Inhalt

VG München, Urteil v. 28.03.2023 – M 5 K 20.3640
Titel:

Zeitpunkt der Zustellung der rechtmäßigen Ruhestandsversetzung

Normenketten:
BeamStG § 26 Abs. 1
BayBG Art. 65 Abs. 1, Art. 66 Abs. 2
ZPO § 180, § 406 Abs. 2, Abs. 3
BayVwVfG Art. 65 Abs. 1 S. 2
BGB § 121 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Für die Rechtmäßigkeit der Ruhestandsversetzungsverfügung kommt es materiell-rechtlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an (stRspr BVerwG BeckRS 2014, 54341). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Notwendigkeit, einen Arzt hinzuzuziehen, bedeutet nicht, dass diesem die Entscheidungsverantwortung für die Beurteilung der Dienstfähigkeit übertragen werden darf; vielmehr wird der Arzt als Sachverständiger tätig, auf dessen Hilfe der Dienstherr angewiesen ist, um die notwendigen Feststellungen treffen zu können, wobei der Dienstherr die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden muss (stRspr BVerwG BeckRS 2014, 54341). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ist ein Beamter ausweislich des Gesundheitszeugnisses umfassend dienstunfähig, ist auch eine Suche nach einem anderen Dienstposten oder anderen Tätigkeitsfeldern nicht erforderlich (ebenso BVerwG BeckRS 2017, 140351). (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zeitpunkt des Zugangs der Ruhestandsversetzung ist der Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs und nicht bereits die Einlegung der Ruhestandsversetzung in den Briefkasten, wenn das Datum der Einlegung auf dem Umschlag, welcher eingeworfen wurde, nicht vermerkt wurde; der tatsächliche Zugang heilt den Zustellungsmangel. (Rn. 52 – 53) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ruhestandsversetzung, Dienstunfähigkeit, Gesundheitszeugnis, Persönlichkeitsakzentuierung, Zeitpunkt der Zustellung bei Einlegung in Briefkasten bei fehlendem Vermerk über das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks, Vermögenswirksame Leistungen während Dauer des Klageverfahrens gegen Ruhestandsversetzung, vermögenswirksame Leistungen während Dauer des Klageverfahrens gegen Ruhestandsversetzung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Zustellungsmangel, tatsächlicher Zugang, Heilung, Formvorschrift
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18285

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für den Monat Mai 2020 den Differenzbetrag zwischen dem ausgezahlten Ruhegehalt in Höhe von 3.620,96 EUR brutto und den ihm zustehenden Bezügen aus seinem aktiven Beamtenverhältnis (inklusive Familienzuschlag I, Familienzuschlag II und Strukturzulage) sowie für den Zeitraum ab Juni 2020 bis zur Unanfechtbarkeit der vorzeitigen Versetzung des Klägers in den Ruhestand vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 6,65 EUR monatlich auszuzahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der 1959 geborene Kläger stand seit 2011 bis zu seiner erneuten Versetzung in den Ruhestand als Verwaltungsrat (Besoldungsgruppe A 13) in Diensten der Beklagten. Er wendet sich gegen seine erneute Ruhestandsversetzung vom 30. April 2020.
2
Mit Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2017 wurde der Kläger vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Mit rechtskräftigem Urteil vom 6. Juni 2018 hob das Verwaltungsgericht München (M 5 K 17.3099) die Versetzung des Klägers in den Ruhestand wegen fingierter Dienstunfähigkeit auf.
3
Mit Dienstantritt am 17. Juli 2018 wurde dem Kläger die Stabstelle „Allgemeine Rechtsfragen“ übertragen. Seit seinem Dienstantritt hatte der Kläger im Jahr 2018 insgesamt 61 Krankheitstage. Im Jahr 2019 waren es 205 Krankheitstage und im Jahr 2020 war er durchgehend bis zu seiner erneuten Versetzung in den Ruhestand krankgeschrieben. Bereits in den Kalenderjahren 2014 bis 2017 wies der Kläger vermehrt krankheitsbedingte Fehlzeiten auf (2014: 209 Krankheitstage; 2015: 178 Krankheitstage; 2016: 207 Krankheitstage; 2017: 123 Krankheitstage).
4
Die Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 9. Juli 2019 auf, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zur Prüfung seiner Dienstfähigkeit zu unterziehen. Die amtsärztliche Untersuchung erfolgte am 17. Oktober 2019. Mit Gesundheitszeugnis des Landratsamtes X. vom 13. Dezember 2019 wurde zusammenfassend festgestellt, dass beim Kläger keine verbleibende Leistungsfähigkeit vorliege und auch keine Aussicht bestehe, dass diese innerhalb der nächsten sechs Monate wiederhergestellt werden könne. Weiter wurde im Gesundheitszeugnis festgestellt, dass auch keine Leistungsfähigkeit verblieben sei, welche es ermöglichen würde, den Kläger auf einer geringwertigeren Verwendungsmöglichkeit in einem anderen Bereich des Dienstherrn einzusetzen.
