Inhalt

OLG München, Endurteil v. 19.07.2023 – 7 U 4022/22
Titel:

Anfallende Umsatzsteuer für Bonuszahlungen im Rahmen eines Beratervertrages 

Normenketten:
UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 9, § 4 Nr. 8, § 10 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 15a, § 17 Abs. 1 S. 1
BGB § 187 Abs. 1, § 252 S. 2, § 280 Abs. 1, Abs. 2, § 283, § 286, § 288 Abs. 2, § 389
ZPO § 287 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Der für den Fall der Zielerreichung ausgelobte Bonus ist bei der abstrakten Schadensberechnung nach § 252 S. 2 BGB Grundlage für die Ermittlung des dem Arbeitnehmer zu ersetzenden Schadens. (Rn. 40 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beratervertrag, Boni, Bonusvereinbarung, Zinslauf, Vertragsanlauf, CEO, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 30.06.2022 – 12 HK O 11828/21
Fundstellen:
NJOZ 2023, 1468
LSK 2023, 18526
BeckRS 2023, 18526

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 30.06.2022, Az. 12 HK O 11828/21, insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung weiterer 1.141,90 € nebst Zinsen, zur Zahlung von Zinsen aus einem Betrag von 29.027,21 € am 03.05.2021 und zur Zahlung von Zinsen aus 20.000 € am 13.01.2022 verurteilt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 1 genannte Urteil im Umfang seiner Bestätigung sowie dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten um Boni des Klägers aus einem Beratervertrag mit der Beklagten, und zwar hinsichtlich des Jahres 2019 über die Frage, welche Partei die auf den zur Verrechnung gestellten Teil der Boni anfallende Umsatzsteuer zu tragen hat, zum anderen über die Frage, ob die Beklagte dem Kläger für das Jahr 2020 eine Bonusvereinbarung hätte anbieten müssen.
2
Der Kläger war ursprünglich Mehrheitsgesellschafter an der Beklagten und bis März 2019 ihr Geschäftsführer. Die Beklagte hatte zum 31.12.2018 gegen den Kläger Darlehensansprüche in Höhe von 152.774,86 €.
3
Die Firma P. + F. GmbH beabsichtigte, die Geschäftsanteile des Klägers und seines Mitgesellschafters an der Beklagten zu erwerben, die zwischenzeitlich Insolvenzantrag gestellt hatte. In diesem Zusammenhang unterbreitete die Käuferin, vertreten durch ihren CEO Dr. K., am 10.01.2019 dem Kläger einen Vorschlag über einen zunächst auf zwei Jahre befristeten Beratervertrag, der – neben einem Fixgehalt von 150.000 € p.a. (Punkt 1) – die Definition einer Liste von laufenden Projekten mit angestrebten Zeitpunkten der jeweiligen betriebsbereiten Übergabe (“BBÜ“) und der Endabnahme für die Jahre 2019/2020 (Punkt 2) sowie die Definition einer Liste von Kunden und Projekten (Punkt 3) vorsah, wodurch der Kläger eine Prämie verdienen können sollte. Die Summe aller Prämien aus dem Punkten 2 und 3 könne „bis zu 100.000 € p.a.“ betragen (Punkt 4). Alle 100.000 € überschreitenden Ansprüche aus Prämien würden auf das Darlehen angerechnet. Auf überschießende Darlehensbeträge werde verzichtet (Punkt 5). Zu näheren Einzelheiten wird auf die Anlage K 11 Bezug genommen.
4
Der notarielle Vertrag über den Verkauf und die Abtretung von Geschäftsanteilen an der Beklagten vom 16.01.2019 (Anlage K1) enthält unter Ziffer 9.2 Satz 1 hinsichtlich der Darlehen der Beklagten an den Kläger folgende Regelung: „Der Käufer gewährleistet und steht dafür ein, dass die P. GmbH und ein Rechtsnachfolger, Insolvenzverwalter oder sonstiger Dritter im Namen der P. GmbH Ansprüche aus dem P.-Darlehen nur nach Maßgabe des Beratervertrages (insbesondere dessen § 5) geltend machen (d.h. zur Tilgung des P.-Darlehen sind ausschließlich die Nettobeträge (nach Steuern und Abgaben) von Prämien zu verwenden, welche eine Schwelle von EUR 100.000 überschreiten) und im Übrigen keine Ansprüche aus dem P. Darlehen gegen Herrn R. erheben.“
5
Der Beratervertrag zwischen dem Kläger und dem Beklagten vom 31.01.2019 wurde seitens der Beklagten ebenfalls durch Dr. K. unterschrieben. Die Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 01.04.2019 (Anlage K 14) dessen seinerzeitige Vertretungsbefugnis und genehmigte „fürsorglich die Vertretung beim Vertragsabschluss hiermit noch einmal ausdrücklich“.
