Inhalt

VG München, Urteil v. 15.06.2023 – M 13L DK 20.2458
Titel:

(Landes) Disziplinarrecht, Klageabweisung, Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst (verneint), Aufforderungen zu amtsärztlichen Untersuchungen, Rechtswidrigkeit von Weisungen als Milderungsgrund, Verfahrensdauer als Milderungsgrund

Normenketten:
BeamtStG § 35
BeamtStG § 47
BayBG Art. 65
UrlV § 21
UrlMV § 16
Schlagworte:
(Landes) Disziplinarrecht, Klageabweisung, Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst (verneint), Aufforderungen zu amtsärztlichen Untersuchungen, Rechtswidrigkeit von Weisungen als Milderungsgrund, Verfahrensdauer als Milderungsgrund
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18255

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit Disziplinarklage zum Verwaltungsgericht München die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis, die sich seit Jahren einer amtsärztlichen Prüfung ihrer Dienst(un) fähigkeit entzieht.
2
1. Die am ... geborene Beklagte ist seit dem Jahre 2003 als Diplom-Sozialpädagogin (FH) im gehobenen Dienst des Klägers und im Bereich des Justizvollzugs eingesetzt. Zum 1. Februar 2009 wurde sie unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zur Sozialinspektorin der Besoldungsgruppe A9 ernannt, zum 1. Februar 2012 zur Sozialoberinspektorin der Besoldungsgruppe A 10.
3
Seit dem 2. Mai 2014 hat die Beklagte ihren Dienst nicht mehr angetreten. Seitdem legt sie durchgängig Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der sie behandelnden Ärzte, insbesondere von Dr. …, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor des … …, vor.
4
Mit Gutachten vom 18. November 2014 der Medizinischen Untersuchungsstelle der Regierung von Schwaben wurde bei der Beklagten unter Berücksichtigung privatärztlicher Befunde eine psychoreaktive Belastungsreaktion infolge von angegebenen Arbeitsplatzkonflikten und eine damit einhergehende Dienstunfähigkeit der Beklagten für den Einsatz an der bisherigen Dienststelle, der Justizvollzugsanstalt … … (im Folgenden JVA) festgestellt; für einen anderweitigen Einsatz an einer anderen Dienststelle wurde sie als dienstfähig eingeschätzt. Daraufhin wurde die Beklagte mit Bescheid vom 4. Mai 2015 an die Justizvollzugsanstalt … abgeordnet. Ein hiergegen erhobener Eilrechtsschutz zum Verwaltungsgericht Augsburg blieb erfolglos (VG Augsburg, B.v. 16.12.2015 – Au 2 S 15.1269; BayVGH, B.v. 4.3.2016 – 3 Cs 16.208), ebenso der Klageweg durch die Instanzen bis zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof sowie Bundesverfassungsgericht (VG Augsburg, U.v. 15.12.2016 – Au 2 K 15.822, BayVGH, B.v. 26.10.2018 – 3 ZB 17.164 u. 3 ZB 18.2484 (Anhörungsrüge); BayVerfGH, B.v. 12.7.2022 – Vf 3.VI/19; BVerfG, B.v. 22.5.2023 – 2 BvR 1478/22). Die Beklagte wehrt sich gegen die Abordnung insbesondere, da ihr dort keine Leitungsaufgabe übertragen werde.
5
Ein Verfahren zur Ruhestandsversetzung ruht derzeit angesichts des Disziplinarverfahrens.
6
Die Beklagte ist disziplinarisch und strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten. Gegen ihre letzte Beurteilung vom 23. November 2011 mit 8 Punkten hat die Beklagte Einwendungen erhoben.
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Hinsichtlich der weiteren Gerichtsverfahren der Beklagten gegen den Kläger wird auf die umfangreichen Darstellungen in den Schriftsätzen der Verfahrensbeteiligten und die in der mündlichen Verhandlung erläuterte und als Anlage zur Niederschrift genommene Übersicht des Klägers Bezug genommen.
8
2. Nach Einleitung eines Disziplinarverfahrens vom 5. September 2016 mit einer Ausdehnung vom 13. April 2017 gegen die Beklagte durch die dienstvorgesetzte JVA wegen Fernbleibens der Beklagten von amtsärztlichen Untersuchungen am 17. November 2015 auf Anordnung mit Schreiben vom 3. August 2015, am 10. Mai 2016 auf Anordnung vom 22. März 2016 und am 22. Februar 2017 auf Anordnung vom 23. Dezember 2016 übernahm die Generalstaatsanwaltschaft als Disziplinarbehörde mit Verfügung vom 18. Juli 2017 das Disziplinarverfahren.
9
Am 5. Februar 2019 wurde das Disziplinarverfahren im Hinblick auf einen Bescheid der JVA vom 7. Juni 2017 an die Beklagte, jede weitere Dienstunfähigkeit durch Amtsarzt nachzuweisen, dem die Beklagte nicht nachkam, ausgedehnt. Gleichzeitig wurde das Verfahren wegen des beim Verwaltungsgericht Augsburg anhängigen beamtenrechtlichen Verfahrens gegen die Anordnung vom 7. Juni 2017 zur Vorlage amtsärztlicher Zeugnisse – Au 2 K 17.1565 – ausgesetzt.