5
Gegen die beabsichtigte Ruhestandsversetzung hat der Kläger eingewandt, dass die Untersuchungsanordnung nicht rechtmäßig sei. Weiter rügte der Kläger den Inhalt und den Ablauf der Untersuchung sowie die Person des Amtsarztes sowie die fehlende Aktualität des Gesundheitszeugnisses.
6
Der Personalrat stimmte der Ruhestandsversetzung am 29. April 2020 zu.
7
Die Ruhestandsversetzung wurde am 30. April 2020 um 15:32 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingelegt. Das Datum der Einlegung wurde auf dem Umschlag, welcher eingeworfen wurde, nicht vermerkt. Gegen die Ruhestandsversetzung vom 30. April 2020 hat der Kläger Widerspruch eingelegt, welcher mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2020 zurückgewiesen wurde.
8
Am 10. August 2020 hat der Kläger Klage erhoben und zuletzt beantragt,
9
I. Der Bescheid der Beklagten vom 30. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 16. Juli 2020 wird aufgehoben.
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II. Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für den Monat Mai 2020 den Differenzbetrag zwischen dem ausgezahlten Bruttobetrag i.H.v. 3.620,96 EUR und den ihm zustehenden Bezügen aus seinem aktiven Beamtenverhältnis auszuzahlen.
11
III. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für den Zeitraum ab Juni 2020 bis zur Unanfechtbarkeit der vorzeitigen Versetzung des Klägers in den Ruhestand dessen Ruhegehalt zuzüglich der vermögenswirksamen Leistungen auszuzahlen.
12
Die Ruhestandsversetzung sei rechtswidrig, da sie auf einem offensichtlich unzutreffenden amtsärztlichen Gesundheitszeugnis beruhe. Zudem sei die Beklagte ihrer Suchpflicht im Rahmen einer anderweitigen Verwendung nicht nachgekommen.
13
Ein wesentlicher Gesichtspunkt sei, dass der Gutachter nicht unparteilich gewesen sei, weshalb dieser wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werde.
14
Eine Antipathie des Gutachters dem Kläger gegenüber ergebe sich aus vielen Formulierungen im Gesundheitszeugnis vom 13. Dezember 2019. So beginne der Text des Gesundheitszeugnisses mit Ausführungen dazu, welche Termine zur Begutachtung angeboten und aus welchen Gründen der Kläger diese nicht wahrgenommen habe, obwohl solche Angaben in einem Gesundheitszeugnis nichts zu suchen hätten und offensichtlich nur gemacht worden seien, um den Eindruck des Gutachters wiederzugeben, dass der Kläger mit einer Begutachtung nicht einverstanden gewesen sei, was unzutreffend sei. Der Zweifel an der Objektivität werde verstärkt durch die Ausführungen auf Seite 3 unter 1.3 des Gutachtens, wonach sämtliche Begutachtungstermine durch, aus amtsärztlicher Sicht, persönlichkeitsbedingten Widerstand und Überheblichkeit, sich selbst auf simple dienstrechtliche Auflagen der Begutachtung einlassen zu können, erheblich in ihrem Ablauf sowie der Durchführung beeinträchtigt gewesen seien. Zudem nehme der Gutachter Bezug auf einen Begutachtungstermin im Jahr 2016, welcher für die aktuelle Begutachtung keine Relevanz haben könne.
15
Weiter würden die Schilderungen des Amtsarztes zeigen, dass dieser die Sachlage wohl nicht verstanden habe, zumindest die Argumentation des Klägers verkannt habe und so falsche Schlüsse in Bezug auf die von ihm gestellte Diagnose gezogen habe.
16
Der Gutachter habe sich lediglich mit einigen Punkten, die ihm im Verhalten des Klägers aufgefallen seien, befasst. Danach habe er sich über einige dienstrechtliche Fragen mit dem Kläger unterhalten, ohne über den Hintergrund der jeweiligen Problematik ausreichend informiert zu sein. Eine wirkliche Exploration des Klägers habe nicht stattgefunden. Von einer Persönlichkeitsakzentuierung nach ICD-10 Z 73 könne nur dann ausgegangen werden, wenn bereits in der Jugend entsprechende Symptome hervorgetreten seien. Eine solche Untersuchung, ob dies auch beim Kläger der Fall gewesen sei, habe der Gutachter jedoch unterlassen. Dies zeige zudem die fehlende notwendige Fachkompetenz des Gutachters. Tatsächlich seien beim Kläger in der Vergangenheit solche Symptome nicht aufgetreten, wie sich aus der Personalakte entnehmen lasse, da er stets hervorragende dienstliche Beurteilungen erhalten habe.
17
Auch habe die Beklagte nicht nach einer anderen Verwendungsmöglichkeit für den Kläger gesucht.
