Inhalt

LG Bamberg, Endurteil v. 11.01.2023 – 21 O 391/22
Titel:

Beginn der Verjährung des Restschadensersatzanspruchs in den sogenannten Dieselfällen

Normenkette:
BGB § 826, § 851
Leitsatz:
Die Verjährung des Restschadensersatzanspruchs aus § 852 S. 1 BGB beginnt in den sogenannten Dieselfällen mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das vom Diesel-Abgas-Skandal betroffenen Fahrzeugs. Auf den Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung oder den Zeitpunkt der Fahrzeugübergabe kommt es hingegen nicht an. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 189, Restschadensersatzanspruch, Verjährung, Abgas-Skandal, Treuwidrigkeit
Rechtsmittelinstanzen:
LG Bamberg, Berichtigungsbeschluss vom 02.03.2023 – 21 O 391/22
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 11.07.2023 – 12 U 15/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18611

Tenor

1.    Der Antrag der Klägerin auf Aussetzung des Verfahrens wird zurückgewiesen.
2.    Die Klage wird abgewiesen.
3.    Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4.    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 23.799,19 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht mit ihrer am 30.05.2022 zugestellten Klage gegen die beklagte Fahrzeugherstellerin Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Dieselabgasskandal betreffend ein Fahrzeug mit Motor EA 189 geltend.
2
Der Klägerin wurde am 30.10.2012 von der …, einer Vertragshändlerin der Beklagten, das Neufahrzeug VW Sharan 2,0 TDI ausgeliefert, FIN …. Die … stellte der Klägerin eine Rechnung vom 30.10.2012 über einen Bruttokaufpreis in Höhe von 33.395,01 € (Anlage K1), der durch die Klägerin vollständig an die … entrichtet wurde.
3
Vorangegangen war eine verbindliche und auf die Wünsche der Klägerin abgestimmte Neufahrzeugbestellung vom 09.02.2012.
4
Das Fahrzeug ist mit dem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor EA 189 ausgestattet. Dieser bzw. dessen Steuersoftware verfügte über eine Fahrzykluserkennung, die registrierte, wenn das Fahrzeug den NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) durchfährt, und allein in diesem Fall den Motor in einen Modus versetzte, der zu deutlich niedrigeren Abgaswerten auf dem Prüfstand führte. Nur durch dieses – den zuständigen Aufsichts-, Zulassungs- und Prüfbehörden verschwiegene – Feature (“Schummelsoftware“) erfüllten die mit dem Motor EA 189 ausgestatteten Fahrzeuge die gesetzlichen Anforderungen in Bezug auf die einschlägigen Emissionsgrenzwerte; dies allerdings allein auf dem Prüfstand.
5
Im September 2015 räumte die Beklagte den Einsatz der den Prüfstand erkennenden Software ein, was zu einem immensen, über viele Monate anhaltenden Medienecho führte. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wertete die beschriebene Software als unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete die Beklagte mit (mangels Anfechtung bestandskräftigem) Bescheid vom 14.10.2015, zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typgenehmigung die beschriebene Software zu entfernen, um die Vorschriftsmäßigkeit der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu gewährleisten.
6
Die Beklagte informierte die Halter der durch sie hergestellten Fahrzeuge mit dem Motortyp EA 189 im Februar 2016 postalisch über das zur Entfernung der beanstandeten Software zu entwickelnde Update und den mit dem KBA abgestimmten Zeit- und Maßnahmenplan. Nach Verfügbarkeit des jeweiligen Updates schrieb die Beklagte die Halter erneut an und forderte sie zur Durchführung des Updates auf. Die Klägerin ließ das von der Beklagten angebotene Software-Update am 21.07.2016 einspielen.
7
Im Zeitpunkt der Klageerhebung belief sich der Km-Stand des Fahrzeugs auf 86.210 km und im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auf 89.244 km.
8
Die Klägerin behauptet, sie sei zu der Bestellung des Fahrzeugs jedenfalls auch durch dessen von der Beklagten beworbenen niedrige Abgaswerte bestimmt worden. Sie habe darauf vertraut, ein allen gesetzlichen Anforderungen entsprechendes Fahrzeug zu erhalten. Nachdem das Fahrzeug dem nicht entsprochen und eine Stilllegung gedroht habe, sei der Kaufvertragsabschluss für die Klägerin nachteilig gewesen und beruhe auf einer von der Beklagten in rücksichtslosem Gewinnstreben verübten Täuschung. Die Klägerin meint, die Beklagte habe sie so zu stellen, als wenn sie den Kaufvertrag nicht abgeschlossen hätte. Ihr sei mithin der um die gezogenen Nutzungsvorteile (berechnet anhand einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km) verminderte Kaufpreis zu erstatten, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs.
9
Verjährung sei nicht eingetreten, denn weder aufgrund der Medienberichterstattung, noch infolge der verharmlosend und beschwichtigend formulierten Rückrufschreiben der Beklagten habe die Klägerin Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von allen anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt. Auch sei beim Aufspielen des Softwareupdates ein Thermofenster implementiert worden sei, was eine neue, selbständige Schädigungshandlung darstelle. Die Erhebung der Verjährungseinrede sei zudem treuwidrig.
10
Jedenfalls schulde die Beklagte selbst im Fall einer etwaigen Verjährung den Restschadensersatz nach § 852 BGB, weil ihr der Kaufpreis zugeflossen sei. Für den Beginn der diesbezüglichen Verjährung sei auf die Übergabe des Fahrzeugs abzustellen.
11
Die Klägerin beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.799,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Tiguan 2,0 TDI, FIN ….
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer I. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
12
Außerdem beantragt die Klägerin,
das Verfahren bis zu einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 gemäß § 148 ZPO (analog) auszusetzen (Schriftsatz vom 09.09.2022 Seite 5, Bl. 211 d.A.).
13
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
14
Sie bestreitet die Kaufmotive der Klägerin mit Nichtwissen und verweist auf die durchgängig gegebene uneingeschränkte Nutzbarkeit des Fahrzeugs. Der Klägerin sei kein Schaden entstanden.
15
Sie erhebt die Einrede der Verjährung. Die Klägerin habe bereits im Jahr 2015 aufgrund der allgegenwärtigen Medienberichterstattung Kenntnis, zumindest aber grob fahrlässige Unkenntnis, von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs gehabt. Kenntnis sei spätestens durch die Halteranschreiben aus dem Jahr 2016 eingetreten.
16
Auch ein etwaiger Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 BGB sei verjährt, denn abzustellen sei auf den mehr als zehn Jahre zurückliegenden Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses (Februar 2012).
17
Ein Grund für eine Aussetzung des Verfahrens liege nicht vor.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird Bezug genommen auf alle gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.
19
Es ist kein Beweis erhoben worden.

