Titel:
Vorläufiger Rechtsschutz gegen beabsichtigte Herausgabe eines rechtskräftigen Strafbefehls an einen Redakteur
Normenkette:
BayPrG Art. 4 Abs. 1
Leitsätze:
Der Veröffentlichungswürdigkeit von Strafbefehlen in presserechtlichen Auskunftsverfahren steht nicht entgegen, dass der Strafbefehl ohne Hauptverhandlung ergeht. (Rn. 20)
1. Zwar können Berichte über zurückliegende Straftaten Grenzen unterliegen, um der Resozialisierung von Straftätern bzw. deren Anspruch, möglichst unbeeinträchtigt wieder ein normales Leben führen zu können, Rechnung zu tragen. Die Verantwortung für die Beachtung entsprechender Sorgfaltspflichten liegt dabei grundsätzlich bei den Medien selbst. Diese Sorgfaltspflichten können nicht schon generell zum Maßstab für das Zugänglichmachen der gerichtlichen Entscheidungen seitens der Gerichtsverwaltung gemacht werden. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das maßgebliche öffentliche Informationsinteresse bestimmt sich anhand des Gegenstands des Auskunftsersuchens und damit anhand der beabsichtigten Berichterstattung, wobei das Selbstbestimmungsrecht der Presse eine dezidierte Relevanzprüfung und inhaltliche Bewertung verbietet. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliges Rechtsschutzverfahren, presserechtlicher Auskunftsanspruch, Strafbefehl nach Absprache, Hauptverhandlung, allgemeines Persönlichkeitsrecht, Pressefreiheit, öffentliche Informationsinteresse, Sorgfaltspflichten
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 03.05.2023 – M 10 E 23.1929
Fundstellen:
BeckRS 2023, 17263
ZGI 2023, 232
LSK 2023, 17263
NJW 2024, 372
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller begehrt die Untersagung der Herausgabe eines rechtskräftigen Strafbefehls durch den Antragsgegner an den Beigeladenen.
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Gegen den Antragsteller, Geschäftsführer der F. GmbH, wurde am 19. Mai 2020 durch das Amtsgericht M. ein Strafbefehl erlassen. Der Beigeladene, ein Redakteur des Handelsblatts, bat mit E-Mail vom 11. Januar 2023 das Amtsgericht um Übersendung einer anonymisierten Kopie dieses Strafbefehls. Nach Anhörung des Antragstellers teilte das Amtsgericht dessen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 19. April 2023 mit, dass die Herausgabe einer anonymisierten Abschrift des gegen den Antragsteller ergangenen Strafbefehls an den Beigeladenen erfolge, sollte nicht bis 21. April 2023, 13:00 Uhr, eine gerichtliche Untersagung bekannt werden.
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Den Antrag des Antragstellers vom 20. April 2023, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, hilfsweise bis zur Rechtskraft eines ergehenden Beschlusses in diesem Verfahren zu untersagen, dem Beigeladenen Auskunft durch Herausgabe einer vollständigen oder einer anonymisierten Kopie des gegen den Antragsteller ergangenen Strafbefehls vom 19. Mai 2020 zu erteilen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3. Mai 2023 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Es gebe keinen presserechtlichen Rechtssatz, dass die Herausgabe eines Strafbefehls an einen Redakteur bereits allgemein unzulässig sei. Die presserechtliche Zulässigkeit der Herausgabe eines Strafbefehls an einen Redakteur lasse sich regelmäßig erst anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilen. Es seien vorliegend keine Anhaltspunkte erkennbar, dass in der vorzunehmenden Rechtsgüterabwägung dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Antragstellers aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG der Vorrang gegenüber der Pressefreiheit des Beigeladenen aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einzuräumen sei.
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Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der Beschwerde. Er trägt im Wesentlichen vor, die vom Verwaltungsgericht wegen des Wortlauts von § 410 Abs. 3 ZPO vorgenommene Gleichsetzung eines Strafbefehls mit einem Strafurteil beziehe sich lediglich auf die formelle Rechtskraft, die sowohl für die Vollstreckung als auch den Strafklageverbrauch von Bedeutung sei. Aus der Natur des Strafbefehls selbst und unmittelbar aus der Strafprozessordung folge, dass der Strafbefehl kein tauglicher Gegenstand einer Herausgabe an die Presse im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts sei. Die Herausgabe des Strafbefehls sei nicht zur Sicherung des Rechtsstaatsgebots bzw. zur Schaffung einer dafür erforderlichen Transparenz geeignet. Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht auch den genannten Rechercheansatz des Beigeladenen als plausibel angesehen und das öffentliche Informationsinteresse bejaht. Jedenfalls sei die Rechtsgüterabwägung zugunsten des Antragstellers vorzunehmen, zumal der Erlass des Strafbefehls bereits mehr als drei Jahre zurückliege.
