechtsstreit betrifft das Ruhen von Versorgungsbezügen gemäß § 55b des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) im Hinblick auf einen Kapitalbetrag, den der Kläger – ein im Jahr 1951 geborener früherer Berufssoldat, der mit Ablauf des 31. Juli 2004 in den Ruhestand getreten ist – von einer NATO-Organisation für seinen dort in den Jahren 1990 bis 1996 geleisteten Dienst erhalten hat.
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Mit Bescheid vom 3. August 2004 hatte die Beklagte die – mit Bescheid vom 2. August 2004 festgesetzten – Versorgungsbezüge des Klägers wegen des von der NATO gezahlten Kapitalbetrags i.H.v. 121.121,13 DM (61.928,25 €) zum Ruhen gebracht. Dieser Ruhensbescheid ist bestandskräftig geworden, weil der Kläger, nachdem die Beklagte einen dagegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2005 zurückgewiesen hatte, seinerzeit keine Klage erhob. Die monatlichen Ruhensbeträge wurden entsprechend der nachfolgenden Entwicklung der Versorgungsbezüge mehrfach fortgeschrieben.
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Mit Schreiben vom 8. August 2012 beantragte der Kläger eine Korrektur des bestandskräftigen Ruhensbescheids im Hinblick auf zwischenzeitlich veränderte Verrentungsbestimmungen und Sterbetafeln, was die Beklagte mit Bescheid vom 10. September 2012 ablehnte. Ein dagegen eingelegter Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2017 zurückgewiesen, wogegen der Kläger sodann Verpflichtungsklage mit dem Ziel einer erneuten Korrekturentscheidung im Wege des Wiederaufgreifens erhob. Dabei rügte er insbesondere, dass der Ruhensbescheid kein Enddatum vorsehe, sodass die Ruhensbeträge die von der NATO gewährte Versorgung übersteigen könnten.
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Nachdem das Verwaltungsgericht die Klage mit Urteil vom 22. August 2018 abgewiesen hatte, wurde das dagegen klägerseits eingeleitete Berufungszulassungsverfahren im Hinblick auf bundesverwaltungsgerichtliche Verfahren zunächst zum Ruhen gebracht und fortgeführt, nachdem das Bundesverwaltungsgericht mit Urteilen vom 7. Oktober 2020 in fünf Verfahren zu Fragen des Ruhens von Versorgungsbezügen bei von NATO-Organisationen gezahlten Kapitalbeträgen und zu Stichtagen für eine Reduzierung des Korrekturermessens entschieden hatte. Anlässlich dessen verringerte die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 21. Oktober 2021 noch im Berufungszulassungsverfahren den Ruhensbetrag, wogegen der Kläger Widerspruch einlegte.
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Die mit Senatsbeschluss vom 17. Januar 2022 zugelassene Berufung begründete der Kläger mit Schriftsatz vom 1. Februar 2022, wobei er an seinem Verbescheidungsbegehren hinsichtlich einer Neufestsetzung der Ruhensbeträge festhielt.
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Mit weiterem Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 verringerte die Beklagte – unter Aufhebung des Änderungsbescheids vom 21. Oktober 2021 – die Ruhensbeträge ab August 2004 (Zeitpunkt des Ruhestandseintritts), wobei sie von einer Dynamisierung des Kapitalbetrags bis zum Ruhestandseintritt absah und ab August 2004 eine Verrentung des Kapitalbetrags vornahm, bei der sie die Verrentungsdivisoren für Frauen zugrunde legte. Dem Kläger wurden die sich aus dieser Verringerung ergebenden Differenzbeträge ausgezahlt.
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Der Kläger erklärte den Rechtsstreit für erledigt, soweit der Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 dem ursprünglichen Begehren abgeholfen hat (Schriftsätze vom 6.7.2022, 5.10.2022; Sitzungsprotokoll S. 2). Die Beklagte hatte einer Erledigung bereits vorab zugestimmt mit Schriftsatz vom 19. April 2022, mit dem die Kalkulation des Änderungsbescheids vom 19. Mai 2022 einschließlich der Nachzahlungsbeträge ankündigt worden war.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
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unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils die Beklagte zu verpflichten, über den Anspruch des Klägers auf Neufestsetzung der Ruhensbeträge gemäß Antrag vom 8. August 2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, soweit dem Begehren nicht bereits durch Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 entsprochen wurde.
