Titel:
Asyl Iran, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wegen geschlechtsspezifischer Strafverfolgung
Normenketten:
AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4
AsylG § 3b Abs. 4 S. 4
AsylG § 78 Abs. 3
Leitsatz:
Zu den Darlegungsanforderungen nach § 78 Abs. 4 Satz 4, Abs. 3 Nr. 1 AsylG bei unpräzisen oder ernstlichen Zweifeln unterliegenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidungsgründen.
Schlagworte:
Asyl Iran, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wegen geschlechtsspezifischer Strafverfolgung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 14.06.2022 – AN 10 K 17.32160
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17199
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
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1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor hinsichtlich der klägerseits aufgeworfenen Fragen,
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a) „ob die Tatsache, dass eine im Iran verheiratete Frauen im Ausland Kinder zur Welt brachte, von iranischen Strafgerichten bereits als Beweis für Ehebruch gewertet wird“,
b) „ob Frauen, die – ohne sich geschieden zu haben –, im Ausland Kinder von einem neuen Partner zur Welt brachten, im Iran familiäre Verfolgung durch den früheren Ehemann und dessen Familie oder die eigenen männlichen Verwandten befürchten muss, ohne dass staatlicher Schutz dagegen bestünde“,
c) „ob eine Strafverfolgung, etwa wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs an einen asylrelevanten Verfolgungsgrund anknüpft, wenn diese Strafverfolgung geschlechtsspezifisch – nämlich nur für Frauen – gilt“ und
d) „ob im Falle einer Rückkehrprognose im Familienverbund bei unverheirateten Paaren mit Kindern, für die Prüfung der Sicherung des Existenzminimums gefahrerhöhende Umstände, wie der Gesundheitszustand der Betroffenen, außer Acht bleiben können“.
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2. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt voraus, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage im konkreten Rechtsstreit klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich ist, dass diese Frage sich als klärungsbedürftig, insbesondere nicht schon höchst- oder obergerichtlich geklärt und nicht direkt aus dem Gesetz zu beantworten erweist und dass ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 28.7.2010 – 14 ZB 09.422 – juris Rn. 8 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG im Hinblick auf § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren sowie deren (2.) Klärungsfähigkeit, (3.) Klärungsbedürftigkeit und (4.) allgemeine Bedeutung darlegen (BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 23.1.2019 – 14 ZB 17.31930 – juris Rn. 2).
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3. Hinsichtlich der Fragen a) und b) ist die Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) weder dargelegt noch ersichtlich. Die Fragen a) und b) betreffen „verheiratete Frauen“ bzw. „nicht geschiedene Frauen“. Soweit dabei die Antragsbegründung (dort S. 4 dritter Absatz) behauptet, die Klägerin sei eine verheiratete Frau bzw. nicht geschiedene Frau, befasst sie sich nicht damit, dass nach der insoweit mangels Verfahrensrüge maßgeblichen Einschätzung des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 11.1.2019 – 14 ZB 18.31863 – juris Rn. 6; VGH BW, B.v. 29.8.2018 – A 11 S 1911/18 – juris Rn. 3 m.w.N.) davon auszugehen ist, dass die Klägerin „zweimalig geschieden“ ist (vgl. UA S. 12 erster Absatz), sodass sich die auf verheiratete bzw. nicht geschiedene Frauen bezogenen Fragen a) und b) bei der laut Verwaltungsgericht geschiedenen Klägerin nicht stellen. Weil die Antragsbegründung darauf nicht eingeht, genügt sie auch § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht.
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4. Auch hinsichtlich Frage c) kommt eine Berufungszulassung nicht in Betracht.
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4.1. Soweit im Wortlaut der Frage c) abstrakt nach der Asylrelevanz einer nur gegen Frauen gerichteten (geschlechtsspezifischen) Strafverfolgung im Hinblick auf außerehelichen Geschlechtsverkehr gefragt wird, fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit. Denn es ergibt sich direkt aus § 3b Abs. 1 Nr. 4 letzter Halbsatz AsylG – insoweit über die RL 2011/95/EU hinausgehend –, dass eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch vorliegen kann, wenn sie allein an das „Geschlecht“ anknüpft.
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4.2. Selbst wenn die Frage c) zugunsten der Klägerin sinngemäß so verstanden werden können sollte, dass sie – über die besagte abstrakte dogmatische Frage hinaus – eine gerade im Iran gegen Frauen gerichtete Strafverfolgungssituation wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs betrifft, wäre insoweit die Klärungsfähigkeit nicht hinreichend dargelegt.