10
Mit Schreiben vom 20. Januar 2020 wurde die Beklagte abschließend angehört. Dabei wurde (erstmalig) der Vorwurf eines unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst erhoben. Zudem wurde der Beklagten zur Last gelegt, einer Anordnung vom 7. Dezember 2018 zu einer amtsärztlichen Untersuchung mit festgesetztem Termin für den 18. Februar 2019 sowie vom 17. Mai 2019 mit einem Termin am 2. Juli 2019 nicht gefolgt zu sein sowie einer Weisung vom 3. Juli 2019 zum Nachweis von Dienstunfähigkeit durch amtsärztliches Attest nicht nachzukommen. Der Bevollmächtigte der Beklagten, der sich bereits im Laufe des Verfahrens geäußert hatte, nahm umfangreich mit Schriftsatz vom 16. März 2020 Stellung.
11
Mit Verfügung vom 25. Mai 2020 wurde das Disziplinarverfahren insoweit auf die in der nachfolgend erhobenen Disziplinarklage enthaltenen Vorwürfe beschränkt.
12
3. Hinsichtlich des Vorwurfs eines unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst sowie der Nichtbefolgung der Untersuchungsanordnungen vom 7. Dezember 2018 und 17. Mai 2019 sowie Anordnung vom 3. Juli 2019, jede weitere Dienstunfähigkeit durch amtsärztliches Zeugnis nachzuweisen, hat die Generalstaatsanwaltschaft München als Disziplinarbehörde am 25. Mai 2020 Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung der Beamten aus dem Beamtenverhältnis erhoben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Disziplinarklage sowie die Stellungnahmen vom 5. Oktober 2020, 19. Oktober 2022 und 2. Mai 2023 sowie die Ausführungen der Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2023 Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt
die Entfernung der Beamtin aus dem Beamtenverhältnis.
14
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
15
Zur Erwiderung auf die Disziplinarklage hat der Bevollmächtigte der Beklagten umfangreich mit Schriftsätzen vom 14. September 2020, 3. April 2023, 1. Juni 2023 und 7. Juni 2023 Stellung genommen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird hierauf sowie auf die Ausführungen des Bevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2023 Bezug genommen.
16
Soweit das Disziplinarverfahren durch Verfügung der Generalstaatsanwaltschaft vom 25. Mai 2020 beschränkt worden war, hat das Gericht diese Handlungen durch Beschluss in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juni 2023 im Sinne von Art. 54
Satz 2, Art. 21 Abs. 2 Satz 3 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG) wieder in das Verfahren einbezogen.
17
Verwiesen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Disziplinarakten der Generalstaatsanwaltschaft München und der JVA …, die Personalakte der Beklagten sowie die beigezogenen Akten des Verwaltungsgerichts Augsburg mit den Aktenzeichen Au 2 K 16.453 / K 18.986, K 17.1565 / K 19.2153 sowie K 19.1604.

Entscheidungsgründe

18
Die Disziplinarklage ist abzuweisen. Vom Vorwurf eines unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst ist die Beklagte freizustellen (V.). Im Übrigen hat sich die Beklagte zwar durch die Nichtbefolgung der Weisungen zu amtsärztlichen Untersuchungen sowie der Vorlage amtsärztlicher Atteste zum Nachweis ihrer Dienstunfähigkeit dienst-pflichtwidrig verhalten (VI.), ist vor dem Hintergrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der überlangen Verfahrensdauer jedoch keine Disziplinarmaßnahme (mehr) angezeigt (VII).
19
I. Entgegen der Rüge des Bevollmächtigten der Beklagten leidet die Disziplinarklage an keinem wesentlichen Mangel im Sinne von Art. 53, 50 BayDG.
20
Das Gericht vermag insoweit dem Vortrag des Bevollmächtigten zu einem verspäteten Einleiten des Disziplinarverfahrens nicht zu folgen. Im Übrigen hätte auch eine verspätete Einleitung eines Disziplinarverfahrens keinen formellen Mangel des Disziplinarverfahrens und der späteren Disziplinarklage zufolge (vgl. BVerwG, B.v. 18.11.2008 – 2 B 63/08 – beck-online Rn. 15; BVerwG, U.v. 28.7.2010 – 2 A 4.09 – beck-online Rn. 102).
21
Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist, dass keine förmliche Fortsetzung des Disziplinarverfahrens nach der Aussetzung mit Verfügung vom 5. Februar 2019 verfügt wurde, sondern dies konkludent und gleich im Wege der sog. abschließenden Anhörung nach Art. 32 BayDG am 20. Januar 2020 erfolgte.
22
Ebenso wenig stellt es einen Mangel dar, dass in der abschließenden Anhörung erstmalig der Vorwurf des unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst erhoben wurde (vgl. VG München, U.v. 16.11.2021, M 13L DK 18.2025 – beck-online Rn. 18). Der Beklagten wurde durch die abschließende Anhörung hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, von der der Bevollmächtigte der Beklagten auch umfangreich Gebrauch gemacht hat.