6
Der Vertrag, der ausweislich § 6 Abs. 1 Satz 1 am 01.02.2019 beginnen und (jedenfalls) über zwei Jahre laufen sollte, enthält hinsichtlich der Prämie und ihrer Verrechnung mit dem Darlehen folgende Bestimmung:
„§ 5 Vergütung, Aufwendungsersatz …
(4) Neben dem Honorar gem. Abs. (1) erhält der Auftragnehmer eine erfolgsabhängige Vergütung (nachfolgend „Prämien“), die in Anlage 1 beschrieben ist und sich wie folgt zusammensetzt:
- Liste der Projekte bei denen BBÜs und Endabnahmen zu erwirken sind
- Liste der Zielkunden und Zielprojekte
(5) Vergütung und Aufwendungsersatz sind jeweils 14 Tage nach Erhalt einer ordnungsgemäßen und prüffähigen Rechnung […] zur Zahlung fällig.
(6) Der Auftragnehmer schuldet dem Auftraggeber aus Darlehen ein Betrag in Höhe von (Stand 31.12.2018) [sic] Die Vertragsparteien vereinbaren, dass derjenige Teil von verdienten Prämien, der 100.000,-€ netto pro Kalenderjahr übersteigt, zur Tilgung des Darlehens verwendet werden soll. Für nicht vollständige Kalenderjahr werden die vorstehenden Werte anteilig berechnet.
(8) Nach erfolgreichem Ablauf der zwei Beratungsjahre verzichtet der Auftraggeber auf die Rückzahlung des verbliebenen Darlehensbetrags. Sollten die angerechneten Prämien den Darlehensbetrag überschreiten, verzichtet der Auftragnehmer auf die Auszahlung des überschreitenden Betrags.“
7
Die Anlage 1 trägt die Überschrift „Bonusvereinbarung 2019 bzgl. Beratervertrag J. R. ./. P.“. Unter Ziff. 1. wird ein Bonus für das Erreichen der „BBÜ“ von vier konkret benannten Projekten in Höhe von 15.000 € pro Projekt festgelegt, ohne dass dort eine Jahreszahl genannt ist. Unter Ziff. 2. wird ein Bonus von linear 2% auf das Volumen aller Aufträge ausgelobt, die P. innerhalb des Jahres 2019 abschließt.
8
Zu näheren Einzelheiten wird auf die Anlage K2 Bezug genommen.
9
Der Kläger hat 2019 die betriebsbereite Übergabe sämtlicher in der Anlage 1 genannter Projekte bewirkt und hierfür einen Bonus von 60.000 € zuzüglich Umsatzsteuer von der Beklagten erhalten. Für die Akquisition neuer Aufträge stand dem Kläger ein Bonus von 277.232,71 € netto zu. Auf diesen Betrag bezahlte die Beklagte 40.000 € zuzüglich Umsatzsteuer. Somit erhielt der Kläger von der Beklagten 100.000 € netto, 119.000 € brutto ausbezahlt. Mit Schreiben vom 10.03.2021 bestellte sich der Klägervertreter für den Kläger und nahm für 2019 die geplante Abrechnung vor (Anlage K3). Mit Schreiben vom 19.04.2021 (Anlage K4) nahm er eine korrigierte Abrechnung vor und forderte zur Zahlung bis zum 03.05.2021, mithin binnen 14 Tagen, auf. Für das Jahr 2020 hat die Beklagte trotz Aufforderung durch den Kläger im April 2020 (Anlage K 12) eine Prämie weder berechnet noch ausbezahlt.
