Titel:
Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Sicherstellung eines Führerscheins
Normenketten:
GG Art. 13, Art. 103 Abs. 1
BayVwZVG Art. 37 Abs. 3
Leitsätze:
1. Gem Art. 37 Abs. 3 S. 1 BayVwZVG sind die zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsbehörde sowie Polizeibeamte befugt, die Wohnung des Pflichtigen zu betreten sowie verschlossene Türen und Behältnisse zu öffnen. Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 2 GG, wonach Wohnungsdurchsuchungen außer in dem hier nicht einschlägigen Fall der Gefahr in Verzug nur durch den Richter angeordnet werden dürfen, ist diese Vorschrift in verfassungskonformer Auslegung um einen Richtervorbehalt zu ergänzen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar gebietet Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich die vorherige Anhörung des Vollstreckungsschuldners. Die Sicherung gefährdeter Interessen kann jedoch in besonderen Verfahrenslagen einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen ist der Betroffene auf eine nachträgliche Anhörung zu verweisen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Gerade vor einer vom Vollstreckungsgläubiger beantragten richterlichen Anordnung der Durchsuchung wird eine vorgängige Anhörung des Vollstreckungsschuldners in vielen Fällen den Vollstreckungserfolg gefährden, da die Durchsuchung gerade bezweckt, etwas aufzufinden, was der Betroffene von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will. Ob der Vollstreckungserfolg durch eine vorherige Anhörung des Schuldners gefährdet wäre, muss das Gericht im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände prüfen und entscheiden. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
4. Da die richterliche Prüfung einer Wohnungsdurchsuchung die Einhaltung der rechtlichen Grundlagen nicht für unabsehbare Zeit gewährleisten kann, ist die Durchsuchungsanordnung zu befristen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Sicherstellung eines Führerscheins, keine vorherige Anhörung, keine Zustellung an den Antragsgegner vor Durchführung der Maßnahme, Wohnungsdurchsuchung, Sicherstellung eines Führerscheins, Richtervorbehalt, gefährdeter Vollstreckungserfolg, nachträgliche Anhörung, befristete Durchsuchungsanordnung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18257
Tenor
I. Das Betreten und die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Antragsgegners mit Nebenräumen in … … … … … durch Bedienstete des Antragstellers (hier des Landratsamtes N.-Sch.) sowie der örtlich zuständigen Polizeiinspektion werden gestattet. Verschlossene Türen und Behältnisse dürfen geöffnet werden.
Die Gestattung gilt für sechs Monate ab dem Datum des vorliegenden Beschlusses und nur zum Zwecke der Sicherstellung des Führerscheins des Antragsgegners mit der Nr. … der Klasse 3.
II. Es wird festgestellt, dass Bedienstete des Antragstellers sowie der örtlich zuständigen Polizeiinspektion den Antragsgegner sowie alle Fahrzeuge, die auf ihn zugelassen sind bzw. werden, zum Zwecke der Sicherstellung des genannten Führerscheins durchsuchen dürfen.
III. Der Antragsteller wird mit der Zustellung dieses Beschlusses an den Antragsgegner beauftragt. Die Zustellung hat unmittelbar vor Durchführung der in Ziff. I gestatteten Maßnahmen zu erfolgen.
IV. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt die Gestattung zur Durchsuchung des Antragsgegners, seiner Wohnräume und seiner Fahrzeuge, um dessen Führerschein sicherzustellen.
