Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 30.06.2023 – 3 U 48/23 e
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: VW Golf)

Normenketten:
BGB § 276 Abs. 1, § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 522 Abs. 2
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 1, Abs. 2
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
EG-FGV § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, 2
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG Celle BeckRS 2023, 13851; OLG Brandenburg BeckRS 2023, 7905; BeckRS 2022, 19415 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG München BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein der Vortrag des Käufers, die Abgasreinigung in dem Fahrzeug werde bei bestimmten Lufttemperaturen außerhalb des Temperaturfensters reduziert oder deaktiviert reicht nicht aus, um dem Verhalten der Herstellerin ein sittenwidriges Gepräge zu geben. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung bei Dieselmotoren zur Vermeidung von Stickoxiden ist seit Jahrzehnten üblich und in Fachkreisen allgemein bekannt; zumindest ab 2008 war der allgemeine Einsatz von „Thermofenstern“ auch dem EU-Normgeber bekannt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Herstellerin durfte sich auf die Prüfungskompetenz der Typgenehmigungsbehörde verlassen und damit ohne Verschulden – dh Vorsatz oder Fahrlässigkeit, § 276 Abs. 1 BGB – von der Zulässigkeit ihres Verhaltens ausgehen (unvermeidbarer Verbotsirrtum). (Rn. 33 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, KBA, Verschulden, Drittschutz, unionsrechtliche Regelungen, unvermeidbarer Verbotsirrtum
Vorinstanz:
LG Schweinfurt, Endurteil vom 02.03.2023 – 14 O 687/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17804

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 02.03.2023, Az. 14 O 687/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 16.154,76 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis längstens 20.07.2023.

Entscheidungsgründe

1
Die Klagepartei nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
2
1. Die Klagepartei erwarb am 23.08.2019 (Anlage K 1) von einem nicht am Rechtsstreit beteiligten Autohaus ein Fahrzeug der Marke VW, Typ Golf, als Gebrauchtwagen zu einem Bruttokaufpreis von 14.000,00 € (Anlage K 1). Zum Zeitpunkt des Kaufs betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 84.776 km (BI. 13 d.A., Anlage K 1), bei Klageerhebung am 08.11.2022 hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 167.180 km (BI. 13 d.A.), am 15.02.2023 einen Kilometerstand von 176.898 km (BI. 181 d.A.). Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA288 2.0I TDI NSK (EU 6) ausgestattet, der eine Leistung von 110 kW erreicht (BI. 36 d.A.). Es ist nicht von einem verbindlichen Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (im Folgenden: KBA) betroffen.
3
2. Die Klagepartei hat in erster Instanz vorgetragen, in dem von ihr erworbenen Fahrzeug kämen mit Wissen und Wollen des Vorstands der Beklagten mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen (insbesondere sog. Thermofenster, Prüfstands-ZZykluserkennung) zum Einsatz.
4
Die Klagepartei hat in erster Instanz beantragt,
(1.) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.154,76 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs VW Golf 2.0 TDI, Fahrzeug-Ident-Nr.: ...
(2.) Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Rückübereignung des in Ziffer (1.) genannten Fahrzeugs, Fahrzeug-Ident-Nr.: ... im Annahmeverzug befindet.
(3.) Es wird festgestellt, die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, soweit diese aus dem Verkauf des Fahrzeugs Fahrzeug-Ident-Nr.: ...mit falschen Abgaswerten sowie einer installierten Manipulationssoftware entstanden sind und entstehen werden.
(4.) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 973,66 EUR außergerichtliche Gebühren für die Einholung der Deckungszusage sowie 1.375,88 EUR außergerichtliche Gebühren für die außergerichtliche Vertretung gegen die Beklagte, jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, hilfsweise den Kläger von diesen Gebühren freizustellen.
5
Die Beklagte hat in erster Instanz beantragt,
die Klage abzuweisen.
6
Die Beklagte hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass in dem streitgegenständlichen Motor keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme.
