Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 02.03.2023 – AN 3 K 21.00090
Titel:

Erfolgreiche Klage auf Erteilung eines Vorbescheides für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Gewerbeeinheit

Normenketten:
BayBO Art. 68, Art.71 S. 1, 4
BauNVO § 3, § 4, § 22, § 23
BauGB § 34 Abs. 1, 2
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
Leitsätze:
1. Das streitgegenständliche Wohnbauvorhaben mit Bäckereifiliale ist unabhängig von der exakten Bestimmung der näheren Umgebung und der Definition als reines oder allgemeines Wohngebiet unproblematisch nach der Art der baulichen Nutzung zulässig. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soweit die immissionsschutzrechtliche Stellungnahme der Immissionsschutzbehörde hinsichtlich der von Bäckerei und Tiefgarage ausgehenden Lärmemissionen ein schalltechnisches Gutachten fordert, so steht dies der grundsätzlichen Feststellung des Einfügens nach der Art der baulichen Nutzung nicht entgegen. Denn diese Feststellung erfolgt nach einer typisierenden Betrachtungsweise. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Vorhaben mit den Anforderungen des in § 15 Abs. 1 BauNVO bzw. in dem Tatbestandsmerkmal des „Einfügens“ nach § 34 Abs. 1 BauGB verankerten Gebot der Rücksichtnahme vereinbar ist. Ob die geplante Nutzung tatsächlich mit dem Gebot der Rücksichtnahme, zB hinsichtlich der von dem Betrieb der Bäckereifiliale und der Tiefgarage ausgehenden Emissionen, vereinbar ist, wird dann im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung der Baugenehmigung zu klären sein. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorbescheid, Einfügen in die nähere Umgebung nach Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, faktische hintere Baugrenze, Baumschutzverordnung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17454

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Dezember 2020 (Az: …) verpflichtet, der Klägerin den beantragten Vorbescheid zu erteilen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der festgesetzten Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Vorbescheides für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Gewerbeeinheit im Erdgeschoss und einer Tiefgarage auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … (…).
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstückes FlNr. … der Gemarkung … (im Folgenden wird auf die Angabe der Gemarkung verzichtet; alle erwähnten Flurnummern beziehen sich auf die Gemarkung …). Das Grundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes.
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Die Klägerin beantragte erstmals im Mai 2020 die Erteilung eines Vorbescheides (Az. …). Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass es sich bei dem Vorhaben um die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Gewerbeeinheit im Erdgeschoss und einer Tiefgarage handelt. Der Antrag enthielt folgende Fragen:
1. Zulässigkeit für Maß der baulichen Nutzung auf dem Grundstück
2. Städtebauliche Figur angelehnt an die bereits bestehenden Baukörper in typischer Siedlungsstruktur der 30-iger/40-iger Jahre in der …
3. Abstandsflächen
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Als Grundstücksgröße sind 1.603,00 qm angegeben, als Baukörper 659,99 qm. Der Architekt der Klägerin errechnete hieraus eine GRZ von 0,412 bezüglich der Gebäude und von 0,683 unter Berücksichtigung auch der Tiefgarage, Rampe und dem Warteplatz neben der Rampe. Als GFZ angegeben ist ein Wert von 1,235 inklusive Unterbau, Erschließung etc.
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Mit Schreiben vom 15. Juni 2020 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass die „Frage“stellung unzulässig sei. Der Antrag werde daher als informelle Anfrage behandelt und Folgendes mitgeteilt:
1. „Zum Maß der baulichen Nutzung ist eine Entscheidung anhand der vorgelegten Bauvorlagen nicht zweifelsfrei möglich, wir beurteilen das Maß der Nutzung an der oberen Grenze. Das Vorhaben fügt sich möglicherweise „noch“ ein, wenn außer den dargestellten keine weiteren Nebenanlagen dazukommen;
2. Die Anlehnung an die 30er und 40er Jahre, insbesondere der Aufgriff der Architektursprache, ist unseres Erachtens fragwürdig;
3. Die Abstandsflächen sind nach Abstandsflächensatzung der Stadt … (AFS) und Art. 6 BayBO nachzuweisen. Die Vorschriften sind einzuhalten.“
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Das Schreiben war mit verschiedenen Hinweisen und einer Rechtsbehelfsbelehrungversehen. Das Schreiben wurde der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 17. Juni 2020 zugestellt.
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Mit Antragsformular vom 2. September 2020, bei der Beklagten eingegangen am 4. September 2020, stellte die Klägerin erneut eine Bauvoranfrage für vorgenanntes Grundstück, mit der um die Beantwortung folgender Fragen gebeten wurde:
1. Fügt sich das geplante Gebäude nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in seiner Art und Bauweise in die nähere Umgebung ein?
2. Ist das angegebene Maß der baulichen Nutzung in Anlehnung an § 34 Abs. 1 auf dem Grundstück zulässig?
3. Entsprechen die Annahmen für die Berechnung der Abstandsflächen (Wände H x 0,4 jedoch mindestens 3 m, sowie die Höhe der Dächer mit einer Neigung unter 70° H=1/3) der Satzung der Stadt …?
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Aus dem beigefügten Auszug aus dem Liegenschaftskataster ergibt sich, dass das Grundstück bisher an der Grenze zur … mit einem L-förmigen Gebäude bebaut ist. Der hintere Teil des Grundstückes ist mit Ausnahme eines Nebengebäudes bisher von Bebauung freigehalten. Südlich des Grundstücks grenzt das Grundstück FlNr. … an, das mit zwei riegelartigen mehrstöckigen Gebäuden bebaut ist. Im Westen grenzt an das Grundstück FlNr. … das Grundstück … an, das als Spielplatz dient. Nördlich schließen sich entlang der … mehrere Grundstücke an (beginnend mit dem unmittelbar angrenzenden Grundstück FlNr. …). Die Grundstücke sind jeweils entlang der … in geschlossener Bauweise bebaut. Es handelt sich um Siedlungshäuser mit zwei Vollgeschossen mit Dachgeschoss. Entsprechend der vorliegenden Pläne sind alle Gebäude entlang der … ähnlich tief mit Ausnahme des Gebäudes auf der FlNr. … (…), das mit einem Hinterbau anschließend an das Hauptgebäude bebaut ist. Im hinteren Teil der Grundstücke befinden sich jeweils Nebengebäude.
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Das geplante Vorhaben soll die bisher vorhandene Bebauung auf dem Grundstück FlNr. … weitgehend identisch ersetzen und durch einen Anbau mit einer Länge von etwa 36 m in Ost-West-Richtung verlängern, so dass sich eine Gesamtlänge in Ost-West-Richtung von ca. 57 m ergibt. Das Gebäude soll aus zwei Stockwerken mit Satteldach bestehen, wobei die Dachneigung 54° betragen soll. Insgesamt ergibt sich dabei eine Höhe von etwa 12,6 m.
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Für die Berechnung von GRZ und GFZ ist eine Grundstücksgröße von 1.603 qm und ein Baukörper von 659,91 qm angegeben. Entsprechend errechnete der Bauvorlagenersteller eine GRZ von 0,412 nur für die Gebäude bzw. 0,692 einschließlich Tiefgaragenunterbau, Rampe, Warteplatz neben der Rampe und Erschließung. Die GFZ beläuft sich auf 1,235.
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In der Behördenakte findet sich eine immissionsschutzfachliche Stellungnahme zum Vorhaben, aus der hervorgeht, dass auf das Gelände Verkehrslärmemissionen von der … einwirkten. Hier seien während der Nachtzeit bis zu 50 dB(A) und während des Tages bis zu 60 dB(A) im Bereich der geplanten Wohnungen zu erwarten. Die Fassade der Bäckerei, welche direkt zur Straße ausgerichtet sei, werde laut Lärmkarte der Stadt mit noch höheren Pegeln belastet. Dadurch würden zwar die Orientierungswerte der DIN 18005 als auch die Immissionsrichtwerte des 16. BImSchV für allgemeines Wohngebiet etwas überschritten, die Richtwerte für ein Mischgebiet, die aber als Grenze für gesundes Wohnen angesehen werden, könnten sicher eingehalten werden. Von der geplanten Bäckerei und der Tiefgarage könnten Lärmemissionen auf die angrenzenden Wohnungen und die Nachbarschaft ausgehen. Hier sei durch ein schalltechnisches Gutachten nachzuweisen, dass durch den Betrieb der Bäckerei und den damit verbundenen Kundenverkehr sowie der Tiefgarage die Immissionsrichtwerte für ein allgemeines Wohngebiet nach TA-Lärm eingehalten werden können. Zudem solle der Schallschutz für betriebsfremde schutzbedürftige Immissionsorte innerhalb des geplanten Gebäudes berücksichtigt werden. Nach der Rechtsprechung seien Geräuschspitzen (gleich Spitzenpegel) durch Tiefgaragen in Wohngebieten als sozialadäquat hinzunehmen, soweit dort nur Anwohner-Kfz abgestellt würden. Soweit die Tiefgarage also nur von den Anwohnern genutzt werde, müsse der Spitzenpegel nicht geprüft werden. Weitere Gewerbelärmimmissionen, welche aus der Nachbarschaft auf das geplante Wohnen einwirkten, seien nicht zu erwarten.