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Er trägt unter anderem vor, er sei trotz der über die Stichtage zur Reduzierung des Korrekturermessens hinaus erfolgten Korrektur in seinen Rechten verletzt, insbesondere hinsichtlich der unerlaubten Dynamisierung. Hinsichtlich der Verrentungsrechnung verblieben Rechtsverletzungen bezüglich des Erfordernisses, die für ihn günstigeren Sterbetafeln für Frauen zu verwenden. Auch sei die Verrentung ab Eintritt der statistischen Lebenserwartung nicht mehr vorzunehmen und sei ein Endzeitpunkt für die Ruhensregelung erforderlich. Dabei sei bundesverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung aus dem Jahr 2013 unverändert zu beachten. Ein Fall, in dem die Beklagte eine Ruhensregelung von Amts wegen (antragsunabhängig) korrigiert habe, sei dem seinen gleichgelagert. Außerdem sei die den Verrentungsvorschriften zugrundeliegende 5,5%-ige Kapitalrendite mit bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung im Bereich von Steuerschulden nicht zu vereinbaren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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1. Das Verfahren ist einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO analog), soweit der Kläger – mit vorab erklärter Zustimmung der Beklagten – den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt hat, als der Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 dem ursprünglichen Begehren des Klägers abgeholfen hat. Insoweit ist das verwaltungsgerichtliche Urteil entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO (i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO) kraft Gesetzes wirkungslos geworden, was entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO festzustellen ist.
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2. Im Übrigen – soweit der Rechtsstreit noch anhängig ist – ist die zulässige Berufung zurückzuweisen, weil dem Kläger über die bereits im Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 vorgenommenen Korrekturen hinaus kein weitergehender Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des bestandskräftigen Ruhensbescheids zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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2.1. Einschlägige Anspruchsgrundlage für eine Korrektur des bestandskräftig gewordenen Ruhensbescheids vom 3. August 2004 (nachfolgend: Ruhensbescheid) ist § 48 Abs. 1 (i.V.m. § 51 Abs. 5) VwVfG. Der Ruhensbescheid, dessen Änderung begehrt wird, ist rechtswidrig, weil er (Ruhensbescheid Anlage 1 unter 2.) ohne hinreichende gesetzliche Rechtsgrundlage die vom Kläger erlangten Kapitalbeträge für die Zeit bis zum Ruhestandseintritt dynamisiert hat (BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 18.19 – BVerwGE 169, 318 Rn. 22 m.w.N.), für die Zeit ab Ruhestandseintritt eine verzinsliche Verrentung der Kapitalbeträge vorgenommen hat (Ruhensbescheid Anlage 1 unter 3.), obwohl dafür eine taugliche Rechtsgrundlage erst ab 28. März 2008 in Kraft getreten ist (BVerwG, U.v. 7.10.2020 a.a.O. Rn. 23 m.w.N.), und bei der Verrentung entgegen Art. 157 AEUV den für den Kläger nachteiligen Vervielfältiger für (53-jährige) Männer gemäß der damals geltenden Anlage 9 zum Bewertungsgesetz anstatt des entsprechenden Vervielfältigers für Frauen zugrunde gelegt hat (vgl. BVerwG, U.v. 7.10.2020 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).
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Demgegenüber war der Ruhensbescheid nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte das Ruhen ohne zeitliche Begrenzung, „ohne Deckelung“ und ohne „Abschmelzen“ festgestellt hat (BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11 u.a. – BVerfGE 145, 249 Rn. 75 f.; BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 18.19 – BVerwGE 169, 318 Rn. 29 bis 38), insbesondere nicht hinsichtlich des Alimentations- und Leistungsprinzips oder des Gleichheitssatzes (BVerfG, B.v. 23.5.2017 a.a.O. Rn. 48 ff., 71 ff., 95 ff.). Rechtmäßig war dabei auch die Einbeziehung des Kapitalbetrags in voller Höhe einschließlich etwaiger vom Kläger geleisteter Eigenanteile (BVerwG, U.v. 27.3.2008 – 2 C 30.06 – BVerwGE 131, 29 Rn. 19 bis 23 m.w.N.).
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2.2. Der Bescheid vom 10. September 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2017, mit dem die Beklagte eine Korrektur des Ruhensbescheids zunächst abgelehnt hatte (nachfolgend: Ablehnungsbescheid), war nicht geeignet, klägerische Ansprüche auf Korrektur oder auf ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber zu erfüllen. Hinsichtlich der Dynamisierung ging die Beklagte davon aus, die rückwirkend zum 28. März 2008 in Kraft getretene Gesetzesregelung erfasse auch den Kläger (Widerspruchsbescheid S. 2), was unrichtig war, weil der Kläger bereits vor dem 28. März 2008 in Ruhestand getreten war (vgl. BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 18.19 – BVerwGE 169, 318 Rn. 22 m.w.N.; siehe auch 2.1.). Hinsichtlich der Verrentung wurde unrichtiger Weise (siehe 2.1.) nicht auf die für den Kläger günstigeren Verrentungsdivisoren für Frauen abgestellt (Widerspruchsbescheid ab S. 2 unten).
