Titel:
Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit
Normenketten:
StAG § 5, § 30 Abs. 1 S. 1
RuStAG § 4
RuStAÄndG 1974 Art. 3 Abs. 1, Abs. 6, Abs. 7
Leitsätze:
1. Die Bestandkraft eines die beantragte Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit ablehnenden Bescheids kann weder einem späteren Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Abgabe einer Erklärung nach § 5 StAG noch einer Einbürgerung entgegengehalten werden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Unterbleiben der Beiladung Dritter ist für die Rechtsstellung desjenigen, der als Beteiligter zur Wahrung der eigenen Interessen auf das Verfahrensergebnis einwirken konnte, ohne Bedeutung. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
isolierte Anfechtungsklage gegen negative Feststellung betreffend den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt, Beschwer durch Klageabweisung, Abgabe einer Erklärung zum Staatsangehörigkeitserwerb, deutsche Staatsangehörigkeit, Erwerb von der Mutter, Abstammung, Verfahrensfehler
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 18.08.2021 – M 25 K 19.4144
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17239
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Bescheides des Beklagten vom 15. Juli 2019, in dem sein Antrag auf Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit abgelehnt wurde.
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Am 17. Juni 2019 beantragte der Kläger beim Landratsamt N.-Sch. die Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit und die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises. Im Antragsformular gab er an, er habe die deutsche Staatsangehörigkeit durch Abstammung von der Mutter erworben.
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Mit Bescheid des Landratsamtes vom 15. Juli 2019 wurde der Antrag vom 17. Juni 2019 abgelehnt. Nach der maßgeblichen Rechtslage zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers im Jahr 1956 habe dieser die deutsche Staatsangehörigkeit als eheliches Kind nur von seinem Vater erwerben können. Dieser sei jedoch nicht deutscher Staatsangehöriger gewesen. Ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach der Mutter sei nach damaliger Rechtslage nicht möglich gewesen. Es werde festgestellt, dass der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Abstammung erworben habe.
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Am 15. August 2019 erhob der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 15. Juli 2019 zum Verwaltungsgericht München, mit der er sein Antragsbegehren vom 17. Juni 2019 weiterverfolgte. Nachdem er in die Ukraine abgeschoben worden war beantragte er zuletzt, den Bescheid vom 15. Juli 2019 aufzuheben.
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Die Klage wurde mit Urteil vom 18. August 2021 abgewiesen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
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Der Beklagte tritt dem Antrag entgegen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
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1. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der Kläger ist zwar durch das angefochtene Urteil vom 18. August 2021 beschwert (unter a). Die mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2021 fristgemäß (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) geltend gemachten Zulassungsgründe liegen jedoch nicht vor (unter b).
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a) Der Antrag ist nicht bereits deshalb unbegründet, weil der Kläger durch das Urteil vom 18. August 2021 nicht beschwert wäre.
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Der Beklagte weist zutreffend darauf hin, die Bestandskraft des Bescheides vom 15. Juli 2019 könne weder einem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Abgabe einer Erklärung nach § 5 Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) in der Fassung vom 12. August 2021 (im Folgenden StAG n.F.) noch einer Einbürgerung entgegengehalten werden, da sich die Wirkung des Ablehnungsbescheids auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung bezieht und einem nachträglichen Staatsangehörigkeitserwerb von vornherein nicht entgegenstehen kann. Dazu kommt vorliegend, dass sich die in der Antragsablehnung enthaltene negative Feststellung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG n.F. ausweislich der Begründung des Bescheids (S. 2, letzter Absatz) ausdrücklich auf den Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt beschränkt (vgl. zum Regelungsumfang einer Genehmigungsablehnung Stelkens in Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 35 Rn. 144). Allerdings hat der Kläger ein berechtigtes Interesse daran, die negative Feststellung ungeachtet ihrer beschränkten Reichweite zu beseitigen. Die Bestandskraft dieser Feststellung würde ihn künftig grundsätzlich an der Geltendmachung eines Staatsangehörigkeitserwerbs durch Geburt hindern.
