Inhalt

VGH München, Beschluss v. 06.07.2023 – 22 CS 23.888
Titel:

Vorläufige Wiedergestattung der Gewerbeausübung

Normenketten:
GewO § 35 Abs. 6
VwGO § 123
Leitsätze:
1. Bei einem Steuer- und Abgabenrückstand im sechsstelligen Bereich ändern auch monatliche freiwillige Zahlungen zwischen 4.000 EUR und 7.000 EUR nichts an der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein aus dem Versuch, telefonisch und per E-Mail, mit dem Landratsamt das weitere Vorgehen zu einer baldmöglichen Wiedergestattung des Gewerbes abzustimmen, folgt nicht die Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung der Gewerbeuntersagungsverfügung. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Antrag auf vorläufige Wiedergestattung der Gewerbeausübung, Vollstreckung einer bestandskräftigen Gewerbeuntersagungsverfügung, Gerwerbeuntersagung, Gewerbeausübung, vorläufige Wiedergestattung, Vollstreckung, gewerberechtliche Zuverlässigkeit, Steuerrückstände, unmittelbarer Zwang, Verhältnismäßigkeit
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 26.04.2023 – M 16 SE 23.2009
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17216

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin, eine GmbH, ihr erstinstanzliches Begehren weiter, mit dem sie sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Vollstreckung einer bestandskräftigen Gewerbeuntersagungsverfügung wendet und die vorläufige Wiedergestattung der Ausübung ihres Gewerbes begehrt.
2
Mit Bescheid vom 8. Mai 2019 untersagte die Gewerbeaufsichtsbehörde der Landeshauptstadt M. der Antragstellerin die Ausübung des Gewerbes „Durchführung von Baugrobreinigungen und Ausübung des zulassungsfreien Gebäudereinigerhandwerks“ als selbstständiger Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe sowie die Ausübung jeglicher gewerblichen Tätigkeit. Der Antragstellerin wurde unter Androhung unmittelbaren Zwangs aufgegeben, die Betriebstätigkeit innerhalb einer Frist von spätestens zehn Tagen nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung einzustellen. Die hiergegen erhobene Klage der Antragstellerin wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 5. Juni 2020 ab (M 16 K 19.2899); der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg (BayVGH, B.v. 28.9.2021 – 22 ZB 20.1732).
3
Darüber hinaus wurde dem Geschäftsführer der Antragstellerin mit Bescheid der Gewerbeaufsichtsbehörde der Landeshauptstadt M. vom 1. Juli 2019 die Ausübung des Gewerbes „Friseurhandwerk“ als selbständigem Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe und die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit im stehenden Gewerbe untersagt. Dem Geschäftsführer der Antragstellerin wurde unter Androhung unmittelbaren Zwangs aufgegeben, seine Tätigkeit innerhalb einer Frist von spätestens zehn Tagen nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung einzustellen. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 5. Juni 2020 ab (M 16 K 19.3923); der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos (BayVGH, B.v. 28.9.2021 – 22 ZB 20.1980).
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Am 14. Oktober 2021 beantragte die Antragstellerin bei der Landeshauptstadt M., ihr die Ausübung des untersagten Gewerbes wieder zu gestatten. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 29. November 2021 abgelehnt. Die Antragstellerin nahm den Antrag während des anschließenden gerichtlichen Verfahrens (M 16 K 22.10) zurück, nachdem sich aufgeklärt hatte, dass sie keine gewerbliche Niederlassung in München mehr unterhalten wolle, sondern ausschließlich in G. tätig sei.
5
Das Landratsamt S. (im Folgenden: Landratsamt) wies die Antragstellerin mit Schreiben vom 5. April 2023 darauf hin, dass sie mit ihrer gewerblichen Betätigung aufgrund der Anmeldung des Gewerbes „Durchführung von Baufeinreinigung, Baugrobreinigung und zulassungsfreiem Gebäudereinigerhandwerk“ zum 1. Dezember 2021 gegen den Gewerbeuntersagungsbescheid der Landeshauptstadt M. vom 8. Mai 2019 verstoße. Es könne unmittelbarer Zwang zur Verhinderung der Gewerbeausübung angewendet werden. Die Antragstellerin könne diese Maßnahmen abwenden, wenn sie ihr Gewerbe bei der Gemeinde G. freiwillig abmelde und beim Landratsamt spätestens bis zum 25. April 2023 eine entsprechende Dokumentation über die Schließung des Betriebs einreiche; anderenfalls werde die Betriebsschließung durch unmittelbaren Zwang durchgesetzt.