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2.3. Demgegenüber hat jedenfalls der Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 sämtliche dem Kläger zustehenden Ansprüche (siehe 2.3.1. und 2.3.2.) mehr als erfüllt (siehe 2.3.3.), sodass es auf den vorangegangenen Änderungsbescheid vom 21. Oktober 2021, den der Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 aufgehoben hat, nicht mehr ankommt.
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2.3.1. Dem Kläger verbleibt kein über den Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 hinausgehender Anspruch, soweit das in § 48 VwVfG vorgesehene Korrekturermessen im Hinblick auf höchstgerichtliche Klärungen reduziert ist.
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2.3.1.1. Zwar führt die Rechtswidrigkeit des Ruhensbescheids als solche (siehe 2.1.) im Ausgangspunkt lediglich zu einem Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Korrekturentscheidung (BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 18.19 – BVerwGE 169, 318 ab Rn. 39; U.v. 7.10.2020 – 2 C 7.20 – BeckRS 2020, 41650 ab Rn. 37). Allerdings verdichtet sich das Korrekturermessen und der damit korrespondierende Anspruch (BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 18.19 – a.a.O. ab Rn. 42; U.v. 7.10.2020 – 2 C 7.20 – a.a.O. Rn. 40) im Wege der Ermessensreduzierung – unter Berücksichtigung der im Soldatenwie im Beamtenversorgungsrecht gleichermaßen geltenden strikten Gesetzesbindung und der verfassungsrechtlichen Verankerung des Versorgungsanspruchs (BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 18.19 – a.a.O. ab Rn. 45 f.; U.v. 7.10.2020 – 2 C 7.20 – a.a.O. Rn. 43 f.) – bei höchstgerichtlichen Klärungen von Rechtswidrigkeitsgründen regelmäßig ab dem Beginn desjenigen Kalendermonats, der der jeweiligen höchstgerichtlichen Entscheidung nachfolgt (BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 18.19 – a.a.O. Rn. 52; U.v. 7.10.2020 – 2 C 7.20 – a.a.O. Rn. 50). Dies zugrunde gelegt verdichtet sich vorliegend ab dem Stichtag des 1. Oktober 2013 das Korrekturermessen zu einer Korrekturpflicht, soweit der bestandskräftige Ruhensbescheid unzulässig dynamisiert hat – wobei die diesbezügliche, zum 28. März 2008 in Kraft getretene Rechtsgrundlage Fälle mit zuvor erfolgter Ruhestandsversetzung tatbestandlich nicht erfasst – und verzinslich verrentet hat, obwohl dies erst ab dem 28. März 2008 zulässig war (BVerwG, U.v. 7.10.2020 a.a.O. Rn. 53 a.E. und U.v. 7.10.2020 – 2 C 7.20 – a.a.O. Rn. 51 a.E. jeweils im Hinblick auf die Klärungen in BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 2 C 47.11 – NVwZ-RR 2014, 394). Außerdem besteht ab dem Stichtag des 1. November 2019 die Pflicht, den Ruhensbescheid bei der geschlechtsspezifischen Verrentung im Wege der sog. Angleichung nach oben zu korrigieren, also bei der Verrentung die günstigeren Verrentungsdivisoren für Frauen auch bei Männern zugrunde zu legen (BVerwG, U.v. 7.10.2020 a.a.O. Rn. 54 f. und U.v. 7.10.2020 – 2 C 7.20 – a.a.O. Rn. 52 f. jeweils im Hinblick auf die Klärungen in EuGH, U.v. 7.10.2019 – C-171/18 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:839).
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2.3.1.2. Diese vom Bundesverwaltungsgericht herausgearbeiteten Stichtage haben sich auch die ministeriellen Weisungen – insbesondere das innenministerielle Schreiben (IMS) vom 29. März 2021 einschließlich des zugehörigen finanzministeriellen Schreibens (FMS) vom 30. März 2021 sowie das FMS vom 4. Mai 2021 und die finanzministerielle E-Mail vom 19. November 2021 – zu eigen gemacht und die nachgeordneten Behörden angewiesen, insoweit Korrekturen vorzunehmen.
