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LG Schweinfurt, Endurteil v. 26.07.2023 – 11 O 458/22
Titel:

Keine Anwendung presserechtlicher Grundsätze wegen Berichterstattung auf Internetseite einer Bürgerinitiative

Normenketten:
MStV § 19 Abs. 1 S. 1, S. 2
GG Art. 5
StGB § 193
Leitsätze:
1. Die presserechtliche Rspr. des BGH gilt nur für die Presse bzw. Medien (BGH GRUR-RS 2021, 40299). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kennzeichnende Merkmale journalistisch-redaktionell gestalteter Angebote sind eine gewisse Selektivität und Strukturierung, das Treffen einer Auswahl nach ihrer angenommenen gesellschaftlichen Relevanz mit dem Ziel des Anbieters, zur öffentlicher Kommunikation beizutragen, die Ausrichtung an Tatsachen (sog. Faktizität), ein hohes Maß an Aktualität, nicht notwendig Periodizität, ein hoher Grad an Professionalisierung der Arbeitsweise und ein gewisser Grad an organisierter Verfestigung, der eine gewisse Kontinuität gewährleistet (OLG Bremen BeckRS 2011, 2447). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Begriff der Pressefreiheit erfasst nicht nur periodische Druckwerke, sondern auch einmalig gedruckte Werke und insbesondere Veröffentlichungen im Internet, jedenfalls wenn damit das Ziel einer Information der Öffentlichkeit verfolgt wird und ein Beitrag zur Meinungsbildung geleistet wird, wobei maßgeblich darauf abzustellen ist, dass es um eine im Pressewesen tätige Person in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis geht (OLG Stuttgart GRUR-RS 2023, 1159). (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
4. Nicht jeder Blog unterliegt zwingend presserechtlichen Grundsätzen, vielmehr ist stets eine Beurteilung im Einzelfall vorzunehmen. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
identifizierende Berichterstattung, Ermittlungsverfahren, Pressefreiheit, Tatsachenbehauptung, Wahrheitsgehalt, Internetseite, Bürgerinitiative, Stellungnahme, journalistisch-redaktioneller Inhalt, Blog
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 07.12.2023 – 6 U 31/23 e
Fundstellen:
MMR 2023, 802
GRUR-RS 2023, 18512
LSK 2023, 18512
ZUM-RD 2023, 683

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Unterlassungsansprüche.
2
Die Klägerin war eine Amtsleiterin bei der Stadt … und hatte unter anderem die Funktion einer Compliance-Beauftragten/inne. Der Beklagte war medienrechtlicher Verantwortlicher der Internetseite buergerplattform-sch..de
3
Am 09.06.2022 wurde auf dieser Internetseite der Eintrag „Die Aufarbeitung beginnt erst jetzt“ mit folgendem Inhalt veröffentlicht:
„Die Aufarbeitung beginnt erst jetzt
Posted on Juni 9, 2022 by admin
Die Schweinfurter Bürgerplattform begrüßt, dass die Staatsanwaltschaft Sch. die Ermittlungen wegen versuchter Strafvereitelung gegen die Compliance-Beauftragte der Stadt … nach Weisung der Generalstaatsanwaltschaft B. wieder aufgenommen hat. Der Strafanzeige, die von drei Mitgliedern der Sch. Bürgerplattform auf dem Weg gebracht und von Sprecher Rechtsanwalt …, LL.M. Eur verfasst wurde, muss daher im zweiten Anlauf nun doch nachgegangen werden. „Es hat sich gelohnt, dass wir nochmal Beschwerde eingelegt haben!“, „kommentiere Rechtsanwalt … den Meinungsumschwung der Strafverfolgungsbehörde.
