Titel:
Sicherheitsrecht, Haltungsuntersagung und Abgabepflicht hinsichtlich eines Hundes, Wohnungsdurchsuchung, Richtervorbehalt, (Schein-)Übereignung des Hundes an Dritte
Normenketten:
GG Art. 13 Abs. 1 und 2
VwZVG Art. 37 Abs. 3 S. 1
Schlagworte:
Sicherheitsrecht, Haltungsuntersagung und Abgabepflicht hinsichtlich eines Hundes, Wohnungsdurchsuchung, Richtervorbehalt, (Schein-)Übereignung des Hundes an Dritte
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18750
Tenor
I. Die Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegnerin (mittlere Etage des Wohnhauses in der … … … …) wird zum Zwecke der Wegnahme der American Akita-Hündin „…“ gestattet. Das Grundstück darf dabei betreten werden, verschlossene Türen und Behältnisse dürfen geöffnet werden. Die Gestattung gilt für sechs Monate ab dem Datum des vorliegenden Beschlusses.
II. Die Antragstellerin wird mit der Zustellung dieses Beschlusses vor Durchführung der unter Nr. I gestatteten Maßnahme an die Antragsgegnerin beauftragt.
III. Die Kosten des gerichtsgebührenfreien Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt, ihr die Durchsuchung des Grundstücks und der mittleren Etage des Gebäudes der Antragsgegnerin zur Vollziehung einer sicherheitsrechtlichen Anordnung zu gestatten.
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Mit bestandskräftigem und sofort vollziehbarem Bescheid vom … … 2022 untersagte die Antragstellerin der Antragsgegnerin die Haltung und die Wiederinbesitznahme (Ziffer 1) sowie die Betreuung der im … 2020 gewölften American Akita-Hündin namens „…“ (Ziffer 2) und erlegte der Antragsgegnerin die Verpflichtung auf, die Hündin innerhalb von 14 Tagen an eine geeignete Person außerhalb ihres Haushalts oder an eine für die Aufnahme der Hündin geeignete Einrichtung abzugeben (Ziffer 3). Ferner regelte die Antragstellerin die Modalitäten der Abgabe (Ziffern 4 und 5) und drohte für den Fall eines Verstoßes gegen Ziffern 1 bis 5 ein Zwangsgeld i.H.v. 1.000 bzw. 500 Euro an (Ziffern 7 bis 11). Dem Bescheid lagen mehrere schwerwiegende Beißvorfälle mit Verletzungen von Menschen unter Beteiligung der Hündin „…“ zugrunde, bei denen unter anderem auch die Antragsgegnerin selbst sowie deren Familienangehörige verletzt wurden.
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Nachdem die Antragsgegnerin die Hündin nicht innerhalb der gesetzten Frist abgab, drohte ihr die Antragstellerin mit weiterem Bescheid vom … … 2022 für den Fall, dass die Antragsgegnerin der Anordnung in Ziffer 3 des Ausgangsbescheids vom … … 2022 nicht innerhalb von weiteren 14 Tagen nachkomme, die Ersatzvornahme an.
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Nachdem die Antragsgegnerin dem nicht fristgemäß nachkam, wurde für den … … 2023 ein Ortstermin anberaumt, bei dem die Antragsgegnerin nach Aktenlage angab, die Abgabeanordnung erfüllen zu wollen. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit räumte ihr die Antragstellerin daraufhin eine letztmalige Frist von 14 Tagen ein, damit die Antragsgegnerin die Hündin „…“ eigenständig weitervermitteln könne.
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Da in der Folgezeit die Antragsgegnerin telefonisch nicht zu erreichen gewesen sei, setzte die Antragstellerin für den … … 2023 einen Termin zur Wegnahme der Hündin im Wege der Ersatzvornahme an. Einem Aktenvermerk der Antragstellerin zufolge ist der Antragsgegnerin gegenüber – nach vorheriger Anhörung – vor Ort die Duldung der Verbringung sowie die Unterbringung der Hündin im Tierheim … mündlich und die sofortige Vollziehung schriftlich angeordnet worden. Die Antragsgegnerin habe sich damit zunächst einverstanden gezeigt und eine Einverständniserklärung zur weiteren Vermittlung der Hündin durch den Tierschutzverein … unterschrieben. Anschließend sei der Sohn der Antragsgegnerin aus dem Gebäude gekommen und habe unter Vorlage einer handschriftlichen „Vereinbarung“ erklärt, die Antragsgegnerin sei psychisch krank und „unzurechnungsfähig“, er sei nun der zivilrechtliche Eigentümer der Hündin und werde diese ohne einen Durchsuchungsbeschluss nicht herausgeben. Der Sohn sei dann zurück ins Haus gegangen und habe die Antragstellerin nicht mehr kontaktiert. Der vorgelegten „Vereinbarung“ ist zu entnehmen, dass die Hündin an eine Person außerhalb des Haushalts der Antragsgegnerin übergeben worden sei.
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In einem Telefonat vom … … 2023 mit einem der Geschädigten erfuhr die Antragstellerin weiter, dass das Gebäude in der … … … … in drei Etagen unterteilt sei, wobei in der unteren Etage die Großeltern wohnen würden, in der mittleren Etage die Antragsgegnerin wohne und in der oberen Etage ihr Sohn.