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Nicht in Widerspruch zu den bundesverwaltungsgerichtlichen Klärungen steht insbesondere, dass die finanzministerielle E-Mail vom 19. November 2021 „statisch“ auf die Anlage zu § 14 Abs. 1 BewG mit Stand 2019 abstellt, also auf diejenige Fassung, die galt, als die höchstgerichtliche Klärung hinsichtlich der sog. Angleichung nach oben bei geschlechtsspezifischer Verrentung erfolgte, aus der sich der zugehörige Stichtag (1.11.2019; siehe 2.3.1.1.) ergibt. Es entspricht gerade dem Stichtagsprinzip, auch für den Verrentungsdivisor auf die Rechtslage zu eben diesem Stichtag abzustellen, sodass es auf etwaige uneinheitliche Verfahrensweisen vor dieser ministeriellen Klärung nicht ankommt. Aus dem gleichen Grund ist nicht auf die Sterbetafel im Zeitpunkt des Ruhestandseintritts abzustellen, und zwar unabhängig davon, dass die im Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 berücksichtigte Tabelle zu § 14 Abs. 1 BewG mit Stand „2019“ für den Kläger günstiger war als der Verrentungsdivisor im Zeitpunkt des Ruhestandseintritts. Ebenso nicht angezeigt ist es deshalb, die Berechnungen im Hinblick auf die zukünftig sich ändernde Lebenserwartung in festzulegenden Zeitabständen zu aktualisieren, weswegen auch nicht auf die im jeweiligen Berechnungszeitpunkt (hier: 19.5.2022) geltende Sterbetafel abzustellen ist. Die besagte finanzministerielle Vorgabe ist im Ergebnis rechtlich unbedenklich.
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2.3.1.3. Die Beklagte hat die vom Bundesverwaltungsgericht herausgearbeiteten und in den ministeriellen Weisungen übernommenen Stichtage im Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 berücksichtigt und jedenfalls die ab diesen Stichtagen geltenden Vorgaben ohne Rechtsverstoß umgesetzt, was zu einer entsprechenden Nachzahlung an den Kläger führte. Dass der Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 weisungswidriger Weise zusätzlich noch für weit frühere Zeiträume Korrekturen vorgenommen hat (siehe 2.3.3.), ändert nichts daran, dass er jedenfalls diejenigen Korrekturen vorsieht, zu denen die Beklagte infolge Reduzierung des Korrekturermessens für solche Zeiträume verpflichtet ist, die den vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Stichtagen nachfolgen; Fehler zulasten des Klägers sind insoweit nicht ersichtlich.
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Insbesondere ist die in Anlage 1 des Änderungsbescheids vom 19. Mai 2022 – im Einklang mit der Anlage zu § 14 Abs. 1 BewG – zugrunde gelegte Kapitalwertrendite von 5,5% nicht zu beanstanden und auch verfassungsrechtlich nicht etwa bedenklich im Hinblick auf die am Markt erzielbaren Zinsen. Zum einen ist zu sehen, dass der Kläger diese Verzinsung vollständig hätte vermeiden können, wenn er die Kapitalbeträge an den Dienstherrn abgeführt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11 u.a. – BVerfGE 145, 249 Rn. 86), wobei die Verzinsung bei § 55b SVG auch nicht mit der Zinsregelung in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO vergleichbar ist (vgl. BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 19.19 – BVerwGE 169, 299 Rn. 50). Unabhängig davon ist zu sehen, dass der Kläger in einem Zeitpunkt in den Ruhestand eingetreten ist, der mehrere Jahre vor der nach 2009 liegenden Niedrigzinsphase lag.
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Unbedenklich ist auch, dass der Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 in Einklang mit der insoweit ebenfalls unbedenklichen Weisungslage (siehe 2.3.1.2.) „statisch“ auf die Anlage zu § 14 Abs. 1 BewG mit Stand 2019 abstellt.
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2.3.2. Ein weitergehender Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung – über das im Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 Gewährte hinaus – steht dem Kläger infolge der ministeriellen Weisungslage nicht zu, die das für die Zeit „vor“ den besagten Stichtagen bestehende Korrekturermessen dahingehend bindet, dass eine Korrektur insoweit zu unterbleiben hat (siehe 2.3.2.1.), was rechtlich nicht zu beanstanden ist (siehe 2.3.2.2.), wobei im konkreten Fall des Klägers auch kein Grund ersichtlich ist, der ein Abweichen von der Weisungslage gebieten würde (2.3.2.3.).
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2.3.2.1. Die Ministerialverwaltung der Beklagten hat mit mehreren Weisungen für die Ausübung des für die Zeit „vor“ den Ermessensreduzierungsstichtagen (1.10.2013, 1.11.2019; siehe 2.3.1.1.) grundsätzlich noch bestehenden Korrekturermessens bindend vorgegeben, dass auch für solche Zeiten keine Korrektur erfolgt (siehe 2.3.1.2.).
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Zwar ist das Rücknahmeermessen im Ausgangspunkt für die Zeit „vor“ den Ermessensreduzierungsstichtagen nicht reduziert (BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 18.19 – BVerwGE 169, 318 Rn. 55; U.v. 7.10.2020 – 2 C 5.20 – Buchholz 449.4 § 55b SVG Nr. 4 Rn. 53), sodass im Ausgangspunkt eine weitergehende Korrektur im Wege des Ermessens nicht ausgeschlossen wäre. Jedoch ist einem damit korrespondierenden Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung von vornherein eigen, dass er auch durch eine ermessensfehlerfreie Ablehnung erfüllt werden kann – vor diesem Hintergrund sind die ministeriellen Weisungen zu sehen.