18
Der Hilfsantrag unter Nr. II. sei begründet, da dem Kläger für den Monat Mai 2020 noch sein volles Gehalt zustehe, da die Zustellung des Bescheides vom 30. April 2020 erst am 2. Mai 2020 erfolgt sei. Die Beklagte könne die Zustellung mittels einen Boten am 30. April 2020 durch Einlegung in den Briefkasten nicht nachweisen, da kein Empfangsbekenntnis oder Datum der Zustellung auf dem Umschlag vermerkt worden sei. Eine Heilung solcher Zustellungsmängel sei zwar möglich. In diesem Fall gelte die Sendung als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem sie dem Empfänger tatsächlich zugegangen sei. Um den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs zu ermitteln sei auf § 130 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zurückzugreifen. Zugegangen sei die Erklärung dann, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt sei, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit habe, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Bei Benutzung von bereitgehaltenen Einrichtungen wie Briefkästen, Postfächern und ähnlichem sei der Zugang erst vollendet, wenn die Kenntnis durch den Empfänger möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten sei. Da der Kläger seine Post üblicherweise bis spätestens ca. 13:00 Uhr erhalte, sei nach der Verkehrsanschauung nur zu erwarten, dass er bis etwa zu diesem Zeitpunkt seinen Briefkasten überprüfe, ob eine Sendung für ihn eingegangen ist. Der Bescheid sei, laut Behördenakte, erst um 15:32 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingelegt worden, sodass der Kläger von diesem erst am 2. Mai 2020 Kenntnis erhalten habe.
19
Der Hilfsantrag unter Nr. III. sei begründet, da dem Kläger ab Juni 2020 der in Art. 66 Abs. 2 Satz 3 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) geregelte Betrag zustehe.
20
Demgegenüber hat die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
22
In der mündlichen Verhandlung am 28. März 2023 ist durch Einvernahme des Amtsarztes Y. als sachverständiger Zeuge Beweis erhoben worden.
23
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 28. März 2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

24
Die Klage hat teilweise Erfolg. Sie ist im Hauptantrag zulässig, jedoch unbegründet. Die Klage ist in den Hilfsanträgen zulässig und begründet.
25
1. Die zulässige Anfechtungsklage im Hauptantrag ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagte vom 30. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
26
a) Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Ruhestandsversetzungsverfügung ist § 26 Abs. 1 Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz/BeamtStG) i.V.m. Art. 66 Abs. 2 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG).
27
Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG sind Beamtinnen und Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Als dienstunfähig kann nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten bleibt, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Hierzu bestimmt Art. 65 Abs. 1 BayBG, dass Beamtinnen und Beamte auch dann als dienstunfähig im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG angesehen werden können, wenn sie infolge einer Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst geleistet haben und keine Aussicht besteht, dass sie innerhalb von weiteren sechs Monaten wieder voll dienstfähig werden.
28
Für die Rechtmäßigkeit der Ruhestandsversetzungsverfügung kommt es materiell-rechtlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1, juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 12.8.2005 – 3 B 98.1080 – juris Rn. 37; VG München, U.v. 13.2.2019 – M 5 K 17.3644 – juris Rn. 24).
29
Zur Beurteilung der Dienstfähigkeit müssen die gesundheitsbedingten Leistungsbeeinträchtigungen festgestellt und deren prognostische Entwicklung bewertet werden. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkunde, über die nur ein Arzt verfügt. Die Notwendigkeit, einen Arzt hinzuzuziehen, bedeutet aber nicht, dass diesem die Entscheidungsverantwortung für die Beurteilung der Dienstfähigkeit übertragen werden darf. Vielmehr wird der Arzt als Sachverständiger tätig, auf dessen Hilfe der Dienstherr angewiesen ist, um die notwendigen Feststellungen treffen zu können. Der Dienstherr muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1, juris Rn. 18).
30
Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beamte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist, kommt der Behörde kein gerichtsfreier Beurteilungsspielraum zu. Vielmehr handelt es sich um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, der gerichtlich voll überprüfbar ist. Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt somit nicht nur, ob der Sachverhalt hinreichend sorgfältig ermittelt wurde, sondern auch, ob der ermittelte Sachverhalt die Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit rechtfertigt. Aus diesem Grund sind die Feststellungen oder Schlussfolgerungen aus ärztlichen Gutachten vom Gericht – in den Grenzen der erforderlichen Sachkenntnis – nicht ungeprüft zu übernehmen, sondern selbstverantwortlich zu überprüfen und nachzuvollziehen (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1, juris Rn. 17; OVG Saarl, U.v. 24.4.2012 – 2 K 984/10 – juris Rn. 49; OVG NW, U.v. 22.1.2010 – 1 A 2211/07 – juris Rn. 37).
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die angefochtene Ruhestandsversetzungsverfügung zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses rechtlich nicht zu beanstanden.
