Titel:
Anforderungen an wirksame Ablehnung von Deckungsschutz wegen fehlender Erfolgsaussicht ("Diesel-Fall")
Normenketten:
VRB-2006 § 17
ARB 2010 § 3a
BGB § 121 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Der Rechtsschutzversicherer verliert das Recht, sich auf die fehlende Erfolgsaussicht der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen zu berufen, wenn er das Rechtsschutzbegehren seines Versicherungsnehmers nicht unverzüglich iSv § 121 Abs. 1 S. 1 BGB prüft und die Ablehnung dem Versicherungsnehmer kundtut (s. auch BGH BeckRS 2003, 3749). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unverzüglich in diesem Sinne bedeutet, dass die Ablehnung innerhalb des Zeitraums erfolgen muss und auch nur erfolgen kann, den der Versicherer bei sachgerechter, nicht schuldhaft verzögerter Prüfung für seine Entschließung benötigt. Die Frist beginnt mit der vollständigen und wahrheitsgemäßen Unterrichtung des Versicherers über den Streitstand (s. auch BGH BeckRS 2016, 14153 Rn. 38 mwN). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Zeitraum von fünf Wochen zwischen der Deckungsanfrage des Versicherungsnehmers und der Deckungsablehnung des Versicherers ist vorbehaltlich besonderer – hier nicht gegebener – Umstände nicht mehr unverzüglich in diesem Sinne. Übersendet der Versicherungsnehmer nach seiner Deckungsanfrage unaufgefordert und überobligationsmäßig weitere, für die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht relevante Unterlagen (hier: Schreiben des Fahrzeugherstellers eines vom sog. Diesel-Skandal betroffenen Fahrzeugs betreffend ein "Softwareupdate als freiwillige Maßnahme"), beeinflusst das weder den Lauf der Prüfungsfrist noch deren Berechnung. (Rn. 18, 19 und 21 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Hervorheben des Umfangs der Deckungsanfrage ("25 Blatt ohne Anlagen"), einem aus "Parallelfällen" und aus "der Verwendung von Textbausteinen" abgeleiteten "hohen Prüfungsaufwand(s)" und einer "gerichtsbekannten" "sachlichen und rechtlichen Komplexität der Dieselfälle" sowie "des Fortschreitens der allgemeinen Erkenntnislage sowie der Rechtsprechung" sind in ihrer unverbindlichen Allgemeinheit nicht geeignet, im konkret zu beurteilenden Streitfall eine "in Bezug auf die Prüfungsbelastung ... überdurchschnittliche Bearbeitungszeit" zu rechtfertigen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
5. Absehbare – rechtsvernichtende oder rechtshemmende – Einwände und Einreden des potentiellen Prozessgegners (hier: Verjährung) sind Teil der materiellen Prüfung der Erfolgsaussichten der fraglichen Rechtsverfolgung, für die Deckungsschutz begehrt wird. Demgemäß werden diese vom bedingungsgemäßen Ausschluss des Einwands fehlender Erfolgsaussicht erfasst. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsschutzversicherung, Erfolgsaussicht, Präklusion, Stellungnahme, Prüfungsfrist, unverzüglich
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 08.12.2022 – 2 O 925/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18352
Entscheidungsgründe
1
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 08.12.2022, Az. 2 O 925/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei und mit zutreffenden Erwägungen einen Anspruch der Klägerin aus einer bei der Beklagten gehaltenen Rechtsschutzversicherung auf Deckung für den streitgegenständlichen Versicherungsfall (Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Fahrzeugkauf vom 14.08.2015 gegen den PKW-Hersteller wg. Abgasmanipulation) für gegeben erachtet und einem entsprechenden Feststellungsantrag stattgegeben.
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Es wird zunächst Bezug genommen auf die detaillierten und mit erkennbarer Sorgfalt ausgearbeiteten Gründe des angefochtenen Urteils, die den Senat überzeugen.
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Zur kurzen Begründung der Bestätigung der angefochtenen Entscheidung (vgl. § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) ist im Hinblick auf die Berufungsbegründung vom 16.03.2023 noch auszuführen:
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1. Der Beklagte hat weder neue berücksichtigungsfähige Tatsachen vorgetragen (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) noch konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen des Landgerichts begründen würden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Es ist daher von dem im angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Sachverhalt auszugehen. Dieser rechtfertigt weder eine andere Entscheidung noch ist eine Rechtsverletzung vorgetragen, auf der die erstinstanzliche Entscheidung beruhen würde (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Da die Berufung – abweichend von ihrer früheren Funktion als vollwertige zweite Tatsacheninstanz – nunmehr in erster Linie der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung dient, ist das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden; eine erneute Tatsachenfeststellung ist nur als Ausnahme vorgesehen, soweit die erste Instanz die Feststellungen nicht vollständig und überzeugend getroffen hat (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen nur dann vor, wenn – aufgrund konkreter Anhaltspunkte – aus der Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle erneuter Tatsachenfeststellungen die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt.
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Die Berufungsführerin trägt keine neuen Anknüpfungspunkte oder Argumente vor, die nicht schon Gegenstand des erstinstanzlichen Parteivortrags gewesen wären. Sie benennt auch keine übersehenen oder falsch gewichteten Gesichtspunkte. Sie beschränkt sich vielmehr darauf, einzelne Aspekte hervorzuheben und anders zu bewerten als das Erstgericht. Indes ist die rechtsfehlerfrei vorgenommene Abwägung des Landgerichts von der Beklagten hinzunehmen.
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Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen durch das Erstgericht können sich zwar im Ansatz auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertungen ergeben. Hat sich aber das Erstgericht mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt – ist die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich und verstößt sie nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze – und ist auch das Berufungsgericht von der Richtigkeit der erstinstanzlichen Bewertungen überzeugt, so sind die Feststellungen bindend. Eine Partei kann dann nicht in zulässiger Weise ihre eigene Würdigung an die Stelle derjenigen des Erstgerichts setzen.
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Nach der gesetzlich gebotenen eigenen Beweiswürdigung unter Einbeziehung der Argumente der Berufungsbegründung und im Bewusstsein, dass es sich bei der Berufungsinstanz um eine zweite – wenn auch eingeschränkte – Tatsacheninstanz handelt, deren Aufgabe in der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung des Einzelfalls besteht (BGH 04.09.2019, VII ZR 69/17 Rn. 10-11 juris), kommt der Senat hier zu einer Bindungswirkung der erstinstanzlichen entscheidungserheblichen Feststellungen nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an deren Richtigkeit oder Vollständigkeit vermag der Senat nicht zu erkennen.
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2. Die Beklagte ist bedingungsgemäß mit dem auf § 17 VRB-2006 (vgl. Anl. K 1; im Folgenden auch: ARB) gestützten Einwand einer berechtigten „Deckungsablehnung wegen ungenügender Erfolgsaussicht“ ausgeschlossen.
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Andere bedingungsgemäße Versagungsgründe greifen ebenfalls nicht durch, weshalb die Beklagte – wie von der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeurteilt – vertraglich verpflichtet ist, dem Kläger als Versichertem (mitversichert in dem von seiner Ehefrau als Versicherungsnehmerin gehaltenen Vertrag; vgl. § 14 Abs. 2 ARB) den angefragten Deckungsschutz antragsgemäß zu gewähren.
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a) Zur Bearbeitung von Deckungsanfragen im Hinblick auf den Versicherer-Einwand mangelnder Erfolgsaussicht haben die Parteien Folgendes vereinbart (Hervorhebungen der Überschrift im Original, sonst durch den Senat):
§ 17 Deckungsablehnung wegen ungenügender Erfolgsaussicht
(1) Soweit die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, kann der Versicherer den Rechtsschutz ganz oder teilweise ablehnen; dies gilt nicht bei den Fällen des § 2 Nr. 3 (Verteidigungs-Rechtsschutz) in den Tatsacheninstanzen.
(2) Die Ablehnung ist dem Versicherten unter Angabe der Gründe unverzüglich mitzuteilen, sobald der Sachverhalt genügend geklärt ist. Gleichzeitig ist der Versicherte darauf hinzuweisen, dass er anstelle einer gerichtlichen Klärung zunächst ein Schiedsgutachterverfahren einleiten kann, dessen Kosten der Versicherer trägt. Dazu veranlasst der Versicherte seinen Rechtsanwalt, eine begründete Stellungnahme darüber abzugeben, ob die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
(3) Die unparteiische Entscheidung des Gutachters ist für beide Seiten bindend, es sei denn, dass sie offenbar von der wirklichen Sach- oder Rechtslage erheblich abweicht.
(4) Will der Versicherer sich darauf berufen, dass diese Entscheidung nicht bindend sei, muss er dies gegenüber dem Versicherten innerhalb eines Monats begründen.
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Die rechtlichen Voraussetzungen dieses Versicherereinwandes in ihren Ausprägungen durch die höchstrichterliche und obergerichtliche Rechtsprechung hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung ausführlich und zutreffend dargestellt (LGU 7-8). Zur Vermeidung unnötiger, weil bloß wiederholender, Schreibarbeit wird auf eine erneute Wiedergabe der dort beschriebenen Einzelheiten des rechtlichen Hintergrundes der fraglichen Vertragsklausel an dieser Stelle verzichtet.
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Zusammenfassend gilt daher (vgl. Prölss/Martin/Piontek, VVG, 31. Aufl. 2021, 500 ARB 2010 § 3a Rn. 15, 16 m.w.N.):
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Die Mitteilungspflicht bedeutet, dass der VR das Rechtsschutzbegehren unverzüglich (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) prüfen und die Ablehnung dem VN kundtun muss. Unverzüglich bedeutet, dass die Ablehnung innerhalb des Zeitraums erfolgen muss und auch nur erfolgen kann, den der VR bei sachgerechter, nicht schuldhaft verzögerter Prüfung für seine Entschließung benötigt. Die Frist beginnt mit der vollständigen und wahrheitsgemäßen Unterrichtung des VR über den Streitstand. Die sog. Bewilligungsreife tritt nach Ablauf der dem VR für die Prüfung zur Verfügung stehenden Zeit ein. Der dafür im Allgemeinen angesetzte Zeitraum von zwei bis drei Wochen ist nicht als starre Frist zu verstehen. Geringfügige Überschreitungen dieses Zeitraums, etwa angesichts langer Wochenenden wegen gesetzlicher Feiertage, können im Hinblick auf die ansonsten eintretende Deckungsfiktion unschädlich sein. Unterbleibt bei Eintritt der Bewilligungsreife eine Stellungnahme, so kann sich der VR nicht mehr auf fehlende Erfolgsaussicht berufen. Dem Interesse des VN, möglichst rasch eine verbindliche Entscheidung herbeiführen zu können, würde durch Schadensersatzansprüche nicht hinreichend Rechnung getragen. Außerdem kann der VN, dem nicht unverzüglich mitgeteilt wird, dass nach Ansicht des VR die hinreichende Erfolgsaussicht fehlt, davon ausgehen, dass der VR die Erfolgsaussicht bejaht.
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Unstreitig hatten die Klägervertreter mit Anwaltsschreiben vom 07.05.2021, der Beklagten zugegangen per E-mail (vgl. Anl. K 3) am selben Tag, eine auf 25 Druckseiten ausformulierte „Deckungsanfrage zum Abgasskandal“ unter konkreter Nennung sämtlicher Vertragsdaten und sonstiger Einzelfallumstände zum konkreten Fahrzeugerwerb, der Grundlage des Versicherungsfalls sein sollte, eingereicht. Diese Deckungsanfrage endete mit der Bitte (Hervorhebungen und Formatierung übernommen):
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Ziel der Beauftragung der Bevollmächtigten ist die Prüfung und Durchsetzung von Ansprüchen im vorbezeichneten Umfang. Wir bitten daher um Gewährung des Deckungsschutzes für ein anwaltliches außergerichtliches Vorgehen sowie für die Klageerhebung.
17
Ihre kurzfristige und abschließende Rückmeldung und Stellungnahme erwarten wir binnen zwei Wochen ab Zugang dieses Schreibens.
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Unstreitig hat die Beklagte darauf erst mit Ablehnungsschreiben vom 11.06.2021 (Anl. K 4) reagiert, wobei nähere Angaben zum Übermittlungsweg und zum Zugangszeitpunkt bei den Bevollmächtigten des Klägers fehlen (vgl. Klageerwiderung, S. 21, Bl. 41 d.A.LG). Zwischen dem 07.05.2021 (Freitag) und dem 11.06.2021 (Freitag) liegen exakt fünf Wochen (so zutreffend LGU 9).
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Der Umstand, dass der Versicherte noch mit separatem Schreiben vom 21.05.2021 unaufgefordert ein ihm früher zugegangenes Schreiben des Fahrzeugherstellers Porsche vom März 2020 betreffend „Softwareupdate als freiwillige Maßnahme“ an die Beklagte gesandt haben soll (die in der Klageerwiderung hierzu angeführte Anlage „B 2“ ist in der elektronisch geführten Akte des LG nicht auffindbar, allerdings ist der Umstand als solcher unstreitig), beeinflusst weder den Lauf der Prüfungsfrist für die Beklagte noch deren Berechnung. Auch dies hat das Erstgericht zutreffend eingeordnet (LGU 8-9).
20
Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe überzeugen nicht.
21
Die Beklagte hat schon nicht dargelegt, dass der Umstand der vorgenannten „freiwilligen Hersteller-Maßnahme“ im Rahmen ihrer Prüfung der Deckungsanfrage unter dem Blickwinkel der Erfolgsaussichten von irgendeiner Relevanz gewesen sein könnte. Denn bezeichnenderweise führt die Beklagte insoweit in ihrem Ablehnungsschreiben aus (vgl. Anl. K 4, S. 4; kursive Hervorhebungen im Original):
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Aus dem Umstand einer freiwilligen Rückrufaktion des Herstellers kann nicht auf eine unzulässige Abschalteinrichtung geschlossen werden. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Ansonsten hätte die Aufsichtsbehörde zwingend einen Pflichtrückruf anordnen müssen. Dies ist nicht geschehen, weil eine unzulässige Abschalteinrichtung gerade nicht festgestellt werden konnte. Im Übrigen ist bekannt, dass diese freiwilligen Rückrufe auf den Bemühungen von Politik und Hersteller beruhen, Fahrverbote zu vermeiden. Diese Fragen haben mit dem Umstand von zulässigen oder unzulässigen Abschalteinrichtungen nichts zu tun. Aufgrund unserer vorangegangenen Ausführungen müssen wir daher unsere Eintrittspflicht mangels Erfolgsaussichten ablehnen.
23
Damit wird deutlich, dass just jener Umstand aus Sicht des Rechtsschutzversicherers damals keine Rolle dafür spielte, die Frage nach den Erfolgsaussichten der vom Versicherten beabsichtigten Rechtsverfolgung zu beantworten.
24
Im Übrigen sind die Mitwirkungsobliegenheiten des Versicherten nach Eintritt eines Versicherungsfalls in den vereinbarten ARB beschrieben wie folgt (Hervorhebungen der Überschrift im Original, sonst durch den Senat):
§ 16 Rechte und Pflichten bei einem Rechtsschutzfall
25
(1) (2) Informationspflicht des Versicherten Macht der Versicherte den Rechtsschutzanspruch geltend, hat er sowohl den Versicherer als auch den beauftragten Rechtsanwalt vollständig und wahrheitsgemäß über sämtliche Umstände des Rechtsschutzfalles zu unterrichten. Er hat die Beweismittel anzugeben und die notwendigen Unterlagen auf Verlangen zur Verfügung zu stellen oder zu beschaffen. Der Versicherte hat Auskunft über den Stand der Angelegenheit zu geben, wenn der Versicherer dies verlangt.
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Ein derartiges Informationsbeschaffungsverlangen hatte die Beklagte aber im Laufe ihres Prüfverfahrens nicht geäußert – sie hat schlicht überhaupt nicht reagiert auf den Erhalt der Deckungsanfrage und dann erst unter dem 11.06.2021 den Bevollmächtigten des Versicherten mit der Deckungsablehnung konfrontiert. Deshalb geht die nachfolgende Argumentation der Berufungsbegründung an der Sache vorbei, wie auch die Berufungserwiderung vom 16.05.2023 (vgl. dort, S. 2-3) zutreffend bemerkt:
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Nach diesem Maßstab war – aus der insoweit allein relevanten Perspektive des Versicherers – die Vorlage des Schriftverkehrs zu freiwilligen Servicemaßnahme zwingend erforderlich. Dies hätte daher schon mit der Deckungsanfrage übersandt werden müssen. Da eine Übersendung erst mit Schreiben vom 21.05.2021 (B2) erfolgte, begann die Prüfungsfrist der Beklagten erst mit Zugang dieses Schreibens.
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Das überobligationsmäßige Zusenden eines Hersteller-Informationsschreibens aus dem Vorjahr kann nicht automatisch zu einer Verlängerung oder gar einem Neubeginn der dem Versicherer zuzubilligenden Prüfungszeit führen.
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Es wäre Sache des Versicherers gewesen, besondere Umstände des konkreten Streitfalles darzulegen, aus denen ausnahmsweise auch die Ausschöpfung einer 5-Wochen-Frist noch als „unverzüglich“ im Sinne der ARB (i.V.m. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) abgeleitet werden könnte.
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Hierzu hat die Beklagte indes nichts Überzeugendes vorgetragen, wie schon das Landgericht festgestellt hat (LGU 8).
31
Das Hervorheben des Umfangs der Deckungsanfrage (“25 Blatt ohne Anlagen“), einem aus „Parallelfällen“ und aus „der Verwendung von Textbausteinen“ abgeleiteten „hohen Prüfungsaufwand“ und einer „gerichtsbekannten“ „sachlichen und rechtlichen Komplexität der Dieselfälle“ sowie „des Fortschreitens der allgemeinen Erkenntnislage sowie der Rechtsprechung“ sind in ihrer unverbindlichen Allgemeinheit nicht geeignet, im konkret zu beurteilenden Streitfall „in Bezug auf die Prüfungsbelastung eine überdurchschnittliche Bearbeitungszeit“ zu rechtfertigen (vgl. Berufungsbegründung, S. 5). Es hätte der Beklagten freigestanden, ihren Versicherten bzw. dessen anwaltliche Vertreter mit einer sachlich begründeten „Zwischennachricht“ um etwas Geduld zu bitten, um dem späteren Einwand einer Präklusion nach § 17 (2) ARB vorzubeugen. Derartiges ist aber nicht geschehen.
32
Im Gegenteil, aus dem Vortrag der Beklagten sind vielmehr Einzelfallumstände ersichtlich, aus denen sich eher eine verkürzte Prüfungszeit am unteren Rand der üblichen Zeitspanne herleiten ließe. Denn wie die Beklagte bereits in der Klageerwiderung (dort allerdings unter dem Punkt „Verjährung“, vgl. ebda., S. 21) ausführte und mit der Schriftsatzanlage B 3 (Schreiben des Klägers vom 24.08.2018) untermauerte, hatte der Kläger (als Rechtsanwalt in eigener Sache) bereits im Jahre 2018 wegen desselben Kfz.-Erwerbsvorgangs aus 8/2015 eine Deckungsanfrage an die Beklagte gestellt (beschränkt auf „außergerichtliche Vertretung“). Damit aber waren die notwendigen Basisinformationen über diesen Versicherungsfall bereits beim Versicherer aktenkundig. Dass die Beklagte diese Informationen in ihrer Datenbank abrufbar zur Verfügung hatte, belegt schon deren Verwendung im Rahmen der Rechtsverteidigung im vorliegenden Prozess. All dies kann aber nur eine Erleichterung der Prüfung nach § 17 ARB beinhalten, keinesfalls aber eine Erschwernis und damit eine verlängerte Prüfungszeit begründen.
33
b) Ob die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung womöglich an einer vom Prozessgegner erhobenen Einrede der Verjährung scheitern könnte, ist – entgegen dem Berufungsvorbringen – hier nicht (mehr) entscheidungserheblich. Denn der Ausschluss des Einwands fehlender Erfolgsaussicht nach § 17 (2) ARB erfasst gleichermaßen auch die Verjährungsfrage. Absehbare – rechtsvernichtende oder rechtshemmende – Einwände und Einreden des potentiellen Prozessgegners sind Teil der materiellen Prüfung der Erfolgsaussichten der fraglichen Rechtsverfolgung, für die Deckungsschutz begehrt wird.
34
c) Das Berufungsvorbringen zum Nichtvorliegen eines bedingungsgemäßen Versicherungsfalles, weil zwischen Erwerb des Fahrzeugs und Zulassung desselben auf den Kläger ein Zeitraum von 16 Tagen liege und deshalb gemäß § 25 Abs. 1 ARB kein Versicherungsschutz für den – zeitlich vor Erlangung der Eigentümerstellung liegenden – schuldrechtlichen Teil des Fahrzeugerwerbsvorgangs an sich bestehe (Berufungsbegründung, S. 5), ist hier nicht entscheidungserheblich.
35
Dieses Verteidigungsmittel ist neu und wird in der Rechtsmittelbegründungsschrift erstmals im Prozess vorgebracht. Es unterliegt aber gemäß § 531 Abs. 2 ZPO der Präklusion und ist deshalb nicht zu berücksichtigen.
36
Das Erstgericht hatte zutreffend festgestellt, dass zwischen den Parteien „kein Streit darüber“ bestehe, „dass etwaige Ansprüche im Hinblick auf den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeuges durch die Klagepartei vom versicherten „Rechtsschutz im privaten Verkehrsbereich“ umfasst wären“ (LGU 6 zu II.1.).
37
Die Klageseite hat sich diesem neuen Verteidigungsvorbringen nachdrücklich – mit überzeugender Argumentation – widersetzt (vgl. Berufungserwiderung, S. 7-15).
38
Jede Partei hat schon im ersten Rechtszug die Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt ist oder bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätte bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie dort imstande ist (BGH 17.10.2018, VIII ZR 212/17 juris Rn. 32). Es sind deshalb in der Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO die Tatsachen vorzutragen, aufgrund derer das neue Vorbringen nach Ansicht des Berufungsführers zuzulassen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2021 – VI ZB 76/19 Rn. 6 juris m.w.N.).
39
An diesem Vorbringen in der Berufungsbegründung fehlt es jedoch im Streitfall. Angaben zur Berücksichtigungsfähigkeit hat die Beklagte innerhalb der Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht gemacht. Sie hat nicht dargetan, dass und warum ihr der nunmehr gehaltene Sachvortrag nicht bereits in erster Instanz möglich war.
40
Vor diesem Hintergrund kommt es dann auch nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob nicht im Streitfall der Rechtsschutzversicherer schon aus übergeordneten, aus der Natur des Versicherungsvertragsverhältnisses resultierenden, besonderen Redlichkeitspflichten gegenüber seinem Versicherungsnehmer und weiteren mitversicherten Personen (vgl. § 1a VVG; Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 31. Aufl., Einl. Rn. 245 ff. m.w.N.) gehindert ist, einen solchen Einwand erst rund zwei Jahre nach Deckungsablehnung wegen mangelnder Erfolgsaussicht im nachfolgenden Deckungsprozess erstmals in der Berufungsinstanz mit Erfolg geltend zu machen – zumindest trägt die Berufungserwiderung des Klägers hierfür beachtliche Argumente vor (vgl. ebda., S. 7-15).
41
d) Das vorstehend Ausgeführte zu lit. c) gilt entsprechend auch für das neue Verteidigungsvorbringen zum vorgeblich „nicht privaten“ sondern vielmehr „gewerblichen bzw. freiberuflichen“ PKW-Erwerbsvorgang als Grundlage einer auf § 25 ARB gestützten Deckungsversagung (vgl. Berufungsbegründung, S. 6).
42
e) Das übrige Berufungsvorbringen befasst sich ausschließlich mit den inhaltlichen Erfolgsaussichten der vom Kläger beabsichtigten Rechtsverfolgung gegen den PKW-Hersteller (vgl. Berufungsbegründung, S. 6-9) und ist deshalb nicht mehr entscheidungserheblich, weil insoweit die Einrede-Präklusion nach § 17 (2) ARB mit dem einhergehenden Rechteverlust des Versicherers (BGH, Urteil vom 30. April 2014 – IV ZR 61/13 –, Rn. 30, juris) durchschlägt.
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3. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
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Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.