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Dabei ergibt sich eine aus Sicht des Senats eindeutige Bindung des Verwaltungsermessens vor allem aus dem FMS vom 4. Mai 2021, das nach seinem Betreff sowohl für das Beamten- als auch für das Soldatenversorgungsrecht gilt. Dort (S. 1 vorletzter Absatz erster Satz) wird ausdrücklich angeordnet, dass im Hinblick auf Dynamisierung oder Verrentung rechtswidrige Bescheide „erst“ zu den Ermessensreduzierungsstichtagen (1.10.2013, 1.11.2019; siehe 2.3.1.1.) aufzuheben sind. Außerdem wird vorgegeben, dass eine darüberhinausgehende Rückrechnung „nicht erforderlich“ ist. Das FMS vom 4. Mai 2021 nimmt auf das IMS vom 29. März 2021 Bezug, das nach dem FMS vom 30. März 2021 auch im Finanzressort gilt und ausdrücklich vorgibt, dass beim „Rücknahmezeitpunkt‘ nach den dort genannten Zeitpunkten zu differenzieren „ist“ (IMS v. 29.3.2021 ab S. 2 letzte Zeile). Hinsichtlich des geschlechtsspezifischen Divisors hat die finanzministerielle E-Mail vom 19. November 2021, die sich ihrerseits auf das FMS vom 4. Mai 2021 bezieht, für das Beamtenwie für das Soldatenversorgungsrecht gleichermaßen angewiesen, dass die insoweit nicht zulässige Verrentung „erst ab“ dem 1. November 2019 zu korrigieren „ist“; auch darin liegt nach dem eindeutigen Wortlaut eine die nachgeordnete Versorgungsverwaltung bindende Weisung, nicht über diesen Stichtag hinaus zu korrigieren.
31
Insgesamt ergibt sich aus der Zusammenschau dieser drei Schreiben eindeutig die ministerielle Vorgabe, dass vor den Ermessensreduzierungsstichtagen keine Rücknahme vorzunehmen ist. Entgegen der klägerischen Einschätzung haben die anweisenden Ministerien den ihnen nachgeordneten Behörden insoweit keinen Ermessensspielraum gelassen und begrenzen damit im Wege der Selbstbindung der Verwaltung auch die Korrekturansprüche des Klägers, wobei gegen die Wirksamkeit dieser Selbstbindung keine rechtlichen Bedenken bestehen (siehe 2.3.2.2.).
32
2.3.2.2. Die vorgenannten ministeriellen Weisungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken, so dass die für die Korrektur zuständigen nachgeordneten Behörden der Beklagten für die Zeit vor den Stichtagen (siehe 2.3.1.1.) nicht etwa wegen einer Fehlerhaftigkeit der Weisungen von der Bindungswirkung der ministeriellen Weisungen entbunden und zur Ermessensprüfung im Einzelfall verpflichtet wären. Zwar erstreckt sich die gerichtliche Prüfung (§ 114 VwGO) auch auf die Frage, ob die ministeriellen Weisungen ihrerseits unter Ermessensfehlern leiden. Allerdings sind derartige Fehler vorliegend nicht ersichtlich.
33
Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften sind als solche unzweifelhaft zulässig (vgl. BayVGH, B.v. 3.11.2011 – 8 ZB 10.2931 – BayVBl 2012, 147 Rn. 20) – die Steuerung des Verwaltungsermessens fördert Rechtssicherheit, dient der Gleichbehandlung und ist deshalb als solche rechtlich unbedenklich (vgl. BVerwG, B.v. 25.7.1990 – 7 B 100.90 – NVwZ-RR 1991, 31/32) –, wobei sie allerdings ihrerseits vom Gericht auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen sind (vgl. BayVGH, B.v. 14.11.1997 – 10 CS 97.559 – NVwZ-RR 1998, 332), und zwar auch hinsichtlich etwaiger Abwägungsfehler in den Weisungen selbst (Art. 19 Abs. 4 GG), insoweit jedoch nur in den von § 114 VwGO vorgegebenen Grenzen.
