Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 03.07.2023 – 16 U 1236/22
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: Audi A 3)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG Bamberg BeckRS 2023, 17804; OLG Celle BeckRS 2023, 13851; OLG München BeckRS 2023, 17854; OLG Stuttgart BeckRS 2021, 20399; OLG Brandenburg BeckRS 2023, 7905; BeckRS 2022, 19415 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG München BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Damit eine unzulässige Abschalteinrichtung eine Haftung der Motorherstellerin wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB auslösen kann, müssen weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Annahme einer besonderen Verwerflichkeit (und damit einer Sittenwidrigkeit) der Fahrkurvenerkennung des EA 288 steht entgegen, dass sich diese Funktionalität in mehreren Punkten grundlegend von der „Umschaltlogik“ des EA 189 unterscheidet; das sind insbesondere der verbleibende „Realitätsbezug“ der Arbeitsweise des NSK, der Sachgrund für die abweichende Steuerung der Regenerationen und die fehlende „Grenzwertkausalität“ der Folgen der Eingriffe. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Haftung der Motorherstellerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheidet aus, da sie nicht Fahrzeugherstellerin und Verantwortliche der Übereinstimmungsbescheinigung ist. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Fahrkurvenerkennung, NSK-Katalysator, Precon, Grenzwertkausalität, Übereinstimmungsbescheinigung, Schutzgesetzverletzung
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 05.04.2022 – 4 O 7611/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17857

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 05.04.2022, Aktenzeichen 4 O 7611/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil und der vorliegende Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 16.226,18 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 05.04.2022 und die einleitende Zusammenfassung im vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 23. Januar 2023 Bezug genommen.
2
Im Berufungsverfahren beantragt die Klagepartei:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 16.226,18 € zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A3 mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.214,99 € freizustellen.
3
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
4
Wegen der Einzelheiten des jeweiligen Sachvortrags im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
5
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 05.04.2022, Aktenzeichen 4 O 7611/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
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Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung der Klagepartei vom 25. Januar 2023 geben zu einer Änderung keinen Anlass.
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1. Soweit sich die Gegenerklärung in Darstellungen und Überlegungen tatsächlicher und rechtlicher Art erschöpft, die von der Klagepartei im Verfahren bereits vorgetragen wurden, hat der Senat diese bereits geprüft und behandelt. Der Senat nimmt zur Kenntnis, dass die Klagepartei den Ausführungen des Senats insoweit ihre eigenen – abweichenden – Schlussfolgerungen und Bewertungen entgegensetzt; er hält jedoch an den im Hinweis dargelegten und begründeten Standpunkten fest.
9
Der Senat hat in seinem Hinweis insbesondere bereits ausgeführt, dass und warum eine Einstufung der von der Beklagten implementierten Steuerungsfunktion(en) als europarechtlich unzulässige Abschalteinrichtung(en) für sich genommenen nicht den Schluss auf das Vorliegen einer haftungsbegründenden sittenwidrigen Schädigung im Sinne der §§ 826, 31 BGB erlaubt, weil der Vorwurf der Sittenwidrigkeit – der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgend – nur bei Hinzutreten „weiterer Umstände“ gerechtfertigt wäre, die das zu beurteilende Geschehen erst als besonders verwerflich qualifizieren könnten. Zudem hat der Senat aufgezeigt, dass und warum nach seinem Verständnis die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – insbesondere schon die Grundsatzentscheidung vom 25. Mai 2020 – in der Sache (wenngleich ohne Verwendung des inzwischen gebräuchlichen Begriffs) die „Grenzwertkausalität“ (bzw. „Grenzwertrelevanz“) der im Streit stehenden Manipulationen zur Bedingung für die Annahme einer sittenwidrigen Schädigung macht. Aus Sicht des Senats weicht das OLG Köln mit seinem (von der Klagepartei vorgebrachten) Urteil vom 10. März 2022 (Az. 24 U 112/21) von der durch die vorangegangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon gezogenen Linie ab. Soweit der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 26. Juni 2023, Az. VIa ZR 335/21, Rn. 51, Ausführungen zur Grenzwertkausalität macht, stellt er lediglich fest, dass im Rahmen einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Maßstab für die Frage der Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht die Einhaltung des Grenzwerts sei.