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Die Fahrerlaubnisbehörde des Antragstellers entzog dem 1959 geborenen Antragsgegner mit Bescheid vom 16. Januar 2023, zugestellt mittels Postzustellungsurkunde am 19. Januar 2023, die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (Nr. 1) und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500 € (Nr. 4) dazu auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids bei der Behörde abzuliefern (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 3). Der Fahrerlaubnisentzug erfolgte wegen der Nichtvorlage eines ärztlichen Gutachtens zur Klärung seiner Fahreignung aufgrund von Anhaltspunkten für eine Erkrankung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV auf Grundlage des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV. Der (erneuten) Gutachtensanordnung vom 31. August 2022 (Bl. 45 ff. BA) lagen Äußerungen des Antragsgegners zugrunde, aufgrund derer der Antragsteller Anlass sah, am Realitätssinn des Antragsgegners zu zweifeln. Dieser hatte u.a. im April 2017 „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ an den Antragsteller versandt, die sich an „alle Personen, die im Auftrag für als Firmen handelnde Unternehmen der Verwaltung BRD, wie vorgebliche Regierung, Finanzamt, Gewerbeamt, Ordnungsamt, Beitragsservice, Bürgeramt, Polizei etc.“ (Bl. 7-9 BA) adressierten. Auf einen Bußgeldbescheid vom 21. April 2022 wegen Geschwindigkeitsüberschreitung notierte der Antragsgegner u.a. „Da ich ein Mensch bin und keine Haftung für die Juristische Person „A* … W* …“ übernehme. Sollten sie mir schlüssig bis zum 15. Mai 2022 nachweisen können, dass sie nicht nur eine Firma sind und somit hoheitliche Rechte besitzen, bin ich gerne bereit in Verhandlung zu treten, ansonsten wie bereits erwähnt habe ich kein Interesse. Ich anerkenne durch diese Antwort keinen einzigen Inhalt dieses Schreibens.“ (Bl. 43 BA).
3
Weil der Antragsgegner seiner Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins nicht nachkam, stellte der Antragsteller mit Bescheid vom 15. Februar 2023, zugestellt mittels Postzustellungsurkunde am 17. Februar 2023, das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 500 € fällig und drohte ihm für den Fall der Nichtabgabe des Führerscheins innerhalb einer Woche nach Zustellung dieses Schreibens die Anwendung einer Ersatzvornahme in Form unmittelbaren Zwangs durch die Polizei an (Bl. 96 BA). Nachdem auch diese Frist ergebnislos verstrichen ist, bat der Antragsteller die Polizei mit Schreiben vom 16. März 2023 um Amtshilfe zur Sicherstellung des Führerscheins (Bl. 103 BA). Die Polizeiinspektion (PI) … teilte dem Antragsteller daraufhin mit, dass aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit dem Antragsgegner davon auszugehen sei, dass eine freiwillige Herausgabe des Führerscheins nicht erfolgen werde. Die Umsetzung des Amtshilfeersuchens gefährde die Aussichten für eine erfolgreiche Wegnahme des Führerscheins zu einem späteren Zeitpunkt.
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Der Antragsgegner gab weder eine Eidesstattliche Versicherung noch seinen Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde ab.
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Der Antragsteller legte seine Verfahrensakten vor und beantragte mit Schriftsatz vom 17. Mai 2023 im Wesentlichen,
6
die Durchsuchung des Antragsgegners sowie von dessen Wohn- und Geschäftsräumen, K. Str. 11, …, einschließlich sämtlicher Nebenräume und Fahrzeuge durch Polizeibeamte und Bedienstete des Antragstellers (hier des Landratsamtes N.-Sch.) zum Zwecke der Sicherstellung des Führerscheins Nr. 6791/87 anzuordnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsgegner der im für sofort vollziehbaren Bescheid vom 16. Januar 2023 verpflichtend angeordneten Abgabe seines Führerscheins nicht nachgekommen sei. Das angedrohte und am 15. Februar 2023 festgesetzte Zwangsgeld sei erfolglos geblieben. Ersatzvornahme in Form unmittelbaren Zwangs sei angeordnet worden. Aufgrund des Gesamtumgangs des Antragsgegners mit Amtsangelegenheiten sei nicht zu erwarten gewesen, dass die erneute Festsetzung eines Zwangsgeldes Aussicht auf Erfolg haben werde, weshalb auf diesen Schritt verzichtet worden sei. Die Abgabe des Führerscheins sei notwendig, damit der Antragsgegner durch Vorzeigen des Führerscheins nicht den Rechtsschein erwecken könne, nach wie vor im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Der Antragsgegner habe etliche amtliche Schreiben ignoriert, sodass eine augenscheinliche Gefahr bestehe, dass er verbotswidrig Kraftfahrzeuge führe.