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aa) Die streitgegenständliche Ruhestandsversetzung leidet nicht an formellen Mängeln. Insbesondere stimmte der Personalrat am 29. April 2020 der Ruhestandsversetzung zu (Art. 76 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Satz 3 des Bayerischen Personalvertretungsgesetzes/BayPVG).
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bb) Auch in materieller Hinsicht ist gegen die Ruhestandsversetzungsverfügung nichts zu erinnern. Das der Verfügung zugrundeliegende Gesundheitszeugnis vom 13. Dezember 2019 ist plausibel und widerspruchsfrei. Insbesondere entspricht es den formalen Vorgaben und bildet eine auch für das Gericht nachvollziehbare Grundlage des Dienstherrn für die Ruhestandsversetzung des Klägers.
34
(1) Nach Abschnitt 8 Nr. 1.4.1 der Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht (VV-BeamtR) vom 13. Juli 2009 (FMBl S. 190) (in der hier maßgeblichen Fassung zum Zeitpunkt des Ergehens der streitgegenständlichen Ruhestandsversetzung), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 17. September 2021 (BayMBl. Nr. 718), stellt das amtsärztliche Zeugnis die Grundlage für die Entscheidung des Dienstherrn über die Ruhestandsversetzung des Beamten dar (Nr. 1.8 VV-BeamtR). Nach Nr. 1.4.1 Sätze 1 und 2 VV-BeamtR soll das amtsärztliche Zeugnis zur Frage der Dienstfähigkeit bei Ruhestandsversetzungen dem Dienstvorgesetzten eine umfassende Entscheidungsgrundlage zur Erfüllung ihrer oder seiner Aufgaben geben. Es hat daher neben Aussagen zur Dienstfähigkeit zusätzliche Angaben, insbesondere über geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit und zur gesundheitlichen Eignung der oder des Untersuchten für die bisherige Tätigkeit und mögliche anderweitige, insbesondere die von der oder dem Dienstvorgesetzten beschriebenen Verwendungsmöglichkeiten zu enthalten. In Nr. 1.4.2.3 VV-BeamtR ist angegeben, dass regelmäßig alle ärztlichen Erkenntnisse erforderlich sind, deren Kenntnis für den Dienstvorgesetzten notwendig ist, um die Entscheidung über die Ruhestandsversetzung begründen zu können.
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(2) Das Gesundheitszeugnis vom 13. Dezember 2019 entspricht diesen durch die einschlägige Verwaltungsvorschrift vorgegebenen Anforderungen.
36
Dort ist festgehalten, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen anhaltend in einem Ausmaß vorhanden seien, dass der Kläger die im Tätigkeitsprofil gestellten Anforderungen nicht mehr erfüllen könne. Es verbleibe keine Leistungsfähigkeit, auch nicht für mindestens die Hälfte der regulären Arbeitszeit oder eine anderweitige Tätigkeit. Auf Grund des unbehandelten bzw. kaum behandelten Verlaufes der jahrelangen Erkrankung sei keine weitere Behandlungsmaßnahme erfolgsversprechend. Es bestehe eine dauerhafte Dienstunfähigkeit. Es bestünden auch keine anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten, aus gutachterlicher Sicht müsse dauernde Dienstunfähigkeit festgestellt werden.
37
Mit den Inhalten des Gesundheitszeugnisses sind auch die Voraussetzungen für eine Ruhestandsversetzung in materieller Hinsicht hinreichend umschrieben. Das Gesundheitszeugnis ist plausibel und nachvollziehbar, sodass die Personalverwaltung auf dieser Grundlage entscheiden konnte, ob der Beamte zur Erfüllung der Dienstpflichten seines (abstrakt-funktionellen) Amtes dauernd unfähig ist. Es teilt nicht nur das Untersuchungsergebnis mit, sondern enthält auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die zu treffende Entscheidung erforderlich ist. Es liefert auch in medizinischer Hinsicht die erforderlichen tatsächlichen Grundlagen dafür, dass der Dienstherr darüber entscheiden kann, ob der Beamte anderweitig auf einem anderen (und ggf. wie beschaffenen) Dienstposten verwendbar ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2017 – 2 A 5/16 – DRiZ 2018, 148, juris Rn. 23 m.w.N.).