23
Dem Vorwurf des Bevollmächtigten, die der Beklagten zur Last gelegten Pflichtverletzungen seien nicht geordnet dargestellt, vermag das Gericht ebenso wenig zu folgen. Die Disziplinarklage ist insoweit klar gegliedert und strukturiert. Die unter II. dargestellten Pflichtverletzungen lassen keinen Zweifel, welche Vorwürfe die Generalstaatsanwaltschaft gegenüber der Beklagten im Disziplinarklagewege erhebt.
24
II. Insoweit legt der Kläger der Beklagten mit seiner Disziplinarklage vom 25. Mai 2022 Folgendes zur Last:
25
„Die Beamtin hat die folgenden dienstlichen Pflichtverletzungen begangen:
26
1. Mit Untersuchungsanordnung vom 07.12.2018 ordnete die JVA … nach Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG an, dass sich die Beamtin einer ärztlichen Untersuchung bei der medizinischen Untersuchungsstelle der Regierung von Schwaben (MUS) zu unterziehen hat. Die Beamtin kam der Ladung der MUS zum Termin am 18.02.2019 nicht nach. Vielmehr vertrat sie über den sie vertretenden Rechtsanwalt die Auffassung, die Vorladung sei rechtswidrig.
27
2. Auch einer weiteren ausführlich begründeten Untersuchungsanordnung der JVA … vom 17.05.2019 nach Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG mit Ladung zum Termin am 02.07.2019 bei der MUS leistete die Beamtin mit gleicher Begründung keine Folge.
28
3. Mit weiterer Anordnung vom 03.07.2019 gemäß § 16 Abs. 2 S. 2 BayUrIMV wurde die Beamtin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung abermals aufgefordert, jede weitere Dienstunfähigkeit über den 31.07.2019 hinaus durch amtsärztliches Zeugnis nachzuweisen.
29
Aufgrund Widerspruchs der Beamtin gegen diese Anordnung erging am 29.08.2019 Widerspruchsbescheid, gegen den am 26.09.2019 Klage beim Verwaltungsgericht Augsburg (Az. Au 2 K 19.1604) eingereicht wurde. Der ebenfalls hiergegen am 18.10.2019 erhobene Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach 8 80 Abs. 5 VWGO wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg (Az. AU 2 S 19.1744) vom 12.11.2019 mangels Verwaltungsakts als unstatthaft und damit unzulässig abgelehnt.
30
Dennoch legt die Beamtin auch weiterhin keine amtsärztlichen Zeugnisse, vielmehr lediglich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt durch ihre behandelnden Ärzte des Fachkrankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Bezirkskrankenhaus in …, PD Dr. med. … … bzw. Dr. med. … …, vor.
31
4. Die Beamtin verweigert die Wiederaufnahme des Dienstes, obwohl gesundheitliche Gründe ihrer Dienstfähigkeit nicht entgegenstehen.
32
Die Beamtin ist seit 02.05.2014 durchgehend nicht im Dienst.
33
Im Rahmen der Begutachtung im November 2014 wurde unter Berücksichtigung privatärztlicher Befunde eine auf Konflikten am Arbeitsplatz in der JVA … beruhende psychoreaktive Belastungsreaktion verbunden mit der Dienstunfähigkeit der Beamtin i.S.d. Art. 65 BayBG für den Einsatz an der bisherigen Dienststelle festgestellt.
34
Zugleich wurde sie aus medizinisch-fachlicher Sicht als sofort voll dienstfähig für einen anderweitigen Einsatz/ für einen Einsatz an einer anderen Dienststelle eingeschätzt, welcher von gesundheitlicher Seite als wertvoll und gesundheitlich stabilisierend angesehen wurde. Hierbei nahm der Gutachter insbesondere auch Bezug auf den von der Beamtin vorgelegten fachärztlichen Befundbericht des Dr. … vom 28.10.2014 („Der behandelnde Spezialist schätzt im zitierten Fachbefund die Beamtin, an einer anderen Dienststelle unmittelbar wieder voll dienstfähig‘ ein.”).
35
Dem wurde Rechnung getragen durch die Abordnung an die – zumal für die Beamtin wohnortnähere – JVA … mit Wirkung ab 18.05.2015.
36
Bereits bei der Begutachtung 2014 gab die Beamtin ausweislich des Gutachtens an, „nur zu den gleichen Bedingungen bzw. zumindest vergleichbarer Leitungstätigkeit einem Einsatz an einem anderen Ort zustimmen zu wollen.“
37
Im Rahmen des weiteren (anwaltlichen) Vortrags beruft sich die Beamtin darauf, nur dann den Dienst wieder anzutreten, wenn ihr eine „Leitungsfunktion“ übertragen werde.
38
Auch in den vorgelegten weiteren privatärztlichen Attesten wird die „Dienstfähigkeit in anderer Umgebung auf vergleichbarem Dienstposten … auch für die Übernahme von Leitungsaufgaben“ bejaht (Dr. med. …, 28.05.2019);
39
„Durch die konsequente psychotherapeutische Arbeit,…, konnte der psychische Zustand der Patientin verbessert werden und die depressive Symptome haben sich zunehmend verbessert. Die Patientin zeigt sich selbst auch äußerst motiviert, wieder eine Führungsposition zu übernehmen, Zweifel hegt sie allerdings, wie sie sich für eine Stelle beim gleichen Dienstherrn motivieren kann.“ (Facharzt für Allgemeinmedizin – Psychotherapie und Naturheilverfahren G. …, 01.06.2019).
