Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 24.05.2023 – AN 3 K 21.00522
Titel:

Erfolglose Klage auf Erteilung einer isolierten Befreiung für eine bereits erfolgte Errichtung eines Sichtschutzzaunes

Normenketten:
BauGB § 31 Abs. 2
BayBO Art. 63 Abs. 2, Art. 68 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Die Festsetzung über die Zaunhöhe im Bebauungsplan ist örtlich nicht beschränkt, was für einen Grundzug der Planung spricht, von dem keine Befreiung möglich ist. Zudem ist die Festsetzung eine den Grünordnungsplan flankierende Maßnahme. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Befreiung von Festsetzung einer Zaunhöhe, Bebauungsplan, keine Funktionslosigkeit, Grundzüge der Planung berührt
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18442

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen.
2.    Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
3.    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Versagung einer begehrten isolierten Befreiung für eine bereits erfolgte Errichtung eines Sichtschutzzaunes auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … (* …*) in … Die Kläger sind Eigentümer des eingangs genannten Grundstücks, welches mit einem Reihenwohnhaus bebaut ist. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … „…“ des Beklagten. Dieser Bebauungsplan legt u.a. unter Ziffer 4 seiner textlichen Festsetzungen (Einfriedungen) Folgendes fest:
„Nicht zulässig sind Mauern und Stacheldrahtzäune aller Art. Maschendrahtzäune sind in Angrenzung an öffentliche Flächen nicht gestattet. Zulässig ist eine Zaunhöhe von 1,20 m. Pfeiler sind nur in Verbindung mit der Gartentüre oder der Garageneinfahrt zulässig.“
2
Daneben wird der beigegebene Grünordnungsplan zum Bestandteil des Bebauungsplans erklärt. Der Grünordnungsplan legt an der südlichen Grundstücksgrenze des klägerischen Grundstücks die Anlage von Hecken entlang der Grundstücksgrenze fest. Unter den Hinweisen des Grünordnungsplans zu Einfriedungen ist ausgeführt, dass sämtliche Einfriedungen als einfacher Holzlattenzaun mit einer Höhe von 1,20 m und ohne Sockel hergestellt werden sollten.
3
Anscheinend im Jahr 2020 erfuhr der Beklagte davon, dass die Kläger (anscheinend in Absprache mit der östlichen Grundstücksnachbarin) einen durchgehenden Holzlattenzaun mit Zaunpfosten entlang der südlichen Grundstücksgrenze errichteten. Der Zaun hat eine Höhe von 1,80 m.
4
Mit Schreiben des Beklagten vom 21. Oktober 2020 wurden die Kläger zur Beseitigung des Zauns unter Hinweis auf obige Festsetzungen aufgefordert.
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Mit Antrag vom 15. November 2020 begehren die Kläger die Befreiung von den relevanten Vorschriften des Bebauungsplans.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid des Beklagten vom 25. Februar 2021 wurde der Antrag abgelehnt. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass das Bauvorhaben hinsichtlich der Höhe der Einfriedungen mit 1,80 m (wie beantragt) den Festsetzungen des Bebauungsplanes widerspreche. Die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauBG seien nicht gegeben. Der Bebauungsplan sei bewusst mit dem Grundkonzept erlassen worden, dass bei den Reihenhäusern zu den Privatwegen, die öffentlich genutzt werden, entlang der Grundstücksgrenze Hecken geplant werden sollten, um so eine Durchgrünung mittels Hecken und Bepflanzungen und auch eine Einsichtnahme in das Grundstück mittels Bepflanzung zu gewährleisten. Dies gehe aus dem Grünordnungsplan zum Bebauungsplan hervor. Deshalb sei auch die Zaunhöhe auf maximal 1,20 m begrenzt worden. Im Bereich des Bebauungsplans der … seien bisher keine Befreiungen von der Höhe der Einfriedung über 1,20 m erteilt worden. Der Bebauungsplan aus dem Jahre 1984 sei immer noch rechtskräftig und auch aus tatsächlichen Gründen nicht funktionslos geworden. Im Bereich dieses Bebauungsplans seien bei einem Ortstermin keine höheren Einfriedungen festgestellt worden. Lediglich einige Gartentore seien über 1,20 m Höhe, welche aber keine Einfriedungen im Sinne der Bayerischen Bauordnung darstellten. Nach § 9 BauGB sei der Beklagte auch ermächtigt, gestalterische Vorgaben von Einfriedungen in einem Bebauungsplan festzusetzen. Dies sei im Bebauungsplan durch Unzulässigkeit von Mauern und Stacheldrahtzäunen sowie der Zaunhöhe geschehen. Im Grünordnungsplan zum Bebauungsplan werde ein einfacher Holzlattenzaun empfohlen. Außerdem sei hier entlang der Grundstücksgrenzen eine Hecke festgesetzt. Die vom Kläger vorgebrachten Gründe rechtfertigten nicht die Erteilung einer Befreiung. Die Ermessensprüfung des Beklagten habe ergeben, dass die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen, vor allem, weil hier auch kein Präzedenzfall geschaffen werden solle.
