Titel:
Absehen von Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft nach dem bayerischen Aufnahmegesetz
Normenketten:
BayAufnG Art. 4 Abs. 1
AsylbLG § 1 Abs. 1 Nr. 4
Leitsatz:
Ist ein Ausländer Inhaber einer Duldung (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG) und gehört somit zu dem Personenkreis, der in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden soll, ist die Behörde grundsätzlich verpflichtet, die Unterbringung vorzunehmen, ohne dass für sie ein Ermessenspielraum besteht. Liegt dagegen kein Regelfall, sondern ein begründeter Ausnahmefall iSd Art. 4 Abs. 4 S. 1 BayAufnG vor, so ist für die Behörde ein Ermessensspielraum für ihre Entscheidung über die Gestattung des Auszugs aus einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft oder, wenn wie hier, der Betroffene noch nicht in einer solchen untergebracht ist, über das Absehen von der Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft eröffnet. (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klage (Stattgabe), Verbescheidung, Private Wohnsitznahme, Atypischer Fall, Absehen von Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft, private Wohnsitznahme, atypischer Fall
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18261
Tenor
I. Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 28. März 2022 (Ziffer 1) wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet zur Neuverbescheidung über das Absehen von der Unterbringung des Klägers in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klagepartei vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger, geb. am … … 1978, ist irakischer Staatsangehöriger. Die Kläger ist in der E…str. 23, M. … seit 1. August 2021 gemeldet.
2
Er bewohnt dort seit dem 1. August 2021 ausweislich des von ihm vorgelegten Untermietvertrages eine 2- Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad (60 m²).
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Der vom Gericht beigezogenen Ausländerakte des Klägers ist zu entnehmen:
4
Der Kläger reiste 2001 ins Bundesgebiet ein. Im Asylverfahren wurde dem Kläger die Flüchtlingsanerkennung zuerkannt. Im Jahr 2002 erhielt der Kläger erstmals eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis, die nachfolgend jeweils verlängert wurde; ab 25. November 2008 hatte der Kläger eine Niederlassungserlaubnis.
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Der Kläger wurde vom Landgericht München I zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 10 Monaten wegen Schwangerschaftsabbruchs und vorsätzlicher Körperverletzung mit Urteil vom … Juli 2016, rechtskräftig seit … Oktober 2017, verurteilt (Bl. 148ff. der beigezogenen Ausländerakte- BA-Ausl). Die Strafvollstreckung war am 28. Mai 2020 erledigt. Der Kläger unterliegt der Führungsaufsicht nach vollständiger Verbüßung der Strafe bis … Mai 2025 (vgl. BZR-Auszug vom 23.12.2022, Bl 137 BA-Ausl).
6
Die Landeshauptstadt München verfügte mit Ausweisungsbescheid vom … Mai 2018 in der Fassung vom 20. Dezember 2018 die Ausweisung des Klägers. Die Landeshauptstadt München sicherte dem Kläger gegen Klagerücknahme (M 24 K 18.2970) zu, die in Nr. 2 der Ausweisungsverfügung verfügte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots bei Nachweis der Straffreiheit auf 3 Jahre 6 Monate ab Ausreise zu verkürzen (Bl. 1227 BA-Ausl). Der Kläger nahm am 18. Januar 2019 die Klage zurück (Bl. 1230 BA-Ausl).
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Die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt München regte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Widerrufsverfahren wegen der Straffälligkeit des Klägers an. Mit Bescheid vom 6. August 2019 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Anerkennungsbescheid vom 18. Juni 2002 widerrufen und festgestellt, dass keine nationalen Abschiebungsverbote bestehen (Bl. 113, 92, 107 BA-Ausl). Dagegen hat der Kläger Rechtsmittel (Klage und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO eingelegt (M 4 S 19.33162 und M 4 K 19.33159). Infolge der Erfolglosigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO (M 4 S 19.33162) ist der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig seit 19. November 2019 [bis 28. Mai 2020 vorbehaltlich des staatlichen Strafvollstreckungsanspruchs]. Über die Anfechtungsklage (M 4 K 19.33159) wurde bislang noch nicht entschieden.