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Zuletzt hat die Antragstellerin beantragt,
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die Durchsuchung des Grundstücks und der mittleren Etage des Gebäudes der Antragsgegnerin, in der … … …, zum Zwecke der Wegnahme der im … 2020 gewölften American Akita-Hündin „…“ zu gestatten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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Dem Antrag auf Erlass einer richterlichen Durchsuchungsanordnung war wie tenoriert stattzugeben.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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1.1. Der Verwaltungsrechtsweg ist für den Antrag auf richterliche Durchsuchungsgestattung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eröffnet, da die im Streit stehende Frage am Maßstab öffentlich-rechtlicher Normen zu prüfen ist und vorliegend keine abdrängende Sonderzuweisung greift. Die Streitigkeit ist insbesondere nicht dem Amtsgericht zugewiesen, da die Antragstellerin – und nicht die Polizei – den Antrag auf Gestattung der Durchsuchung stellt. Das Verwaltungsgericht München ist gemäß § 45 und § 52 Nr. 1 VwGO sachlich sowie örtlich zuständig.
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1.2. Der Antrag ist ferner statthaft. Hinsichtlich des Vollzugs einer Hundehaltungsuntersagung und einer Abgabeverpflichtung enthält das Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) keine spezialgesetzliche Regelung, sodass nach Art. 18 Abs. 1 VwZVG die landesrechtliche Verwaltungsvollstreckungsvorschrift des Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG anzuwenden ist, wonach die zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsbehörde sowie Polizeibeamte befugt sind, die Wohnung des Pflichtigen zu betreten sowie verschlossene Türen und Behältnisse zu öffnen.
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Da nach dem bisherigen Geschehen nicht davon auszugehen ist, dass die Hündin „…“ freiwillig abgegeben wird, die Antragstellerin den genauen Aufenthaltsort der Hündin im Gebäude nicht kennt und daher eine ziel- und zweckgerichtete Suche im Sinne eines „Aufdeckens“ von „Verborgenem“ in einem für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wesentlichen Lebensbereich notwendig erscheint, ist vorliegend eine Wohnungsdurchsuchung im rechtlichen Sinne – in Abgrenzung zum bloßen Betreten einer Wohnung – anzunehmen, für die gemäß Art. 13 Abs. 2 Grundgesetz (GG) – außer in dem hier nicht einschlägigen Fall der Gefahr in Verzug – der Richtervorbehalt gilt (zur verfassungskonformen Auslegung von Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG vgl. BayVGH, B.v. 23.2.2000 – 21 C 99.1406 – juris Rn. 24 m.w.N.; B.v. 10.10.2022 – 10 B 22.798 – juris Rn. 28 m.w.N.).
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2. Der Antrag ist auch begründet.
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2.1. Prüfungsumfang und -maßstab für die Gestattung einer Wohnungsdurchsuchung ergeben sich nicht unmittelbar aus Art. 13 Abs. 2 GG, sondern in erster Linie aus den gesetzlichen Bestimmungen, welche die Voraussetzungen für die Durchsuchung festlegen und in richterlicher Unabhängigkeit geprüft werden müssen. Insofern darf die Einschaltung des Richters keine bloße Formsache sein und die Wohnungsdurchsuchung hat nur eine wohlbegründete Ausnahme zu sein. Zugleich ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Richter hier wegen der Durchsuchung der Wohnung und nicht zur Nachprüfung der Rechtmäßigkeit bereits vollstreckbarer behördlicher Maßnahmen eingeschaltet wird. Er darf daher keine „neue Instanz“ bilden (BVerfG, B.v. 16.6.1981 – 1 BvR 1094/80 – BVerfGE 57, 346/355 f.).
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Zu prüfen ist daher (lediglich), ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung der Vollstreckungsmaßnahme vorliegen und ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, insbesondere ob die zu vollstreckende Maßnahme den schwerwiegenden Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung rechtfertigt, da sonst der Vollstreckungserfolg gefährdet wäre (vgl. VGH BW, B.v.16.6.1999 – 4 S 861/99 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 23.2.2000 – 21 C 99.1406 – juris Rn. 25 m.w.N.). Eine inhaltliche Rechtmäßigkeitsprüfung der Ausgangsanordnungen findet im Verfahren der Durchsuchungsgestattung hingegen nicht statt, da dieses allein der Wahrung des Richtervorbehalts gem. § 13 Abs. 2 GG dient (vgl. VGH BW, B.v. 16.6.1999 – 4 S 861/99 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 23.2.2000 – 21 C 99.1406 – juris Rn. 33).
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2.2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Durchsuchung vorliegend im tenorierten Umfang zu gestatten.
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a) Die allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Voraussetzungen in Art. 18 und 19 Abs. 1 und 2 VwZVG für eine Durchsuchung der Wohnung (und der dazu gehörigen Nebengebäude) der Antragsgegnerin liegen vor.