34
Vorliegend ist zwar rein textlich nicht zu leugnen, dass die ministeriellen Begründungen dafür, jenseits der Ermessensreduzierungsstichtage keine Korrektur zu erlauben (siehe 2.3.2.1.), sehr knapp gehalten sind. Allerdings hat das IMS vom 29. März 2021 (dort S. 2 vorletzter Absatz) durchaus erkannt, dass bei der Bestimmung des Rücknahmezeitpunkts „abzuwägen“ ist zwischen der Rechtssicherheit einerseits und der materiellen Gerechtigkeit andererseits, und dabei dem Aspekt der Rechtssicherheit für Zeiten „vor“ den Stichtagen Vorrang eingeräumt. Dabei ist zu sehen, dass die ministeriellen Weisungen – anders als viele andere Verwaltungsvorschriften – nicht am Beginn einer Vollzugspraxis stehen, sondern ganz im Gegenteil an die weitreichenden Klärungen der fünf in den Weisungen genannten bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen vom 7. Oktober 2020 anknüpfen. Auch diese Bezugnahmen sind angesichts des durchaus erkannten Abwägungserfordernisses als ermessensbezogene Erwägung der ministeriellen Weisungen von Gewicht. Vor diesem Hintergrund ist zu sehen, dass das Bundesverwaltungsgericht gerade die zentralen klägerseits beklagten Härten als letztlich schon auf der Tatbestandsebene nicht zur Rechtswidrigkeit führende Aspekte behandelt hat. Das gilt namentlich für die Erkenntnis, dass weder die Verfassung noch das einfache Recht dazu verpflichten, für das Ruhen von Kapitalbeträgen einen Endzeitpunkt zu bestimmen, insbesondere nicht dergestalt, dass das Ruhen zu enden hätte, sobald die Summe der Ruhensbeträge den Wert des Kapitalbetrags erreicht (BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 18.19 – BVerwGE 169, 318 Rn. 19 bis 38 in Anknüpfung an BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11 u.a. – BVerfGE 145, 249 Rn. 75 f.). Soweit die klägerische Kritik derartige Punkte betrifft, ist ihr auch auf der Rechtsfolgeseite kein entscheidendes Gewicht bei der Prüfung von Ermessensfehlern (§ 114 VwGO) beizumessen. Angesichts dessen ist insbesondere die klägerseits gerügte Unverhältnismäßigkeit der einbehaltenen Beträge im Vergleich zu den ausgezahlten Kapitalbeträgen nicht anzunehmen. Bei all dem ist stets zu sehen, dass das Bundesverfassungsgericht nicht nur dem Umstand, dass mit dem erhaltenen Kapitalbetrag gewirtschaftet werden konnte (BVerfG, B.v. 23.5.2017 a.a.O. Rn. 86), erhebliches Gewicht beigemessen hat, sondern ebenso auch dem Umstand, dass seit je auch die Ablieferung an den Dienstherrn möglich gewesen wäre mit der Folge, dass keinerlei Ruhensproblematik eingetreten wäre (BVerfG, B.v. 23.5.2017 a.a.O. Rn. 76 a.E.).
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Unbedenklich ist wie gezeigt (siehe 2.3.1.2.), dass die ministerielle Weisungslage der Beklagten (vgl. finanzministerielle E-Mail vom 19.11.2021) „statisch“ auf die Sterbetafel 2015/2017 abstellt, die galt, als die höchstgerichtliche Klärung hinsichtlich der sog. Angleichung nach oben bei geschlechtsspezifischer Verrentung erfolgte.
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Die Verbindlichkeit der besagten ministeriellen Ermessensbindung hängt nicht davon ab, inwieweit „vor“ deren Ergehen im Einzelfall anders entschieden wurde. Ebenso wenig wird die Verbindlichkeit dieser Weisungen in Frage gestellt, wenn nachgeordnete Behörden bei der Umsetzung der Weisungen im Einzelfall Fehler unterlaufen, insbesondere wenn wie im vorliegenden Fall weisungswidrig auch über die Stichtage hinaus korrigiert wird (siehe dazu 2.3.3.). Vielmehr steht bei derartigen Fällen – ganz im Gegenteil – die Frage einer Korrektur der fehlerhaft weisungswidrigen Handhabung im Raum, was zwar wiederum an den dafür geltenden gesetzlichen Korrektur-, Vertrauensschutz- und Ermessensvorschriften zu messen, jedoch als solches keineswegs geeignet ist, die ministerielle Weisungslage obsolet werden zu lassen.
37
Gegen die ministeriell vorgegebene Verfahrensweise bestehen im Ergebnis auch unter Berücksichtigung der klägerischen Einwände keine Bedenken (siehe 2.3.1.3. zur Kapitalwertrendite von 5,5%). Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die ministerielle Vorgabe eine unzureichende Alimentation mit sich brächte oder unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen wäre. Denn auch auf der Ebene des Korrekturermessens ist zu sehen, dass dem Kläger nicht nur der Kapitalbetrag mit seinen wirtschaftlichen Anlagemöglichkeiten zur Verfügung stand (BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11 u.a. – BVerfGE 145, 249 ab Rn. 86), sondern er auch die Möglichkeit gehabt hätte, das Ruhen der Versorgung zu vermeiden, indem er den Kapitalbetrag an den Dienstherrn abführt (BVerfG, B.v. 23.5.2017 a.a.O. Rn. 76), weswegen im Ergebnis auch insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (siehe auch 2.1. a.E.).