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2. Auch (zum Teil bereits „überholte“) Urteile anderer Oberlandesgerichte stehen einem Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob es Gerichte gibt, die bei der Behandlung bestimmter Sachverhaltskonstellationen unter Berücksichtigung der ihnen im jeweiligen Einzelfall von den Parteien unterbreiteten Informationen im konkreten Ergebnis zu einer abweichenden Einschätzung (der Haftungsfrage oder des Umfangs der Darlegungslast) gelangen. Der vorliegende Fall wirft keine neuen Fragen auf, die von grundsätzlicher Bedeutung sind. Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind sowohl allgemein als auch speziell mit Bezug auf die Entwicklung und den Einsatz einer europarechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung höchstrichterlich abstrakt geklärt; hieran vermag auch die angesprochene, nachträglich ergangene Entscheidung des OLG Köln nichts zu ändern. Ob im jeweils konkreten Fall die Voraussetzungen für eine Haftung des Motorenherstellers vorliegen, hängt stets von den durch die tatrichterlichen Instanzen unter Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen (nicht zuletzt auch zur Frage der Herleitung eines etwaigen Schädigungsvorsatzes) ab und kann ohnehin nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21, Rn. 13 bei juris m.w.N.).
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3. Soweit sich die Klagepartei nunmehr auch auf in Auszügen wiedergegebene interne Unterlagen der Fa. R. B. GmbH beruft, ergibt sich hieraus – soweit überhaupt der streitgegenständlich verbaute NSK darin betroffen ist – allein die Einschätzung des genannten Unternehmens, dass gewisse Funktionen „ein besonderes Potenzial für nicht behördenkonforme Applikation bieten“. Ein haftungsbegründendes Geschehen in Bezug auf die Beklagte wird dadurch nicht aufgezeigt.
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4. Der Senat bleibt auch im Weiteren bei seiner Auffassung, dass der durch die Klagepartei beschriebene Einsatz von Funktionen, die die „Fahrkurvenerkennung“ mit bestimmten Steuerungen der Abgasnachbehandlung durch den NSK-Katalysator verknüpft, unter den gegebenen Umständen nicht ausreicht – weder in der Einzelbewertung der von der Klagepartei monierten Abläufe noch in der Gesamtschau –, um der Beklagten ein sittenwidriges Vorgehen anzulasten.
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a) Jedenfalls bis zum Modellwechsel 2016 (KW 22/2016) war der Motortyp EA 288 so programmiert, dass die beladungsgesteuerte Regeneration des NSK (Entladung bei vollem Zustand) bei Erkennen eines Prüfstandsbetriebs deaktiviert wurde; infolgedessen regenerierte der NSK auf dem Prüfstand – anders als im Realbetrieb – nur noch streckengesteuert (Entladung nach einer Fahrtstrecke von ca. 5 km). Zusätzlich wurde der NSK am Ende der dem Prüfbetrieb stets vorgeschalteten (ebenfalls erkannten) Vorkonditionierungsfahrt (sog. „Precon“) vollständig regeneriert, um einen leeren Zustand zu Beginn der NEFZ-Prüffahrt zu gewährleisten. Der grundsätzlich erfolgte Einsatz entsprechender Funktionen ergibt sich aus der von der Klagepartei vorgelegten sog. „Applikationsrichtlinie“ (internes Dokument der Beklagten vom 18. November 2015: „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288“). Der Senat geht mit Blick auf den unstreitigen Vortrag der Parteien davon aus, dass die in Rede stehenden Funktionen im konkreten Fall implementiert waren.
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Ergänzend hat die Klagepartei im Berufungsverfahren unter Bezugnahme auf ein Privatgutachten des IT-Spezialisten Dr. H vom 27. Mai 2022 zuletzt vorgetragen, dass die am Ende des „Precon“ stattfindende Regeneration des NSK in besonders „tiefer“ Weise erfolge, nämlich über eine Dauer von 9,7 bis 10,7 Sekunden hinweg (während im „Normalmodus“ die „Maximaldauer“ bei 3 bis 9 Sekunden liege); dies habe zur Folge, dass der NSK „damit leerer [sei] als er es im Realbetrieb jemals wäre“. Die Beklagte hat diesen Umstand nicht in Abrede gestellt.
