Inhalt

VGH München, Beschluss v. 22.06.2023 – 24 ZB 23.30260
Titel:

erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung (Einzelfall -Asyl)

Normenketten:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 86 Abs. 2, Abs. 3, § 104 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3
Leitsätze:
1. Hatte der Beteiligte hinreichende Möglichkeit, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, hat er hiervon aber keinen Gebrauch gemacht, kommt ein Gehörsverstoß nicht in Betracht. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Frage, ob das nationale Recht eines anderen Mitgliedstaates gegen europäisches Sekundärrecht verstößt, ist einer Klärung durch deutsche Gerichte nicht zugänglich. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sekundärmigration (Slowakei), Anspruch auf rechtliches Gehör, richterliche Hinweis- und Erörterungspflicht, behaupteter Verstoß einer nationalen Regelung eines Mitgliedsstaats gegen europäisches Sekundärrecht, rechtliches Gehör, Beweisantrag, Grundsatzrüge, Erörterungspflicht, europäisches Sekundärrecht
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 14.02.2023 – M 17 K 19.32613
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17234

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und eines Verfahrensfehlers (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 VwGO) wurden nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt oder liegen nicht vor.
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1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels durch Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) ist nicht gegeben.
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Das Gebot des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidung zu berücksichtigen sowie den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu geben. Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt grundsätzlich nicht vor einer defizitären Aufklärung durch das Gericht. Denn Sachverhaltsermittlung und Würdigung der Tatsachen sind dem materiellen Recht zugehörige Erkenntnisvorgänge, die nicht dem äußeren Verfahrensgang zuzurechnen sind, der allein der Wahrung des rechtlichen Gehörs dient (vgl. Redeker in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.4.2023, § 78 AsylG Rn. 35). Entsprechend stellt der Grundsatz nur sicher, dass das Gericht die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und würdigt, weder aber resultiert aus ihm eine Pflicht zur allgemeinen Aufklärung i.S.v. § 86 Abs. 1 VwGO (vgl. BVerwG, B.v. 1.3.2002 – 1 B 352.01 – juris Rn. 7) noch eine allgemeine Fragepflicht (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1999 – 9 B 981.98 – Buchholz 11 Art. 103 Abs. 1 GG Nr. 54 m.w.N.) oder ein Anspruch darauf, dass das Gericht Tatsachen erst beschafft oder von sich aus Beweis erhebt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 12; BayVerfGH, E.v. 13.3.1981 – Vf. 93-VI-78 – VerfGH n.F. 34, 47). Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird jedoch verletzt, wenn ein Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten, obwohl es auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung für seine Entscheidung erheblich ist, nicht zur Kenntnis nimmt, nicht in Erwägung zieht oder aus prozessrechtlich unzulässigen Gründen unberücksichtigt lässt (stRspr, z.B. BVerwG, B.v. 2.11.2007 – 3 B 58.07 – juris Rn. 4). Dementsprechend verletzt auch die vom Prozessrecht nicht gestützte Nichtberücksichtigung eines Beweisangebots das rechtliche Gehör (BVerfG, B.v. 10.2.2009 – 1 BvR 1232/07 – juris Rn. 21; BVerwG, B.v. 18.10.2012 – 8 B 18.12 – juris Rn. 10). Gleiches gilt, wenn sich dem Gericht auf Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Aufklärung in der aufgezeigten Richtung hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2020 – 4 B 28.19 – juris Rn. 7; BVerwG, B.v. 31.7.2014 – 2 B 20.14 – juris Rn. 14).
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a) Soweit die Kläger die unterbliebene Vernehmung des behandelnden Arztes der Klägerin zu 2) als Zeugen rügen, stellt dies keinen Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs dar.