40
Sowohl die Ärzte als auch die Beamtin selbst gehen davon aus, dass gesundheitliche Gründe der Dienstfähigkeit der Beamtin an einer anderen Dienststelle, hier der JVA …, nicht entgegenstehen.
41
Den Dienst bei der JVA … trat die Beamtin dennoch bis heute nicht an.“
42
(Auszug aus der Disziplinarklage vom 25. Mai 2020 – Seite 8-10)
43
III. Des Weiteren hat das Gericht die mit Verfügung vom 25. Mai 2020 vorläufig ausgeschiedenen Handlungen gemäß Art. 54 Satz 2, 21 Abs. 2 Satz 3 BayDG wieder in das Verfahren eingeführt. Auf den Beschluss in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juni 2023 wird insoweit Bezug genommen.
44
1. Demgemäß wird der Beamtin zur Last gelegt, den Weisungen zur ärztlichen Untersuchung vom 3. August 2015 durch Fernbleiben des Termins am 17. November 2015 und vom 22. März 2016 durch Fernbleiben am 10. Mai 2016 sowie vom 23. Dezember 2016 durch Fernbleiben eines Termins am 22. Februar 2017 jeweils nicht nachgekommen zu sein.
45
2. Zur Last gelegt wird ihr zudem, den Verpflichtungen zur Vorlage amtsärztlicher Atteste zum Nachweis ihrer Dienstunfähigkeit mit Bescheid vom 7. Juni 2017 bis zur Ersetzung durch den Bescheid vom 3. Juli 2019 nicht nachgekommen zu sein.
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IV. Der Sachverhalt steht jeweils aufgrund des umfangreichen Aktenmaterials fest und wurde in tatsächlicher Hinsicht – dafür aber umfangreich in rechtlicher Hinsicht – von der Beklagten auch nicht bestritten.
47
V. Vom Vorwurf eines unerlaubten Fernbleibens vom Dienst ist die Beklagte freizustellen.
48
Der Vorwurf eines unerlaubten Fernbleibens vom Dienst i.S.v. Art. 95 Bayerisches Beamtengesetz i.V.m. § 34 Satz 1 Beamtenstatusgesetz a.F., der Pflicht zum vollen persönlichen Einsatz, setzt tatbestandsmäßig eine Dienstfähigkeit des jeweiligen Beamten voraus (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.2007 – 2 A 3/05 – beck-online Rn. 33 – zu § 73 BBG. Gemäß Art. 95 Abs. 1 Satz 2 BayBG ist Dienstunfähigkeit auf Verlangen nachzuweisen und regelt § 21 Abs. 2 UrlV a.F., nunmehr § 16 Abs. 2 BayUrlMV hierzu Näheres.
49
Entgegen der Auffassung des Klägers genügen die privatärztlichen, durchgängigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, um der Annahme eines unerlaubten Fernbleibens vom Dienst entgegenzustehen. Dem liegt zugrunde, dass die Aufforderungen der JVA mit Bescheiden vom 7. Juni 2017 und 3. Juli 2019 (formell) rechtswidrig waren und damit nicht geeignet, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zum Nachweis der Dienstunfähigkeit nicht ausreichen zu lassen.
50
1. Soweit in der Rechtsprechung anerkannt ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.2007 – 2 A 3/05 – beck-online Rn. 34 m.w.N.), dass sich ein Beamter dann nicht auf eine etwaige Dienstunfähigkeit berufen kann, wenn er den genannten Regelungen zuwider keinen Nachweis über die Dienstunfähigkeit bringt, verfängt dies vorliegend nicht. Zwar steht es dem Dienstherrn frei, vom Beamten zum Nachweis der Dienstunfähigkeit amtsärztliche Atteste statt privatärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einzufordern, vgl. § 21 Abs. 2 Satz 2 UrlV a.F., § 16 Abs. 2 Satz 2 BayUrlMV. Damit einem Beamten aber eine Berufung auf eine etwaig tatsächlich gegebene Dienstunfähigkeit im Rahmen des Vorwurfs eines unerlaubten Fernbleibens vom Dienst – als schwerem Verstoß gegen die Dienstpflicht – verwehrt ist, ist die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Anordnung zur Beibringung amtsärztlicher Bescheinigungen geboten. Eine rechtswidrige Anordnung vermag die dienstrechtlich schwere Konsequenz somit nicht auszulösen.
51
2. Mit Bescheiden vom 7. Juni 2017 und 3. Juli 2019 hat die JVA die Beamtin aufgefordert, jede weitere Dienstunfähigkeit durch amtsärztliches Zeugnis nachzuweisen. Die hiergegen gerichteten Widersprüche blieben jeweils erfolglos. Beide hiergegen gerichteten Verfahren beim Verwaltungsgericht Augsburg wurden ohne streitige Entscheidung erledigt. Das Verfahren, die Anordnung vom 7. Juni 2017 betreffend, wurde übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem die Anordnung durch die Anordnung vom 3. Juli 2019 ersetzt worden war (vgl. Au 2 K 17.1565/19.2153 Bl. 126 ff.). Das Verfahren bezüglich der Anordnung vom 3. Juli 2019 wurde durch Beschluss in der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2021 eingestellt, nachdem der Bescheid zu Protokoll aufgehoben wurde (Au 2 K 19.1604 Bl. 131 f.).
