Inhalt

AG Augsburg, Endurteil v. 02.02.2023 – 15 C 104/23
Titel:

Merkantiler Minderwert und Umsatzsteueranteil

Normenkette:
BGB § 249, § 251
Leitsatz:
Eine merkantile Wertminderung ist in vollem Umfang ohne Berücksichtigung der Vorsteuerabzugsberechtigung zu erstatten. Maßgeblich ist, dass es sich bei der merkantilen Wertminderung nicht um eine Schadensersatzposition im Sinn des § 249 Abs. 2 BGB handelt, sondern um einen Entschädigungsanspruch im Sinn des § 251 BGB. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Umsatzsteuer, Merkantiler Minderwert
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18099

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 39,92 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.12.2022 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 39,92 € festgesetzt.

Tatbestand

Von einer Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 495a ZPO in Verbindung mit § 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

1
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
2
Die Klage ist zulässig und begründet.
3
Das Amtsgericht Augsburg ist sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 GVG und örtlich gemäß § 20 StVG, § 32 ZPO zuständig, da der Streitwert unter 5000 € liegt und sich der Verkehrsunfall im hiesigen Gerichtsbezirk ereignet hat.
4
Die Klage auch begründet. Der Klägerin steht ein weiterer Schadensersatzanspruch in Höhe von 39,92 € zu.
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In diesem Zusammenhang geht das Gericht beim klägerischen Antrag aus dem Schriftsatz vom 05.01.2023 von einem Schreibversehen aus und legt den Antrag dahingehend aus, dass die Klägerin eine Verurteilung der Beklagten in Höhe von 39,92 € begehrt. Dies ergibt sich zum einen aus der Angabe des vorläufigen Streitwertes sowie zum anderen aus der Klagebegründung.
6
Die Parteien streiten in diesem Zusammenhang einzig und allein um die Frage, ob aus dem unstreitigen Wertminderungsbetrag von 250 € die Mehrwertsteuer in Höhe von 19 % herauszurechnen ist oder nicht.
7
Das Gericht schließt sich insofern vollumfänglich der Auffassung des Amtsgerichts München in dessen Endurteil vom 26.09.2022, 336 C 1975/22 an und nimmt keine Herausrechnung des Mehrwertsteuersatzes vor. Vgl.:
„Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Wertminderung in vollem Umfang ohne Berücksichtigung der Vorsteuerabzugsberechtigung zu erstatten. Maßgeblich ist, dass es sich bei der merkantilen Wertminderung nicht um eine Schadensersatzposition im Sinn des § 249 II BGB handelt, sondern um einen Entschädigungsanspruch im Sinn des § 251 BGB. Der merkantilen Wertminderung liegt zu Grunde, dass das Unfallfahrzeug im reparierten Zustand in technischer Hinsicht im gleichen Zustand ist wie ohne den Unfall, aber aufgrund der Unfallvorgeschichte auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen niedrigeren Preis erzielen würde. Hierzu hat der BGH ausgeführt, dass es sich beim merkantilen Minderwert um eine Minderung des Verkaufswerts handelt, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeugs allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge besteht. Diese Wertdifferenz stellt einen unmittelbaren Sachschaden dar, BGH, Urteil vom 23.11.2004 – VI ZR 357/03. Bei einem Schadensersatzanspruch nach § 249 BGB geht es darum, den Zustand herzustellen, der ohne den Unfall bestünde. Die Zahlung der Reparaturkosten dient der Befriedigung von diesem Anspruch. Dagegen hat die Wertminderung einen anderen Zweck. In technischer Hinsicht ist der Zustand des Fahrzeugs nach der Reparatur so, wie er ohne den Unfall wäre. Die Wertminderung dient als Kompensation dafür, dass trotz des technisch gleichwertigen Zustands auf dem Gebrauchtwagenmarkt ein niedrigerer Kaufpreis zu besorgen ist. Die Wertminderung soll dafür entschädigen, was in den Köpfen potentieller Gebrauchtfahrzeugkäufer vorgeht, die trotz technischer Gleichwertigkeit für ein Fahrzeug mit Unfallvorgeschichte