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Nach den oben dargelegten Grundsätzen verlangt der Anspruch auf rechtliches Gehör nur, dass den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung gegeben wird und gebietet dem Gericht, formell ordnungsgemäßen, prozessrechtlich beachtlichen Beweisanträgen nach § 86 Abs. 2 VwGO zu entscheidungserheblichen Fragen nachzugehen. Hatte der Beteiligte hinreichende Möglichkeit, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, hat er hiervon aber keinen Gebrauch gemacht, scheidet ein Gehörsverstoß aus (BVerwG, U.v. 22.8.1985 – 3 C 17.85 – juris Rn. 19). Ausweislich des Protokolls zur mündlichen Verhandlung wurde ein unbedingter Beweisantrag mit dem Ziel, den Arzt der Klägerin zu 2) als Zeugen zu hören, nicht gestellt, obwohl die Klagepartei zusammen mit ihrem Bevollmächtigten an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hatte. Das Protokoll begründet gemäß § 105 VwGO i.V.m. § 165 Satz 1 ZPO bzw. § 98 VwGO i.V.m. §§ 415, 418 ZPO den vollen Beweis für die protokollierten und die zu protokollierenden Vorgänge und erhebt in diesem Sinne Anspruch auf Vollständigkeit; demnach belegt die fehlende Erwähnung im Protokoll, dass ein Beweisantrag nicht gestellt worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 26.4.2022 – 4 BN 28.21 – juris Rn. 8). Der Verweis des Zulassungsvorbringens auf die im Vorfeld schriftsätzlich beantragte Zeugenvernehmung des Arztes ist insoweit nicht ausreichend, da diese gerade keinen Beweisantrag im Sinne des § 86 Abs. 2 VwGO darstellt und die Stellung eines formell ordnungsgemäßen Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung nicht entbehrlich macht. Es liegt auch kein Verstoß gegen die Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts vor, wenn das Gericht den Arzt nicht von Amts wegen vernommen hat, da weder ersichtlich noch vorgetragen ist, dass sich dessen Vernehmung dem Gericht hätte aufdrängen müssen. Das Tatsachengericht verletzt seine Aufklärungspflicht nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine anwaltlich vertretene Partei nicht beantragt hat. Die Rüge der mangelnden Sachverhaltsaufklärung kann nicht dazu dienen, formelle Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter zumutbar hätte stellen können, aber zu stellen unterlassen hat (Seeger in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.4.2023, AsylG § 78 Rn. 32).
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b) Ebenso wenig ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in dem Vorbringen ersichtlich, das Gericht habe den Vortrag zum Gesundheitszustand der Klägerin zu 2) nicht berücksichtigt.
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur dann verletzt, wenn das Gericht Tatsachenvortrag der Klagepartei entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder aber bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat. Dies ist vorliegend entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht der Fall. Denn das Verwaltungsgericht hat sich mit dem gesundheitlichen Zustand der Klägerin zu 2) in den Entscheidungsgründen befasst und festgestellt, dass aufgrund des in der Slowakei existierenden, den europäischen Standards entsprechenden Gesundheitssystems mit kostenlosem Zugang für Asylbewerber und international Schutzberechtigte keine konkrete erhebliche Gefahr für Leib oder Leben bei einer Rückkehr in die Slowakei vorliegt (vgl. UA S. 12 oben). Unabhängig davon („zudem“) hat sich das Verwaltungsgericht mit den für die Klägerin zu 2) vorgelegten ärztlichen Attesten auseinandergesetzt und diese als nicht ausreichend beurteilt, um die Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG zu erschüttern, da es sich hierbei nach den Feststellungen des Gerichts nicht um qualifizierte ärztliche Atteste i.S.v. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG handelt.
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c) Es trifft nicht zu, dass das Verwaltungsgericht wesentlichen Sachvortrag der Kläger zu den Zuständen in der Slowakei – so wie im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt geschildert – nicht zur Kenntnis genommen hätte und dadurch den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör verletzt hätte.
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Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Um dennoch einen entsprechenden Verstoß feststellen zu können, müssen im Einzelfall besondere Umstände dargelegt werden, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG, B.v. 12.12.2007 – 1 BvR 61/05 – juris Rn. 10; BVerfG, B.v. 28.4.2023 – 2 BvR 924/21 – Rn. 31 ff.).