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Der Antrag wurde dem Antragsgegner weder zugestellt noch wurde er vor der Entscheidung angehört.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
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Der Antrag ist zulässig und begründet.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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1.1. Der Antrag auf Gestattung der Wohnungsdurchsuchung einschließlich der Geschäftsräume des Antragsgegners durch richterliche Anordnung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.
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Gemäß Art. 37 Abs. 3 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG – sind die zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsbehörde sowie Polizeibeamte befugt, die Wohnung des Pflichtigen zu betreten sowie verschlossene Türen und Behältnisse zu öffnen. Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 2 Grundgesetz – GG –, wonach Wohnungsdurchsuchungen außer in dem hier nicht einschlägigen Fall der Gefahr in Verzug nur durch den Richter angeordnet werden dürfen, ist diese Vorschrift in verfassungskonformer Auslegung um einen Richtervorbehalt zu ergänzen (BVerfG, B.v. 3.4.1979 – 1 BvR 994/76 – juris Rn. 24 ff.; B.v. 17.3.2009 – 2 BvR 1940/05 – juris Rn. 21).
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In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zu Art. 8 Abs. 1 EMRK (EGMR, U.v. 16.12.1992 – 72/1991/324/394 – juris Rn. 29 ff.; U.v. 16.4.2002 – 37971/97 – BeckRS 2015, 48057; EuGH, U.v. 22.10.2002 – C-94/00 – EuZW 2003, 14 – LS 1, Rn. 99) fallen auch Betriebs- und Geschäftsräume in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG (BVerfG, B.v. 24.5.1977 – 2 BvR 988/75 – juris Rn. 55).
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1.2. Im Hinblick auf die ebenfalls beantragte Durchsuchung des Antragsgegners sowie seiner Fahrzeuge, ist der Antrag im Wege des § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass hiermit allein die Feststellung einer diesbezüglichen Durchsuchung begehrt wird. Dieser Antrag ist ebenfalls statthaft (vgl. VG Augsburg, B.v. 4.1.2012 – Au 7 V 11.1966 – juris Rn. 31; Abkehr von VG München, B.v. 15.3.2021 – M 19 X 21.1042 – juris Rn. 15; a.A. VG Würzburg, B.v. 3.4.2020 – W 6 X 20.481 – juris Rn. 26).
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Für die Durchsuchung von Sachen, hier der Fahrzeuge des Antragsgegners, bedarf es im Gegensatz zur Durchsuchung von Wohnungen, die wegen des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) eine richterliche Durchsuchungsanordnung erfordert (Art. 13 Abs. 2 GG), keiner richterlichen Gestattung. Gleiches gilt bezüglich einer Durchsuchung der Person des Antragsgegners, die zwar dessen Freiheit beeinträchtigt, ihrer Intensität nach aber keine Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 GG darstellt, über deren Zulässigkeit und Dauer gemäß Art. 104 Abs. 2 GG eine richterliche Entscheidung erforderlich wäre. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs gegenüber der Person des Antragsgegners (Durchsuchung) und gegenüber dessen Sachen (Durchsuchen etwaiger Fahrzeuge) liegt vielmehr in der eigenen Befugnis des Antragstellers. Er ist befugt, seine Verwaltungsakte selbst zu vollstrecken (vgl. Art. 30 Abs. 1 VwZVG) und kann bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs um die Hilfe von Polizeibeamten der örtlich zuständigen Polizeidienststelle ersuchen (vgl. Art. 37 Abs. 2 VwZVG).
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Um eine reibungslose und effektive Vollstreckung zu gewährleisten, besteht für den Feststellungsantrag ferner ein Feststellungsinteresse.
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2. Der Antrag ist auch begründet.
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2.1 Die für den Antrag auf Gestattung der Durchsuchung der Wohnung einschließlich der Nebenräume und der Geschäftsräume des Antragsgegners erforderlichen allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen (Art. 18 ff. VwZVG) liegen vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Durchsuchungsgestattung unverhältnismäßig wäre, bestehen nicht (zu den Voraussetzungen der gerichtlich eingeräumten Befugnis der Fahrerlaubnisbehörde zum Betreten und Durchsuchen der Wohnung mit Nebenräumen vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2018 – 11 C 18.1220 – juris).
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2.1.1. Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 VwZVG liegen vor. Da der Bescheid vom 16. Januar 2023, der in seiner Nr. 2 die Verpflichtung des Antragsgegners zur Abgabe seines Führerscheins innerhalb der gesetzten Frist enthält, ihm mit einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrungversehen am 19. Januar 2023 zugestellt wurde und er keinen Rechtsbehelf hiergegen eingelegt hat, ist der Bescheid seit 20. Februar 2023 bestandskräftig und vollstreckbar (Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG).
21
Mit Bescheid vom 15. Februar 2023 drohte der Antragsteller dem Antragsgegner außerdem gemäß Art. 36 Abs. 1 VwZVG die Anwendung unmittelbaren Zwangs an und verband diese Androhung mit einer angemessenen Frist (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG) zur freiwilligen Abgabe des Führerscheins. Der Bescheid über die Androhung unmittelbaren Zwangs gemäß Art. 34 i.V.m. Art. 37 Abs. 2 VwZVG ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (Art. 21a VwZVG) und mittlerweile in Bestandskraft erwachsen. Er wurde dem Antragsgegner am 17. Februar 2023 zugestellt und war mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrungversehen. Ein Rechtsmittel wurde seitens des Antragsgegners nicht eingelegt.
22
Der Antragsteller hat ferner glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner seiner Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins bisher nicht nachgekommen ist (Art. 19 Abs. 2 VwZVG). Angesichts der erfolglosen Fälligstellung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500 € und der ebenfalls erfolglos gebliebenen Androhung unmittelbaren Zwangs versprachen weitere Zwangsgeldandrohungen keinen Erfolg.
23
Angesichts der Tatsache, dass der Antragsgegner auf den Bescheid vom 16. Januar 2023 und auch auf den in der Folgezeit an ihn gerichteten Bescheid vom 15. Februar 2023 mit der Fälligstellung des angedrohten Zwangsgeldes in Höhe von 500 € und der Androhung einer Ersatzvornahme in Form unmittelbaren Zwangs in keiner Weise reagiert hat, steht außer Zweifel, dass die Androhung weiterer Zwangsgelder und deren Vollstreckung jedenfalls keinen „rechtzeitigen“ Erfolg im Sinne von Art. 34 Satz 1 VwZVG erwarten lassen.
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Auch ohne einen erfolglos durchgeführten polizeilichen Sicherstellungsversuch erhärtet sich diese Annahme durch zahlreiche weitere Anhaltspunkte (vgl. dazu VG Augsburg, B.v. 14.9.2009 – Au 7 V 09.1358 – juris Rn. 19; VG München, B.v. 30.4.2013 – M 7 E 13.1251 – juris Rn. 14).
25
Nach Aktenlage gab es schon in der Vergangenheit in anderen Verwaltungsverfahren Schwierigkeiten, den Antragsgegner zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen anzuhalten oder ihm amtliche Post zuzustellen. Beispielsweise hat der Antragsgegner im Vorfeld des Bescheidserlasses bereits verschiedenste förmliche Aufforderungen (Kostenverfügung v. 31.8.2022 i.H.v. 29,11 €, Bl. 63 BA; Ankündigung der Vollstreckung von Mahngebühren i.H.v. 35,61 € v. 3.11.2022, Bl. 89 BA; weitere Fristgewährung zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens v. 1.12.2022, Bl. 69 BA; Anhörung zum Entzug der Fahrerlaubnis v. 19.12.2022, Bl. 77 BA) unter Schwärzung des Adressfelds mit Anbringung eines Fragezeichens oder einer Bemerkung wie „Bitte nur Liebesbriefe – Zurück Falsch“ an die Behörde zurücksenden lassen. Um sicherzustellen, dass die vorgenannten Schreiben auch tatsächlich an die korrekte Meldeadresse des Antragsgegners übersandt worden sind, hatte der Antragsteller im Januar 2023 eine Aufenthaltsermittlung durchgeführt (Bl. 95 BA), die die Richtigkeit der Zustellungsadresse bestätigte. Indem der Antragsgegner bereits die Kenntnisnahme der ordnungsgemäß zugestellten behördlichen Aufforderungen verweigerte, brachte er seine Weigerung ihnen Folge zu leisten, eindeutig zum Ausdruck.