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Am 25. April 2023 erhob die Antragstellerin Klage gegen den „Bescheid“ des Landratsamts vom 5. April 2023 (M 16 K 23.2008). Gleichzeitig beantragte sie im gegenständlichen Eilverfahren, die aufschiebende Wirkung der gegen den „Bescheid“ vom 5. April 2023 erhobenen Klage wiederherzustellen sowie ihr vorläufig die Ausübung des Gewerbes „Durchführung von Baufeinreinigung, Baugrobreinigungen und Ausübung des zulassungsfreien Gebäudereinigerhandwerks“ als selbstständiger Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe sowie die Ausübung jeglicher weiteren gewerblichen Tätigkeit im stehenden Gewerbe mit sofortiger Wirkung zu gestatten.
7
Am 26. April 2023 beantragte die Antragstellerin beim Landratsamt, ihr die Gewerbeausübung wieder zu gestatten.
8
Das Verwaltungsgericht München lehnte den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 26. April 2023 ab, der den Bevollmächtigten der Antragstellerin am 8. Mai 2023 zugestellt wurde. Mit am 12. Mai 2023 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz legte die Antragstellerin dagegen Beschwerde ein und begründete diese mit am 26. Mai 2023 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz.
9
Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegengetreten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
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1. Soweit die Antragstellerin die vorläufige Wiedergestattung der Ausübung ihres Gewerbes nach § 35 Abs. 6 GewO erreichen will, ergibt sich aus ihrem Vortrag kein Anlass zur Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
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1.1 Die Antragstellerin trägt vor, das Verwaltungsgericht habe bei der Prüfung ihres Anspruchs auf Wiedergestattung unberücksichtigt gelassen, dass sie ihre gewerberechtliche Zuverlässigkeit wiedererlangt habe. Sie habe die wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber dem Landratsamt ausführlich dargelegt. Soweit das Erstgericht auf die Unzuverlässigkeit des Geschäftsführers der Antragstellerin verweise, habe dieser bei der Landeshauptstadt M. die Wiedergestattung der Ausübung des Gewerbes „Ausübung des Friseurhandwerks“ beantragt. Gegen den ablehnenden Bescheid der Landeshauptstadt M. vom 9. November 2022 (richtig wohl: 29.11.2021) habe der Geschäftsführer Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben (Az. M 16 K 22.09); das Verfahren sei noch anhängig. Es werde die Beiziehung der Verfahrensakten beantragt. Entgegen der vom Verwaltungsgericht geäußerten Zweifel sei zudem die Jahresfrist des § 35 Abs. 6 Satz 2 GewO abgelaufen; insoweit sei der Erlass der Untersagungsverfügung maßgeblich.
14
1.2 Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, in die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Antragstellerin sei einzustellen, dass sie sich eines (jedenfalls faktischen) Geschäftsführers bediene, dem aufgrund bestandskräftiger Verfügung der Landeshauptstadt M. vom 1. Juli 2019 die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden sowie die Tätigkeit als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher selbstständigen Tätigkeit im stehenden Gewerbe untersagt sei. Die als Geschäftsführer eingetragene und auftretende Person könne nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 GmbHG nicht mehr Geschäftsführer bei der Antragstellerin sein, sei also amtsunfähig und nicht mehr vertretungsberechtigt. Eine gewerblich tätige GmbH, die wissentlich eine wegen Unzuverlässigkeit inhabile Person weiterhin mit den Aufgaben eines Geschäftsführers betraue, missachte die Rechtsordnung in einer mit der ordnungsgemäßen Gewerbeausübung nicht zu vereinbarenden Weise. Selbst bei fortbestehender Amtsfähigkeit als Geschäftsführer könnten Zweifel an der Zuverlässigkeit der Antragstellerin bestehen, wenn sie sich eines gewerberechtlich unzuverlässigen Geschäftsführers bediene. Unabhängig davon erweise sich die Antragstellerin jedenfalls deshalb als gewerberechtlich unzuverlässig, weil sie am 24. November 2021 den selbständigen Betrieb des stehenden Gewerbes „Durchführung der Baufeinreinigung, Baugrobreinigung und zulassungsfreiem Gebäudereinigerhandwerk“ zum 1. Dezember 2021 angezeigt und dabei offenbar unerwähnt gelassen habe, dass ihr jegliche Gewerbeausübung bestandskräftig untersagt sei. Dass die Antragstellerin seither ihr Gewerbe verbotswidrig fortführe, ergebe sich aus der Antragsbegründung vom 25. April 2023, wonach sie 49 Arbeitnehmer beschäftige und die Auftraggeber und deren Aufträge im Fall der Schließung ebenso gefährdet seien wie andere Behörden (Finanzamt, Sozialkassen). Die sich daraus ergebende hartnäckige und uneinsichtige Fortführung des untersagten Gewerbes widerspreche grundlegend den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Gewerbeausübung. Zudem sei nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin ihre gewerberechtliche Zuverlässigkeit wiedererlangt habe. Es könne unterstellt werden, dass die Behauptung, die Rückstände seien vollständig beglichen worden, zutreffe. Dies besage nichts über die Wiedererlangung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die eine Prognose dahin zulasse, dass die Antragstellerin auch künftig wirtschaftlich leistungsfähig sein werde. Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen im für die Wiedergestattung maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sei nichts dargetan. Auch setze sich die Antragstellerin mit den weiteren tatsächlichen Feststellungen aus der Gewerbeuntersagungsverfügung der Landeshauptstadt M. vom 8. Mai 2019 nicht auseinander. Zudem sei zwar nicht entscheidungserheblich, jedoch äußerst fraglich, ob die Jahresfrist des § 35 Abs. 6 Satz 2 GewO abgelaufen sei. Zweifel ergäben sich daraus, dass das Ablaufen einer Frist zunächst deren Anlaufen voraussetze. Die Frist nach § 35 Abs. 6 Satz 2 GewO laufe erst an, wenn die Untersagungsverfügung durchgeführt worden, also die Untersagung mindestens ein Jahr vollzogen gewesen sei. Dies sei vorliegend wohl nicht der Fall.
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1.3 Ein Anspruch auf vorläufige Wiedergestattung der Gewerbeausübung nach § 35 Abs. 6 GewO ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nach dem Vortrag der Antragstellerin nicht ersichtlich; sie hat die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht entkräftet.
16
1.3.1 So fehlt es zunächst an einer Auseinandersetzung mit der Annahme des Verwaltungsgerichts, die Antragstellerin sei deshalb gewerberechtlich unzuverlässig, weil sie trotz der bestandskräftigen Untersagungsverfügung vom 8. Mai 2019 am 24. November 2021 bei der Gemeinde G. das Gewerbe „Durchführung der Baufeinreinigung, Baugrobreinigung und zulassungsfreiem Gebäudereinigerhandwerk“ zum 1. Dezember 2021 ohne Hinweis auf die Untersagungsverfügung angezeigt, anschließend den Betrieb des Gewerbes verbotswidrig fortgesetzt und damit den grundlegenden Anforderungen einer ordnungsgemäßen Gewerbeausübung widersprochen habe.
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Schon weil es sich insoweit um einen selbständig tragenden Grund der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bezüglich des Anspruchs auf vorläufige Wiedergestattung der Gewerbeausübung handelt, dem die Antragstellerin nichts entgegengesetzt hat, kann sie mit ihrer Beschwerde den Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht erschüttern (vgl. zur Verpflichtung, sich in der Beschwerdebegründung mit jeder einzelnen von mehreren tragenden Begründungen auseinanderzusetzen, Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: August 2022, § 146 Rn. 13c m.w.N.).
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1.3.2 Darüber hinaus ergibt sich aus den Ausführungen in der Beschwerdebegründung auch nicht, dass bezüglich der übrigen Unzuverlässigkeitsgründe eine andere Einschätzung veranlasst wäre als diejenige des Verwaltungsgerichts.
19
1.3.2.1 Soweit die Antragstellerin meint, sie habe ihre gewerberechtliche Zuverlässigkeit wiedererlangt und dies gegenüber dem Landratsamt im Rahmen des Antrags auf Wiedergestattung der Gewerbeausübung dargelegt, fehlt es zum einen an Belegen für diese Behauptung. Zum anderen ergibt sich aus dem Vortrag des Landratsamts im erstinstanzlichen Klageverfahren M 16 K 23.2008 (Schriftsatz vom 30.5.2023) sowie aus der Beschwerdeerwiderung des Beklagten im vorliegenden Verfahren keinesfalls, dass die Antragstellerin aktuell als gewerberechtlich zuverlässig anzusehen wäre. Der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit stehen – unter anderem – jedenfalls die in den Schriftsätzen genannten ganz erheblichen Rückstände beim Finanzamt sowie bei der AOK ... entgegen (Steuerrückstände beim Finanzamt S. mit Stand 8.5.2023 in Höhe von 80.844,81 Euro, beim Finanzamt F. mit Stand 9.5.2023 in Höhe von 111.306 20,46 Euro und Beitragsrückstände bei der AOK ... in Höhe von 62.294,81 Euro). Dass die Antragstellerin gegenüber dem Finanzamt S. nach Angaben des Landratsamts aktuell monatlich freiwillige Zahlungen in Höhe von 4000 bis 7000 Euro leistet, ändert angesichts der hohen Schuldenstände nichts an der Annahme der Unzuverlässigkeit. Insbesondere ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Antragstellerin nach einem erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeiten würde.
20
1.3.2.2 Auch mit ihrem Vortrag bezüglich der Zuverlässigkeit ihres Geschäftsführers, der seinerseits die Wiedergestattung der Gewerbeausübung beantragt habe, kann die Antragstellerin nicht durchdringen. Die bloße Tatsache, dass der Geschäftsführer nach Ablehnung des Antrags durch die Landeshauptstadt M. Klage zum Verwaltungsgericht auf Wiedergestattung der Gewerbeausübung erhoben hat, trägt keinesfalls die Annahme, nunmehr rechtfertige sich die Prognose der künftigen Zuverlässigkeit. Die Antragstellerin ist, soweit sie ohne jegliche Substantiierung ihres Beschwerdevorbringens bezüglich der Zuverlässigkeit des Geschäftsführers auf ihren Vortrag im Klageverfahren M 16 K 22.09 verweist und die Beiziehung der dortigen Akten beantragt, ihrer Darlegungslast gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht nachgekommen.
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1.3.2.3 Soweit die Antragstellerin schließlich meint, die Jahresfrist des § 35 Abs. 6 Satz 2 GewO sei abgelaufen, weil dafür der Erlass der Untersagungsverfügung maßgeblich sei, handelt es sich um einen Umstand, auf den das Verwaltungsgericht seine Entscheidung nicht gestützt hat. Schon deswegen kann die Beschwerde allein damit keinen Erfolg haben. Erfolglos bleibt das Vorbringen im Übrigen auch deshalb, weil sich aus den Darlegungen der Antragstellerin nicht ergibt, dass – unabhängig davon, an welches Ereignis der Fristbeginn zu knüpfen ist – die Untersagung entsprechend § 35 Abs. 6 Satz 2 GewO überhaupt zu irgendeinem Zeitpunkt durchgeführt, d.h. vollzogen worden wäre, also der Betrieb geschlossen oder kraft Erlaubnis nach § 35 Abs. 2 GewO durch einen Stellvertreter weitergeführt worden wäre (vgl. hierzu Brüning in Pielow, BeckOK GewO, Stand: 1.1.2022, § 35 Rn. 77).
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2. Auch soweit die Antragstellerin die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch den Antragsgegner verhindern will, bleibt die Beschwerde erfolglos.
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2.1 Die Antragstellerin beantragt mit ihrer Beschwerde, die aufschiebende Wirkung der gegen den „Bescheid“ des Landratsamts vom 5. April 2023 erhobenen Klage wiederherzustellen. Sie bringt dazu vor, sie habe Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Verhinderung der Anwendung unmittelbaren Zwangs durch Schließung des Betriebs. Dies ergebe sich bereits aus den Ausführungen zu ihrem Anspruch auf vorläufige Wiedergestattung der Gewerbeausübung. Darüber hinaus lägen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung unmittelbaren Zwangs nicht vor. Diese sei unverhältnismäßig, da dem Landratsamt mildere Mittel zur Verfügung stünden. Darüber hinaus lasse das Landratsamt unberücksichtigt, dass die Antragstellerin Ende des Jahres 2021 mehrmals telefonisch und per E-Mail versucht habe, mit dem Landratsamt Kontakt zur Abstimmung der weiteren Vorgehensweise aufzunehmen, um eine baldmögliche Wiedergestattung des Gewerbes und damit die Fortführung des Gewerbebetriebs zu ermöglichen. Darauf habe die Antragstellerin keine Reaktion erhalten.
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2.2 Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, das Landratsamt habe mit Schreiben vom 5. April 2023 nicht unmittelbaren Zwang angedroht, sondern unter Setzung einer weiteren Frist bis zum 25. April 2023 angekündigt, die bestandskräftige Androhung unmittelbaren Zwangs aus dem Bescheid vom 8. Mai 2019 zu vollziehen. Die Anwendung des Zwangsmittels sei ebenso wenig wie deren Ankündigung ein Verwaltungsakt. Daher sei der Antrag in einen statthaften Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zur Verhinderung der Anwendung des unmittelbaren Zwangs durch Vornahme der angekündigten Betriebsschließung umzudeuten. Dieser Antrag habe in der Sache keinen Erfolg. In der beabsichtigten Vollstreckung der bestandskräftigen Gewerbeuntersagungsverfügung liege keine selbständige Rechtsverletzung im Sinne des Art. 38 Abs. 3 VwZVG. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs nach Art. 34 Satz 1 VwZVG für den Fall, dass die Antragstellerin ihrer Verpflichtung zur Einstellung des untersagten Gewerbes nicht nachkomme, sei ihr bereits im bestandskräftigen Bescheid der Landeshauptstadt M. vom 8. Mai 2019 schriftlich angedroht und zugestellt worden. Die Vollstreckungsvoraussetzungen lägen auch sonst vor, denn die Antragstellerin habe es unterlassen, ihren Gewerbebetrieb einzustellen, und führe diesen an einem anderen Ort unverändert fort. Nach Ablauf der bis zum 25. April 2023 gewährten Frist zur freiwilligen Betriebsaufgabe sei eine im Weg des unmittelbaren Zwangs vorgenommene Schließung der Geschäftsräume durch das Landratsamt gerechtfertigt. Dies sei auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil hiervon Angestellte sowie Gläubiger der Antragstellerin betroffen sein würden. Dass die Untersagung der weiteren Gewerbeausübung durch die Antragstellerin verhältnismäßig sei, sei bereits im gerichtlichen Verfahren bejaht worden. Ein milderes, gleich wirksames Mittel, die Allgemeinheit vor Gefahren zu schützen, die von einem unzuverlässigen Gewerbetreibenden ausgingen, sei nicht ersichtlich; eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung verstoße allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Hierfür bestehe kein Anhalt. Für die vorgesehene Anwendung des unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Untersagung gelte nichts Anderes. Es bestünden weder Bedenken gegen das „Ob“ noch gegen das „Wie“ der Vollstreckung durch Anwendung unmittelbaren Zwangs.
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2.3 Diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts kann die Antragstellerin mit ihrem Beschwerdevorbringen nicht entkräften. Selbst wenn man die Beschwerde angesichts ihrer Begründung entgegen dem gestellten Antrag dahin auslegen würde, dass sie auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verhinderung der Anwendung unmittelbaren Zwangs abzielt, ist nicht ersichtlich, dass ein entsprechender Anspruch bestünde.
26
Aus den Ausführungen der Antragstellerin zu einem eventuellen Anspruch auf Wiedergestattung der Gewerbeausübung ergeben sich keine rechtlichen Gesichtspunkte, die für einen Anspruch auf Verhinderung der Anwendung unmittelbaren Zwangs sprechen würden (s.o. 1.3).
27
Soweit die Antragstellerin meint, die Anwendung unmittelbaren Zwangs sei unverhältnismäßig, da dem Landratsamt mildere Mittel zur Verfügung stünden, setzt sie sich nicht mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagungsverfügung und der daraus folgenden Verhältnismäßigkeit der Vollstreckung dieser Verfügung auseinander. Insbesondere lässt ihr Beschwerdevorbringen nicht erkennen, aus welchen Gründen die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Gewerbeuntersagungsverfügung ausnahmsweise unverhältnismäßig sein könnte. Die Behauptung der Antragstellerin, sie habe Ende des Jahres 2021 telefonisch und per E-Mail versucht, mit dem Landratsamt das weitere Vorgehen zu einer baldmöglichen Wiedergestattung des Gewerbes abzustimmen, aber keine Antwort erhalten, ist nicht belegt, ganz abgesehen davon, dass allein daraus nicht die Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung der Gewerbeuntersagungsverfügung folgen würde. Anderes ergibt sich auch nicht allein daraus, dass die Antragstellerin inzwischen beim Landratsamt die Wiedergestattung der Gewerbeausübung beantragt hat.
28
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG unter Orientierung an den Empfehlungen in Nr. 54.2.1, Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (wie Vorinstanz). Die Annahme eines Streitwerts von 15.000 Euro in Hauptsacheverfahren bei Anträgen auf Wiedergestattung der Gewerbeausübung nach § 35 Abs. 6 GewO entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats (BayVGH, B.v. 25.6.2013 – 22 ZB 13.1102 – juris; B.v. 8.2.2012 – 22 ZB 11.2360 – juris; B.v. 2.5.2011 – 22 ZB 11.184 – juris).
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Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 152 Abs. 1 VwGO).