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Der Kläger meint, die Verrechnung mit dem Darlehensanspruch diene der Erfüllung seines Anspruchs auf Prämienzahlung. Da der Kläger die Prämie mit 19% als Umsatz versteuern müsse, müsse auch auf den verrechneten Darlehensanspruch der Beklagten 19% Umsatzsteuer aufgeschlagen werden. Diesen Anteil – 19% aus 152.774,86 €, also 29.027,21 € – müsse die Beklagte zusätzlich zu den bereits gezahlten 100.000 € zzgl. 19.000 € Umsatzsteuer an den Kläger ausbezahlen.
11
Aus der Vertragslaufzeit von zwei Jahren und der Formulierung im Beratervertrag, wonach dem Kläger Prämien von 100.000 € netto pro Kalenderjahr zustünden, folge, dass die Beklagte auch für das Jahr 2020 eine Prämie des Klägers abzurechnen und auszuzahlen habe. Dies habe die Beklagte abgelehnt. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger auch im Jahr 2020 die Zielvorgaben erfüllt hätte. Im Wege einer am 13.01.2022 zugestellten Klageerweiterung hat der Kläger im Rahmen einer Teilklage den Prämienanspruch von 100.000 € daher als Schadensersatz in Höhe von zunächst 20.000 € geltend gemacht. Diese Sichtweise entspreche auch dem Vorschlag der Käuferin vom 10.01.2019 für einen Beratervertrag. Der Unterzeichner dieses Vorschlages habe auch den Beratervertrag unterzeichnet.
12
Der Kläger hat in erster Instanz zuletzt beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 29.027,21 € nebst Zinsen in Höhe von 9% über dem Basiszinssatz seit dem 03.05.2021 zu zahlen.
2.
Die Beklagte wird weiterhin verurteilt, an den Kläger 20.000 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 9% über dem Basiszinssatz als ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
3.
Die Beklagte wird weiterhin verurteilt, außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.141,90 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 9% über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.08.2021 zu zahlen.
13
Die Beklagte hat beantragt
Klageabweisung.
14
Die Beklagte ist demgegenüber der Auffassung, § 5 Abs. 6 des Beratervertrages sehe ausdrücklich vor, dass dem Kläger ein Freibetrag von 100.000 € netto zustehe. Diesen Freibetrag zuzüglich Umsatzsteuer habe die Beklagte ausbezahlt. Auf den nach Verrechnung mit der Darlehensforderung noch offenen Prämienanspruch habe die Beklagte in § 5 Abs. 8 des Vertrages verzichtet. Zu einer Zahlung von Umsatzsteuer auf die Darlehensforderung sei sie nicht verpflichtet, da der Umsatz aus der Gewährung von Krediten nicht steuerpflichtig sei. Sie sei überdies weder zur Abrechnung noch zur Auszahlung von Prämien für das Jahr 2020 verpflichtet. Dies ergebe sich bereits aus der Anlage zum Beratervertrag, in dessen Ziff. 2 ein Bonus ausdrücklich nur für das Jahr 2019 versprochen werde.
15
Das Landgericht, auf dessen Urteil ergänzend Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 ZPO), hat der Klage – mit Ausnahme der beantragten Zinshöhe zu vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und dem Klageantrag unter Ziffer 2 – stattgegeben. Der Kläger habe gegen die Beklagte Anspruch auf Auszahlung eines Betrages in Höhe der Umsatzsteuer bezogen auf das verrechnete Darlehen. Der Verzicht in § 5 Abs. 8 des Beratervertrages ändere hieran nichts, denn der Verzicht trete erst nach vollständiger Verrechnung mit dem Darlehensbetrag in Kraft. Auch habe die Beklagte ihre Pflicht aus dem Beratervertrag dadurch verletzt, dass sie den Bonus des Klägers für die Akquisition neuer Aufträge für das Jahr 2020 nicht abgerechnet habe. Nach dem Beratervertrag stehe dem Kläger auch für das Jahr 2020 eine Prämie für die Akquisition neuer Aufträge zu. Der Anspruch ergebe sich unmittelbar aus § 5 Abs. 6 des Vertrages, der einen Prämienverdienst von 100.000 € netto „pro Kalenderjahr“ ausdrücklich voraussetze. Er folge zudem aus dem Verständnis des Vertrages insgesamt. Bereits das Angebot der Käuferin zum Abschluss eines Beratervertrages gehe von einer jährlichen Prämienmöglichkeit von 100.000 € aus. Auch die Verzichtsregelung in § 5 Abs. 8 des Vertrages habe eine Dauer des Vertrages von zwei Beratungsjahren zum Hintergrund. Dass in der Anlage 1 zum Beratervertrag sowohl in der Überschrift als auch in dessen Ziff. 2 konkret auf das Jahr 2019 Bezug genommen werde, lasse sich zwanglos damit erklären, dass Prämienzusagen für Angestellte und auch Berater üblicherweise für einzelne Kalenderjahre erklärt würden.