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Mit Schriftsatz vom 23. März 2021 – hier eingegangen am gleichen Tag – erhoben die zunächst nicht anwaltlich vertretenen Kläger Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid. Die Klage wurde mit Schriftsatz vom 24. März 2021 zunächst vorläufig dahingehend begründet, dass Befreiungsgründe nach dem Baugesetzbuch vorlägen. Das Allgemeinwohl spreche für die Befreiung, da ein Sichtschutzzaun nicht nur die Privatsphäre der Kläger schütze, sondern zugleich den Ausblick der Allgemeinheit auf unschöne Bereiche in der Nachbarschaft verhindere (wird weiter ausgeführt). Die Abweichung sei auch städtebaulich vertretbar. Da es im Bereich der … sowieso üblich sei, dass Grundstückseigentümer ihre Grundstücke mit Sichtschutzmaßnahmen mit einer lichten Höhe von mindestens 1,80 m versehen würden, sei es durch Pflanzung einer „lebenden Umzäunung“ oder durch Sichtschutzzäune, sei eine Billigung des Antrags städtebaulich vertretbar (wird weiter ausgeführt). Die Nachbarn hätten dem Vorhaben zugestimmt. Durch Errichtung von Hecken und Sichtschutzzäunen sei die gewollte planerische Gestaltung im Bebauungsplan erfolgt. Der Bebauungsplan sei deswegen im Laufe der Zeit auch faktisch funktionslos geworden (wird weiter ausgeführt unter Verweis auf eine beigegebene Fotodokumentation). Der Bebauungsplan nehme keine Rücksicht auf die Intim- und Privatsphäre der einzelnen Bewohner (wird weiter ausgeführt). Der Beklagte dulde seit über zehn Jahren im Bereich der … das Aufstellen von acht Sichtschutzzäunen mit einer Höhe von über 1,80 m (wird weiter ausgeführt unter Verweis auf eine Fotodokumentation).
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Mit Schriftsatz vom 29. März 2021 wurde die Klage weitergehend begründet.
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Die Kläger hätten schon im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass die bauordnungsrechtliche Festsetzung, wonach Einfriedungen nur bis zu einer Höhe von 1,20 m zulässig seien, nicht von Art. 76 BayBO in der bei Erlass des Bebauungsplans geltenden Fassung gedeckt sei (wird weiter ausgeführt). Die gewählten Formulierungen des Beklagten im Bescheid würden darauf schließen lassen, dass bei Erlass des streitbefangenen Bebauungsplans im Jahr 1984 überhaupt keine konzeptionellen Sicht- und Schallschutzmaßnahmen in Erwägung gezogen worden seien, um die Privatsphäre der dort lebenden Bürger angemessen zu schützen. Insofern könne unterstellt werden, dass der streitgegenständliche Bescheid ohne jegliche Abwägung im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre des einzelnen Bürgers erlassen worden sei. Vermutlich seien dem Beklagten auch bei Erlass des Bebauungsplans Nr. … Abwägungsfehler unterlaufen. Nach klägerseitiger Einschätzung der Sachlage sei vermutlich die gerechte Abwägung der Interessen der Grundstückseigentümer mit dem Inhalt des Bebauungsplans im Jahr 1984 in Bezug auf den künftigen Sicht- und Lärmschutz gänzlich vernachlässigt worden. Das Gericht möge dem Beklagten daher aufgeben, den Bebauungsplan mit entsprechenden Protokollierungen vorzulegen. Der Bebauungsplan stelle einen ungerechtfertigten Eingriff in die geschützte Privatsphäre der Anwohner bzw. Grundstückseigentümer dar. Da das Persönlichkeitsrecht teilweise in der unantastbaren Menschenwürde wurzele, sei ein solcher Eingriff nicht rechtfertigungsfähig. Der Bebauungsplan verletze infolge der mangelnden Berücksichtigung der Privatsphäre auch das Gebot der Rücksichtnahme (wird weiter ausgeführt). Der streitgegenständliche Bescheid lasse dagegen den Rückschluss zu, dass eine Abwägung der nachbarschaftlichen und öffentlichen Interessen bewusst unterlassen worden sei. Der Bundesgerichtshof gehe darüber hinaus davon aus, dass die Privatsphäre nicht an der Haustür ende, wenn sie auch zunächst den räumlich inneren Hausbereich umfasse (wird weiter ausgeführt). Diese Grundsätze des Bundesgerichtshofs erfülle der streitbefangene Bebauungsplan nicht, denn er solle nach dem Wortlaut des Bescheides, ohne Rücksicht auf die Privatsphäre der Anwohner, den freien Einblick in die jeweiligen Grundstücke uneingeschränkt ermöglichen. Der streitgegenständliche Bebauungsplan sei in Bezug auf die geplante Einsichtsmöglichkeit der Grundstücke, einschließlich der gärtnerischen Gestaltung auch funktionslos (unter Verweis auf Rechtsprechung). Der Beklagte habe sich mit der planwidrigen Gestaltung der Gärten, außerhalb eines Grünordnungsplanes und der mannigfaltigen Herstellung von Sichtschutzmaßnahmen, die jegliche Einsichtnahme unterbinden würden, im Laufe der Zeit auch abgefunden. Dieses jahrzehntelange Dulden von errichteten Sichtschutzzäunen mache das nunmehr gezeigte Verhalten des Beklagten treuewidrig. Der plankonforme Zustand, zumal aus dem Jahr 1984, lasse sich nicht mehr wiederherstellen. Dafür seien die Grundstücke über Jahre hinweg eingewachsen und mit angemessenen Sichtschutzelementen über 1,20 m versehen worden, welche meist aus Thuja-Hecken oder aus Sichtschutzzäunen bestünden. Damit sei der Bebauungsplan in mehrfacher Hinsicht nicht mit geltendem Recht zu vereinbaren. Der errichtete Sichtschutzzaun schütze die Kläger ausreichend nicht nur gegen Einblicknahme, sondern auch gegen Lärmimmissionen. Solche Erwägungen hätten bei der Abwägung des Bebauungsplans vermutlich gar nicht stattgefunden. Dies obwohl das Baugebiet zwischen zwei verkehrsreichen Straßen liege.
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Mit Schriftsatz ihres nunmehrigen Bevollmächtigten vom 15. Juli 2021 ließen die Kläger die Klage weitergehend begründen. Der Beklagte habe bei Erlass des Bescheides verkannt, dass im Bereich des Bebauungsplans tatsächlich vielfach Grundstücke mit Einfriedungen, welche höher als 1,20 m seien, versehen seien. Auf die bereits beigefügten Lichtbilder werde verwiesen. Insofern sei der Beklagte bei seinen Erwägungen von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Soweit argumentiert worden sei, der Bebauungsplan habe bei den entsprechenden Festsetzungen das Ziel gehabt, eine Durchgrünung mittels Hecken und Bepflanzungen zu erreichen, so sei festzustellen, dass das Erreichen dieses Ziels durch die beabsichtigte Einfriedung nicht behindert werde. Die starke Durchgrünung sei auch weiterhin vorhanden (unter Verweis auf ein Luftbild der Gegend). Auf der anderen Seite hätten die Kläger ein überwiegendes Interesse an der Erteilung einer Befreiung. Geltend gemacht worden seien insofern insbesondere Sicherheitsaspekte und die Privatsphäre, da durch die vorhandene Einfriedung die ungestörte Einsicht in das Grundstück möglich sei und somit die Bewohner quasi auf dem Präsentierteller säßen bzw. unproblematisch überprüft werden könne, ob die Anwohner zuhause seien oder nicht. Der Beklagte könne die Befreiung nicht mit der Argumentation verneinen, dass der Bebauungsplan wirksam eine andere Festsetzung enthalte, denn schließlich sei der Sinn einer Befreiung, dass von Festsetzungen abgewichen werden könne. Die Vermeidung von Präzedenzfällen sei ebenfalls kein Argument, da andernfalls keine Befreiungen mehr zulässig wären. Zum funktionslos gewordenen Bebauungsplan sei festzustellen, dass dieser ursprünglich Festsetzungen enthalten habe, wonach Zäune eine Höhe von 1,20 m betragen dürften. Im Hinblick auf die mehrfach vorgetragene Funktionslosigkeit sei auch nach der Rechtsprechung darauf abzustellen, ob die Festsetzung für die beabsichtigte Zielerreichung noch die Bedeutung habe. Hierbei sei zu beachten, dass die Festsetzung zur Erreichung des Ziels einer angemessenen Durchgrünung zu Beginn einen Sinn gehabt haben dürfte, da es sich seinerzeit um zu bebauende Grundstücke gehandelt habe, die naturgemäß über keine Durchgrünung verfügt hätten. Ziel der Festsetzung sei also gewesen, die Bauherren dazu zu bringen, an den Grundstücksgrenzen Pflanzungen anzulegen, um den Sichtschutz zu erhalten. Es habe also verhindert werden sollen, dass die Bauherren feste Zäune mit ausreichender Höhe anlegten, die eine Begrünung der Gärten unnötig werden ließe. Die so geschaffenen Hecken und sonstigen größeren Bepflanzungen seien mittlerweile groß und blieben nach wie vor vorhanden. Das Ziel einer Durchgrünung sei also erreicht worden. Damit sei es nicht mehr erforderlich, an der Festsetzung festzuhalten, da durch die Schaffung höherer Einfriedungen keine Gefahr der Beseitigung dieser Durchgrünung bestehe. Jedenfalls aber könne dies durch entsprechende Auflagen in den Befreiungen geleistet werden. All dies habe der Beklagte versäumt, bei der Ermessensentscheidung miteinfließen zu lassen.
11
Mit Schriftsatz vom 15. Juli 2021 beantragen die Kläger:
1. Der Bescheid des Beklagten vom 25. Februar 2021 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verpflichtet, die beantragte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans für das Bauvorhaben zu erteilen.
12
Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2021 beantragt der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Befreiung hätten. Die Befreiung scheide schon deshalb aus, weil durch die Zulassung der Einfriedung die Grundzüge der Planung berührt seien. Die textliche Festsetzung unter Ziffer 7 beruhe auf der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans maßgeblichen Bestimmung der Bayerischen Bauordnung von 1982. Nach Art. 91 Abs. 1 BayBO hätten hiernach die Gemeinden durch Satzung örtliche Bauvorschriften erlassen können über besondere Anforderungen an die Gestaltung baulicher Anlagen, soweit dies zur Durchführung bestimmter städtebaulicher Absichten erforderlich gewesen sei. Nach Art. 91 Abs. 3 BayBO von 1982 sei dies auch durch Bebauungsplan möglich gewesen. Die Festsetzung des Bebauungsplans fuße auf dem Grünordnungsplan Wohngebiet an der …, Gemeinde … Die dort gutachterlich vorgenommene Empfehlung für die Höhe der Einfriedung sei als Festsetzung in den Bebauungsplan übernommen worden. Der Grünordnungsplan zeige für den überwiegenden Geltungsbereich des Bebauungsplans auf Neuplanung das beabsichtigte Grundkonzept, welches diesen gesamten Abschnitt durchziehe. Der Bebauungsplan sei bewusst mit dem Grundkonzept aufgestellt und erlassen worden, dass bei den Reihenhäusern zu den Privatwegen, die öffentlich genutzt würden, entlang der Grundstücksgrenze Hecken geplant werden sollten, um so eine Durchgrünung mittels Hecken und Bepflanzungen und auch eine Einsichtnahme in das Grundstück mittels Bepflanzungen gewährleisten zu können. Deshalb sei die Zaunhöhe auf maximal 1,20 m begrenzt worden. Somit stelle sich diese Festsetzung als konsequente Umsetzung des Grünordnungsplanes und damit auch nach der Begründung zum Bebauungsplan beabsichtigten Planzieles dar. Hieraus ergebe sich, dass es sich bei dieser Festsetzung um einen Teil des planerischen Grundkonzeptes des Beklagten und damit um Grundzüge der Planung im Sinne des § 31 Abs. 2 BayGB handele. Eine Befreiung von der strittigen Festsetzung sei vorliegend auch nicht deshalb zulässig, weil die konkret beantragte Befreiung für das Plangefüge von untergeordneter Bedeutung sei. Dies sei mit Rücksicht auf die Vorbildwirkung einer Befreiung und den Gleichheitssatz nicht nur nach den Auswirkungen der einzelnen Befreiungen zu bestimmen, sondern auch danach, welche Auswirkungen Befreiungen in gleichgelagerten Fällen zur Folge hätten. Im Bereich des Bebauungsplans … seien bisher keine Befreiungen von der Höhe der Einfriedung über 1,20 m erteilt worden. Die Befreiung hätte eine nachteilige Vorbildwirkung und damit eine erhebliche Auswirkung auf die Behandlung gleichgelagerter Fälle zur Folge. Unabhängig hiervon lägen auch die Voraussetzungen für eine Befreiung im Übrigen nicht vor (wird weiter ausgeführt). Ergänzend sei auszuführen, dass soweit tatsächlich auf Grundstücken Einfriedungen über 1,20 m Höhe vorlägen, diese durch den Beklagten nicht geduldet würden. Der Beklagte werde diesen bauaufsichtlichen Tatbestand planvoll weiterverfolgen.
14
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 24. Mai 2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die erhobene Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, aber unbegründet, da der streitgegenständliche Ablehnungsbescheid rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten isolierten Befreiung von den Festsetzungen des streitgegenständlichen Bebauungsplans nach Art. 63 Abs. 2, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB.
16
Das streitgegenständliche Vorhaben ist bauplanungsrechtlich unzulässig, da es gegen Ziffer 4 der textlichen Festsetzungen des streitgegenständlichen Bebauungsplans verstößt. Der errichtete Zaun hat eine von den Beteiligten unbestrittene Höhe von 1,80 m.
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Die Errichtung des Zauns ist auch im Übrigen nicht genehmigungsfähig, da weder die Voraussetzungen der Funktionslosigkeit des Bebauungsplans Nr. … „… “ (1.) noch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung von der entsprechenden Festsetzung nach § 31 Abs. 2 BauGB vorliegen (2.).
18
1. Der streitgegenständliche Bebauungsplan ist im Hinblick auf die hier in Frage stehende Festsetzung der Zaunhöhe wirksam und gültig. Das Gericht kann insofern keine Funktionslosigkeit erkennen. Auch Abwägungsfehler, welche sich auf das Abwägungsergebnis auswirken könnten, sind nicht ersichtlich. Verstöße gegen sonstiges verbindliches Recht liegen ebenfalls nicht vor.
19
1.1 Die Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans oder einzelner seiner Festsetzungen setzt voraus, dass in tatsächlicher Hinsicht ein erkennbar dauerhafter Widerspruch zwischen den faktischen Gegebenheiten und den Festsetzungen des Bebauungsplans besteht und dass in normativer Hinsicht die Erkennbarkeit des Widerspruchs ein Maß erreicht, dass eine Verwirklichung der Festsetzungen nicht mehr realistisch erscheinen lässt und dem Vertrauen in den Bestand der Festsetzungen die Schutzwürdigkeit nimmt (BVerwG, B.v. 22.7.2010 – 4 B 22/10 – juris Rn. 9 ff. = BauR 2010, 2060). Wann dieser Punkt erreicht ist, ist eine Frage des Einzelfalls.
20
Das Gericht kann nicht erkennen, dass eine Verwirklichung der Festsetzung Nr. 4 über die Höhe von Zäunen nicht mehr möglich wäre. Zu den von der Klägerseite mit Schriftsatz vom 24. März 2021 eingereichten Fotos ist im Einklang mit den Ausführungen der Beklagtenseite festzuhalten, dass die dortigen „Bezugsfälle“ 6 und 7 schon außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans liegen. Die somit höchstens noch verbleibenden – je nach Zählweise – maximal 7 Bezugsfälle sind schon von ihrer reinen Anzahl ungeeignet, dem Vertrauen in den Bestand einer Rechtsnorm die Grundlage zu entziehen. Auch der Blick auf allgemein zugängliche Satellitenbilder des Plangebiets zeigt, dass die „Hauptschutzrichtung“ der Festsetzung – nämlich die Prägung der Grenzbebauung mit Hecken anstatt Einfriedungen (dazu unten 2.) weiterhin gewahrt und im Baugebiet dominant ist. Im Übrigen sind Zäune leicht zu beseitigende bauliche Anlagen und der Beklagte hat dargelegt, dass er keine Befreiungen diesbezüglich erteilt hat, womit auch eine Beseitigung der anderen Bezugsfälle durchaus möglich erscheint.
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Soweit die Klägerseite schriftsätzlich und auch in der mündlichen Verhandlung darauf verweist, dass eine Heckenbepflanzung nur zu Beginn der Bebauung des Plangebiets gewollt sein soll, liefert sie keine nachvollziehbare Begründung. Für eine derartige Auslegung geben die Satzungsunterlagen keinerlei Anhaltspunkt. Es ist auch nicht erklärlich und widersinnig, warum der Beklagte „nur zu Beginn der Bebauung“ eine Durchgrünung des Baugebiets angestrebt haben sollte, diese aber schon damals bei „abgeschlossener Bebauungsphase“ nicht mehr wollen sollte. Wäre das Vorhandensein von Begrünung im Baugebiet für den Beklagten „disponibel“ gewesen, hätte er gar keine Festsetzungen dazu getroffen.
22
Insofern scheidet eine Funktionslosigkeit der Festsetzung über die zulässige Zaunhöhe aus.
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1.2 Auch sonstige Rechts- oder Abwägungsfehler sind nicht ersichtlich. Im Hinblick auf die angebliche Unzulässigkeit einer Festsetzung zur Zaunhöhe zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des streitgegenständlichen Bebauungsplans 1984 ist auf Art. 91 Abs. 1 Nr. 1 und 4, Abs. 3 BayBO (1983) hinzuweisen, der solche Festsetzungen erlaubte.
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Im Hinblick auf angebliche Abwägungsfehler sei angemerkt, dass – aufgrund § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 BauGB zum jetzigen Zeitpunkt nur noch – rügbare Mängel im Abwägungsergebnis nicht ersichtlich sind. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die von der Klägerseite gerügte mangelnde Auseinandersetzung mit dem Aspekt der Privatsphäre der Eigentümer überhaupt ein abwägungsrelevanter Aspekt der Bauleitplanung ist. Jedenfalls ist schon nicht ersichtlich oder nachvollziehbar dargelegt, wieso das hier verbindlich festgesetzte Erfordernis einer Heckenbepflanzung die Privatsphäre der Grundstückseigentümer nicht ausreichend gut schützen soll.
25
2. Aufgrund der vom Gericht angenommenen Wirksamkeit des streitgegenständlichen Bebauungsplans kann eine Legalisierung des Zauns nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für eine Befreiung von der streitgegenständlichen Festsetzung nach § 31 Abs. 2 BauGB vorliegen.
26
Vorliegend scheitert die Erteilung einer Befreiung schon daran, dass nach Gerichtsmeinung die Grundzüge der Planung betroffen sind.
27
Mit dem Begriff der Grundzüge der Planung bezeichnet das Gesetz die durch die Hauptziele der Planung bestimmte Grundkonzeption eines Bauleitplanes. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich jeweils nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Unter welchen Voraussetzungen die Grundzüge der Planung berührt werden, lässt sich dabei nicht allgemeingültig formulieren; maßgeblich ist die jeweilige Planungssituation (vgl. u.a. BVerwG, B.v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – juris). Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwider läuft. Dabei kommt es darauf an, ob die fragliche Festsetzung Bestandteil eines Planungskonzepts ist, das das gesamte Plangebiet oder maßgebliche Teile hiervon gleichsam quasi wie ein roter Faden durchzieht, so dass eine Abweichung zu weitreichenden Folgen führt, oder ob die einzelne Festsetzung entweder gewissermaßen „zufällig“ erfolgt ist oder aber – wird von ihr abgewichen – der damit verbundene Eingriff in das Planungsgefüge eingegrenzt, also quasi „isoliert“ werden kann (BayVGH, U.v. 19.10.1998 – 15 B 97.337 – juris Rn 27, B.v. 21.4.2009 – 9 B 06.1823 – juris Rn. 24). Je tiefer die Befreiung in den mit der Planung gefundenen Interessenausgleich eingreift, desto eher liegt es nahe, dass das Planungskonzept in einem Maße berührt wird, das eine (Um-)Planung erforderlich macht (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – juris; B.v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – juris; U.v. 18.11.2010 – 4 C 10/09 – juris). Mithin scheiden im Allgemeinen Abweichungen von Festsetzungen aus, die diese Grundkonzeption des Bebauungsplanes berühren. Aber auch Festsetzungen, die nicht für die Grundkonzeption maßgeblich sind, können die Grundzüge der Planung bestimmen, wenn ihnen nämlich ein spezifisches planerisches Konzept zugrunde liegt. Dies gilt auch für einzelne Festsetzungen. Denn auch sie können „die Planung tragende Festsetzungen“ sein (BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – juris). Entscheidend ist, dass der im Bebauungsplan zum Ausdruck gebrachte planerische Wille der Gemeinde auf eine bestimmte städtebauliche Ordnung gerichtet ist, die der Planung als Grundkonzept zugrunde liegt. Ist dies der Fall, handelt es sich um Grundzüge der Planung. Diese sind berührt, wenn bezogen auf diesen planerischen Willen derart vom Planinhalt abgewichen wird, dass die angestrebte und im Plan zum Ausdruck gebrachte städtebauliche Ordnung in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Mit anderen Worten muss eine Abweichung – soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein – durch das planerische Wollen noch gedeckt sein; es muss angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Plangeber gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung gekannt hätte (vgl. etwa BayVGH, U.v. 3.11.2010 – 15 B 08.2426 – juris). Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein. Eine Befreiung ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung Spannungen hineinträgt oder erhöht, die nur durch eine Planung zu bewältigen sind (vgl. etwa BayVGH, B.v. 17.11.2016 – 15 ZB 15.468 – juris). Ein Berühren der Grundzüge der Planung ist jedoch dann immer ausgeschlossen, wenn die tatsächliche Entwicklung im Baugebiet bereits so weit fortgeschritten ist, dass ein weiteres Abweichen von der Festsetzung im Vergleich zur bisherigen Entwicklung nicht mehr ins Gewicht fällt (BVerwG, U.v. 18.11.2020 – 4 C 10/09 – juris Rn. 39 m.w.N. = BVerwGE 138, 166).
28
Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend davon auszugehen, dass die Festsetzung als solche einen Grundzug der Planung darstellt, von dem nicht befreit werden kann. Die Festsetzung Ziffer 4 über die Zaunhöhe ist schon rein örtlich nicht beschränkt, sondern im gesamten Geltungsbereich festgesetzt, was für einen Grundzug der Planung spricht. Darüber hinaus hat auch der Beklagtenvertreter zu Recht ausgeführt, dass die Festsetzung offensichtlich eine flankierende Maßnahme zur Sicherung der Ziele des Grünordnungsplans ist. Dieser – zum Bestandteil des Bebauungsplans erklärte – Grünordnungsplan schreibt nach Ziffer 7.3 der planerischen Festsetzungen an etlichen Grundstücksgrenzen und jedenfalls auch an der südlichen Grundstücksgrenze der Kläger eine Heckenbepflanzung vor. Die Absicherungsfunktion für die Heckengrenzbepflanzung wird aus der Empfehlung Nr. 4 des Grünordnungsplans ersichtlich, die sowohl Bauausführung als auch Höhe des Zauns (mit 1,20 m) beschreibt. Insofern handelt es sich bei Ziffer 4 der textlichen Festsetzungen nicht um eine singuläre oder zufällig gewählte Festsetzung, sondern um einen integralen Bestandteil der Grünordnung im Baugebiet.
29
Die Festsetzung wird – wie bereits oben ausgeführt – auch weit überwiegend im Plangebiet eingehalten. Insofern würde eine Legalisierung des Zauns die Grundzüge der Planung auch „berühren“, weshalb die Voraussetzungen für eine Befreiung schon alleine deswegen nicht vorliegen und es auf weitere Aspekte nicht mehr ankommt.
30
Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.