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Erkenntlich wird diese Weigerung darüber hinaus aus verschiedenen Aussagen der PI …, insbesondere einer Kurzmitteilung vom 9. Februar 2023 (Bl. 94 BA), der zufolge eine bereits vor Januar 2023 durch eine andere Behörde veranlasste Aufenthaltsermittlung ergab, dass der Antragsgegner zwar an seiner Meldeadresse angetroffen wurde, dem Vorschlag, seinen Briefkasten mit seinem Nachnamen zu versehen, aber nicht nachgekommen ist.
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Unter Berücksichtigung dieses Verhaltens und des Umstandes, dass sich im Interesse der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs bei einer feststehenden fehlenden Fahreignung (hier durch die Nichteignungsfiktion des § 11 Abs. 8 FeV) regelmäßig ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts ergibt (BayVGH, B.v. 27.2.2019 – 10 CS 19.180 – juris Rn. 10 ff.), bleibt nur die Sicherstellung des Führerscheins als besondere Form unmittelbaren Zwangs.
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Das Gericht teilt die nachvollziehbar vorgetragene Einschätzung des Antragstellers, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass der Antragsgegner nicht auf seinen Führerschein verzichten will. Es kann dem Antragsteller vor diesem Hintergrund nicht verwehrt werden, bereits im Vorfeld eines Versuchs, die Ablieferung des Führerscheins zwangsweise durchzusetzen, eine richterliche Gestattung zu erwirken, um den Sicherstellungserfolg nicht zu gefährden, zumal die Vermeidung eines wiederholten Vollstreckungsversuchs und der damit einhergehenden Unannehmlichkeiten und Mehrkosten auch im Interesse des Antragsgegners liegt.
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2.1.2. Die – nötigenfalls – zwangsweise Öffnung und Durchsuchung der Wohnung ist erforderlich. Nach Aktenlage ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsgegner seinen Führerschein freiwillig herausgibt, auch nicht, wenn er hierzu von Polizeibeamten aufgefordert werden sollte. Das Verstreichenlassen sämtlicher Fristen und die abwehrende und ignorierende Reaktion des Antragsgegners bezüglich sämtlicher amtlicher Schreiben lassen erkennen, dass er nicht gewillt ist, behördlichen oder auch polizeilichen Anordnungen hinsichtlich der Abgabe seines Führerscheins Folge zu leisten. Er hat vielmehr – zuletzt als Reaktion auf einen Bußgeldbescheid vom 21. April 2022 wegen Geschwindigkeitsüberschreitung – zu erkennen gegeben, dass er die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland sowie die Legitimation deutscher Behörden, die er als „Firmen der Verwaltung BRD“ ansieht, in Frage stellt.
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2.1.3. Umstände, aufgrund derer eine Wohnungsdurchsuchung als nicht verhältnismäßig erscheinen würde, sind nicht erkennbar. Insbesondere muss das Recht des Antragsgegners auf die Unverletzlichkeit seiner Wohnung (Art. 13 GG) angesichts des vom Antragsteller hier im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzenden öffentlichen Interesses an einer effektiven Gefahrenabwehr im Straßenverkehr zurücktreten. Die Gefahr des Missbrauchs des Führerscheindokuments, das sich mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch im Besitz des Antragsgegners befindet, wiegt schwerer als die Unverletzlichkeit der Wohnung, zumal dem Antragsgegner mehrfach die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Fahrerlaubnis freiwillig herauszugeben. Ihm bleibt es unbenommen, eine Durchsuchung seiner Wohnung durch sofortige Abgabe seines Führerscheins abzuwenden. Ein weniger eingreifendes Mittel, das gleichermaßen geeignet wäre, den Zweck der Maßnahme – das Auffinden und Sicherstellen des Führerscheins – zu ermöglichen, ist nicht erkennbar.