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Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
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unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 3. Mai 2023, Az. M 10 E 23.1929, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, dem Beigeladenen Auskunft durch Herausgabe einer vollständigen oder einer anonymisierten Kopie des gegen den Antragsteller ergangenen Strafbefehls vom 19. Mai 2020 zu erteilen.
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Der Antragsgegner stellt keinen Antrag.
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Der Beigeladene widersetzt sich der Beschwerde mit dem Antrag,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Unter Auseinandersetzung mit der Argumentation des Antragstellers hält er die Entscheidung des Verwaltungsgerichts für zutreffend.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
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Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist im angegriffenen Beschluss zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO daher abzulehnen war. Die im Beschwerdeverfahren vom Antragsteller vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern.
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Zu Recht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Antragsteller einen Anspruch gegenüber dem Antragsgegner, gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG die Herausgabe des streitgegenständlichen Strafbefehls zu untersagen (Anordnungsanspruch), nicht i.S.v. § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920, 294 ZPO glaubhaft gemacht hat. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beigeladene seinen Auskunftsanspruch auf Herausgabe einer anonymisierten Fassung des gegen den Antragsteller ergangenen Strafbefehls vom 19. Mai 2020 auf Art. 4 BayPrG stützen kann.
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A. Entgegen der Auffassung des Antragstellers umfasst die allgemein anerkannte Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen auch Strafbefehle.
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Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung der Kammer vom 14. März 2023 – M 10 E 22.6192 – (juris Rn. 25 ff.) festgestellt, dass die Tatsache, dass es vorliegend um die Herausgabe eines Strafbefehls geht, für sich genommen weder zur Unbegründetheit des presserechtlichen Auskunftsanspruchs noch zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen führt. Es gebe keinen (presserechtlichen) Rechtssatz, dass die Herausgabe eines Strafbefehls an einen Redakteur bereits allgemein unzulässig sei. Dies ist nicht zu beanstanden und entspricht der Rechtsauffassung des erkennenden Senats (vgl. B.v. 15.5.2023 – 7 CE 23.666 – juris Rn. 27 ff.). Der streitgegenständliche Strafbefehl stellt eine veröffentlichungswürdige Entscheidung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15 – juris Rn. 16 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.1997 – 6 C 3.96 – juris) dar, weil ersichtlich ein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung besteht, wie die konkrete Presseanfrage zeigt. Soweit der Antragsteller in der Beschwerdebegründung strafprozessuale Unterschiede zwischen Strafbefehl und Strafurteil anhand der entsprechenden Vorschriften der Strafprozessordnung aufzeigt, kann dies nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Denn er legt nicht dar, inwieweit diese Vorschriften nach Sinn und Zweck dem hier streitgegenständlichen presserechtlichen Auskunftsanspruch entgegengehalten werden können.
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1. Soweit der Antragsteller vorträgt, das Verwaltungsgericht stelle unter Hinweis auf den Wortlaut des § 410 Abs. 3 StPO zu Unrecht einen Strafbefehl einem Strafurteil gleich, obwohl sich aus der Überschrift und dem Wortlaut der Norm ergebe, dass sich diese Gleichstellung lediglich auf die formelle Rechtskraft beziehe, ist dieses Vorbringen schon insoweit nicht zutreffend, als das Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Rechtsauffassung weder § 410 Abs. 2 StPO noch § 410 Abs. 3 StPO, sondern § 410 Abs. 1 Satz 1 StPO im Hinblick auf die Möglichkeit des Angeklagten, Einspruch gegen einen Strafbefehl einzulegen, herangezogen hat. Im Übrigen spricht § 410 Abs. 3 StPO, wonach der Strafbefehl, gegen den