Inhalt

Vergabekammer München, Beschluss v. 13.06.2023 – 3194.Z3-3 01-23-11
Titel:

zu Beschluss 23-11

Normenketten:
GWB § 159
GWB § 162
GWB § 127 Abs. 4
SektVO § 51 Abs. 2
SektVO § 54
Leitsätze:
1. Ein Verweisungsbeschluss einer Vergabekammer an eine andere ist für letztere auch dann analog § 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GWB bindend, wenn große Zweifel an der Richtigkeit des Verweisungsbeschlusses bestehen, dieser aber nicht willkürlich ergangen ist (OLG Jena, Beschluss vom 16.07.2007 – 9 Verg 4/07).
2. Ein Verweisungsbeschluss ist für die Vergabekammer, an die verwiesen wurde, lediglich formell – d.h. hinsichtlich der Zuständigkeit – bindend. Eine materielle Bindungswirkung besitzt der Verweisungsbeschluss nicht. An die tragenden Gründe des Verweisungsbeschlusses ist die Vergabekammer, an die verwiesen wurde, nicht gebunden.
3. Richtiger Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren ist derjenige Auftraggeber, dem der streitgegenständliche Auftrag zuzurechnen ist. Hierbei ist im Regelfall eine Orientierung an den zivilrechtlichen Vertragsbeziehungen geboten (OLG München, Beschluss vom 31.05.2012 - Verg 4/12). Weitere Voraussetzung muss zur Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes allerdings sein, dass der Antragsgegner auch die Befugnisse hat, auf das Vergabeverfahren einzuwirken und etwaige Anordnungen der Vergabenachprüfungsinstanzen umzusetzen.
4. Die Änderung von Muss-Anforderungen in einem Verhandlungsverfahren ist eine Form der Leistungsbestimmung durch den Auftraggeber im Detail. Eine vertiefte Dokumentation der Leistungsbestimmung ist insbesondere dann erforderlich, wenn sie wettbewerbsbeschränkend wirkt, d.h. wenn sie dazu führt, dass sich der Bieterkreis auf einen oder wenige Bieter beschränkt.
5. § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB verlangt, dass die Zuschlagskriterien so festgelegt werden, dass der Auftraggeber eine wirksame Überprüfung vornehmen kann, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Ist – wie hier bei Energieverbrauchsdaten eines noch zu entwickelnden Triebzugs – oder bei einer Konzeptbewertung eine Überprüfung mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit während des Vergabeverfahrens nicht möglich, ist zumindest zu verlangen, dass das für die Zuschlagsbewertung maßgebliche Leistungsversprechen in eine einklagbare Leistungsverpflichtung oder in eine solche Leistungsverpflichtung mündet, bei deren Verletzung eine vertragliche Sanktion zur Verfügung steht.
6. Ein Ausschluss eines Angebots wegen Abweichungen von Vorgaben des Auftraggebers zur rein formalen Gestaltung des Angebots (hier: Vorgaben zur Benennung von Dateien), die nicht zu einem von den Vorgaben des Auftragsgebers abweichenden Vertragsinhalt führen und auch nicht die Gleichbehandlung der Bieter berühren, ist regelmäßig gem. § 97 Abs. 1 Satz 2 unverhältnismäßig.
7. Eine Nachforderung von Unterlagen nach § 51 Abs. 2 SektVO ist nicht bereits dann generell ausgeschlossen, wenn der Auftraggeber Zeitpunkt seiner Ermessensentscheidung über die Nachforderung noch nicht wissen kann, ob die Unterlage vielleicht Angaben zur Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien enthält und damit gem. § 51 Abs. 3 SektVO gar nicht nachgefordert werden dürfte. Der Auftraggeber muss allerdings, wenn er vom Inhalt der nachforderten Unterlage Kenntnis nimmt und dabei erkennt, dass diese Angaben zur Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien enthält und gar nicht hätte nachgefordert werden dürfen, diese bei der Angebotswertung außer Acht lassen.
Schlagwort:
zu Beschluss 23-11
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17410

Tenor

1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerinträgt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen derAntragsgegnerin und der Beigeladenen zu 1) und 2).
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von…,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin und die Beigeladenen zu 1) und 2) war jeweils notwendig.

Gründe

I.
1
Die Antragsgegnerin machte den oben genannten Auftrag im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit vorangehendem Teilnahmewettbewerb am 07.10.2020 im Supplement zum Amtsblatt der EU unionsweit bekannt. Der Auftrag umfasst die Entwicklung, Herstellung und Lieferung von zunächst bis zu 200, zuletzt bis zu 180 elektrischen Triebzügen, davon maximal 90 Triebzüge optional, für die S-Bahn M… In der Bekanntmachung war unter I.1) als Auftraggeber die Antragsgegnerin benannt:
Offizielle Bezeichnung: D… AG …
Postanschrift: […]
Hauptadresse: …
2
Unter II.2.4 Beschreibung der Beschaffung war Folgendes aufgeführt:
3
Die D… AG erbringt Verkehrsleistungen für den öffentlichen Aufgabenträger in Bayern, die B… mbH („BEG“). Die BEG hat den Betrieb des gesamten Netzes der S-Bahn M… in der Verkehrsausschreibung 2017/S. 115-231852 „Wettbewerbliche Vergabe der Schienenpersonennahverkehrsleistungen der S-Bahn M… („1. MSBV“)“ ausgeschrieben. Während der Laufzeit des 1. MSBV werden die Verkehrsleistungen zunächst weiterhin mit den Bestandsfahrzeugen der BR 423 und BR 420 erbracht. Teile dieser Bestandsflotte sollen von Neufahrzeugen mit einer Fahrzeuglänge von ca. 200 Meter bis max. 210 Metern noch während des 1. MSBV abgelöst werden. Die Fahrzeuge werden nach der Öffnung der 2. Stammstrecke auch auf dieser eingesetzt. Der Einsatz ist auch für die Folgeverkehrsverträge vorgesehen. Gegenstand der Vergabe ist ein Auftrag über die Entwicklung, Herstellung, Inbetriebsetzung, Zulassung und Lieferung von bis zu 200, davon maximal 90 optional, neuen, den anerkannten Regeln der Technik entsprechenden, funktionsfähigen, betriebsbereiten, komplett ausgestatteten, komfortablen, zugelassenen, wirtschaftlich und im Sinne des § 4 AEG sicher einsetzbaren Fahrzeugen für die S-Bahn M… einschließlich der Lieferung von Ersatzteilen und Spezialwerkzeugen sowie entsprechender Dokumentation. Die vom Auftragnehmer zu erbringenden Lieferungen und Leistungen (einschließlich ggf. dazugehörige Dienstleistungen) sind in den weiteren Vergabeunterlagen beschrieben. Die voraussichtliche Inbetriebnahme der ersten Fahrzeuge ist ab Dezember 2026 geplant.
4
Die Finanzierung der Fahrzeuge wird über ein Leasingmodell dargestellt, bei dem eine oder mehrere von einer Leasinggesellschaft noch zu gründende Leasingobjektgesellschaft(en) als Einzweckgesellschaften („Leasinggeber“) in den Fahrzeugbeschaffungsvertrag eintritt und die vom Auftragnehmer gemäß des Fahrzeugbeschaffungsvertrages zu liefernde Fahrzeuge nach deren Abnahme der D… AG und etwaigen Nachfolgebetreibern zur Nutzung auf den Strecken der S-Bahn M… verleast.
5
Die Bekanntmachung bzw. die Vergabe über die Beschaffung steht unter dem Vorbehalt der Beauftragung der entsprechenden Verkehrsleistung durch den Aufgabenträger an die D… AG sowie der finalen Freigabe der entsprechenden Gremien der BEG und der D… AG.
6
Nach II.2.5 war der Preis nicht das einzige Zuschlagskriterium; alle Kriterien waren nur in den Beschaffungsunterlagen aufgeführt. Nach II.2.10 waren keine Varianten/Alternativangebote zulässig. Unter II.2.11 waren Optionen zur Beschaffung von weiteren Triebzügen gemäß den Vergabeunterlagen aufgeführt. Verfahrensart war nach IV.1.1 ein Verhandlungsverfahren mit vorherigem Aufruf zum Wettbewerb.
7
Unter VI.4.1 Zuständige Stelle für Rechtsbehelfs-/Nachprüfungsverfahren war die Vergabekammer des Bundes benannt.
8
Die Vergabeunterlagen bestehen nach Ziffer 4.2 der Bewerbungsbedingungen aus den Bewerbungsbedingungen, der Aufforderung zur Angebotsabgabe, der Bewertungsmatrix, dem Fahrzeugbeschaffungsvertrag nebst Anlagen und Anhängen sowie der Vertragsübernahmevereinbarung und dem Lastenheft (Anlage 2.1 des Fahrzeugbeschaffungsvertrages).
9
Die Bewertungsmatrix enthält u.a. folgende Vorgaben:
10
Das wirtschaftlichste Angebot weist den geringsten Bewertungspreis im Reiter Gesamtbewertung in EUR aus.
11
Der Bewertungspreis ist die Summe in Euro aus:
- Gesamtkosten Fahrzeugpreis gemäß Reiter Fahrzeugpreis
- Gesamtenergiekosten gemäß Reiter Energieverbrauch
- Gesamtsumme Instandhaltungs- und Reinigungsaufwand gemäß Reiter Instandhaltung und Reinigung
- Summe Paketpreis in Serie und nach Serie gemäß Reiter Ersatzteile
- Gesamtkosten Softwarepflegevertrag 15.5 ohne IT-Upgrade Service gemäß Reiter SW-Pflegevertrag 15.5 ohne IT-U
- Gesamtkosten IT-Upgrade Service gemäß Reiter IT-Upgrade Service
- Gesamtkosten IT-Schnittstellenmanagement gemäß Reiter IT Schnittstellenmanagement
- Gesamtkosten Fahrzeug-Management Software gemäß Reiter Fahrzeug-Management Software In Abzug wird hiervon
- Summe Bewertungsbonus Vertragsbedingungen gemäß Reiter Vertragsbedingungen
- Summe Bewertungsbonus Soll-Kriterien gemäß Reiter SollKriterien gebracht.
12
Weiter heißt es dort unter der Kategorie Energieverbrauch:
13
Die Energiekosten werden gemäß Anlage 46.1.5a ermittelt. Aus dem Ergebnis der Spitzfahrten und Fahrplanfahrten auf der Referenzstrecke wird jeweils ein Mittelwert aus Hin- und Rückfahrt gebildet. Dieser wird jeweils mit dem entsprechenden Wichtungsfaktor multipliziert. Die Summe aus gewichteter Spitz- und Fahrplanfahrt ergibt den gewichteten Energieverbrauch für die Referenzstrecke. Letzerer wird auf einen durchschnittlichen Energieverbrauch pro km umgerechnet. Die Wichtungsfaktoren für die Spitzfahrt und Fahrplanfahrt unterscheiden sich für die Jahre 1-4 und 5-30.
14
Der Energiebedarf für die Abstellung wird in Anlage 46.1.5a angegeben. Der Gesamttagesenergiebedarf für die Abstellung ist die Summe aus dem Energiebedarf für die Tag- und Nachtabstellung. Daraus wird der Energieverbrauch pro Jahr für die Basis- und Optionsfahrzeuge für die Abstellung berechnet.
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Es werden die Energiekosten je Jahr aus dem Energieverbrauch der Basis- und Optionsfahrzeuge mit dem jeweiligen Energiebedarf für die Abstellung pro Jahr addiert und mit dem indizierten Strompreis – Gesamt (Strompreis Energiebeschaffung + Strompreis Energienebenkosten) multipliziert. Die Summe über die betriebliche Nutzungsdauer ergibt die Gesamtenergiekosten.
16
Dieser Wert geht in die Gesamtbewertung ein.
17
Die finalen Bewertungsbedingungen in der Version 8.0 enthalten auszugsweise u.a. folgende Regelungen:
„1.2 … ein Auftrag über die Entwicklung, Herstellung, Inbetriebsetzung, Zulassung und Lieferung von bis zu 180 Triebzügen, davon maximal 90 optional,
3.3 Soweit in der Vergabebekanntmachung nicht anders angegeben, ist die nachfolgend genannte Stelle (D… AG, Vorstandsressort Finanzen, Einkauf Elektrische Triebzüge und S-Bahnen für den Nahverkehr … der alleinige Ansprechpartner in allen Fragen des Vergabeverfahrens (Vergabestelle).
4.4 Der Auftraggeber weist darauf hin, dass es im Laufe des Vergabeverfahrens zu Änderungen an den Vergabeunterlagen kommen kann. Der Auftraggeber behält sich daher ausdrücklich vor, die Vergabeunterlagen, insbesondere das Lastenheft, Vertragsbedingungen sowie Zuschlagskriterien und Musskriterien nebst Wertungsmatrix anzupassen bzw. zu ändern. Das gilt auch für die in den Vergabeunterlagen ggfs. aufgestellten Mindestanforderungen.
7.2 Alle von den Bietern eingereichten elektronischen Dokumente sind in einem gängigen Datenformat zu erstellen und müssen mit einer Standardsoftware (z. B. Word, Excel) bearbeitet bzw. bei Ablichtungen von Dokumenten per PDF gelesen werden können. Dateiformate von Dokumenten, die vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt und von den Unternehmen zu bearbeiten sind, dürfen nicht geändert werden. Als Komprimierungsprogramm ist ausschließlich WIN-ZIP zugelassen. Die Dateinamen sind auf max. 25 Zeichen zu begrenzen.
9.4 Dem Angebot sind die in diesen Bewerbungsbedingungen entsprechend bezeichneten (in Ziffer 4.2) aufgeführten Unterlagen beizufügen. Andere Unterlagen mit Ausnahme eines Anschreibens sind nicht zugelassen.
10.4.1 Der Bieter kommentiert die Anlage 2.1 (Lastenheft) des Fahrzeugbeschaffungsvertrages und hat dabei die Vorgaben zu Muss-Kriterien /-Optionen (vgl. Ziffer 14.5.1) und zu Soll-Kriterien /-Optionen (vgl. Ziffer 14.5.2) zu beachten. Das vom Bieter zu kommentierende Lastenheft gibt verbindlich Auskunft über die vom Bieter angebotene Leistung. Eine Änderung des vorgegebenen Textes oder der vorgegebenen Formatierung (andere oder neue Spalten/Zeilen) ist nicht zulässig. Das Angebot muss in jedem Fall den Anforderungen des Lastenheftes entsprechen, soweit diese nicht als Soll-Kriterien definiert sind (vgl. dazu Ziffer 14.5.1 und 14.5.2). Abweichungen von oder Einschränkungen der Muss-Kriterien führen zum Angebotsausschluss.
14.2.1 Der Auftraggeber weist darauf hin, dass es zum Angebotsausschluss führt, wenn der Bieter ein Angebot einreicht, das mit den Angeboten der Wettbewerber nicht vergleichbar ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Bieter […]
- er Änderungen an den Vergabeunterlagen vornimmt oder diese außerhalb der dafür vorgesehenen Stellen ergänzt
- er mit dem Angebot von zwingenden kommerziellen Bedingungen oder zwingenden fachlichen Anforderungen des Auftraggebers abweicht
- er auf entsprechende Nachforderung des Auftraggebers die nachgeforderten Unterlagen nicht, nicht vollständig oder nicht fristgerecht einreicht oder er zusätzliche Auskünfte verweigert
14.5.1.1 Die technischen Vergabeunterlagen enthalten wesentliche Anforderungen als Muss-Kriterien. Eine Anforderung die als Ausschluss- bzw. Musskriterium gekennzeichnet ist, ist zwingend durch den Bieter zu erfüllen. Kennzeichnet der Bieter eine solche Anforderung als „nicht erfüllt“, oder stellt sich bei der Begutachtung der vom Bieter in seinem Angebot gemachten Angaben heraus, dass eines der Ausschluss- bzw. Muss Kriterien nicht oder nur teilweise erfüllt ist, führt dies zum Ausschluss vom Vergabeverfahren.“
18
Ob ein Kriterium ein Ausschluss- bzw. Muss-Kriterium ist, ergibt sich verbindlich aus dem Fahrzeugbeschaffungsvertrag und den Anlagen sowie aus der Kennzeichnung in der Bewertungsmatrix.
14.5.1.2 Der Auftraggeber behält sich vor, Musskriterien im Verlauf des Vergabeverfahrens noch einmal zu ändern, sie entfallen zu lassen oder neue Muss-Kriterien hinzuzufügen. Die Bieter werden darüber rechtzeitig informiert.
19
14.5.1.3 Erkennt ein Bieter vor Angebotsabgabe, dass ein einzelnes Musskriterium nicht oder nicht wirtschaftlich erfüllt werden kann, so kann er dem Auftraggeber vorschlagen, das Musskriterium bzw. die zugrundeliegende Anforderung aufzuheben oder zu ändern.[…] Im Teillastenheft 33084.TLH_01_Enleitung der Anlage 2.1_VU12 finden sich folgende Regelungen:
„Information 33084.01. 10 Anforderungen, die mit dem Wert „Muss“ im Attribut „Verbindlichkeit“ gekennzeichnet sind, sind durch den AN zwingend zu erfüllen. Kennzeichnet der AN eine solche Anforderung als „nicht erfüllt“ oder „teilweise erfüllt“ oder stellt sich bei der Begutachtung der vom AN in seinem Angebot gemachten Angaben heraus, dass eines der Muss-Kriterien nicht oder nur teilweise erfüllt ist, führt dies zum Ausschluss vom Vergabeverfahren.“
20
Muss-Kriterium 33084.01.47 Der AN benennt die Dateien aller beigelegten Dokumente nach folgender Systematik:
21
PPP_FF_NNN_V_Bezeichnung wobei PPP die letzten drei Ziffern der Projektnummer bzw. die letzten drei Ziffern vorm ersten Punkt der ID der Anlage 2.1 sind; FF zwei Buchstaben des Firmennamens des AN sind; NNN die laufende Nummer der Dokumente ist, die der AN zum Angebot an den AG übergibt. Diese laufende Nummer ist vorne mit Nullen auf drei Ziffern zu erweitern; V die Version des Dokuments angibt, die an den AG übergeben wurde. Diese beginnt mit A und wird alphabetisch bei Übergabe mit Aktualisierung fortgeführt; Bezeichnung eine frei wählbare Bezeichnung durch den Hersteller ist (bitte maximal 17 Zeichen).
22
Muss-Kriterium 33084.01.93 Wenn der AN dem AG sein Angebot zur Anlage 2.1 nicht im Format ReqIF übergibt, übergibt der AN dem AG die Daten in Excel.
23
Muss-Kriterium 33084.01.44 Die Kommentare der CbC-Kommentierung der Anlage 2.1 des AN sind: eindeutig, vollständig und als ganze Sätze formuliert und enthalten keine Hinweise oder Verweise auf andere Fahrzeugprojekte, Baureihen etc.
24
Im Dokument 33084_TLH_90_Glossar_VU13 findet sich folgende Definition:
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33084.90.13 Anforderung = Einzelne und nachzuweisende Eigenschaft des spezifizierten Produkts Die Antragstellerin und die Beigeladene zu 1) wurden zur Angebotsabgabe aufgefordert und beteiligten sich am Verhandlungsverfahren. Die Antragstellerin gab nach einem Erstangebot am 22.12.2021 und einem überarbeiteten Angebot am 19.08.2022 ein finales Angebot am 25.11.2022 ab.
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Die fest zu bestellende Fahrzeuganzahl wurde mit Korrekturzyklus vom 21.10.2022, nach Bekanntwerden der Verzögerung der Inbetriebnahme der 2. S-Bahn-Stammstrecke von Dezember 2028 auf den Zeitraum 2035 bis 2037, auf 90 Fahrzeuge reduziert.
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Im Verlauf des Verfahrens wurden die Vergabeunterlagen überarbeitet und zahlreiche Anforderungen der Lastenhefte geändert, z.B. die erst am 18.11.2021 eingeführte Muss-Anforderung „33084.HB.1354“ zur Anfahrbeschleunigung, die im Zusammenhang mit einer Rüge der Beigeladenen zu 1) am 24.11.2021 ersatzlos gestrichen wurde, die Änderung der Muss-Anforderung „33084.HC.1278“ zur Steuerung der Bremskraft am 21.10.2022, die Änderungen bzgl. der Anforderungen an das OnBoard Multimedia and Telematics System (OMTS) am 03.11.2022 sowie im Oktober/November 2022 zahlreiche Änderungen zur zulässigen Radsatzlast im Zusammenhang mit der sog. zweiten Streckenklasse nach DIN EN 15528:2021.
28
Am 29.11.2022 forderte die Antragsgegnerin von der Beigeladenen zu 1) die erneute Zusendung u.a. der Datei „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme.pdf“. Bei dieser Datei waren ursprünglich die Seiten 66-72 nicht lesbar. Die Beigeladene zu 1) übermittelte noch am selben Tag eine auf den S. 66-72 lesbare Datei mit identischem Dateistempel.
29
Nach Auswertung der finalen Angebote teilte die Antragsgegnerin mit Schreiben gem. § 134 GWB vom 13.01.2023 mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag frühestens am 24.01.2023 auf das Angebot der Beigeladenen zu 1) zu erteilen.
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Diese habe ein wirtschaftlicheres Angebot abgegeben. Das Angebot der Antragstellerin weise bei den reinen Fahrzeugkosten pro Einzelfahrzeug einen geringen Vorteil gegenüber dem Angebot des Wettbewerbers auf, insgesamt ergebe sich daraus unter Berücksichtigung der Optionen ein Vorsprung gegenüber den „Gesamtkosten Fahrzeugpreis“ des Wettbewerbers. Dieser Vorsprung werde jedoch mehr als kompensiert durch die Bewertung der Kriterien „Gesamtenergiekosten“ und „Gesamtsumme Instandhaltungs- und Reinigungsaufwand“ und „Summe Paketpreis in Serie und nach Serie“, bei denen der Wettbewerber deutlich besser abschneide. Der Abstand ergebe sich aus dem geringeren Energieverbrauch sowie dem geringeren Instandhaltungsaufwand.
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Ein erheblicher Vorsprung des Wettbewerbers bestehe auch – ohne dass dies für das Gesamtergebnis ausschlaggebend wäre – bei den „Gesamtkosten Softwarepflegevertrag“. Bei den Abzugspositionen „Summe Bewertungsbonus Soll-Kriterien“, und der „Summe Bewertungsbonus Vertragsbedingungen“ würden die Angebote in etwa gleichauf liegen.
32
Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 18.01.2023 rügte die Antragstellerin die beabsichtigte Auftragsvergabe an die Beigeladene zu 1) unter mehreren Gesichtspunkten als vergaberechtswidrig.
33
Der Umfang der vom Auftragnehmer optional zu liefernden Fahrzeuge überschreite den vergaberechtlich zulässigen Rahmen für Vertragsänderungen nach Maßgabe des § 132 GWB. Die im angegebenen Leistungsumfang enthaltene Mengenoption sei bereits der Höhe nach vergaberechtswidrig, dürfe in Ermangelung einer Bekanntmachung über die Änderung des Leistungsumfangs zumindest aber nicht in die Wertung einbezogen werden und werde jedenfalls in einer gegen das Vergaberecht verstoßenden Weise bei der Zuschlagsentscheidung einbezogen.