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Der Beklagte ist der Auffassung, das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsklage des Klägers sei wegen des Erklärungsrechts gemäß § 5 StAG n.F. entfallen. Dem ist nicht zu folgen. Es ist unter den Beteiligten streitig, ob die Mutter des Klägers deutsche Staatsangehörige gewesen ist. Im Hinblick darauf kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass das Begehren, als deutscher Staatsangehöriger anerkannt zu werden, einfacher, insbesondere durch schlichte Erklärung gemäß § 5 StAG, erreicht werden kann (vgl. OVG NRW, B.v. 23.2.2022 – 19 A 279/21 – juris Rn. 4).
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b) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen einzelnen tragenden Rechtssatz und keine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – DVBl 2019, 1400 Rn. 32 m.w.N.).
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aa) Der Kläger rügt im Wesentlichen, der Bescheid vom 15. Juli 2019 sei aufzuheben, weil der Beklagte nicht mehr entscheidungsbefugt sei; mittlerweile liege die Zuständigkeit für die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers beim Bundesverwaltungsamt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe der Kläger auch „die erforderliche Erklärung“ abgegeben und angegeben, weshalb eine solche nicht zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen sei. Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht § 5 StAG in der Fassung vom 12. August 2021 bei seiner am 18. August 2021 ergangenen Entscheidung nicht berücksichtigt.
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bb) Diese Argumentation erweckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Bewertung des Verwaltungsgerichts.
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Zum Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung hatte der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland; daher war das Bundesverwaltungsamt für seine Staatsangehörigkeitsangelegenheiten zuständig (§ 5 BVwAG). Für die Rechtmäßigkeit des isoliert angefochtenen Bescheids vom 15. Juli 2019 ist jedoch maßgeblich, dass das Landratsamt zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses sachlich (§ 1 Verordnung über die Zuständigkeit der Staatsangehörigkeitsbehörden vom 2.1.2000 [GVBl. S. 6; BayRS 102-3-I], zuletzt geändert durch § 1 Abs. 1 der Verordnung vom 26.3.2019 [GVBl. S. 98]) und örtlich (Art. 3 Abs. 1 Nr. 3a BayVwVfG) zuständig war. Im Übrigen war der Beklagte auch nach der Änderung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes hinsichtlich der isolierten Anfechtungsklage passivlegitimiert, da das Landratsamt N.-Sch. den Bescheid vom 15. Juli 2019 als Staatsbehörde (Art. 37 Abs. 1 Satz 2 LKrO) erlassen hat (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
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Ein Wechsel der behördlichen Zuständigkeit für Staatsangehörigkeitsangelegenheiten hat entgegen der Auffassung des Klägers nicht zur Folge, dass Entscheidungen der bisher zuständigen Behörde aufzuheben wären. Vielmehr sind andere Behörden nach Maßgabe des § 30 StAG an die Staatsangehörigkeitsfeststellung gebunden.
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Das Verwaltungsgericht (UA Rn. 22) hat festgestellt, der Kläger habe bis zum 31. Dezember 1977, d.h. vor Ablauf der Frist gemäß Art. 3 Abs. 6 des Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAÄndG 1974) vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3714), keine Erklärung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Satz 1 dieses Gesetzes abgegeben; er habe nach Fristablauf nicht dargelegt, dass er ohne Verschulden außerstande gewesen sei, die Erklärungsfrist einzuhalten (Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974). Der Kläger ist dem nicht substantiiert und schlüssig entgegengetreten. In der Antragsbegrünung behauptet er lediglich sinngemäß, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts eine Erklärung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Satz 1 RuStAÄndG 1974 abgegeben zu haben, was ihm erst durch den Zugang zu Akten des Bundesarchivs möglich geworden sei; nachprüfbare konkrete Angaben hierzu (z.B. genauer Erklärungsinhalt und Zeitpunkt) fehlen.
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Im Übrigen hat der Kläger im Klageverfahren selbst vorgetragen (vgl. Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 14.1.2021, Bl. 31 der Gerichtsakte), es bestehe keine Möglichkeit des Erwerbs der Staatsangehörigkeit durch Abgabe einer Erklärung, nachdem „das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1974“ aufgehoben worden sei. Zwar habe er, der sich an die deutschen Behörden gewandt und sich auf seine Staatsangehörigkeit berufen habe, erklärt, deutscher Staatsangehöriger werden zu wollen; diese Erklärung sei aber nach Aufhebung des Gesetzes ins Leere gegangen. Insoweit bezieht sich der Kläger wohl auf das Gesetz zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 20. Dezember 1974, das durch Art. 2 des Erstes Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums des Innern vom 19. Februar 2006 (BGBl I S. 334) mit Wirkung vom 1. August 2006 (vgl. Art. 100 Abs. 2 des Gesetzes) mit Aufhebung der Art. 3 bis 5 aufgelöst wurde.