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Aus dem Bearbeitungsbogen in der Behördenakte ergibt sich, dass das Stadtplanungsamt der Beklagten folgende Stellungnahme abgegeben hat:
„Soweit Beurteilung anhand der vorliegenden Planungstiefe möglich, 1 und 3 m.E. jeweils „ja“, 2: „nein“. Das im Umfeld übliche Maß der Nutzung ist m.E. überschritten, hinsichtlich der Grundfläche, die überbaut werden soll, ist m.E. eine deutliche Verkürzung des Baukörpers im Westen unter Berücksichtigung des dortigen Baumbestandes erforderlich.“
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Die Stellungnahme wird ergänzt durch eine Anmerkung, dass die Art der baulichen Nutzung und Bauweise o.E. sei, hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung sich jedoch das Bauvolumen im Ganzen nicht einfüge. Die Länge des Baukörpers füge sich nicht ein, da die fiktive rückwärtige Baugrenze überschritten werde. Der Baumbestand an der westlichen Grundstücksgrenze solle weitgehend erhalten bleiben.
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Daraufhin wurde die Klägerin mit Schreiben vom 5. November 2020 darüber informiert, dass eine positive Entscheidung aus folgenden Gründen nicht möglich sei:
„Die Frage Nummer 2 […] ist nach unserer Beurteilung mit „nein“ zu beantworten. Das Bauvolumen im Ganzen fügt sich nicht ein. Die Länge des Baukörpers fügt sich nicht ein, da die fiktive rückwärtige Baugrenze überschritten wird.
Der Baumbestand an der westlichen Grundstücksgrenze sollte weitgehend erhalten bleiben. Eine Befreiung vom Beseitigungsverbot der Baumschutzverordnung für durch die Baumschutzverordnung geschützte Bäume ist nicht beantragt und kann auch nicht in Aussicht gestellt werden.“
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Der Klägerin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
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Nachdem innerhalb der gesetzten Frist keine Äußerung der Klägerin erfolgte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Dezember 2020 den Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides ab. Die Kosten wurden der Klägerin auferlegt. Für den Bescheid wurde eine Gebühr in Höhe von 2.084 EUR und Auslagen von 3,13 festgesetzt.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Bauvorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspreche, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu überprüfen seien. Das Bauvorhaben liege nicht innerhalb eines gültigen Bebauungsplans, so dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB richte. Hinsichtlich der Grundfläche, die überbaut werden solle, sei das im Umfeld übliche Maß der baulichen Nutzung überschritten. Das Bauvolumen insgesamt füge sich nicht ein. Die Länge des Baukörpers füge sich nicht ein, da die fiktive rückwärtige Baugrenze überschritten werde. Der Baumbestand an der westlichen Grundstücksgrenze solle weitgehend erhalten bleiben. Eine Befreiung vom Beseitigungsverbot der Baumschutzverordnung für durch die Baumschutzverordnung geschützte Bäume sei nicht beantragt und könne auch nicht in Aussicht gestellt werden. Da das Vorhaben im Hinblick auf Frage 2 öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspreche, komme es auf den Umstand, dass gegen die Fragen 1 und 3 keine Einwände bestünden, nicht mehr an.
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Der Bescheid wurde der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 24. Dezember 2020 zugestellt.
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Die Klägerin ließ mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 14. Januar 2021, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen per Telefax am selben Tag, Klage erheben.
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Zur Begründung der Klage führten die Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 7. Juli 2021 unter Vorlage verschiedener Luftbilder und Lichtbilder aus, dass beabsichtigt sei, das nur noch teilweise bewohnte Bestandsgebäude auf dem Grundstück FlNr. … (vormals Gaststätte „…) wegen des schlechten baulichen Zustandes abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen, der profilgleich zur nördlich anschließenden Siedlungshaus-Bebauung die Zeilenstruktur der in geschlossener Bebauung entlang der … errichteten Siedlungshäuser aufnehmen solle und mit Satteldach im gleichen Winkel wie die vorhandenen Siedlungshäuser errichtet werden solle. Der geplante Neubau solle die unter anderem auf der Westseite der … vorhandene geschlossene Bebauung mit Siedlungshäusern auf dem Baugrundstück in West-Ost-Richtung fortführen.
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In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, dass die Klage in Form einer Versagungsgegenklage zulässig sei. Auch wenn die Beklagte wohl keine Einwände hinsichtlich der Fragestellungen 1 und 3 habe, so sei doch der Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids vollumfänglich abgelehnt worden, so dass der Bescheid insgesamt angegriffen werden solle. Die mit Antrag auf Bauvorbescheid vom 2. September 2020 gestellten drei Fragen seien zulässig, da es sich um Fragen handle, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO zu entscheiden seien. Strittig sei allein die Beantwortung der Frage 2 des Antrages auf Bauvorbescheid. Entgegen der Ausführungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid habe die Beklagte intern die Frage des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht schon immer derart negativ beurteilt. So sei seitens der Beklagten das Einfügen des Bauvorhabens bei der erstmaligen Beantragung eines Vorbescheids (Az. …) noch grundsätzlich bejaht worden, solange keine weiteren Nebenanlagen auf dem Baugrundstück mehr errichtet würden. Dies sei deshalb von Bedeutung, weil die Planunterlagen der beiden Bauvoranfragen im Wesentlichen identisch seien. Das wohlwollende und positive Prüfergebnis im ersten Bauvoranfrageverfahren entspreche im Übrigen der dem Architekten der Klägerin bei seiner ersten Vorsprache erteilten Auskunft, wonach auf dem Baugrundstück ohne weiteres eine nur auf die Gebäudefläche bezogene GRZ von 0,4 und eine GFZ von 1,2 verwirklicht werden könne. Dass der Bearbeiter der Beklagten im vorliegenden Bauvoranfrageverfahren laut internem Bearbeitungsbogen eine Ämterbesprechung und das Ansetzen eines Jour fixe für erforderlich gehalten habe, zeige, dass die rechtliche Einschätzung zur Frage des Maßstabs der baulichen Nutzung gerade nicht eindeutig negativ ausgefallen sei, sondern auch aus Sicht der Beklagten ein verwaltungsinterner Klärungs- und Abstimmungsbedarf bestanden habe. Insbesondere die Tatsache, dass die beiden erforderlichen Termine nicht zustande gekommen seien, zeige, dass die Beklagte das beantragte Bauvorhaben wegen der intern nicht möglichen Klärung „nur vorsorglich“ abgelehnt habe.
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Maßstab für die Zulässigkeit des Bauvorhabens sei die Eigenart der näheren Umgebung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung hinsichtlich der „näheren Umgebung“ müsse diese grundsätzlich eingegrenzt werden auf die dem Baugrundstück gegenüberliegende östliche Seite der …, auch betreffend die Bebauung südöstlich des Baugrundstücks, sowie die nordöstlich des Baugrundstücks im Bereich entlang der dort platzartig aufgeweiteten … gelegenen Bebauung sowie das Straßengeviert, das abgegrenzt werde von der …, der … im Süden, der … im Norden sowie dem Verbindungsweg zwischen … und der … im Westen des Baugebiets, westlich des großen Einfamilienhauses mit der Anschrift … Dieses fragliche Baugebiet sei ersichtlich nicht homogen, sondern städtebaulich äußerst uneinheitlich. Es fänden sich in diesem Baugebiet insbesondere Siedlungshäuserzeilen in geschlossener Bebauung (westlich der …, im nördlichen Anschluss an das Baugrundstück; östlich der zu einem Platz ausgeweiteten …, dort unter Einbeziehung von Nebengebäuden und mit einer Geschossigkeit von I+D; eine kettenartig aneinandergereihte Bebauung mit Siedlungshäusern auf der Südseite der …), Siedlungshäuser in Zweiergruppen und Reihenhauszeilen aus den 1970er Jahren (auf der Ostseite der …, südöstlich des Baugrundstücks gelegen), große, langgezogene viergeschossige Mehrfamilienhäuser (südlich, südwestlich und westlich des Baugrundstücks, in westlicher Richtung mit dazwischenliegendem Spielplatz) und – gegebenenfalls am Rande des zu betrachtenden Gebiets gelegen – die optisch auch vom Baugrundstück aus gut wahrnehmbaren Hochhäuser (südlich/westlich der …). Die Betrachtung vor Ort und auf den Luftbildern verdeutliche, dass insbesondere im Bereich beidseits der … sowie auf der Südseite der … eine verdichtete bis sehr verdichtete Bebauung mit einer hohen GRZ vorzufinden sei. Das Vorhandensein des südlich und westlich des Baugrundstück situierten viergeschossigen, langgestreckten Mehrfamilienwohnblocks führe in diesem Bereich zu einer hohen GFZ.
23
Das Vorhaben füge sich auch in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung in die Umgebungsbebauung ein. Von der Art der Nutzung her handele es sich bei dem fraglichen Baugebiet um ein allgemeines Wohngebiet (WA) im Sinne des § 4 BauNVO. Das Gebäude halte die laut Auskunft der Beklagten zulässige GRZ von 0,4 und die zulässige GFZ von 1,2 ein. Auch wiesen die unmittelbar benachbarten Flurstücke eine entsprechend dichte oder sogar dichtere Bebauung auf, so dass das geplante Gebäude keine bodenrechtlichen Spannungen auslöse. Insbesondere die FlNrn. … und … (Ostseite der …) seien ersichtlich dicht bebaut und wiesen eine GRZ von über 0,4 auf. Für die sich im Norden anschließenden Baugrundstücke FlNrn. …, …, … und … ergebe sich unter Einbeziehung der Grundflächen von Nebengebäuden und Zufahrten durchweg eine höhere Grundflächenzahl als durch das klägerische Bauvorhaben ausgelöst werde. Während auf dem Baugrundstück eine GRZ von 0,69 unter Berücksichtigung der Nebenanlagen und insbesondere der Zufahrt ausgelöst werde, errechne sich für das Grundstück FlNr. … eine GRZ von 1,0, für das Grundstück FlNr. … eine GRZ von 0,74, für die FlNr. … eine GRZ von 0,74 und für die FlNr. … eine GRZ von 0,72. Selbst wenn die GRZ jeweils nur im Hinblick auf die durch Gebäude in Anspruch genommenen Grundflächen berechnet würde, lägen die im Norden unmittelbar an das Baugrundstück aneinander anschließenden Flurnummern jeweils über der vom Baugrundstück ausgelösten GRZ. Während auf dem Baugrundstück insoweit eine GRZ von 0,41 vorzufinden sein werde, errechne sich für die FlNr. … eine GRZ von 0,59 und für die FlNrn. … eine GRZ von 0,58. Bei dieser Berechnungsmethode ergäben sich zugunsten der nördlich benachbarten Siedlungshausgrundstücke jedoch verzerrte Werte, weil die von der … abzweigende und nach Süden führende Privat straße keine eigene Flurnummer erhalten habe, sondern jeweils im rückwärtigen Bereich der Siedlungshausgrundstücke entlangführe.