nicht rechtzeitig Einspruch erhoben worden ist, einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht, für die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Auffassung. Der unangefochtene Strafbefehl bewirkt ebenso wie ein unangefochtenes Urteil formelle und materielle Rechtskraft (Maur in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Aufl. 2023, § 410 Rn. 15 m.w.N.). Soweit der Prozessgegenstand reicht, führt die formelle Rechtskraft des Strafbefehls als einer Entscheidung in der Sache zur materiellen Rechtskraft sowie zum Strafklageverbrauch (vgl. Eckstein in Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2019, § 410 Rn. 38 m.w.N.). Die Verurteilung im Strafbefehlsverfahren steht grundsätzlich der Verurteilung im ordentlichen Verfahren gleich. Die einzige begründbare und erforderliche Ausnahme, die über die Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten bei einem rechtskräftigen Strafurteil hinausgeht, liegt in der Natur des Strafbefehlsverfahrens begründet. Da dieses nur bei Vergehen zulässig ist (§ 407 Abs. 1 Satz 1 StPO), muss eine Wiederaufnahmemöglichkeit bestehen, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel allein oder in Verbindung mit den früheren Beweisen geeignet sind, die Verurteilung wegen eines Verbrechens zu begründen (vgl. Maur a.a.O. Vorbemerkung zu § 407 Rn. 4). Durch einen Strafbefehl wird somit ebenso wie durch ein Strafurteil ein strafrechtlich relevantes Verhalten mittels Verhängung der in § 407 Abs. 2 StPO vorgesehenen Rechtsfolgen – u.a. auch von Geld- oder Freiheitsstrafe – durch gerichtliche Entscheidung geahndet. Daher kann der Regelung des § 410 Abs. 3 StPO für die Gleichstellung von Strafbefehl und Strafurteil im Hinblick auf den presserechtlichen Auskunftsanspruch nichts Gegenteiliges entnommen werden, ganz abgesehen davon, dass es im presserechtlichen Kontext auf die Frage der Rechtskraft nicht entscheidungserheblich ankommt, da sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Pflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen nicht nur auf rechtskräftige Entscheidungen erstreckt, sondern bereits vor Rechtskraft greift (vgl. BVerfG, B.v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15 – juris Rn. 20).
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2. Nicht überzeugend ist daher auch das Vorbringen des Antragstellers, aufgrund der bloß „summarischen Prüfung“ des dem Anklagesatz entsprechenden Strafbefehls komme dem Strafbefehl eine erheblich verminderte Aussagekraft zu. Wie sich aus § 408 Abs. 2 StPO ergebe, genüge für die richterliche Entscheidung zum Erlass eines Strafbefehls ein hinreichender Tatverdacht, daher lasse § 373a StPO auch eine Wiederaufnahme des Verfahrens unter erleichterten Bedingungen zu. Es liege auf der Hand, dass das öffentliche Interesse an einer – in seiner Ermittlung und den Anforderungen an die Überzeugung des Gerichts – derart verminderten, einseitigen Sachverhaltsdarstellung nicht im selben Maße Geltung haben könne, wie ein nach Hauptverhandlung und Beweisaufnahme ergehendes Urteil. Auch bleibe der Strafbefehl – wie sich beispielsweise aus § 267 StPO ergebe – hinsichtlich der Vollständigkeit der inhaltlichen Darstellung weit hinter den Urteilsgründen eines Strafurteils zurück. Auch dieses Vorbringen führt nicht dazu, dass im Verfahren nach Art. 4 BayPrG der Anspruch auf Herausgabe eines (anonymisierten) Strafbefehls generell ausgeschlossen ist.
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Der Richter hat dem Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft nach § 408 Abs. 3 Satz 1 StPO nur dann zu entsprechen, wenn dem Erlass des Strafbefehls keine Bedenken entgegenstehen. Erachtet er den Angeschuldigten nicht für hinreichend verdächtig, so lehnt er den Erlass eines Strafbefehls ab (§ 408 Abs. 2 Satz 1 StPO). Hat er Bedenken, ohne eine Hauptverhandlung zu entscheiden, oder will er von der rechtlichen Beurteilung im Strafbefehlsantrag abweichen oder eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen und beharrt die Staatsanwaltschaft auf ihrem Antrag, beraumt der Richter nach § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO die Hauptverhandlung an. Der Richter ist damit an die Beurteilung der Staatsanwaltschaft nicht gebunden, sondern zu einer eigenen Bewertung berechtigt und verpflichtet (vgl. Maur in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, § 