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Das Verwaltungsgericht hat das Vorbringen der Kläger ausweislich des angefochtenen Urteils demnach zur Kenntnis genommen. So wird im Rahmen des Tatbestands auf die Anhörung der Kläger am 28. Mai 2019 beim Bundesamt – auf die auch das Zulassungsvorbringen Bezug nimmt – verwiesen und sowohl die von der Klägerin zu 1) erlebten Diskriminierungen als auch die Schikanen der Kinder angeführt, ebenso ihre Angabe, dass die Kläger nie in der Slowakei einen Asylantrag hätten stellen wollen, sondern ihr Ziel von Anfang an Deutschland war. Das Gericht folgert aus diesen Umständen in den Entscheidungsgründen, dass die Kläger freiwillig ausgereist seien, wodurch offenkundig wird, dass das Gericht diesen Vortrag zur Kenntnis genommen und sich damit befasst hat. Das Zulassungsvorbringen vermag insoweit auch nicht mittelbar einen Aufklärungsverstoß zu rügen. Denn es ist weder ersichtlich noch dargelegt, weshalb sich eine weitere Aufklärung diesbezüglich hätte aufdrängen müssen. Ein Aufklärungsmangel kann bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten nur dann angenommen werden, wenn das Gericht einem förmlich in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht nachgegangen ist oder sich die Beweiserhebung geradezu aufdrängt (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 10.12.2020 – 2 B 6.20 – juris Rn. 8 m.w.N.). Dies ist vorliegend weder ersichtlich noch dargelegt.
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d) Es stellt keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dar, dass das Gericht in der mündlichen Verhandlung keinen richterlichen Hinweis dahingehend gegeben hat, dass das Bestreiten der ordnungsgemäßen Belehrung durch die slowakischen Behörden als nicht ausreichend substantiiert erachtet wird.
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§ 86 Abs. 3 VwGO enthält eine nicht abschließende Regelung zur richterlichen Hinweispflicht und ist eine Ausprägung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – juris Rn. 37). Das Gericht soll dem Kläger aufgrund seines besseren Überblicks bei der Rechtsverfolgung behilflich sein und ihm den rechten Weg weisen, wie er das erstrebte Ziel am besten und zweckmäßigsten erreichen kann (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 86 Rn. 84). Nach § 86 Abs. 3 VwGO soll verhindert werden, dass die Durchsetzung von Rechten an der Unerfahrenheit, Unbeholfenheit oder der mangelnden Rechtskenntnis eines Beteiligten scheitert. Hinweise sind vor allem dann geboten, wenn ein Beteiligter erkennbar von falschen Tatsachen ausgeht und es deshalb unterlässt, das vorzutragen, was für seine Rechtsverfolgung notwendig wäre (BVerwG, B.v. 6.7.2001 – 4 B 50.01 – juris Rn. 11). Die Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO wird durch die Erörterungspflicht nach § 104 Abs. 1 VwGO ergänzt und konkretisiert den Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Hinweis- und Erörterungspflicht kann es notwendig machen, die Beteiligten auf die Rechtslage aus Sicht des Gerichts aufmerksam zu machen, um diesen die Stellung sachdienlicher Anträge zu ermöglichen und eine unzulässige Überraschungsentscheidung zu vermeiden (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 86 Rn. 89). Allerdings ist das Gericht nicht verpflichtet, die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen und offenzulegen, wie es seine Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung bleibt der abschließenden Beratung bzw. Urteilsfindung im Anschluss an die mündliche Verhandlung vorbehalten (BVerwG, B.v. 27.1.2015 – 6 B 43.14 – juris Rn. 24). Ebensowenig folgt aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör auch in der Ausprägung, die er in § 86 Abs. 3 VwGO und § 104 Abs. 1 VwGO gefunden hat, eine Pflicht des Gerichts zur umfassenden Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 15.9.2016 – 9 B 13/16 – juris Rn. 10 m.w.N.). Etwas Anderes gilt dann, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf – selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen – nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. etwa BVerwG, B.v. 8.11.2006 – 10 B 37.06 – juris Rn. 4 mwN).
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Ausweislich des Protokolls wurde in der mündlichen Verhandlung die Belehrung der Kläger durch die slowakischen Behörden thematisiert und die Kläger hatten Gelegenheit, sich hierzu zu äußern. Damit fehlt der Einbeziehung dieses Umstands in die Entscheidungsgründe schon das überraschende Element. Hiervon zu trennen ist die durch das Gericht erfolgte Bewertung des Parteivortrags bzw. das Bestreiten der von der Beklagten angenommenen Tatsache, dass die Kläger in der Slowakei ordnungsgemäß belehrt worden waren, als nicht substantiiert. Denn hierbei handelt es sich um die Würdigung des Prozessstoffes im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Nach dem oben Gesagten ist das Gericht nicht verpflichtet, die anwaltlich vertretenen Kläger auf seine beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen.
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2. Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung.
