Titel:
Aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen einen Restrukturierungsplan – Glaubhaftmachung der Schlechterstellung
Normenkette:
StaRUG § 66 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 4
Leitsätze:
1. Die Voraussetzungen des § 66 Abs. 4 StaRUG für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen einen Restrukturierungsplan sind restriktiv auszulegen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Glaubhaftmachung der Schlechterstellung iSd § 66 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG. (Rn. 15 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Restrukturierungsplan, sofortige Beschwerde, aufschiebende Wirkung, Schlechterstellung, Glaubhaftmachung
Fundstellen:
ZIP 2023, 2718
ZInsO 2024, 1660
EWiR 2024, 88
NZI 2023, 1014
BeckRS 2023, 17904
LSK 2023, 17904
DZWir 2023, 555
Tenor
Der Antrag vom 05.07.2023 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 66 Abs. 4 StaRUG wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Mit Schriftsatz vom 05.07.2023 beantragt Rechtsanwalt L. für die von ihm vertretenen 59 planbetroffenen Aktionäre – es existieren insgesamt ca. 25.000 Aktionäre – die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gleichzeitig eingelegten sofortigen Beschwerde.
2
Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Vollzug des vorgelegten Restrukturierungsplans mit schwerwiegenden, insbesondere nicht mehr rückgängig zu machenden Nachteilen für die Beschwerdeführer einhergehen würde, welche außer Verhältnis zu den Vorteilen des Planvollzugs stünden. Die Kapitalherabsetzung auf Null werde zur sofortigen Beendigung der Börsennotierung der Schuldnerin führen (,,Cold Delisting“). Der gleichzeitig in Kraft tretende Bezugsrechtsausschluss führe zum vollständigen Verlust der Aktien- und Mitgliedschaftsrechte aller Aktionäre. Zur Vermeidung dieser nicht mehr rückgängig zu machenden Nachteile sei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung erforderlich und geboten.
3
Auch in der mit Schriftsatz vom 11.07.2023 erfolgten Beschwerdebegründung wird lediglich über 4 Zeilen der Gesetzestext wiedergegeben.
4
Der Restrukturierungsbeauftragte empfiehlt in seiner Stellungnahme vom 10.07.2023, den Antrag zurückzuweisen, da die sofortigen Beschwerden mangels Glaubhaftmachung einer Schlechterstellung gemäß § 66 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG unzulässig seien und in der Sache mangels Glaubhaftmachung eines schwerwiegenden Nachteils der Beschwerdeführer sowie fehlenden Vortrags hinsichtlich einer besseren Befriedigung in einem Alternativszenario voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg hätten. Das Interesse der Finanzgläubiger, der Mitarbeiter und der Vertragspartner der Schuldnerin an der Umsetzung des Planes wiege derart schwer, dass nach einer Interessenabwägung nicht nur der zukünftige, sondern der sofortige Vollzug des Plans geboten sei. Hinsichtlich der Details wird auf den Schriftsatz Bezug genommen.
5
Die Schuldnerin hat mit Schriftsatz vom 11.07.2023 zum Antrag Stellung genommen. Sie hält die Voraussetzungen des § 66 Abs. 4 StaRUG für nicht gegeben und beantragt, den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zurückzuweisen. Die sofortigen Beschwerden seien jedenfalls offensichtlich unzulässig, da eine wesentliche Schlechterstellung und/oder ein Alternativszenario innerhalb der Beschwerdefrist weder vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht worden seien. Zudem hätten die Antragsteller weder einen konkreten schwerwiegenden und irreversiblen Nachteil vorgetragen. Die Antragsteller wollten den Plan auch gar nicht verhindern, sondern würden einzig – und damit rechtsmissbräuchlich – eine Abfindung für ihre fast wertlosen Aktien anstreben. Demgegenüber stünden im Rahmen der Abwägung die Vermeidung des Insolvenzverfahrens mit dem drohenden Verlust von knapp 100.000 Arbeitsplätzen. Sollten die Maßnahmen des Restrukturierungsplans nicht bis Ende August 2023 umgesetzt werden, würden die Altkredite insgesamt fällig werden und zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin führen. Auf das weitere Vorbringen wird Bezug genommen.