Die Strafanzeige wurde zunächst vom leitenden Oberstaatsanwalt Em. nicht aufgegriffen, weil er Beschuldigten nach seiner Sicht rechtlich kein Vorwurf gemacht werden könne, da eine Compliance-Beauftragte die Pflicht habe Straftaten zu verhindern, aber nicht Strafanzeigen zu stellen. Dagegen wurde seitens der drei Bürger Beschwerde eingereicht, weil ihrer Auffassung nach zumindest aus dem Arbeitsvertrag der Beschuldigten eine solche Pflicht hergeleitet werden könnte. Dem Punkt war die Staatsanwaltschaft Sch. aber gar nicht nachgegangen.
Den Mitgliedern der Sch. Bürgerplattform stieß übel auf, dass dieses Jahr herauskam, dass in der Stadtverwaltung trotz der Mitteilung einer whistleblowerin monatelang mit der Stellung einer Strafanzeige gegen den Theaterleiter abgewartet wurde. Der mittlerweile verurteilte Amtsleiter, hatte vor seiner Demission sogar noch eine hohe Leistungsprämie erhalten. Dass er schon spätestens im November 2019 bekannt. Für …, stv. Sprecher der Bürgerplattform, ist die bisherige Aufarbeitung des Skandals der noch größere Skandal.
…, eine der Anzeigenerstatter fordert, dass künftig jeder Compliance-Beauftrager der Stadt vertraglich verpflichtet werden müsste bei solchen erheblichen Straftaten Strafanzeige zu stellen. Mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens ist noch keine Entscheidung über die Strafbarkeit der Beschuldigten getroffen. Es gilt weiter die Unschuldsvermutung!“
4
Vor dieser Veröffentlichung war die Klägerin durch den Beklagten nicht angehört worden.
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Im Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz 11 O 377/22 eV vor dem Landgericht Schweinfurt schlossen die Parteien im Termin vom 29.06.2022 folgenden Vergleich:
1. Der Verfügungsbeklagte verpflichtet sich, den Artikel „Die Aufarbeitung beginnt erst jetzt“ auf der Internetseite www.bürgerplattform-sch..de sowie auf sämtlichen Internetseiten, auf denen der Verfügungsbeklagte diesen Artikel veröffentlicht hat, insbesondere auf der Plattform Facebook, soweit er darauf Zugriff hat, bis 01.07.2022, wie folgt neu zu fassen: (…)
2. Hiermit sind die Ansprüche der Verfügungsklägerin auf Löschung des gesamten Artikels sowie auf Veröffentlichung der streitgegenständlichen Gegendarstellung abgegolten und erledigt.
3. Von den Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens und dieses Vergleichs haben die Klägerin 62,5 % und der Beklagte 37,5 % zu tragen.
6
Mit Schriftsatz vom 04.07.2022 forderte die Klägerin den Beklagten zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Der Beklagte antwortete mit Schriftsatz vom 04.07.2022.
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Im laufenden Verfahren gab der Beklagte mit Schriftsatz 29.01.2023 folgende Unterlassungserklärung ab:
… verpflichtet sich – ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, aber rechtsverbindlich – gegenüber … der die Abmahnerin]
1. es ab sofort zu unterlassen, zo Unterlassen, über die Abmahnerin im Zusammenhang mit den strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihre Person identifizierend zu berichten und/oder berichten zu lassen, wenn dies geschieht wie in dem Artikel „Die Aufarbeitung beginn erst jetzt: Ermittlungsverfahren gegen Städtische Compliance-Beauftragte wieder aufgenommen.“
2. für den Fall einer zukünftig eintretenden schuldhaften Zuwiderhandlung gegen die unter Ziff. 1 aufgeführte Verpflichtung eine von der Unterlassungsgläubigerin nach billigem Ermessen festzusetzende, im Streitfall von der zuständigen Gerichtsbarkeit zu überprüfende, Vertragsstrafe an die Abmahnerin zu bezahlen.
3. Die Unterlassungserklärung wird unter der auflösenden Bedingung einer allgemein verbindlichen, d.h. auf Gesetz oder höchstrichterlichen Rechtsprechung beruhenden Klärung des zu unterlassenden Verhaltens abgegeben.