16
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt. Ihrer Ansicht nach hat der Kläger aus dem Vertrag einen Zahlbetrag von 100.000 € netto, mithin 119.000 € brutto, zu beanspruchen. Diesen Betrag habe er bekommen. Hinsichtlich eines Restes wirke der Verzicht. Es sei nicht das Problem der Beklagten, dass der Kläger Schuldner der Umsatzsteuer sei. Die Umsatzsteuerpflicht ergebe sich aus dem Gesetz; eine Übernahme der Umsatzsteuer hätten die Parteien nicht vereinbart. Auch sei tatsächlich nur eine Prämie für das Jahr 2019 vereinbart worden. Dies ergebe sich aus der Regelung in § 5 Abs. 4 in Verbindung mit Anlage 1 zum Beratervertrag. § 5 Abs. 6 enthalte keine Anspruchsgrundlage für eine Prämie. Auf den vorvertraglichen Vorschlag für den Beratervertrag dürfe insoweit nicht zurückgegriffen werden. Der Anspruch sei der Höhe nach unsubstantiiert.
17
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts München I vom 30.06.2022, Az. 12 HK O 11821/21, abzuändern und die Klage abzuweisen,
hilfsweise das Urteil aufzuheben und die Klage zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
18
Der Kläger beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
19
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
20
Der Senat hat über die Berufung am 19.07.2023 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift und die gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
II.
21
Die Berufung ist weitestgehend zurückzuweisen. Erfolg hat die Berufung der Beklagten lediglich hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie des Tages des Zinsanlaufs. Im einzelnen ist auszuführen:
22
1. Die Beklagte schuldet dem Kläger aus der Abrechnung für das Jahr 2019 eine weitere Prämie in Höhe von 29.027,21 €.
23
1.1. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger im Jahr 2019 aus Ziff. 1 der Anlage 1 zum Beratervertrag 60.000 € netto und aus Ziff. 2 277.232,71 € netto verdient hat. Einig ist man sich ferner, dass dem Kläger 100.000 € netto auszuzahlen waren, dass der überschießende Betrag mit der offenen Darlehensforderung der Beklagten gegen den Kläger in Höhe von 152.774,86 € zu verrechnen ist und dass – vorbehaltlich der Umsatzsteuerproblematik – ein überschießender Betrag nach § 5 Abs. 8 des Vertrages verfällt.
24
Aus Vorstehendem ergibt sich für die Umsatzsteuer: Der Kläger schuldet als selbständiger Berater und damit als Unternehmer (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG) Umsatzsteuer auf die Vergütung für die Beratungsleistung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 9 UStG). Bemessungsgrundlage ist das Entgelt (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UStG); Entgelt ist alles, was den Wert der Gegenleistung bildet (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Vorliegend bildet das Entgelt im Ergebnis die bezahlte Geldsumme, aber auch der Betrag, der im Wege der Aufrechnung zur Tilgung des Darlehens (das seinerseits hinsichtlich der ausgereichten Darlehensvaluta nicht umsatzsteuerbar und hinsichtlich etwaiger enthaltener Zinsen umsatzsteuerfrei ist, vgl. § 4 Nr. 8 UStG und Hahn in BeckOK UStG § 4 Rn. 36, 37 [Stand: 18.06.2023]) verwendet wird (§ 389 BGB), mithin 252.774,86 €. Dahin stehen kann insoweit, ob dieser Betrag von Anfang an für die Umsatzsteuer anzusetzen war oder ob – wie der Kläger ausweislich seiner Abrechnungen (vgl. Anlage K4) offenbar meint – technisch zunächst die vollen Boni der Umsatzsteuer zu unterwerfen sind, im Anschluss aber mit Blick auf den von Anfang an vereinbarten Verzicht am Ende der Vertragslaufzeit eine (nachträgliche) Entgeltanpassung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG vorzunehmen ist. Im Ergebnis schuldet der Kläger dem Fiskus Umsatzsteuer von 48.027,22 €; in derselben Höhe ist die Beklagte vorsteuerabzugsberechtigt (§ 15a UStG). Effektiv gezahlt hat die Beklagte – trotz voller Vorsteuerabzugsberechtigung – von dieser Umsatzsteuer den auf 100.000 € entfallenden Anteil (nämlich 19.000 €). Der (um einen Cent geminderte) Restbetrag bildet den Gegenstand der Klage.