6
Der Antrag ist zulässig, jedoch unbegründet.
7
Gemäß § 66 Abs. 4 StaRUG ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Beschwerde an, wenn der Vollzug des Restrukturierungsplans mit schwerwiegenden, insbesondere nicht rückgängig zu machenden Nachteilen für den Beschwerdeführer einhergeht, die außer Verhältnis zu den Vorteilen des sofortigen Planvollzugs stehen. Die vorgetragenen Vor- und Nachteile sind im Rahmen einer summarischen Prüfung gegeneinander abzuwiegen.
8
a) Nach dem (offensichtlichen) Willen des Gesetzgebers sind die Voraussetzungen dieser Norm restriktiv auszulegen (Skauradszun in: Beck OK StaRUG, 8. Edition, § 66 Rn. 62; Jungmann in: Münchener Kommentar zum StaRUG, 1. Auflage, § 66 Rn. 118).
9
Letzterer führt hierzu aus:
10
(Rn.118:) Eine restriktive Handhabung von § 66 Abs. 4 StaRUG entspricht damit eindeutig dem – im Vergleich zum ESUG offenbar anders ausgerichteten – Willen des deutschen Gesetzgebers, der die Weichen auf schnelle Planumsetzung gestellt hat. Er wollte mit der in § 66 Abs. 4 StaRUG gewählten Formulierung bewusst über die Grundsätze hinausgehen, die gemäß § 570 Abs. 2 bzw. Abs. 3 ZPO allgemein für Fälle gelten, in denen einer Beschwerde nach dem Gesetz keine aufschiebende Wirkung zukommt und in denen die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung angeordnet werden soll. Verzögerungen bei der Planumsetzung sollen erklärtermaßen möglichst vermieden werden, um den Erfolg der planbasierten Restrukturierung nicht zu verzögern. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss damit – auch wenn dies die Möglichkeiten effektiven Rechtsschutzes von widersprechenden Planbetroffenen zusätzlich einschränkt – im Restrukturierungsrecht die absolute Ausnahme bleiben.
11
(Rn 119:) Aus diesem Grund müssen aufseiten des Beschwerdeführers schon durch den sofortigen Planvollzug nachgerade existenzbedrohende Nachteile – also zum Beispiel zu dessen Insolvenz führende Vermögenseinbußen – zu befürchten sein, um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu rechtfertigen; andere (gewichtige) wirtschaftliche Folgen finden regelmäßig nur dann Berücksichtigung, wenn ihr Eintritt (rechtlich oder faktisch) nicht oder nur mit erheblichem Aufwand reversibel ist.
12
Nach Bl. in: Morgen, StaRUG, 2. Auflage, § 66 Rn. 39 liegen: schwerwiegende Nachteile (…) dann vor, wenn sich diese nicht mehr durch eine Schadenersatzleistung kompensieren lassen. Der Gesetzgeber hat durch § 66 Abs. 5 Satz 2 normiert, dass grundsätzlich Schadensersatzansprüche vorrangig sind. Ein nicht mehr auszugleichender Nachteil kann insbesondere bei gesellschaftsrechtlichen Eingriffen oder bei Eingriffen in dingliche Rechte vorliegen. Die schwerwiegenden Nachteile müssen außer Verhältnis zu den Vorteilen des sofortigen Planvollzugs stehen. Hierbei wird insbesondere abzuwägen sein, ob die Aussetzung des Planvollzugs Auswirkung auf die Fortführung des Unternehmens und damit der Vernichtung von Werten und Arbeitsplätzen hat. Je größer der Schaden durch die Aussetzung für weitere Planbetroffene ist, umso schwerer muss der Nachteil für den Beschwerdeführer sein.
13
b) Der Antrag scheitert bereits an den allgemeinen Voraussetzungen des § 570 ZPO.