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Die Klägerin behauptet:
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Der Beklagte habe es zu unterlassen, über die Klägerin im Zusammenhang mit den strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihre Person identifizierend zu berichten oder berichten zu lassen, insbesondere wie im Artikel „Die Aufarbeitung beginnt erst jetzt“ geschehen. Weiterhin habe der Beklagte der Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu erstatten.
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Die Klageanträge seien in der zuletzt gestellten Form ausreichend bestimmt. Die Klageänderung sei zulässig gewesen. Der Vergleich im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung habe nicht die Wirkung einer Abschlusserklärung gehabt.
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Auf die Internetseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich sei, seien presserechtliche Grundsätze anwendbar. Die noch zugänglichen Inhalte der Internetseite seien mit einem sog. Blog zumindest vergleichbar, so dass presserechtliche Grundsätze bzw. § 19 Abs. 1, 4 MStV anwendbar seien. Dies ergebe sich aus der Vielzahl, dem Inhalt und der Aufmachung der Artikel, die als durchaus professionell zu bewerten sei, sowie der Teilnahme des Beklagten an Pressekonferenzen. Der Beklagte könne sich nicht auf das Laienprivileg berufen, was den hier zu entscheidenden Sachverhalt ohnehin nicht erfasse. Es sei auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte als freier Mitarbeiter diverser Presseredaktionen gearbeitet habe. Auf der Internetseite veröffentlichte Berichte seien zusätzlich auf der Facebook-Seite der Bürgerplattform verlinkt worden, teilweise ebenso auf der privaten Facebook-Seite des Beklagten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass der Beklagte Rechtsanwalt sei, da nach der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung auch Inhalte auf der Internetseite einer Anwaltskanzlei ein journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot darstellen können.
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Da der Beklagte die Internetseite zumindest teilweise vom Netz genommen habe, sei von einer Beweisvereitelung auszugehen.
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Die Wiederholungsgefahr sei durch die Rechtsverletzung indiziert. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem am 29.06.2022 abgeschlossenen Vergleich, da der Artikel noch am 10.07.2022 um 17:20 Uhr auf der Intemetseite Facebook abrufbar gewesen sei. Der Beklagte habe sich im Vergleich auch nicht verpflichtet, zukünftig eine identifizierte Berichterstattung zu unterlassen. Die im Schriftsatz von 04.07.2022 abgegebene Erklärung sei nicht geeignet gewesen, die Wiederholungsgefahr auszuräumen. Auch die Erklärung vom 29.01.2023 führe nicht zu einer Erledigung der Hauptsache, da diese Erklärung unter Ziffer 3 mit einer Bedingung verknüpft worden sei.
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Die Klägerin beantragt zuletzt:
1. Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgoldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, über die Klägerin im Zusammenhang mit den strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihre Person identifizierend zu berichten/oder berichten zu lassen, insbesondere wie im Artikel „Die Aufarbeitung beginnt erst jetzt“ geschehen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtlich angefallene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.119,79 € nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte behauptet:
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Sowohl der ursprüngliche als auch der zuletzt gestellte Klageantrag seien zu unbestimmt, es sei unklar, was unter einer identifizierenden Berichterstattung zu versehen sei. Es fehle am Rechtsschutzbedürfnis, weil der Vergleich vom 29.06.2022 die Wirkung eine Abschlusserklärung gehabt habe.
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Die Veröffentlichung sei zulässig gewesen, insbesondere habe der Beklagte vor der Veröffentlichung die Klägerin nicht anhören müssen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Internetseite, auf welcher der Artikel veröffentlicht worden sei, um den internetauftritt einer Bürgerinitiative handele, auf den presserechtliche Grundsätze nicht anwendbar sei. Der Beklagte sei auch kein Journalist. § 54 Abs. 2 RStV gelte für die Internetseite nicht, da es sich nur um die Außendarstellung einer privaten Bürgerinitiative handele. Für diese Einordnung spreche bereits die Art und Weise der Ausgestaltung der Internetseite. Somit seien die strengen Vorgaben der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Verdachtsberichterstattung hier nicht einschlägig, durch eine Anwendung dieser strengen Vorgaben würde vielmehr die politische Tätigkeit der Bürgerinitiative unzulässig eingeschränkt. Für den Beklagten würde das Laienprivileg streiten.
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Die Internetseite werde derzeit lediglich überarbeitet, von einer Beweisvereitelung könne keine Rede sein. Jedenfalls müsste sich die Klägerin eigene Nachlässigkeit vorhalten lassen, wenn sie Beweise nicht sichere.
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Ohnehin sei hier im Einzelfall eine Anhörung der Klägerin vor der Veröffentlichung entbehrlich gewesen, weil die Gegenposition der Klägerin genau der im Artikel aufgenommenen Erläuterung der Staatsanwaltschaft Sch.t für die Begründung der Einstellung entsprochen haben dürfte.
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Es fehle jedenfalls an der Wiederholungsgefahr. Nach Ablauf der gesetzten Frist sei nicht mehr über die Klägerin identifizierend berichtet worden. Vermeintliche Abrufmöglichkeiten nach diesem Zeitpunkt könnten auf die Problematik einer temporären Speicherung von Inhalten in sog. Caches zurückzuführen sein. Denen von der Klägerin vorgelegten Screenshots käme aus technischen Gründen kein wesentlicher Beweiswert zu.
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Wegen des Vergleichsabschlusses sei eine Wiederholungsgefahr nicht mehr gegeben, die weitere Berichterstattung sei anonymisiert erfolgt. Jedenfalls durch die Erklärung vom 04.07.2022, aber auf jeden Fall durch die Erklärung vom 29.01.2023 sei eine etwaige Wiederholungsgefahr entfallen. Die Bedingung unter Ziffer 3 der Erklärung vom 29.01.2023 sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unschädlich.
23
Mangels Hauptsacheanspruch bestehe auch kein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
24
Wegen der übrigen Einzelheiten, insbesondere der geäußerten Rechtsansichten, wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 16.11.2022 durch Einvernahme des Zeugen …. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Unterlassung einer identifizierender Berichterstattung im Zusammenhang mit den strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihre Person, wenn dies geschieht wie in dem Eintrag „Die Aufarbeitung beginn erst jetzt“ vom 09.06.2022. Die Klägerin hat erst recht keinen allgemeinen Anspruch auf Unterlassung einer identifizierenden Berichterstattung im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihre Person. Damit besteht auch kein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
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Es kann damit dahinstehen, ob tatsächlich nach der durch den Vergleich vom 29.06.2022 im Verfahren 11 O 377/22 eV vereinbarten Frist der streitgegenständliche Eintrag noch im Internet abrufbar war oder ob durch die Unterlassungserklärungen vom 04.07.2022 und/oder vom 29.01.2023 eine etwaige Wiederholungsgefahr entfallen wäre bzw. durch die letztgenannte Unterlassungserklärung eine Erledigung der Hauptsache eingetreten ist.
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Nach der presserechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20) darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden, erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen.
28
Der streitgegenständliche Eintrag enthält im Hinblick auf die Klägerin ausschließlich Tatsachenbehauptungen, die unstreitig zutreffend sind. Konkret bezüglich der Klägerin wird lediglich von einer Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft über eine Wiederaufnahme von Ermittlungen berichtet. Die Berichterstattung betrifft somit ausschließlich einen bestimmten Aspekt der Amtsführung der Klägerin für die Stadt Schweinfurt und nicht z.B. die Klägerin als Privatperson. Soweit im Eintrag Meinungen bzw. Wertungen wiedergegeben werden beziehen sich diese nicht auf die Person der Klägerin, sondern die Stadtverwaltung allgemein bzw. deren Leitung. Der Eintrag enthält auch keine Vorverurteilung bzw. erweckt euch nicht den Eindruck, die Klägerin sei der vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Vielmehr wird in Bezug auf die Klägerin lediglich von der Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft berichtet und am Ende des Eintrags wird sogar ausdrücklich auf die Unschuldsvermutung hingewiesen.