7
Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Ersturteil (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
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3. Das Landgericht hat die auf Rückabwicklung, auf Feststellung des Annahmeverzugs und einer Haftung für weitere Schäden sowie auf Zahlung, hilfsweise Freistellung von außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage mit Endurteil vom 02.03.2023 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen einer Haftung wegen sittenwidrigen Schädigung lägen nicht vor. Die Klagepartei sei der sie treffenden Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Voraussetzungen des von ihr geltend gemachten Anspruchs nicht hinreichend substantiiert nachgekommen. Hinsichtlich der klägerseits vorgetragenen Funktion eines unzulässigen Thermofensters ergebe sich bereits nach dem Klägervortrag jedenfalls kein entsprechender Vorsatz hinsichtlich der weiteren deliktischen Normen, weil die Zulässigkeit solcher Thermofenster gerade auch aus Motorschutzgesichtspunkten kontrovers diskutiert werde, ihre Zulässigkeit nicht von vorneherein von der Hand zu weisen sei und das eine vertretbare Gesetzesauslegung darstelle. Eine Beweisaufnahme sei – auch hinsichtlich des Vorhandenseins weiterer Abschalteinrichtungen – nicht veranlasst. Für das streitgegenständliche Fahrzeug sei kein Rückruf durch das KBA angeordnet. Eine Entscheidung des BGH zu Substantiierungsanforderungen bei einer Inanspruchnahme des Verkäufers wegen Mängelgewährleistung sei nicht übertragbar. Die Normen der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sowie Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 stellten keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar. Die Schlussanträge des Generalanwaltes Rantos vom 02.06.2022 gäben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung, da weitere Voraussetzungen einer solchen Haftung wie eine fehlende Offenlegung oder Täuschung der Genehmigungsbehörde im Streitfall nicht gegeben seien.
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4. Gegen das vorgenannte Endurteil wendet sich die zulässige Berufung der Klagepartei, mit der sie unterWiederholung und teilweiser Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ihre Sachanträge unverändert weiterverfolgt.
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Die Berufung bringt vor, es gebe eindeutige Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Manipulation der Abgaswerte beim streitgegenständlichen Fahrzeug. Ein Rückruf sei nur noch eine Frage der Zeit. Der Einsatz eines Thermofensters stelle eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar. Der Bundesgerichtshof habe in seinem Beschluss vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, ausgeführt, dass die angebotenen Beweise zu erheben seien, wenn zu den beweiserheblichen Tatsachen hinreichend vorgetragen worden sei. Dies treffe auch im vorliegenden Fall zu. Die Klagepartei sei darüber getäuscht worden, dass die Zulassung des Fahrzeugs zum Straßenverkehr und die Einstufung in die angegebene Schadstoffklasse gesetzmäßig erfolgt seien. Das Verhalten der Beklagten sei als arglistige Täuschung und als besonders verwerflich anzusehen. Die Manipulation sei prüfstandsbezogen erfolgt. Der Schaden der Klagepartei liege im Abschluss eines nachteiligen und ungewollten Kaufvertrages. Die Voraussetzungen eines Anspruches nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB seien gegeben. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stelle das sog. Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Die entsprechende EU-Vorschriften dienten auch dem Individualschutz. Der EuGH habe klargestellt, dass das Europarecht eine Haftung der Hersteller auch beim fahrlässigen Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorsehe.
11
Wegen des Vorbringens der Klagepartei im Berufungsverfahren im Übrigen wird auf die Berufungsbegründung vom 27.04.2023 nebst Anlagen Bezug genommen.
12
Die Klagepartei beantragt im Berufungsverfahren, wie folgt zu erkennen:
(1.) Das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 02.03.2023, Az.: 14 O 687/22, wird aufgehoben.
(2.) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.154,76 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs VW Golf 2.0 TDI, Fahrzeug-Ident-Nr.: ...
(3.) Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Rückübereignung des in Ziffer (1.) genannten Fahrzeugs, Fahrzeug-Ident-Nr.: ... im Annahmeverzug befindet.