14
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung setzt u.a. voraus, dass die zugrundeliegende sofortige Beschwerde nach summarischer Prüfung zulässig und nicht ohne Erfolgsaussichten zu sein scheint (ständige Rechtsprechung des BGH, s. nur B. v. 28.09.2021, VIII ZB 43/21).
15
Nach bisheriger Aktenlage dürften die sofortigen Beschwerden unzulässig sein, da – jedenfalls innerhalb der Beschwerdefrist (Bl., a.a.O., § 66 Rn. 31; Spliedt, in: Jacoby/Thole StaRUG, 1. Auflage 2023, § 66 Rn. 14) – keine Schlechterstellung i.S.d. § 66 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG glaubhaft gemacht wurde.
16
Bislang wurde zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise durch einen einzigen Beschwerdeführer ein Alternativszenario vorgetragen, nach dem diese eine bessere Befriedigung erhalten würden als durch den Plan. Einziges plausibles, wenn auch durch die Schuldnerin glaubhaft gemachtes, Alternativszenario ist angesichts der in Kürze fällig werdenden Altkredite die Insolvenz.
17
c) Der Antrag scheitert zudem am unzureichenden Vortrag zu etwaigen schwerwiegenden, nicht wiedergutzumachenden Nachteilen. Der Vortrag der antragstellenden Planbetroffenen erschöpft sich – über die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes hinaus – im Verlust der Mitgliedschaftsrechte.
18
Ein solcher Verlust kann zwar grundsätzlich einen Nachteil i.S.d. § 66 Abs. 4 StaRUG darstellen (vgl. oben Bl., a.a.O.).
19
Es ist jedoch darüber hinaus vorzutragen, welchen konkreten Nachteil jeder einzelne Aktionär durch den Verlust seines Mitgliedschaftsrechtes erleiden würde und aus welchem Grunde ein solcher Nachteil nicht durch einen Schadensersatzanspruch ausgleichbar wäre. Zu diesen entscheidenden Punkten wird im Antrag nichts ausgeführt.
20
d) Demgegenüber hat die Schuldnerin die Nachteile, die ihr durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung entstehen würden ausreichend und nachvollziehbar dargestellt. Auf den Vortrag der Schuldnerin wird Bezug genommen.
21
e) Es verbleibt damit bei der Abwägung zwischen dem abstrakten Verlust der Mitgliedschaftsrechte von 59 Aktionären und der andernfalls anstehenden Insolvenz der Schuldnerin mit dem drohenden Verlust von ca. 100.000 Arbeitsplätzen.
22
Im Rahmen der Abwägung ist besonders zu berücksichtigen, dass lediglich 59 von ca. 25.000 Aktionären versuchen, die Umsetzung des Plans zu verhindern – so jedenfalls die schriftsätzliche Beschwerdebegründung. Dass aber sachliche Einwände gegen den Plan selbst nicht bestehen dürften, ergibt sich aus der Aussage des Rechtsanwalts S. vom 31.05.2023:
23
Man habe zwar namens der vertretenen Aktionäre im Termin ein Rechtsmittel eingelegt, wolle aber gleichwohl den Plan nicht verhindern, sondern eine wirtschaftliche Lösung anstreben. Insoweit wolle man für die Aktionäre über eine Abfindung verhandeln (vgl. Beschluss des Amtsgerichtes Nürnberg vom 21.06.2023 Seite 7).
24
Dieses Verhalten grenzt an Rechtsmissbrauch und offenbart das fehlende Interesse am fortbestand der Schuldnerin und dem Erhalt der Arbeitsplätze. Jedenfalls aber müssen rein finanzielle, im Zweifelsfall ausgleichbare Nachteile einzelner Aktionäre, die einzig durch den (Wert) Verlust der Aktien – zudem als dieser Anlageform immanentes Risiko – deutlich hinter dem Interesse der Schuldnerin an der Fortführung des Unternehmens zurückstehen.
25
Das Ergebnis der pflichtgemäßen Abwägung steht damit deutlich zugunsten der Schuldnerin und dem Fortbestand des gesetzlichen Regelfalls der fehlenden aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde.