Titel:
Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster
Normenkette:
BGB § 826
Leitsatz:
Soweit in einem Dieselfall die Ansprüche auf das Vorhandensein eines Thermofensters gestützt werden, fehlt es diesbezüglich an einer sittenwidrigen Schädigung, da darin ohne besondere Anhaltspunkte keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegt, weil die Zulässigkeit solcher Thermofenster gerade auch unter Motorschutzgesichtspunkten kontrovers diskutiert wird und ihre Zulässigkeit nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist und das eine vertretbare Gesetzesauslegung darstellt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA288, Thermofenster, vertretbare Gesetzesauslegung
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 30.06.2023 – 3 U 48/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17805
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 22.154,76 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche im Hinblick auf den Erwerb eines Fahrzeugs mit Dieselmotor.
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Die Klagepartei hat den PKW VW Golf mit der Fahrzeug-Identifizierungs-Nummer (FIN) am von der Firma mit einem Kilometerstand von 84.766 km zu einem Kaufpreis von EUR 14.000 erworben. Im streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA288 mit der Schadstoffklasse Euro 6 eingebaut.
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Für das streitgegenständliche Fahrzeug wurde kein Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) angeordnet.
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Der Kläger trägt im Wesentlichen vor:
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Das streitgegenständliche Fahrzeug sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet.
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Die Thermofenster-Software steuere in einem bestimmten niedrigen Außentemperaturbereich die Abgasreinigungsanlage so, dass die Abgasrückführung reduziert werde. Das führe dazu, dass im Prüfstand andere Werte hinsichtlich des Ausstoßes von CO₂ sowie Stickoxiden erreicht würden.
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In dem streitgegenständlichen Fahrzeug werde zudem eine Zykluserkennung in Form der so genannten Fahrkurvenerkennung verwendet. Durch diese Abschalteinrichtung könne das Fahrzeug unterscheiden, ob es sich auf dem Prüfstand befindet oder im Realbetrieb auf der Straße.
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Ein Indiz für das Vorhandensein von unzulässigen Abschalteinrichtungen sei der Umstand, dass Fahrzeuge mit dem streitgegenständlichen Motor die Nox-Grenzwerte nicht einhalten, sobald der Prüfstandbetrieb (Neuer Europäischer Fahrzyklus, NEFZ) verlassen wird.
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.154,76 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs VW Golf 2.0 TDI, Fahrzeug-Ident-Nr.: …
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Rückübereignung des in Ziffer 1 genannten Fahrzeugs, Fahrzeug-Ident-Nr.: det.
3. Es wird festgestellt, die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, soweit diese aus dem Verkauf des Fahrzeugs Fahrzeug-Ident-Nr.: … mit falschen Abgaswerten sowie einer installierten Manipulationssoftware entstanden sind und entstehen werden.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 973,66 EUR außergerichtliche Gebühren für die Einholung der Deckungszusage sowie 1.375,88 EUR außergerichtliche Gebühren für die außergerichtliche Vertretung gegen die Beklagte, jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, hilfsweise den Kläger von diesen Gebühren freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor:
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Der Einsatz von Thermofenstern sei zum Schutz des Motors und des sicheren Fahrzeugbetriebs technisch zwingend erforderlich und notwendiger Bestandteil eines jeden Dieselfahrzeugs. Im normalen Fährbetrieb führe der konkrete, sehr weite Temperaturbereich der EA288-Motoren bei den in Europa herrschenden klimatischen Bedingungen dazu, dass die Abgasrückführung in den jeweils aktiven Motorbetriebsarten praktisch bei allen Fahrten aktiv sei. Sie werde nur bei extremen Temperaturen zum Motorschutz und zum sicheren Betrieb des Fahrzeugs außer Kraft gesetzt.
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Der gesetzliche Nox-Emissionsgrenzwert werde vom streitgegenständlichen Fahrzeug unabhängig von einer Fahrkurvenerkennung eingehalten.
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Das KBA habe bereits in verschiedenen Parallelverfahren zum Motor EA 288 in amtlichen Auskünften bestätigt, dass bei Deaktivierung der Fahrkurvenerkennung der Stickoxid Grenzwert eingehalten werde.
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Wegen der übrigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie zur Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2023.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB liegen nicht vor. Die Klagepartei ist der sie treffenden Darlegungs- und Beweislast (siehe Wagner in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 826 Rdnr. 55 m.w.N.) hinsichtlich der Voraussetzungen des von ihr geltend gemachten deliktischen Anspruchs nicht hinreichend substantiiert nachgekommen.
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1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (vgl. statt aller BGH, NJW 2019, 2164 [2165] oder NJW 2017, 250 [252]). Bei der Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, um die Bewertung des Verhaltens als verwerflich zu rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, NJW 2017, 250 [252]). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, NJW 2019, 2164 [2165] m.w.N.).
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In Bezug auf den Vortrag, mehrere Abschalteinrichtungen seien im streitgegenständlichen Fahrzeug des Klägers verbaut, bedeutet dies, dass eine Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik vorliegen muss, wie dies beim VW-Motor EA189 der Fall gewesen ist; d.h. es dürften nicht allein gesetzliche Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit der/den geltend gemachten Abschaltvorrichtung(en) muss ein System zur planmäßigen Verschleierung des Vorgehens geschaffen worden sein. Kurzum, die technische Ausstattung des Fahrzeugs muss auf die „Überlistung“ der Prüfungssituation ausgelegt sein (BGH, NJW 2021,921 [923]).
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2. Diese Voraussetzungen liegen im hiesigen Fall nicht vor. Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB ist nicht nachgewiesen.
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a. Soweit die Ansprüche auf das Vorhandensein eines Thermofensters gestützt werden, fehlt es diesbezüglich nach gefestigter Rechtsprechung an einer sittenwidrigen Schädigung, da es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung längst anerkannt ist, dass darin regelmäßig und ohne besondere Anhaltspunkte keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegt, weil die Zulässigkeit solcher Thermofenster gerade auch unter Motorschutzgesichtspunkten kontrovers diskutiert wird und ihre Zulässigkeit nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist und das eine vertretbare Gesetzesauslegung darstellt (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 -VI ZR 433/19; bestätigt durch BGH, Urteile vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20). Greifbare Anhaltspunkte für ein solches vorsätzliches und in einer besonders verwerflichen Art und Weise erfolgtes Vorgehen der Beklagten hat die Klagepartei allerdings nicht vorgetragen.
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b. Darüber hinaus hat die Klagepartei für ihre Behauptungen keinerlei greifbare Anhaltspunkte vorgetragen. Vielmehr erfolgten die Behauptung der Klagepartei hinsichtlich des Vorhandenseins verschiedener Abschalteinrichtungen unsubstantiiert. Demnach bestand kein Anlass zur Durchführung einer Beweisaufnahme, da diese Behauptung ersichtlich „ins Blaue hinein“ erfolgt ist.
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aa. Eine Beweiserhebung zu dieser unsubstantiierten Behauptung hätte zu einer Ausforschung geführt, welche nur im Ausnahmefall in Betracht zu ziehen ist. Zwar kann einer Partei es nicht verwehrt werden, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie weder genaue Kenntnis hat noch auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (BGH, NJW-RR 2003, 69 [70]; NJW 1995, 2111 [2112]). Es entspricht jedoch der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Bamberg (OLG Bamberg Beschluss vom 31. März2020-Az. 3 U 57/19, BeckRS 2020, 9901), dass jedenfalls dann keine Beweisaufnahme geboten ist, wenn die zum Beweis gestellte Behauptung ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes willkürlich aufgestellt worden ist.
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bb. Solche greifbaren Anhaltspunkte lagen nicht vor. Denn die Klagepartei konnte nicht darlegen, wie sie zu den von ihr aufgestellten Behauptungen gekommen ist. Derartige Indizien könnten sich etwa aus publizierten behördlichen oder sonstigen Untersuchungen zum streitgegenständlichen Fahrzeug ergeben, aus eigenen Ermittlungen und Untersuchungen der Klagepartei, aus Verlautbarungen oder Maßnahmen des KBA und vielem mehr. Nichts dergleichen ist klägerseits dargelegt worden.
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cc. Für das streitgegenständliche Fahrzeug wurde kein amtlicher Rückruf durch das KBA angeordnet. Die von der Klagepartei vorgetragenen Fälle betreffen andere Fahrzeuge.
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Es ist auch unerheblich, ob für Fahrzeuge der Beklagten mit dem Motor EA288 ein amtlicher Rückruf durch das KBA vorlag. Ein verbindlicher Rückruf des KBA hinsichtlich eines Fahrzeugs lässt keinen Rückschluss zu, dass in der dort verwandten Motorsteuerung eine den Prüfstandbetrieb erkennende Software verwendet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2021 – VII ZR 126/21, juris Rn. 14).
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dd. Zuletzt kann die Klagepartei auch nicht etwas anderes aus der von ihr zitierten Entscheidung des BGH vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 herleiten. Die Klagepartei verkennt, dass dieser Entscheidung und der dort vom BGH aufgestellten Pflicht zur Einholung eines Sachverständigenbeweises ein gänzlich anderer Sachverhalt zugrunde lag. Der genannte Beschluss befasst sich nämlich mit der Mängelgewährleistung des Verkäufers. Im Rahmen dieses Anspruchs genügt es, wenn der Käufer eine regelwidrige Auffälligkeit der Kaufsache behauptete, die auf einen Mangel im Sinne des § 434 BGB schließen lässt. Im vorliegenden Fall stützt die Klagepartei ihren Anspruch jedoch darauf, dass die Beklagte die Käufer durch das Inverkehrbringen von Kraftfahrzeugen der streitgegenständlichen Art vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe. Für einen solchen Anspruch genügt es jedoch nicht, dass sich der Kläger auf einen Mangel oder eine fehlende Beschaffenheit der in Verkehr gebrachten Sache beruft, sondern vielmehr bedarf es darüber hinaus der Beibringung von Indizien, welche Rückschlüsse auf das Vorhandensein eines vorsätzlichen Verhaltens zulassen sollen (vgl. OLG München, Beschluss vom 9. September 2020 – 8 U 1724/20, juris).
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ee. Somit ist auch nach der Entscheidung des BGH vom 28. Januar 2020 die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht geboten. Die Klagepartei will sich darüber erst die erforderliche Tatsachengrundlage für ihren Klagevortrag schaffen. Das läuft auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus.
29
Ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 StGB ist nicht nachgewiesen. Die Klagepartei hat schon keine Täuschung über Tatsachen, vorliegend den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen, nachgewiesen.
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Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV muss schon deswegen ausscheiden, weil es sich bei den Normen der EG-FGV nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung nicht um Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB handelt (statt vieler OLG Bamberg, Urteil vom 24. Juli 2019 – 8 U 38/19, BeckRS 21335).
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Es besteht auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007. Auch bei den Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 handelt es sich nicht um Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, sodass auch darauf gestützte Schadensersatzansprüche ausscheiden müssen (OLG München, Beschluss vom 29. August 2019 – 8 U 1449/19, juris).
32
Der BGH weist in ständiger Rechtsprechung darauf hin, dass nur die nationalen Gerichte berufen und in der Lage sind, die betreffenden EU-Vorschriften unter das Konzept einer Drittschütze Norm zu subsumieren (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022, VII ZR 656/21, BeckRS 2022, 11994, Rn. 3). Die Anträge des Generalanwalts Rantos vom 2. Juni 2022 geben keinen Anlass zu einer abweichenden Bewertung. Der Generalanwalt bestätigt dort zunächst, dass Art. 5 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht unmittelbar die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, schützen soll. Allerdings sei diesem Kontext mit der RL 2007/46 zu sehen, die ein Rahmen für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen schaffe und einen Basisrechtsakt darstelle. Diese Richtlinie schützt auf die Interessen eines Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschaltung nicht ausgestattet ist. Hierfür bedarf es nach den Darlegungen des Generalanwalts jedoch weitere Voraussetzungen, insbesondere fehlender Offenlegung oder Täuschung der Genehmigungsbehörde.
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Zwar behauptet die Klagepartei eine solche Täuschung. Aus dem Vortrag lässt sich aber gerade nicht darauf schließen, dass das KBA die maßgeblichen Umstände nicht kannte bzw. dass in Kenntnis weiterer Details keine Typengenehmigung erteilt worden wäre. Der Umstand, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug kein Rückruf angeordnet worden ist, spricht vielmehr dagegen.
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Mangels Bestehens eines Hauptanspruchs stehen der Klagepartei auch keine Ansprüche auf Zinsen und Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten zu.
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Die Kostenentscheidung resultiert aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist dem § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO zu entnehmen.
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Der Streitwert ist gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1,48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO festgesetzt worden.