Entscheidungsgründe

20
Die zulässige Klage ist nicht begründet, weil etwaige Ansprüche der Klägerin wegen des Erwerbs des mit dem Dieselmotor EA 189 ausgestatteten Fahrzeugs VW Sharan verjährt sind und die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben hat.
21
Spätestens aufgrund der Halteranschreiben der Beklagten aus dem Jahr 2016 und der Vornahme der Update-Aufspielung am 21.07.2016 hatte die Klägerin Kenntnis oder zumindest grob fahrlässige Unkenntnis in Bezug auf die Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom sogenannten Diesel-Abgas-Skandal. Auch eine beschwichtigende und verharmlosende Formulierung der einschlägigen Schreiben der Beklagten ändert nichts daran, dass spätestens mit Erhalt des betreffenden Schreibens für die Fahrzeughalter als Empfänger eindeutig war – oder sich zumindest aufdrängen musste – dass ihr Fahrzeug von dem seit September 2015 in allen Medien omnipräsenten „Diesel-Abgas-Skandal“ betroffen war.
22
Verjährung etwaiger Ansprüche der Klägerin aus § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB trat deshalb spätestens mit Ablauf des Jahres 2019 ein.
23
Das Aufspielen des Softwareupdates führt auch im Fall der Implementierung eines sog. Thermofensters zu keinem Neubeginn der Verjährung, denn es stellt keine neue, selbständige Schädigungshandlung dar, aus der die von der Klägerin begehrten Folgen (Kaufpreiserstattung) hergeleitet werden könnten (vgl. BGH, Urteil vom 22.02.2022 – VI ZR 265/20).
24
Auch aus der Vorschrift des § 852 BGB lassen sich keine durchsetzbaren Ansprüche der Klägerin herleiten, weil auch insoweit Verjährung eingetreten ist. Maßgeblich ist die zehnjährige Verjährungsfrist nach § 852 Satz 2, 1. Hs. BGB, für deren Beginn auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses (hier: Februar 2012) abzustellen ist (ausführlich OLG Stuttgart, Beschluss vom 18. November 2021 – 10 U 243/21 –, juris). Der vorliegend verjährte Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB entstand mit dem Abschluss des Kaufvertrags (09.02.2012), weil der von § 826 BGB vorausgesetzte Vermögensschaden mit dem Abschluss des für den Käufer nachteiligen Vertrags eingetreten ist (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, BGHZ 225, 316, juris Rn. 44). Auf den Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung oder den Zeitpunkt der Fahrzeugübergabe kommt es nicht an. Auch der Restschadensersatzanspruch der Klägerin war somit im Zeitpunkt der Klageerhebung (30.05.2022) bereits verjährt, ohne dass es auf die Frage ankäme, ob die Zustellung „demnächst“ erfolgt ist.
25
Umstände, aus denen sich Treuwidrigkeit der Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte herleiten lassen würden, liegen nicht vor. Insbesondere hat das Verhalten der Beklagten zu keiner Zeit Anlass für die berechtigte Annahme geboten, die Beklagte werde die Verjährungseinrede im Streitfall nicht geltend machen.
26
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO und der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
27
Ein Grund für die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die Rechtssache des EuGH C-100/21 bzw. im Hinblick auf die diesbezüglichen Schlussanträge des Generalanwalts R. besteht nicht. Selbst wenn man der Auffassung des Generalanwalts folgen würde, bliebe die Klage wegen Verjährung der geltend gemachten Ansprüche ohne Erfolg.