(4.) Es wird festgestellt, die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, soweit diese aus dem Verkauf des Fahrzeugs Fahrzeug-Ident-Nr.: ... falschen Abgaswerten sowie einer installierten Manipulationssoftware entstanden sind und entstehen werden.
(5.) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 973,66 EUR außergerichtliche Gebühren für die Einholung der Deckungszusage sowie 1.375,88 EUR außergerichtliche Gebühren für die außergerichtliche Vertretung, jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, hilfsweise die Klägerin von diesen Gebühren freizustellen.
13
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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5. Die Beklagte verteidigt das Ersturteil unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
15
Wegen des Vorbringens der Beklagtenpartei im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderung vom 03.05.2023 nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
16
Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung offensichtlich unbegründet, so dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bietet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung des Berufungsgerichts. Der Senat nimmt daher zunächst auf die zutreffenden Feststellungen im Ersturteil Bezug, die durch das Berufungsvorbringen auch nicht entkräftet werden.
17
Das Berufungsvorbringen veranlasst allein die folgenden Ausführungen:
18
1. Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte nach §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB wegen des im Fahrzeug der Klagepartei unstreitig zum Einsatz kommenden Thermofensters besteht nicht. Es fehlt sowohl an der objektiven Sittenwidrigkeit als auch am Schädigungsvorsatz.
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a.) (Spätestens) seit der Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Urteile vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) nimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an, dass es im Hinblick auf die – bis zu den Entscheidungen des EuGH vom 14.07.2022 bestehende – unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend (zu Daimler’. u.a. Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721; zu VW: Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814; zu Audi: Beschluss vom 01.09.2021, VII ZR 128/21, juris; BeSchluss vom 13.10.2021, VII ZR 164/21, juris; zu BMW'. Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris) sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt.
20
b.) Danach kann bei einer Abschalteinrichtung wie hier, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fährbetrieb und bei der sich die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantworten lässt, bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.
21
aa.) Allein der Vortrag der Klagepartei, die Abgasreinigung in dem Fahrzeug werde bei bestimmten Lufttemperaturen außerhalb des Temperaturfensters reduziert oder deaktiviert, dessen Richtigkeit unterstellt, reicht daher nicht aus, um dem Verhalten ein sittenwidriges Gepräge zu geben.
22
bb.) Um das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig zu bewerten, bedarf es daher – über die Verwendung des Thermofensters hinaus – weiterer Umstände (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 19; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 28; Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 13; Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 13; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 16; Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 14). Für diese Umstände trägt die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 13). Keinesfalls ausreichend hierfür ist allein der Umstand, dass die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz des Thermofensters eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 13).
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cc.) Für ein derartiges Vorstellungsbild sprechende Anhaltspunkte hat die Klagepartei nicht aufgezeigt. Die Klagepartei hat nicht dargelegt, dass es sich bei dem Thermofenster um eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung handelt. Zwar ist denkbar, dass eine Abschalteinrichtung die Kriterien des § 826 BGB auch dann erfüllt, wenn sie nicht prüfstandsbezogen ist. Das Kriterium der Prüfstandsbezogenheit ist indes geeignet, um zwischen – ggf. nur unzulässigen – Abschalteinrichtungen und solchen, deren Implementierung die Kriterien einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung erfüllen können, zu unterscheiden sowie um aus der Funktionsweise der Abschalteinrichtung auf eine als sittenwidrig zu bewertende Täuschungsabsicht der Beklagten schließen zu können (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, BeckRS 2021,33038 Rn. 18 f.).
24
c.) Die Behauptung der Klagepartei, die Beklagte habe die Abschalteinrichtung nicht gegenüber den Genehmigungsbehörden offengelegt und diese getäuscht (vgl. Berufungsbegründung, dort Seite 9: Zulassung des Fahrzeugs zum Straßenverkehr und die Einstufung in die angegebene Schadstoffklasse … erschlichen“), bleibt inhaltlich ebenfalls ohne Substanz.