25
1.2. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, ausweislich der Vereinbarung schulde sie nur die Auszahlung von 100.000 € netto, d.h. zuzüglich der hierauf entfallenden Umsatzsteuer. Im Übrigen ergäben sich die Pflichten und Rechte hinsichtlich der Umsatzsteuer aus dem Gesetz und berührten den geschlossenen Vertrag nicht. Im wirtschaftlichen Ergebnis bedeutete diese Sichtweise, dass der Kläger für 2019 nur etwa 70.000 € vereinnahmen würde (von der Beklagten an ihn gezahlte 119.000 € abzüglich der von ihm an den Fiskus abzuführenden Umsatzsteuer von 48.027,22 €); die Beklagte müsste spiegelbildlich nur diesen Betrag aufwenden, da sie 48.027,22 € Vorsteuer vom Fiskus vereinnahmt.
26
1.3. Dieser Auslegung folgt der Senat nicht. Für ihn ergibt sich unmittelbar aus dem Vertrag, erst recht aber in Zusammenschau mit den sonstigen vorgelegten Unterlagen, dass dem Kläger ein Nettobetrag von 100.000 € verbleiben soll.
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Der Wortlaut der Klausel in § 5 Abs. 6 des Beratervertrages, wonach derjenige Teil von verdienten Prämien, der 100.000 € netto übersteige, zur Tilgung des Darlehens verwendet werde, lässt zwanglos die Auslegung zu, dass zur Anrechnung nur der Betrag kommen soll, der netto nach Abzug der gesamten auf die verdienten Prämien entfallenden Umsatzsteuer verbleibt. Die gegenteilige Auslegung, die die Beklagte favorisiert, würde zu einer Splittung der effektiven Tragung von Umsatzsteuerlasten führen; dass aber Umsatzsteuerlasten auf eine einheitliche Vergütung nur zum Teil von einer Partei getragen werden sollen, wäre ein zumindest ungewöhnliches und damit rechtfertigungsbedürftiges Auslegungsergebnis. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte letztlich Vorsteuerbeträge vereinnahmte, die sie selbst in dieser Höhe nicht verauslagt hat. Letztlich kommt es hierauf nicht einmal an. Im Rechtsverkehr zwischen Kaufleuten ist die Umsatzsteuer – wie sich aus der Wechselwirkung von Steuer und Vorsteuer ergibt – ein durchlaufender Posten; wirtschaftlich entscheidend sind für Kaufleute Nettobeträge. Darin liegt zugleich der Sinn, wenn in Verträgen zwischen Kaufleuten mit Nettobeträgen operiert wird. Diesen Grundsatz würde die Auslegung der Beklagten durchkreuzen, denn danach wirkt die Verrechnungsabrede gerade nicht umsatzsteuerneutral. Hinzu kommt, dass die Klausel ihrem Wortlaut nach darauf gerichtet ist, dem Kläger 100.000 € (pro Jahr) zu belassen; die Sichtweise der Beklagten führt jedoch dazu, dass ihm nur 70.000 € verbleiben. Es fehlt jedoch jeder Anhaltspunkt im Vertrag, dass dem Kläger nur ein Betrag von 70.000 € verbleiben soll.