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Auch wenn das maßgebliche Baugebiet keine homogene Gebäudestruktur aufweise, fänden sich in der näheren Umgebung Gebäude und geschlossene Häuserzeilen mit ohne Weiteres vergleichbarem Bauvolumen. Dies gelte zum einen in Bezug auf die, sich im Norden an das klägerische Gebäude anschließende Siedlungshauszeile auf der Westseite der … Nicht entgegengehalten werden könne, dass sich die einzelnen Siedlungshäuser auf unterschiedlichen Flurnummern befänden. Es komme bei der Bewertung des Bauvolumens benachbarter Baukörper nämlich auf den optisch wahrnehmbaren Gesamteindruck eines, aus städtebaulicher Sicht zusammenhängenden Gebäudes an. Das klägerische Gebäude solle sich profilgleich und unter Ausgestaltung eines Satteldachs im gleichen Neigungswinkel wie die Bestandsbebauung in die vorhandene Siedlungshausstruktur bewusst eingliedern. Dieses Aufnehmen der vorhandenen Geschossigkeit und des vorhandenen Gebäudeprofils der Nachbarbebauung führe auf der anderen Seite dazu, dass sich der Baukörper weiter in Richtung Westen auf dem Baugrundstück erstrecken werde. Zu bedenken sei, dass dem Betrachter mit Standpunkt von der … aus die Länge des Baukörpers in West-Ost-Richtung nicht ins Auge springen werde, weil dieser Gebäudeteil zur … giebelständig sei. Langgezogene und aneinandergebaute Siedlungshausstrukturen fänden sich auch östlich der … und südlich der … (hier I+D). Der Eindruck der aufeinanderfolgenden Bebauung ergebe sich in beiden Bereichen durch die zwischen den Hauptgebäuden liegenden Nebengebäude, die allesamt aus Straßensicht in einer Flucht verliefen.
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Prägende Wirkung auf das Baugrundstück würden auch die sich im Süden und südwestlich des Baugrundstücks anschließenden viergeschossigen Wohnblöcke entfalten. Da das Baugrundstück genau im Übergangsbereich zwischen der zweigeschossigen Siedlungshausstruktur und der viergeschossigen Mehrfamilienhausstruktur liege, könne das Baugrundstück ohne Weiteres von der prägenden massiveren Bebauung im Süden und Westen profitieren.
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Der Baukörper des streitgegenständlichen Gebäudes bilde insoweit einen gelungenen Abschluss der geschlossenen Siedlungshausbebauung und zugleich einen Übergang zu den im Süden und Westen gelegenen langgestreckten Mehrfamilienwohnblöcken.
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Eine Prägung erfahre das Baugrundstück sogar noch durch die in etwa 150 bis 160 m entfernt liegenden Hochhäuser südlich beziehungsweise westlich der … Jene Hochhäuser wirkten optisch noch auf das Baugrundstück ein und weiteten dort den Rahmen des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung auf.
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Auch eine Länge des Baukörpers des klägerischen Gebäudes von 57 m falle im Vergleich zu der in der näheren Umgebung vorhandenen Bebauung nicht aus dem Rahmen. So erstrecke sich die aus Siedlungshäusern bestehende Gebäudezeile westlich der … im nördlichen Anschluss an das klägerische Gebäude auf eine Länge von etwa 60 bis 70 m. Auch wenn die ebenfalls aus Siedlungshäusern bestehende Gebäudezeile im Osten der … auf etwa derselben Höhe nur eine Geschossigkeit von I+D aufweise, so finde sich hier doch eine aufeinanderfolgende Bebauung in einer Gesamtlänge von über 180 m. Auf der Südseite der … finde sich eine Gebäudezeile mit einer Länge von annährend 100 m. Die im Süden vorhandenen viergeschossigen Mehrfamilienhäuser wiesen eine Gebäudelänge von circa 50 m auf. Nicht außer Acht gelassen werden dürfe das Anwesen … mit einer Länge von etwa 60 m.
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Hinsichtlich der von der Beklagten angenommenen faktischen Baugrenze werde übersehen, dass sich diese nur daraus ergeben habe, dass auf den Grundstücken … bis … durch die Grundstückseigentümer freiwillig eine Privat straße errichtet worden sei. Dort ende schlicht die Bebauungsmöglichkeit für die sich im Norden an das Baugrundstück anschließenden Grundstücke. Für das Baugrundstück, das sich auf einer Länge von etwa 62 m in West-Ost-Richtung erstrecke, gebe es weder eine rechtliche noch eine faktische Beschränkung dahingehend, dass nicht auch der westliche Grundstücksteil baulich genutzt werden könne. Hinzukomme die Sondersituation des Baugrundstücks im Naht- und Übergangsbereich zwischen der im Süden gelegenen massiven viergeschossigen Mehrfamilienwohnhausbebauung und der sich nach Norden anschließenden niedrigeren zweigeschossigen Bebauung. Dies führe dazu, dass auf dem klägerischen Grundstück ein Gebäude mit längerem Baukörper in West-Ost-Richtung errichtet werden könne. Angesichts der benachbarten, viergeschossigen Mehrfamilienhausbebauung mit Gebäudelängen von 50 m werde das klägerische Gebäude mit einer Geschossigkeit von II+D nur untergeordnet in Erscheinung treten.
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Aber selbst wenn man den vorgegebenen Rahmen des Maßes der baulichen Nutzung für überschritten halten wolle, bedeute dies noch nicht, dass sich das Vorhaben nicht einfüge. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwinge das Erfordernis des Einfügens nicht zur Uniformität, sodass es nicht erforderlich sei, dass ein streitiges Vorhaben den aus der Umgebung abzuleitenden Rahmen exakt einhalte. Selbst bei einer wesentlichen Überschreitung des vorhandenen Rahmens werfe sich die Frage auf, ob das Vorhaben sich nicht dennoch einfüge, weil es gar nicht geeignet sei, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannung zu erfüllen. Die Beklagte habe grundlegend verkannt, dass die planungsrechtliche Prüfung der Zulässigkeit des Einfügens eines Bauvorhabens nach dem Maß der baulichen Nutzung zweistufig zu erfolgen habe, sofern die Beklagte tatsächlich davon ausgehen sollte, dass das Maß der baulichen Nutzung durch den Baukörper des beantragten Gebäudes überschritten werde.
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Auch sei die Beklagte bei der Zulässigkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht befugt, eine planerische Entscheidung zu treffen. Soweit etliche Vorbilder für die von der Klägerin gewünschte Bebauung in der Umgebung zu finden seien, komme es im unbeplanten Innenbereich nicht darauf an, ob die Beklagte eine solche Bebauung für wünschenswert halte oder nicht. Die Beklagte hätte im Rahmen der Bauleitplanung steuernd eingreifen können, habe dies aber nicht getan. Dass die Beklagte bei der Beurteilung des klägerischen Bauvorhabens von einem falschen, unbeachtlichen Prüfungsmaßstab ausgehe, zeige sich auch bereits an den Ausführungen im ersten Bauvorbescheidsverfahren. Soweit die Beklagte im Bescheid vom 15. Juni 2020 ausführe, dass die Anlehnung an die 30er und 40er Jahre, insbesondere der Aufgriff der Architektursprache, fragwürdig sei, so sei es schlicht nicht Sache der Beklagten in einem unbeplanten Innenbereichsgebiet planerisch einzugreifen und eine solch zulässige Bebauung zu verhindern.
32
Feststellungen der Beklagten zum vorhandenen Baumbestand an der westlichen Grundstücksgrenze stellten keinen zulässigen Inhalt des Bescheides dar und seien nicht verbindlich, weil dieses Thema im Antrag auf Bauvorbescheid nicht abgefragt worden sei. Da die Beklagte in diesem Thema aber einen weiteren Ablehnungsgrund für das Bauvorhaben sehen wolle, solle hierauf trotzdem eingegangen werden. Es werde nicht bestritten, dass einige der vorhandenen Bäume in den Schutzbereich des § 2 Baumschutzverordnung der Beklagten fielen. Daher habe die Klägerin einen Gärtnermeister und Fachagrarwirt „Baumpflege“ mit der Überprüfung des vorhandenen Baumbestandes beauftragt. Nach dessen Feststellungen stünden in jenem Bereich vier Bäume, die einen Stammumfang von 80 und mehr Zentimetern in einer Höhe von 100 cm aufwiesen. Von den insgesamt vier Bäumen sei einer bereits abgestorben. Die verbleibenden drei Bäume seien sämtlich Wildaufwuchs, schiefwüchsig und befänden sich in einem schlechten Zustand.
33
Der Kläger beantragt,
1.
Der Versagungsbescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2020 wird aufgehoben.
2.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin den beantragten Bauvorbescheid gemäß Antrag der Klägerin vom 2./4. September 2020 (Aktenzeichen der Beklagten: …) zu erteilen.