weniger zu zahlen bereit sind. Da es dem Schädiger nicht möglich ist, darauf Einfluss zu nehmen, was in den Köpfen potentieller Käufer vor sich geht, kann der Schädiger nicht den Zustand herstellen, der bestünde, wenn das Fahrzeug ohne Unfallvorgeschichte auf dem Gebrauchtwagenmarkt verkauft werden würde. Deshalb liegt ein Fall des § 251 BGB vor. Die Herstellung des Zustands, der ohne das schädigende Ereignis besehen würde, ist nicht möglich und deshalb hat der Schädiger den Geschädigten in Geld zu entschädigen. Daneben ist zu berücksichtigen, dass der Wertminderungsanspruch § 287 ZPO unterliegt und der Tatrichter unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung die Höhe schätzen kann, Jaeger, NZV 2017, 297. Es gibt drei Argumente gegen den Abzug der Mehrwertsteuer bei einem Vorsteuerabzugsberechtigten: Das erste Argument ist der Wortlaut des Gesetzes: Der für die Wertminderung einschlägige § 251 BGB enthält anders als § 249 II 2 BGB keine Regelung, dass die Mehrwertsteuer nur zu ersetzen ist, wenn diese tatsächlich anfällt. Daraus kann der Umkehrschluss gezogen werden, dass beim Wertersatz nach § 251 BGB die Mehrwertsteuer auch dann in dem zu erstattenden Betrag enthalten ist, wenn diese bei einem vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten konkret nicht anfällt. Das zweite Argument ist ein logischer Vergleich. Ob und inwieweit die Wertminderung sich tatsächlich realisiert, hat keinen Einfluss auf deren Erstattungsfähigkeit, wie der Vergleich mit anderen Fällen zeigt. Die Argumentation, die Mehrwertsteuer sei bei einem Vorsteuerabzugsberechtigen abzuziehen, weil sie bei diesem nicht anfällt, ist nicht logisch, da zu bedenken ist, dass sogar der Umstand, dass die Wertminderung in vielen Fällen im Ganzen nicht anfällt, nicht dazu führt, dass kein Anspruch auf Wertminderung bestehen würde. Nur wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur als Gebrauchtwagen zu dem angenommenen Minderwert verkauft, wirkt sich die Wertminderung überhaupt aus. Es ist aber Sache des Geschädigten, ob er das Fahrzeug verkauft oder nicht. Wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur behält und schlichtweg bis zum Zeitpunkt der Entsorgung weiter behält, realisiert sich die Wertminderung zu keinem Zeitpunkt. In diesem Fall enthält der Geschädigte die Wertminderung als Kompensation für einen merkantilen Minderwert, obwohl sich dieser in keiner Weise auswirkt. Die Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung wirkt sich in diesem Fall nicht aus, sondern unabhängig von der Vorsteuerabzugsberechtigung hat der Geschädigte einen Vorteil, den man für ungerechtfertigt halten kann, der aber dennoch allgemein akzeptiert wird. Ein nicht zum Vorsteuerabzug berechtiger Geschädigter erhält den Gesamtbetrag (einschließlich dem nach Ansicht der Beklagten herausrechenbaren Mehrwertsteueranteil) und darf, selbst wenn er das Fahrzeug nicht verkauft, sondern behält, den Gesamtbetrag (einschließlich dem nach Ansicht der Beklagten herausrechenbaren Mehrwertsteueranteil) behalten. Ein anderer Vergleich ist ein Geschädigter, der das reparierte Fahrzeug nicht sofort, sondern beispielsweise nach mehreren Jahren verkauft. Bei diesem wirkt sich die merkantile Wertminderung möglicherweise noch aus, aber in einem anteiligen geringeren Verhältnis zum Fahrzeugpreis. Wenn das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls einen Wiederbeschaffungswert von 10.000 Euro hatte und eine merkantile Wertminderung von 1.000 Euro verbleibt und der Geschädigte verkauft es zehn Jahre später für 1.000 Euro, ist nicht davon auszugehen, dass er den doppelten Preis erzielen könnte, wenn dieser Unfall vor 10 Jahren nicht gewesen wäre. Auch in diesem Fall hätte der Geschädigte die Wertminderung in vollem Umfang erhalten, obwohl sich allenfalls ein kleiner Teil davon realisiert. Die Frage, ob überhaupt oder gegebenenfalls in welcher Höhe sich die Wertminderung jemals realisiert, wirkt sich nicht auf die