Titel:
Gerichtskostenfreiheit von Jugendhilfeverfahren
Normenketten:
VwGO § 188
GKG § 66
Leitsatz:
Ob ein Rechtsstreit einem der Sachgebiete des § 188 S. 1 VwGO zuzuordnen ist, beurteilt sich nach dem sachlichen Schwerpunkt. Wesentliches Indiz ist dabei die Zugehörigkeit der maßgeblichen Anspruchsnorm zum Sachgebiet einschließlich des zugrundeliegenden Verwaltungsverfahrensrechts. Für den Fall einer Konkurrentenklage ist keine Zugehörigkeit zum Jugendhilferecht gegeben. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Konkurrentenklage, Gerichtskostenfreiheit, Jugendhilfeverfahren, sachlicher Schwerpunkt
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 31.01.2023 – AN 15 M 22.2563
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17241
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 31. Januar 2023 – AN 15 M 22.02563 – wird zurückgewiesen.
Gründe
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Über die mit Schreiben der Klägerin vom 11. April 2023 erhobene Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem ihre Erinnerung gegen die Kostenrechnung vom 25. November 2020 (Az.: AN 15 K 20.02447) zurückgewiesen wurde, entscheidet der Senat gemäß § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 GKG, § 87a Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 VwGO durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Sie ist unbegründet.
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Der Kostenansatz geht zutreffend davon aus, dass in dem zugrundeliegenden Verfahren Gerichtskosten entstanden sind und kein Fall des § 188 Satz 2 VwGO gegeben ist. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Beschlusses und sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend wird zum Beschwerdevorbringen der Klägerin Folgendes ausgeführt:
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Die Klägerin meint, es handele sich sehr wohl um eine Angelegenheit der Jugendhilfe. Das Verwaltungsgericht habe die Anforderungen an die Zuordnung eines Rechtsstreits zum Sachgebiet der Jugendhilfe im Sinne von § 188 Satz 1 VwGO deutlich überspannt. Zudem habe es die jugendhilfespezifischen Grundlagen und Zusammenhänge des hier betreffenden Klageverfahrens nicht hinreichend gewürdigt oder ganz übersehen. Für die Anwendbarkeit des § 188 VwGO reiche schon ein mittelbarer Bezug zu fürsorgerischen Jugendhilfemaßnahmen im weitesten Sinne aus. Das streitgegenständliche Hilfsprogramm sei ein höchst jugendhilfespezifisches Sonderprogramm, das unter Federführung und aus Haushaltstiteln des in Jugendhilfeangelegenheiten ressortzuständigen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales aufgesetzt worden sei. Der jugendhilfespezifische Förderzweck sei eindeutig ersichtlich. Das in der Hauptsache angestrengte Verwaltungsstreitverfahren drehe sich ganz spezifisch um kinder- und jugendhilferechtliche Fragestellungen. Das Verwaltungsgericht führe im angefochtenen Beschluss aus, es könne dahinstehen, dass die Klägerin keine anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe nach § 75 SBG VIII sei und sie im Kern wohl gewerbliche Beherbergung anbiete. Damit habe es sich selbst geradezu ad absurdum geführt, da es in dem der Hauptsache zugrundeliegenden Rechtsstreit gerade darauf ankomme, ob die Klägerin als Trägerin der freien Jugendhilfe zu qualifizieren sei.
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Gemäß § 188 Satz 1 VwGO soll unter anderem das Sachgebiet der Jugendhilfe in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefasst werden. Nach § 188 Satz 2 VwGO werden in den Verfahren dieser Art grundsätzlich keine Gerichtskosten erhoben.
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Ob ein Rechtsstreit einem der Sachgebiete des § 188 Satz 1 VwGO zuzuordnen ist, beurteilt sich nach dem sachlichen Schwerpunkt. Wesentliches Indiz ist dabei die Zugehörigkeit der maßgeblichen Anspruchsnorm zum Sachgebiet einschließlich des zugrundeliegenden Verwaltungsverfahrensrechts (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.1974 – V C 18.74 – juris Rn. 17; VG München, B.v. 11.3.2019 – M 31 K 19.898 – juris Rn. 6; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 188 Rn. 3).
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Im vorliegenden Fall betrifft der Rechtsstreit nicht das Sachgebiet „Jugendhilfe“. In ihrer Klageschrift vom 11. November 2020 hat die Klägerin beantragt,
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„1. sämtliche Bescheide des Beklagten, mit denen dem Beizuladenden Finanzhilfen als Billigkeitsleistungen nach Art. 53 BayHO aus dem von der Bayerischen Staatsregierung in ihrer Kabinettssitzung vom 21.04.2020 beschlossenen „Corona-Programm Soziales“ (Bayerisches Hilfsprogramm zur Sicherung der sozialen Infrastruktur im Bereich der bayerischen Jugendherbergen, der bayerischen Schullandheime, der bayerischen Jugendbildungsstätten und der bayerischen Familienferienstätten) bewilligt wurden, aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die auf Grundlage dieser Bescheide an den Beizuladenden ausgezahlten Finanzhilfen von diesem zzgl. Zinsen zurückzufordern;
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2. den Beklagten unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheids vom 08.10.2020 (Az…) zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin vom 31.07.2020 auf Bewilligung einer Finanzhilfe als Billigkeitsleistung nach Art. 53 BayHO aus dem von der Bayerischen Staatsregierung in ihrer Kabinettssitzung vom 21.04.2020 beschlossenen bayerischen „Corona-Programm Soziales“ (Bayerisches Hilfsprogramm zur Sicherung der sozialen Infrastruktur im Bereich der bayerischen Jugendherbergen, der bayerischen Schullandheime, der bayerischen Jugendbildungsstätten und der bayerischen Familienferienstätten) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.“
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Mit dieser Klage wollte sich die Klägerin gegen ihre (aus ihrer Sicht gegebene) wettbewerbliche Benachteiligung gegenüber dem Beigeladenen durch die Beklagte erwehren. Nach ihren eigenen Ausführungen hat sie mit ihrer kombinierten Anfechtungs- und Neubescheidungsklage ein auf Art. 3, 12 GG gestütztes Gleichstellungsbegehren verfolgt (s. Schriftsatz vom 10. Oktober 2022, Anlage BF 2, S. 15). Hierbei hat sie sich ausdrücklich auf ihr Grundrecht aus Art. 12 GG berufen und bezieht sich u.a. auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt, das über eine Konkurrentenklage entschieden hat, bei der es um die kommunale Förderung einer Pflegeeinrichtung ging (U. v. 21.10.2009 – 9 K 1230/07.DA – juris). Im Kern ging es der Klägerin somit um die Fragen, ob die Förderung des Beigeladenen durch den Beklagten eine wettbewerbsverzerrende Maßnahme darstellte, die ungerechtfertigt in ihre durch Art. 12 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit als konkurrierende Anbieterin von Beherbergungsleistungen eingegriffen hat und ob diese Förderung mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar war.
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Schon hieraus wird deutlich, dass es in diesem Verfahren nicht auf die Vorschriften des Jugendhilferechts (z.B. SGB VIII) ankommen konnte, sondern auf Art. 12 GG sowie die haushaltsrechtlichen Richtlinien in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgebot. Damit handelt es sich hier im Schwerpunkt um eine subventions- und wettbewerbsrechtliche Streitigkeit, und nicht um eine jugendhilferechtliche Streitigkeit (vgl. hierzu auch OVG LSA, B.v. 2.5.2023 – 4 P 103/23 – juris; BayVGH, U.v. 10.11.2021 – 4 B 20.1961 – juris Rn. 41).
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Etwas Anderes ergibt sich nicht daraus, dass sich der im Streit befindliche Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 8. Oktober 2020 darauf stützt, die Klägerin zähle nicht zum Adressatenkreis des Corona-Programm Soziales. Dieses Hilfsprogramm war adressiert an bayerische Jugendherbergen, Schullandheime, Jugendbildungsstätten und Familienferienstätten, die durch die Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten waren. Diese konnten im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel finanzielle Soforthilfen (Billigkeitsleistung) erhalten. Aus diesem Adressatenkreis folgt entgegen der klägerischen Auffassung nicht, dass sich die vorliegende Streitigkeit ganz spezifisch um kinder- und jugendhilferechtliche Fragestellungen dreht. Der fürsorgerische Bezug der Zuwendungen an die im Adressatenkreis genannten Einrichtungen reicht für die Annahme eines Schwerpunkts von Zuwendungsstreitsachen im Jugendförderungsrecht nicht aus (vgl. hierzu OVG LSA, B.v. 2.5.2023 – 4 P 103/23 – juris Rn. 7). Ebenso wenig reicht es aus, dass die Klägerin (u.a. auch) im Beherbergungsmarkt im Kinder- und Jugendtourismus tätig ist. Gerade aus ihrem ursprünglichen Klagebegehren (s.o.) ist ersichtlich, dass es hier nicht auf die Vorschriften des Jugendhilferechts ankommt, sondern auf solche des Wettbewerbs- und Subventionsrechts.
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Eine Entscheidung über die Kosten und den Streitwert im Beschwerdeverfahren war entbehrlich, weil dieses Verfahren gerichtsgebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden (§ 66 Abs. 8 GKG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, § 152 Abs. 1 VwGO).