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Die Auslegung des Senats findet ihre Bestätigung in der korrespondierenden, aber präziser formulierten Regelung im notariellen Geschäftsanteilskaufvertrag vom 16.01.2019, dort in Ziff. 9.2, der ausdrücklich auf den offenbar im Entwurf bereits vorliegenden Beratervertrag Bezug nimmt: Danach sind zur Tilgung des Darlehens ausschließlich die Nettobeträge nach Steuern und Abgaben der Prämien zu verwenden, soweit die Schwelle von 100.000 € überschritten wird. Diese Regelung lässt aus Sicht des Senats keinen Zweifel daran, dass ausschließlich die Nettoprämie zur Verrechnung gelangt, mithin nach Abzug der gesamten auf die Prämie entfallenden (Umsatz-)Steuer. Anhaltspunkte dafür, dass im schlussendlich vereinbarten Beratervertrag vom 31.01.2019 eine hiervon abweichende Regelung hätte getroffen werden sollen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Dies wäre auch geradezu widersinnig, weil dann die Mutter der Beklagten – deren CEO Dr. K. zugleich den Beratervertrag verhandelt und unterschrieben hat – gemäß Ziff. 9.2 des Geschäftsanteilskaufvertrages für Differenzen einstehen müsste.
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Die Auslegung des Senats deckt sich ferner mit dem „Vorschlag für einen Beratervertrag“, den ebenfalls der CEO der Mutter unterbreitet hatte. Dort heißt es unter Ziff. 4. „Die Summe aller Prämien […] kann bis zu 100.000 € p.a. betragen.“ Auch hier wird dem Kläger eine Verdienstmöglichkeit von 100.000 € pro Jahr – und eben nicht nur von effektiv 70.000 € – in Aussicht gestellt. Dass der CEO der Mutter nicht als solcher die Beklagte von Gesetzes wegen vertritt, ändert an der Berücksichtigungsfähigkeit dieses „Zwischenergebnisses“ von Verhandlungen nichts. Für die Beklagte handelte derselbe Vertreter. Seine vertraglichen Erklärungen sind im Lichte seiner vorvertraglichen Erklärungen auszulegen. Anhaltspunkte für ein abweichendes späteres Verhandlungsergebnis sind auch insoweit weder vorgetragen noch ersichtlich; vielmehr decken sich die vertraglichen Bestimmungen inhaltlich mit denen des Vorschlags. Die Beklagte hat die Vertretung des CEO ihrer Mutter überdies am 01.04.2019 vorsorglich ausdrücklich genehmigt.
30
1.4. Soweit erstinstanzlich seitens der Beklagten darauf hingewiesen wurde, dass für 2019 wegen des Vertragsanlaufs erst am 01.02.2019 eine Kürzung um 1/12 vorzunehmen sei, ist dies aus zwei Gründen unerheblich: zum einen geht auch die Beklagte von einer Nettovergütung von 100.000 € aus, hat diese sogar bereits bezahlt; im Streit steht lediglich der auf den Verrechnungsanteil entfallende Umsatzsteuerbetrag. Daran muss sich die Beklagte festhalten lassen. Im Übrigen ist unstreitig, dass der Vertrag über volle zwei Jahre lief (vom 01.02.2019 bis 31.01.2021); der Einwand würde allenfalls zu einer Phasenverschiebung, nicht aber zu einer summenmäßigen Änderung der geschuldeten Beträge führen.
31
1.5. Der Zahlbetrag von 29.027,21 € ist wegen Verzugs (§ 280 Abs. 1 und 2, § 286 BGB) ab dem Tag nach Ablauf der bis zum 03.05.2021 gesetzten 14-Tages-Frist (§ 5 Abs. 5 des Beratervertrages, § 187 Abs. 1 BGB), also ab dem 04.05.2021, zu verzinsen. Der Zinsanlauf war deswegen marginal zu korrigieren. Der zuerkannte Betrag ist Teil des geschuldeten Entgeltes und unterliegt deshalb, wie das Landgericht zu Recht ausgeurteilt hat, einem Zinssatz von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, § 288 Abs. 2 BGB.
32
2. Nicht zuzuerkennen sind vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Nach dem eigenen klägerischen Vortrag in der Klageschrift hat der Klägervertreter die vertraglich vorgesehene Abrechnung am 10.03.2021 vorgenommen. Seine Einschaltung erfolgte demnach zu einem Zeitpunkt, zu dem die Beklagte sich noch nicht in Verzug befand. Seine Kosten sind daher nicht erstattungsfähig.
