Titel:
Kein Ersatz des Differenzschadens aufgrund des bei einem Softwareupdate aufgespielten Thermofensters
Normenketten:
BGB § 214 Abs. 1, § 823 Abs. 2, § 826, § 852
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Lauf der Verjährung des Anspruchs auf Restschadensersatz gemäß § 852 S. 1 BGB beginnt mit dem Abschluss des Kaufvertrags - hier der verbindlichen Bestellung der Käufers - und nicht erst mit der Zahlung des Kaufpreises. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gewährt nur den Ersatz des Differenzschadens, also den Minderwert, den ein Fahrzeug wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung im Vergleich zum objektiven Marktwert eines richtlinienkonformen Wagens hat. Aufgrund eines im Zuge eines nachträglich zur Beseitigung der durch das Kraftfahrtbundesamt beanstandeten Abschaltlogik installierten Softwareupdates aufgespielten Thermofensters hat sich der Wert des Fahrzeugs nicht noch weiter vermindert. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgasskandal, EA 189, Steuerungssoftware, Thermofenster, Differenzschaden, Softwareupdate
Vorinstanzen:
LG Bamberg, Berichtigungsbeschluss vom 02.03.2023 – 21 O 391/22
LG Bamberg, Endurteil vom 11.01.2023 – 21 O 391/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18610
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 11.01.2023, Az. 21 O 391/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert auf 23.799,19 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 08.08.2023.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin begehrt Schadensersatz für den Erwerb eines vom sogenannten „Abgasskandal“ betroffenen Dieselfahrzeugs, welches die Beklagte hergestellt hat.
2
Am 09.02.2012 bestellte die Klägerin bei der F. V. GmbH, einer Vertragshändlerin der Beklagten, verbindlich ein auf ihre Wünsche abgestimmtes Neufahrzeug VW Tiguan 2,0 TDI. Am 30.10.2012 wurde ihr das entsprechende Fahrzeug mit der FIN ... ausgeliefert. Zeitgleich mit der Auslieferung stellte die Fa. ... der Klägerin einen Bruttokaufpreis von 33.395,01 € in Rechnung (Anlage K1). Diesen Betrag entrichtete die Klägerin vollständig.
3
Das Fahrzeug ist mit dem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor EA 189 ausgestattet. Dessen Steuerungssoftware verfügte über eine Fahrzykluserkennung, die registrierte, wenn das Fahrzeug den NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) durchfährt. Allein in diesem Fall versetzte sie den Motor in einen Modus, der zu deutlich niedrigeren Abgaswerten auf dem Prüfstand führte. Auf diese Weise hielten die mit dem Motor EA 189 ausgestatteten Fahrzeuge die gesetzlichen Anforderungen in Bezug auf die einschlägigen Emissionsgrenzwerte auf dem Prüfstand ein, die sie im regelmäßigen Fahrbetrieb verfehlten. Dieses Feature hatte die Beklagten den zuständigen Aufsichts-, Zulassungs- und Prüfbehörden verschwiegen.
4
Im September 2015 räumte die Beklagte den Einsatz der Prüfstandserkennungssoftware ein, was zu einem immensen, über viele Monate anhaltenden Medienecho führte.
5
Das Kraftfahrt-Bundesamt (im Folgenden: KBA) stufte die beschriebene Software als unzulässige Abschalteinrichtung ein. Mit (mangels Anfechtung bestandskräftigem) Bescheid vom 14.10.2015 verpflichtete es die Beklagte, die beschriebene Software zu entfernen, um die Vorschriftsmäßigkeit der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu gewährleisten und den Widerruf oder die Rücknahme der Typgenehmigung zu vermeiden.