34
Die Qualitätsoptionen seien vergaberechtswidrig gewertet, da sie intransparent seien, zu einem unwirtschaftlichen Beschaffungsergebnis führten und mit einem erheblichen Diskriminierungspotenzial im Sinne einer Ungleichbehandlung einhergingen.
35
Die Angebotswertung sei auch im Übrigen vergaberechtswidrig und verstoße gegen § 127 GWB sowie § 97 GWB, da das für den Zuschlag vorgesehene Unternehmen aus dem Verfahren hätte ausgeschlossen werden müssen. Dessen Angebot sei in sich nicht schlüssig und könne auf Grund technischer Anhaltspunkte, die sich aus dem bekanntgegebenen Wertungsergebnis ablesen ließen, die Anforderungen der Ausschreibung nicht erfüllen.
36
Im Verfahrensgang seien verschiedene Muss-Anforderungen zur Disposition gestellt und geändert worden. In der Folge könne nicht mehr gewährleistet werden, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot (§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB) erteilt wird und der Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Abstandnahme von Muss-Kriterien gewahrt ist.
37
Es bestünden ernsthafte Indizien dafür, dass die Beigeladene zu 1) ihr Angebot nicht auskömmlich kalkuliert habe, da sich z.B. die Instandhaltung auch nach dem angebotenen Fahrzeugdesign richte und es nicht plausibel scheine, dass zwar die Angebote bei den Fahrzeugkosten gleichauf sein sollten, die Beigeladene zu 1) aber bei der Instandhaltung wesentlich günstiger sein solle.
38
Die Verfahrensbenachrichtigung vom 13.01.2023 sei intransparent (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) und verstoße gegen die Anforderungen des § 134 GWB, da der Antragstellerin zu wenige Informationen über ihr eigenes Angebot gegeben worden seien, um die Wertung nachvollziehen zu können.
39
Die Mitwirkung von Herrn Prof. Dr. K… an dem Vergabeverfahren auf Seiten des Auftraggebers berge einen nicht auszuschließenden Interessenkonflikt im Sinne des § 6 Abs. 1 SektVO.
40
Mit Schriftsätzen vom 19.01.2023 konkretisierte die Antragstellerin ihre Rüge.
41
Das Vergabeverfahren sei rechtsfehlerhaft durchgeführt worden, da die Abstandnahme und/oder Änderung von Mindestanforderungen in unzulässiger Weise vorgenommen worden seien und dies manipulativ und einseitig zu Gunsten von Wettbewerbern erfolgt sei. Dies betreffe beispielsweise die Änderung der Anforderungen bzgl. OMTS, den Wegfall der Anforderung „33084.HB.1354“ zum Beschleunigungsvermögen und die Änderungen der Anforderungen an die Bremsanlage „33084.HC.802“ und „33084.HC.1278“ von drehgestellselektiv zu wagenweise bzw. drehgestellübergreifend.
42
Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 20.01.2023 wies die Antragsgegnerin die Rügen zurück.
43
Die Rügen in Bezug auf die Mengenoption, die Bewertung der Qualitätsoptionen, die Vorgaben zur Bewertung des Energieverbrauchs und die Anpassung von Muss-Optionen seien nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert.
44
Die Aufnahme der Mengenoptionen sei durch sachliche Gründe gerechtfertigt, eine nachträgliche Fahrzeugbestellung sei sehr aufwendig. Die Grundsätze der Transparenz, Gleichbehandlung und Wirtschaftlichkeit seien durch die Angabe von Eintrittswahrscheinlichkeiten für die unterschiedlichen Optionstranchen beachtet.
45
Es bestehe hinsichtlich der Mengenoptionen auch kein Bekanntmachungsdefizit, da bereits in der EU-Bekanntmachung transparent mitgeteilt worden sei, dass 90 Fahrzeuge optional beschafft werden sollen. Die Mengenreduzierung habe keiner erneuten EU-Bekanntmachung bedurft. Die Verringerung sei den Bietern rechtzeitig und transparent im Rahmen der Verhandlungsgespräche und nachfolgend durch den Korrekturzyklus vom 21.10.2022 mitgeteilt worden.
46
Die Zuschlagskriterien hätten nach § 127 Abs. 5 GWB in den Vergabeunterlagen aufgeführt werden dürfen.
47
Der Zuschlag von 15% für nicht angebotene Soll-Optionen diene der Sicherstellung der Vergleichbarkeit der Angebote und trage somit dem Gleichbehandlungsgebot Rechnung. Andernfalls bestünde für die Bieter ein Anreiz, gar keine Soll-Optionen anzubieten, um den eigenen Angebotspreis niedrig zu halten.
48
Die Vergleichbarkeit der Angebote zum Energieverbrauch sei durch die Vorgaben in Anlage 46.1.5 gewährleistet. Aufgrund der empfindlichen Pönalisierung bei Abweichungen von den Energieverbrauchsangaben in der Vertragsausführung seien die Bieter gehalten gewesen, den Energieverbrauch zutreffend zu ermitteln und anzugeben. In Bezug auf das Fehlen von weiteren Vorgaben zur Testumgebung sei Präklusion eingetreten, da dies ein Umstand sei, der einem fachkundigen Bieter im Rahmen der Angebotserstellung geradezu ins Auge springen müsse.
49
Bezüglich der Änderung von Muss-Anforderungen sei § 17 Abs. 10 VgV nicht anwendbar. Die Konkretisierungen und Anpassungen der Leistungsanforderungen seien jeweils von sachlichen Gründen getragen.
50
Die Rügen zur Prüfung und Wertung der Angebote seien nicht hinreichend substantiiert, die Antragsgegnerin müsse im Übrigen die Erfüllung sämtlicher Anforderungen nicht überprüfen und dürfe auf das Leistungsversprechen der Beigeladenen zu 1) vertrauen. Die Antragsgegnerin habe die Angebote insbesondere, aber nicht ausschließlich, im Hinblick auf den Energieverbrauch einer Prüfung auf Plausibilität und Umsetzbarkeit unterzogen.
51
Es bestünden zudem keine ernsthaften Anhaltspunkte, dass die Beigeladene zu 1) ihr Angebot nicht auskömmlich kalkuliert habe. Sie erfülle die Anforderungen der Ausschreibung, es bestehe kein Anlass, an ihrem Leistungsversprechen zu zweifeln. Die Antragsgegnerin habe das Angebot der Beigeladenen zu 1) überprüft, diese Prüfung habe sich auch auf die angebotenen Preise erstreckt. Anhaltspunkte für eine unauskömmliche Preisgestaltung hätten nicht vorgelegen. Insbesondere bestehe kein Automatismus, wonach das Fahrzeugpreisniveau unmittelbar mit den Folgekosten für Instandhaltung und Ersatzteile korrelieren müsse.
52
Die Vorinformation nach § 134 GWB sei ausreichend. Sie adressiere alle Bewertungskriterien und führe aus, in welchen Kriterien das Angebot der Antragstellerin vorne liege und in welchen es hinter dem Angebot der Beigeladenen zu 1) rangiere. Die Angabe konkreter Abstände – und erst recht die Offenlegung der Bewertungsmatrix – sei nicht erforderlich und wäre hier aus Gründen des Geheimnisschutzes auch nicht zulässig, da genaue Prozentangaben Rückschlüsse auf die Angebotspreise des Wettbewerbers zuließen.
53
Es bestehe kein nach § 6 SektVO relevanter Interessenkonflikt bei Herrn Prof. Dr. K… Dieser sei seit dem Jahr 2006 nicht mehr bei der S… AG beschäftigt. Im Vergabeverfahren sei er ausschließlich im Auftrag der Beigeladenen zu 2) tätig gewesen, nicht für die Antragsgegnerin. Dies sei der Antragstellerin auch bekannt gewesen.
54
Mit Schreiben vom 21.01.2023 ergänzte die Antragstellerin erneut ihre Rügen.
55
Die Beigeladene zu 1) könne den Energieverbrauch nicht anforderungskonform ermittelt haben, es müssten Verstöße gegen die Anlage 46.1.5 zum Fahrzeugliefervertrag (FLV) Spezielle Gewährleistung Energieverbrauch Kap. 2.2.1 angenommen werden.
56
Es sei in mehreren Fällen zu einer unzulässigen Abstandnahme bzw. zu Änderungen von Mindestanforderungen gekommen, die einseitig zu Gunsten der Beigeladenen zu 1) erfolgt seien und keinen sachlichen Grund hätten.
57
Die Änderungen der Anforderungen zur Streckenklasse und zum Gewichtsmonitoring, insbesondere die Argumentation zur zweiten Streckenklasse nach DIN EN 15528:2021 dienten nur dazu, das Fahrzeugkonzept der Beigeladenen zu 1) in einen wettbewerbsfähigen Zustand zu versetzen. Im Übrigen stelle die Aufnahme des Begriffs des „selektiven Gewichtsmonitorings“ eine einseitige Vorteilsgewährung für den Wettbewerber dar. Da dieser Begriff durch die Antragstellerin geprägt worden sei, liege zudem ein Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs vor.
58
Die Änderung der Anforderung „33084.J.5908“ zur Induktionsschleife für Hörgeschädigte begünstige die Beigeladene zu 1), die eine solche Lösung bereits entwickelt habe.
59
Die sehr späte Änderung der INFO-Kriterien „33084.J.1226“, „33084.J.1231“, „33084.J.1234“, „33084.J.1233“, „33084.J.1842“, „33084.J.5487“, „33084.J.1766“, „33084.J.6328“ zu Muss-Kriterien erst im November 2022 begünstige Beigeladene zu 1), die entsprechende Lösungen nach der Marktkenntnis der Antragstellerin bereits entwickelt habe.
60
Dies gelte auch für die Änderung der Anforderungen bzgl. der Ausstiegsmonitore „33084.J.5856“, „33084.J.7210“ und die neuen Anforderungen bzgl. der Video-Innenkameras „33084.J.4546“ und für die Neueinführung einer Servicefassade für die Schnittstelle Zug Land und mehrere untergeordnete Schnittstellen „33084.J.7072“, „33084.J.7219“, „33084.J.7179“, „33084.J.6757“, „33084.J.7178“, „33084.J.4097“, „33084.J.7119“, „33084.J.6328“.
61
Ebenfalls sehr spät am 03.11.2022 seien die Anforderungen bzgl. der Schnittstellen zum Videoüberwachungssystem „33084.J.4407“, „33084.J.4408“ eingeführt worden, die zu Spezifizierungs- und Implementierungsaufwand bei der Antragstellerin geführt hätten.
62
Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 23.01.2023 stellte die Antragstellerin Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes und beantragte,
1.
Bezüglich des Vergabeverfahrens „Beschaffung von bis zu 200 elektrischen Triebzügen, davon maximal 90 Triebzüge optional, für die S-Bahn M…, EU-Bekanntmachung 2020S 195-472834 vom 07.10.2020“ wird ein Vergabenachprüfungsverfahren eingeleitet.
2.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die geltend gemachten Rechtsverletzungen der Antragstellerin zu beseitigen.
3.
Die Vergabeakte wird beigezogen und der Antragstellerin unverzüglich Akteneinsicht nach § 165 GWB gewährt.
4.
Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
5.
Der Antragsgegnerin werden die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung einschließlich der vorprozessualen Anwaltskosten auferlegt.
63
Mit dem Nachprüfungsantrag vertiefte die Antragstellerin die Begründung ihrer bereits vorgebrachten Rügen. Die Vergabekammer des Bundes übermittelte den Antrag der Antragsgegnerin noch am 23.01.2023. Das Verfahren bei der Vergabekammer des Bundes wurde unter dem Az.: VK 2-4/23 geführt.
64
Mit Beschluss vom 26.01.2023 hat die Vergabekammer des Bundes die Beigeladene zu 1) zum Verfahren beigeladen.
65
Mit Schreiben vom 06.02.2023 erwiderten die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin zum Nachprüfungsantrag und beantragten
1.
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
2.
der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin aufzuerlegen,
3.
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.
66
Die Antragstellerin, einer der führenden Fahrzeughersteller und weltweit operierender Anbieter von Mobilitätssystemen, habe sich an dem Vergabeverfahren mit einem Teilnahmeantrag und mehreren Angeboten – bis hin zum letztverbindlichen Angebot („Best and Final Offer“ – BAFO) – beteiligt.
67
Das Rügevorbringen der Antragstellerin beruhe weitgehend auf bloßen Vermutungen „ins Blaue hinein“. Ungeachtet dessen seien die Vorhalte auch in der Sache nicht begründet. Zudem verkenne die Antragstellerin, dass der Auftraggeber auf das Leistungsversprechen eines Bieters vertrauen dürfe. Das gelte im hiesigen Verfahren in besonderem Maße, da die Antragsgegnerin für die Nichteinhaltung zentraler Leistungsversprechen empfindliche Pönalen im Vertrag vorgesehen habe. Insbesondere die Kennzahlen zum Energieverbrauch und zur Instandhaltung würden einer „speziellen Gewährleistung“ unterliegen; sie würden nicht nur prognostiziert, sondern seien vertraglich geschuldet. Die Bieter seien daher bereits aus eigenem wirtschaftlichem Interesse gehalten gewesen, zutreffende, realistische und umsetzbare Angaben zu machen. Zum anderen habe die Antragsgegnerin die Angebote in kaufmännischer, fachlicher und technischer Hinsicht sorgfältig überprüft. Diese Prüfung habe keinerlei Anhaltspunkte ergeben, die die Angaben und Zusagen der Beigeladenen als unplausibel erschienen ließen.
68
Soweit die Antragstellerin erstmalig die Verfahrensgestaltung beanstande, sei zu berücksichtigen, dass sie sich an dem Vergabeverfahren rügelos beteiligt habe. Bereits vor Einleitung des Vergabeverfahrens habe sie an den Markterkundungsgesprächen, die die Antragsgegnerin im Herbst 2019 und im Sommer 2020 durchgeführt habe, teilgenommen. Die entsprechenden Rügen seien vollständig präkludiert.
69
Auch in der Sache seien die Einwände unbegründet. Die Antragsgegnerin habe sich um eine maximal wettbewerbsintensive Vergabekonzeption bemüht, um ein optimales Beschaffungsergebnis zu erzielen. Der Vorhalt der Antragstellerin, das Vergabeverfahren und dessen Abwicklung zielten auf eine bewusste Bevorteilung der Beigeladenen zu 1), sei abwegig.
70
Ebenfalls am 06.02.2023 erhielten die Antragstellerin und die Beigeladene zu 1) Akteneinsicht in ausgewählte Aktenbestandteile, die nach Auffassung der Vergabekammer des Bundes keine Geschäftsgeheimnisse enthielten.
71
Mit Schreiben an die Vergabekammer des Bundes vom 15.02.2023 nahm die Antragstellerin zur gewährten Akteneinsicht Stellung und beantragte zusätzlich zu den bisher gestellten Anträgen:
1.
der Antragstellerin weitere Einsicht in die Vergabeakte zu gewähren, indem die Bezeichnungen derjenigen Dateien und jedenfalls ihrer Dateiformate (z.B. .docx, .pdf, etc.) offengelegt werden, die am 29.11.2022 durch die Antragsgegnerin von der Beigeladenen nachgefordert wurden,
2.
der Antragstellerin weitere Einsicht in die Vergabeakte zu gewähren, indem die Metadaten der von der Antragsgegnerin ausweislich Seite 23 des Vergabevermerks wiederhergestellten Dateien offengelegt werden,
3.
der Antragstellerin weitere Einsicht in die Vergabeakte zu gewähren, indem die Vergabevermerke und die wertungsrelevanten Bestandteile der Vergabeakte in Bezug auf die dem finalen Angebot vorausgehenden Angebote der Antragstellerin offengelegt werden.
72
Die Antragstellerin begründete ihre Anträge auf erweiterte Akteneinsicht und rügte aufgrund der Akteneinsicht und insbesondere der Einsicht in die Bewertungsmatrix verschiedene Wertungsfehler sowie weitere Ungereimtheiten und Vergabeverstöße.
73
Die Antragsgegnerin habe der Angebotswertung eine Bewertungsmatrix zugrunde gelegt, die eine fehlerhafte – der Antragstellerin zuvor nicht sichtbar gemachte – Berechnungsformel enthalte, die sich erheblich auf die Wertung der Fahrzeugpreise und damit im Ergebnis auch erheblich auf das Ergebnis der Gesamtbewertung ausgewirkt habe.
74
Bei der Berechnung und Bewertung seien lediglich die Fahrzeugchargen 1 bis 4 zzgl. der Optionen 1 und 2 berücksichtigt worden – und nicht, wie von der Bewertungsmatrix vorgesehen, sämtliche Chargen. Die Chargen 5 bis 7 seien in die „Gesamtsumme Wert nach Eintrittswahrscheinlichkeit“ nicht eingeflossen.
75
Die Berechnung der Fahrzeugpreise sei auch im Übrigen fehlerhaft erfolgt. Die Antragstellerin habe die „Summe Fahrzeug-Preise inkl. Ausstattungsoptionen nach Preisdynamisierung“ anhand der veröffentlichten Formel (Summe Fzg-Preise inkl. Ausstattungsoptionen vor Preisdynamisierung x Faktor x Eintrittswahrscheinlichkeit) nachgerechnet und sei auf ein anderes Ergebnis gekommen als die ihr im Rahmen der Akteneinsicht überlassene Bewertungsmatrix.
76
Bei der Muss-Option „33084.B.Kx.651“ (Zugbeeinflussungseinrichtung ETCS und PZB) habe die Antragsgegnerin den Angebotspreis fehlerhaft in die Matrix übertragen.
77
Zudem habe die Antragstellerin die Position „33084.B.E.899“ (stufenlose Intervallschaltung) angeboten, ihr Angebot hätte daher insoweit mit 100% Erfüllung bewertet werden müssen. Die Antragsgegnerin habe diese Position aber mit lediglich 30% bewertet.
78
Auch die Position „33084.B.J.935“ (störpegelabhängige Regelung) habe die Antragstellerin angeboten, ihr Angebot hätte daher mit 100% Erfüllung bewertet werden müssen. Die Antragsgegnerin habe diese Position aber mit lediglich 0% bewertet.
79
Bei der Wertung der Fahrzeug-Management-Software weiche der von der Antragstellerin ermittelte Wert erheblich von demjenigen ab, den die Antragstellerin ihrer Bewertungsmatrix zugrunde gelegt habe.
80
Die Antragsgegnerin habe in der Bewertungsmatrix im Rahmen der Gesamtenergiekosten den vorgegebenen Anstieg (Indexierungsrate 2,7% pro Jahr) der Energiekosten zwischen der Preisbasis 2020 und dem definierten Start im Jahr 2030 nicht in der Berechnung berücksichtigt. Dies sei ausweislich der Bewertungsmatrix aber vorgegeben gewesen.
81
Die Antragsgegnerin habe die Berechnung des Energieverbrauchs unter Zugrundelegung von „neuen Rädern“ als Parameter durchgeführt, obwohl sie in der Antwort auf die Bieterfrage 812 festgelegt habe, zur Hälfte verschlissene Räder als Basis zu nehmen.
82
Darüber hinaus bestünden weitere Ungereimtheiten“ bei der Berechnung des Reinigungs- und Instandhaltungsaufwandes. Der von der Antragstellerin ermittelte Wert stimme nicht mit dem in der Wertungsmatrix überein.
83
Aus der Dokumentation der Nachforderung von Unterlagen (dort S. 23, Ziff. X.1) ergebe sich, dass das Angebot der Beigeladenen zu 1) auszuschließen sei, weil die Antragsgegnerin bei ihr in vergaberechtlich nicht zulässiger Weise Unterlagen nachgefordert habe. Die Nachforderung sei gem. § 51 Abs. 3 SektVO unzulässig gewesen. Die Nachforderung von Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betreffen, sei ausgeschlossen. Die nachgeforderten Anlagen würden Angaben der Beigeladenen zu Muss-Kriterien betreffen. Dabei handle es sich um leistungsbezogene Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung i.S.d. § 127 Abs. 1 GWB betreffen.
84
Die Dokumentation der Gründe für die Änderung der Muss-Kriterien sei unzureichend. Es werde nur pauschal auf den Änderungsvorbehalt in den Bewerbungsbedingungen Bezug genommen. Im Sinne der transparenten und nichtdiskriminierenden Ausgestaltung des Verfahrens wäre es jedoch geboten, dass die Antragsgegnerin dokumentiert hätte, welche Veranlassung aus ihrer Sicht konkret für die jeweilige Änderung der Muss-Kriterien bestanden hat.
85
Zudem enthalte der Vergabevermerk, soweit dies der Antragstellerin offengelegt worden sei, keinerlei Dokumentation zur Plausibilisierung der Auskömmlichkeit der Angebote.
86
Mit Schreiben vom 01.02.2023 bat die Vergabekammer des Bundes die Antragsgegnerin um nähere Erläuterung zu den Hintergründen und Abläufen im Rahmen der streitgegenständlichen Beschaffung der Triebzüge.
87
Diese Informationen würden zur vertieften Prüfung benötigt, ob der vorliegende Auftrag dem Bund zuzurechnen sei. Die Antragsgegnerin nahm hierzu im Rahmen der Antragserwiderung vom 06.02.2023 Stellung. Sie führte u.a. aus, dass die Antragsgegnerin über den Zuschlag entscheide, der B… (BEG) stünden nur Informations- und Mitwirkungsrechte zu. Es sei zu keinem Zeitpunkt vorgesehen, dass die BEG Eigentümerin der Fahrzeuge werde oder dem Auftragnehmer gegenüber die Kostenlast übernehme. Bei einem Betreiberwechsel des Verkehrsvertrages vor Ende des Leasingzeitraumes würden die Fahrzeuge dem Nachfolgebetreiber über einen Vertragseintritt in den Leasingvertrag zur Verfügung gestellt. Die Antragsgegnerin sei eine Sektorenauftraggeberin, auf die der Bund einen beherrschenden Einfluss ausübe. Auf die Mittelherkunft für die Finanzierung des Auftrags komme es nicht an. Ähnlich äußerten sich mit Schreiben vom 08.02.2023 auch die Antragstellerin und die Beigeladene zu 1). Die Zuständigkeit der Vergabekammer des Bundes folge aus § 159 Abs. 1 Nr. 3 GWB i.V.m. § 100 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) GWB, da der öffentliche Auftrag von einer Sektorenauftraggeberin vergeben werde, auf die der Bund einen beherrschenden Einfluss ausübe. Auf die Finanzierung des konkreten Auftrages komme es nicht an. Diese erfolge auch nicht durch bayerische Stellen, welche auch kein Eigentum an den Fahrzeugen erlangten.
88
Mit schriftlichem Hinweis vom 10.02.2023 erläuterte die Vergabekammer den Verfahrensbeteiligten, dass beabsichtigt sei, den Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer Südbayern zu verweisen, und räumte insoweit Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Die Antragstellerin, die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 1) führten daraufhin nochmals vertieft aus, warum ihrer Ansicht nach die Vergabekammer des Bundes für das Nachprüfungsverfahren zuständig sei.
