Inhalt

VGH München, Beschluss v. 03.07.2023 – 22 ZB 23.906
Titel:

verwaltungsgerichtliche Zustellung von Urteilen an Steuerberater, Verpflichtung von Steuerberatern zur elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an die Verwaltungsgerichte seit dem 1. Januar 2023;, Unzulässigkeit des Antrags auf Zulassung der Berufung bei Nichteinhaltung der Formvorschriften

Normenketten:
ZPO § 173, § 177 ff., § 189
VwGO § 55d, § 55a
StBerG § 86d, § 157e
Leitsatz:
Die gesetzlich eröffnete Möglichkeit der elektronischen Zustellung an im Verwaltungsprozess bevollmächtigte Steuerberater (§ 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3a VwGO) nach § 56 Abs. 2 VwGO, § 173 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO schließt die Zustellung gegen Postzustellungsurkunde nicht aus.
Schlagworte:
verwaltungsgerichtliche Zustellung von Urteilen an Steuerberater, Verpflichtung von Steuerberatern zur elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an die Verwaltungsgerichte seit dem 1. Januar 2023;, Unzulässigkeit des Antrags auf Zulassung der Berufung bei Nichteinhaltung der Formvorschriften, elektronische Zustellung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 07.02.2023 – M 31 K 22.535
Fundstellen:
BayVBl 2023, 682
NVwZ-RR 2023, 831
DÖV 2023, 976
LSK 2023, 17221
BeckRS 2023, 17221

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 7. Februar 2023 – M 31 K 22.535 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 140.382,72 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger, der ein Hotel betreibt, verfolgt mit seinem Zulassungsantrag sein erstinstanzliches Begehren weiter, das auf die Bewilligung einer Zuwendung im Rahmen der Überbrückungshilfe des Bundes für kleine und mittelständische Unternehmen – Phase 4 (Überbrückungshilfe III Plus) gerichtet war.
2
Das Verwaltungsgericht München wies die auf Bewilligung der Überbrückungshilfe III Plus in Höhe von 140.382,73 Euro gerichtete Klage mit Urteil vom 7. Februar 2023 ab. Das Urteil wurde den Bevollmächtigten des Klägers, einer Steuerberatungsgesellschaft, nach deren Angaben in den Schriftsätzen vom 15. Mai 2023 und 22. Juni 2023 am 14. April 2023 zugestellt. In den Akten des Verwaltungsgerichts befindet sich allerdings kein entsprechender Zustellungsnachweis; die nach der gerichtlichen Verfügung vom 11. April 2023 verwendete Postzustellungsurkunde gelangte offenbar nicht zu den Gerichtsakten. Das Urteil wurde daraufhin durch das Verwaltungsgericht den Bevollmächtigten des Klägers ein zweites Mal zugestellt, und zwar ausweislich der in den Akten des Verwaltungsgerichts befindlichen Postzustellungsurkunde am 17. Mai 2023.
3
Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2023, am gleichen Tag per Telefax beim Verwaltungsgericht eingegangen, beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil. Der Kläger wurde mit Schreiben des Verwaltungsgerichtshofs vom 6. Juni 2023 auf § 55d, § 55a Abs. 4 Nr. 2 VwGO und § 86d StBerG hingewiesen. Mit weiterem Schreiben des Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Juni 2023 wurde dem Kläger mitgeteilt, der Antrag auf Zulassung der Berufung sei nach Aktenlage unzulässig, weil er nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO den für Steuerberater geltenden Formerfordernissen entsprechend gestellt worden sei. Die Frist habe mit Blick auf die Mitteilung der Bevollmächtigten des Klägers, das Urteil sei ihnen am 14. April 2023 zugestellt worden, an diesem Tag zu laufen begonnen. Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bzw. zur Rücknahme des Rechtsmittels gegeben.