38
(3) Der Amtsarzt hat im Rahmen seiner Einvernahme als sachverständiger Zeuge in der mündlichen Verhandlung sowie den im amtsärztlichen Gutachten getroffenen Schlussfolgerungen nachvollziehbar und plausibel geschildert, dass der Kläger auf Grund der Persönlichkeitsakzentuierung dauernd dienstunfähig ist. So hat der Gutachter zunächst ausgeführt, dass bei einer Persönlichkeitsakzentuierung in der Regel die Dienstfähigkeit nach wie vor gegeben sei. Weiter hat der Gutachter nachvollziehbar dargestellt, dass der Kläger „Groll“ gegen seinen Dienstherrn hege und starr eine bestimmte Forderungshaltung gegenüber dem Dienstherren insbesondere hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Beschäftigung bzw. der entsprechenden Stellung habe. Auf Grund der bisher hohen Fehlzeiten und der bestehenden expansiven Persönlichkeitsakzentuierung nach amtsärztlichem Dafürhalten davon auszugehen sei, dass bei Fortgang der Dinge die erheblichen Krankheitszeiten weiterbestehen würden. Weiter sei die Dienstunfähigkeit darin begründet, dass der Kläger aufgrund seiner starren Vorstellungen ein „herablassendes“, „arrogantes“ und „überhebliches“ Verhalten gegenüber Mitarbeitern und anderen Mitmenschen an den Tag lege, sodass eine Zusammenarbeit im Rahmen eines regulären Dienstbetriebes nicht möglich sei. Der Kläger gehe bei geringsten Anlässen, die gegen seine starren Vorstellungen gerichtet seien, nach außen gerichtet – gegen andere Mitmenschen – vor, sogenanntes „expansives oder konflikthaftes Verhalten“. Im Rahmen einer Persönlichkeitsakzentuierung sei das bisherige Verhalten der am besten fassbare Prädikator für zukünftiges Verhalten, sodass beim Kläger eine Dienstunfähigkeit vorliege.
39
(4) Das Gericht sieht den Einwand der Klagepartei, dass der Gutachter voreingenommen gewesen sei und kein neutrales Gutachten erstellt habe und er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden müsse, als nicht durchgreifend an.
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Ein Ablehnungsgesuch nach Art. 65 Abs. 1 Satz 2 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) i.V.m. § 406 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist fristgerecht im behördlichen Verfahren bei der Verwaltungsbehörde anzubringen. Wurde das versäumt, ist ein entsprechender Ablehnungsantrag in einem sich anschließenden Gerichtsverfahren nicht mehr möglich (BVerwG, B.v. 24.5.1991 – 7 B 148/90 NVwZ 1991, 1187, juris Rn. 4). Ist der Ablehnungsgrund erst aus dem schriftlichen Gutachten erkennbar – wie vorliegend von der Klagepartei dargestellt – ist der Ablehnungsgrund entsprechend § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO „unverzüglich“ im Sinn von § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB – das heißt ohne schuldhaftes Zögern – geltend zu machen (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 98 Rn. 28 zu der vergleichbaren Situation eines Gutachters im verwaltungsgerichtlichen Verfahren). Vorliegend hat die Klagepartei im Rahmen der Anhörung sowie im Widerspruchsverfahren zur Ruhestandsversetzung lediglich vorgetragen, dass einseitig von einem eigentlich zur Neutralität verpflichteten Amtsarzt falsche Behauptungen aufgestellt worden seien und pünktliches Erscheinen in Abrede gestellt worden sei. Dies stellt – ebenso wie der zudem verfristete Antrag im Schriftsatz der Klagepartei vom 27. Oktober 2020 – keinen glaubhaft gemachten Antrag (Art. 65 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 406 Abs. 3 i.V.m. § 294 ZPO) hinsichtlich einer Besorgnis des Befangenheit des Gutachters dar.
41
Ungeachtet dessen gehen die Ausführungen der Klagepartei, welche die Voreingenommenheit des Gutachters belegen sollen, ins Leere. Der Gutachter hat im Rahmen seiner Einvernahme als sachverständiger Zeuge in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und plausibel geschildert, dass sich beim Kläger selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine Begutachtungssituation für den zu Begutachtenden immer eine Stresssituation sei diesbezüglich ein persönlichkeitbedingter Widerstand und Überheblichkeit als Charakterzug seiner Persönlichkeit dargestellt habe. Die Vorfälle vor der Begutachtung, namentlich eine kurzfristige Terminabsage sowie das Scheitern eines weiteren Termins auf Grund des Auftretens des Klägers und dessen Forderungshaltung gegenüber dem Amtsarzt bezüglich der Ausgestaltung und Durchführung der Begutachtung, welche letztlich dazu führte, dass der Abteilungsleiter den Kläger gebeten habe das Landratsamt zu verlassen, zeigt nachvollziehbar die vom Gutachter beschriebenen Charakterzüge. Der Einwand der Klagepartei, dass sich aus den Ausführungen dazu, welche Termine zur Begutachtung angeboten und aus welchen Gründen der Kläger diese nicht wahrgenommen habe, sowie aus den Ausführungen auf Seite 3 unter 1.3 des Gutachtens, wonach sämtliche Begutachtungstermine durch, aus amtsärztlicher Sicht, persönlichkeitsbedingten Widerstand und Überheblichkeit, sich selbst auf simple dienstrechtliche Auflagen der Begutachtung einlassen zu können, erheblich in ihrem Ablauf sowie der Durchführung beeinträchtigt gewesen seien, eine Voreingenommenheit des Gutachters ergebe, dringt nicht durch. Der Gutachter hat wie oben dargestellt nachvollziehbar geschildert, dass diese Verhaltensweisen Teil eines Charakterzuges des Klägers sind und somit Relevanz für das Ergebnis der Feststellung einer Persönlichkeitsakzentuierung haben. Ausführungen zu diesen Tatsachen im Gutachten sind deshalb nicht fernliegend, da sie Ausprägungen des Krankheitsbildes sein könnten und beim Kläger laut Gutachter auch seien, sodass sich daraus kein Schluss auf eine Voreingenommenheit des Gutachters ergibt.
42
Auch dem Einwand des Klägers, dass der Gutachter Bezug auf einen Begutachtungstermin im Jahr 2016, welcher für die aktuelle Begutachtung keine Relevanz haben könne, Bezug nehme was seine Voreingenommenheit belege, ist nicht zu folgen. Bereits im Jahr 2016 lag beim Kläger eine Persönlichkeitsakzentuierung vor, sodass der Rückgriff des Gutachters auf persönliche Eindrücke, die dieser in der Vergangenheit gesammelt hat, keine Voreingenommenheit begründen können, sondern zur Ermittlung bzw. Feststellung einer andauernden Persönlichkeitsakzentuierung beitragen können.
43
(5) Der weitere Einwand, der Amtsarzt habe den Sachverhalt nicht umgehend berücksichtigt und verfüge nicht über die erforderliche Fachkompetenz, da von einer Persönlichkeitsakzentuierung nach ICD-10 Z 73 nur dann ausgegangen werden könne, wenn bereits in der Jugend entsprechende Symptome hervorgetreten seien, was beim Kläger nicht der Fall sei und wonach der Gutachter sich nicht erkundigt habe, trifft ebenfalls nicht zu. Der Gutachter hat im Rahmen seiner Einvernahme als sachverständiger Zeuge in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und plausibel geschildert, dass eine Persönlichkeitsakzentuierung zwar bereits in der Jugend angelegt sei, die entsprechenden Charakterzüge sich aber erst im Laufe der Zeit entwickelten und dies je nach Situation unterschiedlich stark ausgeprägt sein könne. Weiter führte der Amtsarzt nachvollziehbar aus, dass für die Frage der Feststellung der Dienstunfähigkeit nur der „status quo“ maßgeblich sei, weshalb er sich bei der Begutachtung hierauf fokussiert habe. Das von der Klagepartei angeführte Protokoll einer Aussage eines Sachverständigen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im Jahr 2015, in welchem der dortige Sachverständige ausführt, dass eine Persönlichkeitsstörung im Jugendalter oder frühen Erwachsenenalter nachweisbar sein müsse, steht hierzu nicht in Widerspruch. Zum einen bezog sich diese Aussage auf eine Persönlichkeitsstörung und nicht auf eine Persönlichkeitsakzentuierung, welche laut Gutachter eine Art Vorstufe in einem laufenden Prozess zu einer Persönlichkeitsstörung darstelle. Zum anderen war in der Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im Jahr 2015 streitgegenständlich, ob der Kläger im Jahr 1988 bereits eine Persönlichkeitsstörung gehabt habe. Vorliegend ist jedoch alleine maßgeblich, ob der Kläger zum Zeitpunkt der Ruhestandversetzung dienstunfähig war, sodass die Tatsache, dass der Gutachter Nachforschungen diesbezüglich nicht angestellt hat, nicht den Schluss zulässt, dass der Gutachter von einem unzureichend berücksichtigtem Sachverhalt ausgegangen ist, oder die erforderliche Fachkompetenz nicht besitzt.
44
(6) Weiter hat die Klagepartei eingewandt, dass sich aus dem ärztlich-psychotherapeutischen Attest vom 31. Juli 2018 ergebe, dass sich der Kläger seit Juli 2014 in einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung befinde und der Gutachter dies bei Erstellung des Gutachtens nicht berücksichtigt habe. Hierzu hat der Gutachter in einer für das Gericht nachvollziehbaren Weise geschildert, dass er aus diesem Attest nur entnehmen konnte, dass eine solche Therapie beantragt und genehmigt worden sei. Ob diese tatsächlich durchgeführt worden sei, habe sich aus dem Attest vom 31. Juli 2018 nicht entnehmen lassen. Es sei üblich, dass durchgeführte Maßnahmen im Fazit eines solchen ärztlich-psychotherapeutischen Attestes angesprochen würden, was im Attest vom 31. Juli 2018 nicht der Fall sei. Auch sei es so, dass eine Persönlichkeitsakzentuierung ein Charakterzug sei und deshalb nicht therapierbar sei. Therapierbar sei alleine das Verhalten. Dies erfordere allerdings eine hochfrequente und langjährige Therapie. Nach seiner Erinnerung habe der Kläger ihm mitgeteilt, dass er fünf Wochen Psychotherapie in ambulanter Form gehabt habe und dass der Kläger in einer psychosomatischen Klinik gewesen sei, in welcher Psychotherapie angeboten werde. Dies, sowie die Tatsache, dass es beim Kläger viele Konfliktfelder gegeben habe, habe er bei Erstellung des Gutachtens berücksichtigt.
45
(7) Auch mit dem Einwand, das Gutachten sei nicht hinreichend aktuell, vermag der Kläger nicht durchzudringen. Zwar ist zwischen Begutachtung durch den Amtsarzt am 17. Oktober 2019 sowie Gutachtenserstellung am 13. Dezember 2019 und der Zurruhesetzung durch Bescheid vom 30. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 16. Juli 2020 einige Zeit vergangen. Jedoch hat der Kläger im Nachgang zu der Untersuchung dem Dienstherrn keinen Anlass gegeben, dass dieser von einer Besserung und Wiederherstellung der Dienstfähigkeit ausgehen musste und ein aktuelleres Gutachten hätte einholen müssen. Weder im Anhörungsschreiben vom 8. April 2020 noch im Widerspruchsschreiben vom 26. Mai 2020 hat der Kläger vorgetragen, dass sich sein Gesundheitszustand wesentlich gebessert habe. Auch war der Kläger an allen Tagen im Jahr 2020, bis zu seiner Ruhestandsversetzung, dienstunfähig krank, sodass eine hinreichende Aktualität des Gutachtens gegeben ist.
46
c) Auf dieser Grundlage ist die Entscheidung der Beklagten, den Kläger wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen, rechtlich nicht zu beanstanden. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Annahme einer dauernden Dienstunfähigkeit vor, hat der Dienstherr den Beamten zwingend in den Ruhestand zu versetzen (§ 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm hat die Beklagte nach dem plausiblen und nachvollziehbaren Gesundheitszeugnis vom 19. Dezember 2019 zu Recht angenommen.
47
d) Einer weiteren Beweiserhebung bedurfte es nicht. Dies muss sich dem Gericht nur aufdrängen, wenn das vorhandene Gutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder unzureichend ist, weil es grobe fachliche Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht, ungeeignet ist, weil ein anderer Sachverständiger über bessere Forschungsmittel verfügt, oder wenn Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters bzw. der Gutachterin bestehen. Das ist vorliegend – wie oben dargelegt – nicht der Fall (BVerwG, B.v. 20.2.1998 – 2 B 81/97 – juris Rn. 4; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 86 Rn. 79 f.)
48
e) Da der Beamte ausweislich des Gesundheitszeugnisses umfassend dienstunfähig ist, war auch eine Suche nach einem anderen Dienstposten oder anderen Tätigkeitsfeldern nicht erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2017 – 2 A 5.16 – DRiZ 2018, 249, juris Rn. 34).
49
2. Die Bedingung – Klageabweisung hinsichtlich Klageantrag unter I. – des hilfsweise gestellten Klageantrages unter II. ist eingetreten. Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrages unter II. zulässig und begründet.
50
Der Kläger hat für den Monat Mai 2020 Anspruch auf den Differenzbetrag zwischen dem ausgezahlten Bruttobetrag i.H.v. 3.620,96 EUR und den ihm zustehenden Bezügen aus seinem aktiven Beamtenverhältnis.
51
Der Ruhestand beginnt mit dem Ende des Monats, in dem die Verfügung über die Versetzung in den Ruhestand zugestellt worden ist (Art. 71 Abs. 3 BayBG). Nach Art. 71 Abs. 1 Satz 2 BayBG ist die Ruhestandsversetzung zuzustellen. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (BayVwZVG) i.V.m. § 180 Satz 1 ZPO sieht vor, dass eine Ersatzzustellung durch Einlegung in einen Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung möglich ist. § 180 Satz 2 ZPO sieht vor, dass mit Einlegung das Schriftstück als zugestellt gilt. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung (§ 180 Satz 3 ZPO).
52
Die Ruhestandsversetzung vom 30. April 2020 wurde dem Kläger am 2. Mai 2020 zugestellt. Die Ruhestandsversetzung wurde am 30. April um 15:32 Uhr in den Briefkasten eingelegt (Blatt 147 der Behördenakte). Das Datum der Einlegung wurde auf dem Umschlag, welcher eingeworfen wurde, nicht vermerkt.
53
In der Rechtsprechung ist zwar umstritten, welche Folgen der fehlende Vermerk über das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks hat. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass zum Schutz des Zustellungsempfängers die Nichtigkeitsfolge nicht erforderlich sei. Versäume der Zustellungsempfänger wegen eines fehlenden oder fehlerhaften Vermerks eine Frist, könne ihm bei fehlendem Verschulden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (BGH, B.v. 14.1.2019 – AnwZ (Brfg) 59/17 – juris Rn. 8 f.). Als Argument führt der Bundesgerichtshof insbesondere folgende Gesetzesbegründung an: „Fehlt der Vermerk des Zustellungsdatums oder weicht dieses von dem auf der Zustellungsurkunde ausgewiesenen Datum ab, ist die Zustellung dennoch wirksam. Das Gericht hat diesen Umstand aber bei der Prüfung, ob und wann das Schriftstück als zugestellt gilt, zu berücksichtigen“ (BT-Drs. 14/4554, S. 22 zu § 182 Abs. 2 ZPO-E). Der Bundesfinanzhof hingegen zählt den Vermerk zu den zwingenden Zustellungsvorschriften im Sinne des § 189 ZPO. Fehle dieser Vermerk, liege ein Zustellungsmangel vor, der zur Unwirksamkeit der Zustellung führe. Die Zustellung könne geheilt werden. Für diese Auslegung spreche das rechtsstaatliche Gebot einer folgerichtigen Ausgestaltung des Verfahrensrechts. Demjenigen, der Adressat einer hoheitlich betriebenen und unter Verletzung wesentlicher Formvorschriften ausgeführten Zustellung ist, dürften keine Nachteile aus der Heilung im Vergleich zu einer ordnungsgemäßen Zustellung entstehen (zum Ganzen: BFH, U.v. 28.7.2015 – VIII R 2/09 – BFHE 251, 162, juris Rn. 18; B.v. 6.5.2014 – GrS 2/13 – BFHE 244, 536, juris Rn. 65 ff.). Auch der Bundesgerichtshof führt zutreffender Weise die Gesetzesbegründung an, wonach für die Frage, wann das Schriftstück als zugestellt gilt, berücksichtigt werden müsse, dass eine Formvorschrift nicht eingehalten worden sei. Vorliegend ist lediglich der Zeitpunkt der Zustellung strittig. Zudem wird nicht der Lauf einer Frist in Gang gesetzt, in welche Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könnte, sollte die Frist versäumt werden, sondern es wurde ein Ereignis – Beginn des Ruhestandes – ausgelöst, sodass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich ist. Demzufolge ergibt sich für das Gericht, insbesondere unter Berücksichtig der Gesetzesbegründung, dass die Zustellung erst am 2. Mai 2020 erfolgt ist, da die Sendung dem Kläger erst am 2. Mai 2020 tatsächlich zugegangen ist und zu diesem Zeitpunkt eine Heilung durch tatsächlichen Zugang erfolgt ist (§ 9 des Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – BayVwZVG).
54
3. Die Bedingung – Klageabweisung hinsichtlich Klageantrag unter I. – des hilfsweise gestellten Klageantrages unter III. ist ebenfalls eingetreten. Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrages unter III. zulässig und begründet.
55
Der Kläger hat für die Monate ab Juni 2020 bis zur Unanfechtbarkeit der vorzeitigen Versetzung des Klägers in den Ruhestand Anspruch auf vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von 6,65 EUR monatlich.
56
Der Klageantrag, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger für den Zeitraum ab Juni 2020 bis zur Unanfechtbarkeit der vorzeitigen Versetzung des Klägers in den Ruhestand dessen Ruhegehalt zuzüglich der vermögenswirksamen Leistungen auszuzahlen, ist entsprechend § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Kläger lediglich die Auszahlung vermögenswirksamer Leistungen begehrt. Das Ruhegehalt wurde dem Kläger ab Juni 2020 in Höhe von 3.620,96 EUR brutto unstreitig ausbezahlt bzw. nachverrechnet, sodass das Ruhegehalt selbst – entsprechend einer sachgerechten Auslegung – nicht vom Klageantrag umfasst sein soll.
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Art. 66 Abs. 2 Satz 2 BayBG sieht vor, dass mit dem Ende des Monats, in dem die Entscheidung über die Versetzung in den Ruhestand zugestellt wird, bis zu deren Unanfechtbarkeit die das Ruhegehalt zuzüglich des Unterschiedsbetrags nach Art. 69 Abs. 2 Satz 1 BayBeamtVG übersteigende Besoldung mit Ausnahme der vermögenswirksamen Leistungen einzubehalten ist. Nach dem Wortlaut der Norm sind die vermögenswirksamen Leistungen gerade nicht einzubehalten, sodass der Kläger einen Anspruch auf Auszahlung von vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von 6,65 EUR monatlich (Art. 89 Abs. 1 Satz 1 des Bayerisches Besoldungsgesetzes/BayBesG) hat.
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4. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, da die Beklagte nur zu einem geringen Teil unterlegen ist (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO). Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, sind gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Da vorliegend die Beklagtenpartei bezogen auf das Wertverhältnis des Hauptantrages zu den beiden Hilfsanträgen nur zu einem sehr geringen Teil unterlegen ist, hält es das Gericht für angemessen, dem Kläger gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO die Kosten des Verfahrens ganz aufzuerlegen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.