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Der Kläger hat nach Aktenlage aus der beendeten Beziehung (religiöse Verheiratung) mit der irakischen Staatsangehörigen K. K. H., mit der der Kläger bis 1. Oktober 2013 in familiärer Lebensgemeinschaft mit den gemeinsamen Kindern lebte, fünf Kinder. Für diese Kinder hat er die Vaterschaft anerkannt und mit der Kindsmutter das gemeinsame Sorgerecht. Zuletzt übte der Kläger begleiteten Umgang aus. Drei der Kinder (Mi., geb. .../2006, H., geb. .../2006, Mo., geb. .../2008) haben die irakische Staatsangehörigkeit und zwei der Kinder (F., geb. .../2011 und Ma., geb. .../2012) die irakische und deutsche Staatsangehörigkeit.
9
Aus Beziehung mit der irakischen Staatsangehörigen S. A. entstammt das Kind A., geb. .../2014, mit irakischer, marokkanischer und deutscher Staatsangehörigkeit. Die Vaterschaftsanerkennung des Klägers für dieses Kind liegt vor. Zum Sorgerecht und Umgangsrecht ist nichts bekannt. Der Kläger lebte jedenfalls mit diesem Kind bis zur Ausweisung des Klägers in keiner melderechtlich ersichtlichen familiären Lebensgemeinschaft.
10
Der Kläger wird wegen fehlender Reisedokumente seit 8. Dezember 2021, fortlaufend verlängert, zuletzt bis 24. April 2023 geduldet (Bl. 327, 344, 368, 387, 403 BA-Ausl).
11
Die ausländerrechtliche Zuständigkeit wurde am 15. Juni 2021 auf Regierung von Oberbayern – ZAB Oberbayern zwecks Vorbereitung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen und Sicherung der Ausreise rückübertragen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 ZustAuslR) ohne Veränderung der Zuweisung, Unterbringungssituation, Zuständigkeit für Vollzug der AsylbLG (vgl. Bl. 417f., 425, 428 BA-Ausl). Die Regierung von Oberbayern – ZAB leitete am 9. Januar 2023 ein PEP-Verfahren ein.
12
Der Kläger wandte sich mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 21. Februar 2022 an die Regierung von Oberbayern – ZAB Oberbayern zum Erhalt einer Bestätigung, dass die von ihm bewohnte Wohnung in der E..str. 23, M. … notwendig sei, da er seit mehreren Wochen wieder guten Umgangsrechtsausübungskontakt mit seinem Kind A. habe, außerdem die Beibehaltung der Wohnung wegen seines Gesundheitszustandes (Herzleiden, Bluthochdruck) unumgänglich sei (Bl. 434f. BA-Ausl).
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Der Kläger beantragte beim Beklagten (vertreten durch Regierung von Oberbayern, Sachgebiet 14.1.) mit Formblatt „Antrag auf Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft“ am 18. November 2021 die private Wohnsitznahme in der vorgenannten Wohnung.
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Im Schreiben vom 30. Dezember 2021 wies das für Private Wohnsitznahme zuständige Sachgebiet 14.1 der Regierung von Oberbayern den Kläger darauf hin:
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„Gemäß Art. 4 Abs. 1, Art. 1 AufnG sind Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 AsylbLG grundsätzlich verpflichtet, in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Ein Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft bzw. eine private Wohnsitznahme ist gemäß Art. 4 Abs. 3 und Abs. 5 AufnG nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich. Wir benötigen nach der ersten Prüfung des Antrags für eine Entscheidung hierüber folgende Dokumente bzw. Unterlagen (in Kopie…).“
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Der Kläger wurde aufgefordert, u.a. den Mietvertrag, einen Reisepass und Bestätigungen zu einem Arbeitsverhältnis und Gehaltsabrechnungen der letzten drei Monate vorzulegen.