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Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Seeger in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 78 AsylG Rn. 18 ff; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 78 AsylG Rn. 11 ff.). Die Grundsatzfrage muss zudem anhand des verwaltungsgerichtlichen Urteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig, dass der Rechtsmittelführer die Materie durchdringt und sich mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer zudem Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 2). Hierbei genügt es nicht dem Darlegungserfordernis gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, wenn lediglich Zweifel an der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils geäußert werden oder lediglich behauptet wird, dass sich die entscheidungserheblichen Tatsachen anders darstellen als vom Verwaltungsgericht angenommen. Vielmehr bedarf es der Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen und über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Tatsachen, etwa mit Blick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Stellungnahmen von Sachverständigen oder das Gewicht einer abweichenden Meinung, einer unterschiedlichen Würdigung und damit einer Klärung im Berufungsverfahren zugänglich sind (vgl. Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 214). Dabei gilt allgemein, dass die Anforderungen an die Darlegung nicht überspannt werden dürfen, sondern sich nach der Begründungstiefe der angefochtenen Entscheidung zu richten haben.
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a) Die Kläger halten für klärungsbedürftig, ob eine Freiwilligkeit der Ausreise auch dann anzunehmen ist, sofern ein muslimischer Asylbewerber die Slowakei aufgrund von Diskriminierungen und Anfeindungen verlässt. Zur Begründung wird ausgeführt, viele muslimische Flüchtlinge litten in der Slowakei unter Diskriminierung und Verfolgung und würden gezielt diskriminiert. Dies ergebe sich aus dem beiliegenden Bericht von Ingo ter Meulen vom 18. August 2021, sowie dessen Stellungnahme vom 1. April 2023. Folglich sei bei muslimischen Asylbewerbern prinzipiell davon auszugehen, dass die Ausreise aus der Slowakei aufgrund der dort vorherrschenden Verhältnisse nicht freiwillig erfolge, wie bei den hiesigen Klägern. Damit könne den Klägern aber nicht entgegengehalten werden, dass sie freiwillig auf den durch die Slowakei gewährten Schutzstatus verzichtet hätten.
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Die Frage, ob eine Ausreise aus der Slowakei eines muslimischen Flüchtlings, die aufgrund von Diskriminierungen erfolgte, unfreiwillig sei, dürfte wohl nur im jeweiligen Einzelfall zu beantworten und damit nicht allgemein klärungsfähig sein. Darüber hinaus lässt sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen, weshalb die aufgeworfene Grundsatzfrage klärungsbedürftig sein soll, da sie keine Verknüpfung zu einer Rechtsfolge herstellt.
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Sollte das Zulassungsvorbringen dahingehend verstanden werden, dass die Beschwerde geklärt haben möchte, ob muslimische Flüchtlinge in der Slowakei einer derartigen Diskriminierung ausgesetzt sind, die aufgrund ihrer Intensität und Regelhaftigkeit kausal dazu führt, dass jedwede Ausreise eines muslimischen Ausländers aus der Slowakei unfreiwillig erfolgt und damit eine etwaige Statusverschlechterung (hier: Verlust des slowakischen Schutzstatus) im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen ist, verfehlt sie die Anforderungen an die Darlegung gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Das Zulassungsvorbringen postuliert zwar das Bestehen einer regelhaften und schwerwiegenden Diskriminierung von muslimischen Flüchtlingen in der Slowakei, benennt hierzu jedoch keine einschlägigen begründeten Informationen, Auskünfte oder sonstige Erkenntnismittel. Soweit auf den als K4 vorgelegten Bericht „Staatlich und kirchlich geförderte Islamophobie und Diskriminierung von Muslimen in der Slowakei“ vom 18. August 2021 von I* … … … verwiesen wird, handelt es sich hierbei offenkundig um die persönliche Meinung einer Privatperson, die von einer aufbereiteten Sammlung von Zusammenfassungen von bzw. Auszügen aus verschiedenen Berichten und Artikeln aus den Jahren 2015 bis 2020 begleitet wird. Der Verfasser erstellte dieses Konvolut ausweislich der Fußzeile als Mitglied eines gemeinnützigen Vereins im Bereich der Flüchtlingshilfe. Welches besondere Wissen oder welche Expertise ihm außerhalb seines ehrenamtlichen Engagements hinsichtlich