3.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
34
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
35
Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 13. September 2020 vorgetragen, dass sich das Vorhaben im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung nicht einfüge. Widersprochen werde insoweit bereits der Feststellung des Bevollmächtigten des Klägers, dass die Beklagte im ersten Vorbescheidsverfahren das Vorhaben nicht derart negativ beurteilt habe. Insoweit werde auf das Schreiben der Beklagten vom 15. Juni 2021 verwiesen. Die darin enthaltene Bewertung entspreche der Einschätzung des Sachbearbeiters im internen Bearbeitungsbogen, wobei der Bearbeitungsbogen lediglich unverbindliche interne Einschätzungen enthalte, aus denen die Klägerin keinen Anspruch herleiten könne beziehungsweise die gerichtlich nicht einklagbar seien. Die Beteiligung und Anhörung der Fachämter sei nahezu bei jedem Bauvorhaben gängige Verwaltungspraxis. Hieraus könne kein Rückschluss auf etwaige Unsicherheiten der Beklagten bei der rechtlichen Beurteilung oder die Schwierigkeit des Bauvorhabens gezogen werden. Die Ämterbeteiligung sei vollständig und ordnungsgemäß durchgeführt worden, sodass es keine Rolle spiele, ob das Vorhaben im amtsinternen Jour fixe erörtert worden sei oder nicht.
36
Das Vorhaben füge sich aufgrund der Grundfläche, die überbaut werden solle, nicht ein; vielmehr überschreite die Länge des geplanten Baukörpers die fiktive rückwärtige Baugrenze. Das Bauvorhaben liege an der Südwestecke des Platzes und solle straßenseitig den Altbestand annährend deckungsgleich ersetzen. Der geplante Neubau nehme die oben genannte charakteristische Baustruktur des Platzes zwar auf: hinsichtlich Wand- und Firsthöhe, Dachneigung und Positionierung direkt an die bestehende Zeilenbebauung solle der Neubau straßenseitig die Zeilenbebauung profilgleich fortsetzen und somit sehr harmonisch den städtebaulichen Abschluss für die Südwestecke des Platzes ausbilden. Allerdings überschreite das Vorhaben mit einer Gebäudetiefe von 57 m die hintere fiktive Baugrenze deutlich. Die Zulässigkeit einer rückwärtigen Bebauung eines Grundstückes hänge im Wesentlichen davon ab, in welchem Umfang die den Maßstab bildenden umliegenden Grundstücke eine rückwärtige Bebauung aufwiesen. Dabei könne auf § 23 BauNVO zurückgegriffen werden. Da nach § 23 Abs. 4 Satz 2 BauNVO die Bebauungstiefe von der Straßengrenze aus zu ermitteln sei, komme es auf die Grenze der als Erschließungsanlage gewählten öffentlichen Straße an. Dafür reiche ein Privatweg oder eine private Grundstückszufahrt zu einer solchen öffentlichen Erschließung entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus. Andernfalls könne durch die Trassierung der inneren Erschließung eines Grundstücks das Merkmal der bebaubaren Grundstücksfläche bestimmt werden.
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In Bezug auf die Bebauungstiefe der näheren Umgebung reichten die Bestandsgebäude der Grundstücke an der Westseite des Platzes maximal circa 26 m in das jeweilige rückwärtige Grundstück hinein. Hier liege die hintere fiktive Baugrenze, die für die Bebauung der Grundstücke entlang der … maßgeblich sei. Nicht relevant sei, dass hier unter anderem eine private rückwärtige Zufahrt zu den Grundstücken bestehe. Das Gebäude … könne für die Ermittlung der hinteren Baugrenze der Bebauung der … außerdem nicht herangezogen werden, da es sich zur … hin orientiere und vielmehr für die Bebauung entlang der … die rückwärtige fiktive Baugrenze bilde. Entsprechend könne sich der neue Baukörper maximal mit einer Länge von circa 36 m, gemessen ab der östlichen Grundstücksgrenze, aus städtebaulicher Sicht einfügen. Bei dieser reduzierten Gebäudelänge könne auch der vorhandene, teilweise geschützte Baumbestand erhalten werden.
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Irreführend sei die Argumentation des Klägers, dass im Bereich des Platzes durch die Zeilenbebauung lange Baukörper vorhanden seien. Maßgeblich sei nicht die Zeilenstruktur entlang der öffentlichen Straße, beziehungsweise am Platz, sondern die Bautiefe, welche in das rückwärtige Grundstück hineinreiche. Zudem würde sich auch die Länge des geplanten Baukörpers von 57 m nicht in die maßstabsbildende nähere Umgebung einfügen.
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Hinsichtlich der maßgebenden näheren Umgebung sei die gesamte städtebauliche Situation zu würdigen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet sei. Im Allgemeinen sei bei der Bestimmung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung die maßgebliche Umgebung räumlich enger zu begrenzen als etwa bei der Ermittlung der Art der baulichen Nutzung. Vorliegend werde die städtebauliche Situation vornehmlich durch die Struktur der Siedlerhäuser der M. Straße geprägt, die ein- bis zweigeschossig mit Satteldach ausgeführt seien und eine kleinteilige Struktur mit Gebäudetiefen von 6,50 m bis maximal 10 m aufwiesen. Teilweise seien die Gebäudetiefen durch erdgeschossige Anbauten auf bis zu 20 m erhöht und entsprächen damit der Gebäudetiefe des Bestandsgebäudes … Es handle sich folglich um eine durchaus homogene Baustruktur bestehend aus charakteristischen Siedlungshäusern, die als geschlossene Bauzeile den Platz und somit die Eigenart der näheren Umgebung prägten. Während die Westseite als zweigeschossige Zeilenbebauung ausschließlich mit Hauptnutzung ausgeführt sei, seien die Siedlerhäuser an der Ostseite nur eingeschossig und im Wechsel mit Nebengebäuden, aber doch in durchgehender Reihe erbaut. Diese Struktur setze sich nach Norden hin fort und finde durch das klägerische Grundstück seinen südlichen Abschluss. Hier sei deutlich eine Zäsur zwischen den prägenden städtebaulichen Strukturen, den Siedlerhäusern der frühen 1930er Jahre, und den südlich angrenzenden viergeschossigen Mehrfamilienhäusern zu sehen und stelle somit die Grenze der näheren Umgebung dar. Die Grenze der maßgeblichen Bebauung könne auch so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen sei, wo jeweils zwei einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander unterschiedener Bau- und Nutzungsstruktur aneinanderstießen. Dies sei vorliegend der Fall, sodass die viergeschossigen Zeilenbauten zur Beurteilung nicht herangezogen werden könnten. Auch die neungeschossigen Hochhäuser weiter südwestlich entfalteten keine prägende Wirkung auf das Baugrundstück und seien für die Beurteilung nicht maßgeblich. Vielmehr verdeutlichten sie nochmals die Zäsur zwischen den einzelnen städtebaulichen Strukturen.
40
Hinsichtlich der Ausführungen zu GRZ und GFZ sei festzustellen, dass nach § 34 Abs. 1 BauGB ein Vorhaben zulässig sei, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, in die nähere Umgebung einfüge. Die Vorschriften der BauNVO, insbesondere des § 17 BauNVO über bestimmte Obergrenzen beziehungsweise Orientierungswerte, finde keine unmittelbare oder entsprechende Anwendung. Denn auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung verlange das Einfügenserfordernis eine alleinige Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse der Umgebungsbebauung. Bei der Beurteilung sei in erster Linie auf solche Maße abzustellen, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung in leichter Beziehung zueinander setzen ließen. Das Bundesverwaltungsgericht weise darauf hin, dass die absolute Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auf ihr Verhältnis zur Freifläche, das Bild der maßgeblichen Umgebung prägten, und sich deshalb als Bezugsgrößen zur Ermittlung des Maßes der baulichen Nutzung anbiete (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris). Es komme nicht auf die Feinheiten der Berechnungsregeln der BauNVO an. Das streitgegenständliche Vorhaben sei auch geeignet, bodenrechtliche Spannungen hervorzurufen.
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Selbst wenn die Obergrenzen des § 17 BauNVO durch das Vorhaben eingehalten würden, bedeute dies nicht, dass sich damit das Vorhaben in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung einfüge. Denn entscheidend sei insofern die Eigenheit der näheren Umgebung. Durch das Vorhaben würden bewältigungsbedürftige Spannungen begründet. Es stifte Unruhe, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich ziehe. Es müsse berücksichtigt werden, dass ein dem vorgegebenen Rahmen nicht entsprechendes Vorhaben seinerseits wiederum rahmenbildend sei und insoweit eine negative Vorbildwirkung für andere Vorhaben auslösen könne, die bodenrechtlich beachtliche Spannungen begründen würden, sodass die Gefahr heraufbeschworen werde, dass der gegebene Zustand in negativer Richtung in Bewegung gebracht werde.
42
Zutreffend sei, dass die Belange des Baumschutzes nicht Gegenstand der ausformulierten Fragen zum Vorbescheid seien. Aus diesem Grund sei der Hinweis der Beklagten auf das Entgegenstehen baumschutzrechtlicher Belange im angegriffenen Bescheids auch lediglich als ergänzender Hinweis rein deklaratorischer Natur zu werten.
43
Der Bevollmächtigte der Klägerin replizierte mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2021. Die unterschiedlichen Bewertungen im ersten Bauvoranfrageverfahren und im streitgegenständlichen Verfahren seien entgegen der Annahme der Beklagten relevant, da sie Rückschlüsse zur Bewertung des Vorhabens durch die Behörde zuließen.
44
Es sei nicht sachgerecht die nähere Umgebung des Vorhabens vor den im Süden und Südwesten befindlichen viergeschossigen Mehrfamilienhäusern enden zu lassen. Sowohl die Mehrfamilienhäuser im südlichen Bereich der … als auch die nördlich davon gelegenen Siedlungshäuser dienten der Wohnnutzung, sodass insoweit schon keine voneinander verschiedenen Nutzungsstrukturen vorlägen, was für die Annahme einer Zäsur zweier benachbarter Bebauungskomplexe aber Voraussetzung wäre. In den Blick zu nehmen sei vielmehr, was tatsächlich vorhanden sei und nach außen wahrnehmbar in Erscheinung trete. Ansonsten seien bei jener Betrachtung lediglich solche baulichen Anlagen, die als Fremdkörper erschienen oder die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild nicht die Kraft hätten, die Eigenheit der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnehme, auszusondern. Umso mehr gelte dies für die Annahme einer wechselseitigen Prägung von Bauvorhaben und Umgebung, für die eine Sichtbeziehung zwischen dem Baugrundstück und der maßgeblichen Umgebungsbebauung entscheidend sei. Diese wechselseitige Prägung bestehe daher ohne Weiteres auch zwischen dem Baugrundstück und der viergeschossigen Mehrfamilienhausbebauung im Süden/Südwesten. Es bestehe sogar noch eine Sichtbeziehung zwischen dem Baugrundstück und den Hochhäusern südlich/südwestlich der … in 100 m Entfernung vom Baugrundstück.
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Trotz der Ausführung der Beklagten bleibe es dabei, dass sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenheit der näheren Umgebung einfüge (wird weiter ausgeführt).
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Auch existiere eine rückwärtige fiktive Baugrenze nicht. Es gebe erst einmal keinen Grundsatz, wonach eine sogenannte Hinterlandbebauung von vorne herein städtebaulich unerwünscht sei. Wo eine Stadt nicht mittels eines Bebauungsplans eine Baugrenze gemäß § 23 Abs. 3 BauNVO verbindlich festsetze, könne nicht ohne Weiteres eine fiktive Baugrenze angenommen werden. Die Darlegungs- und Beweislast für eine behauptete fiktive rückwärtige Baugrenze habe die Beklagte. Die Annahme einer rückwärtigen fiktiven Baugrenze für die westlich der … gelegenen Siedlungshäuser scheitere aber schon am Vorhandensein der tatsächlichen Bebauung auf den FlNr. … und … (Anwesen …). Nicht überzeugen könne der Versuch der Beklagten, die beiden Anwesen ausschließlich der … zuzuordnen, weil die Entfernung des Anwesens … zur südlichen Straßengrenze der … noch weit größer sei, als die Entfernung der Anwesen … und … zur westlichen Straßenbegrenzungslinie der im Osten gelegenen … Weiter möge der Privatweg, über den die beiden Anwesen … und … erschlossen seien, zwar in die … einmünden; er verlaufe jedoch auf den Flurnummern der Siedlungshäuser, die sich entlang der … in Nord-Süd-Richtung erstreckten. Es mute ohnehin seltsam an, dass diese beiden an sich gefangenen Anwesen ausschließlich über einen Privatweg erschlossen würden, der noch nicht einmal eine eigene Flurnummer erhalten habe. Hätte die Beklagte die Absicht gehabt, rückwärtige Grundstücke entlang der … (und auch der …) von einer Bebauung freizuhalten, hätte sie diese beiden Anwesen definitiv nicht genehmigen dürfen. Da sie jedoch genehmigt und errichtet worden seien, gehörten auch sie zu der tatsächlich vorhandenen und maßstabsbildenden Bebauung der näheren Umgebung, weswegen sich die Beklagte nicht auf eine vorgebliche rückwärtige fiktive Baugrenze auf der Westseite der … berufen könne. Der Privatweg habe Erschließungsfunktion auch für den westlichen, rückwärtigen Teil des Baugrundstückes FlNr. … Im Falle der Erschließung eines Baugrundstücks über mehrere Straßen entfalle aber von vornherein der ausschließliche räumliche Bezug zu nur einer Erschließungsstraße. Damit komme dem Argument einer vorgeblich fiktiven rückwärtigen Baugrenze aus dem Blickwinkel der … von vorne herein keine Bedeutung zu. Im Übrigen zeige die nähere Umgebung des Baugrundstücks, dass die Beklagte bei anderen Bauvorhaben keinen Wert auf die Einhaltung fiktiver rückwärtiger Baugrenzen gelegt habe. Dies gelte zum einen für die Anwesen … und …, zum anderen aber auch für das Mehrfamilienwohnhaus … bis … Werde von der Prämisse ausgegangen, dass sich die Gebäudefront jeweils zur Erschließungsstraße hin zu orientieren habe, so werde dieser Grundsatz von eben jenen mittleren der drei in Nord-Süd-Richtung errichteten viergeschossigen Mehrfamilienwohnhäusern an der … beziehungsweise … klar durchbrochen. Das Mehrfamilienwohnhaus mit der Anschrift … bis … rage etwa 50 m weit in den rückwärtigen von der Erschließungsstraße abgewandten Grundstücksbereich hinein.
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Hinsichtlich der GRZ-Werte spreche die Einhaltung der Orientierungswerte für ein Einfügen des Vorhabens in die Eigenart der näheren Umgebung, selbst wenn es nicht auf die Feinheiten der Berechnungsregeln der BauNVO ankomme.
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Das Bauvorhaben stelle einen gelungenen Abschluss der städtebaulichen Struktur der Siedlungshäuser im Norden und Osten des Baugrundstücks dar und schließe sich andererseits an die im Süden und Süd-Westen benachbarten Mehrfamilienwohnhäuser an. Bei Betrachtung der Luftbilder sei zu erkennen, dass der inmitten des Bebauungs-Gevierts gelegene Spielplatz im Westen und Süden von langgezogenen Mehrfamilienwohnhäusern eingerahmt werde, die auf den Spielplatz zuliefen. Diese Struktur nehme das geplante Bauvorhaben nun auch auf der Ostseite des Spielplatzes spiegelbildlich auf, runde das bereits vorhandene Bild ab und schließe eine insoweit östlich des Spielplatzes auffällige Baulücke. In Anbetracht der gesetzgeberisch angestrebten ökonomischen Nutzung unbebauter Innenstadtflächen und der bereits vorhandenen Gebäudestrukturen, die vom Bauvorhaben aufgegriffen werden sollen, könne davon gesprochen werden, dass gerade dieses Bauvorhaben der Behebung eines vorhandenen städtebaulichen Missstandes diene.
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Auch wenn die zweite Prüfungsstufe bei der Prüfung des Einfügens eines Bauvorhabens in die Eigenart der näheren Umgebung erst im Falle der Überschreitung des vorhandenen baulichen Rahmens zum Tragen komme, löse das von der Klägerin geplante Vorhaben sicherlich keine bodenrechtlichen Spannungen aus. So liege gerade kein Fall vor, dass in einen im hinteren, von der Straße abgewandten Grundstücksteil der von den baulichen Nachbarn als Wohngarten und Ruhezone genutzt werde, durch das jetzige Bauvorhaben erstmals Unruhe hineingetragen werde. Vielmehr wiesen die rückwärtigen Grundstücksbereiche der Siedlungshäuser FlNr. … bis … allesamt im rückwärtigen Grundstücksbereich Nebengebäude auf, unter anderem auch mehrheitlich Garagen. Deshalb sei unter anderem der Privatweg von Nord nach Süd führend gebaut worden. Die Erstreckung des Bauvorhabens in den rückwärtigen Grundstücksteil habe eine ins Gewicht fallende bodenrechtliche Verschlechterung sicherlich nicht zur Folge.
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Die angeführte negative Vorbildwirkung des Bauvorhabens sei nicht überzeugend, da gerade die benachbarten Grundstücke nördlich des Baugrundstücks sämtlich schon eine solche Bebauung aufwiesen. Den Grundstückseigentümern der Anwesen … und … sei die Zufahrt und Erschließung über den Privatweg rechtlich abgesichert ermöglicht worden, woraus sich ergebe, dass die Eigentümer der Siedlungshäuser im Norden einer Bebauung in weit rückverlagerten Grundstücksbereichen in zweiter Reihe zustimmten. Auch die Beklagte habe die Bebauung in zweiter Reihe in den rückwärtigen Grundstücksbereichen planungsrechtlich gebilligt. Die negative Vorbildwirkung scheide daher definitiv aus.
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Von bodenrechtlich beachtlichen, bewältigungsbedürftigen Spannungen könne erst dann gesprochen werden, wenn die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise durch ein Vorhaben verschlechtert, gestört oder belastet werde und das Bedürfnis hervorrufe, die Voraussetzungen für seine Zulassung unter Einsatz der Mittel der Bauleitplanung zu schaffen. Angesichts der vorzufindenden Umgebungsbebauung bestehe aber für das Bauvorhaben kein potentielles Planungsbedürfnis, dem die Beklagte nur mit Mitteln der Bauleitplanung begegnen könne. Falls bodenrechtlich erhebliche Spannungen in der näheren Umgebung durch Bauobjekte angelegt würden, dann durch die besagten viergeschossigen etwa 50 m lang gezogenen Mehrfamilienwohnhäuser in direkter Nachbarschaft zum Baugrundstück im Süden und Westen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte und hinsichtlich des Verlaufs des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung auf das Protokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Verpflichtungsklage ist hinsichtlich der Vorbescheidsfragen begründet, da den Klägern insoweit ein Rechtsanspruch auf eine positive Beantwortung zusteht, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Nach Art. 71 Satz 1, Satz 4, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist auf Antrag vor Einreichung des Bauantrags zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid im Sinne der positiven Beantwortung der gestellten Vorbescheidsfragen zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben hinsichtlich der gestellten Fragen keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
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1. Das Vorhaben fügt sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung ein (Frage 1 und 2).