38
Im Ergebnis ist kein spezifischer Abwägungsbelang ersichtlich, der auf der von den ministeriellen Weisungen gewählten abstrakten Ebene ermessensfehlerhaft übergangen worden wäre.
39
2.3.2.3. Die somit auf abstrakter Ebene nicht zu beanstandende Weisungslage bewirkt, dass etwaige Ansprüche auf ermessensfehlerfreie Korrekturentscheidung im Hinblick auf den Gedanken der Gleichbehandlung den von ministeriellen Weisungen vorgegebenen Grenzen unterliegen (siehe auch 2.3.2.1.).
40
Eine Durchbrechung dieser weisungsbezogenen Regelbindung der nachgeordneten Behörden, wie sie bei außergewöhnlichen Umständen des Einzelfalls von Amts wegen vorzunehmen wäre (BVerwG, U.v. 29.6.1990 – 8 C 69.88 – DÖV 1991, 76; B.v. 10.8.1990 – 1 B 114.89 – NJW 1991, 650/651 a.E.; U.v. 15.1.2008 – 1 C 17.07 – BVerwGE 130, 148 Rn. 15 m.w.N.; U.v. 15.1.2013 – 1 C 7.12 – BVerwGE 145, 305 Rn. 11 f.), ist im konkreten Fall des Klägers nicht angezeigt. Zwar geht die Ermessensbindung solcher Weisungen nicht so weit, dass wesentlichen Besonderheiten des Einzelfalls nicht mehr Rechnung getragen werden könnte (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2008 a.a.O.). Jedoch sind vorliegend Anhaltspunkte für derartige Besonderheiten im Einzelfall des Klägers nicht ersichtlich. Die umfangreiche Kritik des Klägers an den Korrekturentscheidungen betrifft Umstände, die nicht nur seinen individuellen Fall, sondern allgemein die Auswirkungen der von NATO-Organisationen ausgezahlten Kapitalbeträge auf die Versorgungsbezüge betreffen und höchstgerichtlich bereits auf der Tatbestandsebene (siehe 2.1. [a.E.]) nicht als unzulässige Härten angesehen wurden, die ministerielle Weisungslage nicht in Frage stellen (siehe 2.3.2.2.) und aus dem gleichen Grund keine Durchbrechung der weisungsbezogenen Regelbindung rechtfertigen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2008 a.a.O. Rn. 15 [a.E.]).
41
2.3.3. Der Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 hat die dem Kläger zustehenden Ansprüche (siehe 2.3.1. und 2.3.2.) mehr als erfüllt, sodass dem Kläger darüber hinaus keine weitergehenden Ansprüche zustehen.
42
Zwar ist der Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 objektiv rechtswidrig, weil er der ministeriellen Weisungslage (siehe 2.3.2.) nicht folgt, sondern – ganz im Gegenteil – weisungswidrig eine Korrektur auch für weit vor den Ermessensreduzierungsstichtagen (1.10.2013, 1.11.2019; siehe 2.3.1.1.) liegende Zeiträume (ab 1.8.2004) vornimmt, wovon die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auch selbst ausgegangen ist. Die in der Begründung des Änderungsbescheids vom 19. Mai 2022 (dort S. 4 unten) insoweit vorgenommene Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überzeugt nicht, weil der Ruhensbescheid bestandskräftig geworden war und für Zeiträume „vor“ den Stichtagen (siehe 2.3.1.1.) das Verwaltungsermessen gerade nicht zu einer Korrekturpflicht reduziert ist (siehe 2.3.2.1.).
43
Jedoch ist insoweit eine subjektive Rechtsverletzung des Klägers ausgeschlossen, weil dessen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nicht weiterreicht als es nach der Weisungslage vorgesehen ist. Diese Weisungswidrigkeit wirkt sich im Verhältnis zur Weisungslage zugunsten des Klägers aus. Ausgeschlossen ist eine subjektive Rechtsverletzung auch insoweit, als der Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 in Anlagen 1 und 2 – nicht anders als die ursprüngliche Ruhensregelung – für Zeiten vor dem 28. März 2008 verzinslich verrentet, obwohl dafür erst ab diesem Zeitpunkt eine gesetzliche Grundlage bestand (vgl. BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 18.19 – BVerwGE 169, 318 Rn. 23; U.v. 7.10.2020 – 2 C 7.20 – BeckRS 2020, 41650 Rn. 22 f.). Denn auch für die insoweit problematischen Zeiträume (1.8.2004 bis 28.3.2008) weist die in Anlage 3 des Änderungsbescheids vom 19. Mai 2022 enthaltene Soll-Ist-Rechnung durchgehend höhere Soll- als Ist-Beträge aus. Die daraus resultierenden Nachzahlungsbeträge in Anlage 3 hätten dem Kläger nach der ministeriellen Weisungslage – die vorgibt, dass „vor“ den Stichtagen (1.10.2013, 1.11.2019) überhaupt keine Korrektur und damit auch keine Nachzahlung zu erfolgen hat – von vornherein nicht zugestanden.