29
Der nach der zitierten presserechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allein verbleibende Ansatzpunkt, mit dem eine Untersagung der Berichterstattung des Beklagten in dieser Form begründet werden könnte, wäre somit die unterlassene Einholung einer Stellungnahme der Klägerin vor Veröffentlichung des Eintrags. Auch aus diesem Umstand folgt hier jedoch kein Unterlassungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten, da das vom Bundesgerichtshof aufgestellte Erfordernis einer vorherigen Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen hier nicht für den Beklagten anwendbar war.
30
Der Bundesgerichtshof macht in seiner Entscheidung durchgehend deutlich, dass die von ihm aufgestellten Anforderungen nur für die Presse bzw. Medien gelten sollen (BGH a.a.O. Rn. 18: „Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute.“; Rn. 28: „… pressemäßige Sorgfalt und Wahrheitspflicht …“). Bei einer Gesamtwürdigung der von den Parteien vorgetragenen Umstände, insbesondere der schriftsätzlich vorgelegten Inhalte der Internetseite buergerplattform-sch..de, steht für das Gericht nicht fest, dass für die Veröffentlichung des Artikels die aufgezeigten presserechtlichen strengen Vorgaben des Bundesgerichtshofs gelten.
31
Hierbei ist zu beachten, dass die Anwendung presserechtlicher Grundsätze hier nicht zum Vorteil des Beklagten wäre, sondern dessen Meinungsfreiheit dadurch einschränken würden, dass er vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme der Klägerin hätte einholen müssen.
32
Eine Gesamtwürdigung führt zu dem Ergebnis, dass die Internetseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich wer, nicht zu den Telemedien mit journalistisch-redaktionell Inhalten gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 und 2 MStV, für die besondere Rechte und Pflichten gemäß §§ 19 ff MStV gelten, zählte und der Beklagte hinsichtlich der streitgegenständlichen Veröffentlichung auch nicht dem allgemeinen sog. formellen Pressebegriff unterfiel.
33
1. Die Internetseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich war, zählte nicht zu den Telemedien mit journalistisch-redaktionell Inhalten gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 und 2 MStV, für die besondere Rechte und Pflichten gemäß §§ 19 ff MStV gelten.
34
Kennzeichnende Merkmale journalistisch-redaktionell gestalteter Angebote sind eine gewisse Selektivität und Strukturierung, das Treffen einer Auswahl nach ihrer angenommenen gesellschaftlichen Relevanz mit dem Ziel des Anbieters, zur öffentlicher Kommunikation beizutragen, die Ausrichtung an Tatsachen (sog. Faktizität), ein hohes Maß an Aktualität, nicht notwendig Periodizität, ein hoher Grad an Professionalisierung der Arbeitsweise und ein gewisser Grad an organisierter Verfestigung, der eine gewisse Kontinuität gewährleistet (OLG Bremen, Urteil vom 14.01.2011 – 2 U 115/10 noch zu § 56 RStV).
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Bei der Würdigung der Internetseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich ist, nach diesen Maßstäben ist zunächst hervorzuheben, dass auf den Zeitraum der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Eintrags abzustellen ist, da sich eine Obliegenheit des Beklagten, vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme der Klägerin einzuholen, nur dann ergeben kann, wenn für den Beklagten bzw. die Internetseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich war, schon die aufgezeigten strengeren Vorgaben des Bundesgerichtshofs für Medien bzw. die Presse galten.
36
Für ein journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot käme wenn überhaupt nur der als Blog bezeichnete Teil der von der Klägerin mit Schriftsatz vom 17.01.2023, Seite 10 ff, vorgelegten Internetseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich war, in Betracht. Jedenfalls bezogen auf den Zeitraum der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Eintrags erfüllt aber auch dieser Bereich der Intemetseite nicht die aufgezeigten Voraussetzungen. Es ist insbesondere kein hoher Grad an Professionalisierung der Arbeitsweise erkennbar. Vielmehr wurden in diesem Zeitraum eher zufällig wirkende Einträge eingestellt, die nicht den Eindruck eines hohen Grades an Professionalisierung der Arbeitsweise erwecken, wie dies bei einem journalistisch-redaktionell gestalteten Angebot zu erwarten wäre, sondern die sich als Berichte über die eigene Tätigkeit der Bürgerplattform insbesondere aus Sicht des Beklagten darstellen. Den Einträgen fehlt für den Leser klar erkennbar auch nur der Anschein von Objektivität, vielmehr wird durchgehend deutlich, dass diese aus Perspektive der Bürgerplattform und/oder des Beklagten verfasst sind, auch wenn vom Beklagten in der 3. Person gesprochen wird. Angesichts der geringen Frequenz der Einträge und des Umstandes, dass nicht unbedingt nachvollziehbar erscheint, welche Umstände berichtenswert erscheinen und welche nicht, fehlt es aus Sicht eines Lesers auch an einem gewissen Grad an organisierter Verfestigung, der eine gewisse Kontinuität gewährleisten würde.
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2. Der Beklagte unterfiel hinsichtlich der streitgegenständlichen Veröffentlichung auch nicht dem allgemeinen sog. formellen Pressebegriff.
38
Nach der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Stuttgart Urt. v. 1.2.2023 – 4 U 144/22) ist der Begriff Presse weit und formal auszulegen; er kann nicht von einer – an welchen Maßstäben auch immer ausgerichteten – Bewertung des einzelnen Druckerzeugnisses abhängig gemacht werden. Der Begriff der Pressefreiheit erfasst nicht nur periodische Druckwerke, sondern auch einmalig gedruckte Werke und insbesondere – schon wegen der praktisch unbegrenzten Verbreitung – Veröffentlichungen im Internet, jedenfalls wenn damit das Ziel einer Information der Öffentlichkeit verfolgt wird und ein Beitrag zur Meinungsbildung geleistet wird. Es ist maßgeblich darauf abzustellen, dass es um eine im Pressewesen tätige Person in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis geht.
39
Auch in diesem Zusammenhang ist wiederum hervorzuheben, dass auf den Zeitraum der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Eintrags abzustellen ist, da sich eine Obliegenheit des Beklagten, vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme der Klägerin einzuholen, nur dann ergeben kann, wenn für den Beklagten bzw. die Internetseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich war, schon die aufgezeigten strengeren Vorgaben des Bundesgerichtshofs für Medien bzw. die Presse galten.
40
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Intemetseite in allererster Linie um den Auftritt einer als Bürgerplattform bezeichneten Bürgerinitiative bzw. eines Zusammenschlusses von Bürgern zur Durchsetzung lokalpolitischer Ziele handelte. Dies ergibt sich aus den von der Klägerin mit Schriftsatz vom 17.01.2023, Seite 4-6 oben, vorgelegten Inhalten de: Intemetseite, in denen die Entwicklung, die Ziele sowie die Vorgehensweise dieser Bürgerinitiative ausführlich beschrieben werden. Bei der Anwendung der strengen Vorgaben des Bundesgerichtshofs auf den Intemetauftritt einer Bürgerinitiative ist eine besonders eingehende Prüfung geboten, da die Gefahr besteht, dass durch derartige Vorgaben die Ausübung politischer Mitwirkungsrechte, die in einer Demokratie regelmäßig auch mit der Herstellung von Öffentlichkeit einhergehen, eingeschränkt werden würde.