33
3. Ebenfalls zu Recht hat das Landgericht, wie mit den Parteien in der Verhandlung ausführlich erörtert, auf die offene Teilklage des Klägers hin die Beklagte zur Leistung von Schadensersatz in Höhe von 20.000 € verurteilt, weil die Beklagte mit dem Kläger für das Jahr 2020 keine Bonusvereinbarung getroffen hat.
34
3.1. Der Senat teilt die Auslegung des Landgerichts, dass der Beratervertrag zwar in Anlage 1 keine Bonusvereinbarung für das Jahr 2020 enthält, der Kläger jedoch Anspruch auf den Abschluss einer Bonusvereinbarung auch für das Jahr 2020 hatte.
35
Dass die Anlage 1 nur eine Bonusvereinbarung für das Jahr 2019 trifft, ergibt sich bereits aus der Überschrift. Dass die in Ziff. 1 benannten Projekte nicht ausdrücklich auf eine Projektbeendigung im Jahr 2019 beschränkt sind, steht dem nicht entgegen. Diese Sichtweise deckt sich mit dem Verständnis der Parteien: der Kläger hat mit Mail vom 29. April 2020 die Klärung der Frage einer auch nach seinem Verständnis noch nicht getroffenen Bonusvereinbarung 2020 erbeten (Anlage K12); die Beklagte steht auf dem Standpunkt, eine Bonusabrede für 2020 sei nicht getroffen worden, meint aber, eine solche sei auch gar nicht zu treffen gewesen.
36
Der Regelung des § 5 Abs. 6 regelt eine Verrechnung desjenigen „Teils der verdienten Prämie, der 100.000,- € netto pro Kalenderjahr übersteigt“. Dies impliziert in Zusammenschau mit der fixen zweijährigen Vertragsdauer in § 6 Abs. 1 des Beratervertrags, dass der Kläger die Chance auf den Verdient einer Prämie von zweimal 100.000 € haben sollte.
37
Entgegen der Ansicht der Beklagten steht dieses Auslegungsergebnis im Einklang mit der Regelung in § 5 Abs. 4 des Vertrages. Im Vertragstext selbst findet sich keine Beschränkung von Prämien auf das Jahr 2019. Vielmehr werden dort nur zwei Kategorien von Zielen (nämlich betriebsbereite Übergaben und Zielkunden/Zielobjekte) definiert; dies ist auch für 2020 möglich. Der Verweis auf die Anlage 1 ist vor diesem Hintergrund nicht abschließend dahin zu verstehen, dass nur für das Jahr 2019 die Möglichkeit eines Prämienverdienstes bestand, sondern dahin dass eine abschließende Konkretisierung bislang nur für das Jahr 2019 erfolgt ist und für das Jahr 2020 noch aussteht. Die jahresweise Vereinbarung von Boni entspricht senatsbekannt verbreiteter Praxis.
38
Die Beklagte wendet weiter ein, bei der Anlage 1 handele es sich um eine Liste von notleidenden Projekten aus der Firmenübernahme. Dies ist so nicht nachvollziehbar, denn die Ziffer 2 der Anlage 1 enthält eine pauschale Beteiligung für Neuabschlüsse in 2019. Im Übrigen steht die Sichtweise der Beklagten in Widerspruch zu der vertraglich eingeräumten Möglichkeit, zweimal 100.000 € zu verdienen.
39
3.2. Mit Ablauf des Jahres 2020 (bzw. spätestens des Januars 2021) ist der Abschluss einer Bonusvereinbarung unmöglich geworden (§ 275 Abs. 1 BGB). Im April 2020 – also zu einem Zeitpunkt, als eine Bonusvereinbarung auch unter Berücksichtigung der Anreizfunktion noch ohne Weiteres möglich war – hatte der Kläger, wie ausgeführt, um Klärung der Frage einer Bonusvereinbarung gebeten; die Beklagte hat eine Klärung zugesagt (Mail vom 05.05.2020, Anlage K12), sich jedoch dem Abschluss einer Vereinbarung in der Folge versagt, weil sie der Auffassung war und ist, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Bonusvereinbarung für 2020 bzw. auf Boni für 2020.
