Titel:
Keine unmittelbar bevorstehende Eheschließung im Bundesgebiet
Normenketten:
EMRK Art. 12
GG Art. 6
VwGO § 123
AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 60a
PStG § 12 Abs. 1 S. 1, § 13 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1
Leitsatz:
Eine unmittelbar bevorstehende Eheschließung im Bundesgebiet ist anzunehmen, wenn das zuständige Standesamt zeitnah einen Eheschließungstermin bestimmt hat oder ein solcher jedenfalls verbindlich bestimmbar ist, etwa weil das zuständige Standesamt den Eheschließungstermin als unmittelbar bevorstehend bezeichnet hat. Gleiches gilt, wenn das mit der Anmeldung nach § 12 Abs. 1 S. 1 PStG in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehevoraussetzungen gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 S. 1 PStG durch Positivmitteilung des Standesamtes erfolgreich beendet wird und die sechsmonatige Frist des § 13 Abs. 4 S. 3 PStG noch nicht abgelaufen ist (BayVGH BeckRS 2021, 12493). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Aufenthaltserlaubnis, Verlöbnis, Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung), Eheschließungstermin, unmittelbar bevorstehende Eheschließung, Prüfung der Ehevoraussetzungen, Standesamt, Eheschließungsfreiheit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 10.08.2023 – 10 CE 23.1340
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18262
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,-- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin zu 1., nach eigenen Angaben eine vietnamesische Staatsangehörige, reiste am ... mit einem vom 4. Juni 2023 bis zum 27. Juni 2023 gültigen Schengen-Visum auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein.
2
Mit Schreiben vom 21. Juni 2023 wandte sich ihr Bevollmächtigter an das Landratsamt … (Landratsamt) und beantragte für die Antragstellerin zu 1. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre, hilfsweise für ein Jahr, weiter hilfsweise für sechs Monate. Es wurde vorgebracht, dass sich die Antragstellerin zu 1. mit einem deutschen Staatsangehörigen, dem Antragsteller zu 2., verlobt habe und mit ihm in … zusammenlebe. Ausreichender Wohnraum und ausreichendes Einkommen des Antragstellers zu 2. seien vorhanden. Es habe bei der Antragstellerin zu 1. nach deren Einreise als Touristin ein Sinneswandel stattgefunden, weshalb sie nicht mehr nach Vietnam zurückkehren werde.
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Am 26. Juni 2023 ließen die Antragsteller durch ihren Prozessbevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München der Sache nach beantragen,
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den Antragsgegner im Rahmen einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin zu 1. eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, hilfsweise bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über ihren Antrag keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durchzuführen.
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Zur Begründung wird vorgebracht, dass sich die Antragstellerin zu 1. nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet mit dem Antragsteller zu 2. verlobt habe. Die Antragsteller hätten beim Standesamt ein Verfahren zur Eheschließung initiiert, ein Termin zur Eheschließung stehe allerdings noch nicht fest. Der Antragsteller zu 2. verfüge über Immobilieneigentum und könne jederzeit eine Erklärung über die Nichtbeantragung von Sozialleistungen durch die Antragstellerin zu 1. unterzeichnen. In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt, dass eine Durchführung des Visumverfahrens mit Art. 6 GG nicht vereinbar sei, zumal Visaverfahren derzeit noch länger andauern würden als vor Beginn des Ukraine-Krieges. Vorgelegt wurden unter anderem ein Auszug aus einem notariellen Kaufvertrag des Antragstellers zu 2. über ein Grundstück in … in Kopie sowie Entgeltbescheinigungen für den Antragsteller zu 2..
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Das Landratsamt teilte mit Schreiben vom 4. Juli 2023 mit, dass behördlicherseits keine weiteren Unterlagen vorlägen. Daher könne keine Behördenakte übersandt werden. Es wurde auf das Erfordernis der Durchführung eines Visumverfahrens verwiesen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Mangels Eheschließung seien die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt. Die Ausreise der Antragstellerin zu 1. zur Nachholung des Visumverfahrens sei aus Sicht des Landratsamts möglich und zumutbar.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
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Der Antrag ist lediglich teilweise zulässig, im Übrigen unbegründet.
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1. Der von den Antragstellern gestellte Hauptantrag auf Verpflichtung des Antragsgegners, der Antragstellerin zu 1. im Wege der einstweiligen Anordnung eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, bleibt ohne Erfolg.
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Dieser Antrag ist aufgrund Vorwegnahme der Hauptsache bereits unzulässig. Es ist nicht ersichtlich, dass es vorliegend im Interesse des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten wäre, diesbezüglich im Eilrechtsschutzverfahren die Hauptsache vorwegzunehmen.
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2. Der Hilfsantrag, welcher als Antrag auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung der Antragstellerin zu 1. und entsprechender Erteilung einer Duldung an diese auszulegen ist (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO), ist unbegründet.
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a) Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung durch einstweilige Anordnung den vorläufigen Zustand in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis regeln, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahr zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch, d.h. den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, als auch einen Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Sache glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
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b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt; ein Anordnungsanspruch ist nicht gegeben. Die Antragstellerin zu 1. hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht.
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Die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind im vorliegenden Fall nach summarischer Prüfung nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
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Die Antragstellerin zu 1. hat keine Umstände glaubhaft gemacht, die nahelegen würden, dass die Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen Unvereinbarkeit mit der unter den Schutz des Art. 6 GG und des Art. 12 EMRK fallenden Eheschließungsfreiheit rechtlich unmöglich ist.
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Eine derartige Unmöglichkeit setzt voraus, dass die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht. Dies ist anzunehmen, wenn das zuständige Standesamt zeitnah einen Eheschließungstermin bestimmt hat oder ein solcher jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 10 CE 16.2266 – juris Rn. 11 m.w.N.), etwa weil das zuständige Standesamt den Eheschließungstermin als unmittelbar bevorstehend bezeichnet hat (vgl. NdsOVG, B.v. 1.8.2017 – 13 ME 189.17 – juris Rn. 7 m.w.N.). Gleiches gilt, wenn das mit der Anmeldung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 PStG in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehevoraussetzungen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 PStG durch Positivmitteilung des Standesamtes erfolgreich beendet wird (vgl. Nr. 60a.2.1.1.2.1 i.V.m. Nr. 30.0.6 VwV-AufenhG) und die sechsmonatige Frist des § 13 Abs. 4 Satz 3 PStG noch nicht abgelaufen ist (BayVGH, B.v. 5.5.2021 – 10 CE 21.1228 – juris Rn. 19 ff.).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Antragstellerin zu 1. hat gemessen an den genannten Anforderungen unter keiner denkbaren Betrachtungsweise eine unmittelbar bevorstehende Eheschließung zwischen ihr und dem Antragsteller zu 2. glaubhaft gemacht.
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Die Antragstellerin zu 1. hat auch keinen Anspruch auf eine Verfahrensduldung (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 10.1.2022 – 19 CE 21.2652 – juris Rn. 10 ff.). Ein sicherungsfähiger Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besteht mangels erfolgter Eheschließung nicht.
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Die Antragstellerin zu 1. hat schließlich keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG im Ermessenswege. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Solche dringenden humanitären oder persönlichen Gründe sind vorliegend nicht ersichtlich.
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Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, 45 Abs. 1 Satz 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.1.4, 1.5, 8.1 und 8.3 des Streitwertkatalogs.