89
Trotz der insoweit einhelligen Stellungnahmen der Antragstellerin, der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 1) verwies die Vergabekammer des Bundes das Nachprüfungsverfahren mit Beschluss vom 21.02.2023 gemäß § 83 VwGO i.V.m. § 17a GWB analog an die Vergabekammer Südbayern, da der Auftrag der BEG mit Sitz in München zuzurechnen sei. Zu den Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses der Vergabekammer des Bundes verwiesen.
90
Nach Erhalt der Verfahrensakte von der Vergabekammer des Bundes sowie der aus dem eVergabesystem der Antragsgegnerin exportierten Dokumentation des Vergabeverfahrens hörte die Vergabekammer Südbayern die bisherigen Beteiligten sowie die BEG mit Schreiben vom 02.03.2023 dazu an, mit welchem Antragsgegner das Vergabeverfahren fortzusetzen sei und inwieweit Bindungswirkung durch den Verweisungsbeschluss der Vergabekammer des Bundes bestehe, der die BEG als richtige Antragsgegnerin ansehe.
91
Nachdem alle Beteiligten ihre bereits vor der Vergabekammer des Bundes geäußerten Rechtsauffassung bekräftigten, dass die richtige Antragsgegnerin nicht die BEG, sondern die D… AG sei und die BEG sich dieser Auffassung anschloss und erklärte einem etwaigen Parteiwechsel nicht zuzustimmen, entschied die Vergabekammer Südbayern das Verfahren mit der D… AG als Antragsgegnerin fortzusetzen und teilte dies den Beteiligten mit Schreiben vom 13.03.2023 mit.
92
Mit Beschluss vom 23.03.2023 lud die Vergabekammer Südbayern die BEG als Beigeladene zu 2) zum Verfahren bei.
93
Mit Schriftsatz vom 23.03.2023 nahm die Antragsgegnerin insbesondere zum Vortrag der Antragstellerin in deren Schriftsatz vom 15.02.2023 Stellung. Sie half dabei den Rügen der Antragstellerin zur Berücksichtigung der Chargen bei der Berechnung der Fahrzeugpreise, zur Bewertung der Muss-Option „33084.B.Kx.651“ (Zugbeeinflussungseinrichtung ETCS und PZB) und zur Bewertung des Soll-Kriteriums „33084.B.E.899“ (stufenlose Intervallschaltung) ab.
94
Die Antragsgegnerin befüllte unter Berücksichtigung der Teilabhilfe die Wertungsmatrix neu und kam zu dem Ergebnis, dass unter Anwendung der bekannt gemachten Zuschlagskriterien das Angebot der Beigeladenen zu 1) nach wie vor das wirtschaftlichste und somit zu bezuschlagen sei.
95
Die Antragsgegnerin übermittelte den Beteiligten mit diesem Schreiben einen fortgeschriebenen Vergabevermerk nebst Anlage und jeweils eine aktualisierte Auswertungsmatrix für das Angebot der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 1). Zudem übermittelte sie der Antragstellerin eine aktualisierte Mitteilung nach § 134 GWB über die Gründe der Nichtberücksichtigung.
96
Den übrigen Rügen half die Antragsgegnerin nicht ab. Insbesondere seien die Gesamtenergiekosten unter Anwendung der veröffentlichten Parameter fehlerfrei ermittelt worden Die in der Bewertungsmatrix abgedruckte Formel referenziere auf den 30-jährigen Nutzungszeitraum, über den der vorgegebene Strompreis (… Cent pro kWh) mit der vorgegebenen Indexierungsrate (… % p.a.) Berücksichtigung finde. Beide Informationen seien im Reiter „Energieverbrauch“ als Inputdaten in den Zeilen 6 bis 14 ausgewiesen. Ein explizites Startjahr sei in der Berechnungsformel im Reiter Energieverbrauch nicht hinterlegt. Der Aufwand beginne immer unmittelbar mit dem Jahr 1 und werde erst ab diesem Zeitpunkt indexiert. Diese Methodik finde sich ebenso bei den Instandhaltungs- und Reinigungsaufwänden wieder. Auch dort sei der Startpreis im jeweiligen Reiter als feste Größe zur Berechnung vorgegeben. Zudem seien die Leistungswerte zum Energiebedarf hierbei prioritär und würden durch die Bieter selbst angeboten. Die Bewertungsmatrix sei für alle Bieter gleich und sei derart auch in den vorangegangenen Bewertungsrunden durchgehend angewandt worden.
97
Die Nachforderung von Unterlagen von der Beigeladenen zu 1) durch die Antragsgegnerin sei zulässig gewesen. Sie habe im Ergebnis nur wenige Seiten eines Dokuments betroffen, dessen Nachforderung im Lichte des § 51 Abs. 2, Abs. 3 SektVO nicht zu beanstanden sei. Wie im Vergabevermerk dargestellt, habe die Antragsgegnerin bei der Beigeladenen die Anlagen „084_SI_360_C_Anlage – Übersicht Geräteanordnung und Einbauorte“, „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ und „084_SI_210_D_Ersatzteilmusterpaket“ nachgefordert. Die Beigeladene zu 1) habe die Unterlagen jeweils noch am Tag der Nachforderung übersandt. Bei erneuter Prüfung habe sich herausgestellt, dass bereits die mit dem finalen Angebot der Beigeladenen zu 1) vorgelegten Dateien „084_SI_360_C_Anlage – Übersicht Geräteanordnung und Einbauorte“ und „084_SI_210_D_Ersatzteilmusterpaket“ sich ohne Weiteres öffnen und lesen ließen. Vor diesem Hintergrund habe sich die Nachforderung dieser Dateien im Nachhinein als obsolet herausgestellt. Die Antragsgegnerin habe die entsprechenden nachgelieferten Dateien daher unberücksichtigt gelassen.
98
Lediglich bei der Datei „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ seien die Seiten 66 bis 72 nicht lesbar gewesen, so dass die Nachforderung im Ergebnis nur diese Seiten betreffe. Die Darstellung auf den Seiten 66 bis 72 betreffe ausschließlich Muss-Kriterien. Dabei handle es sich nicht um Bestätigungen der Erfüllung von Muss-Kriterien, sondern lediglich ergänzende Informationen zum Nachweis der technischen Umsetzung. Die Darstellungen beträfen weder Soll-Kriterien noch Muss-Optionen und wiesen somit keinerlei Wertungsrelevanz auf.
99
Die Nachforderung dieser Unterlagen sei zulässig. Nach § 51 Abs. 2 Satz 1 SektVO sei der Auftraggeber berechtigt, fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen nachzureichen oder zu vervollständigen. Die aus § 51 Abs. 3 Satz 1 SektVO resultierende Einschränkung des Nachforderungsrechts sei vorliegend nicht einschlägig. Nach dieser Vorschrift scheide eine Nachforderung von leistungsbezogenen Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betreffen, aus. Die betreffende Datei enthalte jedoch lediglich und ausschließlich Angaben zu Muss-Anforderungen – und nicht etwa die Bewertung des Angebots der Beigeladenen zu 1) anhand der Zuschlagskriterien.
100
Die Dokumentation für die Änderungen der Muss-Kriterien sei jeweils mit den Bieterinformationen, mit denen die Anpassungen bekannt gemacht wurden, erfolgt. Soweit die Antragstellerin eine unzureichende Dokumentation der Auskömmlichkeitsprüfung moniere, wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass die Aufgreifschwelle für eine Preisaufklärung nach § 54 SektVO sehr deutlich nicht erreicht sei.
101
Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 05.04.2023 beantragte die Beigeladene zu 1)
1. den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen;
2. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen zu 1) für notwendig zu erklären;
3. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Beigeladenen zu 1) aufzuerlegen.
102
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin sei weitestgehend bereits unzulässig und darüber hinaus insgesamt unbegründet.
103
Soweit die Antragstellerin behaupte, die von der Beigeladenen angebotenen Fahrzeuge würden bestimmte technische Muss-Anforderungen der Antragsgegnerin nicht einhalten, fehle es bereits an der für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags erforderlichen ordnungsgemäßen Rüge. Denn die Antragstellerin habe keinerlei Indizien oder Anknüpfungstatsachen zur Begründung dieser Behauptung vorgetragen. Das diesbezügliche Vorbringen der Antragstellerin sei deshalb bereits gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert. Im Übrigen liege der geltend gemachte Vergaberechtsverstoß auch nicht vor. Die Beigeladene zu 1) habe mit ihrem Angebot im Einzelnen bestätigt, bei der Entwicklung der ausgeschriebenen Fahrzeuge sämtliche Muss-Anforderungen einzuhalten. Auf dieses Leistungsversprechen dürfe sich die Antragsgegnerin verlassen. Anhaltspunkte dafür, dass das Leistungsversprechen der Beigeladenen nicht plausibel sein könnte, lägen nicht vor und seien von der Antragstellerin auch nicht substantiiert vorgetragen worden.
104
Ebenso verhalte es sich mit dem Vortrag der Antragstellerin, die Beigeladene zu 1) habe ihr Angebot nicht auskömmlich kalkuliert. Auch diese Behauptung sei weder durch Indizien noch durch Anknüpfungstatsachen unterlegt. Auch insoweit sei die Antragstellerin gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB mit ihrem Vorbringen präkludiert und der Nachprüfungsantrag bereits unzulässig. Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag insofern auch unbegründet, da die Beigeladene ihr Angebot auskömmlich kalkuliert habe.
105
Soweit sich die Antragstellerin gegen die Gestaltung und Durchführung des Vergabeverfahrens wende, sei der Nachprüfungsantrag nach § 160 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GWB unzulässig. Die angeblichen Vergaberechtsverstöße seien bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen und hätten von der Antragstellerin spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Abgabe des finalen Angebots am 25.11.2022 gegenüber der Antragsgegnerin gerügt werden müssen. Die erst nach Erhalt des Vorabinformationsschreibens im Januar 2023 erfolgten Rügen der Antragstellerin seien verspätet. Die diesbezügliche Argumentation der Antragstellerin, sie habe die vermeintliche Vergaberechtswidrigkeit der Verfahrensgestaltung und -durchführung erst erkennen können, als sie Kenntnis davon erlangt habe, dass die Beigeladene zu 1) den Zuschlag erhalten soll, sei ersichtlich in Ansehung der bereits eingetretenen Rügepräklusion konstruiert.
106
Schließlich verfange auch die von der Antragstellerin nach Akteneinsicht im Schriftsatz vom 15.02.2023 vorgetragene Beanstandung nicht, die Nachforderung eines Dokuments durch die Antragsgegnerin von der Beigeladenen zu 1) sei vergaberechtswidrig gewesen. Auch in diesem Zusammenhang gingen die von der Antragstellerin aufgestellten Behauptungen ins Leere. Anders als die Antragstellerin im Schriftsatz vom 15.02.2023 vermute, habe das nachgeforderte Dokument nicht dazu gedient, die Erfüllung von Muss-Anforderungen zu bestätigen oder nachzuweisen. Das Dokument habe vielmehr einen ausschließlich unterstützenden Charakter gehabt und sei kein notwendiger Bestandteil des letzten verbindlichen Angebots der Beigeladenen zu 1) gewesen. Für die Wirtschaftlichkeitsbewertung anhand der Zuschlagskriterien habe dieses Dokument keinerlei Relevanz gehabt. Dementsprechend sei die Nachforderung nach § 51 Abs. 3 SektVO ohne Weiteres zulässig gewesen.
107
Hinsichtlich der von der Antragstellerin nach Akteneinsicht im Schriftsatz vom 15.02.2023 vorgetragenen Beanstandungen der Angebotswertung schließe sich die Beigeladene zu 1) den Ausführungen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 23.03.2023 an. Da die Antragsgegnerin die Angebotswertung in Teilen wiederholt und damit einigen wenigen von der Antragstellerin nach Akteneinsicht erhobenen Beanstandungen abgeholfen habe, die Wertungsreihenfolge dadurch aber unverändert geblieben sei, sei der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin als unzulässig und unbegründet zurückzuweisen.
108
Mit Schreiben vom 06.04.2023 machte die Antragstellerin weitere Rügen zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens.
109
Die von der Beigeladenen zu 1) mit ihrem Angebot eingereichten Dokumente verstießen gegen die Muss-Kriterien „33084.01.47“ (Zwingende Vorgaben zur Dateibezeichnung), „33084.01.93“ (Zwingende Vorgaben zum Dateiformat) und „33084.01.44“ (Einreichung der CbC-Kommentierung eindeutig und vollständig) des Teillastenhefts „33084.TLH_01_Enleitung der Anlage 2.1_VU12“ sowie gegen Ziffer 7.2 der Bewerbungsbedingungen.
110
Bei den vorgenannten und nachfolgend im Einzelnen erläuterten Kriterien „33084.01.47“, „33084.01.93“ und „33084.01.44“ handle es sich um solche, die im Vergabeverfahren von der Antragsgegnerin als Muss-Kriterien definiert worden seien und die zwingend von den Bietern im Rahmen der Angebotsabgabe als vollständig erfüllt angegeben und nachgewiesen werden mussten, da andernfalls der Angebotsausschluss erfolge.
111
Die Beigeladene zu 1) verstoße gegen das Muss-Kriterium „33084.01.47“ (Zwingende Vorgaben zur Dateibezeichnung), indem sie für die nachgeforderten Dateien „084_SI_360_C_Anlage – Übersicht Geräteanordnung und Einbauorte“, „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ und „084_SI_210_D_Ersatzteilmusterpaket“ eine „frei wählbare Bezeichnung“ im Sinne des Muss Kriteriums „33084.01.47“ gewählt habe, die die vorgeschriebene Grenze von maximal 17 Zeichen überschreite.
112
Jedenfalls das für die Datei „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ gewählte Dateiformat PDF erfülle nicht das Muss-Kriterium „33084.01.93“ des Teillastenhefts „33084.TLH_01_Einleitung der Anlage 2.1_VU12“. Die o.g. Datei enthalte Teile der CbC-Kommentierung des Teillastenhefts „33084_TLH_E_Innenbereich und Subsysteme_VU13.“ Nach dem Muss-Kriterium „33084.01.93“ sei aber die CbC-Kommentierung im PDF-Format nicht zulässig, sondern zwingend im Format ReqIF oder Excel vorgeschrieben.
113
Nach dem Muss-Kriterium „33084.01.44“ des Teillastenhefts „33084.TLH_01_Einleitung der Anlage 2.1_VU12“ müsse die CbC-Kommentierungen u.a. „eindeutig“ und „vollständig“ sein. Andernfalls sei auch hier der Angebotsausschluss zwingend. Die Beigeladene zu 1) habe zumindest das Dokument „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ aber entgegen dieser Vorgabe unstreitig mit sieben nicht lesbaren Seiten (Seiten 66 bis 72) eingereicht, die CbC-Kommentierung könne bereits deshalb nicht „eindeutig“ und vor allem nicht „vollständig“ gewesen sein, da Seiten fehlten. Das Dokument könne nicht vollständig begutachtet und plausibilisiert werden. Eine Plausibilisierung habe die Antragsgegnerin aber gemäß 14.5.1.1 der Bewerbungsbedingungen und Ziffer „33084.01.10“ des Teillastenhefts „33084.TLH_01_Einleitung der Anlage 2.1_VU12“ zur Bedingung dafür erhoben, dass Muss-Kriterien von der Antragsgegnerin als vollständig erfüllt gewertet werden könnten.
114
Die von der Beigeladenen zu 1) mit ihrem Angebot eingereichten Dateien „084_SI_360_C_Anlage – Übersicht Geräteanordnung und Einbauorte“, „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ und „084_SI_210_D_Ersatzteilmusterpaket“ verstießen zudem gegen Ziffer 7.2 der Bewerbungsbedingungen, da sie die dortigen Vorgaben zur Dateibezeichnung nicht beachten. Die Bewerbungsbedingungen schrieben unter Ziffer 7.2 unter anderem vor, dass Dateinamen auf 25 Zeichen zu begrenzen seien. Zudem verstießen die von der Beigeladenen zu 1) mit ihrem Angebot eingereichten Dateien gegen die Bewerbungsbedingungen, da sie unzulässigerweise in PDF Dateien umgewandelt worden seien. Gemäß Ziffer 7.2 der Bewerbungsbedingungen dürften Dateiformate von Dokumenten, die vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt und von den Unternehmen zu bearbeiten sind, nicht geändert werden.
115
Auf die Vergaberechtmäßigkeit der Nachforderung komme es demnach gar nicht an, da das Angebot der Beigeladenen zu 1) schon nach den eigenen Vorgaben der Antragsgegnerin zwingend aus dem Wettbewerb auszuschließen sei, da es gegen die Vorgaben der Vergabeunterlagen verstoßen habe und diese zumindest unzulässigerweise abändere.
116
Zudem sei die Bewertungsmatrix auch nach der durch die Antragsgegnerin vorgenommenen Korrektur und wiederholten Angebotswertung weiterhin fehlerhaft, so dass die Angebotswertung fortwährend auf unzutreffenden Annahmen beruhe.
117
Die Antragsgegnerin habe auch in der korrigierten Bewertungsmatrix im Rahmen der Gesamtenergiekosten den definierten Start nicht in der Berechnung berücksichtigt. Soweit die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 23.03.2023 vorbringe, dass ein explizites Startjahr nicht vorgegeben sei, treffe dies nicht zu. Ausweislich der „Bewertungsmatrix AS SBM V12.0“ werde auf S. 4 im Rahmen der „Grundlegenden Eingangsdaten“ bei „o) allg. Hinweise“ das 1. Betriebsjahr mit dem Jahr 2031 genannt. Daher müsse zunächst bis dahin hochindexiert werden und erst ab diesem Zeitpunkt beginne die Ermittlung der Energiekosten.
118
Die Angebotswertung sei bereits im Rahmen der dem finalen Angebot vorausgehenden Wertungsrunden fehlerhaft erfolgt. Im Rahmen des 1. verbindlichen Angebots habe die Antragsgegnerin als Preisbasis für den Energieverbrauch noch den 01.01.2030 festgelegt und eine Eskalation des Energiepreises von 2020 bis 2030 nicht indexiert, sondern erst ab 2030 einberechnet. Im Rahmen des 2. verbindlichen Angebots (BAFO) habe die Antragsgegnerin die Preisbasis auf den 01.01.2020 geändert. Allerdings sei offensichtlich die von der Antragsgegnerin verwendete Excel-Tabelle nicht entsprechend angepasst worden. Eine Eskalation des Energiepreises von 2020 bis 2030 sei nicht berechnet worden.
119
Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 06.04.2023 führte die Beigeladene zu 2) aus, dass für sie keine Mitwirkungspflichten am streitgegenständlichen Vergabeverfahren bestünden. Sie habe keinen eigenen Bedarf an der Beschaffung der streitgegenständlichen Fahrzeuge. Denn sie erbringe Verkehrsleistungen nicht selbst, sondern beauftrage jeweils Eisenbahnverkehrsunternehmen mit der Erbringung dieser Leistungen, im vorliegenden Fall die Antragsgegnerin. Ein eigener Beschaffungsbedarf der Beigeladenen zu 2) folge weder daraus, dass sie im Rahmen der jeweiligen Beauftragung das Eisenbahnverkehrsunternehmen in der Regel dazu verpflichte, zur Erbringung dieser Leistungen Fahrzeuge zu beschaffen, noch daraus, dass sie im Rahmen des Verkehrsdurchführungsvertrags über die Leistungen der S-Bahn M… der Antragsgegnerin die zur Beschaffung der streitgegenständlichen Fahrzeuge erforderliche Finanzierung beistelle. Ein eigener Beschaffungsbedarf der Beigeladenen zu 2) folge auch nicht daraus, dass sie durch die Ausgestaltung der Vorgaben an die Fahrzeugbeschaffung sicherstelle, dass die Fahrzeuge im Falle eines Betreiberwechsels auch von einem anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen als der Antragsgegnerin und somit über ihre gesamte Lebensdauer im Netz der S-Bahn M… eingesetzt werden. Folglich sehe die Anlage 16 des Verkehrsdurchführungsvertrags auch keine Mitwirkung der Beigeladenen zu 2) im Rahmen der Fahrzeugbeschaffung vor. Vergaberechtliche Mitwirkungspflichten bestünden nur für solche Beteiligte, die als Auftraggeber zu qualifizieren seien. Dies sei hier bei der Beigeladenen zu 2) nicht der Fall. Im Übrigen sei das Vergabeverfahren durch die Antragsgegnerin rechtmäßig durchgeführt worden. Der Nachprüfungsantrag könne daher keinen Erfolg haben.
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Mit Schriftsatz vom 12.04.2023 nahm die Antragstellerin zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 23.03.2023 sowie zu der Antragserwiderung vom 06.02.2023 Stellung und beantragte ergänzend zu den bisherigen Anträgen:
1. der Antragstellerin die von der Antragsgegnerin angewendete Bewertungsmatrix im Dateiformat Excel zur Verfügung zu stellen,
2. die Schwärzung auf Seite 20 des Vergabevermerks zu reduzieren und der Antragstellerin so zur Verfügung zu stellen, dass unter „1. Korrekturzyklus vom 22.11.2021“ offengelegt wird, was den Bietern mit dem Korrekturzyklus übergeben worden sein soll.
121
Die Antragstellerin vertiefte ihren bisherigen Vortrag und führte aus, warum sie ihre Rügen ordnungsgemäß und nicht „ins Blaue hinein“ erhoben habe und sie mit ihrem Vortrag nicht nach § 160 Abs. 3 GWB präkludiert sei. Die Antragsgegnerin habe die Angebotswertung fehlerhaft durchgeführt. Dies folge jedenfalls aus der unzulässigen Nachforderung gegenüber der Beigeladenen zu 1). Richtigerweise hätte die Antragsgegnerin das Angebot der Beigeladenen zu 1) nicht in der Angebotswertung belassen dürfen, sondern müsste dieses zwingend vom Vergabeverfahren ausschließen. Die von der Antragsgegnerin bei der Beigeladenen zu 1) nachgeforderten Dateien hätten nicht nachgefordert werden dürfen, weil die nachgeforderten Dokumente schon nicht nachforderungsfähig seien. Die Nachforderung ermögliche der Beigeladenen zu 1) eine mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung der Bieter und der Transparenz des Vergabeverfahrens (§ 97 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GWB) nicht vereinbare inhaltliche Nachbesserung ihres Angebots. Die Nachforderung sei jedenfalls bezüglich der Datei „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ unzulässig, da diese Datei auch wertungsrelevante Angaben in Bezug auf Soll-Kriterien betreffe. Allerdings seien auch die Muss-Kriterien als wertungsrelevant einzuordnen. Die Antragsgegnerin habe die Muss-Kriterien durch die Vorgaben in den Vergabeunterlagen ihrerseits selbst zu wertungserheblichen Kriterien erhoben. Die Nachforderung sei daher auch mit Blick auf die von der Nachforderung betroffenen Muss-Kriterien gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 SektVO untersagt gewesen.
122
Weiterhin vertiefte die Antragstellerin ihren Vortrag zu den auch nach der Teilabhilfe der Antragsgegnerin fortbestehenden Wertungsfehlern in Bezug auf ihr Angebot und zu den ihrer Ansicht nach nicht erfüllten Mindestanforderungen im Angebot der Beigeladenen zu 1). Die Antragsgegnerin sei ihren Pflichten zur Prüfung und Plausibilisierung der Leistungsversprechen nicht in ausreichendem Maße nachgekommen.
123
Ebenso wiederholte die Antragstellerin ihren Vortrag zu der ihrer Ansicht nach vergaberechtswidrigen Anpassung der Muss-Anforderungen sowie zur Vergaberechtswidrigkeit der Mengenoption und der Qualitätsoptionen und rügte eine unzureichende Dokumentation des Vergabeverfahrens.
124
Mit Schreiben vom 14.04.2023 übermittelte die Vergabekammer der Antragstellerin nach Anhörung der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 1) die angewandte Bewertungsmatrix für ihr Angebot im Dateiformat .xlsx.
125
Mit Schreiben vom 19.04.2023 nahm die Antragstellerin zu den Schriftsätzen der Beigeladenen zu 1) vom 05.04.2023 und der Beigeladenen zu 2) vom 29.03.2023 und 05.04.2023 Stellung. Sie erweiterte und vertiefte ihre Ausführungen zu den Verstößen gegen die Bewerbungsbedingungen durch die Länge der Dateinamen im Angebot der Beigeladenen zu 1), zur Unzulässigkeit der Nachforderung der Datei „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ und zur Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags. Insbesondere seien ihre Rügen ausreichend substantiiert und rechtzeitig erhoben worden.
126
Zudem trug sie vor, dass das Vergabeverfahren insgesamt unter einem Mangel leide, da die Beigeladene zu 2) ihren Mitwirkungspflichten in Bezug auf die verfahrensleitenden Entscheidungen des Vergabeverfahrens nicht nachgekommen sei. Die Antragsgegnerin habe es versäumt, die Beigeladene zu 2) in der gebotenen Art und Weise am Vergabeverfahren zu beteiligen, obwohl sie ausweislich der „Anlage 16_V_03: Fahrzeugbeschaffung, -instandhaltung und Finanzierung“ einen gebündelten Beschaffungsbedarf sowohl für sich selbst als auch für die Beigeladene zu 2) ausgeschrieben habe. Gegenständlich bestehe die Sonderkonstellation, in der die Antragsgegnerin jedenfalls die öffentliche Auftraggeberin sei, welche den Zuschlag erteile und die Entscheidungen des Verfahrens treffe. Nach Offenlegung der Vereinbarung werde klar, dass aber auch die Beigeladene zu 2) einen eigenen Bedarf durch diese Ausschreibung decke und daher ein öffentlicher Auftrag von der Antragsgegnerin ohne erforderliche Beteiligung der Beigeladenen zu 2) vergeben werde.
127
Die in der Anlage „16_V_03: Fahrzeugbeschaffung, -instandhaltung und Finanzierung“ geregelten Vereinbarungen zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 2) zeigten, dass letztere hinsichtlich der Fahrzeugbeschaffung in der gegenständlichen Ausschreibung ein eigenes Interesse habe. Die Fahrzeuge könnten nur im Beisein und mit Zustimmung der Beigeladenen zu 2) oder eines von dieser benannten Dritten abgenommen werden, die Änderung, Aufhebung oder sonstige Beendigung des Werkliefervertrags bedürfe ihrer Zustimmung und ihr gegenüber bestünden dieselben Dokumentations- und Informationspflichten wie gegenüber der Antragsgegnerin. Demnach beschränke sich das Interesse der Beigeladenen zu 2) nicht lediglich auf die vertragliche Beziehung zur Antragsgegnerin, sondern beziehe auch die gegenständliche Fahrzeugbeschaffung ein. Dafür sprächen auch die Regelungen zur Übergabe der Neufahrzeuge an einen Folgebetreiber nach Auslaufen der gegenständlichen Vertragslaufzeit. Die Beigeladene zu 2) habe ein Vertragseintrittsrecht, wonach für den Fall dessen Ausübung die beschafften Fahrzeuge an sie oder an einen von ihr bestimmten Dritten zu übergeben seien. Die Auswahl dieser Fahrzeuge obliege allein der Beigeladenen zu 2) und die Fahrzeuge dürften ohne ihre Zustimmung nicht außerhalb der vertragsgegenständlichen Leistung eingesetzt werden. Die Beigeladene zu 2) sei zur unangekündigten Prüfung der Instandhaltungs- oder Instandsetzungsarbeiten berechtigt, im Falle von Vertragsverstößen dürfe sie zur Durchführung der betreffenden Instandhaltung- bzw. Instandsetzungsarbeiten auffordern und auch Dritte mit der Vornahme der Arbeiten beauftragen.
128
Mit Schreiben vom 20.04.2023 nahm die Antragsgegnerin zu den Schriftsätzen der Antragstellerin vom 06.04.2023 und 12.04.2023 Stellung.
129
Sie weist die Vorwürfe „unsauber und fehlerhaft“ gearbeitet und die Beigeladene zu 1) im Vergabeverfahren gezielt bevorteilt zu haben, zurück. Es sei rechtlich nicht zu beanstanden, sondern vielmehr zu begrüßen, dass die Antragsgegnerin bei einem derart komplexen Beschaffungsvorhaben die Bieter während des Vergabeverfahrens angehört und sowohl nach eigenen Erkenntnissen sowie auf Anregung der Bieter Änderungen vorgenommen habe, zumal diese Vorgehensweise in den Bewerbungsbedingungen allen Bietern transparent bekannt gegeben worden sei. Die Antragstellerin selbst habe eine Vielzahl von Eingaben gemacht, von denen die Antragsgegnerin nach entsprechender Prüfung und Bewertung etliche berücksichtigt bzw. umgesetzt habe.
130
Bei der Änderung der Vorgaben zur Anfahrbeschleunigung fordere die Antragstellerin im Ergebnis die Beibehaltung ihrer eigenen Bevorteilung aufgrund eines behaupteten Alleinstellungsmerkmals. Die Antragsgegnerin habe auf Rüge der Beigeladenen zu 1) die Anpassung des Antriebs als wesentliche Änderung i.S.v. § 16 Abs. 3 Nr. 2 SektVO angesehen und aufgrund der drohenden Verzögerung für die Abgabe des Erstangebots um Monate die Anforderung mit der Bieterinformation 385 am 24.11.2021 wieder fallen gelassen. Die zusätzliche Anforderung an die Anfahrbeschleunigung sei für die Einhaltung des Fahrplans nicht erforderlich.
131
Das Angebot der Beigeladenen zu 1) sei nicht wegen eines Verstoßes gegen Vorgaben zur Benennung der Dateien und zu den vorgeschriebenen Dateiformaten auszuschließen. Bei den Vorgaben zur Dateibezeichnung und zum Dateiformat handle es sich nicht um inhaltliche (Mindest-) Anforderungen an das Angebot. Es gehe dabei auch nicht um die Form des Angebots (schriftlich oder elektronisch). Allenfalls handle es sich um eine Ordnungs- oder Sortierhilfe. Anders als § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV enthalte § 51 Abs. 1 SektVO keine Vorschrift, die den Ausschluss nicht formgerecht eingegangener Angebote gebietet. Ein Ausschluss sei im Sektorenvergaberecht geboten, wenn anderenfalls ein Verstoß gegen die tragenden Grundsätze des § 97 Abs. 1 und 2 GWB vorläge. Entscheidend sei, ob ein Verstoß gegen formale Anforderungen dem Bieter einen Wettbewerbsvorteil verschaffen würde oder in der Vertragsdurchführung Unklarheiten über den Leistungsinhalt nach sich ziehen könnte. Bloße formale Ordnungsvorschriften seien demgegenüber nicht mit der Rechtsfolge des Ausschlusses sanktioniert. Dies wäre unverhältnismäßig – auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zähle zu den in § 97 Abs. 1 GWB genannten tragenden Prinzipien des Vergaberechts.
132
Die Nachforderung der Datei „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ von der Beigeladenen zu 1) sei zulässig gewesen. Die fehlenden Seiten seien – mangels Wertungsrelevanz – gar nicht in die Wertung eingeflossen. Bei der Datei handle es sich nicht um die CbC-Kommentierung des Teillastenhefts „33084_TLH_E_Innenbereich und Subsysteme_VU13“ und auch nicht um Bestätigungen zur Erfüllung von Muss-Kriterien. Es seien lediglich ergänzende Informationen zum Nachweis der technischen Umsetzung betroffen. § 51 Abs. 3 SektVO stehe der Nachforderung nicht entgegen, da die Angaben auf den nicht lesbaren Seiten nicht die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien beträfen. Die sieben Seiten enthielten keine Nachweise für Sollanforderungen, sondern ausschließlich ergänzende Informationen zum Nachweis der technischen Umsetzung. Nachweise oder Angaben, die für die Erfüllung von Kriterien der Leistungsbeschreibung (also nicht: der Bewertung) notwendig sind, dürften nachgefordert werden.
133
Ebenfalls mit Schreiben vom 20.04.2023 nahm die Beigeladene zu 2) zu den Schriftsätzen der Antragstellerin vom 06.04.2023 und 12.04.2023 Stellung.
134
Sie begründete zunächst ausführlich, warum aus Ihrer Sicht kein Verstoß gegen § 6 SektVO durch die Mitwirkung von Herrn Prof. Dr. K… auf Seiten der Beigeladenen zu 2) vorliege. Die Tätigkeit von Herrn Prof. Dr. K… stelle keine „Mitwirkung in einem Vergabeverfahren“ dar, da er an Entscheidungen, die die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Vergabeverfahren getroffen habe, nicht beteiligt gewesen sei. Vielmehr habe er zunächst – dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren zeitlich deutlich vorgelagert – für die Beigeladene zu 2) Anforderungen an ein neues S-Bahn-Fahrzeug gestaltet und konzeptioniert. Anschließend habe er die Beigeladene zu 2) dabei unterstützt, die Einhaltung der entsprechenden vertraglichen Verpflichtungen der Antragsgegnerin gegenüber der Beigeladenen zu 2) zu kontrollieren. Beide Tätigkeiten hätten keinerlei Einfluss auf Entscheidungen der Antragsgegnerin im Vergabeverfahren gehabt. Zudem läge bei ihm auch kein Interessenkonflikt im Sinne des § 6 Abs. 2 SektVO vor. Denn die Tätigkeit von Herrn Prof. Dr. K… für die S… AG habe bereits im Jahre 2006 geendet. Zwischen dem Ende seiner dortigen Tätigkeit und dem Beginn des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens liege mithin ein erheblicher Zeitraum.
135
Die Beigeladene zu 2) habe auch nicht gegen etwaige Mitwirkungspflichten im Vergabeverfahren verstoßen, weil sie keine solchen habe. Da die Beigeladene zu 2) keinen eigenen Beschaffungsbedarf hinsichtlich der streitgegenständlichen Eisenbahnfahrzeuge habe und daher auch nicht als „zusätzlicher wirtschaftlicher Auftraggeber“ zu qualifizieren sei, sei ihre Beteiligung an diesen Entscheidungen nicht erforderlich gewesen. Auch bei der Einschaltung einer zentralen Beschaffungsstelle i.S.d. § 120 Abs. 4 GWB, werde der öffentliche Auftraggeber, bei dem der eigentliche Beschaffungsbedarf liege, nicht neben der zentralen Beschaffungsstelle zum „zusätzlichen wirtschaftlichen Auftraggeber“. Auch seine Mitwirkung am Vergabeverfahren sei in einer solchen Konstellation nicht erforderlich.
136
Mit Schreiben vom 20.04.2023 übersandte die Antragsgegnerin auf Anforderung der Vergabekammer Südbayern die bei der Beigeladenen zu 1) am 29.11.2022 nachgeforderte und am selben Tag zur Verfügung gestellte Unterlage „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme.pdf“. Diese war für die Vergabekammer in der übersandten Vergabedokumentation nicht auffindbar gewesen.
137
Mit Schriftsatz vom 21.04.2023 nahm die Beigeladene zu 1) zu den Schriftsätzen der Antragstellerin vom 06.04.2023 und 12.04.2023 Stellung.
138
Die im Schriftsatz der Antragstellerin vom 06.04.2023 erstmalig geltend gemachten Beanstandungen zur Vollständigkeit des Angebots der Beigeladenen zu 1) sowie zur Einhaltung von Anforderungen an Dateiformat und Dateibezeichnung der durch die Antragsgegnerin von der Beigeladenen am 29.11.2022 nachgeforderten Dokumente gingen ins Leere. Entgegen den Mutmaßungen der Antragstellerin handle es sich bei dem Dokument „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ weder um die CbC-Kommentierung eines Teillastenhefts noch um einzureichende Nachweise.
139
Die CbC-Kommentierung der Teillastenhefte sei – wie von der Antragsgegnerin vorgesehen – über das Anforderungsmanagement-Tool „Doors“ erfolgt. Die von der Beigeladenen eingereichte CbC-Kommentierung sei in Dateien im .reqifz-Format enthalten. Da es sich bei dem Dokument „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ dementsprechend weder um die CbC-Kommentierung eines Teillastenhefts noch um einzureichende Nachweise handle, fänden auch die von der Antragstellerin im Schriftsatz vom 06.04.2023 angeführten Muss-Anforderungen „33084.01.44“ und „33084.01.93“ bereits keine Anwendung.
140
Auch die Längen der Dateibezeichnungen der von der Antragsgegnerin von der Beigeladenen zu 1) am 29.11.2022 nachgeforderten Dokumente führten nicht zu einem Verstoß gegen Muss-Anforderungen. Hinsichtlich der Zeichenanzahl der durch den Hersteller frei wählbaren Bezeichnung im Dateinamen enthalte die Anforderung „33084.01.47“ insoweit bereits keine zwingende Anforderung. Bei der Beschränkung der Zeichenanzahl für die frei wählbare Bezeichnung handle es sich lediglich um eine Bitte der Antragsgegnerin. Die Anforderung sei jedenfalls nicht zwingend. Das ergebe sich eindeutig aus dem Wortlaut.
141
Darüber hinaus scheide auch ein Verstoß gegen Ziffer 7.2 der Bewerbungsbedingungen aus. Die dort vorgesehene Beschränkung der Länge von Dateinamen auf maximal 25 Zeichen stehe im Widerspruch zu der Anforderung „33084.01.47“, die hinsichtlich der frei wählbaren Bezeichnung lediglich eine Bitte enthalte und deshalb einen längeren Dateinamen zulasse.
142
Die Nachforderung des Dokuments „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ habe für die Beigeladene auch keine Möglichkeit zur inhaltlichen Nachbesserung des eigenen Angebots geboten. Zum einen seien die Angaben auf den Seiten 66 bis 72 des Dokuments „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ bereits nicht wertungsrelevant. Zum anderen sei nachweisbar, dass die Angaben auf den zunächst fehlenden Seiten 66 bis 72 des Dokuments „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ von der Beigeladenen nach der erstmaligen Einreichung nicht verändert worden seien. Dies ergebe sich aus dem auf jeder Seite des Dokuments „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ am unteren Rand enthaltenen automatisch durch das SAP-Dokumentensystem generierten Dokumentenstempel. Dieser sei bei dem ursprünglich eingereichten Dokument und bei dem auf Anforderung der Antragsgegnerin von der Beigeladenen nachgereichten Dokument identisch. Bei einer nachträglichen Veränderung der dem Dokument zugrundeliegenden Informationen, Grafiken oder Texten hätte systemseitig eine erneute Freigabe erfolgen müssen. In diesem Fall wäre im Dokumentenstempel durch das SAP-System automatisch das Datum dieser neuen Freigabe vermerkt worden. Außerdem wäre automatisch eine neue Version angelegt worden.
143
Für die Antragsgegnerin habe kein Anlass bestanden, das Leistungsversprechen der Beigeladenen zu 1) im Hinblick auf die Einhaltung bestimmter Muss-Anforderungen anzuzweifeln und einer besonderen Überprüfung zu unterziehen. Da die ausschreibungsgegenständlichen Fahrzeuge im Rahmen der Auftragsausführung durch den Auftragnehmer erst noch im Detail entwickelt und hergestellt werden müssten, komme es im Hinblick auf die Einhaltung der vorgegebenen technischen Muss-Anforderungen maßgeblich auf das vertraglich bindende Leistungsversprechen der Bieter an. Die Beigeladene zu 1) habe mit ihrem Angebot ausdrücklich und im Einzelnen bestätigt, die noch zu entwickelnden Fahrzeuge entsprechend den vorgegebenen Muss-Anforderungen sowie den als erfüllt gekennzeichneten Soll-Anforderungen zu entwickeln und herzustellen und mit den eingereichten Nachweisdokumenten zudem den Nachweis erbracht, dass das angebotene Fahrzeugkonzept mit diesen Anforderungen übereinstimme. Auf dieses Leistungsversprechen der Beigeladenen zu 1) dürfe die Antragsgegnerin vertrauen. Insbesondere sei die Antragsgegnerin nach den geltenden vergaberechtlichen Vorgaben nicht gehalten gewesen, das Leistungsversprechen der Beigeladenen zu 1) anzuzweifeln und einer besonderen Überprüfung zu unterziehen.
144
Die Beigeladene zu 1) wies abschließend darauf hin, dass ihre Rüge vom 22.11.2021 nicht im Zusammenhang mit der Streichung der Muss-Anforderung „33084.HB.1354“ stehe.
145
Mit Schriftsätzen jeweils vom 03.05.2023 nahmen die Beteiligten nochmals Stellung und wiederholten ihren bisherigen Vortrag. Die Antragsgegnerin trug dabei vor, dass sie die Angaben zu den Kosten- und Preispositionen des Angebots der Beigeladenen zu 1) sowohl aus kaufmännischer als auch technischer Sicht überprüft habe. Anhaltspunkte für ein unauskömmliches Angebot hätten sich dabei nicht ergeben, auch nicht in Bezug auf einzelne Positionen.
146
Auf diesen Vortrag hin bat die Vergabekammer mit Schreiben ebenfalls vom 03.05.2023 um einen Hinweis, wo die Dokumentation für die behauptete Prüfung zu finden sei. Die Antragsgegnerin übersandte daraufhin mit Schreiben vom 05.05.2023 zwei bislang nicht in den Vergabeunterlagen enthaltene E-Mails an das Projektteam vom 09.01.2023 mit technischen Einschätzungen zur Umsetzbarkeit u.a. der Anforderungen zum Reinigungs- und Instandhaltungsaufwand sowie zum Energieverbrauch und mit Einschätzungen zu den Preisunterschieden bei den Angeboten zu den Software Services und zu einzelnen Ausstattungsoptionen.
147
Am 09.05.2023 fand in den Räumen der Regierung von Oberbayern die mündliche Verhandlung statt. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag.
148
Auf Nachfrage der Vergabekammer erklärte die Antragstellerin, von den auf die Akteneinsicht vor der Vergabekammer des Bundes erhobenen Beanstandungen gegen die konkrete Wertung ihres Angebots nach der Teilabhilfe der Antragsgegnerin vom 23.03.2023 und der Übersendung der Wertungsmatrix im Excel-Format durch die Vergabekammer Südbayern am 14.04.2023 nur das Vorbringen aufrecht zu erhalten, dass die Antragsgegnerin auch in der korrigierten Bewertungsmatrix im Rahmen der Gesamtenergiekosten den definierten Start nicht in der Berechnung berücksichtigt habe.
149
Die Beigeladene zu 2) stellte folgende Anträge:
1. Der Nachprüfungsantrag vom 23.01.2023 wird zurückgewiesen.
2. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Beigeladene zu 2) wird für notwendig erklärt.
150
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer, die Niederschrift der mündlichen Verhandlung sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
151
Die Vergabekammer Südbayern ist aufgrund der für sie analog § 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GWB bindenden Verweisung durch die Vergabekammer des Bundes für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig. Die Vergabekammer Südbayern hat in Übereinstimmung mit allen Verfahrensbeteiligten große Zweifel an der Richtigkeit des Verweisungsbeschlusses, dieser ist aber sorgfältig begründet und damit nicht willkürlich ergangen und somit für die Zuständigkeit bindend (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 16.07.2007 – 9 Verg 4/07).
152
Gegenstand der Vergabe ist im Schwerpunkt ein Lieferauftrag i. S. d. § 103 Abs. 2GWB. Die Antragsgegnerinist Sektorenauftraggeber gemäß §§ 98, 100 Abs. 1 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert um ein Vielfaches.
153
Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
154
1. Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise zulässig.
155
Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.
156
1.1 Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Teilnahme am Verhandlungsverfahren mit mehreren Verhandlungsrunden und die Abgabe von Angeboten nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerinhat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere durch die Verfahrensgestaltung mit der Wertung der Mengen- und Qualitätsoptionen und der Änderung von Muss-Kriterien zu Gunsten der Beigeladenen zu 1) sowie durch die Wertung des Zuschlagskriteriums Energieverbrauch, durch den Interessenkonflikt eines Beraters der Beigeladenen zu 2), durch den unterbliebenen Ausschluss des Angebots der Beigeladenen wegen der Nichterfüllung von Muss-Kriterien und einem ungewöhnlich niedrigen Angebot sowie aufgrund der ihrer Ansicht nach unzulässigen Nachforderung eines Dokuments und dadurch, dass die Beigeladene zu 2) ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung am Vergabeverfahren nicht vergaberechtskonform nachgekommen sei, geltend gemacht.
157
1.2 Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht allerdings teilweise Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und 3GWB entgegen, teilweise sind die erhobenen Rügen auch nicht ausreichend substantiiert.
158
§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB sehen vor, dass der Antragsteller mit einer Rüge präkludiert ist, soweit er Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aus der Bekanntmachung bzw. in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt hat. Der Auftraggeber soll dadurch die Gelegenheit bekommen, etwaige Verfahrensfehler zu beheben und so im Interesse aller Beteiligten unnötige Nachprüfungsverfahren zu vermeiden.
159
Der Vergaberechtsverstoß muss für den Bieter sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Sicht erkennbar sein. Erkennbar ist ein Vergaberechtsverstoß, der von einem durchschnittlich fachkundigen Bieter bei üblicher Sorgfalt und üblichen Kenntnissen erkannt werden kann (OLG Schleswig, Beschluss vom 12.11.2020 – 54 Verg 2/20; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.03.2017, VII-Verg 39/16).
160
Durchschnittlich fachkundige Bieter im hier angesprochenen Bieterkreis verfügen allerdings in der Regel über umfangreiche Erfahrungen mit Vergabeverfahren und haben auch eine eigene Rechtsabteilung mit vergaberechtlicher Expertise. Von solchen Unternehmen kann erwartet werden, dass sie an Vergabeverfahren über Projekte dieser Größenordnung mit der gebotenen Sorgfalt teilnehmen und Kenntnis über die wichtigsten vergaberechtlichen Regelungen haben. Zudem hat sich die Antragstellerin hier an einem Verhandlungsverfahren mit mehreren Verhandlungsrunden beteiligt und ein indikatives, ein erstes verbindliches und ein finales Angebot abgegeben. Dadurch war sie zum einen gezwungen, sich intensiv – sowohl technisch als auch kalkulatorisch – mit den Vorgaben der Antragsgegnerin auseinander zu setzen, andererseits hätte sie auch viele Gelegenheiten gehabt, von ihr als problematisch angesehene Regelungen zu thematisieren und zu rügen.
161
1.2.1 Vor diesem Hintergrund ist die Antragstellerin mit den Rügen der im Vergabeverfahren vorgesehenen Mengenoptionen, der Regelungen für die Wertung der im Vergabeverfahren vorgesehenen Qualitätsoptionen und der Regelungen für die Ermittlung des Energieverbrauchs nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert.
162
Dass die Antragsgegnerin die Beschaffung von maximal 90 Triebzügen im streitgegenständlichen Vergabeverfahren als Option vorgesehen hat, ergibt sich bereits aus der Auftragsbekanntmachung vom 07.10.2020. Dass der ausschreibungsgegenständliche Auftrag die Entwicklung, Herstellung, Inbetriebsetzung, Zulassung und Lieferung von insgesamt bis zu 180 Fahrzeugen, davon maximal 90 optional, umfasst, war spätestens aus den Bewerbungsbedingungen (Version 8.0) zu ersehen, die den Bietern mit der Aufforderung zur Abgabe eines finalen Angebots am 25.11.2022 über die e-Vergabeplattform zur Verfügung gestellt worden sind.
163
Dass die Antragsgegnerin einen erheblichen Teil der zu beschaffenden Fahrzeuge nur als Beschaffungsoption vorgesehen hatte und sich dieser prozentuale Anteil mit der Verringerung der fest zu beschaffenden Fahrzeuge von 110 auf 90 noch einmal vergrößert hatte, war für die Antragstellerin in tatsächlicher Hinsicht problemlos aus der Bekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen erkennbar. Ebenso war tatsächlich ohne Weiteres erkennbar, dass die Änderung der Fahrzeuganzahl nicht zum Gegenstand einer Änderungsbekanntmachung gemacht wurde.
164
Soweit die Antragstellerin in ihrer Rüge vom 18.01.2023 beanstandet hat, dass ihr aufgrund des hohen optionalen Anteils an der Beschaffung eine verbindliche Kalkulation nicht möglich gewesen sei, ist dies ein Umstand, der ihr spätestens bei der ersten Angebotserstellung und erneut bei der Erstellung der weiteren Angebote hätte auffallen müssen. Dass eine unzumutbare Kalkulation einen Vergabeverstoß darstellen kann, ist zumindest für den im vorliegenden Vergabeverfahren angesprochenen Bieterkreis auch in rechtlicher Sicht erkennbar.
165
Die Erkennbarkeit dieser Umstände war auch nicht von der Kenntnis ihrer Mitbieter abhängig. Eine spekulative Angebotsgestaltung der Beigeladenen zu 1) im Hinblick auf die Mengenoptionen hat die Antragstellerin vor Einreichung des Nachprüfungsantrags nicht gerügt.
166
Die Antragstellerin hätte die Mengenoptionen daher nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe für das finale Angebot am 25.11.2022 gegenüber der Antragsgegnerin rügen müssen.
167
1.2.2 Gleiches gilt, soweit die Antragstellerin gerügt hat, dass die Qualitätsoptionen intransparent seien, zu einem unwirtschaftlichen Beschaffungsergebnis führen können und mit einem erheblichen Diskriminierungspotenzial im Sinne einer Ungleichbehandlung einhergehen. Bereits aus der Bekanntmachung ergibt sich, dass die Soll-Optionen dort nicht aufgeführt waren. Aus der Bewertungsmatrix, die mit der Aufforderung zur Abgabe eines indikativen Angebotes am 21.12.2020 bereitgestellt wurde, lässt sich entnehmen, dass für den Fall, dass eine Soll-Option von einem Bieter nicht angeboten wird, für diese Option in der Bewertung das höchste Angebot eines Bieters zzgl. eines Zuschlags von 15% angenommen wird.
168
Dass gerade letztere Regelung in einem sehr kleinen Markt, in dem die relevanten Bieter durchaus Kenntnis von den Produkten ihrer Mitbewerber haben können, von Unternehmen bei Positionen, von denen sie glauben, dass nur sie diese erfüllen können, zur Spekulation ausgenutzt werden kann, liegt auf der Hand. Dass eine Regelung, die eine spekulative Angebotsgestaltung ermöglicht, einen Vergabeverstoß darstellen kann, ist zumindest für den im vorliegenden Vergabeverfahren angesprochenen Bieterkreis im Hinblick auf den Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatz auch in rechtlicher Sicht erkennbar. Die grundsätzlich bestehende Möglichkeit einer spekulativen Angebotsgestaltung war auch ohne die Kenntnis der Mitbieter erkennbar.
169
1.2.3 Ebenfalls nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert ist die beanstandete Intransparenz der Vorgaben zur Ermittlung des Energieverbrauchs, soweit die Antragstellerin geltend macht, die Vergabeunterlagen enthielten im Hinblick auf die Klimabedingungen für die Versuchsfahrten keine Vorgaben zur Außenfeuchte und Strahlungsleistung und seien somit intransparent.
170
Dass die Antragsgegnerin für die Bestimmung des Energieverbrauchs auf den Referenzfahrten lediglich Werte für die Außentemperatur vorgegeben hat, ist ohne Weiteres in tatsächlicher Hinsicht aus der Anlage 46.1.5a zum Fahrzeugbeschaffungsvertrag ersichtlich, die den Verfahrensteilnehmern als Teil der Vergabeunterlagen über die e-Vergabeplattform zur Verfügung gestellt worden ist.
171
Die Problematik war dementsprechend in tatsächlicher Hinsicht aus den Vergabeunterlagen erkennbar. Da es sich hierbei um eine technische Fachfrage handelt, die in besonderem Maße in die Fachkompetenz der Antragstellerin fällt, sind hier an die rechtliche Erkennbarkeit keine hohen Anforderungen zu stellen. Für ein Fachunternehmen war jedenfalls ohne Weiteres erkennbar, dass die fehlenden Vorgaben dazu führen können, dass die Ergebnisse der Testfahren verfälscht werden. Der Sachverhalt hätte daher von der Antragstellerin nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Abgabe des finalen Angebots am 25.11.2022 gegenüber der Antragsgegnerin gerügt werden müssen.
172
Hiervon zu trennen, und auch für ein sehr vergabeerfahrenes Unternehmen wie die Antragstellerin rechtlich nicht erkennbar, ist hingegen die im Laufe des Nachprüfungsverfahrens thematisierte Frage, ob die Wertung des Energieverbrauchs als Zuschlagskriterium nach § 127 Abs. 4 GWB zulässig war, weil die Antragsgegnerin sich vor Zuschlagserteilung bei der Wertung nur auf die Eigenerklärungen der Bieter stützen konnte und eine Verifikation erst nach Auftragserteilung im Rahmen der Testfahrten möglich war. Ob § 127 Abs. 4 GWB, der verlangt, dass für den Auftraggeber eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen, und die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 04.12.2003 – C-448/01, Wienstrom) die Wertung erst nach Vertragsschluss zu testender technischer Parameter eines noch zu entwerfenden und herzustellenden Produkts zulassen, ist in der vergaberechtlichen Literatur und Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt. Ungeklärte komplexe Rechtsfragen sind auch für ein sehr vergabeerfahrenes Unternehmen wie die Antragstellerin rechtlich nicht erkennbar i.S.d. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB.
173
Soweit die Antragstellerin die konkrete Wertung ihres Angebots im Hinblick auf das Zuschlagskriterium Energieverbrauch gerügt hat, kommt von vorneherein keine Rügepräklusion § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB in Frage, weil sich die konkrete Wertung der Angebote nicht aus den Vergabeunterlagen ergibt, sondern erst mit der Akteneinsicht erkennbar wurde.
174
1.2.4 Keine Präklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB kommt auch im Hinblick auf die von der Antragstellerin behauptete Änderung von Muss-Kriterien zugunsten der Beigeladenen zu 1) in Betracht. Es fehlt insoweit schon an der tatsächlichen Erkennbarkeit der von der Antragstellerin behaupteten Vergabeverstöße. Aufgrund des im Verfahren herrschenden und von der Antragsgegnerin – soweit ersichtlich – ordnungsgemäß gehandhabten Geheimwettbewerbs konnte die Antragstellerin nämlich vor Erhalt der Mitteilung nach § 134 GWB nicht sicher wissen, dass sie mit der Beigeladenen zu 1) um den Auftrag konkurrierte. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Antragstellerin angesichts der wenigen Schienenfahrzeughersteller, die überhaupt in der Lage sind, einen Auftrag wie den streitgegenständlichen auszuführen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit rechnen musste, dass die Beigeladene zu 1) am Verfahren teilnimmt. Dies ändert aber nichts daran, dass eine hypothetische Rüge der Antragstellerin vor Abgabe des finalen Angebots z.B. nach der Änderung der Vorgaben zur Anfahrbeschleunigung (Muss-Anforderung „33084.HB.1354“) oder zur Bremsanlage (Muss-Anforderung „33084.HC.1278“) eine reine Rüge auf Verdacht gewesen wäre. Diese wäre von der Antragsgegnerin möglicherweise mit dem Argument zurückgewiesen worden, dass die Antragstellerin gar nicht wissen könne, ob die Beigeladene zu 1) am Verfahren teilnimmt.
175
1.2.5 Die Rügen, dass das Angebot der Beigeladenen zu 1) wegen Nichterfüllung von technischen Muss-Kriterien zwingend auszuschließen sei, sind nur im Hinblick auf die Angaben zum Energieverbrauch, die nach Ansicht der Antragstellerin auf die Nichterfüllung von Anforderungen der Ausschreibung schließen lassen, ausreichend substantiiert.
176
An die Substantiierung von Rügen ist ein großzügiger Maßstab anzulegen (OLG Dresden, Beschluss vom 06.02.2002 – WVerg 4/02; OLG München, Beschluss vom 07.08.2007 – Verg 8/07; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.2011 – Verg 58/10). Da ein Bieter naturgemäß nur begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens hat, darf er im Vergabenachprüfungsverfahren behaupten, was er auf der Grundlage seines – oft nur beschränkten – Informationsstands redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf, etwa wenn es um Vergabeverstöße geht, die sich ausschließlich in der Sphäre der Vergabestelle abspielen oder das Angebot eines Mitbewerbers betreffen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.2011 – Verg 58/10; OLG Frankfurt, Beschluss vom 09.07.2010 – 11 Verg 5/10; OLG Dresden, Beschluss vom 06.06.2002 – WVerg 4/02). Der Antragsteller muss aber – wenn sich der Vergaberechtsverstoß nicht vollständig seiner Einsichtsmöglichkeit entzieht – zumindest Anknüpfungstatsachen oder Indizien vortragen, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen (OLG Düsseldorf vom 16.08.2019 – Verg 56/18; OLG München, Beschluss vom 11.06.2007 – Verg 6/07). Ein Mindestmaß an Substantiierung ist einzuhalten; reine Vermutungen zu eventuellen Vergabeverstößen reichen nicht aus (OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.05.2012 – Verg W 5/12; Beschluss vom 20.11.2012 – Verg W 10/12; OLG München, Beschluss vom 02.08.2007 – Verg 7/07).
177
Inwieweit eine Rüge zu substantiieren ist, hängt einerseits von den Erkenntnismöglichkeiten des Bieters ab und andererseits davon, ob die Rüge den öffentlichen Auftraggeber in die Lage versetzt, sein Handeln zu überprüfen und einen etwaigen Vergaberechtsverstoß zeitnah zu korrigieren. Je weniger Einblick der Bieter in die entsprechenden Vorgänge hat, desto eher darf er Vermutungen über mögliche Vergabeverstöße aufstellen, denen der Auftraggeber anhand seiner deutlich weiteren Erkenntnismöglichkeiten dann regelmäßig auch unschwer nachgehen kann.
178
Es wäre keinesfalls mit dem Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 der Rechtsmittelrichtlinie in der Fassung der RL 2007/66/EG zu vereinbaren, wenn Bieter durch überzogene Anforderungen an die Substantiierung von Rügen weitgehend an der Stellung von Nachprüfungsanträgen in Bezug auf mögliche Rechtsverstöße gehindert wären, die sich überwiegend oder ganz ihrer Erkenntnismöglichkeit entziehen, weil sie sich in der Sphäre des Auftraggebers oder konkurrierender Bieter abspielen. In der Rüge solcher Vergabeverstöße liegt regelmäßig kein auch Missbrauch des Nachprüfungsrechts.
179
Im vorliegenden Fall ist hinsichtlich der Substantiierung der Rügen zu beachten, dass die Antragstellerin keine Kenntnis vom Angebotsinhalt der Beigeladenen zu 1) haben konnte, weil dieses keinen bestehenden Triebzug umfasste, sondern ein neu zu entwickelndes Fahrzeug. In einer solchen Situation durfte die Antragstellerin Vermutungen über mögliche Vergabeverstöße aufstellen. Sie war lediglich gehalten, konkrete Anknüpfungstatsachen zu benennen, um dem Auftraggeber zu signalisieren, welche Angaben im Angebot er nach ihrer Auffassung nochmals überprüfen sollte. Hinsichtlich ihrer Behauptung, dass die Angaben der Beigeladenen zu 1) zum Energieverbrauch unplausibel seien, hat die Antragstellerin bereits in der Rüge vom 18.01.2023 beispielsweise vorgebracht, dass die Bauweise der Fahrzeuge weitgehend vorgegeben war, die Beigeladene zu 1) bei der Berechnung des Energieverbrauchs die „volle Sonnenlast“ nicht berücksichtigt habe, von hohen Schaltfrequenzen am Netzstromrichter ausgegangen sei oder die Akustikanforderungen verletzt habe. Solche Angaben sind geeignet, der Antragsgegnerin aufzuzeigen, zu welchen Themen sie das Angebot der Beigeladenen zu 1) nach Auffassung der Antragstellerin noch einmal prüfen und hinterfragen solle. Damit ist der Sinn und Zweck der Rügeobligenheit, nämlich dem Auftraggeber Gelegenheit zur Selbstkontrolle zu geben, im Hinblick auf die Angaben zum Energieverbrauch erfüllt.
180
1.2.6 Anders ist dies allerdings bei den weiteren Rügen der Antragstellerin hinsichtlich der von ihr vermuteten Nichteinhaltung von Mindestanforderungen der Ausschreibung durch das Angebot der Beigeladenen zu 1) zu bewerten. Ihre Rügen, dass die Beigeladene zu 1) ein Bremskonzept anbiete, das bestimmte Muss-Anforderungen verletze, dass die angebotenen Fahrzeuge den Nachweis der Brückenkompatibilität für das Netz der S-Bahn M… nicht erbringen könnten und dass keine gleichmäßige Türverteilung in den Wagenkästen vorgesehen sei und auch die Anzahl der Fahrgastraumtüren pro Fahrzeug nicht ausschreibungskonform sein könnte, hat die Antragstellerin im Wesentlichen nur mit ihren Kenntnissen von bereits auf dem Markt befindlichen Triebzügen der Beigeladenen zu 1) begründet. Dieses Vorbringen ist im vorliegenden Einzelfall nicht ausreichend, weil der Auftrag keinen bestehenden Triebzug umfasste, sondern ein neu zu entwickelndes Fahrzeug. Der Antragstellerin ist zuzugeben, dass die Entwicklung dieses Fahrzeugs sicherlich nicht von „Null an“ betrieben wurde und eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Beigeladene zu 1) technische Lösungen aus bestehenden Baureihen in das neu zu entwickelnde Fahrzeug übernehmen würde. Dennoch erschöpfen sich die Rügen der Antragstellerin letztlich in reinen Vermutungen auf der Basis ihrer Marktkenntnis zu bestehenden Fahrzeugen der Beigeladenen zu 1). Das bloße Berufen auf die eigene Marktkenntnis erfüllt nach der Rechtsprechung der Vergabesenate die Anforderungen an die Substantiierung einer Rüge aber nur dann, wenn gleichzeitig zumindest Anknüpfungstatsachen oder Indizien vortragen werden, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.03.2021 – VII-Verg 9/21; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.01.2020 – VII-Verg 20/19).
181
1.2.7 Noch ausreichend substantiiert ist dagegen nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern der Vorwurf der Antragstellerin, dass die Beigeladene zu 1) ihr Angebot nicht auskömmlich kalkuliert habe. Zwar erschöpft sich auch hier der Vortrag der Antragstellerin in bloßen Vermutungen, allerdings kann sie bzgl. der Preisgestaltung eines konkurrierenden Unternehmens auch nur die Informationen aufgreifen, die ihr die Antragsgegnerin im Rahmen der Mitteilung nach § 134 GWB hat zukommen lassen. Diese mussten aufgrund der zu schützenden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen zu 1) naturgemäß knapp und allgemein ausfallen. Abgesehen von den Informationen aus der Mitteilung nach § 134 GWB entzieht sich die Preisgestaltung der Beigeladenen zu 1) vollständig der Erkenntnismöglichkeit der Antragstellerin.
182
In ihrer Rüge vom 18.01.2023 hat die Antragstellerin zumindest einige Anknüpfungstatsachen für die Möglichkeit eines ungewöhnlich niedrigen Angebots vorgetragen. Sie hat auf die geringen Spielräume für erhebliche Energieeinsparungen hingewiesen. Weiterhin hat sie die sehr preisintensiven Vorgaben für Softwarepflege und SaaS vorgetragen, wo ihrer Ansicht nach ein erheblich niedrigerer Preis nicht auskömmlich darstellbar sei. Zudem seien die Kosten von Ersatzteilen sowie der Instandhaltungsaufwand unmittelbar abhängig von dem konkret angebotenen Fahrzeug und damit von den Fahrzeugkosten je Einzelfahrzeug, so dass es unplausibel sei, wenn die Antragstellerin die geringeren Fahrzeugkosten je Einzelfahrzeug angeboten habe, aber das Angebot der Beigeladenen zu 1) in den Kriterien Ersatzteile und Instandhaltung günstiger sei.
183
Angesichts der insoweit äußerst beschränkten Erkenntnismöglichkeiten der Antragstellerin muss dieser Vortrag für eine substantiierte Rüge ausreichen, der Antragsgegnerin wurde zumindest mitgeteilt, welche Einzelpreise nach Auffassung der Antragstellerin unplausibel sein könnten und warum. Würde man in dieser Konstellation höhere Anforderungen an die Substantiierung der Rüge stellen, wären bei Vergabeverfahren nach der VgV oder der SektVO, in denen – anders als nach der VOB/A EU – die Endpreise nicht mitgeteilt werden dürfen, Nachprüfungsverfahren zur Preisprüfung der Vergabestelle faktisch kaum mehr möglich. Eine solche Überprüfung muss aber nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 31.01.2017 – X ZB 10/16) und des EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 15.09.2022 – Rs. C-669/20) effektiv möglich sein.
184
1.2.8 Keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB kommt hinsichtlich der Beteiligung von Herrn Prof. Dr. K… in Betracht. Zu rügen sind nämlich nur erkennbare Vergabeverstöße des Auftraggebers. Herr Prof. Dr. K… hat allerdings lediglich auf Seiten der Beigeladenen zu 2) an den Vorgaben für das vorliegende Vergabeverfahren mitgewirkt. Die Beigeladene zu 2) hat im vorliegenden Verfahren nicht als Auftraggeberin fungiert. Die Antragsgegnerin hätte einer diesbezüglichen Rüge daher auch nicht abhelfen können, eine Rüge hätte ihren Sinn und Zweck überhaupt nicht erfüllen können.
185
1.2.9 Ebenfalls keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB kommt hinsichtlich der Frage in Betracht, ob die Beigeladene zu 2) sich ausreichend am Vergabeverfahren beteiligt hat und beispielsweise die Zuschlagsentscheidung selbst treffen hätte müssen. Hier fehlte es – bevor die Vergabekammer des Bundes die Frage der Auftraggebereigenschaft der Beigeladenen zu 2) im Vorfeld des Verweisungsbeschlusses vom 21.02.2023 thematisierte – bereits an der tatsächlichen Erkennbarkeit der Problematik. In der Bekanntmachung und sämtlichen Vergabeunterlagen war nur die Antragsgegnerin als Auftraggeber genannt und sie allein führte das Verhandlungsverfahren. Auch derart vergabeerfahrene Unternehmen wie die hiesigen Beteiligten mussten anhand der Vergabeunterlagen nicht auf den Gedanken kommen, dass die (spätere) Beigeladene zu 2) hier als zusätzliche, wirtschaftliche Auftraggeberin in Betracht kommen und hierdurch ggf. Mitwirkungspflichten verletzen könnte.
186
2. Der Nachprüfungsantrag ist,soweit er zulässig ist, unbegründet. Die Antragsgegnerin hat zunächst nicht durch die Verfahrensführung gegen vergaberechtliche Regelungen verstoßen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie das Verfahren einseitig und diskriminierend auf die Beigeladene zu 1) zugeschnitten hat und sie hat auch keine gem. § 142 i.V.m. § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB unzulässigen Zuschlagskriterien bei der Bewertung des Energieverbrauchs angewandt. Die Antragstellerin wurde auch nicht durch die Mitwirkung nach § 6 SektVO ausgeschlossener Personen oder durch eine unzureichende Mitwirkung der Beigeladenen zu 2) am Vergabeverfahren in ihren Rechten verletzt. Das Angebot der Beigeladenen zu 1) war nicht wegen Nichterfüllung von Muss-Anforderungen zwingend auszuschließend, ebenso wenig wegen Unvollständigkeit, die nicht durch die Nachforderung von Unterlagen hätte behoben werden können. Die Antragsgegnerin war auch nicht zu einer förmlichen Preisprüfung nach § 51 SektVO in Bezug auf das Angebot der Beigeladenen zu 1) verpflichtet. Das Angebot der Antragstellerin wurde in Bezug auf die Gesamtenergiekosten auch nicht abweichend von den Vorgaben der Vergabeunterlagen bewertet und die Antragstellerin ist durch die durchgeführte Bewertung nicht in ihren Zuschlagschancen beeinträchtigt.
187
2.1 Der Nachprüfungsantrag war nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern an die Antragsgegnerin als Auftraggeberin zu richten. Trotz der Ausführungen der Vergabekammer des Bundes im Verweisungsbeschluss vom 21.02.2023 war kein Parteiwechsel auf die Beigeladene zu 2) als neue Antragsgegnerin oder die Erstreckung des Nachprüfungsantrags auf diese als zweite Antragsgegnerin geboten.
188
Das Nachprüfungsverfahren war von der Vergabekammer Südbayern mit der Antragsgegnerin als Auftraggeberin fortzuführen. Der Verweisungsbeschluss der Vergabekammer des Bundes ist für die Vergabekammer Südbayern lediglich formell – d.h. hinsichtlich der Zuständigkeit – bindend. Eine materielle Bindungswirkung besitzt der Verweisungsbeschluss demgegenüber nicht. An die tragenden Gründe ist die Vergabekammer Südbayern nicht gebunden. Das folgt bereits aus der entsprechenden Anwendung von § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG. Anderenfalls bestünde gegen die sachliche Begründung einer Verweisung keine gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit, was mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar wäre (Ziekow, in Sodan/Ziekow, VwGO, § 17a GVG Rn. 21; Schenke/Ruthig, in Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 41 VwGO Rn. 21).
189
Eine Fortführung des Verfahrens mit der Beigeladenen zu 2) als neuer Antragsgegnerin am streitgegenständlichen Vergabenachprüfungsverfahren wäre vor diesem Hintergrund unzulässig, jedenfalls aber nicht sachdienlich.
190
Richtiger Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren ist derjenige Auftraggeber, dem der streitgegenständliche Auftrag zuzurechnen ist (Beck VergabeR/Horn/Hofmann GWB § 161 Rn. 13). Hierbei ist im Regelfall eine Orientierung an den zivilrechtlichen Vertragsbeziehungen geboten. Auch wenn das Vergaberecht für den öffentlichen Auftraggeber bei Beschaffungsvorgängen besondere Verpflichtungen und Regelungen statuiert, ist sowohl das vorvertragliche Schuldverhältnis als auch der Vertrag selbst, der durch den Zuschlag zustande kommt, dem Zivilrecht zuzuordnen (OLG München, Beschluss vom 31.05.2012 – Verg 4/12). Weitere Voraussetzung muss zur Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes allerdings sein, dass der Antragsgegner auch die Befugnisse hat, auf das Vergabeverfahren einzuwirken und etwaige Anordnungen der Vergabenachprüfungsinstanzen umzusetzen.
191
Bei der Entscheidung, wer richtiger Antragsgegner in einem Nachprüfungsverfahren ist, kann es schon allein aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht darauf ankommen, in wessen wirtschaftlichem oder sonstigen öffentlichem Interesse die Vergabe eines Auftrags liegt. Es kann aufgrund des systematischen Verhältnisses zwischen der groben Abgrenzungsregel in § 156 Abs. 1 GWB und der spezifischen Zuständigkeitsregelungen in § 159 GWB auch nicht maßgeblich sein, ob vorliegend die Fahrzeugbeschaffung durch die Antragsgegnerin letztlich (auch) durch die Vergütung für die Erbringung von Verkehrsleistungen finanziert wird, da es sich hierbei um ein gänzlich anderes Auftragsverhältnis handelt.
192
Der streitgegenständliche öffentliche Auftrag ist auch materiell der Antragsgegnerin als öffentlicher Sektorenauftraggeberin und nicht der Beigeladenen zu 2) zuzurechnen. Die teilweise Vertragsübernahme durch Leasing-Objektgesellschaften zur Umsetzung des vorgesehenen Finanzierungsmodells vermag daran nichts zu ändern. Der mit dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren ausgeschriebene Fahrzeugbeschaffungsvertrag wird durch die Antragsgegnerin als Auftraggeberin abgeschlossen.
193
Diese vertragliche Stellung behält die Antragsgegnerin trotz des vorgesehenen Leasingmodells zur Finanzierung der Fahrzeuge weitgehend bei. Denn bei der zur Realisierung dieses Finanzierungsmodells vorgesehenen Vertragsübernahme durch Leasing-Objektgesellschaften handelt es sich lediglich um eine teilweise Vertragsübernahme. Ausweislich der Regelung unter § 1 Abs. 6 der Vertragsübernahmevereinbarung (Anlage 55.2 zum Fahrzeugbeschaffungsvertrag) sind wesentliche Rechte und Pflichten der Antragsgegnerin als Auftraggeberin unter dem Fahrzeugbeschaffungsvertrag von der Vertragsübernahme von vornherein ausgenommen. Dies betrifft so zentrale Themen wie die Berechtigung zur Bestellung der Optionsfahrzeuge, den Abschluss eines gesonderten Vertrags über die Bereitstellung einer Fahrzeug-Management Software und den Abschluss der Zusatzverträge z.B. zur Ersatzteilversorgung oder zu Softwarepflege.
194
Soweit die Leasing-Objektgesellschaften zur Umsetzung des vorgesehenen Finanzierungsmodells im Wege der Vertragsübernahme in den ausschreibungsgegenständlichen Fahrzeugbeschaffungsvertrag eintreten, bleibt die Antragsgegnerin gemäß Ziffer A.2 der Präambel zum Fahrzeugbeschaffungsvertrag ausdrücklich für die operative Abwicklung der Fahrzeugbeschaffung verantwortlich. Die diesbezüglichen Einzelheiten sowie die der Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang im Verhältnis zum Fahrzeughersteller eingeräumten Rechte und Pflichten ergeben sich aus § 3 der Vertragsübernahmevereinbarung (Anlage 55.2 zum Fahrzeugbeschaffungsvertrag). Darüber hinaus treten die Leasing-Objektgesellschaften gemäß Ziffer A.2 der Präambel zum Fahrzeugbeschaffungsvertrag jeweils ihre Haftungs- und Gewährleistungsansprüche aus dem Fahrzeugbeschaffungsvertrag an die Antragsgegnerin ab. Nach alledem behält die Antragsgegnerin ungeachtet der zur Umsetzung des Finanzierungsmodells vorgesehenen teilweisen Vertragsübernahme bei materieller Gesamtbetrachtung die maßgeblichen Rechte und Pflichten des Auftraggebers unter dem ausgeschriebenen Fahrzeugbeschaffungsvertrag. Der Beschaffungsvorgang ist vor diesem Hintergrund materiell der Antragsgegnerin zuzurechnen und nicht dem Freistaat Bayern bzw. der Beigeladenen zu 2).
195
Die Stellung der Beigeladenen zu 2) im Verfahren entspricht – auch wenn die Antragsgegnerin aus dem Verkehrsvertrag für die S-Bahn M… zur Durchführung des Vergabeverfahrens verpflichtet ist – eher dem einer Zuwendungen erteilenden Behörde, die allgemeine Vorgaben für die zu beschaffende Leistung macht, als dem eines Auftraggebers i.S.d. §§ 98 und 100 GWB.
196
Eine Fortführung des Verfahrens mit der Beigeladenen zu 2) als neuer Antragsgegnerin am streitgegenständlichen Vergabenachprüfungsverfahren wäre jedenfalls auch nicht sachdienlich, weil etwaige Maßnahmen der Vergabekammer (bei einer hypothetischen Rechtsverletzung der Antragstellerin) nur gegenüber der Antragsgegnerin als Herrin des Verfahrens ergehen könnten, nicht aber gegenüber der Beigeladenen zu 2), die lediglich vertraglich begrenzte Informations- und Zustimmungsbefugnisse hat.
197
2.2 Da die Beigeladene zu 2) nicht als Antragsgegnerin anzusehen ist, bestanden auch keine Mitwirkungspflichten in Bezug auf die verfahrensleitenden Entscheidungen des Vergabeverfahrens. Die Beigeladene zu 2) hat zwar durchaus ein eigenes Interesse an der Beschaffung, da die Beschaffung neuer Triebzüge für die S-Bahn M… eine Nebenpflicht des von ihr vergebenen Verkehrsvertrags zum Betrieb der S-Bahn M… ist und sie aus verkehrspolitischen Gründen die Beschaffung neuer Eisenbahnfahrzeuge wünscht.
198
Die Beigeladene zu 2) hat auch erhebliche eigene Mitwirkungsrechte im Rahmen der Fahrzeugbeschaffung, so dass eine Fahrzeugbeschaffung ohne ihre Mitwirkung nicht möglich wäre. Dennoch hat sie nur die Leitlinien für das Vergabeverfahren vorgegeben und hatte nicht über die Bieterauswahl und den Zuschlag zu entscheiden. Sie musste sich daher nicht zwingend als weitere Auftraggeberin an den verfahrensleitenden Entscheidungen des Vergabeverfahrens beteiligen. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwieweit sich die Zuschlagschancen der Antragstellerin durch die Nichtbeteiligung der Beigeladenen zu 2) als weitere Auftraggeberin am Verfahren verschlechtert haben. Auch bei einer Beteiligung der Beigeladenen zu 2) als weitere Auftraggeberin hätte diese – nachdem sie ohnehin bereits die für sie wichtigen Rahmenbedingungen für die Beschaffung festgelegt hatte – die operative Fahrzeugbeschaffung mit Sicherheit der Antragsgegnerin überlassen, die in diesem Bereich über große Erfahrung und Expertise verfügt. In einem solchen Szenario hätten sich die Zuschlagschancen der Antragstellerin aber nicht dadurch verbessert, dass die Beigeladene zu 2) beispielsweise die Wertung mit einem Billigungsvermerk versehen hätte.
199
2.3 Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin das Verfahren einseitig und diskriminierend auf die Beigeladene zu 1) zugeschnitten hat.
200
Ein Verdacht auf eine derartige vergaberechtswidrige Verhaltensweise ergibt sich auch nicht aus der Änderung von Muss-Anforderungen im Laufe des Vergabeverfahrens.
201
Die Antragsgegnerin hat – ungeachtet dessen, dass die SektVO eine Regelung wie § 17 Abs. 10 VgV nicht enthält – nicht als unverhandelbar gekennzeichnete Mindestanforderungen zugunsten der Beigeladenen abgeändert. Die Vergabeunterlagen sehen in Ziff. 4.4 der Bewerbungsbedingungen ausdrücklich vor, dass der Auftraggeber die Vergabeunterlagen, insbesondere das Lastenheft, Vertragsbedingungen sowie Zuschlagskriterien und Musskriterien nebst Wertungsmatrix anzupassen bzw. und ändern kann.
202
Sämtliche Änderungen wurden – soweit ersichtlich – auch transparent bekannt gegeben.
203
Auch wenn der Vergabekammer keine ausdrückliche Dokumentation der von der Antragsgegnerin behaupteten sachlichen Gründe für die einzelnen von der Antragstellerin in der Rüge vom 21.03.2023 als diskriminierend angesehenen Änderungen vorliegt, kann hieraus nicht ohne weiteres auf eine unzulässige Begünstigung der Beigeladenen geschlossen werden.
204
Die Änderung von Muss-Anforderungen in einem Verhandlungsverfahren ist eine Form der Leistungsbestimmung durch den Auftraggeber im Detail. Eine vertiefte Dokumentation der Leistungsbestimmung ist insbesondere dann erforderlich, wenn sie wettbewerbsbeschränkend wirkt, d.h. wenn sie dazu führt, dass sich der Bieterkreis auf einen oder wenige Bieter beschränkt.
205
Die Änderung der Anforderungen zur Streckenklasse und zum Gewichtsmonitoring sowie die Änderung der Muss-Anforderung „33084.HC.1278“ zur Steuerung der Bremskraft sowie die am 18.11.2021 eingeführte Muss-Anforderung „33084.HB.1354“ zur Anfahrbeschleunigung, die im Zusammenhang mit einer Rüge der Beigeladenen zu 1) am 24.11.2021 ersatzlos gestrichen wurde, führten aber nicht dazu, dass die Antragstellerin nicht mehr aussichtsreich am Vergabeverfahren hätte teilnehmen können. Diese Änderungen führten vielmehr lediglich dazu, dass bestehende Wettbewerbsvorteile der Antragstellerin durch bestimmte, von ihr entwickelte technische Lösungen sich nicht so zu ihren Gunsten auswirkten, wie die Antragstellerin sich dies gewünscht hätte. Hierin liegt aber keine vergaberechtswidrige Diskriminierung der Antragstellerin durch die Antragsgegnerin. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren durchaus sachliche Gründe für die gerügten Änderungen vorbringen können. So hat sie beispielsweise darauf hingewiesen, dass Hintergrund der Anforderung eines streckenselektiven Gewichtsmonitorings die Einführung der zweiten Streckenklasse nach DIN EN 15528:2021 war, welche in der deutschen Fassung im Februar 2022 veröffentlicht wurde und die bis dahin gültige DIN EN 15528:2016 ersetzte. Eine wesentliche Änderung der neuen DIN war, dass für Reisezugwagen und Triebzüge eine zusätzliche Kategorisierung für unterschiedliche Werte von stehenden Fahrgästen je m² in der Lastfall-Auslegungsmasse bei außergewöhnlicher Zuladung (MXD) nach EN 15663:2017+A1:2018 eingeführt wurde. In der Fassung der DIN EN 15528:2016, welche zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Ausschreibung galt, war diese zusätzliche Streckenklasse noch nicht möglich.
206
Zur Rücknahme der Muss-Anforderung „33084.HB.1354“ zur Anfahrbeschleunigung hat die Antragsgegnerin vorgebracht, dass diese Anforderung eine wesentliche Änderung bedeutet hätte, die eine erhebliche Verlängerung der Frist zur Abgabe der Erstangebote erfordert hätte. Da die Anforderung zur Einhaltung der in „ID 33084.AA.4492“ geforderten Musterfahrpläne auch nicht zwingend erforderlich war, musste sie die Antragsgegnerin auch nicht in einer späteren Phase des Verfahrens wieder in die Vergabeunterlagen aufnehmen.
207
Eine Berücksichtigung der im Nachprüfungsverfahren nachgeschobenen Dokumentationserwägungen war im vorliegenden Fall auch möglich, da nicht zu besorgen war, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten (vgl. OLG München, Beschluss vom 09.03.2018 – Verg 10/17).
208
Ähnlich verhält es sich bei den Änderungen bzgl. der Induktionsschleife für Hörgeschädigte „33084.J.5908“, den Video-Innenkameras „33084.J.4546“ mit Schnittstelle und Servicefassade, den Schnittstellen zum Videoüberwachungssystem „33084.J.4407“ und „33084.J.4408“ und den Anforderungen an das OnBoard Multimedia and Telematics System (OMTS). Hier führten die Änderungsentscheidungen der Antragsgegnerin dazu, dass auf dem Markt vorhandene Wettbewerbsvorteile der Beigeladenen zu 1) stärker zum Tragen kamen, als die Antragstellerin sich dies vielleicht gewünscht hätte, auch wenn sie nach wie vor in der Lage war, ein aussichtsreiches Angebot abzugeben. Auch dieses Vorgehen der Antragsgegnerin, das mit den Bietern teilweise auch in den Verhandlungsgesprächen vorbesprochen war, begründet keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine unzulässige Diskriminierung der Antragstellerin. Soweit die Antragstellerin beanstandet, dass die Änderungen zu kurzfristig vor der Abgabe des finalen Angebots erfolgt seien, hätte sie dies gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB vor dem Zeitpunkt der Abgabe des finalen Angebots rügen müssen.
209
Zudem hat die Antragsgegnerin auch hier im Nachprüfungsverfahren durchaus sachliche Gründe für die gerügten Änderungen vorbringen können.
210
So gab die Antragsgegnerin an, dass sie nach den Bietergesprächen davon habe ausgehen dürfen, dass die Antragstellerin eine Änderung des OMTS-Plattform-Beschaffungsmodells, bei dem sowohl die OMTS-Plattform Hardware als auch die OMTS-Plattform Software vom Auftragnehmern zu liefern war, positiv aufnehmen würde, da diese um eine Vereinfachung der durch den Auftraggeber zu leistenden Beistellungen mit dem Ziel einer Komplexitäts- und Aufwandsreduktion gebeten hatte.
211
Die Änderung der Muss-Anforderung zur Induktionsschleife für Hörgeschädigte soll diesen ein freieres Bewegen im Fahrzeug ermöglichen, da diesem Personenkreis bei einer Fahrzeuglänge von 202m dann nicht mehr nur ein, sondern mehrere Bereiche mit Hörunterstützung zur Verfügung stehen.
212
Der Auftraggeber hat im vorliegenden Verhandlungsverfahren mit dem Hauptgegenstand der Beschaffung neu zu entwickelnder Triebzüge versucht, in hohem Maße das erhebliche Knowhow der beteiligten Unternehmen zu nutzen, um die Angebote technisch und wirtschaftlich zu optimieren. Dies ist im Ansatz nicht zu beanstanden, sondern bei einer derartigen Beschaffung ein sinnvolles und zielführendes Vorgehen. Sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene zu 1) haben von der in Ziff. 14.5.1.2 vorgesehen Möglichkeit, vor Angebotsabgabe Anregungen zu den Musskriterien zu machen, die sie nicht oder nicht wirtschaftlich erfüllen könnten, Gebrauch gemacht und die Antragsgegnerin ist diesen Anregungen in vielen Fällen gefolgt. Dass hierbei teilweise Lösungen der Antragstellerin und teilweise Lösungen der Beigeladenen bevorzugt wurden, ist im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden, da – soweit ersichtlich – jede Änderung transparent kommuniziert und in die fortgeschriebenen Vergabeunterlagen aufgenommen wurde. Auch wenn die Begründung der einzelnen Änderungen regelmäßig nicht dokumentiert wurde, ergibt sich aus dem Fehlen dieser Dokumentation angesichts der Gesamtumstände des Verfahrens noch keine unzulässige Begünstigung der Beigeladenen zu 1) oder eine Diskriminierung der Antragstellerin.
213
2.4 Die Antragstellerin wird auch nicht dadurch in ihren Rechten verletzt, dass die Antragsgegnerin die Wertung des Energieverbrauchs als Zuschlagskriterium nur auf die Eigenerklärungen der Bieter stützen konnte und eine Verifikation erst nach Auftragserteilung im Rahmen der Testfahrten möglich ist.
214
Allerdings verlangt § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB, dass die Zuschlagskriterien so festgelegt werden, dass der Auftraggeber eine wirksame Überprüfung vornehmen kann, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB fordert nur die Möglichkeit einer Überprüfung, da nach Art. 82 Abs. 4 Satz 3 RL 2014/25/EU die öffentlichen Auftraggeber nur „im Zweifelsfall“ eine wirksame Überprüfung der Richtigkeit der von den Bietern beigebrachten Informationen und Nachweise vornehmen. Nach der nationalen Rechtsprechung ist der Auftraggeber zu einer näheren Prüfung des wertungsrelevanten Leistungsversprechens eines Bieters erst dann verpflichtet, wenn konkrete Tatsachen vorliegen, die den Rückschluss auf die beabsichtigte Nichteinhaltung der mit Angebotsabgabe eingegangener Verpflichtungen zulassen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.01.2020 – Verg 20/19; BayObLG, Beschluss vom 03.06.2022 – Verg 7/22).
215
Die Möglichkeit der Überprüfung „im Zweifelsfall“ muss aber grundsätzlich bestehen und sie muss nach dem Sinn und Zweck der Norm vor Zuschlagserteilung erfolgen können (Wiedemann in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß § 127 GWB Rn. 74; EuGH, Urteil vom 04.12.2003 – C-448/01, Wienstrom).
216
Im vorliegenden Fall konnte die Antragsgegnerin jedoch vor Zuschlagserteilung allenfalls die Eigenerklärungen der Bieter auf Plausibilität überprüfen und ansonsten darauf vertrauen, dass die spezielle Gewährleistung nach § 46 Ziff. 1 lit. e) des Fahrzeugbeschaffungsvertrags (FBV) i.V.m. Anlage 46.1.5 und die dort in Ziffer 4.2 vorgesehene erhebliche Pönalisierung für den Fall, dass der verifizierte Energieverbrauch über dem vertraglich vereinbarten Energieverbrauch liegt, die Bieter dazu anhalten würde, realistische Angaben zu machen.
217
Allerdings ist es bei Aufträgen wie dem vorliegenden über erst noch zu entwickelnde Liefergegenstände, ebenso wie bei vielen Dienstleistungsaufträgen in vielen Fällen nicht möglich, jenseits des Leistungsversprechen als solchem bereits im Vergabeverfahren zu überprüfen, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Dieselbe Problematik stellt sich im Übrigen bei jeglicher Bewertung von Konzepten, bei denen ebenfalls nur ein Leistungsversprechen überprüft wird. Dennoch wird die Bewertung von Konzepten allgemein für zulässig gehalten. Prüfbar muss in diesen Fällen allerdings auf jeden Fall die „Erfüllbarkeit“ des Leistungsversprechens sein (Beck VergabeR/Opitz GWB § 127 Rn. 125).
218
Ist – wie hier bei Energieverbrauchsdaten eines noch zu entwickelnden Triebzugs – oder bei einer Konzeptbewertung eine Überprüfung mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit während des Vergabeverfahrens nicht möglich, ist zumindest zu verlangen, dass das für die Zuschlagsbewertung maßgebliche Leistungsversprechen in eine einklagbare Leistungsverpflichtung oder in eine solche Leistungsverpflichtung mündet, bei deren Verletzung eine vertragliche Sanktion zur Verfügung steht (Wiedemann in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß § 127 GWB Rn. 74, i.E. ähnlich auch Beck VergabeR/Opitz GWB § 127 Rn. 125). Eine solche Sanktion sieht vorliegend die Ziffer 4.2 der Anlage 46.1.5 vor und diese ist auch ausreichend schwerwiegend, um den Bietern einen Anreiz zu geben, realistische Angaben zum Energieverbrauch zu machen, die in die Wertung eingehen.
219
Ein Verstoß der Antragsgegnerin gegen § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB liegt damit nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern nicht vor.
220
Die Rüge der Antragstellerin, die Beigeladene zu 1) würde die Anforderungen der Ausschreibung an den Energieverbrauch nicht erfüllen, geht damit allerdings in Leere. Die Beigeladene zu 1) hat mit ihrem Angebot alle Mindestanforderungen des technischen Lastenheftes mit „vollständig erfüllt“ kommentiert und die von der Antragsgegnerin geforderten Angaben zum Energieverbrauch gemacht. Diese werden Vertragsgegenstand und auch Gegenstand der speziellen Gewährleistung nach Anlage 46.1.5. und der Pönalisierung nach Ziffer 4.2 der Anlage. Das Angebot der Beigeladenen zu 1) hat insoweit keinen von den Vorgaben der Ausschreibung abweichenden Inhalt.
221
Eine Verifizierung der Angaben mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit ist der Antragsgegnerin zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Diese wird erst mit den Verifikationsfahrten nach Anlage 46.1.5 möglich.
222
Die Antragsgegnerin hat die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 1) auf Plausibilität geprüft, wie sich aus dem Dokument Technische Bewertung Fahrzeuge zur Verkehrsausschreibung „Neue S-Bahn M…“ aus der Anlage 15 Prüfergebnis BAFO und der am 05.05.2023 von der Antragsgegnerin nachgereichten E-Mail vom 09.01.2023 ergibt. Eine weitergehende Überprüfung des Leistungsversprechens der Beigeladenen zu 1) im Hinblick auf den Energieverbrauch ist nicht dokumentiert und war auch nicht geboten.
223
Auch wenn die Antragstellerin eine ausreichend substantiierte Rüge zum Leistungsversprechen der Beigeladenen zu 1) hinsichtlich des Energieverbrauchs vorgebracht hat, durfte sich die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall auf dieses Leistungsversprechen ohne weitere Prüfung verlassen.
224
Der öffentliche Auftraggeber ist in der Wahl seiner Überprüfungsmittel grundsätzlich frei (OLG München, Beschluss vom 11.05.2007 – Verg 4/07; OLG Frankfurt a.M. Beschluss vom 16.06.2015, 11 Verg 3/15). Er ist im Interesse einer zügigen Umsetzung der Beschaffungsabsicht und einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens und aus Gründen seiner begrenzten Ressourcen und administrativen Möglichkeiten nicht auf eine bestimmte Methode oder bestimmte Mittel der fachlichen Prüfung festgelegt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.01.2020 – Verg 20/19).
225
Im streitgegenständlichen Verhandlungsverfahren baut das finale Angebot auf früheren Angebotsstadien auf. Dass die Antragsgegnerin die Angaben der Bieter in diesen früheren Verfahrensständen – soweit sie es für erforderlich hielt – kaufmännisch, fachlich und technisch überprüft haben muss, ergibt sich mittelbar aus den Protokollen der Bietergespräche, Verhandlungsrunden und den Agenden für die Bietergespräche. So stehen z.B. Rückfragen zu den Angaben der Antragstellerin zum Energieverbrauch auf der Agenda des Verhandlungsgesprächs vom 04.10.2022. Im Organigramm des Teams der Fachexperten der Antragsgegnerin ist u.a. auch ein Fachexperte für Energie und Antrieb benannt.
226
Im Unterschied zu einem offenen oder nichtoffenen Verfahren war im hiesigen Verhandlungsverfahren die Antragsgegnerin mit dem finalen Angebot nicht erstmalig mit prüfungsbedürftigen fachlichen Details der Angebote konfrontiert, sondern hatte diese bereits in vorangegangenen Angebotsrunden aufklären und mit den Bietern erörtern können. Anlass zur vertieften Prüfung hätten daher allenfalls überraschende und erklärungsbedürftige Abweichungen des BAFO von vorangegangenen Stadien des Verfahrens gegeben. Solche hat die Antragsgegnerin beim Energieverbrauch nicht festgestellt. Die Angebotsunterlagen der Beigeladenen zu 1) gaben nach dem Vortrag der Antragsgegnerin keinen Anlass für die Annahme, dass die Beigeladene zu 1) den Energieverbrauch nicht mit der korrekten Masse ermittelt hat und dass die angegebenen Massen für den Energieverbrauch nicht mit denen aus den fahrdynamischen Datenblättern übereinstimmen. Die Beigeladene zu 1) hat in den fahrdynamischen Datenblättern die erforderlichen Angaben, u.a. auch hinsichtlich der Masse für den Energieverbrauch, eingetragen. Diese Angaben wurden von der Antragsgegnerin auf Plausibilität und Schlüssigkeit geprüft.
227
Aufgrund der nur ansatzweise dokumentierten, aber offenbar erfolgten Plausibilitätsprüfung der Angaben der Bieter zum Energieverbrauch und der speziellen Gewährleistung nach § 46 Ziff. 1 lit. e) des FBV i.V.m. Anlage 46.1.5 mit der vorgesehenen erheblichen Pönalisierung für die Nichteinhaltung der Angaben zum Energieverbrauch durfte sich die Antragsgegnerin insoweit trotz der Rügen der Antragstellerin auf die Angaben der Beigeladenen zu 1) verlassen.
228
2.5 Die Antragstellerin ist nicht durch die Mitwirkung von Herrn Prof. Dr. K… auf Seiten der Beigeladenen zu 2) an den Vorgaben für das Vergabeverfahren in ihren Rechten verletzt.
229
Nach § 6 Abs. 1 SektVO dürfen Organmitglieder oder Mitarbeiter des öffentlichen Auftraggebers oder eines im Namen des öffentlichen Auftraggebers handelnden Beschaffungsdienstleisters, bei denen ein Interessenkonflikt besteht, in einem Vergabeverfahren nicht mitwirken.
230
Nach § 6 Abs. 3 SektVO wird ein solcher Interessenkonflikt u.a. dann vermutet, wenn eine Person, die auf Seiten des Auftraggebers am Vergabeverfahren mitwirkt, bei einem Bewerber oder Bieter gegen Entgelt beschäftigt ist oder für ein in das Vergabeverfahren eingeschaltetes Unternehmen tätig ist, wenn dieses Unternehmen zugleich geschäftliche Beziehungen zum öffentlichen Auftraggeber und zum Bewerber oder Bieter hat.
231
Diese Voraussetzungen sind durch die Mitwirkung von Herrn Prof. Dr. K… auf Seiten der Beigeladenen zu 2) an der Erstellung der Vorgaben für das Vergabeverfahren nicht erfüllt. Die Tätigkeit von Herrn Prof. Dr. K… bei der S… AG – nicht der Beigeladenen zu 1) – endete im Jahre 2006 und somit vor mehr als 15 Jahren.
232
Herr Prof. Dr. K… war bereits nicht für die Antragsgegnerin, sondern für die Beigeladene zu 2) tätig. Diese hat das streitgegenständliche Vergabeverfahren zwar als Nebenbestimmung zum Verkehrsvertrag für den Betrieb der S-Bahn M… erforderlich gemacht und der Antragsgegnerin auch erhebliche Vorgaben für die zu beschaffenden Triebzüge gemacht, an denen Herr Prof. Dr. K… fachlich mitgewirkt hat. Sie ist im vorliegenden Verfahren aber nicht Auftraggeberin und auch nicht mit einem Beschaffungsdienstleister i.S.d. § 6 Abs. 3 Nr. 3 b) SektVO vergleichbar, da sie nicht wie ein solcher am Vergabeverfahren mitgewirkt hat. Ein Beschaffungsdienstleister ist nach Art. 2 Nr. 13 der RL 2014/25/EU eine öffentliche oder privatrechtliche Stelle, die auf dem Markt Nebenbeschaffungstätigkeiten anbietet. Die Stellung der Beigeladenen zu 2) ist im vorliegenden Verfahren eher vergleichbar mit einer Zuwendungen erteilenden Behörde, die allgemeine Vorgaben für die zu beschaffende Leistung macht.
233
Zudem erfüllt Herr Prof. Dr. K… auch die Voraussetzungen für einen der Vermutungstatbestände des § 6 Abs. 3 SektVO nicht, da seine Beschäftigung im S…-Konzern vor viele Jahren endete.
234
Die Antragstellerin hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgebracht, dass Herr Prof. Dr. K… auch nach so langer Zeit noch immer ein persönliches Interesse an einer Auftragsvergabe an die Beigeladene zu 1) bzw. derartige Bindungen zum S…-Konzern hat, dass seine unabhängige Beteiligung am Vergabeverfahren nicht gewährleistet wäre und er über den Wortlaut des § 6 Abs. 1 SektVO hinaus nicht einmal an der Vorbereitung des Verfahrens auf Seiten der Beigeladenen zu 2) hätte mitwirken dürfen, wo er die Vergabeentscheidung allenfalls sehr mittelbar über die Vorgaben für das hiesige Vergabeverfahren beeinflussen konnte.
235
2.6 Die Antragsgegnerin war nicht zu einer Preisprüfung nach § 54 SektVO verpflichtet. Ein Ausschluss des Angebots der Beigeladenen zu 1) wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebots kommt nicht in Betracht.
236
Die Antragsgegnerin war nicht zu einer förmlichen Preisprüfung unter Anhörung der Beigeladenen zu 1) verpflichtet. Die Antragsgegnerin musste deren Angebot bereits nicht als ungewöhnlich niedrig einstufen und einer vertieften Überprüfung unterziehen.
237
Die von der Rechtsprechung anerkannte Aufgreifschwelle von 20% (vgl. BGH, Beschluss vom 31.01.2017 – X ZB 10/16; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2012 – Verg 61/11; OLG München Beschluss vom 25.11.2014 – Verg 10/14) zwischen dem Gesamtwertungspreis des Angebots der Beigeladenen zu 1) und der zweitplatzieren Antragstellerin, ab der ein öffentlicher Auftraggeber zur Durchführung einer Preisprüfung verpflichtet ist, wird deutlich nicht erreicht. Maßgeblich für die Frage, ob ein Angebot ungewöhnlich niedrig erscheint, sind nicht einzelne Preispositionen, sondern der Gesamtpreis (OLG München Beschluss vom 25.09.2014 – Verg 10/14; OLG Karlsruhe Beschluss vom 22.07.2011 – 15 Verg 8/11). Auch im vorliegenden Fall, in dem sich der Gesamtpreis aus mehreren Preisbestandteilen wie dem Fahrzeugpreis, dem Energieverbrauch, der Instandhaltung und Reinigung, den Ersatzteilen, der Software-Pflege, dem IT-Upgrade Service, dem IT-Schnittstellenmanagement und der Fahrzeug-Management Software zusammensetzt und in einigen dieser Einzelpreise erhebliche Preisunterschiede bestehen, die bei einer gesonderten Vergabe dieser Leistungen die Aufgreifschwellen weit überstiegen hätten, ist hiervon keine Ausnahme zu machen. Im Rahmen eines Gesamtangebots indizieren ungewöhnlich niedrige Einzelpreise nicht in vergleichbarem Maße die Gefahr von Schlechtleistungen, wie ungewöhnlich niedrige Gesamtpreise. Dies gilt insbesondere bei Unternehmen wie der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 1), bei denen nicht befürchtet werden muss, dass sie die Durchführung des streitgegenständlichen Auftrags in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen wird.
238
An diesen Grundsätzen ändert auch das zu Regelungen des bulgarischen Vergaberechts ergangene Urteil des EuGH vom 15.09.2022 – Rs. C-669/20 nichts Wesentliches. Soweit der EuGH in dieser Entscheidung fordert, dass der öffentliche Auftraggeber anhand sämtlicher Merkmale des betreffenden Ausschreibungsgegenstands die Angebote identifizieren muss, die zweifelhaft erscheinen und deshalb dem kontradiktorischen Verfahren der Überprüfung (im nationalen Recht z.B. umgesetzt in § 54 Abs. 1 und 2 SektVO) unterliegen, stellt dies weder die von der nationalen Rechtsprechung entwickelten Aufgreifschwellen noch die Orientierung am Gesamtpreis im Frage.
239
Die im bulgarischen Vergabegesetz ausdrücklich enthaltene Aufgreifschwelle von 20% hat der EuGH als solche nicht beanstandet, sondern nur die Modalitäten ihrer Ermittlung. Die Beanstandungen sind auf das deutsche Recht nicht übertragbar, weil die deutsche Rechtsprechung (z.B. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.05.2021 – Verg 13/21) – anders als offenbar das bisherige bulgarische Recht – dem Auftraggeber eine Preisprüfung auch unterhalb der Aufgreifschwellen bei Auffälligkeiten ermöglicht und er damit berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, auffällige Einzelpositionen unter Anhörung der Bieter zu überprüfen.
240
Angesichts dessen, dass der Abstand der Gesamtpreise erheblich unter den Aufgreifschwellen liegt, bedarf es im vorliegenden Fall keiner Entscheidung darüber, ob aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 15.09.2022 – Rs. C-669/20 in Fällen, bei denen die Preisunterschiede näher an den Aufgreifschwellen liegen und bei denen Auffälligkeit der Einzelpreise vorliegen, eine förmliche Preisprüfung unter Anhörung des jeweiligen Bieters geboten sein kann (so auch schon BGH, Beschluss vom 31.01.2017 – X ZB 10/16).
241
Vor diesem Hintergrund war die Antragsgegnerin trotz der erheblichen Preisunterschiede bei den Einzelpreisen zum Softwarepflegevertrag; zur Fahrzeug-Management Software; zum IT-Schnittstellenmanagement sowie bei der Instandhaltung und den Ersatzteilen nicht verpflichtet, in eine Preisprüfung nach § 54 SektVO unter Anhörung der Beigeladenen zu 1) einzutreten.
242
Aus diesem Grund führt es auch nicht zu einer Rechtsverletzung der Antragstellerin, dass die mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 05.05.2023 nachgereichten Stellungnahmen zu den Software Services und den sog. 46iger-Anlagen (u.a. Reinigungsaufwand und Instandhaltung und Energieverbrauch) jeweils vom 09.01.2023 nicht ansatzweise den Anforderungen einer Preisprüfung nach § 54 SektVO genügen würden und sich insbesondere zu den Preisunterschieden bei den Software Services auf vage Vermutungen beschränken.
243
2.7 Das Angebot der Beigeladenen zu 1) war nicht wegen Missachtung von Muss-Anforderungen zur formalen Ausgestaltung des Angebots wie den Vorgaben zur Benennung der Dateien und den Dateiformaten von der Wertung auszuschließen.
244
Zwar enthält der Wortlaut des § 51 SektVO – anders als die Parallelvorschriften zur Angebotswertung in der VOB/A (§ 16 EU Nr. 2) sowie der VgV (§ 57 Abs. 1 Nr. 4) – keinen zwingenden Angebotsausschluss für den Fall, dass ein Angebot von den (inhaltlichen) Anforderungen des Auftraggebers abweicht. Eine Verpflichtung des Auftraggebers, solche Angebote von der Wertung auszuschließen, die den von ihm festgelegten Anforderungen an den Auftragsgegenstand nicht vollständig entsprechen, folgt aber bereits aus den Geboten der Transparenz und der Gleichbehandlung sowie auch aus dem Wettbewerbsgrundsatz als grundlegende Prinzipien des Vergaberechts (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.4.2014 – VII-Verg 35/13; OLG Brandenburg, Beschluss vom 16.2.2012 – Verg W 1/12; VK Bund, Beschluss vom 18.9.2017 – VKZ-86/1). Der Sektorenauftraggeber bindet sich mit bestimmten Anforderungen an das Angebot, insbesondere mit Vorgaben zum Inhalt der nachgefragten Leistung oder die im Auftragsfall geltenden Vertragsbedingungen auch selbst und ist mit Blick auf einen transparenten und chancengleichen Wettbewerb nicht berechtigt, zugunsten einzelner Bieter nachträglich seine Anforderungen abzuschwächen oder auf deren Erfüllung sogar gänzlich zu verzichten (Eschenbruch/Opitz/Röwekamp/Röwekamp SektVO § 51 Rn. 52). Zugleich ist die Erfüllung der aufgestellten Anforderungen Voraussetzung für eine Vergleichbarkeit der Angebote im Rahmen der Angebotswertung und die Chancengleichheit der Bieter. Daher ist auch bei Vergaben im Sektorenbereich ein Angebot, das von den Anforderungen der Leistungsbeschreibung, den vom Auftraggeber vorgegebenen Vertragsbedingungen oder sonstigen Vorgaben abweicht, von der Wertung auszuschließen (OLG München, Beschlüsse vom 29.9.2009 – Verg 12/09 und vom 12.07.2005 – Verg 8/05).
245
Die Antragstellerin hat zurecht vorgetragen, dass zumindest einige von der Beigeladenen zu 1) mit ihrem Angebot eingereichten Dateien, z.B. „084_SI_360_C_Anlage – Übersicht Geräteanordnung und Einbauorte“, „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“, „084_SI_210_D_Ersatzteilmusterpaket“ und „084_SI_345_C_Anlage-Projektzeichnung“ gegen die Muss-Kriterien „33048.01.47“ (Vorgaben zur Dateibezeichnung) des Teillastenhefts „33084.TLH_01_Enleitung der Anlage 2.1_VU12“ bzw. gegen Ziffer 7.2 der Bewerbungsbedingungen verstoßen.
246
Die entsprechenden Vorgaben waren in den Vergabeunterlagen als zwingend einzuhaltende Muss-Kriterien definiert. Das Teillastenheft „33084.TLH_01_Einleitung der Anlage 2.1_VU12“ definiert die Muss- und Soll-Kriterien für alle von der ID „33084“ betroffenen Leistungsanforderungen. Die von der Beigeladenen zu 1) eingereichten Dateien betreffen jeweils die ID „33084“, sodass für diese gleichermaßen die im Teillastenheft „33084.TLH_01_Einleitung der Anlage 2.1_VU12“ definierten Muss- und Soll-Kriterien gelten.
247
Das Kriterium „33084.01.47“ wurde im Vergabeverfahren von der Antragsgegnerin als Muss-Kriterium definiert und musste an sich zwingend von den Bietern im Rahmen der Angebotsabgabe als vollständig erfüllt angegeben und nachgewiesen werden. Aus einer Nichterfüllung sollte nach den Vorgaben der Vergabeunterlagen der Angebotsausschluss folgen. Dies ergibt sich aus Ziffer 10.4.1 und 14.5.1.1 der Bewerbungsbedingungen und der Information „33084.01.10“ des Teillastenhefts „33084.TLH_01_Einleitung der Anlage 2.1_VU12“.
248
Die Antragstellerin hat ebenfalls zu Recht darauf hingewiesen, dass die Vergabeunterlagen der Antragsgegnerin keine Unterscheidung zwischen zwingend einzuhaltenden technischen Muss-Kriterien und zwingend einzuhaltenden formalen Muss-Kriterien treffen. Die Antragsgegnerin hat beide Vorgaben unterschiedslos als Ausschlusskriterien benannt, auch wenn sie dies nach ihrem Vortrag im Schriftsatz vom 20.04.2023 so nicht beabsichtigt hat.
249
Allerdings sind die Vorgaben der Bewertungsbedingungen nicht ausreichend klar und eindeutig, um einen Angebotsausschluss wegen der Verstöße gegen die Regelungen zu den Dateinamen begründen zu können. Die schwerwiegende Rechtsfolge des Angebotsausschlusses erfordert ein hohes Maß an Klarheit und Eindeutigkeit der Vorgaben des Auftraggebers. Verstöße gegen interpretierbare, missverständliche oder mehrdeutige Angaben führen nicht zum Ausschluss (st. Rspr. z.B. BGH Urteil vom 03.04.2012 – X ZR 130/10; OLG München, Beschluss vom 09.03.2020 – Verg 27/19 siehe auch BayObLG, Beschluss vom 26.05.2023 – Verg 2/23 zu Eignungsanforderungen), auch wenn es als solches nicht vergaberechtswidrig ist, wenn Bieter oder Bewerber Vergabeunterlagen auslegen müssen, um das vom öffentlichen Auftraggeber Verlangte zu erkennen (OLG München, Beschluss vom 30.11.2020 – Verg 6/20).
250
Die Beigeladene zu 1) hat zurecht darauf hingewiesen, dass sich die Vorgaben der Ziffer „33048.01.47“ des Teillastenhefts „33084.TLH_01_Enleitung der Anlage 2.1_VU12“ mit den Regelungen in Ziffer 7.2 der Bewerbungsbedingungen widersprechen. Das Teillastenheft gibt ein Bezeichnungsschema PP_FF_NNN_V_Bezeichnung vor, wobei PPP die letzten drei Ziffern der Projektnummer bzw. die letzten drei Ziffern vor dem ersten Punkt der ID der Anlage 2.1 sind; FF zwei Buchstaben des Firmennamens des Bieters; NNN die laufende Nummer der Dokumente ist, die der Bieter zum Angebot an den Auftraggeber übergibt und V die Version des Dokuments angibt; ferner Bezeichnung eine frei wählbare Bezeichnung durch den Hersteller ist, die mit der Anmerkung „bitte maximal 17 Zeichen“ versehen ist. Nach Ziffer 7.2 der Bewerbungsbedingungen sind die Dateinamen generell auf maximal 25 Zeichen zu begrenzen, was unter Berücksichtigung des Bezeichnungsschemas der Ziffer „33048.01.47“ des Teillastenhefts „33084.TLH_01_Enleitung der Anlage 2.1_VU12“ eine Ausschöpfung der dort vorgesehen 17 Zeichen für die Bezeichnung unmöglich machen würde.
251
Allerdings verstoßen die o.g. Dateibezeichnungen der Beigeladenen zu 1) sowohl gegen die Obergrenze von 25 Zeichen aus Ziffer 7.2 der Bewerbungsbedingungen als auch gegen die Vorgaben von maximal 17 Zeichen für die Bezeichnung aus dem Teillastenheft. Derartig lange Dateibezeichnungen sind nach keiner der widersprüchlichen Regelungen zulässig.
252
Weiterhin ist es durchaus zweifelhaft, ob die Formulierung in der Anforderung „33084.01.47“ „bitte maximal 17 Zeichen“ für einen verständigen Bieter bei Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont wirklich als zwingende Obergrenze erkannt werden musste und nicht lediglich als unverbindliche Bitte anzusehen war, die der Auftraggeber ausgesprochen hatte, um das Ausufern der Länge der Dateinamen in gewissen Grenzen zu halten.
253
Gegen einen Angebotsausschluss wegen des Verstoßes gegen Muss-Kriterien, die lediglich die formale, nicht aber die inhaltliche Gestaltung des Angebots betreffen, spricht auch die Regelung in Ziffer „33084.90.13“ des Teilleistungshefts „33084_TLH_90_Glossar_VU13“. Darin wird eine Anforderung der Teillastenhefte als „einzelne und nachzuweisende Eigenschaft des spezifizierten Produkts“ definiert, was dafür spricht, als „Anforderung“, an deren Nichteinhaltung die Ausschlussfolge geknüpft ist, nur inhaltliche Anforderungen anzusehen. Auch ist in der Regelung in Ziffer 14.2.1 der Bewerbungsbedingungen als allgemeiner Ausschlussgrund definiert, dass die Angebote nicht vergleichbar sind, was sich auf den Inhalt der Angebote beziehen muss. Bei den einzeln aufgezählten Ausschlussgründen unter dieser Ziffer handelt es sich um Regelbeispiele zur Nicht-Vergleichbarkeit im inhaltlichen Sinn.
254
Zudem war die Antragsgegnerin nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern nicht befugt, Angebote aufgrund von Verstößen gegen deren formale Ausgestaltung, wie die Vorgaben zur Länge der Dateinamen, die keine Auswirkungen auf den Inhalt des mit dem Zuschlag zustande kommenden Vertrags haben und die auch sonst nicht zu einer Ungleichbehandlung von Bietern führen, auszuschließen.
255
Dem steht auch nicht entgegen, dass der Auftraggeber bei Verfahren nach der SektVO nicht unmittelbar an die geschriebenen Ausschlussgründe der VgV oder VOB/A gebunden ist und die Regelungen für den Ausschluss von Angeboten in den Vergabeunterlagen in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit, der Transparenz und Gleichbehandlung selbst festlegen kann. Im Regelfall wird sich der Auftraggeber im Ergebnis aber dennoch an den Fallgestaltungen orientieren müssen, wie sie beispielsweise in § 57 VgV enthalten sind. Soweit die Rechtsprechung bisher in Verfahren nach der SektVO Angebotsausschlüsse wegen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen für geboten gehalten hat, ging es in diesen Fällen regelmäßig um inhaltliche Änderungen, also solche, die im Falle eines Zuschlags auf das fragliche Angebot einen von den Vorgaben des Auftraggebers abweichenden Vertragsinhalts verursacht hätten. Dass ein Ausschluss in solchen Fällen zwingend ist, ergibt sich bereits aus den Geboten der Transparenz und der Gleichbehandlung sowie auch aus dem Wettbewerbsgrundsatz als grundlegenden Prinzipien des Vergaberechts.
256
Im vorliegenden Fall käme im Falle des Zuschlags auf das Angebot der Beigeladenen zu 1) wegen der von den Vorgaben abweichenden Dateinamen aber kein von den Vorgaben des Auftraggebers abweichender Vertragsinhalt zustande. Zudem sind nach Auffassung der Vergabekammer auch die Prinzipien der Transparenz und der Gleichbehandlung sowie des Wettbewerbs nicht derartig berührt, dass hier ein Ausschluss des Angebots verhältnismäßig wäre. Das in § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB gebotene Verhältnismäßigkeitsprinzip gilt auch für Vergaben im Sektorenbereich. Insbesondere ist kein relevanter Wettbewerbsvorteil für einen Bieter erkennbar, der längere Dateinamen verwendet als ein vorgabenkonform anbietender Bieter.
257
Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 18.06.2019 – X ZR 86/17) ist es erklärtes Ziel des Gesetzgebers seit den Vergaberechtsänderungen im Jahr 2009 im Interesse der Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs, die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen an sich vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel zu reduzieren. Das BayObLG hat im Beschluss vom 17.06.2021 – Verg 6/21 vor diesem Hintergrund erörtert, ob die von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweichende Angabe völlig untergeordneter Preisangaben einen zwingenden Ausschluss rechtfertigt. Es hat dabei darauf hingewiesen, dass zwar selbst geringfügige (inhaltliche) Abweichungen von den Vorgaben der Vergabestelle zum Ausschluss des entsprechenden Angebots führen müssen, um eine Vergleichbarkeit der Angebote zu gewährleisten (siehe auch OLG Celle, Beschluss vom 19.02.2015, 13 Verg 12/14), dass aber auch ein zwingender Ausschlussgrund einer Anwendung des gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB generell geltenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. Dörr in Burgi/Dreher Beck'scher Vergaberechtskommentar, § 97 Abs. 1 Rn. 54) nicht zwingend entgegensteht, wie beispielsweise § 123 Abs. 5 Satz 2 GWB zeige. Diese Erwägungen müssen erst recht bei Abweichungen von Vorgaben des Auftraggebers zur formalen Gestaltung des Angebots durchgreifen, die – auch wenn der Auftraggeber dies so nicht in den Vergabeunterlagen zum Ausdruck gebracht hat – nach seinen Vorstellungen lediglich als Ordnungs- oder Sortierhilfen dienen sollten und die keine Auswirkungen auf den Inhalt des mit dem Zuschlag zustande kommenden Vertrags haben und auch sonst nicht zu einer Ungleichbehandlung von Bietern führen.
258
Im Ergebnis ist das Angebot der Beigeladenen zu 1) nicht wegen der Missachtung der Vorgaben des Teillastenhefts „33084.TLH_01_Enleitung der Anlage 2.1_VU12“ oder der Ziffer 7.2 der Bewerbungsbedingungen durch zu lange Dateinamen auszuschließen.
259
Ein Ausschluss des Angebots der Beigeladenen zu 1) kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil sie die Datei „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ im Dateiformat PDF eingereicht hat.
260
Das für die Datei „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ gewählte Dateiformat PDF verstößt weder gegen das Muss-Kriterium „33084.01.93“ des Teillastenhefts „33084.TLH_01_Einleitung der Anlage 2.1_VU12“, wonach die Clause-by-Clause-Kommentierung (CbC-Kommentierung) im PDF-Format nicht zulässig ist, sondern zwingend im Format ReqIF oder Excel zu erbringen ist, noch gegen Ziffer 7.2 der Bewerbungsbedingungen wonach Dateiformate von Dokumenten, die vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt und von den Unternehmen zu bearbeiten sind, nicht geändert werden dürfen.
261
Derartige Anforderungen an die Dateiformate hat die Antragsgegnerin nämlich lediglich für Dateien aufgestellt, die die CbC-Kommentierungen der Lastenhefte beinhalten.
262
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 1) bestreiten aber, dass es sich bei der Datei „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ um die CbC-Kommentierung des Teillastenheftes „33084_TLH_E_Innenbereich und Subsysteme_VU13“ handelt. Die CbC-Kommentierung der Teillastenhefte sei – wie von der Antragsgegnerin vorgesehen – über das Anforderungsmanagement-Tool „Doors“ erfolgt. Die von der Beigeladenen zu 1) eingereichte CbC-Kommentierung sei ordnungsgemäß in drei Dateien im vorgeschrieben Dateiformat .reqifz erfolgt.
263
Nach dem Vortrag der Beigeladenen zu 1), den die Vergabekammer nach Einsichtnahme in die Datei „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ nachvollziehen kann, handelt es sich bei dieser um ein zusätzliches Dokument, das ausschließlich unterstützenden Charakter hat und der Antragsgegnerin auf Grundlage der eingereichten Nachweisdokumente die Prüfung erleichtern soll, inwieweit das Angebot der Beigeladenen die jeweiligen Muss- und Soll-Anforderungen erfüllt. Aus diesem Grund verstößt die Einreichung dieser Datei auch nicht gegen das Muss-Kriterium „33084.01.44“, wonach die CbC-Kommentierung eindeutig und vollständig eingereicht werden muss.
264
Die Beifügung dieses unterstützenden Dokuments verstößt auch nicht in einer für einen Angebotsausschluss ausreichend eindeutigen Weise gegen Ziffer 9.4 der Bewerbungsbedingungen, wonach dem Angebot nur die in diesen Bewerbungsbedingungen entsprechend bezeichneten, in Ziffer 4.2 aufgeführten Unterlagen und keine weiteren Unterlagen mit Ausnahme eines Anschreibens beigefügt werden durften.
265
Die Bewerbungsbedingungen regeln nicht mit der nötigen Eindeutigkeit, welche Unterlagen dem Angebot beigefügt werden durften und welche nicht und machen auch keine Aussage zur Rechtsfolge der Beifügung unzulässiger Unterlagen.
266
Ziffer 4.2 der Bewerbungsbedingungen enthält lediglich die Aussage, dass die Vergabeunterlagen aus den Bewerbungsbedingungen, der Aufforderung zur Angebotsabgabe, der Bewertungsmatrix, dem Fahrzeugbeschaffungsvertrag nebst Anlagen und Anhängen sowie der Vertragsübernahmevereinbarung und dem Lastenheft (Anlage 2.1 des Fahrzeugbeschaffungsvertrages) bestehen. Ziffer 10.1.3 regelt, dass der Bieter auf Basis sämtlicher Vergabeunterlagen nebst Anlagen und Anhänge, insbesondere des Fahrzeugbeschaffungsvertrags, ein verbindliches Angebot abgeben muss. In Ziffer 10.4.1 ist vorgegeben, dass der Bieter die Anlage 2.1 (Lastenheft) des Fahrzeugbeschaffungsvertrages kommentiert und dabei die Vorgaben zu Muss-Kriterien/-Optionen und zu Soll-Kriterien/-Optionen beachten muss. Das vom Bieter zu kommentierende Lastenheft soll verbindlich Auskunft über die vom Bieter angebotene Leistung geben.
267
Nach Ziffer 14.5.1.1 soll die Nichterfüllung von Muss-Kriterien der technischen Vergabeunterlagen zum Ausschluss des Angebots führen.
268
Zwar ist angesichts der Vorgaben zur CbC-Kommentierung, durch die der Nachweis der Erfüllung der technischen Anforderungen der Teilleistungshefte zu erbringen war, durchaus fraglich, ob die Beigeladene zu 1) ein lediglich „unterstützendes“ Dokument wie die Datei „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ mit einem Umfang von 207 Seiten zusätzlich zu den geforderten Unterlagen einreichen durfte, allerdings sieht z.B. das Muss-Kriterium „33084.01.45“ des Lastenhefts „33084_TLH_01_Einleitung der Anlage 2.1_VU12“, die Übergabe eines (zusätzlichen) Dokuments zum Angebot vor und stellt dafür Regeln auf.
269
Im Übrigen stellt sich auch hier wieder die Frage, ob ein Angebotsausschluss wegen eines entgegen der Vorgaben der Vergabeunterlagen eingereichten zusätzlichen Dokuments, das im Zuschlagsfall keinen von den Vorgaben der Antragsgegnerin abweichenden Vertragsinhalt herbeiführen würde und dem Bieter allenfalls einen minimalen Wettbewerbsvorteil durch die bessere Erläuterungsmöglichkeit seines Angebots zu Muss-Kriterien ermöglicht, nicht unverhältnismäßig wäre.
270
2.8 Das Angebot der Beigeladenen zu 1) war nicht wegen des Fehlens geforderter Unterlagen von der Wertung auszuschließen. Die Nachforderung des Dokuments „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“, bei dem in der mit dem Angebot eingereichten Version die Seiten 66 bis 72 nicht lesbar waren, war nach § 51 SektVO nicht zu beanstanden.
271
Allerdings ist auch in Vergabeverfahren nach der SektVO ein Angebot, das nicht sämtliche geforderten bzw. nachgeforderten Unterlagen enthält, zwingend von der Wertung auszuschließen. Nach der Rechtsprechung des BGH zum Fehlen geforderter Unterlagen ist ein transparentes, gem. § 97 Abs. 2 GWB auf der Gleichbehandlung aller Bieter beruhendes Vergabeverfahren nur zu erreichen, wenn in jeder sich aus den Vergabeunterlagen ergebender Hinsicht und grundsätzlich ohne weiteres vergleichbare Angebote abgegeben werden (Eschenbruch/Opitz/Röwekamp/Röwekamp SektVO § 51 Rn. 32 ff; BGH, Urteil vom 20.01.2009 – X ZR 113/07). Voraussetzung für einen Angebotsausschluss ist allerdings, dass die betreffende Unterlage wirksam gefordert wurde, d.h. hinsichtlich Art, Inhalt, Umfang und Zeitpunkt der Vorlage eindeutig und rechtlich zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2013 – X ZR 155/10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.03.2010 – VII-Verg 61/09).
272
Wie bereits im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen Ziffer 9.4 der Bewerbungsbedingungen durch die Einreichung dieses Dokuments ausgeführt, handelt es sich bei dem Dokument „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ nicht um ein von der Antragsgegnerin gefordertes Dokument, sondern um ein von der Beigeladenen zusätzlich zum Angebot eingereichtes Dokument, das nach den Vorstellungen der Beigeladenen zu 1) ausschließlich unterstützenden Charakter haben und der Antragsgegnerin auf Grundlage der eingereichten Nachweisdokumente die Prüfung erleichtern soll, inwieweit das Angebot der Beigeladenen die jeweiligen Mussund Soll-Anforderungen im Hinblick auf den Innenbereich und die Subsysteme der Fahrzeuge erfüllt.
273
Die Vergabekammer kann nach der Einsichtnahme in die Seiten 66 bis 72 des Dokuments „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ nachvollziehen, dass dieses lediglich weitere Nachweisdokumente der CbC-Kommentierung erläutert und auf diese verweist. Der Vortrag der Beigeladenen zu 1), dass sich die Einhaltung der Muss-Anforderungen insoweit bereits aus den geforderten Nachweisdokumenten „084_SI_345_C_Anlage – Projektzeichnung“ und „084_SI_322_C_Anlage – Design“ ergibt, dürfte daher zutreffend sein.
274
Dies unterstellt, wäre das Angebot der Beigeladenen zu 1) trotz der Unlesbarkeit der Seiten 66 bis 72 des Dokuments „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ bereits vollständig gewesen, so dass ein Angebotsausschluss von vorneherein nicht in Frage kommt.
275
Ungeachtet dessen war die Antragsgegnerin nach § 51 Abs. 2 und 3 SektVO berechtigt, das aufgrund der Unleserlichkeit der Seiten 66 bis 72 unvollständig eingereichte Dokument „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ nachzufordern. Eine Nachforderung unvollständiger Unterlagen sehen sowohl § 51 Abs. 2 SektVO als auch Art. 76 Abs. 4 der RL 2014/25/EU ausdrücklich vor.
276
Die Nachforderung war insbesondere auch nicht gemäß § 51 Abs. 3 SektVO ausgeschlossen. Bei dem von der Antragsgegnerin nachgeforderten Dokument „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ handelt es sich nicht um eine leistungsbezogene Unterlage, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betrifft. Nach § 51 Abs. 3 SektVO ist lediglich die Nachforderung solcher leistungsbezogener Unterlagen ausgeschlossen, die in die Wirtschaftlichkeitsbewertung nach den Zuschlagskriterien eingehen und damit die Wertungsreihenfolge beeinflussen können. Das hier in Rede stehende Dokument „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ ist für die Wirtschaftlichkeitsbewertung des Angebots der Beigeladenen zu 1) nach den Zuschlagskriterien nicht relevant, da es lediglich – im Vergabeverfahren nicht zwingend geforderte – Erläuterungen zu den Nachweisen über die Erfüllung der Muss-Anforderungen enthält.
277
Auch wenn die Bieter im vorliegenden Vergabeverfahren – wie in jedem Vergabeverfahren – die Muss-Anforderungen einhalten und die Kosten für deren Einhaltung in ihr Angebot einkalkulieren mussten, wodurch diese auch den Preis beeinflussen, werden dadurch die Muss-Kriterien, deren Einhaltung im nicht zwingend geforderten Dokument „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ erläutertet wurde, nicht zu Angaben zur Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien i.S.d. § 51 Abs. 3 SektVO.
278
Leistungsbezogene Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betreffen i.S.d. § 51 Abs. 3 SektVO sind nur Preisangaben und Angaben zu nichtpreislichen Zuschlagskriterien, keine Angaben zu zwingenden Anforderungen der Vergabeunterlagen. Denn nur Preisangaben und Angaben zu nichtpreislichen Zuschlagskriterien können direkt die Wertungsreihenfolge der Angebote verändern.
279
Würde man, wie die Antragstellerin vorgetragen hat, auch Unterlagen zu zwingenden Anforderungen der Vergabeunterlagen als leistungsbezogene Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betreffen i.S.d. § 51 Abs. 3 SektVO ansehen, wäre die Nachforderung leistungsbezogener Unterlagen grundsätzlich ausgeschlossen und die diesbezüglichen Regelungen in § 51 Abs. 2 und 3 SektVO gingen ins Leere. Dies kann nicht richtig sein.
280
Die Vergabekammer teilt auch nicht die Ansicht der Antragstellerin, dass eine Nachforderung bereits immer dann unzulässig sei, wenn der Auftraggeber aufgrund der Unlesbarkeit der mit dem Angebot eingereichten Dokumente nicht überprüfen könne, ob das nachgereichte Dokument den mit dem ursprünglichen Angebot eingereichten Angaben entspreche. Dies würde jegliche Nachforderung von unlesbar eingereichten Unterlagen unmöglich machen und entspricht ersichtlich nicht der Intention des Gesetzgebers.
281
Die Vergabekammer hat auch keine Zweifel daran, dass das nachgereichte, vollständig lesbare Dokument „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ denselben Inhalt hat wie die ursprünglich eingereichte, auf den Seiten 66 bis 72 nicht lesbare Datei. Bei dem Dokument „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ handelt es sich nach dem Vortrag der Beigeladenen zu 1) um eine Ausleitung aus ihrem SAP-System, in dem die entsprechenden Informationen, Grafiken und Texte hinterlegt sind. Dass die mit dem ursprünglichen Angebot als PDF eingereichte SAP-Ausleitung auf denselben Informationen, Grafiken und Texten wie die von der Beigeladenen am 29.11.2022 nachgereichte PDF-Ausleitung beruht, ergibt sich nach dem glaubwürdigen Vortrag der Beigeladenen zu 1) aus dem auf jeder Seite des Dokuments „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ am unteren Rand enthaltenen, automatisch durch das SAP-Dokumentensystem generierten Dokumentenstempel. Dieser ist bei dem ursprünglich eingereichten Dokument und bei dem auf Anforderung der Antragsgegnerin von der Beigeladenen nachgereichten Dokument identisch. Bei einer nachträglichen Veränderung der dem Dokument zugrundeliegenden Informationen, Grafiken oder Texte wäre nach dem Vortrag der Beigeladenen zu 1) im Dokumentenstempel durch das SAP-System automatisch das Datum dieser neuen Freigabe vermerkt worden. Außerdem wäre automatisch eine neue Version angelegt worden.
282
Ebenso wenig war im vorliegenden Fall eine Nachforderung bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Antragsgegnerin bei dem nicht zwingend geforderten Dokument „084_SI_309_C_E_Innenbereich und Subsysteme“ zum Zeitpunkt ihrer Ermessensentscheidung über die Nachforderung noch nicht wissen konnte, ob die Unterlage vielleicht Angaben zur Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien enthält und damit gar nicht nachgefordert werden dürfte. Der vorliegende Fall stellt eine Sondersituation dar, da normalerweise der Auftraggeber bei geforderten Unterlagen regelmäßig abschätzen kann, ob diese Angaben zur Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien enthalten oder nicht.
283
Nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern ist aber auch in Fällen wie dem vorliegenden eine Nachforderung nicht zwingend ausgeschlossen. Der Auftraggeber muss allerdings, wenn er vom Inhalt der nachforderten Unterlage Kenntnis nimmt und dabei erkennt, dass diese Angaben zur Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien enthält und gar nicht hätte nachgefordert werden dürfen, diese bei der Angebotswertung außer Acht lassen. Auch durch dieses Vorgehen ist den Grundsätzen der Transparenz und Gleichbehandlung ausreichend Genüge getan, eine generelle Nichtnachforderung auf Verdacht erscheint nicht geboten.
284
2.9 Die Antragstellerin wird nicht durch die Wertung ihres Angebots in ihren Rechten verletzt. Sie hat von ihren Rügen zur Wertung ihres Angebots in der mündlichen Verhandlung nur noch diejenige zur Ermittlung der Gesamtenergiekosten aufrechterhalten.
285
Das Vorgehen der Antragsgegnerin, im Rahmen der Gesamtenergiekosten den definierten Start nicht in der Berechnung zu berücksichtigen und keine Eskalation des Energiepreises von 2020 bis 2030 zu indexieren, ist nicht zu beanstanden und beeinträchtigt nicht die Zuschlagschancen der Antragstellerin Die in der Bewertungsmatrix verwendete Formel referenziert auf den 30-jährigen Nutzungszeitraum, über den der vorgegebene Strompreis (0,14001 Cent pro kWh zusammengesetzt aus Energiebeschaffungskosten und Energienebenkosten) mit der vorgegebenen Indexierungsrate (2,70% p.a.) Berücksichtigung findet. Beide Informationen sind im Reiter „Energieverbrauch“ als Inputdaten in den Zeilen 6 bis 14 ausgewiesen. Ein explizites Startjahr ist in der Berechnungsformel im Reiter Energieverbrauch nicht hinterlegt. Die Antragsgegnerin hat die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 1) im Verfahren derart gewertet, dass der Aufwand unmittelbar mit dem Jahr 1 beginnt und erst ab diesem Zeitpunkt indexiert wird. Die Antragsgegnerin ist so auch bei den Instandhaltungs- und Reinigungsaufwänden vorgegangen. Auch dort ist der Startpreis im jeweiligen Reiter als feste Größe zur Berechnung vorgegeben. Diese Bewertungsmatrix hat die Antragsgegnerin für alle Bieter gleich angewandt und ist derart auch in den vorangegangenen Bewertungsrunden vorgegangen.
286
Soweit die Antragstellerin darauf hingewiesen hat, dass in der Bewertungsmatrix „AS SBM V12.0“ im Reiter „Grundlegende Eingangsdaten“ bei „0) allg. Hinweise“ das 1. Betriebsjahr mit dem Jahr 2031 genannt war, bedeutet dies nicht zwingend, dass zunächst bis dahin hochindexiert werden muss und erst ab diesem Zeitpunkt die Ermittlung der Energiekosten beginnt. Denn wenn zusätzlich zur Indexierung ab dem 1. Betriebsjahr auf dieses (2031) „hochindexiert“ würde, ergäbe sich möglicherweise ein längerer als der vorgegebene 30-jährige Indexierungszeitraum.
287
Im Ergebnis kann allerdings dahinstehen, ob das Verständnis der Bewertungsmatrix der Antragstellerin oder der Antragsgegnerin richtig war oder ob ggf. beide Ansichten vertretbar waren. Die Antragsgegnerin hat ihre Berechnungsmethode gleichermaßen auf das Angebot der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 1) angewandt und die Zuschlagschancen der Antragstellerin wären keinesfalls besser, sondern vielmehr eher schlechter, wenn nach ihrem Verständnis bis 2031 hochindexiert worden wäre und erst ab diesem Zeitpunkt die Ermittlung der Energiekosten begonnen hätte.
288
Dies liegt daran, dass die Angaben der Antragstellerin in ihrem finalen Angebot zum Energieverbrauch in den Positionen durchschnittlicher Energieverbrauch pro km für die Jahre 1 – 4, durchschnittlicher Energieverbrauch für die Jahre 5 – 30 und Energiebedarf Abstellung pro Fahrzeug pro Tag sämtlich über den Angaben der Beigeladenen zu 1) liegen. Insofern könnte sich kein Vorteil für die Antragstellerin in der Wertung ergeben, wenn die Strompreise höher angesetzt würden, wie dies der Fall wäre, wenn die Indexierung bis zum Starttermin einbezogen worden wäre.
289
Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin durch die Wertung ihres Angebots ist daher insoweit nicht ersichtlich.
290
Der Nachprüfungsantrag ist damit vollständig unbegründet.
291
3. Kosten des Verfahrens
292
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegenddie Antragstellerin.
293
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
294
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Aufgrund der enormen wirtschaftlichen Bedeutung des vorliegenden Auftrags über … Euro und des außergewöhnlich hohen Bearbeitungsaufwands des Verfahrens mit teilweise nicht vollständig geklärten Rechtsfragen war hier eine Verfahrensgebühr von … Euro festzusetzen.
295
Von der Antragstellerin wurde nach der Verweisung des Verfahrens von der Vergabekammer des Bundes an die Vergabekammer Südbayern ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraft verrechnet.
296
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 1) und 2) beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
297
Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da auch ein öffentlicher Auftraggeber mit eigener gut ausgestatteter und mit Juristen besetzter Vergabestelle wie die Antragsgegnerin und ein äußerst vergabeerfahrenes Bieterunternehmen wie die Beigeladene zu 1) in einem Nachprüfungsverfahren zu einem außergewöhnlich umfangreichen und teilweise auch schwierigen Beschaffungsverfahren anwaltlicher Beratung bedürfen. Gleiches gilt für die Beigeladene zu 2) die erst aufgrund der Entscheidung der Vergabekammer des Bundes zum Verfahren hinzuziehen war und die sich bis dato nicht erörterten Rechtsfragen nach einer rechtlich fragwürdigen Verweisungsentscheidung ausgesetzt sah.
298
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen zu 1) und 2) beruht auf § 182 Abs. 4 S. 3, S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladenen sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt haben (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09). Vor diesem Hintergrund hat die bisherige Rechtsprechung der Vergabesenate Beigeladene kostenrechtlich nur dann wie einen Antragsteller oder einen Antragsgegner behandelt, wenn sie die durch die Beiladung begründete Stellung im Verfahren auch nutzen, indem sie sich an dem Verfahren beteiligen (BGH, Beschluss vom 26.09.2006, Az.: X ZB 14/06). Dafür muss eine den Beitritt eines Streithelfers vergleichbare Unterstützungshandlung erkennbar sein, anhand derer festzustellen ist, welches (Rechtsschutz-)Ziel ein Beigeladener in der Sache verfolgt (OLG Celle, Beschluss vom 27.08.2008, Az.: 13 Verg 2/08).
299
Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben sich durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag und die Stellung von Anträgen aktiv am Verfahren beteiligt. Hierdurch haben sie das gegenständliche Verfahren wesentlich gefördert und ein Kostenrisiko auf sich genommen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2014, VII-Verg 12/03).
300
Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S. 1, S. 2 und 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da auch ein äußerst vergabeerfahrenes Bieterunternehmen wie die Beigeladene zu 1) in einem Nachprüfungsverfahren zu einem außergewöhnlich umfangreichen und teilweise auch schwierigen Beschaffungsverfahren anwaltliche Beratung in Anspruch nehmen kann. Gleiches gilt für die Beigeladene zu 2) die erst aufgrund der Entscheidung der Vergabekammer des Bundes zum Verfahren hinzuziehen war und die sich bis dato nicht erörterten Rechtsfragen in Folge einer rechtlich fragwürdigen Verweisungsentscheidung ausgesetzt sah.