407 Rn. 1; Eckstein in Münchener Kommentar zur StPO, § 407 Rn. 15 m.w.N.). In der durch § 408 Abs. 3 StPO – entgegen § 206 StPO, wonach das Gericht bei der Beschlussfassung über die Eröffnung der Hauptverhandlung an die Anträge der Staatsanwaltschaft nicht gebunden ist – geforderten Übereinstimmung von Staatsanwaltschaft und Gericht in der rechtlichen Beurteilung und der festzusetzenden Rechtsfolge liegt eine erhöhte Gewähr für die Richtigkeit der Entscheidung (Maur a.a.O. Vorbemerkungen zu § 407 Rn. 3; Eckstein a.a.O. Rn. 15, 13 m.w.N.). Die vom Antragsteller vorgebrachte mindere Richtigkeitsgewähr kommt dem rechtskräftigen Strafbefehl somit grundsätzlich nicht zu (str.; Maur a.a.O. Vorbemerkungen zu § 407 Rn. 4), zumal das Strafbefehlsverfahren nach § 407 Abs. 1 Satz 2 StPO nur in einfach gelagerten Fällen durchgeführt werden darf, die sich ohne Hauptverhandlung aufklären lassen (Eckstein a.a.O. Rn. 12 m.w.N.). Wäre die „einseitige Sachverhaltsdarstellung“ aufgrund der Beschränkung der Prüfung des Tatgeschehens auf die Aktenlage und die damit unterstellte Fehleranfälligkeit des Strafbefehlsverfahrens tatsächlich gegeben, müsste dies zwangsläufig aus rechtsstaatlichen Gründen zu dessen Abschaffung führen (vgl. Maur a.a.O. § 410 Rn. 2). Auch steht es jedem Empfänger eines Strafbefehls frei, Einspruch gegen den Strafbefehl einzulegen, um in einer Hauptverhandlung einer „einseitigen Sachverhaltsdarstellung“ entgegenzutreten und daraus abgeleitete Beschuldigungen umfassend überprüfen zu lassen. Soweit der Antragsteller auf die erleichterten Wiederaufnahmemöglichkeiten in § 373a StPO verweist, bezieht sich dies – wie bereits ausgeführt – ausschließlich darauf, dass nach § 373a Abs. 1 StPO die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftigen Strafbefehl abgeschlossenen Verfahrens zuungunsten des Verurteilten auch zulässig ist, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früheren Beweisen geeignet sind, die Verurteilung wegen eines Verbrechens zu begründen. Ansonsten gelten nach § 373a Abs. 2 StPO für die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftigen Strafbefehl abgeschlossenen Verfahrens die §§ 359 bis 373 StPO – also die Vorschriften für die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Strafurteil abgeschlossenen Verfahrens – entsprechend. Worin insoweit der für den presserechtlichen Auskunftsanspruch durchgreifende Unterschied zwischen Strafbefehl und Strafurteil liegen soll, lässt der Antragsteller offen. Aus den vom Antragsteller aufgezeigten strafprozessualen Unterschieden zwischen Strafbefehl und Strafurteil lässt sich daher nichts dafür herleiten, dass der Strafbefehl nicht gleichermaßen Gegenstand eines presserechtlichen Auskunftsanspruchs sein kann.
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Zudem verkennt der Antragsteller die Reichweite der dem presserechtlichen Auskunftsanspruch innewohnenden Pressefreiheit. Der Presse kommt neben einer Informationsinsbesondere eine Kontrollfunktion zu. Beide Funktionen sind berührt, wenn ein Pressevertreter zum Zwecke der Berichterstattung über ein gerichtliches Strafverfahren und dessen Auswirkungen – wie hier im Hinblick auf die Vertrauenswürdigkeit der F. GmbH sowie entsprechende unternehmerische Entscheidungen ihres Geschäftsführers – recherchiert und nicht nur eine Berichterstattung über private Umstände zu Unterhaltungszwecken anstrebt. Das „Ob“ und „Wie“ der Berichterstattung ist Teil des Selbstbestimmungsrechts der Presse, das auch die Art und Weise ihrer hierauf gerichteten Informationsbeschaffungen grundrechtlich schützt (vgl. BVerfG, B.v. 14.9.2025 – 1 BvR 857/15 – juris Rn. 16). Selbst wenn der Beigeladene im weiteren Umgang mit den gewonnenen Informationen aus dem streitgegenständlichen Strafbefehl gesteigerte Sorgfaltspflichten zu beachten hätte, könnten diese Sorgfaltspflichten nicht schon generell zum Maßstab für das Zugänglichmachen der gerichtlichen Entscheidungen seitens der Gerichtsverwaltung gemacht werden (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 22) bzw. zu einer Verminderung des öffentlichen Informationsinteresses der Presse und damit zur Verneinung des Vorliegens einer veröffentlichungswürdigen Gerichtsentscheidung führen. Mit der Herausgabe des begehrten Strafbefehls ist gerade nicht präjudiziert, dass die Informationen von der Presse uneingeschränkt veröffentlicht werden dürfen.
