Titel:
Energiepreispauschale und Inflationsausgleichsprämie beim anzurechnenden Einkommens für die Verfahrenskostenhilfe
Normenketten:
EStG § 3 Nr. 11c, § 122
ZPO § 115, § 122
Bürgergeld-V § 1 Abs. 1 Nr. 7
Leitsätze:
1. Energiepreispauschale und Inflationsausgleichsprämie werden bei der Berechnung des anzurechnenden Einkommens für die Verfahrenskostenhilfe nicht berücksichtigt, da deren Zweck jeweils dagegen spricht, sie als Einkommensbestandteile bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens zu berücksichtigen. (Rn. 5 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein die Tatsache, dass eine Leistung steuerfrei gewährt wird, führt zwar nicht dazu, dass sie bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens unberücksichtigt bleiben muss. Ein anderer Maßstab hat aber zu gelten, wenn die Leistung auch bei der Berechnung des für die Bewilligung von Grundsicherung maßgeblichen Einkommens unberücksichtigt bleibt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Leistungen zur Sozialhilfe, Energiepreispauschale, Inflationsausgleichsprämie, Einkommen, Verfahrenskostenhilfe
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 15.06.2023 – 531 F 3226/23
Fundstellen:
FamRZ 2023, 1727
JurBüro 2023, 598
MDR 2023, 1483
BeckRS 2023, 17711
FuR 2024, 207
LSK 2023, 17711
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – München vom 15.06.2023 in der Fassung des Beschlusses vom 03.07.2023 dahingehend abgeändert, dass im Verfahren 531 F 3226/23 die von der Antragsgegnerin zu zahlenden Raten auf monatlich 137,- € ermäßigt werden und im Verfahren 531 F 3482/23 von der Anordnung einer Zahlungsbestimmung abgesehen wird.
2. Von der Erhebung der Kosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen.
Gründe
1
Durch Beschluss vom 09.05.2023 in der Fassung des Teilabhilfebeschlusses vom 15.06.2023 hat das Amtsgericht – Familiengericht – München in dem Verfahren 531 F 3482/23 AG München der Antragstellerin zur Durchführung eines Verfahrens wegen Regelung des Umgangs Verfahrenskostenhilfe bewilligt und gleichzeitig aus dem Einkommen zu zahlende Raten in Höhe von 49,00 € monatlich festgesetzt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Einkommensberechnung im Beschluss vom 15.06.2023 verwiesen.
2
Entsprechend hat das Amtsgericht – Familiengericht – München auch in dem Verfahren 531 F 3226/23 AG München der Antragstellerin (Antragsgegnerin in diesem Verfahren) Verfahrenskostenhilfe bewilligt und aus dem Einkommen zu zahlende Raten in Höhe von 195,- € festgesetzt.
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Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit der Begründung, dass in dem vom Amtsgericht – Familiengericht – München berücksichtigten Einkommen eine Energiepreispauschale gemäß § 122 EStG in Höhe von 300,00 € für September 2022 sowie Inflationsausgleichsprämien gemäß § 3 Nr. 11 c des EStG für März, April und Mai 2023 sowie November 2022 in Höhe von insgesamt 1.100,00 € enthalten gewesen seien. Diese dürften jedoch bei der Berechnung des anzurechnenden Einkommens für die Verfahrenskostenhilfe nicht berücksichtigt werden.
4
Dieser Argumentation ist das Amtsgericht – Familiengericht – München in dem Nichtabhilfebeschluss jeweils nicht gefolgt und hat das Verfahren dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung vorgelegt.
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Die Beschwerde ist jeweils zulässig und begründet. Wird das Jahreseinkommen der Beschwerdeführerin um die Energiepreispauschale von 300,00 € sowie die Inflationsausgleichsprämien in Höhe von insgesamt 1.100,00 € vermindert, ergibt sich auf der Grundlage der Einkommensberechnung des Amtsgerichts – Familiengericht – München vom 15.06.2023, dass für die Zahlung von Raten ein Einkommen in Höhe von 390,- € – 116,- € = 274,- € (531 F 3226/23 AG München) bzw. unter zusätzlicher Berücksichtigung dieser Zahlungsverpflichtung kein für die Zahlung von Raten einzusetzendes Einkommen verbleibt (531 F 3482/23 AG München).
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Rechtsprechung zu der Frage, wie die Energiepreispauschale und die Inflationsausgleichsprämien bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens für die Verfahrenskostenhilfe zu berücksichtigen sind, liegt – soweit ersichtlich – noch nicht vor. Auch den Gesetzesmaterialien lassen sich keine Hinweise entnehmen, ob der Gesetzgeber diese Zahlungen bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens berücksichtigt wissen wollte.
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Nach allgemeinen Grundsätzen zu § 115 ZPO zählen Leistungen zur Sozialhilfe nicht zum Einkommen. Allein der Bezug dieser Leistungen rechtfertigt es daher nicht, aus dem Einkommen zu zahlende Raten für die Verfahrenskostenhilfe festzusetzen (vgl. hierzu Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 44. Auflage 2023, § 115 ZPO Rn. 3 m.w.N.).
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Der Zweck der Energiepreispauschale sowie der Inflationsausgleichsprämie (vgl. hierzu Ahrens, NJW-Spezial 2022, 725) spricht dagegen, diese Einkommensbestandteile bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens zu berücksichtigen.
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Gemäß § 122 EStG darf die Energiepreispauschale insbesondere nicht auf einkommensabhängige Sozialleistungen angerechnet werden. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass diese Sozialleistung den Begünstigten auch bei Sozialleistungsbezug in voller Höhe zu Gute kommt. Auch die Verfahrenskostenhilfe ist eine einkommensabhängige Sozialleistung, die durch die Justizbehörden gewährt wird. Es ist daher konsequent, auch bei der Berechnung des für diese Sozialleistung maßgeblichen Einkommens die Energiepreispauschale ebenfalls unberücksichtigt zu lassen.
10
Gemäß § 1 Nr. 7 der Bürgeld-V sind nach § 3 Nr. 11 c des EStG steuerfrei gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbrauchspreise ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Auch einer Person, die bürgergeldberechtigt ist, um ihr Existenzminimum abzudecken, sollen die steuerfrei gewährten Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbrauchspreise ungekürzt verbleiben. Dies hat nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen auch für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu gelten, so dass auch diese Zahlungen bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens nicht berücksichtigt werden dürfen.
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Es trifft zwar zu, dass die Tatsache allein, dass eine Leistung steuerfrei gewährt wird, nicht dazu führt, dass sie bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens unberücksichtigt bleiben muss, wie das Amtsgericht – Familiengericht – München zutreffend in dem Beschluss vom 03.07.2023 ausführt. Ein anderer Maßstab hat aber zu gelten, wenn die Leistung auch bei der Berechnung des für die Bewilligung von Grundsicherung maßgeblichen Einkommens unberücksichtigt bleibt, weil sie dann dazu dient, den gestiegenen Bedarf durch Inflation bzw. Energiekosten in Höhe des Existenzminimums durch zusätzliche Zahlungen abzudecken. Die hier vertretene Auffassung entspricht der Rechtsprechung zum Erziehungsgeld, für das § 8 BErzGG ebenfalls ein Verbot der Berücksichtigung bei der Gewährung anderer Sozialleistungen vorsieht (vgl. hierzu Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 44. Auflage 2023, § 115 ZPO Rn. 3 m.w.N.).