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Mit Schreiben vom 22. Juni 2023, am gleichen Tag per Telefax beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen, teilten die Bevollmächtigten des Klägers mit, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei ihnen nicht ordentlich zugestellt worden. Eine ordentliche Zustellung sei nur über das elektronische Postfach möglich. Ein solches sei von ihnen noch nicht eingerichtet worden. Die Zustellung per Post stelle keine ordnungsgemäße Zustellung dar. Der Antrag auf Zulassung der Berufung sei zulässig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
6
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil er nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO den Formerfordernissen der § 55d, § 55a VwGO entsprechend beim Verwaltungsgericht gestellt wurde.
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1. Die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO zur Stellung des Berufungszulassungsantrags begann hier am 14. April 2023 zu laufen (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 2 Satz 1 BGB). Denn obwohl sich die formgerechte Zustellung des Urteils an diesem Tag mangels Vorliegens der Postzustellungsurkunde nicht nach-weisen lässt, gilt es gemäß § 56 Abs. 2 VwGO, § 189 ZPO an diesem Tag als zugestellt.
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1.1 Das Verwaltungsgericht war berechtigt, für die Zustellung des Urteils die Zustellungsart der Übergabe eines Schriftstücks bzw. einer der vorgesehenen Möglichkeiten der Ersatzzustellung (§ 56 Abs. 2 VwGO, §§ 177 ff. ZPO) zu wählen. Das Verwaltungsgericht war insbesondere nicht verpflichtet, das Urteil als elektronisches Dokument gemäß § 173 ZPO zuzustellen. § 173 Abs. 1 ZPO sieht vor, dass ein elektronisches Dokument elektronisch nur auf einem sicheren Übermittlungsweg zugestellt werden kann. Einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eines elektronischen Dokuments haben gemäß § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO u.a. Steuerberater zu eröffnen; diese Vorschrift trat am 1. Januar 2023 in Kraft (vgl. Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes vom 5.10.2021, BGBl I S. 4607). Aus der gesetzlichen Verpflichtung der Steuerberater, einen sicheren Übermittlungsweg zu eröffnen, folgt jedoch nicht die Verpflichtung des Gerichts, bei der Zustellung von Urteilen diesen Weg auch zu nutzen. Vorliegend ergibt sich dies schon daraus, dass die Bevollmächtigten des Klägers nach eigenen Angaben der gesetzlichen Verpflichtung zur Einrichtung eines sicheren Übermittlungswegs bisher nicht nachgekommen sind, so dass eine Zustellung an das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (§ 86d, § 157e StBerG in der Fassung des Art. 4 Nr. 35 des Gesetzes vom 7.7.2021, BGBl I S. 2363) vorliegend gar nicht möglich gewesen wäre. Auch unabhängig davon – also auch dann, wenn die Klägerbevollmächtigten ihren Verpflichtungen gemäß § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 86d Abs. 6 StBerG bezüglich des Steuerberaterpostfachs nachgekommen wären – sieht § 173 ZPO eine Verpflichtung der Gerichte zu dessen Nutzung bei der Zustellung von Urteilen nicht vor; vielmehr kann gemäß § 173 Abs. 1 ZPO ein elektronisches Dokument elektronisch (nur) auf einem sicheren Übermittlungsweg zugestellt werden. Das bedeutet, dass das Dokument auch ausgedruckt und auf anderem Weg zugestellt werden kann (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 19/28399, S. 34 f.), etwa gemäß § 175 ZPO gegen Empfangsbekenntnis oder – wie hier – gemäß §§ 177 ff. ZPO durch Übergabe oder eine der gesetzlich geregelten Möglichkeiten der Ersatzzustellung. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der genannten Vorschriften, die jeweils formulieren, dass ein Schriftstück auf die jeweilige Weise zugestellt werden kann. Das Gericht hat in diesem Rahmen bei der Bestimmung der Zustellungsart die Wahl.
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1.2 Auch wenn sich die Zustellung an die Klägerbevollmächtigten am 14. April 2023 mangels Rücklaufs der Postzustellungsurkunde nicht nachweisen lässt (§ 182 ZPO), so ist doch dem Vortrag der Bevollmächtigten vom 15. Mai 2023 zu entnehmen, dass das Urteil ihnen an diesem Tag zugestellt wurde. Sie haben dies auch im Schriftsatz vom 22. Juni 2023 – nach dem entsprechenden gerichtlichen Hinweis – nicht bestritten. Damit ist davon auszugehen, dass das Urteil ihnen an diesem Tag im Sinne von § 189 ZPO tatsächlich zugegangen ist (vgl. zum tatsächlichen Zugang auch Häublein/Müller in Münchner Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 189 Rn. 13). Der erforderliche Zustellungswille des Gerichts (vgl. Häublein/Müller in Münchner Kommentar zur ZPO, § 189 Rn. 4) ist in der Verfügung vom 11. April 2023 dokumentiert.
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2. Die Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung endete demzufolge, da das Urteil mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrungversehen war (vgl. § 58 Abs. 1 VwGO), mit Ablauf des 15. Mai 2023 (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB).
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3. Innerhalb dieser Frist ist beim Verwaltungsgericht kein den Formerfordernissen der § 55d, § 55a VwGO entsprechender Antrag auf Zulassung der Berufung eingegangen.
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Nach § 55d Satz 1 VwGO sind vorbereitende Schriftsätze und Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge, die u.a. durch Rechtsanwälte eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Diese Verpflichtung gilt gemäß § 55d Satz 2 VwGO auch für die nach der Verwaltungsgerichtsordnung vertretungsberech-tigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Verfügung steht. Steuerberater – wie die Klägerbevollmächtigten – sind gemäß § 67 Abs. 4 Satz 7, Abs. 2 Satz 2 Nr. 3a VwGO in Streitigkeiten wie der vorliegenden vor dem Verwaltungsgerichtshof vertretungsberechtigt. Für sie steht gemäß § 86d, § 157e StBerG seit dem 1. Januar 2023 das besondere elektronische Steuerberaterpostfach zur Verfügung, so dass auch sie seit diesem Zeitpunkt der elektronischen Einreichungspflicht unterfallen (vgl. für die Finanzgerichtsbarkeit BFH, B.v. 28.4.2023 – XI B 101.22 – juris Rn. 13 m.w.N.; für die Verwaltungsgerichtsbarkeit VG München, B.v. 17.5.2023 – M 31 E 23.2123 – juris Rn. 10 m.w.N.; s. auch Ulrich in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 55d Rn. 17). Eine herkömmliche Einreichung von Schriftsätzen – etwa auf dem Postweg oder per Fax – ist seither prozessual unwirksam. Die Einhaltung der Vorschrift des § 55d VwGO ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten; sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten (BayVGH, B.v. 1.7.2022 – 15 ZB 22.286 – juris Rn. 7 m.w.N.). Nur dann, wenn eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 55d Satz 3 VwGO). Derartiges ist hier jedoch nicht vorgetragen. Insbesondere stellt der Fall, dass der Inhaber des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs entgegen § 86d Abs. 6 StBerG die erforderlichen technischen Einrichtungen für die Nutzung des Postfachs nicht vorhält, keine vorübergehende Unmöglichkeit dar; § 55d Satz 3 VwGO befreit die professionell Einreichenden wie die Steuerberater nicht von dieser Pflicht (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 55d Rn. 6).
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4. Selbst wenn – entgegen den vorstehenden Ausführungen – bezüglich des Fristbeginns auf die zweite vom Verwaltungsgericht vorgenommene Zustellung abzustellen wäre, die ausweislich der in den Gerichtsakten befindlichen Postzustellungsurkunde am 17. Mai 2023 erfolgte, wäre der Zulassungsantrag ebenfalls unzulässig, weil auch bei Annahme eines Laufs der Frist nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO ab diesem Datum, mithin bis zum 19. Juni 2023, der Zulassungsantrag nicht auf dem vorge-sehenen elektronischen Weg übermittelt wurde.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
15
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO. Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.