41
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass eine Person, die Gegenstand einer Berichterstattung einer Bürgerinitiative über deren eigene Tätigkeit ist, von dieser Berichterstattung nicht im gleichen Maße beeinträchtigt wird wie bei einer vergleichbaren Berichterstattung durch die Presse. Bei einer Berichterstattung durch die Presse geht ein Leser davon aus, dass eine Recherche stattgefunden hat, eine Abwägung vorgenommen wurde, ob bestimmte Umstände berichtenswert sind, und bei der Berichterstattung bestimmte Sorgfaltsmaßstäbe beachtet werden. Bei der Berichterstattung einer Bürgerinitiative über ihre eigene Tätigkeit bzw. ihre eigenen Ziele wird ein Leser hingegen keine derartigen Erwartungen haben, sondern vielmehr davon ausgehen, dass hinsichtlich der Auswahl der berichteten Umstände und des Inhalts der Berichterstattung die politischen Ziele der Bürgerinitiative oder z.B. auch subjektive Befindlichkeiten handelnder Personen im Vordergrund stehen mögen.
42
Eine Einordnung als Presse bzw. Medien im Sinne der zitierten Rechtsprechung ergibt sich auch nicht aus dem nach dem Vortrag der Klägerin mit „Blog“ überschriebenen Teil der Internetseite, in dem verschiedene Beiträge chronologisch eingestellt waren.
43
Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin unterfällt nicht jeder Blog zwingend presserechtlichen Grundsätzen, vielmehr ist stets eine Beurteilung im Einzelfall vorzunehmen. Dies ergibt sich auch aus der von den Parteivertretern diskutierten Rechtsprechung zu Intemetauftritten einer Anwaltskanzlei oder der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung zu Veröffentlichungen eines sog. Influencers (OLG Köln, Beschluss vom 13.10.2020 – 15 W 46/20), wobei zu berücksichtigen ist, dass sog. influencer zwar üblicherweise formal keine Blogs (mehr) betreiben, sondern auf sozialen Plattformen wie z.B. Y.T., I. oder Tw.tätig sind, inhaltlich aber kein wesentlicher Unterschied besteht, da Influencer wie früher sog. Blogger üblicherweise regelmäßig und wiederkehrend Beiträge veröffentlichen.
44
In diesem als „Blog“ überschriebenen Teil der streitgegenständlichen Intemetseite fanden sich nach der Darstellung der Klägerin zwar tatsächlich Beiträge, die für eine Einordnung als Presse bzw. Medien im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sprechen könnten, insbesondere der Eintrag vom 20.09.2022, in dem über eine Informationsveranstaltung berichtet und nur beiläufig ein eigener Beitrag des Beklagten als Sprechers der Bürgerplattform wiedergegeben wird. Entscheidend ist hier aber, dass diese Einträge deutlich nach dem hier maßgeblichen Zeitraum der Veröffentlichung des streitgegenstärdlichen Artikels erfolgen und damit nicht zur Einordnung heranzuziehen sind. Bei den Einträgen vor bzw. im zeitlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Eintrag steht vielmehr ganz klar die Kommunikation der eigenen Tätigkeit bzw. von politischen Auffassungen der Bürgerplattform im Vordergrund. So wird im Eintrag vom 01.04.2022 die lokalpolitische Auffassung der Bürgerplattform kommuniziert, man hätte für den Internetauftritt der geplanten (und später von der Stadt Standort abgesagten) Landesgartenschau 2026 lokale Anbieter bevorzugen sollen. Auch der chronologisch nächste Eintrag, der streitgegenständlichen Artikel vom 09.06.2022, im Schriftsatz vom 17.01.2023 wiedergegeben in einer modifizierten Form vom 11.06.2022, hat wie bereits ausgeführt ausschließlich die Mitteilung bzw. Einordnung einer Entscheidung der Generalstabschef in einem Ermittlungsverfahren, das auf einer Strafanzeige von Mitgliedern der Bürgerplattform beruhte zum Gegenstand. Gleiches gilt im Ergebnis für die nachfolgenden Beiträge vom 28.06.2022 und 02.07.2022, die noch im zeitlichen Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Veröffentlichung erfolgten.