6
Die Beklagte informierte die Halter der durch sie hergestellten Fahrzeuge mit dem Motortyp EA 189 im Februar 2016 postalisch über ein noch zu entwickelndes Update zur Entfernung der beanstandeten Software und den mit dem KBA abgestimmten Zeit- und Maßnahmenplan. Nach Verfügbarkeit des jeweiligen Updates schrieb sie die Halter erneut an und forderte sie zur Durchführung des Updates auf. Die Klägerin ließ das von der Beklagten angebotene Softwareupdate am 21.07.2016 einspielen.
7
Im Zeitpunkt der Klageerhebung belief sich der Km-Stand des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf 86.210 km und im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz auf 89.244 km.
8
Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, sie sei zu der Bestellung des Fahrzeugs jedenfalls auch durch dessen von der Beklagten beworbenen niedrigen Abgaswerte bestimmt worden. Sie habe darauf vertraut, ein allen gesetzlichen Anforderungen entsprechendes Fahrzeug zu erhalten. Aus rücksichtslosem Gewinnstreben habe die Beklagte sie getäuscht.
9
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, der Kaufvertragsabschluss sei für sie nachteilig gewesen, da das gegenständliche Fahrzeug den einschlägigen Vorschriften nicht entsprochen und eine Stilllegung gedroht habe. Die Beklagte habe sie daher so zu stellen, als wenn sie den Kaufvertrag nicht abgeschlossen hätte. Deshalb sei ihr der um die gezogenen Nutzungsvorteile (berechnet anhand einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km) verminderte Kaufpreis zu erstatten, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs.
10
Die Klageforderung hält die Klägerin nicht für verjährt. Weder aufgrund der Medienberichterstattung, noch infolge der verharmlosend und beschwichtigend formulierten Rückrufschreiben der Beklagten habe sie Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von allen anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt. Ferner habe das von der Beklagten entwickelte Softwareupdate ein Thermofenster enthalten, das damit beim Aufspielen auf ihrem Fahrzeug implementiert worden sei.
11
Dies stelle eine neue, selbständige Schädigungshandlung dar.
12
Schließlich hält die Klägerin die Erhebung der Verjährungseinrede für treuwidrig.
13
Jedenfalls schulde die Beklagte selbst im Fall einer etwaigen Verjährung den Restschadensersatz nach § 852 BGB, weil ihr der Kaufpreis zugeflossen sei. Für den Beginn der diesbezüglichen Verjährung sei auf die Übergabe des Fahrzeugs abzustellen.
14
Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.799,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Tiguan 2,0 TDI, FIN …
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
15
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
16
Sie hat erstinstanzlich die Kaufmotive der Klägerin mit Nichtwissen bestritten. Der Klägerin sei kein Schaden entstanden, weil das streitgegenständliche Fahrzeug durchgängig uneingeschränkt nutzbar gewesen sei.
17
Weiter hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben. Die Klägerin habe bereits im Jahr 2015 aufgrund der allgegenwärtigen Medienberichterstattung Kenntnis, zumindest aber grob fahrlässige Unkenntnis, von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs gehabt. Kenntnis sei spätestens durch die Halteranschreiben aus dem Jahr 2016 eingetreten.
18
Auch den geltend gemachten Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 BGB hält die Beklagte für verjährt. Die Verjährung beginne mit dem Abschluss des Kaufvertrags und nicht mit der Ablieferung des Fahrzeugs zu laufen. Schon vor Zustellung der Klageschrift am 30.05.2022 sei damit Verjährung eingetreten.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in erster Instanz wird Bezug genommen auf die insoweit gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2022.
20
Das Landgericht Bamberg hat die Klage mit Endurteil vom 11.01.2023 abgewiesen. Spätestens mit den Halteranschreiben der Beklagten aus dem Jahr 2016 und dem Aufspielen des Softwareupdates habe die Klägerin Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Abschalteinrichtung ihres Fahrzeugs gehabt. Daher seien etwaige Schadensersatzansprüche gem. § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB spätestens mit Ablauf des Jahres 2019 verjährt.