52
a) Hinsichtlich der Anordnung vom 3. Juli 2019 ist davon auszugehen, dass diese in der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2021 mit ex tunc Wirkung aufgehoben wurde. Folglich kann daraus nunmehr auch keine belastende Folge für die Beamtin gezogen werden.
53
Soweit die Klägervertreterin vorbringt, es sei eine ex nunc Wirkung nur für die Zukunft beabsichtigt gewesen, da die Aufhebung in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht Augsburg im Kontext der Suche nach einer einvernehmlichen Lösung erfolgt sei, folgt dem das Gericht nicht. Vielmehr ergibt sich aus der insoweit maßgeblichen Niederschrift, dass die Aufhebung nach richterlichen Hinweisen zur Rechtmäßigkeitsfrage erfolgte. So ist vermerkt, dass der Vertreter des Freistaats Bayern nach einem Telefonat mit dem Justizministerium erklärt, „dass der streitgegenständliche Bescheid angesichts der vom Gericht zum Ausdruck gebrachten rechtlichen Bedenken hiermit aufgehoben wird“ (Niederschrift vom 28.1.2021 – Au 2 K 19.1604 – Bl. 131R). Hätte der Vertreter des Dienstherrn im Termin nur eine Aufhebung für die Zukunft beabsichtigt, hätte er dies entsprechend klarstellen müssen. Auch der darauffolgende Kostenausspruch des Gerichts mit Kostentragungspflicht für den Dienstherrn spricht dafür, dass das Verwaltungsgericht Augsburg von einer Aufhebung ex tunc ausgegangen ist.
54
b) Wie das Gericht in der mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2023 dargelegt hat, ist hingegen die Anordnung vom 7. Juni 2017 nicht mit ex tunc Wirkung aufgehoben worden, sondern wurde vielmehr durch die Anordnung vom 3. Juli 2019 ersetzt. Dies spricht deutlich für eine ex nunc – Wirkung.
55
3. Allerdings – insoweit schließt sich das Gericht den Bedenken des Verwaltungsgerichts Augsburg in der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2021, in der Niederschrift entsprechend kurz skizziert, an – ist mit der Abordnung der Beamtin an die JVA … die Abordnungsdienststelle und nicht mehr die Stammdienstdienste, die vorliegend aber die Bescheide erlassen hat, zuständig gewesen.
56
Auch bei einer Abordnung bleibt diese zwar für die statusrechtlichen Angelegenheiten zuständig (vgl. Eck in BeckOK, Beamtenrecht, Stand 1.4.2023, Art. 47 BayBG Rn. 70). Für die allgemeinen Fragen des (täglichen) Dienstbetriebs wird hingegen die Abordnungsdienststelle zuständig. Hierzu zählen auch die in der UrlV bzw. UrlMV regelten Themen wie Urlaubsgewährung und Krankmeldung (vgl. Eck a.a.O. Rn 71). Diesem Ansatz ist die Vertreterin des Klägers in der mündlichen Verhandlung auch nicht grundsätzlich entgegengetreten.
57
Dass die Zuständigkeit mit der wirksamen Abordnung im vorliegenden Einzelfall jedoch deshalb nicht auf die JVA … übergangen wäre, da die Beamtin dort ihren Dienst nie angetreten habe, so die klägerische Argumentation, sieht das Gericht vorliegend nicht. Vielmehr bedarf es insoweit einer formalen Betrachtungsweise. Wenn die Abordnung gerade Wirkung entfaltet, dass kann dies nicht nur auf einzelne Aspekte beschränkt werden, sondern muss auch konsequenter Weise gerade die jeweilige Zuständigkeit betreffen.
58
Die Anordnung vom 7. Juni 2017 war somit formell rechtswidrig.
59
4. Die Anordnung vom 7. Juni 2017 ist zudem zu beanstanden, als in ihr gerade nicht die Rechtsgrundlage des Art. 95 BayBG i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 2 UrlV in der damals geltenden Fassung benannt wird. Vielmehr findet Art. 65 Abs. 2 BayBG i.V.m. § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG im Bescheid Erwähnung.