45
Die Klägerin kann sich in diesen Zusammenhang auch nicht auf eine Beweisvereitelung berufen, weil der Inhalt der Internetseite nicht mehr zugänglich zu sein scheint. Eine Beweisvereitelung würde voraussetzen, dass die Klägerin in Beweisnot ist, d.h. von ihr erstatteten Sachvortrag, der von der Gegenseite bestritten wird und entscheidungserheblich ist, nicht nachweisen kann. Derartiger Sachvortrag wurde aber bereits nicht erstattet.
46
Eine andere Einordnung der Frage, ob die strengen presserechtlichen Vorgaben des Bundesgerichtshofs hier anwendbar waren, ergibt sich auch nicht daraus, dass der Beklagte Rechtsanwalt ist und nach dem Vortrag der Klägerin schon journalistisch tätig geworden sein soll. Nach der zitierten oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Stuttgart a.a.o.) ist darauf abzustellen, ob es um eine im Pressewesen tätige Person in Ausübung ihrer Funktion geht. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass eine Person, die als Journalist tätig ist bzw. war, sich kommunalpolitisch engagiert und in dieser Funktion in der Öffentlichkeit kommuniziert, ohne dass hierfür die strengen presserechtlichen Vorgaben des Bundesgerichtshofs zu beachten wären. Gleiches gilt erst recht für die berufliche Tätigkeit des Beklagten als Rechtsanwalt. Der Beklagte hat sich an keiner Stelle auf einen Verbotsirrtum o. ä. berufen, wofür der Umfang juristische Kenntnisse von Bedeutung hätte sein können.
47
Der Einwand der Klägerin, bei einer Versagung der von ihr geltend gemachten Unterlassungsansprüche sähen sich im Ergebnis die Mitglieder der Stadtverwaltung schutzlos einer identifizierenden Berichterstattung ausgesetzt, kann so nicht nachvollzogen werden. Die mit diesem Urteil getroffene Entscheidung betrifft konkret die Veröffentlichung des Eintrags vom 09.06.2023. Wie bereits mehrfach ausgeführt besteht hinsichtlich des Inhalts dieses Eintrags die Besonderheit, dass dort ausschließlich eine Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg in einem Ermittlungsverfahren, das auf der Strafanzeige von Mitgliedern der Bürgerplattform beruhte, mitgeteilt und eingeordnet wird. Es erfolgt gerade keine allgemeine bzw. vom konkreten Tätigwerden der Bürgerplattform losgelöste Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, die gegen Mitglieder der Stadtverwaltung geführt werden. Inwieweit eine derartige Berichterstattung zulässig wäre, müsste dann wieder im Einzelfall geprüft werden, insbesondere dann auch vor dem Hintergrund des medialen Umfelds, z.B. einem neu aufgesetzten Internetauftritt, in sozialen Medien o.ä., in dem eine solche Berichterstattung erfolgen würde.
48
Für die hier aus Sicht des Gerichts allein streitentscheidende Frage, ob die strengen Vorgaben des Bundesgerichtshofs auf die hier streitgegenständliche Berichterstattung anwendbar waren, spielen die Vielzahl weiterer Fragen, die von den Parteien aufgeworfen wurden, u.a. Leserbriefe des Beklagten oder die näheren Umstände einer Stadtratsabstimmung über eine zukünftige Position der Klägerin, soweit ersichtlich keine Rolle.
B.
49
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 91 Abs. 1, 709 ZPO, 48 GKG.