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Mit dem Bescheid vom … … 2022 ist ein sofort vollziehbarer (und mittlerweile bestandskräftiger) Verwaltungsakt gegeben, der die Antragsgegnerin in Ziffer 3 zu einem Handeln verpflichtet. Dass die Antragsgegnerin dieser Verpflichtung mittlerweile nachgekommen wäre, steht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest. Der Vortrag der Antragstellerin, wonach es sich bei der Übereignung des Hundes an den Sohn der Antragsgegnerin um eine Scheinabgabe handeln würde, erscheint nach den Umständen des Falles (nach Aktenlage) nachvollziehbar. Eine Übereignung schließt im Übrigen ein Fortbestehen der Haltereigenschaft nicht aus und die Antragsgegnerin hat bislang auch – soweit ersichtlich – nicht in eigener Person gegenüber der Antragstellerin eingewandt und plausibel belegt, dass die Voraussetzungen für eine Vollstreckung des Bescheids vom … … 2022 nicht mehr vorliegen würden (zur Nichtigkeit einer Eigentumsübertragung nach § 138 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB, die zur Vereitelung einer Vollstreckung aus einem Vergleich erfolgte, vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2001 – 22 C 00.3619 – juris).
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b) Auch die besonderen vollstreckungsrechtlichen Voraussetzungen nach Art. 29 ff. VwZVG sind gewahrt.
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Die Androhung von Ersatzvornahme im Bescheid vom … … 2022 war zulässig, da mildere Zwangsmittel in Form von Zwangsgeldern ohne Erfolg geblieben sind (Art. 29 Abs. 3, 32 Satz 2 VwZVG). Die für die Abgabe der Hündin dabei gesetzte Nachfrist von 14 Tagen war insbesondere vor dem Hintergrund der vielen schwerwiegenden Beißvorfälle auch zumutbar (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG). Für die angedrohte Ersatzvornahme wurden auch die voraussichtlichen Kosten der Ersatzvornahme veranschlagt (Art. 36 Abs. 4 VwZVG). Im Übrigen ist die Zwangsmittelandrohung bestandskräftig.
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c) Die Durchsuchung Wohnung der Antragsgegnerin verfolgt darüber hinaus einen legitimen Zweck und ist zu Erreichung dieses Zwecks erforderlich, geeignet und verhältnismäßig.
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Die beantragte Durchsuchung dient der Durchsetzung der bestandskräftigen Haltungsuntersagung und Abgabeverpflichtung der Hündin gegenüber der Antragsgegnerin.
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Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung stellt sich die Durchsuchung auch unter Berücksichtigung des Gewichts des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre als verhältnismäßig dar (zu den Anforderungen an einen Eingriff in das Wohnungsgrundrecht nach Art. 13 Abs. 1 GG vgl. BVerfG, B.v. 14.7.2016 – 2 BvR 2474/14 – juris Rn. 15 ff.).
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Die Erforderlichkeit der beantragten Durchsuchung ist nach Aktenlage und dem Vortrag der Antragstellerin gegeben. Ein anderes, gleichermaßen geeignetes und weniger belastendes Mittel, um die Hündin wegzunehmen und vorläufig ins Tierheim … unterzubringen, ist nicht ersichtlich.
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3. Die Befristung der Gestattung auf sechs Monate ab dem Datum des vorliegenden Beschlusses trägt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einer Wohnungsdurchsuchung Rechnung. Ein wirksamer Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung erfordert eine zeitliche Befristung, um den Grundrechtseingriff in Übereinstimmung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu halten. (vgl. BVerfG, B.v. 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92 – juris Rn. 29). Nur eine entscheidungsnahe Durchsuchung garantiert, dass die tatsächlichen, die Durchsuchungsanordnung rechtfertigenden Entscheidungsgrundlagen noch vorliegen.
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4. Die Durchsuchungsanordnung ergeht antragsgemäß ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerin als Vollstreckungsschuldnerin (was Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich gebietet).
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Mit der Durchsuchung wird gerade bezweckt, etwas aufzuspüren, was die Betroffene von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will. Nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls (insbesondere des bisherigen Geschehens/Verhaltens) ist das Gericht der Ansicht, dass der Durchsuchungszweck anderenfalls aller Voraussicht nach vereitelt würde. Es ist zu erwarten, dass die Antragsgegnerin oder ihr Sohn, die sich bisher nachhaltig geweigert haben, die Hündin herauszugeben, auch bereit wären, diese beiseite zu schaffen, sobald sie von der beabsichtigten Durchsuchung erfahren. Unter diesen Umständen kann ohne Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG von einer Anhörung der Betroffenen vor Erlass der Durchsuchungsgestattung abgesehen werden (BayVGH, B.v. 27.11.1998 – 4 C 98.2721 – juris Rn. 14).
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Um den Erfolg der Durchsuchung nicht zu gefährden, ist die Antragstellerin vielmehr zu beauftragen, diesen Beschluss im Wege der Amtshilfe gemäß § 14 VwGO unmittelbar bei Beginn der Durchsuchungsmaßnahme durch Übergabe zuzustellen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei, da sich im Gerichtskostengesetz (GKG) für Verfahren dieser Art kein Gebührentatbestand findet (§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 2 GKG i.V.m Teil V der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).