der tatsächlichen Situation von muslimischen Flüchtlingen in der Slowakei oder der dortigen Rechtslage zukommt, ist weder ersichtlich noch dargelegt. Der vorgelegte Bericht entbehrt darüber hinaus eines roten Fadens und ist teilweise ohne nachvollziehbare Quellenangaben. Die herangezogenen Auszüge sind überwiegend unvollständig, erscheinen mit Blick auf die Kernaussage des Berichts einseitig selektiert und in ihrer Zusammenstellung kuratiert; die Übersetzungen aus dem Slowakischen sind ausweislich der Angabe auf dem Deckblatt „über Google“ erfolgt, was ebenfalls Zweifel an der Verlässlichkeit weckt. Inhaltlich gibt der Bericht mehrere Jahre zurückliegende Berichte und Artikel wieder, die auf Zustände bzw. Vorfälle, überwiegend aus 2015 und 2016 Bezug nehmen. Damit vermag dieser Bericht schon keine konkreten Anhaltspunkte darzulegen, dass die in der Zulassungsfrage formulierte hohe Wahrscheinlichkeit der behaupteten Diskriminierung tatsächlich bestehen könnte. Die als K5 vorgelegte „Stellungnahme vom 1. April 2023“ derselben Person ist entgegen der Bezeichnung weder datiert noch fortlaufend paginiert. Es ist zudem nicht ersichtlich, zu welchem Zwecke sie erstellt wurde. Es scheint sich hierbei um eine Art rechtliche Einschätzung der Frage der Freiwilligkeit der Ausreise der Kläger zu handeln, was schon nicht geeignet ist, die Klärungsbedürftigkeit der oben aufgeworfenen Frage darzulegen. Ungeachtet dessen geht das Zulassungsvorbringen diesbezüglich nicht auf die Feststellung des Verwaltungsgerichts ein, dass im Hinblick auf die geltend gemachten Diskriminierungen es den Klägern möglich und zumutbar sei, Hilfe durch den grundsätzlich schutzwilligen und schutzfähigen slowakischen Staat zu erlangen.
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b) Die Kläger halten darüber hinaus für klärungsbedürftig, ob in der Slowakei systemische Mängel bestehen, die nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO zu einem Selbsteintrittsrecht der Beklagten führen. Den Klägern drohe bei einer Überstellung in die Slowakei Verelendung. Die Kläger erwarte eine Diskriminierung und staatliche Willkür, es sei nicht damit zu rechnen, dass sie Arbeit oder Obdach finden würden. Dies gehe auch aus der Entscheidung des VG Magdeburg (B.v. 8.9.2017 – 8 B 394/17) hervor.
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Diese Frage ist schon nicht entscheidungserheblich, da es sich vorliegend nicht um ein Verfahren zur Bestimmung des für den Antrag auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedsstaats gemäß Art. 1 Dublin III-VO handelt, in dessen Rahmen ein Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO ausgeübt werden könnte. Nur der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass ungeachtet dessen das Zulassungsvorbringen nicht die Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erfüllen würde. Denn die Darlegung einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge verlangt insbesondere die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen – etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung – einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Der Rechtsmittelführer muss demnach Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2023 – 6 ZB 23.30016 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 2 ff.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht, denn es setzt sich nicht mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu der Situation von Asylbewerbern in der Slowakei (UA S. 10-11) auseinander und nennt keine (neueren) Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte oder aktuelle Erkenntnismittel, aus denen sich entgegen der Auffassung des Erstgerichts ergeben könnte, dass die Situation für eine Familie mit minderjährigen Kindern, die sich in der Slowakei einem Asylverfahren stellen müssen, zu unmenschlichen Zuständen führt. Der Verweis auf eine mehr als fünf Jahre alte Entscheidung des VG Magdeburg im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes ist nicht ausreichend, denn der genannte Beschluss legt Erkenntnismittel aus den Jahren 2013 und 2014 zugrunde. Es ist weder ersichtlich noch dargelegt, weshalb diese Beurteilung auch heute noch zutreffend sein könnte, insbesondere da das Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Entscheidung Erkenntnismittel aus 2022 (UA S. 11) heranzieht. Der Sache nach macht das Zulassungsvorbringen insofern lediglich Richtigkeitszweifel im Gewande der Grundsatzrüge geltend, was im Rahmen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht zur Zulassung der Berufung führen kann.
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c) Weiter halten die Kläger für klärungsbedürftig, ob § 20 des Slowakischen Asylgesetzes gegen Art. 16 Abs. 2 der RL 2011/95/EU verstößt und bejahendenfalls ob durch richtlinienkonforme Auslegung sich die Kläger unmittelbar auf Art. 16 Abs. 2 der RL 2011/95/EU berufen können, mit der Folge, dass § 29 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG unanwendbar oder jedenfalls einschränkend auszulegen ist. Zur Begründung wird – sinngemäß – ausgeführt, aufgrund der Europarechtswidrigkeit der slowakischen Regelung sei den Klägern das Erlöschen ihres Schutzstatus in der Slowakei nicht zuzurechnen und sie seien so zu stellen, wie wenn ihnen in der Slowakei kein Schutz gewährt worden wäre. Denn gemäß Art. 16 Abs. 2 der RL 2011/95/EU sei der schutzgewährende Staat nur berechtigt, den Fortbestand der Voraussetzungen von subsidiärem Schutz zu überprüfen, sodass es eines staatlichen Handelns bedürfe, um einen bereits gewährten Schutzstatus zu beenden. Demgegenüber werde gemäß § 20 des Slowakischen Asylgesetzes der subsidiäre Schutzstatus nur befristet auf zwei Jahre erteilt und erlösche automatisch, wenn nicht innerhalb einer Übergangsfrist von einem Jahr dessen Verlängerung beantragt werde. Die Kläger hätten keinen Verlängerungsantrag gestellt, sodass ihr Schutzstatus automatisch erloschen sei. Da aber § 20 des Slowakischen Asylgesetzes gegen Art. 16 Abs. 2 der RL 2011/95/EU verstoße, könnten sich die Kläger auf die unmittelbare Geltung des Art. 16 der RL 2011/95/EU berufen, mit der Folge, dass § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG einschränkend auszulegen sei.
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Diese Grundsatzrüge rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung, denn die Frage, ob das nationale Recht eines anderen Mitgliedstaates gegen europäisches Sekundärrecht verstößt, ist einer Klärung durch deutsche Gerichte nicht zugänglich.
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Die deutschen Gerichte sind gemäß Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Dazu gehört auch das primäre und sekundäre Unionsrecht. Denknotwendig kann aber ein deutsches Gericht nicht die Frage beantworten, ob die Regelung eines anderen Mitgliedsstaats nicht möglicherweise im Rahmen dessen geltender Rechtsordnung einer richtlinienkonformen Auslegung zugänglich ist, sodass es aufgrund des – europaweit geltenden (vgl. erstmals EuGH, U.v. 15.7.1964 – C-6/64 „Costa./.ENEL“) – Anwendungsvorrangs des Europarechts gar nicht erst zu einer Kollision käme. Die Überprüfung der Vereinbarkeit des nationalen Rechts eines anderen Mitgliedstaats mit EU-Recht durch ein deutsches Gericht wäre auch mit dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens nicht vereinbar. Der EuGH geht davon aus, dass der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens für mitgliedstaatliche Justiz- und Verwaltungsbehörden die unionsrechtliche Pflicht begründet, bei ihrer Zusammenarbeit zu unterstellen, dass die Gerichte und Behörden anderer Mitgliedstaaten rechtskonform gehandelt haben bzw. handeln werden. Während die gegenseitige Anerkennung(spflicht) von Hoheitsakten eine sekundär- oder primärrechtliche Grundlage braucht – die es im Asylrecht grundsätzlich nicht gibt (vgl. Kaufhold in: Kahl/Ludwigs, Handbuch des Verwaltungsrechts Band II, 1. Aufl. 2021, § 48 Rn. 16) –, ist demgegenüber der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens durch den EuGH als eigenständiges Rechtsprinzip entwickelt worden. Es begründet die Pflicht, im Rahmen von grenzüberschreitenden Kooperationen die Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns anderer Mitgliedstaaten zu unterstellen und sie nicht zu kontrollieren, soweit im Sekundärrecht nicht ausnahmsweise Prüfvorbehalte normiert sind (vgl. Kaufhold, aaO, Rn. 91) oder außergewöhnliche Umstände vorliegen (vgl. EuGH, U.v. 22.2.2022 – C-483/20 – Rn. 24 ff.). Solche Umstände sind von den Klägern nicht dargelegt. Dies gilt insbesondere, als es Sache der Kläger gewesen wäre, in der Slowakei eine diesbezügliche Klage anzustrengen und so eine Vorlage an den EuGH zu erwirken, um die Europarechtskonformität des slowakischen Gesetzes überprüfen zu lassen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird, (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).