44
Es liegt somit zwar ein objektiv rechtswidriger (weil weisungswidriger) Bescheid, nicht aber eine subjektive Rechtsverletzung des Klägers i.S.v. § 113 Abs. 5 VwGO vor, weil ihm insoweit kein entsprechender Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zusteht, der dadurch verletzt sein könnte.
45
2.4. Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
46
Kein Anspruch ergibt sich für den Kläger aus § 51 Abs. 1 VwVfG; insbesondere liegt in der Entwicklung der den Fall betreffenden höchstrichterlichen Rechtsprechung (siehe oben) keine Änderung der Rechtslage i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.1967 – III C 123.66 – BVerwGE 28, 122/126 f. m.w.N.; U.v. 25.10.2012 – 2 C 59.11 – BVerwGE 145, 14 Rn. 10 m.w.N.). Im Übrigen nimmt der Senat insoweit gemäß § 130b Satz 2 VwGO auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Urteils (UA S. 8 zweiter Absatz bis S. 9 dritter Absatz) Bezug, die auch im Hinblick auf die Änderungen des Besoldungsstrukturmodernisierungsgesetzes (BesStMG) vom 9. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2053) weiterhin zutreffen, weil gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 SVG n.F. Versorgungsempfänger mit einer Ruhensregelung nach der bislang geltenden Fassung des § 55b SVG einschließlich sämtlicher Übergangsregelungen von der Gesetzesnovelle ausgenommen sind (vgl. Regierungsentwurf zum BesStMG, BT-Drs. 19/13396 S. 176).
47
§ 49 VwVfG scheidet als Anspruchsgrundlage aus. Der rechtswidrige Ruhensbescheid, um dessen Korrektur es geht, ist ein rechtswidriger „belastender“ Verwaltungsakt i.S.v. § 49 Abs. 1 VwVfG, sodass die bei „begünstigenden“ rechtswidrigen Verwaltungsakten – im Hinblick auf die dort vergleichbare Schutzwürdigkeit des Vertrauens – mögliche analoge Anwendung des § 49 Abs. 2 VwVfG (stRspr, BVerwG, U.v. 19.9.2018 – 8 C 16.17 – BVerwGE 163, 102 Rn. 14 f. m.w.N.) vorliegend nicht in Betracht kommt.
48
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 2, § 161 Abs. 2 VwGO. Es ist eine einheitliche Kostenentscheidung für den eingestellten und noch streitigen Teil des Verfahrens zu treffen (vgl. BVerwG, B.v. 10.11.1980 – 1 B 802.80 – juris Rn. 6 f.; BayVGH, U.v. 26.4.2018 – 14 B 15.2764 – juris Rn. 59 m.w.N.), und zwar für beide Rechtszüge, zumal infolge der teilweisen Erledigungserklärung das verwaltungsgerichtliche Urteil insoweit unwirksam geworden ist (siehe 1.). Die angesichts der bloß teilweisen Erledigungserklärung gebotene für beide Rechtszüge einheitliche Kostenentscheidung führt zu einer hälftigen Kostenlast beider Parteien, und zwar auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass das klägerische Verbescheidungsbegehren nicht auf konkrete Währungsbeträge bezogen worden ist. Einerseits ist dabei zu sehen, dass der Kläger mit seinem ursprünglichen Begehren eines Endzeitpunkts der Ruhensregelung – und damit einer Beschränkung der Summe der Ruhensbeträge auf den Kapitalbetrag – und mit seinem Ziel, den Arbeitnehmeranteil bei der Verrentungsrechnung auszuklammern, ebenso erfolglos bleibt wie mit seinen zuletzt noch weiterverfolgten Zielen (siehe oben; vgl. zur hälftigen Kostentragung in solchen Fällen BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 18.19 – BVerwGE 169, 318 Rn. 56). Andererseits hat die Beklagte mit dem Änderungsbescheid vom 19. Mai 2022 in erheblichem Umfang auch für weit zurückreichende Zeiträume der Vergangenheit nachgegeben, dadurch die Teilerledigungserklärung wesentlich verursacht und insoweit im Schriftsatz vom 19. April 2022 eine Übernahme der Kosten erklärt.
49
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
50
5. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Zulassungsgründe vorliegt. Die Stichtage für die Reduzierung des Korrekturermessens, das Fortbestehen des Korrekturermessens im Übrigen und die Regeln und Wirkungen ministerieller Weisungen sind höchstgerichtlich geklärt.