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Der Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung vom 18. August 2021 rechtsfehlerhaft die Vorschrift des § 5 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) in der Fassung vom 12. August 2021 (StAG n.F.) nicht berücksichtigt, ist nicht zu folgen. Dabei ist nicht entscheidungserheblich, ob es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 15. Juli 2019, d.h. für das Bestehen des geltend gemachten Aufhebungsanspruchs auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses oder den der Gerichtsentscheidung ankommt. Aus der Antragsbegründung ergibt sich bereits nicht, dass der Kläger einen Antrag im Sinne des § 5 StAG n.F. gestellt hätte. Er meint, mit dem Antrag auf Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit habe er im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 StAG n.F. zum Ausdruck gebracht, deutscher Staatsangehöriger werden zu wollen. Dem ist nicht zu folgen. Der Antrag des Klägers ist nicht auf den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit gerichtet gewesen, sondern war auf die Feststellung einer bereits durch Geburt erworbenen Staatsangehörigkeit beschränkt. Gegen einen weitergehenden Erklärungsinhalt spricht zudem, dass zu diesem Zeitpunkt kein entsprechender gesetzlicher Erwerbstatbestand existierte, wie der Kläger im Klageverfahren zutreffend ausführte (eine Erklärung, die „ins Leere“ gegangen sei). Ob eine solche Erklärung vor Inkrafttreten der Vorschrift des § 5 StAG n.F. den Erwerb der Staatsangehörigkeit hätte bewirken können, ist sehr zweifelhaft, jedoch nicht entscheidungserheblich.
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c) Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
22
Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob eine vor Inkrafttreten des § 5 StAG n.F. abgegebene Erklärung, deutscher Staatsangehöriger werden zu wollen, als Erklärung im Sinne der genannten Vorschrift weiter gilt und ob durch diese Erklärung eine Person, die nach Inkrafttreten des Grundgesetzes geboren ist, die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, wenn sie von einem Elternteil deutscher Staatsangehörigkeit abstammt.“ Diese Rechtsfrage ist bereits nicht entscheidungserheblich und damit nicht in einem Berufungsverfahren klärungsfähig, da der Kläger eine Antragstellung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 StAG n.F. bereits nicht schlüssig aufgezeigt hat (oben 1. b) bb).
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d) Es liegt kein Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO vor.
24
Der Kläger meint, das Verwaltungsgericht hätte das Bundesverwaltungsamt als die seinerzeit für die begehrte Feststellung zuständige Behörde beiladen müssen. Aus diesem Vortrag kann sich kein Verfahrensfehler ergeben, durch den der Kläger beschwert wäre und der insoweit die Zulassung der Berufung rechtfertigen könnte. Wer wie der Kläger ordnungsgemäß am Verfahren beteiligt war und entsprechend auf das Verfahrensergebnis einwirken konnte, wird durch das Unterbleiben der notwendigen Beiladung eines Anderen nicht in eigenen Rechten berührt (BVerwG, B.v. 14.8.2019 – 9 B 24.19 – juris Rn. 31).
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In der Antragsbegründung vom 22. Oktober 2022 wird weiter vorgetragen, der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sei verletzt worden, weil er mit seinem Vortrag zur Abgabe einer Erklärung im Sinne des § 5 StAG „im Urteil nicht gehört“ worden sei. Daraus ergibt sich bereits nicht konkret, welchem Schriftsatz seines Bevollmächtigten ein solcher Vortrag des Klägers zu entnehmen gewesen wäre. Insbesondere auch sein Vortrag, durch seinen Antrag auf Feststellung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt habe er eine Erklärung zum Erwerb der Staatsangehörigkeit abgegeben, die mangels Erwerbstatbestand durch Erklärung ins Leere gegangen sei, spricht gegen die Interpretation, er habe bereits eine Erklärung im Vorgriff auf § 5 StAG n.F. abgeben wollen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 47, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 42.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).