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b) Die geschilderten Eingriffe in die Arbeitsweise des NSK – die an das Erkennen eines Prüfstandsbetriebs (einschließlich „Precon“) anknüpfen – können nicht die Grundlage einer Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB sein, denn es fehlt insoweit wiederum an einem ausreichenden Vortrag zum Eingreifen der von der Rechtsprechung geforderten „weiteren Umstände“.
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Es kann letztlich offen bleiben, ob es sich bei der hier interessierenden Art von Steuerung der Abgasnachbehandlung um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handelt, weil allein aus der etwaigen Rechtswidrigkeit des Geschehens nicht dessen besondere Verwerflichkeit abgeleitet werden könnte.
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Der Annahme einer besonderen Verwerflichkeit (und damit einer Sittenwidrigkeit) des Vorgehens der Beklagten steht entgegen, dass sich die hier zu beurteilende Funktionalität in mehreren Punkten grundlegend von der „Umschaltlogik“ unterscheidet, mit der sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Motortyp EA 189 befasst. Diese Punkte sind der verbleibende „Realitätsbezug“ der Arbeitsweise des NSK, der Sachgrund für die abweichende Steuerung der Regenerationen und die fehlende „Grenzwertkausalität“ der Folgen der Eingriffe:
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aa) Die prüfstandsbezogene Steuerung der Regenerationen des NSK bewirkt – anders als die „Umschaltlogik“ des Motortyps EA 189 – eine grundsätzlich auch im Realbetrieb auftretende Arbeitsweise der Abgasnachbehandlung.
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Im realen Straßenbetrieb erfolgt die NSK-Regeneration, wie beschrieben, je nach Fahrprofil strecken- und beladungsgesteuert, nämlich nach ca. 5 gefahrenen Kilometern bzw. nach Erreichen der vollen Beladung, je nachdem, welches der Ereignisse früher eintritt. Das rein streckenbezogene Auslösen der Regenerationen auf dem Prüfstand hat zur Folge, dass der NSK im gesetzlichen Prüfzyklus NEFZ während des Durchfahrens der Standard-Prüfstrecke von 11 km unabhängig von seinem Beladungszustand immer (nur) genau zweimal regeneriert.
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Dennoch ist die Steuerung der Abgasnachbehandlung im Prüfstandsbetrieb nicht – mit einer noch anzusprechenden Einschränkung – an Bedingungen geknüpft, die im Normalbetrieb schlechthin nicht auftreten, denn auch „auf der Straße“ ist bei emissionsarmer Fahrweise zu erwarten, dass über vergleichbare lange Fahrstrecken hinweg keine beladungsgesteuerte Regeneration stattfindet, weil anderenfalls das zusätzliche Vorhalten der (unstreitig implementierten) streckenbezogenen Aktivierungsvariante von vornherein keinen Sinn ergeben würde.
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Auch was die vorgeschaltete Entladung im „Precon“ angeht, kann grundsätzlich – wenngleich nur faktisch – auch im Straßenbetrieb die Situation auftreten, dass der NSK bei Fahrtbeginn leer (oder fast leer) ist. Dies ist ausnahmsweise dann der Fall, wenn es ganz am Ende der vorangegangenen Fahrt zu einer Regeneration gekommen war. Ungeachtet der Zufälligkeit des Eintretens eines solchen Geschehensablaufs liegt hierin ein gewisser „Realitätsbezug“, der die Steuerung insoweit von der strikten „Umschaltlogik“ des Motortyps EA 189 unterscheidet.
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Demnach funktioniert das Emissionskontrollsystem beim Motortyp EA 288 in der streitgegenständlichen Ausführung – anders als beim Motortyp EA 189 – im realen Fahrbetrieb und im Prüfstandsbetrieb im Wesentlichen in gleicher Weise (ebenso OLG Koblenz, Urteil vom 24. August 2021 – 3 U 184/21, Rn. 29 bei juris). Es ist lediglich so, dass die Entladungen des NSK im Prüfstandsbetrieb nicht dynamisch, sondern nach einem festen Schema gesetzt werden. Im Ergebnis wird im Prüfstandsbetrieb gleichwohl eine auch im realen Fahrbetrieb vorkommende Arbeitsweise des Katalysators abgebildet, wobei zu berücksichtigen ist, dass im NEFZ-Prüfzyklus generell von den Rahmenbedingungen her (vgl. hierzu OLG Stuttgart vom 19. Januar 2021 – 16a U 196/19, Rn. 60 bei juris) lediglich ein Ausschnitt der möglichen Fahrsituationen nachgeahmt wird, welcher dem realen Fahrbetrieb – wenn überhaupt – nur selten entspricht.
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Eine Einschränkung ist (nur) insoweit zu machen, als für den zusätzlichen Anteil an Entladung des NSK, der speziell auf die – einmalig – im „Precon“ um einige Sekunden verlängerte Dauer der Regeneration zurückzuführen ist, kein „Realitätsbezug“ festzustellen ist.
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bb) Die Einstufung der abweichenden Abgasnachbehandlung als ein besonders verwerfliches Vorgehen scheitert auch daran, dass die Beklagte greifbare Sachgründe sowohl für die rein streckenbezogene Steuerung der Regenerationen im NEFZ-Betrieb als auch für die vorgeschaltete (und dort besonders „tiefe“) Entladung des NSK im „Precon“ anführen kann.
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In der Zusammenschau haben die verschiedenen Maßnahmen zur Folge, dass die Regenerationen, sobald ein laufender (oder unmittelbar bevorstehender) Prüfzyklus erkannt wird, in stets gleicher Zahl und zu stets gleichen Zeitpunkten (bzw. Streckenpunkten) erfolgen, unter Ausschaltung von eventuell variablen Einflüssen (wie z.B. den aktuellen Beladungszuständen des NSK): Zunächst regeneriert der NSK am Ende des „Precon“, also direkt vor „Kilometer 0“ der Prüfstrecke, sodann bei „Kilometer 5“ und zuletzt bei „Kilometer 10“. Die Beklagte macht geltend, dass sie mit dieser schematischen Vorgabe eine Reproduzierbarkeit der Messergebnisse anstrebe, die nicht gewährleistet sei, wenn sich zufällige Faktoren mit auswirken könnten, die mit dem Prüfzyklus als solchem nicht in Verbindung stehen. Der Bundesgerichtshof hat in der vom OLG Nürnberg in einer anderen – ebenfalls die „prüfzyklusabhängige NSK-Steuerung“ betreffenden – Berufungssache vorgenommenen Beurteilung, dass ein sittenwidriges Verhalten der (dortigen wie hiesigen) Beklagten ausscheide, wenn die Steuerung gemäß nachvollziehbarer Erläuterung der Vermeidung verzerrter NEFZ-Testergebnisse gedient habe, ausdrücklich keinen Rechtsfehler gesehen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – Az. VIa ZR 334/21, Rn. 19 f. bei juris).
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Speziell die Regeneration im „Precon“ soll gemäß dem Vorbringen der Beklagten sicherstellen, dass der Katalysator zum NEFZ-Start „leer“ ist, damit nur diejenigen NOx-Emissionen im Messergebnis abgebildet werden, die auch tatsächlich im Prüfzyklus anfallen. Dass die vorgeschaltete Entladung dabei besonders „tief“ erfolgt, ist zwar – wie angesprochen – ein Umstand, der im Realbetrieb keine Entsprechung findet; die angeführte Rechtfertigung für die „Precon“-Steuerung, die darauf abzielt, dass der NSK bei Prüfbeginn frisch regeneriert sein soll, schließt allerdings das Ziel mit ein, dass diese Regeneration zur Vermeidung einer verbleibenden Vorbelastung möglichst gründlich erfolgt.
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Die in Rede stehende Intention der Beklagten ist im Ergebnis nicht per se als missbilligenswert anzusehen, insbesondere ist sie nicht mit der unternehmerischen Entscheidung zu vergleichen, die hinter der „Umschaltlogik“ des Motortyps EA 189 steht und das Verwerflichkeitsurteil in der einschlägigen Rechtsprechung begründet. Hinter dem Bemühen um eine Nivellierung des Zufallsfaktors mit dem Ziel der Schaffung einheitlicher Testbedingungen steht keine sittenwidrige Schädigungsabsicht. Dementsprechend hat auch das OLG Stuttgart die Überlegung, durch die Steuerung im „Precon“ zu verhindern, dass die im NSK gespeicherten Schadstoffe, die aus vorangegangenen Fahrten herrühren, aufgrund einer anderenfalls im NEFZ-Zyklus stattfindenden zusätzlichen Regeneration Eingang in die Messung finden, als ein grundsätzlich legitimes Ziel angesehen, welches als solches keinen verwerflichen Eingriff in die Abgasnachbehandlung bewirkt (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 19. Januar 2021 – 16a U 196/19, Rn. 43 bei juris).
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cc) Im Übrigen hat die Klagepartei eine „Grenzwertkausalität“ der Funktionen nicht ausreichend dargelegt, was bedeutet, dass es an einem substantiierten Sachvortrag dazu fehlt, inwieweit die Eingriffe in die Abgasnachbehandlung gegebenenfalls notwendig sind, um die gesetzlichen Abgasgrenzwerte auf dem Prüfstand einhalten zu können.
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Auch bei Unterstellen einer (europarechtlichen) Unzulässigkeit im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2017 böten die beschriebenen Eingriffe für sich genommen keine ausreichende Grundlage dafür, der Beklagten ein Verhalten anzulasten, das eine Haftung gegenüber den Käufern begründet. Von daher geht auch jeder Verweis darauf, dass die Verordnung kein Tatbestandsmerkmal der „Grenzwertkausalität“ kenne, ins Leere.
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Für eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB bedürfte es, wie schon angesprochen, des Vorliegens „weiterer Umstände“, die es erst rechtfertigen, das Geschehen als besonders verwerflich zu qualifizieren. Angesichts dieser rechtlichen Vorgabe wäre ein Eingriff in das System der Abgasreinigung, der nicht dazu dient, das Einhalten der Emissionsgrenzwerte auf dem Prüfstand überhaupt erst zu ermöglichen, sondern die Messergebnisse nur (relativ) verbessern soll, nicht geeignet, den objektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit zu erfüllen. Denn im hier maßgeblichen Haftungszusammenhang ist das Kriterium der „Grenzwertkausalität“ von ausschlaggebender Bedeutung (so auch OLG Bremen, Urteil vom 21. Januar 2022 – 2 U 62/21, Rn. 35 f. bei juris; OLG Köln, Urteil vom 30. Juni 2021 – 5 U 254/19, Rn. 36 bei juris). In der Sache – der Begriff als solcher ist neueren Ursprungs – stand dieses Kriterium bereits im Mittelpunkt der eingangs behandelten Grundsatzentscheidung, die der Bundesgerichtshof auf einen Sachverhalt stützte, bei dem die Steuerungssoftware „bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur [!] auf dem Prüfstand eingehalten wurden“, und bei dem die Beklagte „über die Einhaltung [!] der gesetzlichen Abgaswerte getäuscht“ hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 16, 18 bei juris; Hervorhebungen jeweils hinzugefügt). Bei der (damals erfolgten) Bejahung der Sittenwidrigkeit sei, so heißt es in der Begründung der Entscheidung, gerade auch zu berücksichtigen gewesen, dass die Beklagte eine Software eingesetzt habe, „durch die die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm nur [!] im Prüfbetrieb eingehalten wurden“, womit man „unerlaubt Einfluss auf den Stickoxidausstoß genommen“ habe, der (insoweit unterstellt: ohne die Manipulation) „über das Maß des nach den gesetzlichen Vorgaben Zulässigen hinaus [!] erhöht“ gewesen sei (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 27 bei juris; Hervorhebungen jeweils hinzugefügt).
31
Der von der Klagepartei hiergegen angeführte Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 9. März 2021 (Az. VI ZR 889/20) enthält in der zitierten Passage lediglich die Feststellung, dass die Fahrzeugerwerber, wie man unterstellen könne, eine „ordnungsgemäße Durchführung“ des Typgenehmigungsverfahrens „als selbstverständlich“ voraussetzen; warum hieraus jedoch folgen soll, dass die Einstufung des Vorgehens der Beklagten als sittenwidrig (oder nicht sittenwidrig) nicht von einer „Grenzwertkausalität“ abhängen dürfe, erschließt sich nicht. Was das von der Klagepartei in Bezug genommene Urteil des OLG Köln vom 10. März 2022 (Az. 24 U 112/21) betrifft, lässt dies eine Irrelevanz der „Grenzwertkausalität“ für die Bejahung der (bloßen) Unzulässigkeit des Geschehens (in Form der Einstufung einer bestimmten Steuerung der Abgasreinigung als eine europarechtlich unzulässige Abschalteinrichtung) zu Unrecht ohne Weiteres auch auf eine (vermeintliche) Irrelevanz für die Bejahung der Sittenwidrigkeit durchschlagen.
32
Die Klagepartei – die im hier gegebenen Zusammenhang die Darlegungslast trifft – hat nicht konkret dazu vorgetragen, dass die Regenerationen in der Ausgestaltung, die sie im „Precon“ und im NEFZ erhalten, gegebenenfalls „grenzwertkausal“ (wie es der Bundesgerichtshof in den vorstehend wiedergegebenen Passagen zur „Umschaltlogik“ des Motortyps EA 189 als zentrales Element einer etwaigen Haftung aus §§ 826, 31 BGB vorausgesetzt hat). Es ist nicht dargetan, dass es ohne die Manipulation der Steuerungssoftware beim Motortyp EA 288 in der verfahrensgegegständlichen Ausführung (NSK-Katalysator) nicht gelungen wäre, die vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte im Prüfstandsbetrieb einzuhalten. Allein die Verwendung der in Rede stehenden Funktionen lässt nicht schon auf eine (intendierte) „Grenzwertkausalität“ schließen, weil insoweit grundsätzlich auch andere Ziele (etwa das Schaffen eines Wettbewerbsvorteils durch eine bloß relative Verbesserung der Abgaswerte) in Betracht kommen und die Beklagte nachvollziehbar vorgetragen hat, dass man mit den Maßnahmen das Ziel verfolge, eine Reproduzierbarkeit der Messergebnisse zu gewährleisten. Auch aus der bereits behandelten „Applikationsrichtlinie“ der Beklagten ergibt sich an keiner Stelle, dass die dort (für die vor der KW 22/2016 produzierten Motoren) beschriebene, mit der „Fahrkurvenerkennung“ verknüpfte Steuerung der Abgasnachbehandlung einen Einfluss auf die Einhaltung der Grenzwerte haben könnte.
33
Die von der Klagepartei nunmehr vorgelegten Ausführungen des Privatgutachters Dr. H^ vom 27. Mai 2022 liefern keine tragfähigen Anhaltspunkte in Richtung einer „Grenzwertkausalität“. Der Privatgutachter – der sich als IT-Spezialist auf eine Auswertung von Software und Datenfeldern beschränkt hat – bringt in diesem Kontext ausdrücklich bloß eine Mutmaßung an, indem er schreibt, dass „ohne die gezielte Regeneration zu vorgeplanten Zeitpunkten … vermutlich [!] die abweichende Parametrierung der Regeneration im NEFZ-Modus alleine nicht im Stande [wäre], zuverlässig die Emissionsgrenzwerte einzuhalten“ (Seite 9 der Ausführungen; Hervorhebung hinzugefügt).
34
Zugleich ist es so, dass verschiedene Umstände in Rechnung zu stellen sind, die sogar in die gegenteilige Richtung deuten, also eher gegen eine „Grenzwertkausalität“ sprechen. Die Anforderungen an die eigene Darlegungslast, der die Klagepartei ohnehin nicht genügt hat, würden mit Blick auf diese Umstände noch angehoben. So hat das KBA für die vom zuständigen Bundesminister am 22. September 2015 eingesetzte Untersuchungskommission „Volkswagen“ unter anderem zwei Gebrauchtfahrzeuge (Audi A3 2.0 l und VW Golf Sportsvan 2.0 l) nach unzulässigen Abschalteinrichtungen untersuchen lassen, in denen jeweils ein Motor des Typs EA 288 mit NSK-Technologie verbaut war. Das KBA stellte dabei insgesamt sieben Prüfroutinen zusammen. Als Fahrprofile wurden neben dem (damals einzig vorgeschriebenen) NEFZ-Zyklus auch einige NEFZvariierte Profile und der sog. RDE-Zyklus („Real Driving Emission“) gefahren (siehe Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“, Stand April 2016, Seiten 13, 15 ff.). Bei beiden Fahrzeugen wurde im NEFZ-Prüfzyklus der Höchstwert (des Stickoxidausstoßes) von 80 mg/km jeweils eingehalten. Besonders interessant ist, dass die Messwerte auch außerhalb des NEFZ-Zyklus größtenteils unter dem Grenzwert lagen. Dies war bei allen NEFZvariierten Testreihen der Fall, die zum Teil nicht auf dem Prüfstand, sondern auf ebener Straße und mit betriebswarmem Motor durchgeführt wurden. Beim Audi A3 wurde sogar während der RDE-Fahrt der Grenzwert eingehalten (siehe Seiten 20 f. des genannten Berichtes).
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Noch aussagekräftiger ist die vom KBA in einer Streitsache vor dem LG Berlin (Az. 67 O 36/20) erteilte amtliche Auskunft vom 1. Februar 2021 (zum Motortyp EA 288 mit NSK-Katalysator), in der zum Ergebnis der durchgeführten Prüfungen festgehalten wird, dass „auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenfunktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden“ (womit eine „Grenzwertkausalität“ verneint wird).
36
Konkrete Umstände, die dafür sprechen könnten, dass das KBA trotz seiner Kenntnis von der auf Täuschung ausgerichteten Vorgehensweise der Beklagten im Zusammenhang mit dem Motortyp EA 189 bei seinen Prüfungen nicht alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat, ergeben sich aus dem Vorbringen der Klagepartei nicht. Die Behauptung, dass die Abschalteinrichtungen vor Beginn der Messungen nicht entfernt worden seien, ist rein spekulativ. Soweit die Klagepartei dabei auf einen Artikel von „tagesschau.de“ vom 4. Dezember 2019 Bezug nimmt, wonach das KBA betreffend das Modell VW Touareg 3.0 im Jahr 2016 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei, und im Jahr 2017 dennoch einen Rückruf für das Modell angeordnet habe, bleibt offen, ob es sich hier überhaupt um identische Motorengenerationen handelte. Vorliegend ist ohnehin kein 3,0 Liter-Motor streitgegenständlich.
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Im Übrigen ließe selbst eine (unterstellte) objektive „Grenzwertkausalität“ der prüfzyklusabhängigen NSK-Steuerung aufgrund der genannten Umstände noch nicht den Schluss auf ein diesbezügliches Rechtswidrigkeitsbewusstsein der Beklagten zu. Es kommt daher nicht auf die Frage an, ob und wann das KBA eigene Untersuchungen zur „Grenzwertkausalität“ durchführte (siehe auch BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – Az. VIa ZR 334/21, Rn. 24 bei juris).
38
dd) Nach alledem kann auch der – von der Beklagten ohnehin bestrittene – Klagevortrag nicht haftungsbegründend sein, dass die Beklagte mit der Implementierung der geschilderten Eingriffe (in die Arbeitsweise des NSK) im streitgegenständlichen, erst nach der KW 22/2106 produzierten Fahrzeug gegen ihre eigene Zusage in der sog. „Applikationsrichtlinie“ verstoßen habe.
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5. Der Senat hält auch an seiner Auffassung fest, dass im konkreten Fall ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht besteht. Aus der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des EuGH vom 21. März 2023, Az. C-100/21, und dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Juni 2023, Az. VIa ZR 335/21, folgt nichts anderes.
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Aus den genannten Entscheidungen ergibt sich, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gegen den Fahrzeughersteller zustehen kann. Die Herleitung des Drittschutzes ist dabei maßgeblich an die vom Fahrzeughersteller ausgestellte Übereinstimmungsbescheinigung (vgl. Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG) geknüpft, welche nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dem Käufer auszuhändigen ist und so eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Fahrzeughersteller und dem Käufer hergestellt wird, mit der letzterem gewährleistet werde, dass das Kraftfahrzeug mit den maßgebenden Bestimmungen des Unionsrechts übereinstimme (EuGH, Urteil vom 21. März 2023, Az: C-100/21, NJW 2023, 1111, Rn. 82; BGH a.a.O. Rz. 29). Der hierdurch vermittelte Individualschutz beruht auf der Übereinstimmungsbescheinigung, welche das unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft (BGH a.a.O. Rz. 30, 32).
41
Vorliegend ist die Beklagte nicht Fahrzeugherstellerin und Verantwortliche der Übereinstimmungsbescheinigung, sondern hat lediglich den Motor entwickelt und hergestellt. Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheidet daher aus.
III.
42
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
43
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils und des vorliegenden Beschlusses erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711, § 713 ZPO.
44
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.