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OLG München, Hinweisbeschluss v. 21.03.2023 – 25 U 6198/22
Titel:

Kein Deckungsschutz aus Betriebsschließungsversicherung in der Corona-Pandemie bei Begrenzung des Versicherungsschutzes auf Katalog namentlich benannter Krankheiten

Normenketten:
VVG § 1a, § 6 Abs. 1, Abs. 4
IfSG § 6, § 7
Leitsätze:
1. Nehmen die Bedingungen einer Betriebsschließungsversicherung zum Deckungsumfang unter Verweis auf § 6 und § 7 IfSG auf einen Katalog von namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger Bezug, besteht bei einer Betriebsschließung in der Corona Pandemie kein Versicherungsschutz, wenn COVID-19/SARS-CoV-2 in dem Katalog nicht aufgeführt ist. (Rn. 2 – 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Gewerbetreibender als durchschnittlicher Versicherungsnehmer einer Betriebsschließungsversicherung kann unabhängig vom Produktinformationsblatt den Versicherungsbedingungen unzweifelhaft entnehmen, unter welchen Voraussetzungen Versicherungsschutz besteht und wann dieser ausgeschlossen ist (Anschluss an BGH BeckRS 2022, 28570). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 1a VVG enthält keine Bestimmung zum Inhalt und Umfang des Leistungsversprechens des Versicherers (Anschluss an BGH BeckRS 2022, 533). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsschließungsversicherung, Corona, SARS-COV-2, COVID-19, abschließende Aufzählung, Produktinformationsblatt, Inhaltskontrolle, Intransparenz
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 16.09.2022 – 16 HK O 6131/21
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 03.05.2023 – 25 U 6198/22
Fundstellen:
NJOZ 2023, 1556
LSK 2023, 18306
BeckRS 2023, 18306

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 16.09.2022, Az. 16 HK O 6131/21, gemäß S 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

1
Die zulässige Berufung der Klägerin hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Mit im wesentlichen zutreffender Begründung hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
2
Wie den Parteien bekannt ist, hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 26. Januar? 2022 (IV ZR 144/21, BGHZ 232, 344) entschieden, dass bei einer Bedingungslage wie der dort maßgeblichen Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen besteht, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger ergeben sich aus dem in dem Klauselwerk aufgeführten Katalog (dort in S. 2 Nr. 2 der „Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) – 2008“ (ZBSV 08)), der abschließend ist und weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 aufführt'.
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Speziell zu dem hier maßgeblichen Klauselwerk „Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr beim Menschen (Betriebsschließungsversicherung) – BS 2008“ der Beklagten hat der Bundesgerichtshof soweit ersichtlich keine Entscheidung veröffentlicht. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21. September 2022 (IV ZR 63/22, juris) betrifft jedoch emen Fall, in dem SS 1, 3 der Bedingungen für diegetriebsschtießungs-PauschaIversichermg dewerbe (BBSG 06) der Beklagten maßgeblich waren (vgl. OLG München, Urteil vom 14. Januar 2022 – 25 U 5724/21), die den 23, 25 BS 2008 – soweit hier von Interesse – entsprechen. In diesem Beschluss hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dass die Ausführungen aus dem Urteil vom 26. Januar 2022 (aaO) im Streitfall entsprechend gelten, dem im Wesentlichen vergleichbare Bedingungen zugrunde liegen (BGH, Beschluss vom 21 . September 2022 – IV ZR 63/22, juris Rn. 4).
4
Gesichtspunkte, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 26. Januar 2022 (aaO Rn. 23-44) bereits entschieden, dass S. 2 Nr. 2 ZBSV 08 der Inhaltskontrolle gemäß S. 307 Abs. 1 und 2 BGB standhalte, insbesondere nicht gegen das Transparenzgebot verstoße (aaO Rn. 28- 37). Entsprechendes gilt – wie dargestellt – für die hier verwendete Klausel (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 2022 – IV ZR 63/22, juris Rn. 4-6). Die Ansicht des Landgerichts (Urteil, S. 1 1), für SS 23, 25 Nr. 1, Nr. 4 BS 2008 sei nur eine Transparenzkontrolle vorzunehmen (so auch noch OLG München, Urteil vom 7. September 2021 – 25 U 975/21, VersR 2022, 162, 164), ist zwar unzutreffend (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2022, aaO Rn. 24 ff). Auf ihr beruht die Entscheidung aber nicht, denn die Klauseln benachteiligen den Versicherungsnehmer nicht nach S. 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unangemessen, wie der Bundesgerichtshof zu S. 2 Nr. 2 ZBSV 08 entschieden hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2022, aaO Rn. 38 ff), Die Klägerin meint zwar, die Auffassung des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs sei insoweit unvereinbar mit der ständigen Rechtsprechung der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs. Einen solchen Widerspruch vermag das erkennende Berufungsgericht aber nicht auszumachen.
5
Für die Transparenz der Regelung zum Deckungsumfang der Versicherung ist es auch nicht von Belang, ob ein der Klägerin von der Beklagten zur Verfügung gestelltes Informationsblatt zu Versicherungsprodukten den farblichen Gestaltungsvorgaben in Art. 6 f der Durchführungsverordnung (EU) 2017/1469 der Kommission vom 1 1. August 2017 zur Festlegung eines Standardformats für das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten (ABI. EU Nr. L 209 S. 19) entsprach. Abgesehen davon, dass diese Verordnung inhaltliche Anforderungen nur für das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten aufstellt und nicht die Gestaltung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen regelt (vgl. zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Informationspflichten im Zusammenhang mit dem Produktinformationsblatt allgemein MünchKomm-VVG/Armbrüster, 2. Aufl., S. 4 VVG-InfoV Rn. 63 ff), kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer einer Betriebsschließungsversicherung – ein Gewerbetreibender – aus den Bedingungen unzweifelhaft entnehmen, unter welchen Voraussetzungen Versicherungsschutz besteht und wann dieser ausgeschlossen ist (BGH, Beschluss vom 21. September 2022 – IV ZR 467/21, VersR 2022, 1505 Rn. 4 f).
6
Durch den Bundesgerichtshof ist auch geklärt, dass S la VVG keine Bestimmungen zum Inhalt und Umfang des Leistungsversprechens des Versicherers enthält (BGH, Urteil vom 26. Januar 2022, aaO Rn. 40; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. Juni 2022 – IV ZR 488/21, juris 7). Ob die Pflichten aus S la VVG zu einer Anhebung des Maßstabes für Transparenz im Sinne von S. 307 Abs. 1 Satz 2 BGB führen, muss nicht entschieden werden. Denn schon aus dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen geht unmissverständlich hervor, beim Auftreten welcher Krankheiten oder Krankheitserreger Versicherungsschutz im Falle einer Betriebsschließung besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 2022 – IV ZR 467/21, VersR 2022, 1505 Rn. 6 zu S. 1 AVBdyn.BS). Auch ein – unterstellter – Neuabschluss des Versicherungsvertrags zum 1 . Januar 2020 würde deshalb zu keinem der Klägerin günstigeren Ergebnis führen.
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Soweit die Klägerin ergänzend einen Schadensersatzanspruch verfolgt, ergibt sich auch hieraus keine Erfolgsaussicht für ihr Rechtsmittel. Die Beklagte hat keine Beratungspflicht im Hinblick auf mögliche Deckungslücken im Sinne von S. 6 Abs. 1 und 4 VVG verletzt, da für eine entsprechende Beratung kein erkennbarer Anlass bestand (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 2022 – IV ZR 63/22, juris Rn. 10 mwN). Ebenso wenig sind Verstöße gegen die Pflichten aus S la VVG ersichtlich (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. Januar 2022, aaO Rn. 40). Aus dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen geht unmissverständlich hervor, beim Auftreten welcher Krankheiten oder Krankheitserreger Versicherungsschutz im Falle einer Betriebsschließung besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – IV ZR 467/21, VersR 2022, 1505 Rn. 6; vom 22. Juni 2022 IV ZR 488/21, juris Rn. 8; jeweils zu S. 1 AVBdyn.BS).
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Es wird erwogen, den Berufungsstreitwert auf 247.290 € festzusetzen.
9
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).