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Die Ausländerbehörde erteilte auf Anfrage des Sachgebiets 14.1 der Regierung von Oberbayern ihr Einvernehmen zur Gestattung des Auszugs aus der Gemeinschaftsunterkunft und der privaten Wohnsitznahme des Klägers. Die Ausländerbehörde sandte den Formblatt-Fragebogen des Sachgebiets 14.1 der Regierung von Oberbayern „Unterbringung von Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) – Prüfung der Möglichkeit einer privaten Wohnsitznahme außerhalb einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Asylbewerber gemäß Art. 4 Abs. 3 und 4 AufnG und AMS vom 30.3.2012, AZ. V 5/6745-1/66“ mit Aufdruck der Personalien des Klägers und Angabe „Aktuelle Meldeadresse (unerlaubt privat): E…str. 23, … M. …“ ausgefüllt zurück. Die Ausländerbehörde kreuzte „ja“ an bei „Asylerstverfahren abgeschlossen“ und fügte ein „Entscheidungsdatum 18.06.2002“, kreuzte „Nein“ bei der Frage an, ob mit einer Abschiebung in absehbarer Zeit zu rechnen sei und erläuterte dazu: „fortdauernde Passlosigkeit“ und fügte zur Frage einer Verurteilung durch ein deutsches Strafgericht „Urteil vom 24.04.2017, §§ 218, 224 StGB, Freiheitsstrafe 46 Monate“ an. Weiter ist angegeben: „Betr. wirkt trotz Aufforderung zur Passbeschaffung nicht in ausreichendem Maße mit. Ernsthafte Bemühungen konnten bisher nicht nachgewiesen werden.“ Zu der Frage, ob besondere Umstände vorlägen für eine Gestattung des Auszugs wird angeführt: „Lt. anwaltlichem Schreiben benötigt der Betr. eigene Wohnräume, um das Umgangsrecht mit seinem Kind adäquat ausüben zu können.“
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Die für Leistungen nach dem AsylbLG an den Kläger zuständige Behörde der Landeshauptstadt München teilte dem Beklagten mit e-mail vom 10. März 2022 mit, dass sie das Benehmen für den Auszug in die Wohnung E…str. 23, M. … nicht erteile. Sie hätten prinzipiell nichts gegen einen Auszug einzuwenden, der Kläger sei jedoch vor Einzug darauf hingewiesen worden, dass die Wohnung zu teuer sei und er seien Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten könne. Der Kläger sei darauf hingewiesen worden, dass ab Februar 2022 die Miete nicht mehr übernommen werde und er lediglich den GU-Regelsatz nach § 3 AsylbLG erhalte. Außerdem sei die Wohnung für eine Einzelperson zu teuer und in diesem Fall nicht angemessen.
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Das Sachgebiets 14.1 der Regierung von Oberbayern hat die Ausweisungsverfügung vom 22. Mai 2018, das vorgenannte Anwaltsschreiben vom 21. Februar 2022, den Mietvertrag vorliegend, jedoch nicht die Ausländerbehördenakte des Klägers beigezogen.
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Mit Bescheid vom 28. März 2022 verfügte das Sachgebiets 14.1 der Regierung von Oberbayern gegenüber dem Kläger, die Gestattung der privaten Wohnsitznahme werde abgelehnt (Nr. 1) und forderte den Kläger auf, sich bei der Regierung von Oberbayern, Ankunftszentrum für Flüchtlinge, M2. Straße 14, ... M1. zu melden und sich in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft zuweisen zu lassen (Nr. 2). In der Bescheidsbegründung wurde ausgeführt, dass der Kläger nach § 1 AsylbLG leistungsberechtigt und daher verpflichtet sei, in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber zu wohnen (§ 50 Abs. 4, § 53 Abs. 1 Satz 1, § 60 Abs. 1 AsylG, Art. 4 Abs. 1, Art. 1 AufnG i.V.m. § 1 Abs. 1 AsylbLG). Aufgrund der Mitteilung des Sozialreferats München vom 6. Dezember 2021 wegen des Bezugs von Leistungen nach dem AsylbLG und des weitergeleiteten Antrags auf private Wohnsitznahme nach Art. 4 Abs. 5 AufnG erfolge diesbezüglich eine Prüfung über das Vorliegen der Voraussetzungen. Des Weiteren sei von Amts wegen geprüft worden, ob dem Kläger eine Gestattung der privaten Wohnsitznahme auf Grundlage des Art. 4 Abs. 3 und Abs. 4 AufnG zu erteilen sei.
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Gemäß Art. 4 Abs. 3 AufnG seien zum Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft berechtigt: Familien mit minderjährigen Kindern oder Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern bei Beendigung des behördlichen Asylerstverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Alleinstehende (Einzelpersonen) bei Beendigung des Asylerstverfahrens vor dem BAMF seit mindestens vier Jahren. Diese Auszugsberechtigung finde allerdings grundsätzlich keine Anwendung auf Straftäter oder Personen, die über ihre Identität getäuscht oder nicht hinreichend an deren Klärung mitgewirkt hätten. Dies bedeute, dass ein Auszug aus der staatlichen Gemeinschaftsunterkunft in der Regel zu versagen sei, wenn die Person
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● wegen einer oder mehrerer im Bundesgebiet vorsätzlich begangener Straftaten durch ein deutsches Strafgericht rechtskräftig verurteilt worden sei, wobei Geldstrafen von insgesamt bis 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen bei Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz nur von Ausländern begangen werden können, außer Betracht blieben,
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● vorsätzlich über ihre Identität täuscht oder nicht hinreichend an deren Klärung mitwirkt,
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● erheblich, fortgesetzt und dauerhaft gegen asylverfahrens- oder aufenthaltsrechtliche Mitwirkungspflichten verstoßen habe.
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Der Kläger erfülle die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 AufnG für die Berechtigung zur privaten Wohnsitznahme nicht. Es müsse ein Mietvertrag über eine angemessene Wohnung vorliegen. Dies sei laut Mitteilung des Sozialreferats München nicht der Fall, da die Bruttokaltmiete für die Wohnung zu hoch sei. Ein Auszug aus der staatlichen Gemeinschaftsunterkunft könne Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 AsylbLG gemäß Art. 4 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AufnG in begründeten Ausnahmefällen gestattet werden. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen nicht. Insbesondere habe der Kläger keinen Tatbestand der Fallgruppen in Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1-4 AufnG belegt. Der Unterlagenanforderung sei der Kläger nicht nachgekommen. Die Entscheidung gem. Art. 4 Abs. 5 Satz 1 AufnG und ggf. § 9 Abs. 1 DVAsyl stehe im pflichtgemäßem Ermessen. Nach Abwägung aller sich aus den vorliegenden Unterlagen ergebenden, für und gegen die Entscheidung sprechenden Gründe gegen- und untereinander habe die Gestattung insbesondere auf Grund deren Ausnahmecharakters abgelehnt werden können. Als Regelfall sehe Art. 4 Abs. 1 Satz 1 AufnG die Unterbringung von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG in Gemeinschaftsunterkünften vor. Damit solle insbesondere eine gute Erreichbarkeit der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG für die beteiligten Behörden gewährleistet werden. Bei der Entscheidung seien insbesondere auch die ausländerrechtliche, private, berufliche bzw. vermögensrechtliche Situation, die aktuelle Unterbringungssituation sowie der Forderungsstand zu den Unterkunftsgebühren laut Information der zentralen Gebührenabrechnungsstelle bei der Regierung von Unterfranken berücksichtigt worden. Auf die Bescheidsbegründung wird im Übrigen verwiesen.
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Mit Eingang am 5. April 2022 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht München erheben. In der mündlichen Verhandlung stellt der Klägerbevollmächtigten den Antrag,
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den streitgegenständlichen Bescheid vom 28. März 2022 (Ziffer 1) aufzuheben und
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den Beklagten zur Neuverbescheidung über das Absehen von der Unterbringung der Kläger in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten.
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Auf die Klagebegründung wird verwiesen.
30
Der Beklagte beantragte
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In der Klageerwiderung vom 19. April 2021 (richtig wohl 2022) hat der Beklagte die Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides vom 28. März 2022 aufgehoben. Auf die Klageerwiderung wird im Übrigen verwiesen.
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Mit Beschluss vom 5. April 2023 wurde die Entscheidung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter übertragen. Das Gericht hat die Ausländerakte des Klägers zum Verfahren beigezogen. Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird verwiesen.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Soweit die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit für erledigt erklärt haben, war das Verfahren einzustellen. Im Übrigen hat die zulässige Klage Erfolg.
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Der streitgegenständliche Bescheid vom 28. März 2022 (mit der verbliebenen Ziffer 1) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach dem gemäß § 88 VwGO auszulegenden Klagebegehren ist dieses darauf gerichtet, den Beklagten zur Neuverbescheidung über das Absehen von der Unterbringung der Kläger in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft unter Beachtung der Rechtsauffassung zu verpflichten. Der Kläger hat einen Rechtsanspruch auf Neuverbescheidung über das Absehen seiner Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).
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1. Der Antrag des Klägers auf „Gestattung des Auszugs aus der Gemeinschaftsunterkunft“, den dieser beim Beklagten stellte, ist nach vorliegender Sach- und Rechtslage als ein Antrag gerichtet auf Entscheidung bzw. Feststellung des Nichtvorliegens einer Wohnverpflichtung in der Gemeinschaftsunterkunft auszulegen.
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2. Das Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Aufnahmegesetz – AufnG) vom 24. Mai 2002, in Kraft seit 1. Juli 2002, in der Fassung vom 9. Dezember 2022 regelt
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- in Art. 1 Abs. 1 AufnG:
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„Dieses Gesetz gilt für die Aufnahme, Unterbringung und landesinterne Verteilung von Ausländern, die nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) leistungsberechtigt sind.“
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- in Art. 4 Abs. 1 AufnG:
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„Personen im Sinn des Art. 1 Abs. 1 sollen in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Satz 1 findet keine Anwendung auf Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 2und 3 AsylbLG oder solange Personen gemäß § 47 AsylbLG verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
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- in Art. 4 Abs. 3 AufnG:
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„Zum Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft berechtigt sind
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1. Familien mit mindestens einem minderjährigen Kind und Alleinerziehende mit mindestens einem minderjährigen Kind nach Abschluss des behördlichen Erstverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wenn die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist, und
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2. Personen im Sinn des Art. 1 Abs. 1 nach Ablauf von vier Jahren nach Abschluss des behördlichen Erstverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
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wenn durch den Ausländer eine anderweitige Unterkunft nachgewiesen wird, deren Aufwendungen den angemessenen Umfang nicht übersteigen und der Auszug mindestens zwei Monate vorher der zuständigen Behörde angezeigt wird. Die zuständige Behörde kann die Frist nach Satz 1 verkürzen. Familie im Sinn des Satzes 1 Nr. 1 ist die Lebensgemeinschaft von zwei Personen, die die Personensorge ausüben.“
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- in Art. 4 Abs. 4 AufnG:
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„Abs. 3 findet keine Anwendung auf
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1. Personen, die wegen einer oder mehrerer im Bundesgebiet vorsätzlich begangener Straftaten durch ein deutsches Strafgericht rechtskräftig verurteilt wurden, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben, oder
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2. Personen, die vorsätzlich über ihre Identität täuschen oder nicht hinreichend an der Klärung ihrer Identität mitwirken und hierdurch die Aufklärung ihrer Identität erheblich erschweren oder sonst erheblich, fortgesetzt und dauerhaft gegen asylverfahrensrechtliche oder aufenthaltsrechtliche Mitwirkungspflichten verstoßen haben.
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In diesen Fällen findet eine Einzelfallprüfung statt.“
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- in Art. 4 Abs. 5 AufnG:
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„In begründeten Ausnahmefällen kann die zuständige Behörde den Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft gestatten. Ein begründeter Ausnahmefall liegt insbesondere vor, wenn
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1. Krankheit die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft unzumutbar macht,
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2. auf Grund Schwangerschaft die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft unangemessen ist,
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3. Personen im Sinn des Art. 1 Abs. 1 über ein so hohes Erwerbseinkommen oder Vermögen verfügen, dass sie den gesamten Lebensunterhalt für sich oder, sofern sie eine Familie haben, ihre Familie tragen können oder
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4. Ehepartner oder Eltern und ihre minderjährigen Kinder über unterschiedliche ausländerrechtliche Status verfügen und mindestens eine Person auf Grund ihres Aufenthaltsstatus zum Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft berechtigt ist.
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Ein begründeter Ausnahmefall liegt in der Regel nicht vor bei Personen, die nicht im Besitz gültiger Pässe sind, obwohl sie in zumutbarer Weise einen Pass erlangen könnten, oder bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten nicht mitwirken. Die Gestattung ist unter dem Vorbehalt des Widerrufs zu erteilen.“
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3. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt in seinem Beschluss vom 19. November 2003, Az. 4 CS 03.2466 – juris- aus:
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a) Das Aufnahmegesetz (Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – AufnG – vom 24. Mai 2002, GVBl. S. 192) und die u.a. auf dessen Grundlage erlassene Asyldurchführungsverordnung (Verordnung zur Durchführung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Aufnahmegesetzes – DVAsyl – vom 4. Juni 2002, GVBl. S. 218) sind auf die Antragsteller anzuwenden. Als geduldete Ausländer sind sie gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG leistungsberechtigt, woran Art. 1 AufnG anknüpft.