merkantile Wertminderung aus, da es sich dabei nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt, der zum Ziel hätte, den Geschädigten so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde, sondern weil es sich um einen Entschädigungsanspruch i.S.d. § 251 BGB handelt. Da die Herstellung des Original-Zustandes im Hinblick auf das Käuferverhalten auf dem Gebrauchtwagenmarkt nicht möglich ist, steht dem Geschädigten eine angemessene Entschädigung in Geld zu. Die Höhe der Entschädigung ist unabhängig davon, ob oder unter welchen Bedingungen das Unfallfahrzeug jemals dem Gebrauchtwagenmarkt tatsächlich angeboten wird und ob und in welchem Unfall sich der Unfall auf den Verkaufspreis auswirkt. Es gilt der Grundsatz, dass sich der Geschädigte an dem Unfall nicht bereichern darf. Auf dieser Grundlage könnte man argumentieren, dass die Wertminderung wegen des Bereicherungsverbots bei Vorsteuerabzugsberechtigung nur netto zu zahlen ist. Wenn man bedenkt, dass die Wertminderung einen Entschädigungsanspruch darstellt, auf den ein Anspruch besteht selbst wenn sich keinerlei finanzieller Nachteil realisiert hat, könnte man sich in den Fällen, in denen sich der Minderwert nicht ausgewirkt hat, generell fragen, ob dies gegen das Bereicherungsverbot verstößt. Wenn man aber akzeptiert, dass der Geschädigte eine merkantile Wertminderung auch dann erhält, wenn er das Fahrzeug nicht verkauft, muss man auch akzeptieren, dass dies unabhängig davon ist, ob bei dem Verkauf eine Umsatzsteuer angefallen wäre, da der Verkauf nicht Voraussetzung für die Gewährung der Wertminderung ist und deshalb keine Relevanz für deren Höhe hat. Der dritte Grund liegt darin, dass die Prämisse, ein Vorsteuerabzugsberechtiger würde das Fahrzeug ohne die für Nicht-Vorsteuerberechtigte geltende Mehrwertsteuer in Höhe von 19 % verkaufen, nur auf einen Teil der Fälle zutrifft. Es ist weder bekannt, ob der Vorsteuerberechtigte das Fahrzeug verkaufen wird noch wann und wo er es verkaufen wird und welches Steuerrecht dann und dort gelten wird. Die Mehrwertsteuer ist auch bei vorsteuerabzugsberechtigen Geschädigten kein durchlaufender Posten. Die gegenteilige Aussage beruht auf der Annahme, dass der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur zu dem angenommenen Minderwert verkauft und hierbei vorsteuerabzugsberechtigt ist. Zu bedenken ist, dass das deutsche Steuerrecht nicht internationaler Standard ist. Es ist gerichtsbekannt, dass Gebrauchtwägen mit zunehmendem Alter, mit zunehmenden Gebrauchsspuren und Unfallvorgeschichte für den deutschen Gebrauchtwagenmarkt unattraktiv werden, aber noch gut in andere Länder exportiert werden können und dort noch viele Jahre fahren. Das deutsche System mit der Vorsteuerabzugsberechtigung gilt nicht in jedem Land und auch die Höhe der Mehrwertsteuer ist nicht in jedem Land gleich. Deshalb ist die Aussage, die Mehrwertsteuer sei bei einem Vorsteuerabzugsberechtigten nur ein durchlaufender Posten, nur dann richtig, wenn der Vorsteuerabzugsberechtigte das Unfallfahrzeug tatsächlich unmittelbar nach der Reparatur in Deutschland verkauft und sich der Mehrwertsteuersatz nicht verändert. Insgesamt ist das Gericht der Ansicht, dass die Wertminderung keine betragsmäßig feststehende Schadensposition ist, sondern ein der richterlichen Schätzung unterliegender Entschädigungsbetrag dessen Höhe unabhängig vom Steuerstatus des Geschädigten zu schätzen ist.“
8
Im vorliegenden Fall ist der Wertminderungsbetrag von 250 € unstreitig. Das Gericht hält die Wertminderung dieser unstreitigen Höfe für angemessen und nimmt keine Herausrechnung der Mehrwertsteuer vor. Damit besteht noch der restliche Anspruch auf Erstattung in Höhe der 39,92 €.
9
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
10
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
11
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
12
Die Zulassung der Berufung erfolgte gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO.