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VG München, Urteil v. 24.04.2023 – M 5 K 19.33973
Titel:

Kein Verbot der Abschiebung nach Uganda wegen einer psychischen Erkrankung

Normenketten:
GG Art. 16a
AsylG § 3, § 78
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Die politische Lage in Uganda kann als relativ stabil bezeichnet werden und der ugandische Staat ist grundsätzlich schutzbereit und -fähig. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wegen eines erkrankungsbedingten Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG muss sich ein Ausländer grundsätzlich auf den Behandlungsstandard, der in seinem Herkunftsland für die von ihm geltend gemachten Erkrankungen allgemein besteht, verweisen lassen, wenn damit keine grundlegende Gefährdung verbunden ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG ist ausschlaggebend, ob eine Behandlungsmöglichkeit im Herkunftsland im Grundsatz besteht. Das ist für psychische Erkrankungen in Uganda grundsätzlich gegeben. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylklage, Uganda, Unglaubhaft, Nichtstaatliche Bedrohung, Polizei schutzbereit und –fähig, nichtstaatliche Bedrohung, Polizei, schutzbereit, schutzfähig, politische Lage, Behandlungsmöglichkeit, psychische Erkrankung, Behandlungsstandard
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 03.07.2023 – 9 ZB 23.30420
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18276

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. 

Tatbestand

1
Der 1983 geborene Kläger ist ugandischer Staatsangehöriger. Er reiste am 14. Januar 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 15. Februar 2019 einen Asylantrag.
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Bei seiner Anhörung trug der Kläger vor, dass er für eine Organisation in Uganda gearbeitet habe, die sich gegen Menschenhandel und Kinderopfer eingesetzt habe. Sie hätten sich auch für Kinder und Jugendliche in schwierigen Situationen (Prostitution, Drogenabhängigkeit) eingesetzt. Da hinter diesen Machenschaften oft Größen der Regierung stecken würde, sei der Kläger vom Regime verfolgt worden. Nur er sei attackiert worden. So sei er im Jahr 2018 auf offener Straße entführt und in ein „Safe House“ gebracht worden, wo man ihn gefoltert habe. Am 4. Mai 2018 sei ihm die Flucht gelungen. Dabei sei er angeschossen worden. Er habe in ein Krankenhaus fliehen können und sei dann zu seiner Schwester gegangen. Er sei ein zweites Mal zusammen mit einer Gruppe der Organisation angegriffen worden, die Gruppe habe sich aber befreien können. Ein entführtes Mädchen sei zu ihrer Familie zurückgebracht worden, ein Teil der Menschenhändler sei verhaftet worden.
3
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2019 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte die Klagepartei auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde die Abschiebung nach Uganda oder in einen anderen Staat, in den eingereist werden darf oder der zur Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Am 5. November 2019 hat die Klagepartei Klage erhoben und beantragt,
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1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Oktober 2019 wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen und mich als Asylberechtigten anzuerkennen.
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3. Hilfsweise:
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Die Beklagte wird verpflichtet, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
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5. Hilfsweise:
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Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) bestehen.
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Die Beklagte hat die Akte vorgelegt und keinen Antrag gestellt.
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Ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines früheren Bevollmächtigten wurde mit Beschluss vom 15. Oktober 2021 abgelehnt.
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Am 19. April 2023 fand mündliche Verhandlung statt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren, die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift vom 19. April 2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Kläger hat kein Verfolgungs- oder Lebensschicksal geschildert, das die Anerkennung als Asylberechtigte (Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes/GG) bzw. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 des Asylgesetzes/AsylG) rechtfertigen würde.
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a) Der vom der Kläger geschilderte Vortrag, er sei als Mitglied einer Organisation, die sich gegen Menschenhandel und Kinderopfer eingesetzt habe, verfolgt, entführt und angeschossen worden, ist unglaubhaft.
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So hat der Kläger das zentrale Element seiner Verfolgungsgeschichte, die Haft in einem „safe-house“ und die anschließende Flucht in der mündlichen Verhandlung stark abweichend gegenüber seiner Einlassung beim Bundesamt angegeben. Während er beim Bundesamt angegeben hat, ihm sei am 4. April 2018 am Morgen gegen 5 Uhr die Flucht gelungen, gab er in der mündlichen Verhandlung an, dass er gegen Abend aus einem Auto habe fliehen können, als er zu einer Versorgung seiner Wunden gebracht werden sollte. Das sei im April 2018 gewesen. Zudem hat der Kläger eine angebliche Bestätigung der Behandlung der auf der Flucht erlittenen Schusswunde eines Krankenhauses (datiert auf den 8.1.2019) vorgelegt, nach dem er am 3. Mai 2018 wegen einer Schussverletzung dort behandelt worden sein soll. Das lässt sich mit den Angaben des Klägers weder beim Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung vereinbaren. Der Vortrag des Klägers hierzu, dass er eigentlich Luganda spreche, sowie dass die Übersetzung bei der Anhörung schlecht gewesen sei, greift nicht durch. Denn die Widersprüchlichkeiten betreffen zentrale Dinge wie das Datum, die Tageszeit sowie die Umstände der Möglichkeit zur Flucht (Bundesamt: Flucht bei Toilettengang am Morgen, mündliche Verhandlung: Flucht aus einem Auto am Abend auf dem Weg zu einer Behandlung). Das kann nicht nur auf Verständigungsschwierigkeiten beruhen, denn diese Umstände betreffen den Kern seiner Verfolgungsgeschichte. Zudem hat der Kläger im Anhörungsprotokoll (Bl. 100 der Bundesamtsakte) ausdrücklich angegeben, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe, das Protokoll wurde ihm auch rückübersetzt. Auch hat er im Kontrollbogen (Bl. 101 der Bundesamtsakte) die Vollständigkeit und Richtigkeit der Niederschrift ein weiteres Mal bestätigt. Irgendwelche Unstimmigkeiten sind vom Kläger nicht vorgetragen worden, auch nicht zeitnah nach der Anhörung.
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Zudem ist es unplausibel, dass angeblich staatliche Stellen hinter den vom Kläger geschilderten Verfolgungsmaßnahmen stecken sollten. Denn einerseits will der Kläger mit der Polizei zusammengearbeitet haben, wobei auch eine bedeutende Menschenhändlerin gefasst worden sein soll (vom Kläger in der mündlichen Verhandlung als „dicker Fisch“ bezeichnet). Dann ist es aber unlogisch, wenn der Kläger andererseits von staatlichen Institutionen verfolgt würde.
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Soweit eine private – kriminelle – Verfolgung vorliegen würde, was aber aufgrund der massiven Widersprüchlichkeiten unglaubhaft ist, ist darauf zu verweisen, dass der ugandische Staat grundsätzlich schutzbereit und -fähig ist (Länderinformationsblatt Uganda des Österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Juli 2017, S, 7 ff. -trotz Korruption). Nach dem Länderinformationsblatt Uganda des Österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Juli 2017 (S. 6 f.) kann die politische Lage in Uganda als relativ stabil bezeichnet werden.
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Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass ein Mann aus Uganda geschickt worden sei, um ihn hier zu suchen, folgt daraus nichts, was eine asylerhebliche Verfolgungsgefahr begründen könnte. Von diesem Mann geht keine unmittelbare Gefahr für den Kläger aus, da der Kläger diesen Mann aufgesucht hat und der Kläger hierzu lediglich angegeben hat, dass er den Kontakt zu diesem abgebrochen habe, da er „gegen ihn“ sei.
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b) Die Voraussetzungen für das Vorliegen von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes/AufenthG liegen nicht vor.
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Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erkrankungsbedingtes Abschiebungshindernis nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Gefahr muss zudem konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – BVerwGE 142, 179, juris Rn. 34 m.w.N.; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – juris). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes liegt nicht schon dann vor, wenn von einer Heilung der Erkrankung im Zielland der Abschiebung wegen der dortigen Verhältnisse nicht auszugehen ist, die Erkrankung sich aber auch nicht gravierend zu verschlimmern droht. Das Abschiebungsverbot dient nämlich nicht dazu, dem ausreisepflichtigen erkrankten Ausländer die Heilung seiner Erkrankung im Rahmen des sozialen Systems der Bundesrepublik Deutschland zu eröffnen; vielmehr stellt es alleine den Schutz vor einer gravierenden Beeinträchtigung von Leib und Leben im Zielland einer Abschiebung oder Rückkehr sicher. Der Ausländer muss sich grundsätzlich auf den Behandlungsstandard, der in seinem Herkunftsland für die von ihm geltend gemachten Erkrankungen allgemein besteht, verweisen lassen, wenn damit keine grundlegende Gefährdung verbunden ist (OVG NRW, B.v. 15.9.2003 – 13 A 3253/03.A – juris). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat gleichwertig ist mit derjenigen in der Bundesrepublik Deutschland (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
24
Rechtlich ausschlaggebend ist, ob eine Behandlungsmöglichkeit im Grundsatz besteht. Das ist für psychische Erkrankungen in Uganda grundsätzlich gegeben. In Uganda wird ein großer Teil der psychiatrischen Versorgung durch die beiden Referenzkliniken in K. gewährleistet. Im Universitätskrankenhaus M. (50 Betten) und im psychiatrischen Krankenhaus B. (550 Betten) werden Patienten ambulant und stationär versorgt. Des Weiteren gibt es 13 regionale Referenzkrankenhäuser mit einer Kapazität von 337 Betten für die psychiatrische Versorgung. Daneben gibt es eine Reihe ambulanter Behandlungseinrichtungen. Die Abgabe von Medikamenten ist seit 2001 im staatlichen Gesundheitssystem kostenfrei. Allerdings werden Medikamente häufig im Krankenhaus „unter der Hand“ an Patienten verkauft. In kirchlichen Einrichtungen sind Medikamente weiterhin kostenpflichtig. Patienten kaufen Medikamente auch privat in Apotheken (vgl. zum Ganzen: Rukat, Diagnostische Praxis und Verschreibungsmuster in psychiatrischen Kliniken in Uganda, Dissertation, Berlin 2015, S. 6 – 11, im Internet allgemein verfügbar unter: https. …d-nb.info/1075493366/ 34).
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Die vom Kläger mit fachärztlichem Arztbrief vom 6. April 2023 attestierte rezidivierende depressive Störung – gegenwärtig mittelgradige Episode – sowie posttraumatische Belastungsstörung, die mit Medikamenten behandelt wird, wobei eine Psychotherapie empfohlen ist, kann daher auch in Uganda behandelt werden. Das gilt auch für die chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren im Stadium III (Ärztliches Attest vom 30.3.2023, ebenso bereits Arztbrief vom 26.4.2022), die ebenfalls medikamentös behandelt wird. Da der Kläger seine wirtschaftliche Existenz vor seiner Ausreise in Uganda ohne weiteres sichern konnte, ist ihm bei einer Rückkehr die Aufbringung der Behandlungskosten in Uganda zumutbar.
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c) Es sind daher auch keine Gesichtspunkte ersichtlich, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnten. Zur weiteren Begründung wird auf den Bescheid vom 25. Oktober 2019 verwiesen (§ 77 Abs. 2 Asylgesetz/AsylG).
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2. Auch gegen die Rechtmäßigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG bestehen keine Bedenken.
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Zur weiteren Begründung wird auf den Bescheid des Bundesamtes verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
29
3. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
30
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.