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a) Vorliegend ergibt die Auslegung (§§ 133, 157 BGB) der Fragen 1 und 2 des klägerischen Vorbescheidsantrages, dass die Klägerin die Erteilung eines Bauvorbescheids hinsichtlich des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, begehrt.
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Zwar zielen die Fragen 1 und 2 ausdrücklich nur auf das Einfügen nach Art, Bauweise und Maß der baulichen Nutzung ab, die Klägerin hat aber die Ablehnung des Vorbescheides unter Hinweis auf eine entgegenstehende hintere Baulinie und damit mit Argumenten hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche nicht zum Anlass für einen Hinweis auf eine eingeschränkte Fragestellung genommen, sondern vielmehr Klage erhoben. Damit ist die Fragestellung zwar nicht auf die gesamte bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einschließlich der Erschließung (so BayVGH, U.v. 2.7.2004 – 1 B 02.1006 – juris Rn. 28; Michl in: BeckOK BauordnungsR Bayern, BayBO Art. 71 Rn. 22 f. im Falle eines pauschalen Vorbescheidsantrages) gerichtet, aber zumindest auf alle sich aus § 34 BauGB ergebenden Maßstäbe des Einfügens, also Art, Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, soweit die vorgelegten Antragsunterlagen eine Beurteilung erlauben.
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b) Da das Vorhabensgrundstück nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegt, richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 BauGB. Trotz der Größe des streitgegenständlichen Grundstückes von 1.603 qm liegen – bestätigt durch die Inaugenscheinnahme – keine Anhaltspunkte für die Annahme einer „Außenbereichsinsel im Innenbereich“ vor, insbesondere auch, da das streitgegenständliche Grundstück im östlichen Bereich bereits bebaut ist.
59
c) Maßgeblicher Beurteilungsrahmen für das Vorhaben ist die Eigenart der näheren Umgebung. Bei der Bestimmung der „näheren Umgebung“ ist darauf abzustellen, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die Umgebung und andererseits die Umgebung auf das Baugrundstück prägend auswirken kann (BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris Rn. 2; BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – juris). Dabei ist an Bebauung in den Blick zu nehmen, was tatsächlich vorhanden ist und nach außen wahrnehmbar in Erscheinung tritt (BVerwG, B.v. 16.7.2018 – 4 B 51/17 – juris Rn. 6; BVerwG, U.v. 23.3.1994 – 4 C 18.92 – juris); außer Acht gelassen werden darf lediglich, was die Bebauung nicht prägt, weil es nicht die Kraft hat, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint (BVerwG, U.v.15.2.1990 – 4 C 23.86 – BVerwGE 84, 322 <325>). Wird die nähere Umgebung bestimmt, muss zur Ermittlung der für die Zulässigkeitsbeurteilung des fraglichen Vorhabens relevanten Auswirkungen zwischen den einzelnen Beurteilungskriterien, nämlich der Art, dem Maß, der Bauweise oder der überbaubaren Grundstücksfläche unterschieden werden, d.h. dass die „nähere Umgebung“ grundsätzlich für jedes der einzelnen Beurteilungskriterien getrennt zu ermitteln ist (BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38/13 –, juris Rn. 7; Spannowsky in: BeckOK BauGB § 34 Rn. 32.4). Zur Ermittlung der näheren Umgebung können auch Lagepläne verwendet werden, die ein Bild „von oben“ vermitteln (BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38/13 –, juris Rn. 6). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Diese kann so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen. Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion. Umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen (BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 3.12.2019 – 2 ZB 17.388 – juris). In der Regel gilt bei einem inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben als Bereich gegenseitiger Prägung das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (BayVGH, B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4).
60
aa) Das Vorhaben fügt sich nach der Art der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung ein.
61
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB richtet sich die planungsrechtliche Zulässigkeit baulicher Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nach dem sich aus der vorhandenen Bebauung ergebenden Maßstab. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es in diesem Baugebiet allgemein zulässig wäre (§ 34 Abs. 2 Halbs. 1 BauGB).
62
Das streitgegenständliche Wohnbauvorhaben mit Bäckereifiliale ist unabhängig von der exakten Bestimmung der näheren Umgebung und der Definition als reines oder allgemeines Wohngebiet unproblematisch nach der Art der baulichen Nutzung zulässig. Dies ergibt sich hinsichtlich der Wohnnutzung aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 bzw. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO. Die Ansiedlung einer Bäckereifiliale als Laden zur Deckung des täglichen Bedarfs kann im reinen Wohngebiet nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden und ist im allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO allgemein zulässig. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Bäckereifiliale der Versorgung des Gebietes dient. Gegenteiliges wurde von der Beklagten im gerichtlichen Verfahren nicht vorgetragen. Vielmehr hat sie im streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid bereits darauf hingewiesen, dass bei Frage 1 hinsichtlich des Einfügens nach Art und Bauweise keine Einwände bestehen.
63
Die Zulässigkeit der Tiefgarage ergibt sich aus § 12 Abs. 2 BauNVO.
64
Soweit die immissionsschutzrechtliche Stellungnahme der Immissionsschutzbehörde der Beklagten vom 15. Oktober 2020 hinsichtlich der von Bäckerei und Tiefgarage ausgehenden Lärmemissionen ein schalltechnisches Gutachten fordert, so steht dies der grundsätzlichen Feststellung des Einfügens nach der Art der baulichen Nutzung nicht entgegen. Denn diese Feststellung erfolgt nach einer typisierenden Betrachtungsweise. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Vorhaben mit den Anforderungen des in § 15 Abs. 1 BauNVO bzw. in dem Tatbestandsmerkmal des „Einfügens“ nach § 34 Abs. 1 BauGB verankerten Gebot der Rücksichtnahme vereinbar ist. Ob die geplante Nutzung tatsächlich mit dem Gebot der Rücksichtnahme, z.B. hinsichtlich der von dem Betrieb der Bäckereifiliale und der Tiefgarage ausgehenden Emissionen, vereinbar ist, wird dann im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung der Baugenehmigung zu klären sein. Insbesondere mangels Vorlage der für die immissionsschutzrechtliche Beurteilung erforderlichen Unterlagen, wie Betriebsbeschreibung und schallschutztechnisches Gutachten, und unter Berücksichtigung der eingeschränkten Fragestellung kann die Klägerin eine umfassende Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens nicht erwarten. Die über die im Vorbescheidsverfahren aufgeworfenen Fragestellungen hinausgehenden Aspekte bleiben der Prüfung im Verfahren zum Erlass einer Baugenehmigung vorbehalten.
65
bb) Das Vorhaben fügt sich auch nach der Bauweise in die nähere Umgebung ein.
66
Zur Definition des Zulassungsmerkmals der Bauweise kann an die Begriffsbestimmungen des § 22 BauNVO angeknüpft werden. Danach ist zwischen offener und geschlossener Bauweise zu unterscheiden. Es kommt darauf an, ob die Eigenart der näheren Umgebung eine offene oder geschlossene Bauweise aufweist. Für die Frage des Einfügens hinsichtlich der Bauweise ist in erster Linie die Bebauung entlang des Straßenzugs in den Blick zu nehmen. In Zweifelsfallen bemisst sich, welche Grundstücksgrenzen „seitlich“ sind, danach, von welcher Straße die Erschließung vorgesehen ist (Blechschmidt in: EZBK, BauNVO § 22 Rn. 35).
67
Aufgrund der Inaugenscheinnahme ist das Gericht zu der Auffassung gelangt, dass hinsichtlich der Bauweise die nähere Umgebung nur einen geringen Umgriff aufweist und sich im Wesentlichen auf die Häuserzeile bestehend aus den Hausnummern … bis … (FlNr. …, …, …, … und …) entlang der … und gegebenenfalls auf die gegenüberliegende Straßenseite mit den Hausnummern … bis … (Flnr. … bis …), wobei der an dieser Stelle für einen Buswende- und halteplatz aufgeweitete … durchaus auch eine trennende Wirkung zukommt, erstreckt. Bei Annahme eines entsprechenden Umgriffs ist ausschließlich eine geschlossene Bauweise prägend. Die vorhandene Bebauung erstreckt sich längs der öffentlichen Verkehrsfläche jeweils von der südlichen bis zur nördlichen Grundstücksgrenze. Die geschlossene Bauweise setzt sich auch auf dem streitgegenständlichen Grundstück FlNr. … fort. Die noch vorhandene Bebauung erstreckt sich zwar nicht von der südlichen bis zur nördlichen Grundstücksgrenze, allerdings ist aufgrund der örtlichen Gegebenheiten ausnahmsweise die östliche Grundstücksgrenze als „seitliche“ Grundstücksgrenze zu definieren. Dies ergibt sich daraus, dass sich das Grundstück FlNr. … im 90°-Winkel zur … hin aufweitet und damit der Verengung der … „spiegelbildlich“ folgt. Gleichzeitig wird das Grundstück über die … erschlossen. Indem der klägerische Ersatzneubau zumindest straßenseitig innerhalb der Grenzen der vorhandenen Bebauung hält, ist insoweit von einem Einfügen nach der Bauweise auszugehen. Dass der in westlicher Richtung geplante Anbau nicht an der Grundstücksgrenze anschließt, ist aufgrund der Verwirklichung der geschlossenen Bauweise zur … hin nicht relevant (vgl. HessVGH, U.v. 20.3.2018 – 4 A 2797/16 – juris Rn. 51).
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Würde der Umgriff der näheren Umgebung auch auf die südlich, westlich bzw. nordwestlich an das streitgegenständliche Grundstück angrenzenden Grundstücke ausgedehnt werden, fände sich in der näheren Umgebung sowohl offene (Flnr. …, …, … und …) als auch geschlossene Bauweise (…, …, … und …), so dass erst recht von einem Einfügen auszugehen ist.
69
Im Übrigen gilt, dass die Beklagte das Einfügen nach der Bauweise nicht weiter thematisiert hat, sondern vielmehr mit der Aussage im Bescheid vom 15. Dezember 2020, dass bei Frage 1 hinsichtlich des Einfügens nach Art und Bauweise keine Einwände bestünden, ihr Einverständnis mit der geplanten Bauweise zum Ausdruck gebracht hat.
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cc) Das Vorhaben fügt sich auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung ein.
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Die planungsrechtliche Zulässigkeit hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung gem. § 34 Abs. 1 BauGB richtet sich allein danach, ob sich dieses Vorhaben nach den konkreten Verhältnissen der umgebenden Bebauung in deren Eigenart einfügt. Dabei kann mangels anderer allgemein anerkannter Anhaltspunkte bei der Bestimmung des Maßes der baulichen Nutzung im unbeplanten Innenbereich auf die in der Baunutzungsverordnung verwendeten Begriffsmerkmale zurückgegriffen werden. Das bedeutet aber nicht, dass die Maßbestimmungsfaktoren des § 16 Abs. 2 BauNVO – unterschiedslos und möglicherweise gar mit allen Berechnungsregeln der Baunutzungsverordnung – wie Festsetzungen eines Bebauungsplans rechtssatzartig heranzuziehen wären. Nach ständiger Rechtsprechung können die Vorschriften der Baunutzungsverordnung im unbeplanten Innenbereich lediglich als Auslegungshilfe berücksichtigt werden. Maßgeblich bleibt die konkrete, am tatsächlich Vorhandenen ausgerichtete Betrachtung. Die vorhandene Bebauung kann eine planerische Ausweisung als Maßstab fast nie ersetzen. Insbesondere fehlen im unbeplanten Innenbereich konkrete Maßfestsetzungen, an denen das jeweilige Vorhaben gemessen werden könnte. Der aus der vorhandenen Bebauung zu gewinnende Maßstab ist notwendig grob und ungenau. Zudem sprechen Gründe einer praktisch handhabbaren Rechtsanwendung dafür, in erster Linie auf solche Maße abzustellen, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und an Hand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen lassen. Ihre (absolute) Größe nach Grundfläche, Geschoßzahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur umgebenden Freifläche, prägen das Bild der maßgeblichen Umgebung und bieten sich deshalb vorrangig als Bezugsgrößen zur Ermittlung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung an. Damit ist eine Berücksichtigung der anderen Maßfaktoren zwar nicht ausgeschlossen. Soweit sie eine prägende Wirkung auf das Baugrundstück haben, sind auch sie zur Beurteilung der Frage, ob sich das Vorhaben einfügt, heranzuziehen. Die relativen Maßstäbe – die Grundflächen- und die Geschoßflächenzahl – werden allerdings vielfach nur eine untergeordnete Bedeutung oder, je nach den Umständen des Einzelfalls, auch gar keine Bedeutung für die Frage des Einfügens haben, weil sie in der Örtlichkeit häufig nur schwer ablesbar sind, vielmehr erst errechnet werden müssen (BVerwG, B.v. 3.4.2014 – 4 B 12/14 – juris Rn. 3; BVerwG, U.v. 23.3.1994 – 4 C 18/92 -juris Rn. 7)
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Für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung sind die vorhandenen „Gebäude“ in der näheren Umgebung zueinander in Beziehung zu setzen. Gebäude prägen ihre Umgebung nicht durch einzelne Maßbestimmungsfaktoren im Sinne des § 16 Abs. 2 BauNVO, sondern erzielen ihre optische maßstabbildende Wirkung durch ihr gesamtes Erscheinungsbild. Es ist kumulierend auf die absolute Größe der Gebäude nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe abzustellen. Die Übereinstimmung von Vorhaben und Referenzobjekten nur in einem Maßfaktor genügt nicht, weil sie dazu führen könnte, dass durch eine Kombination von Bestimmungsgrößen, die einzelnen Gebäuden in der näheren Umgebung jeweils separat entnommen werden, Baulichkeiten entstehen, die in ihrer Dimension kein Vorbild in der näheren Umgebung haben. Dies widerspräche der planersetzenden Funktion des § 34 Abs. 1 BauGB, eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung eines Bereichs zu gewährleisten (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 20).
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Bei der Bestimmung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung eines Grundstücks wird der Umkreis der zu beachtenden vorhandenen Bebauung „in der Regel“ enger zu begrenzen sein als bei der Ermittlung des Gebietscharakters (BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38/13 –, juris Rn. 7). In der Regel gilt bei einem inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben als Bereich gegenseitiger Prägung das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (BayVGH, B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4)
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Dies berücksichtigend wird die nähere Umgebung hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung im Osten durch die …, im Süden durch die …, im Norden durch die … und im Westen durch den Spielplatz auf dem Grundstück FlNr. … bzw. spätestens durch den das Straßengeviert teilen den Weg zwischen der … und der … begrenzt. Geprägt wird die Umgebung damit durch die Siedlungshäuser in der … und …, vereinzelte freistehende Einfamilienhäuser, aber auch durch die vierstöckigen Mehrfamilienhäuser in der … und … Dabei ist das Gericht aufgrund der Inaugenscheinnahme zu dem Ergebnis gekommen, dass alleine die unterschiedliche Baustruktur zwischen den Siedlungs- und Einfamilienhäusern in der … und in der … und den Mehrfamilienhäusern in der … und in der … nicht zu einer trennenden Wirkung mit der Folge, dass die nähere Umgebung nicht mehr durch die Mehrfamilienhäuser eine Prägung erfährt, führt. Auch unter Berücksichtigung, dass eine Entkopplung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie nicht erforderlich ist (BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 3.12.2019 – 2 ZB 17.388 – juris Rn. 7) prägen sowohl die Mehrfamilienhäuser als auch die Siedlungshäuser die nähere Umgebung. So bildet bereits das Spielplatzareal einen gemeinsamen Mittelpunkt, der von den vorhandenen Gebäuden, die allesamt (zumindest auch) der Wohnnutzung dienen, umgeben wird. Des Weiteren greifen die Mehrfamilienhäuser – auch wenn sie im Gegensatz zu der geschlossenen Bauweise der Siedlungshäuser in offener Bauweise errichtet sind – die riegelartige Bauweise bzw. Optik der Siedlungshäuser auf, so dass trotz der unterschiedlichen Geschosszahlen, durchaus noch der Eindruck der Einheitlichkeit entsteht. Der Annahme einer trennenden Wirkung alleine aufgrund der unterschiedlichen Baustruktur zwischen Siedlungshäusern und Mehrfamilienhäusern steht nach Überzeugung der Kammer aufgrund der Inaugenscheinnahme der geringe Abstand zwischen dem noch vorhandenen Gebäude auf dem streitgegenständlichen Grundstück und dem Gebäude … entgegen.
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In diese Umgebung fügt sich der geplante Neubau hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ein. So übernimmt das klägerische Vorhaben die Gestaltungsvorgaben der unmittelbar angrenzenden Siedlungshäuser hinsichtlich Wand- und Firsthöhe, Anzahl der Vollgeschosse und der Dachneigung. Insoweit stellte die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 13. September 2021 sogar fest, dass das klägerische Vorhaben „sehr harmonisch den städtebaulichen Abschluss für die Südwestecke des Platzes“ ausbildet. Auch die Grundflächenzahl des klägerischen Vorhabens hält sich nach der überschlägigen Betrachtung des Architekten der Klägerin, die durch die Beklagte weitgehend unwidersprochen geblieben ist, im Rahmen der Grundflächenzahl der Siedlungshäuser auf den Grundstücken FlNr. …, … und … Allerdings könnten sich auch Vorhaben, die über den vorhandenen Rahmen unwesentlich hinausgingen, noch einfügen (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 20).
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Soweit die Beklagte auf die Gebäudetiefe des rückwärtigen Anbaus Bezug nimmt, so sind Längenmaße keine Bestimmungsgröße für das Maß der baulichen Nutzung (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 22)
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dd) Das Vorhaben fügt sich auch hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die nähere Umgebung ein.
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Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich auch nach der „Grundstücksfläche, die überbaut werden soll“, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Dabei kommt es auf die konkrete Größe der Grundfläche des in Frage stehenden Vorhabens und auch auf seine räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung, also auf den Standort des Vorhabens an. Ob eine rückwärtige Bebauung eines Grundstücks zulässig ist, hängt im Wesentlichen davon ab, in welchem Umfang die den Maßstab bildenden umliegenden Grundstücke eine rückwärtige Bebauung aufweisen. Zur näheren Konkretisierung kann insofern auf die Begriffsbestimmungen in § 23 BauNVO zur „überbaubaren Grundstücksfläche“, die wiederum gemäß § 23 Abs. 4 BauNVO auch durch Festsetzung der Bautiefe bestimmt werden kann, zurückgegriffen werden. Nach § 23 Abs. 4 Satz 2 BauNVO ist die Bebauungstiefe von der tatsächlichen Straßengrenze aus zu ermitteln. „Tatsächliche Straßengrenze“ ist die Grenze der als Erschließungsanlage gewählten öffentlichen Straße. Ein Privatweg oder eine private Grundstückszufahrt zu einer solchen „Erschließungsstraße“, auch wenn diese Zuwegung ggf. ausreichend ist, um die von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB geforderte Erschließung zu sichern, reicht nicht aus. Andernfalls hätte es ein Bauherr in der Hand, allein durch die Trassierung einer inneren Erschließung eines Grundstücks das städtebauliche Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche zu bestimmen (BVerwG, B.v. 12.8.2019 – 4 B 1/19 – juris Rn. 6 m.w.N.).