21
Das Aufspielen des Softwareupdates habe keinen Neubeginn der Verjährung herbeigeführt. Selbst wenn es ein unzulässiges Thermofenster beinhaltet haben sollte, so sei in seiner Implementierung keine neue, selbständige Schädigungshandlung zu sehen, aus der die Klägerin mit Erfolg den geltend gemachten „großen“ Schadensersatz ableiten könne.
22
Schließlich sei auch ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf Restschadensersatz gem. § 852 BGB verjährt. Maßgeblich für den Verjährungsbeginn sei der Abschluss des Kaufvertrags und nicht die Kaufpreiszahlung oder Fahrzeugübergabe.
23
Gegen dieses ihrem Rechtsvertreter am 23.01.2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Anwaltsschriftsatz vom 03.02.2023, beim Oberlandesgericht eingegangen am selben Tage, Berufung eingelegt und diese mit weiterem Schriftsatz vom 24.04.2023, ebenfalls eingegangen am selben Tage (einem Montag), binnen verlängerter Frist begründet.
24
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge vollumfänglich weiter. Sie rügt, das Landgericht habe jedenfalls den Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB nicht gem. § 852 S. 2 BGB als verjährt ansehen dürfen. Der Anspruch entstehe gem. § 852 S. 1 BGB erst in dem Moment, in dem die Beklagte „etwas“ erlangt hat. Entgegen der Ansicht des OLG Stuttgart, auf die sich das Landgericht maßgeblich stützt, sei dies erstmals mit der Zahlung des Kaufpreises der Fall. Da die Klägerin den Kaufpreis erst am 30.12.2012 entrichtet habe, trete Verjährung frühestens mit Ablauf des 30.12.2022 ein. Die Klage sei damit in unverjährter Zeit erhoben worden. Erst recht gelte dies, wenn mit Teilen der juristischen Literatur der Beginn der zehnjährigen Verjährungsfrist auf den Tag des Ablaufs des ursprünglichen Schadensersatzanspruchs verortet werde.
25
Die Abweisung der Klage wegen des mit dem Softwareupdate im streitgegenständlichen Fahrzeug implementierten Thermofensters hält die Klägerin für unvereinbar mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Nach dem Urteil vom 21.03.2023, Rs C-100/21, stehe fest, dass ein Thermofenster grundsätzlich unzulässig und nur dann ausnahmsweise gestattet sei, wenn es keine andere technische Möglichkeit zur Abwendung gewichtiger Risiken gebe. Seinerzeit seien aber taugliche Alternativen vorhanden gewesen. Diese habe die Beklagte bewusst nicht gewählt. Mit der Implementierung des Thermofensters habe sie sich daher sittenwidrig verhalten. Unter diesem Gesichtspunkt hafte sie unabhängig von der ursprünglichen Schädigung erneut aus § 826 BGB.
26
Eine Haftung wegen des mit dem Softwareupdate installierten Thermofensters resultiere darüber hinaus aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB wegen Inanspruchnahme besonderen Vertrauens. Die Beifügung der EG-Übereinstimmungsbescheinigung sei nämlich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als Garantieversprechen des Herstellers anzusehen.
27
Auch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46 und Artikel 5 Absatz 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sei die Beklagte infolge der Implementierung des Thermofensters im Zuge des Softwareupdates der Klägerin gegenüber schadensersatzpflichtig. Die bisherige Rechtsprechung, dass diesen Normen der drittschützende Charakter fehle, sei wegen der aktuellen Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs überholt.
28
Die Klägerin beantragt im Berufungsverfahren:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 11.01.2023 verkündete Endurteil des Landgerichts Bamberg, Az.: 21 O 391/22, wie folgt abgeändert und neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.799,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Tiguan 2,0 TDI, FIN .
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer I. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
29
Hilfsweise beantragt die Klägerin für den Fall,
dass der Senat die Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 ZPO für gegeben erachtet:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 11.01.2023 verkündete Endurteil des Landgerichts Bamberg, Az.: 21 O 391/22, einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht Bamberg zurückverwiesen.
30
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
31
Der eventuell entstandene Schadensersatzanspruch wegen der Abschaltthematik des Motors EA 189 in seiner ursprünglichen Programmierung sei, wie vom Landgericht zutreffend angenommen, verjährt. Auch für einen etwaigen Restschadensersatzanspruch habe das Gericht richtigerweise Verjährung angenommen.
32
Die Implementierung des Thermofensters im Zuge des Softwareupdates im Jahr 2016 führe zu keiner Schadensersatzpflicht. Das Thermofenster sei bereits nicht unzulässig. Jedenfalls aber fehle es an einem Verschulden oder gar sittenwidrigen Verhalten der Beklagten. Sie habe dem KBA die Funktionsweise des Thermofensters offengelegt; es sei von der Behörde unbeanstandet geblieben. Eine – bestrittene – Unzulässigkeit sei ihr daher jedenfalls nicht erkennbar gewesen. Aus diesem Grund scheide eine Haftung sowohl aus § 826 BGB als auch aus § 823 Abs. 2 BGB aus.
33
Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Der Senat ist aber einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
34
1. Ansprüche wegen einer im Auslieferungszustand vorhandenen Abschalteinrichtung
35
a. Ob der Klägerin ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. §§ 826, 31 BGB aufgrund einer im Auslieferungszustand des streitgegenständlichen Fahrzeugs noch vorhandenen Abschalteinrichtung zukommt, kann dahinstehen. Einem solchen Anspruch steht jedenfalls gem. § 214 Abs. 1 BGB die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen.
36
aa. Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31 BGB drei Jahre. Sie beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die danach für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1 BGB) hatte die Klägerin jedenfalls im Februar 2016 erlangt, als sie von der Beklagten über die vom KBA beanstandete Abschalteinrichtung postalisch informiert wurde. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB begann daher spätestens mit Schluss des Jahres 2016 zu laufen und endete somit mit Ablauf des 31.12.2019, also vor Einreichung der Klage im Jahr 2022.
37
bb. Der Klägerin war es im Jahr 2016 zumutbar, Klage zu erheben und ihren Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 365/21, NJW 2022, 1311, 1312; Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 294/20, BeckRS 2021, 44353, Rn. 10).
38
cc. Der Verjährungsbeginn ist auch nicht deshalb hinausgeschoben, weil das am 21.07.2016 aufgespielte Softwareupdate unstreitig ein Thermofenster enthielt. Dieser Umstand stellt keine Verlängerung eines im Jahr 2012 wohl durchaus gegebenen sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten dar.
39
Selbst wenn der klägerische Vortrag zur Funktionsweise dieses Thermofensters vollumfänglich als wahr unterstellt und auf dieser Basis von einem Verstoß gegen Art. 5 der VO (EG) Nr. 715/2007 ausgegangen würde, hätte sich die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten durch die Implementierung des Thermofensters nur dann fortgesetzt, wenn im Zusammenhang weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814, 1817). Dies ist selbst auf Basis des klägerischen Vortrags nicht ersichtlich. Wenn die Klägerin behauptet, im Jahr 2016 habe es taugliche Alternativen zum Thermofenster gegeben, so mag dies die Unzulässigkeit des Thermofensters begründen. Ihre Behauptung, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, bleibt aber ohne greifbare Anhaltspunkte (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.03.2023 – 14 U 292/22 –, Rn. 15 ff., juris; OLG Brandenburg, Urteil vom 13.10.2022 – 10 U 42/21 –, Rn. 43, juris; OLG Schleswig, Urteil vom 14.01.2022 – 1 U 51/21 –, Rn. 59, juris). Aus diesem Grund ist der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH a. a. O.; Urteil vom 23. September 2021 – III ZR 200/20 –, Rn. 21 ff., juris).
40
dd. Anhaltspunkte für eine „unzulässige Rechtsausübung“ durch das Berufen auf die Verjährung sind nicht ansatzweise dargetan. Insbesondere genügt das Bestreiten von Tatsachenbehauptungen im Rahmen der Rechtsverteidigung hierfür grundsätzlich nicht. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Klägerin meint, die Beklagte könne sich aus Treu und Glauben nicht auf die ihr von Gesetzes wegen grundsätzlich zustehende Einrede der Verjährung berufen.
41
b. Ein durchsetzbarer Anspruch auf Restschadensersatz gem. § 852 S. 1 BGB kommt der Klägerin unter dem Aspekt der im Auslieferungszustand noch vorhandenen Abschalteinrichtung ebenfalls nicht zu. Zwar dürfte ein solcher Anspruch grundsätzlich bestehen, da die Beklagte den streitgegenständlichen Wagen aufgrund einer individuellen Bestellung der Klägerin bei einem Händler produzierte (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2022 – VIa ZR 57/21, NJW-RR 2022, 850, 851 f.). Diesem Anspruch steht aber ebenfalls gem. § 214 Abs. 1 BGB die Einrede der Verjährung entgegen.
42
Der Senat schließt sich wie schon das Landgericht der Rechtsauffassung des OLG Stuttgart an, dass die Verjährung des Anspruchs auf Restschadensersatz gem. § 852 S. 1 BGB mit dem Abschluss des Kaufvertrags, also hier der verbindlichen Bestellung der Klägerin, und nicht erst mit der Zahlung des Kaufpreises zu laufen beginnt (Beschluss vom 18.11.2021 – 10 U 243/21, BeckRS 2021, 41796). Nach § 852 S. 2 BGB verjährt der Anspruch in zehn Jahren von seiner Entstehung an. Auf Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Geschädigten von den anspruchsbegründenden Voraussetzungen kommt es hierzu nicht an (BeckOGK-BGB/Eichelberger, Stand: 01.06.2023, § 852 Rn. 35.1).
43
Der Anspruch aus § 852 S. 1 BGB ist schon von seiner systematischen Stellung her ein fortgesetzter deliktischer Schadensersatz- und kein Bereicherungsanspruch. Er wird lediglich in der Höhe auf das vom Schädiger Erlangte begrenzt. Daher sind die Grundsätze für die Entstehung des Anspruchs dem deliktischen Schadensersatz- und nicht dem Bereicherungsrecht zu entnehmen. Der im Zusammenhang mit der Abschalteinrichtung entstandene Anspruch aus § 826 BGB entsteht aber nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits mit dem Abschluss des Kaufvertrags und nicht erst mit der Entrichtung des Kaufpreises, denn der Schaden des Käufers liegt in der eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zum Kauf eines vom sogenannten „Abgasskandal“ betroffenen Kfz (vgl. die Nachweise bei OLG Stuttgart a. a. O.). Indem die Klägerin die Auffassung vertritt, der Anspruch aus § 852 S. 1 BGB entstehe „denknotwendig“ erst dann, wenn die Beklagte „etwas erlangt“ habe, vermengt sie den Schadensersatz aus unerlaubter Handlung und Herausgabeansprüche aus Bereicherungsrecht. Die Auffassung des OLG Stuttgart steht also nicht, wie sie meint, im Widerspruch mit dem Gesetzeswortlaut, sondern geht mit diesem konform.
44
Daher entstand der Anspruch der Klägerin auf Restschadensersatz aus § 852 S. 1 BGB am 09.02.2012. Gem. § 852 S. 2 BGB trat mit Ablauf des 09.02.2022 Verjährung ein. Bereits bei Einreichung der Klageschrift am 03.05.2022 war der Anspruch damit verjährt. Auf die Frage einer demnächst erfolgten Zustellung im Sinne des § 167 ZPO kommt es nicht an.
45
2. Ansprüche wegen Implementierung eines Thermofensters im Zuge des Softwareupdates Der Klägerin stehen auch die geltend gemachten Ansprüche wegen der unstreitig erfolgten Implementierung eines Thermofensters im Zuge der Einspielung des Softwareupdates am 21.07.2016 nicht zu.
46
a. Ein Anspruch aus § 826 BGB kommt in diesem Zusammenhang aus mehreren Gründen nicht in Betracht. Wie oben dargelegt, sind keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit der Entwicklung und Installation des Softwareupdates vorhanden. Darüber hinaus trüge die Norm selbst bei Vorliegen sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen die von der Klägerin begehrte Rechtsfolge nicht.
47
Die Klägerin begehrt den sogenannten „großen Schadensersatz“, also Erstattung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Ein solcher Antrag kann Erfolg haben, wenn der Kauf eines mit einer illegalen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs der Anknüpfungspunkt für die Haftung darstellt. Der Geschädigte kann verlangen, so gestellt zu werden, als wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Käufer eines vom sog. „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeugs hätte den Wagen mutmaßlich nicht gekauft, wenn er von der Abschalteinrichtung Kenntnis gehabt hätte. Deshalb kann er im Wege des Schadensersatzes verlangen, so gestellt zu werden, als hätte er das Fahrzeug nicht erworben: Er bekommt den Kaufpreis erstattet und muss im Gegenzug den Pkw abgeben.
48
Eine solche Argumentation ist der Klägerin vorliegend aber verwehrt. Maßgeblich für ihre Kaufentscheidung waren die Abgaswerte und die (auch softwaremäßige) Ausstattung des Fahrzeugs im Jahr 2012, aber sicherlich nicht die Funktionsweise eines zum damaligen Zeitpunkt gar nicht entwickelten und erst vier Jahre später programmierten Softwareupdates mit einem darin enthaltenen Thermofenster. Selbst wenn dieses unzulässig gewesen sein sollte, so wäre seine Implementierung allenfalls geeignet, hierauf bezogene Schadensersatzansprüche zu begründen, nicht aber die beanspruchte Befreiung von der mit dem ursprünglichen Kaufvertrag vom Februar 2012 eingegangenen ungewollten Verpflichtung bzw. den Ersatz für die in deren Erfüllung aufgewendeten Geldmittel (BGH, Urteil vom 22.02.2022 – VI ZR 265/20, BeckRS 2022, 5743 Rn. 18).
49
In diesem Zusammenhang hätte die Klägerin vortragen müssen, welcher Schaden ihr durch die Einspielung des Softwareupdates entstanden sein soll. Sodann hätte sich dieser Schaden auch in ihren Klageanträgen zumindest so wiederfinden müssen, dass er im Wege der Auslegung ermittelbar wäre. Schließlich hätte sie diesen Schadensersatzanspruch in ein Eventualverhältnis zum Antrag auf „großen Schadensersatz“ stellen müssen, um dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen. Andernfalls handelte es sich um eine unzulässige alternative Klagehäufung (BGH, Urt. v. 22.02.2022 a. a. O., Rn. 17).
50
b. Auch ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46 und Artikel 5 Absatz 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Implementierung des Thermofensters steht der Klägerin nicht zu. Zwar ist ihr darin Recht zu geben, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein solcher Schadensersatzanspruch dem Grunde nach in Betracht kommt, wenn ein vom Käufer erworbenes Fahrzeug den Anforderungen der genannten Vorschriften – etwa wegen eines unzulässigen Thermofensters – nicht entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, BeckRS 2023, 15117). Ob diese für den Kauf eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs ergangene Rechtsprechung überhaupt auf die spätere Implementierung einer solchen Funktionsweise in einen bereits seit Längerem im Eigentum des Käufers befindlichen Wagen übertragbar ist, kann hier dahinstehen. Es ist nämlich weder vorgetragen noch ersichtlich, worin der Schaden bestehen sollte, den die Klägerin in diesem Zusammenhang erlitten haben will.
51
Der Bundesgerichtshof hat in genannter Entscheidung klargestellt, dass § 823 Abs. 2 BGB insoweit nur den Ersatz des Differenzschadens gewährt, also den Minderwert, den das Fahrzeug wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung im Vergleich zum objektiven Marktwert eines richtlinienkonformen Wagens hat. Bevor das Softwareupdate eingespielt wurde, war der streitgegenständliche VW Tiguan mit einem Dieselmotor EA 189 und einer Software ausgestattet, die mittels Prüfstandserkennung die Abgaswerte manipulierte. Eine Stilllegung durch das KBA drohte akut. Die Einspielung des Updates hatte, selbst wenn es tatsächlich ein unzulässiges Thermofenster beinhaltet haben sollte, zur Folge, dass die vom KBA beanstandete Programmierung beseitigt und dem Fahrzeug bis auf Weiteres keine Stilllegung mehr drohte. Wie sich sein Wert dadurch noch weiter vermindert haben soll, ist nicht ersichtlich.
52
Darüber hinaus gilt das bereits zu § 826 BGB Ausgeführte, dass die Klägerin die begehrte Rechtsfolge und das Verhältnis zum ebenfalls begehrten „großen Schadensersatz“ hätte klarstellen müssen.
53
c. Die Beklagte haftet der Klägerin auch nicht wegen des mit dem Softwareupdate installierten Thermofensters aufgrund Inanspruchnahme besonderen Vertrauens oder einer Garantieerklärung aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB.
54
Der Hersteller eines Kraftfahrzeugs haftet grundsätzlich nicht nach dieser Vorschrift, wenn er weder unmittelbar noch mittelbar an den Vertragsverhandlungen beteiligt war, noch ein über das allgemeine Absatzinteresse hinausgehendes wirtschaftliches Interesse gerade an dem Vertragsabschluss mit dem Käufer hatte. Mit dem Herstellen und Inverkehrbringen eines Kfz, das den Vorgaben der EG-Typengenehmigung unterliegt, gibt der Hersteller zudem keine Garantieerklärung gem. § 443 BGB ab, sondern er erfüllt mit der Einhaltung der Vorgaben der EG-Typengenehmigung lediglich eine gesetzliche Verpflichtung zur Schaffung der Voraussetzungen der (Erst-)Zulassung dieses Kfz. Auch unterhalb der rechtsgeschäftlichen Garantie nimmt der Hersteller mit dem Inverkehrbringen eines Kfz, das den Vorgaben der EG-Typengenehmigung entsprechen soll, kein besonderes Vertrauen Dritter in Anspruch (BeckOGK-BGB/Herresthal, Stand: 15.05.2023, § 311 Rn. 537.4).
55
Es bleibt unklar, auf welchen Vertrag sich die Klägerin überhaupt bezieht, wenn sie sich auf ein vorvertragliches Verhalten der Beklagten stützt. Der Abschluss des Kaufvertrags lag bereits vier Jahre zurück, als die Beklagte das Update entwickelte. Insoweit handelte sie also allenfalls nach-, aber nicht vorvertraglich. Dass die Klägerin mit der Beklagten einen Vertrag über die Einspielung des Updates abgeschlossen hätte, behauptet sie selbst nicht. Die Annahme eines Vertragsschlusses wäre insoweit auch höchst zweifelhaft (BGH, Urteil vom 22.02.2022 – VI ZR 265/20, BeckRS 2022, 5743 Rn. 16 ff.).
56
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor. Der Streitfall ist geprägt durch die ihm eigenen Besonderheiten im tatsächlichen Bereich. Soweit es auf grundlegende Rechtsfragen ankommt, sind diese durch die Rechtsprechung, von der der Senat nicht abweicht, geklärt.
57
Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Anhaltspunkte dafür, dass in einer solchen neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden könnten, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten, bestehen nicht.
58
Aus Kostengründen legt das Gericht die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
59
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Anwendung von §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 GKG, §§ 3, 9 Satz 1 ZPO zu bestimmen sein.