Titel:
Kein Schadensersatzanspruch wegen angeblicher Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 allein genügt nicht für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit. Der darin liegende Gesetzesverstoß ist für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz emissionsbeeinflussender Einrichtungen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die verantwortlich handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der emissionsbeeinflussenden Einrichtungen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf Ersatz des sogenannten Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, der auf Ersatz des Betrags gerichtet ist, um den der Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben wurde, besteht nur gegen den Fahrzeughersteller. (Rn. 11 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unzulässige Abschalteinrichtung, großer Schadensersatz, EA 288, Sittenwidrigkeit, Differenzschaden
Vorinstanz:
LG Augsburg, Urteil vom 21.12.2022 – 72 O 1927/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17852
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 21.12.2022, Az. 072 O 1927/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.2. Es ist beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 9.873,43 € festzusetzen.
2.Es ist beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 9.873,43 € festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Das angegriffene Urteil beruht nicht auf Rechtsfehlern i.S.d. § 546 ZPO und die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Feststellungen rechtfertigen keine andere Entscheidung (§ 513 ZPO). Das Erstgericht hat die vorliegende Schadensersatzklage auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 21.03.2023, Az. C-100/21) und des BGH (Urteil vom 26.06.2023, Az. Via ZR 335/21) zu Recht abgewiesen.
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1. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf großen Schadensersatz gerichtet auf Rückabwicklung des Kaufvertrags.
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Ein Anspruch auf großen Schadensersatz kommt nur im Falle einer Haftung gemäß § 826 BGB bzw. § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB in Betracht, nicht jedoch im Falle einer Haftung gemäß § 823 II BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (BGH, Urteil vom 26.06.2023, Az. Via ZR 335/21).
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Voraussetzung wäre, dass die Verantwortlichen der Beklagten nicht nur objektiv eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung implementiert haben, sondern sich dessen auch bewusst gewesen sind und den darin liegenden Gesetzesverstoß zumindest billigend in Kauf genommen haben.
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Wie der Senat bereits in zahlreichen Parallelverfahren aufgezeigt hat, liegen die Voraussetzungen für eine solche vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB bzw. eine Verwirklichung des Betrugstatbestands nicht vor.
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Vom KBA sind verschiedenste Fahrzeugmodelle mit Motoren des Typs EA288 (sowohl EU 5 als auch EU 6) untersucht worden, ohne dass es zu Beanstandungen im Hinblick auf das Emissionsverhalten gekommen ist. Dem Senat sind zudem zahlreiche von ihm selbst eingeholte gleichlautende Auskünfte des KBA aus anderen Verfahren bekannt. Insbesondere liegen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass der streitgegenständliche Motor mit einer Prüfstanderkennung ausgestattet ist, die mit der des Motors EA 189 vergleichbar ist.
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Die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 allein genügt darüber hinaus nicht für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit (z.B. BGH, Beschluss vom 21.03.2022, Az. Via ZR 334/21, juris, Rn. 19: „…Der darin liegende Gesetzes – verstoß wäre für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz emissionsbeeinflussender Einrichtungen im Verhältnis zum Kläger als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die verantwortlich handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der emissionsbeeinflussenden Einrichtungen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt…“).
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Von einer vorsätzlichen Täuschung mit dem Ziel der Erschleichung einer ansonsten nicht zu erreichenden Typengenehmigung kann nicht ausgegangen werden, wenn das KBA als zuständige Behörde nach gezielten eigenen Untersuchungen in Kenntnis der verwendeten Funktionen keine Veranlassung sieht, die Typengenehmigung zu widerrufen oder deren Fortbestand von verpflichtenden Software-Updates abhängig zu machen.
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Ein vorsätzliches bzw. sittenwidriges Verhalten der Beklagten kann deshalb auch dann nicht angenommen werden, wenn man zugunsten der Klagepartei unterstellt, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 zum Einsatz kommt.
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2. Die Beklagte haftet auch nicht für einen etwaigen – bislang nicht geltend gemachten – Differenzschaden der Klagepartei.
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Ein solcher deliktischer Anspruch, der auf Ersatz des Betrags gerichtet ist, um den der Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben wurde, besteht gegen die Beklagte vorliegend bereits deshalb nicht, weil die Beklagte nicht Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeuges ist und damit auch nicht die Verpflichtete im Sinne der EG-FGV. Bei dem streigegenständlichen Fahrzeug handelt es sich um einen PKW Skoda.
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Zutreffend führt das OLG München im Hinweisbeschluss vom 06.07.2023, Az 3 U 444/23, (ohne Fettdruck) u.a. aus:
„(…) Der BGH hat mit Urteil vom 26.06.2023, Az. Via ZR 335/21, entschieden, dass dem Käufer, dessen Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet ist, ein Anspruch auf den Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 7, § 27 Abs. 1 EG-FGV zusteht. Voraussetzung eines solchen Anspruches ist jedoch, dass die Beklagte zugleich die Verpflichtete im Sinne der EG-FGV Ist. Der in der o.g. neuesten Rechtsprechung des BGH auch in Fällen der Fahrlässigkeit bejahte Anspruch ergibt sich gerade daraus, dass der Fahrzeughersteller seine ihm obliegende Verpflichtung aus der EG-FGV nicht oder nicht zutreffend erfüllt hat. Schädigende Handlung im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist somit nicht allein die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Vielmehr knüpft die auch bei Fahrlässigkeit gegebene Haftung des Fahrzeugherstellers an die von diesem ausgestellte Übereinstimmungsbescheinigung an. § 6 Abs. 1 EG-FGV benennt als Verpflichteten den Inhaber der EG-Typengenehmigung im Sinne des Art. 18 in Verbindung mit Anhang IX der RL 2007/46/EG. Dieser Artikel benennt in seinem Abs. 1 wiederum den Hersteller als Inhaber der entsprechenden Typengenehmigung. Damit ergibt sich, dass die EG-Typengenehmigung durch den Hersteller eines Fahrzeuges herbeizuführen ist, welchen wiederum die Verpflichtung zur Ausstellung der Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne des § 6 Abs. 1 EG-FGV trifft. Die Beklagte ist vorliegend nicht Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeuges, entsprechend ist sie nicht die Verpflichtete im Sinne der EG-FGV. Ein Anspruch auf den Differenzschaden, den der BGH in seiner o.g. neuesten Rechtsprechung bejaht hat, besteht somit ebenfalls nicht. (…)“
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In diesem Sinne hat auch der BGH im Verfahren Via ZR 1119/22 aktuell entschieden (s. Presseerklärung zum Urteil vom 10.07.2023).
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3. Der Senat empfiehlt daher aus Kostengründen dringend die Rücknahme der Berufung. Im Fall der Rücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).