60
Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof herausgestellt hat, haben diese Anordnungen jedoch abweichende Zielrichtungen und nehmen unterschiedliche Bezugspunkte in den Blick (BayVGH, B.v. 18.2.2020 – 3 ZB 19.1851 – beck-online Rn. 9). Aufgrund der beachtlichen Folgen dienstrechtlicher Anordnungen im Kontext amtsärztlicher Untersuchungen etc. ist aber eine Klarheit der Anordnung hinsichtlich ihrer Rechtsgrundlage und Zweckrichtung zu fordern (vgl. a. VG München, B.v. 14.2.2022 – M 5 E 21.6625 – beck-online Rn. 33 ff.; VG München, B.v. 16.11.2021 – M 5 E 21.5858 – beck-online Rn. 25 ff.). Gerade der vorliegende Fall belegt, dass es einer differenzierten Betrachtungsweise schon durch den Dienstherrn betrifft, welche dienstrechtlichen Möglichkeiten er wählt. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass der Dienstherr „mehrgleisig“ fährt, dem betroffenen Beamten muss hingegen klar sein, mit welchem jeweiligen Zweck der Dienstherr entsprechende Weisungen ausgibt. Ob die Anordnung vom 7. Juni 2017 nun dem Zweck entsprach, etwaigen Zweifeln an privatärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu begegnen, weil – so auch die Darstellung der Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2023 – der Dienstherr von einer tatsächlich bestehenden Dienstfähigkeit der Beamtin durch die Abordnung ausging, oder aber die Anordnungen im Kontext von Zweifeln an der Dienstfähigkeit und folglich einer Überprüfung im Rahmen eines Ruhestandsversetzungsverfahrens nach Art. 65 BayBG erfolgen sollten, blieb in der Bescheidsbegründung – und auch im Widerspruchsbescheid – unklar. Dies geht zu Lasten der Rechtmäßigkeit dieser Anordnung.
61
Folglich ist auf der Grundlage der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch den die Beamtin behandelnden Ärzte von einer Dienstunfähigkeit der Beamtin im fraglichen Zeitraum auszugehen. Die Beamtin ist somit nicht unerlaubt dem Dienst ferngeblieben.
62
VI. Ein Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtSG hat die Beklagte hingegen durch die Nichtbefolgung der Anordnungen zu amtsärztlichen Untersuchungen sowie der Vorlage amtsärztlicher Atteste zum Nachweis ihrer Dienstunfähigkeit begangen, als sie sich dadurch im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG ihrer Pflicht, Anordnungen und Weisungen zu folgen, widersetzte.
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1. Diese beamtenrechtliche Kernpflicht des § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, deren Einhaltung zur Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebs und der Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung von erheblicher Bedeutung ist, greift auch, soweit sich – ggf. erst im Nachhinein – dienstliche Anordnungen und Weisungen als rechtswidrig herausstellen (vgl. BVerfG, B.v. 7.11.1994 – 2 BvR 1117/94 – beck-online 1b), jedenfalls solange die Rechtswidrigkeit einer Weisung nicht offenkundig und schwerwiegend ist (vgl. hierzu Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Art. 35 BeamtStG / Rn. 70 ff m.w.N.). Der Betroffene durch ist durch § 36 BeamtStG mit dem darin geregelten Remonstrationsverfahren sowie im vorliegenden Fall insbesondere die Möglichkeit eines einstweiligen Rechtsschutzes durch den Betroffenen im Hinblick auf die Anordnung amtsärztlicher Untersuchungen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 24.3.2022 – 6 CE 21.2753 mit Verweis auf BVerfG, B.v. 14.1.22 – 2 BvR 1528/21 – beck-online; hinreichend geschützt. Der Aspekt einer Rechtswidrigkeit von dienstlichen Anordnungen und Weisungen ist jedoch im Rahmen der Maßnahmebemessung zu berücksichtigen (s.u.).
64
Die Beklagte handelte jeweils vorsätzlich und schuldhaft. Zudem war ihr gegenüber beim Verwaltungsgericht Augsburg die Dienstpflichtwidrigkeit der Nichtbefolgung der Weisungen ausweislich der Niederschrift vom 7. Februar 2019 im Verfahren Au K K 17.1565 ausdrücklich gerichtlicherseits benannt worden. Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum ist somit ausgeschlossen.
65
2. Soweit der Kläger jedoch auf ein dienstpflichtwidriges Verhalten im Zusammenhang mit Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG abstellt, steht dem gegenüber, dass die Aufforderungen zu amtsärztlichen Untersuchungen bzw. der Mitwirkung hieran den Anforderungen der Rechtsprechung an solche Anordnungen nicht genügen.
66
Einem Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht im Zusammenhang mit Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG, indem sich ein Beamter einer Überprüfung seiner Dienst(un) fähigkeit durch den Dienstherrn entzieht, kommt gegenüber der allgemeinen Pflicht zur Befolgung dienstlicher Weisungen ein eigenständiger, schwer wiegender Charakter zu – mit mitunter erheblichen Auswirkungen im Bereich der Maßnahmebemessung.
67
Erfüllen die Anordnungen i.S.v. Art. 65 Abs. 2 BayBG die in der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen nicht, kann dem Beamten – über den allgemeinen Vorwurf, Anordnungen nach § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG nicht zu befolgen, hinaus – nicht zur Last gelegt werden, sich damit in dienstrechtlich vorwerfbarer Weise einer Überprüfung seiner Dienst(un) fähigkeit zu entziehen.
68
Die Anordnungen vom 3. August 2015 für den Untersuchungstermin am 17. November 2015, vom 22. März 2016 für den Termin am 10. Mai 2016, vom 23. Dezember 2016 für den Termin am 22. Februar 2017 – zunächst beschränkt mit Verfügung der Disziplinarbehörde vom 25. Mai 2020 und mit Beschluss des Gerichts wieder in das Verfahren einbezogen – sowie vom 7. Dezember 2018 für den Termin am 18. Februar 2019 und 17. Mai 2019 für den Termin am 2. Juli 2019 sind mangelhaft.