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3. Soweit der Antragsteller meint, gegen die Veröffentlichungswürdigkeit von Strafbefehlen spreche auch, dass die Vermeidung von Öffentlichkeit ein wesentlicher Faktor des Strafbefehlsverfahrens sei und dass die Erwartung, der Inhalt des Strafbefehls gelange nicht an die Öffentlichkeit, für den Angeschuldigten ein ausschlaggebender Faktor sei, den Strafbefehl zu akzeptieren, misst er schon dem in Art. 6 Abs. 1 EMRK aufgestellten Öffentlichkeitsgrundsatz, der der einseitigen Disposition des Betroffenen entzogen ist, nicht die richtige Bedeutung zu. Der Öffentlichkeitsgrundsatz beinhaltet eine Reihe von Untergarantien, neben der Verhandlungs-, Verkündungs- und Volksöffentlichkeit auch die Medienöffentlichkeit, und stellt für den demokratischen Rechtsstaat ein eminent wichtiges Verfahrensrecht dar, das einer „Geheimjustiz“ mit stillen Willküranteilen vorbeugen soll (vgl. Gerst in Esser/Rübenstahl/Salinger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, Art. 6 EMRK, Rn. 33). Wie sich sowohl aus § 243 Abs. 4 StPO als auch aus § 160b StPO ergibt, dürfen zur Wahrung des Transparenzgebots auch Absprachen im gesamten gerichtlichen Verfahren nicht im Verborgenen bleiben. Zwar kann im gerichtlichen Verfahren unter den Voraussetzungen der §§ 171a GVG ff. der Ausschluss der Öffentlichkeit zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Prozessbeteiligten zulässig sein und auch einem Auskunftsanspruch der Presse können im Einzelfall die zu beachtenden Belange des Betroffenen entgegenstehen; dies ändert jedoch nichts an der generellen Veröffentlichungswürdigkeit von Strafbefehlen.
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4. Auch der Einwand des Antragstellers, anders als im Strafurteil, das in der Verhandlung vorgetragene entlastende Umstände gemäß § 267 Abs. 2 StPO zwingend enthalten müsse, gehöre etwaig entlastender Vortrag des Angeschuldigten im Ermittlungsverfahren nach § 409 StPO nicht zum Inhalt des Strafbefehls, geht schon deshalb ins Leere, weil sich § 267 Abs. 2 StPO nicht auf „entlastenden Vortrag“ des Angeschuldigten im Ermittlungsverfahren bezieht. Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich nach § 267 Abs. 2 StPO darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden. Unter § 267 Abs. 2 StPO fallen beispielsweise Strafmilderungsgründe des Strafrechts (etwa §§ 21, 23 Abs. 2, §§ 27, 46a und 46b StGB) wie des Nebenstrafrechts (§ 31 BtMG), vertypte Strafaufhebungs- (§§ 24, 186 StGB) oder Schuldausschließungsgründe (etwa § 20 StGB) sowie das Absehen von Strafe gemäß § 60 StGB (vgl. Wenske in Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 267 Rn. 292 m.w.N.). Die Erörterungspflicht entsteht erst mit einer entsprechenden Behauptung in der Hauptverhandlung; frühere Behauptungen – die etwa im Zwischenverfahren geäußert worden sind – genügen nicht (Wenske a.a.O. Rn. 295, 297 m.w.N.). Inwieweit es bei Behauptung derartiger Gründe überhaupt zu einer Verurteilung mittels Strafbefehl kommen kann, bleibt der Entscheidung der Staatsanwaltschaft bzw. der Strafgerichte vorbehalten. Einer Gleichstellung von Strafbefehl und Strafurteil im presserechtlichen Auskunftsverfahren steht dieser Einwand des Antragstellers auch deshalb nicht entgegen, weil die Staatsanwaltschaft gemäß § 160 Abs. 1 StPO den Sachverhalt zu erforschen und dabei nach § 160 Abs. 2 StPO auch entlastende Umstände zu ermitteln hat. Ziel der Erforschung des Sachverhalts ist es, der Staatsanwaltschaft die Entschließung darüber zu ermöglichen, ob gegen einen bestimmten Täter wegen einer bestimmten Straftat „genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage“ (hinreichender Tatverdacht) besteht oder das Verfahren einzustellen ist. Zu diesem Zweck hat sie in gleichem Maße die be- und entlastenden Umstände zu ermitteln, weil erst deren Gesamtwürdigung eine zutreffende Beurteilung des Verdachtsgrads gestattet. Umfang und Art der jeweiligen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft richten sich nach der besonderen Gestaltung des einzelnen Falls (vgl. Weingarten in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, § 160 Rn. 19 m.w.N.).
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Zudem ist weder dargelegt noch ersichtlich, inwieweit ein Pressevertreter durch die Einsicht in einen Strafbefehl – wie der Antragsteller meint – unvollständige oder gar irreführende Informationen erhalten soll. Im Übrigen übersieht der Antragsteller auch in diesem Zusammenhang die der Presse im weiteren Umgang mit den gewonnenen Informationen zukommenden Sorgfaltspflichten, die nicht schon generell zum Maßstab für das Zugänglichmachen der gerichtlichen Entscheidungen seitens der Gerichtsverwaltung gemacht werden können (vgl. BVerfG, B.v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15 – juris Rn. 22). Daher geht auch die Rüge fehl, der vom Verwaltungsgericht herangezogene Vergleich zwischen einem Strafbefehl und einem ebenfalls ohne mündliche Verhandlung ergehenden verwaltungsgerichtlichen Beschluss sei wegen der – im Gegensatz zu der dem Anklagesatz entsprechenden Sachverhaltsdarstellung im Strafbefehl – umfassenden Darstellung des Sach- und Streitstands unter Berücksichtigung der wesentlichen Argumente beider Parteien untauglich. Auch im verwaltungsgerichtlichen Beschlussverfahren erfolgt die Sachverhaltsermittlung anhand der Aktenlage und entbindet somit die Presse nicht, bei der weiteren Recherche entsprechende Sorgfaltspflichten walten zu lassen. Zudem ist der Beschuldigte gemäß § 163a Abs. 1 StPO spätestens vor Abschluss der Ermittlungen zum Tatgeschehen zu hören. Lediglich der vorherigen Anhörung des Angeschuldigten durch das Gericht bedarf es nach § 407 Abs. 3 StPO nicht.
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5. Ebenfalls nicht durchgreifend ist der Einwand des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe sich nicht hinreichend mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. Februar 2019 – AN 14 K 16.01572 (juris Rn. 32) auseinandergesetzt. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Ansbach streitgegenständlich war ausschließlich die Frage, ob der dortige Kläger, der sich nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts gerade nicht auf den geltend gemachten presserechtlichen Auskunftsanspruch gemäß Art. 4 Abs. 1 BayPrG berufen konnte, weil es sich bei ihm nicht um einen von der Vorschrift erfassten Pressevertreter handelte (vgl. Rn. 29 des Urteils), die Herausgabe eines nach Auffassung der dortigen Kammer nicht rechtskonkretisierenden oder -fortbildenden Strafurteils eines Schwurgerichts auf der Grundlage eines verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs verlangen konnte. Das Verwaltungsgericht Ansbach hat hierzu ausgeführt, insbesondere private Dritte hätten keinen voraussetzungslosen, neben § 475 StPO tretenden Auskunftsanspruch aufgrund Verfassungsrechts (vgl. Rn. 32 des Urteils m.w.N.). Anders als der Antragsteller meint, hat das Verwaltungsgericht Ansbach im genannten Urteil gerade keine Aussage dahingehend getroffen, ob eine Gerichtsentscheidung im Hinblick auf einen Herausgabeanspruch der Presse auch dann veröffentlichungswürdig ist, wenn ihr keine rechtskonkretisierende bzw. -fortbildende Bedeutung zukommt.
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6. Die weitere Kritik des Antragstellers an der Auffassung des Verwaltungsgerichts, im Falle rechtswidriger Presseberichterstattung könne der Betroffene um äußerungsrechtlichen Eilrechtsschutz vor den Zivilgerichten nachsuchen, setzt sich schon nicht im erforderlichen Maße (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) mit der gerichtlichen Begründung im Hinblick auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 937 Abs. 2 ZPO auseinander. Stattdessen behauptet der Antragsteller pauschal ohne Nachweis, presserechtliche Unterlassungsverfügungen ergingen in der Regel verspätet erst zwei bis drei Wochen nach Antragstellung. Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang darauf verweist, ein Strafbefehl als offizielles Dokument erschwere ein zivilrechtliches nachträgliches Vorgehen gegen die Berichterstattung, insbesondere auch im Hinblick auf fehlerhafte Angaben zum Sachverhalt in dem von der Staatsanwaltschaft formulierten Strafbefehl, sind die Regelungen der § 408 Abs. 3 StPO und § 410 Abs. 3 StPO sowie die Tatsache entgegenzuhalten, dass jeder Empfänger eines Strafbefehls fehlerhaften oder einseitigen Sachverhaltsdarstellungen durch Einlegung eines Rechtsmittels entgegentreten kann.
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7. Ebenfalls nicht entkräften kann der Antragsteller die Ansicht des Verwaltungsgerichts, für eine Publikationspflicht von Strafbefehlen spreche Nr. 3.2.1. der Bayerischen Presserichtlinie, wonach die Justizverwaltung eine Woche vor der Hauptverhandlung Abschriften des Anklagesatzes an die Presse herausgeben könne, wobei dieser gemäß § 200 StPO im Wesentlichen dem Inhalt des Strafbefehls entspreche. Auch wenn der Antragsteller zu Recht vorträgt, dass die Presse bei einer Berichterstattung zu diesem Zeitpunkt die Unschuldsvermutung zu beachten hat, gilt dies gerade nicht mehr, wenn der Strafbefehl ergangen und das Verfahren abgeschlossen ist. Inwieweit das Argument der Beachtung der Unschuldsvermutung während eines laufenden Strafverfahrens gegen die Veröffentlichungswürdigkeit von Strafbefehlen spricht, erschließt sich dem Senat nicht.
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8. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass sich der genannte Rechercheansatz als hinreichend plausibel darstellt, wobei es unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 23.3.2021 – 6 VR 1.21 – juris Rn. 13) berücksichtigt hat, dass es der Komplexität und möglichen Zweckfülle von Rechercheprozessen nicht gerecht wird, wenn das Gewicht eines geltend gemachten Auskunftsinteresses von einer dezidierten journalistischen Relevanzprüfung abhängig gemacht würde. Unter Würdigung der Ausführungen des Beigeladenen zu dessen Rechercheansatz (vgl. Schriftsatz des Beigeladenen v. 27.4. 2023 und BA S. 6: Es gebe Anzeichen dafür, dass die notwendigen Compliance-Maßnahmen nicht umgesetzt worden seien und es sei daher von Interesse, ob hier nicht ein systemisches Fehlverhalten vorliege. Offenbar sei die F. GmbH, wie unlängst aufgedeckt worden sei, in einen umfassenden Datenskandal in der Reisebranche verwickelt, der von 2015 bis März 2023 angedauert habe und der daher die Vorgänge aus den Jahren 2018 – 2020 um den Antragsteller als jetzigen CEO noch einmal aktualisiere.) hat das Verwaltungsgericht nachvollziehbar ausgeführt, dass es bei der geltend gemachten Recherche offenbar um die Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit der F. GmbH im Kontext von (internationalen) Vertragsbeziehungen gehe und in diesem Zusammenhang insbesondere die Rolle der Unternehmensspitze sowie die Compliance-Kultur untersucht werden sollen. Dabei handelt es sich – anders als der Antragsteller meint – gerade nicht um einen von vornherein aussichtslosen Rechercheansatz. Eine derart weitreichende Bewertung des Rechercheansatzes wie sie der Antragsteller verlangt, wäre im Übrigen mit dem Selbstbestimmungsrecht der Presse nicht vereinbar.
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9. Soweit der Antragsteller zusammenfassend die Auffassung vertritt, eine gerichtliche Entscheidung könne nur aus zwei Gründen für das öffentliche Informationsinteresse relevant sein, nämlich „entweder, weil der Sachverhalt ein Thema von öffentlichem Interesse berührt und/oder weil die rechtliche Begründung der Entscheidung das Recht in besonderer Weise konkretisiert oder fortbildet“, beide Kriterien erfülle ein Strafbefehl jedoch nicht, setzt er sich in Widerspruch zur Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts, wonach das öffentliche Informationsinteresse anhand des Gegenstands des Auskunftsersuchens und damit anhand der beabsichtigten Berichterstattung zu bestimmen ist (vgl. BVerfG, B.v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15 – juris Rn. 19). Diese Grundsätze hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung richtigerweise zugrunde gelegt.
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B. Das Vorbringen im Beschwerdeverfahren zeigt auch keine fehlerhafte Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Antragstellers aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG mit der Pressefreiheit des Beigeladenen aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auf.
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1. Der Antragsteller wendet gegen die Rechtmäßigkeit der Abwägungsentscheidung ein, anders als in dem vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. März 2023 – M 10 E 22.6192 – (juris) entschiedenen Fall liege hier der Erlass des Strafbefehls bereits mehr als drei Jahre zurück und stehe daher in keinem zeitlichen Zusammenhang mit der Presseanfrage. Die Verurteilung sei auch nicht mehr im Führungszeugnis des Antragstellers enthalten. Unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 – (juris; „Recht auf Vergessen“) trägt er zudem vor, der Zeitablauf sei im Rahmen der Abwägung immer zugunsten des Antragstellers und damit unabhängig von der vom Verwaltungsgericht angenommenen Reaktualisierung des öffentlichen Informationsinteresses zu berücksichtigen.
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Damit unterscheidet der Antragsteller nicht hinreichend zwischen der Zugänglichkeit von Gerichtsentscheidungen im Rahmen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs und den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen an den weiteren Umgang der Medien mit diesen Entscheidungen. Zwar können Berichte über zurückliegende Straftaten Grenzen unterliegen, um der Resozialisierung von Straftätern bzw. deren Anspruch, möglichst unbeeinträchtigt wieder ein normales Leben führen zu können, Rechnung zu tragen. Die Verantwortung für die Beachtung entsprechender Sorgfaltspflichten liegt dabei grundsätzlich bei den Medien selbst. Wie bereits ausgeführt, können diese Sorgfaltspflichten nicht schon generell zum Maßstab für das Zugänglichmachen der gerichtlichen Entscheidungen seitens der Gerichtsverwaltung gemacht werden (vgl. BVerfG, B.v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15 – juris Rn. 22). Insofern geht auch der Hinweis des Antragstellers auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. November 2019 -1 BvR 16/13 – (juris) fehl, da dort gerade kein presserechtlicher Auskunftsanspruch im Streit stand, sondern ein Anspruch auf Löschung von zurückliegenden Informationen, die von einem Verlag in einem Online-Pressearchiv veröffentlicht wurden und somit um eine Veröffentlichung durch die Presse selbst.
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Ungeachtet dessen kann vorliegend dahinstehen, ob bei der vorzunehmenden Rechtsgüterabwägung im Hinblick auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 14. September 2015 der Zeitablauf als solcher – wie der Antragsteller meint – zwingend zu seinen Gunsten berücksichtigt werden muss. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, liegt jedenfalls eine Reaktualisierung des öffentlichen Informationsinteresses wegen des späteren Karrieresprungs des Antragstellers in der F. GmbH im April 2021 mit Blick auf die Compliance-Kultur und die Unternehmensführung der F. GmbH hinsichtlich des „Datenskandals“ vor. Es sei nicht erkennbar, dass mit der anonymisierten Fassung des Strafbefehls an den Beigeladenen eine bereits länger zurückliegende Verurteilung als solche ohne konkreten Anlass reaktualisiert werde, da der Umstand des Bestehens des Strafbefehls vom 19. Mai 2020 bereits Gegenstand der Presseberichterstattung gewesen und dort auch ausgeführt worden sei, dass der Antragsteller wegen Betrugs zu einer mehrmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden sei. Dem ist der Antragsteller nicht entgegengetreten.
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2. Keinen beachtlichen Abwägungsfehler zeigt der Antragsteller mit seinem Einwand auf, es sei zwar vorliegend lediglich seine Sozialsphäre betroffen, im Hinblick auf das öffentliche Informationsinteresse ergäben sich jedoch maßgebliche Unterschiede zu dem vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. März 2023 – M 10 E 22.6192 – (juris) entschiedenen Fall, da hier kein Bezug zu Unternehmen bestünde, die Aufgaben der staatlichen Daseinsfürsorge erfüllten und zum Teil mit Steuermitteln arbeiteten. Nach der bereits angeführten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15 – juris Rn. 19) bestimmt sich das maßgebliche öffentliche Informationsinteresse anhand des Gegenstands des Auskunftsersuchens und damit anhand der beabsichtigten Berichterstattung, wobei das Selbstbestimmungsrecht der Presse eine dezidierte Relevanzprüfung und inhaltliche Bewertung verbietet. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Verwaltungsgericht das öffentliche Informationsinteresse im Hinblick auf die Vertrauenswürdigkeit des vom Antragsteller geführten großen Unternehmens der Touristikbranche in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt und gegenüber dem Recht des in seiner Sozialsphäre tangierten Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung gewichtet.
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C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht nach § 162 Abs. 3 VwGO der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen dem Antragsteller aufzuerlegen. Der Beigeladene hat sich mit seinem Sachantrag im Schriftsatz vom 2. Juni 2023 einem Kostenrisiko ausgesetzt.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).