40
3.3. Die Beklagte schuldet daher dem Kläger Schadensersatz wegen von ihr verschuldeter Unmöglichkeit (§ 280 Abs. 1 und 3, § 283 BGB). Zu ersetzen ist der Betrag, den der Kläger bei Abschluss einer Bonusvereinbarung erzielt hätte. Dieser Betrag kann und muss vom Senat im Sinne eines Mindestschadens geschätzt werden, § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung ist der für den Fall der Zielerreichung ausgelobte Bonus bei der abstrakten Schadensberechnung nach § 252 Satz 2 BGB Grundlage für die Ermittlung des dem Arbeitnehmer zu ersetzenden Schadens (vgl. BAG, Urteile vom 12.12.2007 – 10 AZR 97/07, juris-Rn. 47, 50 und vom 17.12.2020 – 8 AZR 149/20, juris-Rn. 44 ff., 52).
41
Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass der Kläger in 2019 nicht nur die benannten Projekte vollendet hat, sondern aus Ziff. 2 Prämien in Höhe von mehr als 277.000 € netto verdient hat. Der Kläger hat vorgetragen, er hätte auch 2020 die Vorgaben übererfüllt. Dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Der Senat ist daher, letztlich aber sogar ohne Berücksichtigung der oben genannten Prämisse zur Berechnung des Schadensersatzes allein aufgrund der 2019 vom Kläger erzielten Prämien davon überzeugt, dass der Kläger bei Abschluss einer adäquaten Bonusvereinbarung – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger keinen Anspruch auf exakt dieselbe Bonusvereinbarung gehabt hätte – selbst in einem Jahr, das ab dem Frühjahr von der Corona-Epidemie geprägt war, jedenfalls Bonusansprüche in der eingeklagten Höhe von 20.000,- € – eine Summe, die nicht einmal 10% der nach Ziff. 2 der Anlage 1 verdienten Prämie entspricht – verdient hätte.
42
3.4. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (ebenso wie in der erstinstanzlichen Erwiderung vom 26.01.2022, dort S. 2, Bl. 32 d.A., auf die Klageerweiterung) darauf hingewiesen hat, das hinsichtlich der betriebsbereiten Übergabe von vier benannten Projekten keine zeitliche Eingrenzung auf das Jahr 2019 erfolgt sei, verfängt dieses Argument nicht, denn aus diesen Projekten hätte der Kläger einen Maximalbetrag von 60.000 €, nicht aber von vereinbarten 100.000 € erwirtschaften können. Selbst wenn man jedoch dieser Argumentation näher treten und annehmen wollte, die Bonusregelung in Anlage 1 sei abschließend, so ergäbe sich nicht die von der Beklagten angenommene Rechtsfolge. Denn auch dann bleibt es bei dem Befund, dass dem Kläger ein „Freibetrag“ von 100.000 € pro Jahr vertraglich zugesagt wurde. Es kann ihm aber nicht zum Nachteil gereichen, wenn er die konkret in Ziff.1 der Anlage 1 benannten Projekte bereits 2019 abschließt, obwohl er – so der Vortrag der Beklagten in dieser Argumentationslinie – dies gar nicht hätte tun müssen. Jedenfalls insoweit hätte er dann zumindest das Recht, den Verdienst aus diesen Projekten in das zweite Vertragsjahr zu übertragen. Auch dann wäre aber der klägerisch geltend gemachte (Teil-)Anspruch auf Zahlung von 20.000 € für das Jahr 2020 begründet. Dies gilt umso mehr, als die vertragliche Kappung gemäß § 5 Abs. 8 des Vertrages erst nach Abschluss der Vertragslaufzeit von zwei Jahren greift.
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3.5. Der Zahlbetrag von 20.000 € ist ab dem Tag nach Zustellung (§ 187 Abs. 1 BGB) der Klageerweiterung, also ab dem 14.01.2022, zu verzinsen. Der Zinslauf ist deswegen auch hier marginal zu korrigieren. Zutreffend hat das Landgericht insoweit – weil es sich nicht um eine Entgelt-, sondern um eine Schadensersatzforderung handelt – einen Zinssatz von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zuerkannt (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB).
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO iVm § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Eine Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen; die tragenden Gründe des Urteils beruhen auf der Auslegung eines individuell ausgehandelten Vertrages.
Verkündet am 19.07.2023