69
Hinsichtlich der „bisherigen“ Anordnungen nach Art. 65 BayBG hatte dies auch die Disziplinarbehörde erkannt und insoweit am 6. März 2019 „Bedenken hinsichtlich der formellen Anforderungen“ vermerkt (Bl. 528 ff. der Disziplinarakte).
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Zu bemängeln ist dabei aus gerichtlicher Sicht zum einen wiederum die fehlende Klarheit der Rechtsgrundlage (s.o.; vgl. hierzu auch VG München, B.v. 14.2.2022 – M 5 E 21.6625 – beck-online Rn. 33 ff.; VG München, B.v. 16.11.2021 – M 5 E 21.5858 – beck-online Rn. 25 ff.), vor allem aber eine Unklarheit hinsichtlich Art und Umfang der Untersuchungsmaßnahme. Auch die – verbesserte und ausführlichere – Anordnung vom 17. Mai 2019 lässt dies nicht erkennen. Es ist nicht zu entnehmen, ob sich die Beamtin einer allgemeinmedizinisch amtsärztlichen Untersuchung oder einer fachärztlich amtsärztlichen Untersuchung zu stellen hat. Dies darf der Dienstherr nicht offenlassen (vgl. BayVGH, B.v. 28.3.2022 – 3 CE 22.508 – beck-online Rn. 20 ff.; VG München, B.v. 14.2.2022 – M 5 E 21.6625 – beck-online Rn. 36). Nur wenn in der Aufforderung selbst oder dem beigefügten Gutachterauftrag Art und Umfang der geforderten ärztlichen Untersuchung nachvollziehbar sind, kann der Betroffene nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ihre Rechtmäßigkeit überprüfen (BayVGH, a.a.O. Rn. 25). Diese Anforderung ist dabei auch bei einer Berufung auf die Vermutungsregel des Art. 65 Abs. 1 BayBG i.V.m. § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG zu stellen (a.A. BVerwG, B.v. 14.3.2019 – 2 VR 5/18 – beck-online Rn. 46; vgl. auch Baßlsperger in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Art. 65 BayBG / Rn. 6d m.w.N.). Der Beamte mag in Fällen, in denen er bereits entsprechend lange krankgeschrieben ist, zwar vom Grundsatz her wissen, warum die Untersuchungsanordnung ergeht (so BVerwG, a.a.O.). Was ihn bei der Untersuchung erwartet, muss jedoch hinreichend klar bestimmt sein. Wird sich der Beamte bei der Untersuchung einer allgemeinmedizinischen Untersuchung oder einer psychiatrischen Fachbegutachtung ausgesetzt sehen oder drohen dem Beamten gar spezielle körperliche Untersuchungen? Dies darf nicht ins Belieben des Amtsarztes gestellt werden (vgl. BayVGH und VG München, je a.a.O.). Im Zusammenhang mit psychiatrischen Untersuchungen ist die Einhaltung der formellen und inhaltlichen Anforderungen in besonderem Maße von Bedeutung (Baßlsperger in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Art. 65 BayBG / Rn. 6c m.w.N.). Diesem Erfordernis genügen die vorliegend ergangenen Anordnungen nicht, auch nicht die damit verbundenen Gutachteraufträge.
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VII. Das somit (nur) noch vorzuwerfende Dienstvergehen bewegt sich im allenfalls mittelschweren Bereich, so dass unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, vor allem der jeweiligen Rechtswidrigkeit der einzelnen Anordnungen, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten der Beklagten als weitere Gesichtspunkte der Maßnahmebemessung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayDG, insbesondere vor dem Hintergrund der langen Verfahrensdauer als mildernden Gesichtspunkt und des Zusammenhangs der Dienstpflichtverletzungen mit der psychischen Verfassung der Beklagten keine Disziplinarmaßnahme (mehr) angezeigt ist.
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1. Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung ist die Schwere des Dienstvergehens, die vorliegend allenfalls im mittelschweren Bereich anzusiedeln ist.
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a) Zwar kann dienstpflichtwidrigem Verhalten im Zusammenhang mit Anordnungen zu amtsärztlichen Untersuchungen insbesondere nach Art. 65 Abs. 2 BayBG eine erhebliche Schwere zukommen (s.o.), die vom Schweregrad sogar bis an den eines unerlaubten Fernbleibens vom Dienst herankommen kann (vgl. VG München, U.v. 9.5.2022 – M 13L DK 18.5284 – beck-online Rn. 92). Dies gilt insbesondere, wenn der Beamte sich durch sein Verhalten hartnäckig einer Überprüfung seiner Dienst(un) fähigkeit durch den Dienstherrn entzieht – ein Vorwurf den der Kläger auch vorliegend gegenüber der Beklagten erhebt. Dies setzt jedoch voraus, dass die jeweiligen Anordnungen rechtmäßig sind und den hierzu ergangenen Vorgaben der Rechtsprechung genügen. Dies ist vorliegend nicht der Fall (s.o.)