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Bei der Bestimmung des sich aus der vorhandenen Bebauung ergebenden Maßstabes ist grundsätzlich alles in den Blick zu nehmen, was in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist. Nicht jegliche vorhandene Bebauung in der näheren Umgebung bestimmt jedoch ihren Charakter. Vielmehr muss die Betrachtung auf das Wesentliche zurückgeführt werden. Es muss alles außer Acht gelassen werden, was die vorhandene Bebauung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint. Auszusondern sind hiernach auch solche bauliche Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnimmt (BVerwG, B.v. 16.6.2009 – 4 B 50/08 – juris Rn. 6).
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Dies berücksichtigend konnte sich die entscheidende Kammer bei der Inaugenscheinnahme nicht vom Vorliegen einer faktischen hinteren Baugrenze überzeugen.
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Bei der Bestimmung einer faktischen rückwärtigen Baugrenze kommt in der Regel derjenigen Bebauung alleine oder ganz überwiegend maßstabsbildende Wirkung zu, die an derselben Erschließungsanlage liegen (NdsOVG, U.v. 1.9.2022 – 1 LB 4/21 – juris Rn. 18), vorliegend also der Bebauung entlang der … Entgegen der im Schriftsatz vom 13. September 2021 geäußerten Auffassung der Beklagten kann dabei nicht auch die Bebauung nördlich der … in den Blick genommen werden, da dort – wie aus den vorliegenden Lichtbildern ersichtlich – die geschlossene Bauweise der Gebäude … bis … gerade nicht mehr besteht und die Umgebung dort von Vorgärten und doppelhausartiger Bebauung geprägt ist.
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Im Hinblick auf die Gebäude … bis … kann eine faktische hintere Baugrenze aber nicht erkannt werden, da gerade keine einheitliche rückwärtige Gebäudeflucht vorhanden ist. Maßgeblich sind dabei die vorhandenen Hauptgebäude (Battis/Krautzberger/Löhr/Mitschang/Reidt BauGB § 34 Rn. 29; BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172/97 – juris Rn. 5 f.). Entsprechend bleiben die auf den rückwärtigen Grundstücksflächen vorhandenen Nebengebäude und Garagen entlang des von der … abgehenden Privatweges, der zur Erschließung der Anwesen … und … dient, außer Betracht. Damit stehen aber die in den rückwärtigen Grundstücksbereich teilweise hineinragenden Gebäudeteile, wie der wohl als eigenständige Wohnung dienende Anbau … oder der Anbau an das Gebäude …, einer einheitlichen Gebäudeflucht, ob man diese nun entlang des Privatweges oder entlang der nach Westen zeigenden hinteren Gebäudefassade der Gebäude … bis … ziehen wollte, entgegen.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Privatweges als eigene Erschließungsanlage (NdsOVG, U.v. 1.9.2022 – 1 LB 4/21 – juris Rn. 18). Denn gerade dann ergibt sich durch das Gebäude auf den Grundstücken FlNr. … und … (… und ...), dass in dem dann entstehenden Karree gerade eine Hinterliegerbebauung vorhanden ist, die durch den in Ost-West-Richtung geplanten Anbau auf dem streitgegenständlichen Grundstück nach Einschätzung der Kammer harmonisch abgerundet werden dürfte. Dies insbesondere auch deshalb, da in Richtung Spielplatz durch die nach Westen gerichtete Seite des geplanten Vorhabens eine Linie (zumindest grob) mit den westlichen Seiten der Gebäude … und … ergeben dürften.
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ee) Aber selbst wenn man vorliegend zu einer Überschreitung des vorliegenden Rahmens kommen sollte, so fügt sich das Vorhaben dennoch ein, weil es nicht geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder zu erhöhen.
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Der Umstand, dass ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich den aus der Umgebung hervorgehenden Rahmen überschreitet, indem es dort kein „Vorbild“ oder keine „Entsprechung“ findet, zwingt für sich allein noch nicht dazu, das Vorhaben wegen fehlenden Einfügens für unzulässig zu halten. Letzteres hängt vielmehr – zusätzlich – davon ab, ob das Vorhaben geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche und erst noch ausgleichsbedürftige Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen, ob es also die ihm vorgegebene Situation gleichsam in Bewegung bringt und damit eine „Unruhe“ stiftet, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich zieht (BayVGH, B.v. 23.6.2021 – 9 ZB 20.855 – juris Rn. 10). Solche Spannungen können auch darin bestehen, dass das Vorhaben, auch wenn es selbst zu keiner Verschlechterung der gegenwärtigen Situation führt, aufgrund seiner Vorbildwirkung in naheliegender Zukunft eine solche Verschlechterung nach sich ziehen kann (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 17).
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Eine entsprechende Vorbildwirkung ist vorliegend aber gerade nicht gegeben. Das maßgebliche Gebiet ist vollständig bebaut und weist gerade keine Baulücken auf, die in naher Zukunft bebaut werden könnten. Das Vorhaben bringt auch keine Unruhe in einen derzeit noch beruhigten Hinterbereich mit sich. Bereits durch die alleinige Erschließung der Grundstücke … und … über den Privatweg, der im Übrigen auch eine zusätzliche Erschließung der Grundstücke … bis … ermöglicht, wird Unruhe auf die Rückseite der Grundstücke … bis … gebracht. Die Tiegaragenzufahrt für das streitgegenständliche Vorhaben kommt gerade nicht auf der nördlichen Seite des geplanten Vorhabens zu liegen, sondern auf der südlichen Seite. Hinzukommt, dass das Gebiet zwischen …, … und … durch das Aufeinandertreffen der riegelartigen Mehrfamilienhausbebauung und den Siedlungshäusern bzw. Ein-/Zweifamilienhäusern aufgrund der unterschiedlichen Bauweisen mit städtebaulichen Spannungen belastet ist. In dieser Umgebung stellt das geplante Vorhaben nach Auffassung des Gerichts durchaus ein vermittelndes Objekt dar, indem gestaltende Elemente aus beiden Bau- und Gestaltungsweisen übernommen werden.
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2. Auch der Frage 3 hinsichtlich der Abstandsflächen stehen keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen.
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Ungeachtet dessen, dass die Fragestellung noch keine Bezug zum konkreten Vorhaben herstellt, und letztlich nur eine Frage hinsichtlich der Anwendung gesetzlicher Vorschriften enthält, steht einer positiven Beantwortung nichts entgegen, auch wenn insoweit das Entstehen der mit dem Erlass eines Vorbescheides einhergehende Bindungswirkung zweifelhaft erscheint.
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In § 1 Abs. 1 der Abstandsflächensatzung (AFS) der Beklagten ist festgelegt, dass im räumlichen Geltungsbereich der AFS abweichend von Art. 6 Abs. 4 Sätze 3 und 4, Abs. 5 Sätze 1 und 2 sowie Abs. 6 BayBO vorgesehen wird, dass nur die Höhe von Dächern mit einer Neigung von weniger als 70 Grad zu einem Drittel, bei einer größeren Neigung der Wandhöhe voll hinzugerechnet wird und dass die Tiefe der Abstandsfläche 0,4 H, mindestens 3 m, in Gewerbe- und Industriegebieten 0,2 H, mindestens 3 m, beträgt. Die Fragestellung, ob die Annahmen für die Berechnung der Abstandsflächen (Wände H x 0,4 jedoch mindestens 3 m, sowie die Höhe der Dächer mit einer Neigung unter 70° H=1/3) der Satzung der Stadt … entspricht, steht in Einklang mit dieser Regelung.
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3. Soweit die Beklagte im Ablehnungsbescheid vom 15. Dezember 2020 darauf hinweist, dass der Baumbestand an der westlichen Grundstücksgrenze weitgehend erhalten bleiben soll und eine Befreiung vom Beseitigungsverbot der Baumschutzverordnung für durch die Baumschutzverordnung geschützte Bäume nicht beantragt ist und nicht in Aussicht gestellt werden kann, ist festzustellen, dass die Anwendung der Baumschutzverordnung nach dem Wortlaut nicht Gegenstand der Bauvoranfrage ist. Da die Beklagte entsprechend der Einlassung in ihrem Schriftsatz vom 13. September 2021 diese Ausführungen als „ergänzenden Hinweis rein deklaratorischer Natur“ wertet, kann dahinstehen, ob die Beklagte den Antrag auf Erlass eines Vorbescheides unter entsprechender Anwendung des Art. 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz BayBO auch aus anderen Gründen, die nicht Gegenstand des Prüfungsumfanges bzw. des Vorbescheidsantrages sind, ablehnen kann (vgl. z.B. Decker in: Busse/Kraus, BayBO Art. 71 Rn. 70a; Michl in: BeckOK BauordnungsR Bayern, BayBO Art. 71 Rn. 16).
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Vorsorglich wird jedoch darauf hingewiesen, dass bei bestehendem Baurecht Gesichtspunkte des Baumschutzes grundsätzlich hinter einem gegebenen Baurecht zurücktreten (BayVGH, B.v. 25.2.2021 – 9 ZB 19.2011 – juris Rn. 16; B.v. 23.10.2018 – 2 ZB 16.936 – juris Rn. 6; VG München, U.v. 16.2.2022 – M 29 K 19.5960 – juris Rn. 27).
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3. Nach alledem war der Klage stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.