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b) Die in der Zuweisungsentscheidung vom 8. Oktober 2003 enthaltene Umzugsaufforderung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2 AufnG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 2 DVAsyl. Danach kann der Leistungsberechtigte aus Gründen des öffentlichen Interesses aufgefordert werden, in eine andere Unterkunft oder in eine Gemeinschaftsunterkunft umzuziehen. Die materiellrechtliche Voraussetzung des öffentlichen Interesses konkretisiert der Verordnungsgeber in § 8 Abs. 5 DVAsyl dahingehend, dass er insbesondere auf die Regelung des Art. 4 Abs. 1 und 4 AufnG verweist. Dort ist die gesetzgeberische Grundentscheidung niedergelegt, dass alle Leistungsberechtigten, die sich nach dem normativen Leitbild des Gesetzes nur vorübergehend im Bundesgebiet aufhalten, „im Interesse eines landesweit einheitlichen Vollzuges“ (LT-Drs. 14/8632, S. 6) in der Regel in staatlichen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden sollen. Gemäß Art. 4 Abs. 4 AufnG kann abweichend von dieser Grundregel im begründeten Ausnahmefall der Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft gestattet werden; der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass diese „aus Kostengründen absolute Ausnahme“ wichtige Gründe voraussetzt wie z.B. Krankheit eines Familienmitglieds oder die auf Dauer gesicherte Möglichkeit der Bestreitung des Lebensunterhalts aus eigenen Mitteln (LT-Drs. 14/8632 a.a.O.).
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Formell erklärt § 8 Abs. 4 DVAsyl [a.F.; jetzt § 9 Abs. 4 DVAsyl] durch Rückgriff auf die Vorschrift des § 7 Abs. 4 Satz 2 DVAsyl [a.F.; jetzt § 7 Abs. 2 Satz 4 DVAsyl] hinsichtlich Form, Begründung und Bekanntgabe der Umzugsaufforderung die Regelungen des § 50 Abs. 4 und 5 AsylVfG für anwendbar. Danach bedarf die Anordnung weder einer vorhergehenden Anhörung noch einer Begründung. Daher geht die Rüge, die Antragsteller seien vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids nicht angehört worden, ins Leere.
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Diese spezialgesetzlichen Abweichungen von Art. 28 und 39 BayVwVfG ändern jedoch nichts an der Struktur der materiellen Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 AufnG als einer vom Gesetzgeber vorgeprägten Ermessensentscheidung: Durch die Betonung des „in der Regel“ und die verdichtete Normverknüpfung „soll“ ist die gesetzliche Rechtsfolgenanordnung für die Behörde im Regelfall rechtlich zwingend und steht einer gebundenen Anordnung gleich. Im Regelfall bedeutet das „soll“ ein „muss“. Nur bei Vorliegen atypischer Umstände darf die Behörde anders als im Gesetz vorgesehen verfahren und den Ausnahmefall nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (vgl. BVerwGE 90, 275/278; 56, 220/223; 49, 16/23); die Frage, ob ein Regel- oder Ausnahmefall vorliegt, unterliegt voller gerichtlicher Kontrolle. Sie bestimmt sich unter Beachtung des Normzwecks nach dem Gewicht der kollidierenden öffentlichen und privaten Interessen; in diese nach Verhältnismäßigkeitsaspekten gesteuerte, voll justiziable Abwägung fließen grundrechtliche Wertungen mit ein, soweit ihnen nicht bereits durch den Normgeber Rechnung getragen wurde (vgl. § 8 Abs. 6 DVAsyl [a.F.; jetzt § 9 Abs. 6 DVAsyl] zur Haushaltsgemeinschaft zwischen Ehegatten sowie Eltern und ihren minderjährigen Kindern und sonstigen humanitären Gründen von gleichem Gewicht).
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(Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 19. November 2003 – 4 CS 03.2466 –, Rn. 7 – 10, juris)
66
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt in seinem Urteil vom 23. Januar 2009, Az. 21 BV 08.30134 – juris – aus:
67
Der Kläger ist Inhaber einer Duldung (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG) und gehört somit unstreitig zu dem Personenkreis, der in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden soll. Die Behörde ist damit grundsätzlich verpflichtet, die Unterbringung vorzunehmen, ohne dass für sie ein Ermessenspielraum besteht. Liegt dagegen kein Regelfall, sondern ein begründeter Ausnahmefall im Sinn des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 AufnG vor, so ist für die Behörde ein Ermessensspielraum für ihre Entscheidung über die Gestattung des Auszugs aus einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft oder, wenn wie hier, der Betroffene noch nicht in einer solchen untergebracht ist, über das Absehen von der Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft eröffnet. Die Frage, ob der Regelfall nach Art. 4 Abs. 1 AufnG oder ein begründeter Ausnahmefall nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 AufnG vorliegt, ist dabei eine tatbestandliche Rechtsfrage, die der vollen Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt. Denn bei der Voraussetzung „begründeter Ausnahmefall“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der für die Behörde keinen Beurteilungsspielraum enthält, sondern aufgrund der gegebenen Umstände des Einzelfalls nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist.
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(Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 23. Januar 2009 – 21 BV 08.30134 –, Rn. 13, juris)
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4. Unter Zugrundelegung der vorgenannten obergerichtlichen Rechtsprechung ist bei der vorliegenden Sachlage, die sich insbesondere aus der beigezogenen Ausländerakte ergibt, vorliegend ein atypischer Fall nach Art. 4 Abs. 1 AufnG gegeben. Der Beklagte hat eine Ermessensentscheidung zu treffen über das Absehen / Nichtabsehen von der Unterbringung des Klägers in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft.
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Die Feststellung des Vorliegens eines atypischen Falls nach Art. 4 Abs. 1 AufnG trifft das Gericht in Ausübung voller gerichtlicher Kontrolle. Die Frage, ob ein Regelfall oder Ausnahmefall vorliegt, bestimmt sich unter Beachtung des Normzwecks nach dem Gewicht der kollidierenden öffentlichen und privaten Interessen; in diese nach Verhältnismäßigkeitsaspekten gesteuerte, voll justiziable Abwägung fließen grundrechtliche Wertungen mit ein, denen der Normgeber nicht, noch nicht oder nicht in diesem Umfang Rechnung getragen hat.
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4.1. Der Beklagte hat das Vorliegen eines atypischen Falls nach Art. 4 Abs. 1 AufnG nicht einmal im Ansatz erkannt. Der Beklagte hat ausgehend von der Begründung des Bescheides unter I. nicht einmal zweifelsfrei erkannt, dass der Kläger als Geduldeter nach § 1 Nr. 4 AsylbLG leistungsberechtigt ist, da er zur Wohnverpflichtung in der Gemeinschaftsunterkunft als Rechtsgrundlage „§ 50 Abs. 4, § 53 Abs. 1 Satz 1, § 60 Abs. 1 Asylgesetz“ neben Art. 4 Abs. 1, Art. 1 AufnG i.V.m. § 1 AsylbLG benennt.
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Er hat nicht erkannt, dass die in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 4 AufnG niedergelegte gesetzgeberische Grundentscheidung, dass alle Leistungsberechtigten, die sich nach dem normativen Leitbild des Gesetzes nur vorübergehend im Bundesgebiet aufhalten, auf den Kläger bereits deshalb nicht zutrifft, denn die vorliegende Fallgestaltung des Klägers ist kein Regelfall nach Art. 4 Abs. 1 AufnG; als Ausnahmefall unterliegt er deshalb der pflichtgemäßen Ermessensentscheidung der Behörde nach Art. 4 Abs. 1 AufnG über das Absehens von der Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft im Rahmen des für die Behörde bestehenden Ermessensspielraums. Der Antrag des Klägers „auf Gestattung des Auszugs aus der Gemeinschaftsunterkunft“ ist als „formloser (verzichtbarer) Antrag“ auf Absehen von der Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft im Rahmen des für die Behörde bestehenden Ermessensspielraums anzusehen.
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4.2. Die Fallgestaltung des Klägers ist kein Regelfall nach Art. 4 Abs. 1 AufnG, sondern ein atypischer Fall nach Art. 4 Abs. 1 AufnG.
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Hinsichtlich der Beurteilung des Vorliegens eines Ausnahmefalls ist allgemein zu sehen, dass sich auch aus der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Januar 2009 – 21 BV 08.30134 – juris Rn. 17 keine außergewöhnliche Schwellenhöhe ergibt.
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Zu dem nach Art. 1 AufnG dem Aufnahmegesetz unterfallenden Personenkreis der nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG Leistungsberechtigten sind bezüglich Art. 4 Abs. 1 AufnG regelhaft diejenigen Personen zu zählen, deren Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht auf einem negativ entschiedenen Asylverfahren beruht und diesem Verfahrensausgang nachfolgender Aussetzung der Abschiebung. Diesem Personenkreis gehört der Kläger nicht an. Bereits deshalb liegt im vorliegenden Fall ein Ausnahmefall vor.
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Die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht des Klägers beruht nicht auf einem negativ entschiedenen Asylverfahren und diesem Verfahrensausgang nachfolgender Aussetzung der Abschiebung. Dem Kläger war die Flüchtlingseigenschaft im Asylerstverfahren zuerkannt worden. Der Kläger ist infolge des Erlöschens seines Aufenthaltstitels gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG aufgrund bestandskräftiger Ausweisung vollziehbar ausreisepflichtig und sein Aufenthalt wird geduldet, respektive seine Abschiebung wegen fehlender Reisedokumente (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) ausgesetzt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat wegen Straffälligkeit des Klägers ein Widerrufsverfahren durchgeführt. Derzeit ist das Anfechtungsklageverfahren über den Widerrufsbescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 6. August 2019 noch offen. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Anfechtungsklage blieb ohne Erfolg.
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4.3. Bei einer Sachverhaltskonstellation, bei der die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nicht (unmittelbar) auf einem negativ entschiedenen Asylverfahren beruht und diesem Verfahrensausgang unmittelbar nachfolgend eine Aussetzung der Abschiebung getroffen wurde, ist der Beklagte ohne Beiziehung der jeweiligen Ausländerakte und Kenntnis über die Entwicklung bis zum aktuellen Sachstand und ggf. der Sachstandseinholung bei der für die Leistungsgewährung nach dem AsylbLG zuständigen Leistungsbehörde schlichtweg nicht in der Lage, die für den vorliegenden Ausnahmefall nach Art. 4 Abs. 1 AufnG anstehende Ermessensentscheidung zu treffen.
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Hinzutretend und klarstellend ist zu betonen, dass der Kläger wegen dessen Passlosigkeit bzw. fehlender Reisedokumente geduldet wird. Ob der Kläger tatsächlich und ggf. in welchem Umfang mit einem seiner Kinder sein Umgangsrecht ausübt, ist seitens des Klägers bzw. der jeweiligen Kindsmutter (ggf. des Jugendamts) nicht belegt, sondern vom Kläger nur rudimentär behauptet. Hinzuweisen ist, dass in der Ausweisungsverfügung in der dortigen Abwägungsentscheidung auch die familiären Belange des Klägers, insbesondere die Belange der minderjährigen Kinder samt deren Aufenthaltsstatus (samt Optionsstatus) unter Berücksichtigung des Kindeswohls Eingang gefunden haben. Zu sehen ist auch, dass in zeitlicher Hinsicht – bei nachzuprüfendem Bedingungseintritt der Straffreiheit des Klägers – ein Antrag des Klägers auf Beendigung des verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht aussichtslos sein könnte.
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Im Rahmen der Auswertung der Ausländerakte und Anhörung desKlägers ist zu auch ermitteln, ob der Kläger berufstätig ist und eine Finanzierung der Wohnung aus dessen Eigenmitteln erfolgt, ob und ggf. wann mit einer Abschiebung des Klägers in den Irak (ggf. auch bei Beendigung der Wirkungen des Einreise- und Aufenthaltsverbots in der Ausweisungsverfügung durch deren auf Null-Setzung) ansteht.
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5. Der Klage war mit der Kostenfolge aus § 154 VwGO stattzugeben.
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.