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b) Verbleibt es damit bei einem (einfachen) Weisungsverstoß von Art. 35 Abs. 1 BeamtStG, dürfte sich ein solcher regelmäßig noch im Bereich einer Geldbuße oder allenfalls im unteren Kürzungsbereich als Orientierungsrahmen bewegen.
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Im Rahmen der in jedem Fall gebotenen Einzelfallbetrachtung bei der konkreten Anwendung des Orientierungsrahmens ist wiederum die Rechtswidrigkeit der zugrundeliegenden Anordnungen zu betrachten. Diese lässt somit nicht nur den (qualifizierten) Dienstpflichtverstoß der Mitwirkung im Rahmen von Art. 65 BayBG entfallen, sondern auch den Weisungsverstoß nach § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG in erheblich milderen Licht erscheinen. Dies hat zur Folge, dass das vorliegend zu bewertende Dienstvergehen seiner individuellen Schwere nach jedenfalls über eine Geldbuße hinaus nicht mehr einzuwerten wäre.
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2. Bei der weiteren Maßnahmebemessung stellen sich der individuell-konkrete Zusammenhang zwischen Dienstpflichtverletzung und der psychischen Erkrankung der Beklagten als Elemente des Persönlichkeitsbilds und individuellen Vorwerfbarkeit zum einen und die lange Verfahrensdauer zum anderen als weitere Milderungsgründe dar.
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a) Für das Gericht steht nach den vorliegenden Arztunterlagen, insbesondere im Rahmen des Gutachtens der Medizinischen Untersuchungsstelle bei der Regierung von Schwaben im Jahre 2014 und der beklagtenseitig vorgelegten sowie in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen gesundheitlichen, insbesondere psychischen, Verfassung der Beklagten außer Zweifel, dass auch die konkreten Dienstpflichtverletzungen im Kontext hiermit zu sehen sind. Die Beklagte sieht sich, wie sich auch aus der Vielzahl der gerichtlichen Verfahren ergibt, von ihrem Dienstherrn und insbesondere der JVA in tiefgreifender Weise schikaniert und erhebt daher massive Mobbingvorwürfe. Die Vorwürfe beziehen sich dabei auch auf die Abordnung nach … In Folge dessen ist die Beklagte sämtlichen Aufforderungen der Stammdienststelle in derart kritischer Weise begegnet, dass sie dahinter weitere Schikane- und Mobbinghandlungen sah, unterstützt durch die Argumentation ihres Bevollmächtigten. So bringt die Beklagte nicht nur der JVA, sondern – wie in der mündlichen Verhandlung durch ihren Bevollmächtigten deutlich wurde – dem gesamten Strafvollstreckungsbereich und damit ihrem Dienstherrn kein Vertrauen mehr entgegen.
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Mag damit auch die Schwelle zur eingeschränkten Steuerungsfähigkeit i.S.v. § 21 StGB oder eine beachtliche verminderte Einsichtsfähigkeit in die Dienstpflichtverletzungen nicht einhergehen, sieht das Gericht diesen Aspekt dennoch als beachtungswürdig im Rahmen der Maßnahmebemessung.
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Das Bundesverwaltungsgericht führt insoweit aus, die Verwaltungsgerichte müssten bei der Gesamtwürdigung dafür offen sein, dass mildernden Umständen im Einzelfall auch dann ein beachtliches Gewicht für die Maßnahmebemessung zukommen kann, wenn sie zur Erfüllung eines so genannten anerkannten („klassischen“) Milderungsgrundes nicht ausreichen. Auch solche Umstände dürfen nicht als nebensächlich oder geringfügig zurückgestellt werden, ohne dass sie in Bezug zur Schwere des Dienstvergehens gesetzt werden. Sie dürfen nicht in einer nicht nachvollziehbaren Weise „abgetan“ werden. Die beklagtenseitig beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens braucht es zur Überzeugung des Gerichts nicht, um vorliegend den offenkundigen Zusammenhang zwischen der psychischen Verfassung der Beklagten und den Dienstpflichtverletzungen zu bejahen (vgl. den insoweit ablehnenden Beschluss in der mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2023).
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b) Angesichts der erheblichen Verfahrensdauer nach Einleitung des Disziplinarverfahrens bereits im September 2016 bis zur mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2023, ist das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass keine disziplinarische Ahndung der vorwerfbaren Dienstpflichtverletzungen mehr in Betracht kommt. Eine übermäßig lange Verfahrensdauer stellt einen im Disziplinarverfahren bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigenden Faktor dar (vgl. auch BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 50.13 – juris Rn. 44; BVerwG, U.v. 25.7.2013 – 2 C 63/11 – juris Rn. 43 m.w.N.). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die überlange Verfahrensdauer bereits zum Zeitpunkt der Disziplinarklageerhebung vorgelegen hat oder erst im gerichtlichen Verfahren entstanden ist.
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VIII. Die Kostentragungspflicht des Klägers ergibt sich vorliegend aus Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG, da im Disziplinarklageverfahren auf keine Disziplinarmaßnahme erkannt wurde. Für eine Anwendung von Art. 72 Abs. 2 BayDG mit einer Kostentragungspflicht der Beklagten, da diese ein Dienstvergehen begangen ist, ist vorliegend kein Raum.