25
aa.) Eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung bei Dieselmotoren zur Vermeidung von Stickoxiden ist seit Jahrzehnten üblich und in Fachkreisen allgemein bekannt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2022, 8 U 143/21, BeckRS 2022, 4570 Rn. 10). Zumindest ab 2008 war der allgemeine Einsatz von „Thermofenstern“ auch dem EU-Normgeber (vgl. Mitteilung der EU-Kommission – 2008/C 182/08 – über die Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Emissionen, dort unter Nr. 8) bekannt (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, juris Rn. 36). Dem KBA war die Verwendung von Thermofenstern bei allen Herstellern und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz ebenfalls bekannt. Es war deshalb zu einer Überprüfung des Emissionsverhaltens der Fahrzeuge – gegebenenfalls nach weiteren Rückfragen beim Hersteller – ohne weiteres in der Lage (BGH, Urteil vom 13.01.2022, III ZR 205/20, BeckRS 2022, 3677 Rn. 25).
26
bb.) Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte bei der Beantragung der EG-Typgenehmigung davon ausgehen, dass die Existenz von Thermofenstern dem KBA bekannt gewesen war und ihr insoweit keine Pflicht oblegen hatte, ungefragt von sich aus auf ein Thermofenster hinzuweisen (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, juris Rn. 36). Nachdem die Beklagte also den gesetzlichen Anforderungen entsprechend ihren Mitteilungspflichten bezüglich des Thermofensters nachgekommen ist, durfte sie sich grundsätzlich darauf verlassen, dass das KBA im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens entsprechend dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG eine Ergänzung verlangen würde, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit des Thermofensters in dem betreffenden Fahrzeug zu prüfen. Wenn das KBA als zuständige Typgenehmigungsbehörde nach eigener Prüfung selbst von der Zulässigkeit des „Thermofensters“ ausgeht, kann der Beklagten keine andere Einschätzung abverlangt werden. Selbst wenn also entgegen der Ansicht der Beklagten und des KBA eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen sollte, liegt ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten nicht vor.
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cc.) Dem von der Beklagten vorgelegten Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission „V.“ vom April 2016 ist zu entnehmen, dass in dem hier fraglichen Zeitraum Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet wurden. Nach Einschätzung der Untersuchungskommission handelt es sich bei der Verwendung eines Thermofensters angesichts der Unschärfe der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst, a VO (EG) Nr. 715/2007, wonach zum Schutz des Motors vor Beschädigungen und zur Gewährleistung eines sicheren Fahrzeugbetriebs notwendige Abschalteinrichtungen zulässig sind, um keine eindeutigen Gesetzesverstöße, sofern ohne die Verwendung des Thermofensters dem Motor Schaden drohe und „sei dieser auch noch so klein“ (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123, Anlage B 1). Daneben zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) betriebene erhebliche Begründungsaufwand, um das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist (BGH Urteil vom 24.03.2022, III ZR 263/20, Rn. 22; OLG Koblenz, Urteil vom 14.09.2020, 12 U 1464/19, Rn. 23).
28
d.) Dass bestimmte Ausgestaltungen des Thermofensters nunmehr vom EuGH als unzulässige Abschalteinrichtungen angesehen werden und denkbar ist, dass diese Sicht in Zukunft auch vom KBA übernommen wird, ändert an der vorstehenden Beurteilung nichts. Denn für diese sind die damaligen, vor Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeuges liegenden, Vorstellungen und Erkenntnisse maßgeblich (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, juris Rn. 38).
29
2. Der von der Klagepartei geltend gemachte Anspruch gegen die Beklagte ergibt sich auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46 i. V. m. Art. 5 Abs. 1, 2 der Verordnung Nr. 715/2007.
30
a.) Der Senat hat zur Kenntnis genommen, dass der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 21.03.2023 zum Vorabentscheidungsverfahren EuGH – C-100/21 einen Individualschutz bejaht und ausgeführt hat, dass die Mitgliedstaaten vorsehen müssen, dass der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz durch den Hersteller dieses Fahrzeugs hat, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (EuGH, Urteil vom 21.03.2023, NJW 2023, 1111 (1115 f.), dort Rn. 85 bzw. 91).
31
b.) Selbst wenn man diese Rechtsauffassung des EuGH zugrunde legt, führte dies jedoch zu keiner anderen Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreits.
32
aa.) Der Senat gibt im Hinblick auf das Urteil des EuGH vom 21.03.2023 (Az.: C-100/21, Rz. 85) zwar seine Ansicht auf, dass es an einem Drittschutz dieser Vorschriften fehlt.
33
bb.) Vorliegend kann jedoch dahinstehen, ob auch eine fahrlässige Verletzung der europarechtlichen Vorschriften als haftungsbegründend angesehen werden kann und ob diese Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind. Die Beklagte durfte sich auf die Prüfungskompetenz der Typgenehmigungsbehörde verlassen und damit ohne Verschulden – d.h. Vorsatz oder Fahrlässigkeit, § 276 Abs. 1 BGB – von der Zulässigkeit ihres Verhaltens nach dem Vortrag der Parteien ausgehen.
34
cc.) Deliktische Ansprüche scheitern bereits sämtlich daran, dass es an einem Verschulden der Beklagten fehlt. Diese befand sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum.
35
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verbotsirrtum unvermeidbar, wenn der Handelnde trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige nicht zu gewinnen vermochte. Im Zweifel trifft ihn eine Erkundigungspflicht, wobei Auskunftsperson und erteilte Auskunft verlässlich sein müssen. Geht es um die Frage nach dem Bestehen einer Erlaubnispflicht, hat er sich vorzugsweise an die zuständige Erlaubnisbehörde zu wenden. Auf deren Auskunft darf er sich grundsätzlich verlassen. Hat sich der Handelnde zwar nicht hinreichend um kompetente Beratung bemüht, steht aber fest, dass die – unterbliebene – Erkundigung seine Fehlvorstellung bestätigt hätte, so scheitert seine Haftung ebenfalls am Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums (vgl. BGH, Urteil vom 27.06.2017, VI ZR 424/16, NJW-RR 2017, 1004 (1005 f.) Rn. 17; Urteil vom 10.07.2018, VI ZR 263/17, NJW-RR 2018, 1250 (1253) Rn. 28, 32).
36
(2) Nach diesen – in der Rechtsprechung des BGH gefestigten – Grundsätzen hätte sich die Beklagte zwar grundsätzlich beim KBA als zuständiger Typgenehmigungsbehörde über die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung erkundigen müssen, sofern sie im Zweifel über deren rechtliche Zulässigkeit war. Dies ist nicht geschehen. Hätte die Beklagte jedoch eine entsprechende Anfrage gestellt, hätte sie nach der Überzeugung des Senats die Antwort erhalten, dass das Thermofenster nicht als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren sei.
37
Dies hat die Beklagte hinreichend durch Vorlage von zum streitgegenständlichen Motortyp erholten amtlichen Auskünften des KBA belegt, zu denen die Beklagtenpartei vorgetragen hat, und denen die Klagepartei nicht substantiiert entgegengetreten ist (u.a. amtliche Auskunft des KBA vom 15.12.2020 gegenüber dem LG Bayreuth, 21 O 367/20, zu einem VWTiguan 2,0 I EU 6, Anlage B 15: „Es wurden bei keinem Fahrzeug, welches ein Aggregat des EA288 aufweist und durch das KBA untersucht wurde, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt.“; s.a. amtliche Auskunft des KBA vom 12.10.2021 gegenüber dem OLG München, 30 U 2585/20, zu einem VW Passat 2.0I Diesel 110 kW Euro 6 (Anlage BE 136): „Es wurde u.a. das Fahrzeug VW Golf 7 Variant2.0l TDI 110 kW mit… einem Motor aus dem EA 288 durch das KBA mit mehreren Messungen untersucht. Dabei wurde keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt.“).
38
(3) Damit steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung zu keinem anderen Erkenntnisstand der Beklagten geführt hätte. In einem solchen Fall kann der Vorwurf der Fahrlässigkeit nicht erhoben werden, auch wenn eine grundsätzlich erforderliche Erkundigung nicht eingeholt wurde. Weil sich der Erkundigende grundsätzlich auf die Fachkompetenz einer Fachbehörde verlassen darf, ist ihm ein „besseres“ Wissen als das der Genehmigungsbehörde nicht abzuverlangen. Es handelt sich insoweit um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum (vgl. BGH, Urteil vom 27.06.2017, VI ZR 424/16, NJW-RR 2017, 1004 (1005 f.) Rn. 17; Urteil vom 10.07.2018, VI ZR 263/17, NJW-RR 2018, 1250 (1253) Rn. 28, 32). Hierauf kann sich die Beklagte angesichts der vorgenannten Umstände zu Recht berufen.
39
dd.) Der Senat hält nach nochmaliger Überprüfung an seiner Rechtsauffassung fest, dass ein Anspruch aus dem Grund nicht gegeben ist, weil bei der Beklagten ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vorlag und daher ein Verschulden nicht festzustellen ist, welche mittlerweile höchstrichterlich gebilligt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 08.05.2023, Via 1561/22, Vorinstanz OLG Braunschweig, Urteil vom 11.10.2022, 7 U 159/21, BeckRS 2022, 27100 Rn. 68 hinsichtlich eines Audi 3.0 I – Dieselmotor mit 180 kW des Motortyps EA 896 Gen 2 (EU5); BGH, Beschluss vom 08.05.2023, Via 1339/22, Vorinstanz OLG Dresden, Beschluss vom 25.08.2022, 5a U 236/22, BeckRS 2022, 47515 Rn. 8, 10, 15 hinsichtlich eines VW Tiguan 2.0 TDI mit 110 kW des Motortyps EA 288 (EU6): BGH, Beschluss vom 15.05.2023, Via 1023/22, Vorinstanz OLG Hamm, Beschluss vom 28.06.2022, I-28 U 146/21, BeckRS 2022, 47759 Rn. 7, 9, 12 ff. hinsichtlich eines Mercedes-Benz des Motortyps OM 651 (EU6); BGH, Beschluss vom 15.05.2023, Via ZR 1317/22, Vorinstanz OLG Schleswig, Beschluss vom 01.08.2022, 7 U 176/21, BeckRS 2022, 47753 hinsichtlich eines Mercedes-Benz, GLC 220 d 4 M Exclusive AMG des Motortyps OM 651 EU 6).
40
Hieran hält der Bundesgerichtshof auch in seinen Urteilen vom 26.06.2023 ausdrücklich fest: „Beruft sich der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, gelten dafür die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung allgemein entwickelten Grundsätze. Kann sich der Fahrzeughersteller von jedem Verschulden entlasten, haftet er nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht.“ (vgl. Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 100/2023 vom 26.06.2023 zu den Verfahren Via ZR 335/21 (VW Passat Alltrack 2.0 I TDI des Motortyos EA 288). Via ZR 533/21 (Audi SQ5 Allroad 3.0 TDI des Motortyps EA 896Gen2BiT) und Via ZR 1031/22 (Mercedes-Benz C 220 d des Motortyps OM 651 EU 6).
41
3. Aus den vorgenannten Gründen sind auch die weiteren Anträge der Klagepartei unbegründet.
III.
42
1. Die Berufungsangriffe erfordern keine Erörterung in mündlicher Verhandlung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO).
43
2. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2. 3 ZPO).
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3. Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme der aussichtslosen Berufung an, die zwei Gerichtsgebühren spart (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis GKG).
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4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 16.154,76 € festzusetzen (§§ 2-5 ZPO i.V.m. §§ 40, 43 Abs. 1,47 Abs. 1,48 Abs. 1 Satz 1 GKG).