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2.2. Außerdem war festzustellen, dass Bedienstete des Antragstellers und Polizeibeamte den Antragsgegner sowie alle auf ihn zugelassenen Fahrzeuge zum Zwecke der Sicherstellung des genannten Führerscheins durchsuchen dürfen. Die Vollstreckbarkeit dieser Maßnahmen ist nach den obigen Ausführungen von der eingriffsintensiveren Wohnungsdurchsuchung mit umfasst.
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3. Von einer Zustellung des Antrags an den Antragsgegner und seiner Anhörung vor Erlass der vorliegenden richterlichen Anordnung konnte nach Ausübung des dem Gericht hierbei zustehenden Ermessens abgesehen werden.
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Zwar gebietet Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich die vorherige Anhörung des Vollstreckungsschuldners. Die Sicherung gefährdeter Interessen kann jedoch in besonderen Verfahrenslagen einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen ist der Betroffene auf eine nachträgliche Anhörung zu verweisen (st. Rspr. des VG München, etwa B.v. 6.3.2019 – M 6 X 19.461 – n.v.; B.v. 3.2.2017 – M 6 X 16.4319 – n.v., jeweils unter Bezug auf BVerfG, B.v. 19.6.1981 – 1 BvR 1094/80 – juris Rn. 52; VG Würzburg, B.v. 3.4.2020 – W 6 X 20.481 – juris Rn. 27). Gerade vor einer vom Vollstreckungsgläubiger beantragten richterlichen Anordnung der Durchsuchung wird eine vorgängige Anhörung des Vollstreckungsschuldners in vielen Fällen den Vollstreckungserfolg gefährden, da die Durchsuchung gerade bezweckt, etwas aufzufinden, was der Betroffene von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will (Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 13 Rn. 14). Ob der Vollstreckungserfolg durch eine vorherige Anhörung des Schuldners gefährdet wäre, muss das Gericht im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände prüfen und entscheiden (BVerfG, B.v. 19.6.1981, a.a.O. Rn. 54).
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Angesichts des vom Antragsteller glaubhaft dargelegten Verhaltens des Antragsgegners muss vorliegend auch unter Anlegung des Maßstabs der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass eine Anhörung des Antragsgegners vor Erlass dieses Beschlusses den Vollstreckungserfolg gefährden würde. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist zu erwarten, dass der Antragsgegner, der bisher nicht auf die behördlichen Schreiben und Bescheide reagiert und sich weder von dem fällig gestellten Zwangsgeld noch der Androhung unmittelbaren Zwangs beeindruckt gezeigt hat, dazu bereit wäre, seinen Führerschein beiseite zu schaffen, sobald er von der beabsichtigten Durchsuchung erfahren würde. Unter diesen Umständen kann ohne Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG von einer Anhörung des Betroffenen vor Erlass der Durchsuchungsgestattung abgesehen werden.
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4. Aus denselben Gründen ist auch die in Nr. III des Tenors ausgesprochene Regelung sinnvoll, die Behörde mit der Zustellung des Beschlusses an den Antragsgegner zu beauftragen (§ 168 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Würde ihm der Beschluss vor der Durchsuchung zugestellt, wäre der Vollstreckungserfolg ebenso gefährdet wie bei einer vorherigen Anhörung. Der Antragsteller hat das Empfangsbekenntnis des Antragsgegners an das Gericht zurückzuleiten (§ 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 176 Abs. 1 ZPO). Dem Antragsgegner ist – ggf. unter Beobachtung durch die Polizei – Gelegenheit zu geben, vor Beginn der Durchsuchung vom Inhalt des Beschlusses Kenntnis zu nehmen.
36
Weil die richterliche Prüfung einer Wohnungsdurchsuchung die Einhaltung der rechtlichen Grundlagen nicht für unabsehbare Zeit gewährleisten kann, war die Durchsuchungsanordnung entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu befristen (BVerfG, B.v. 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92 – juris LS 1, Rn. 26 ff.; s. auch VG München, B.v. 6.3.2019 – M 6 X 19.461, unter Bezug auf B.v. 22.9.2014 – M 6a X 14.4141).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Einer Streitwertfestsetzung bedurfte es nicht, weil keine streitwertabhängigen Gerichtsgebühren anfallen.