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4.2.1. Die Antragsbegründung benennt entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG schon nicht die konkrete iranische Strafnorm, auf die sich die bei Frage c) thematisierte geschlechtsspezifische Strafverfolgung bezieht, erläutert außerdem nicht, inwiefern genau sich diese Strafnorm nach ihrem Tatbestand nur gegen Frauen und nicht (auch) gegen Personen anderen Geschlechts richten soll, und trägt schließlich nicht vor, ob im Iran praktische Strafen nach dieser Strafnorm verhängt werden bzw. ob dies – falls der iranische Straftatbestand abstrakt gesehen Frauen und Personen anderen Geschlechts gleichermaßen erfassen sollte – praktisch nur gegenüber Frauen erfolgt (vgl. EuGH, U.v. 7.11.2013 – C-199/12 u.a. – ECLI:ECLI:EU:C:2013:720 Rn. 50 ff. zu gegen Homosexuelle gerichteten Strafnormen). Angesichts der besagten Ungenauigkeiten der Antragsbegründung kann im Berufungszulassungsverfahren nicht geprüft werden, ob Frage c) im vorliegenden Fall in einem Berufungsverfahren klärbar ist; insoweit fehlt es an einer hinreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit.
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4.2.2. An dem besagten Darlegungsmangel der Antragsbegründung ändert es nichts, dass auch das Verwaltungsgericht nichts Näheres zum einschlägigen iranischen Strafrecht ausführt, sondern lediglich unbestimmt von einem „allgemeinen Straftatbestand“ im Iran für außerehelichen Geschlechtsverkehr spricht (UA S. 13 Zeilen 3 bis 4).
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Zwar erscheint die Richtigkeit dieser verwaltungsgerichtlichen Vorgehensweise ebenso ernstlich zweifelhaft wie das verwaltungsgerichtliche Argument der fehlenden „politischen Bedeutung“ (UA S. 13 Zeile 4), das dem weit über „politische Überzeugungen“ hinausreichenden Kanon von Verfolgungsgründen in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 AsylG – der im Zeitpunkt des vom Verwaltungsgericht zitierten Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. April 1998 – 19 ZB 98.31801 – (BeckRS 1998, 18150) noch nicht in Kraft war – nicht gerecht wird. Letzteres wird auch nicht ausgeglichen durch den Verweis des angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Urteils auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 22. Januar 2019 – 3 A 276/17 – (BeckRS 2019, 22673 Rn. 25), wo argumentiert wird, nach iranischem Gesetz würden Strafverfolgung und -maß gleichmäßig auf „alle Frauen“ angewendet (UA S. 13 oben mit Hinweis auf VG Magdeburg, U.v. 22.1.2019 a.a.O.); das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil problematisiert insoweit nicht hinreichend, dass es bei der vorliegend fraglichen „geschlechtlichen“ Diskriminierung von Frauen gerade auf einen Vergleich mit Strafverfolgung und -maß gegen Personen „anderen“ Geschlechts als Frauen (namentlich Männern) bei außerehelichem Geschlechtsverkehr angekommen wäre.
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Jedoch entbinden diese ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils die Klageseite nicht von ihrer besagten, aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG folgenden Obliegenheit, die Klärungsfähigkeit darzulegen und dazu so vorzutragen, dass im Berufungszulassungsverfahren geprüft werden kann, ob die jeweils aufgeworfene Frage in einem Berufungsverfahren geklärt werden kann (siehe 4.2.1.). Dabei ist zu sehen, dass § 78 Abs. 3 AsylG – im Gegensatz zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO – eine Berufungszulassung wegen ernstlicher Richtigkeitszweifel gerade nicht ermöglicht. Aus diesem Grund bleibt der Berufungszulassungsantrag auch erfolglos, soweit die Antragsbegründung bei Frage c) die besagten ernstlichen Richtigkeitszweifel der Sache nach erkennt und rügt.
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5. Auch bei Frage d) scheitert die Klärungsfähigkeit an der Maßgeblichkeit der verwaltungsgerichtlichen Feststellungen. Frage d) bezieht sich auf „die Prüfung der Sicherung des Existenzminimums“, also auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Soweit die Antragsbegründung dabei „gefahrerhöhende Umstände“ wie den Gesundheitszustand der Betroffenen anspricht und damit eine „Vulnerabilität“ der Klägerin sieht (Antragsbegründung S. 8 unten), widerspricht dies der mangels Verfahrensrüge auch insoweit maßgeblichen (siehe 3.) Einschätzung des Verwaltungsgerichts, ein solcher „gefahrerhöhender Umstand“ liege im Fall der Klägerin nicht vor, weil eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung aktuell nicht ersichtlich sei (UA S. 16 letzter Absatz). Im Übrigen befasst sich die Antragsbegründung entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht näher mit dieser verwaltungsgerichtlichen Argumentation.
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Unabhängig davon ist im Hinblick auf die Frage d) auch die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt. Es ist höchstgerichtlich geklärt (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – NVwZ 2020, 158 Rn. 12 m.w.N.; B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – NVwZ 2019, 61 Rn. 9 m.w.N.), dass zwar eine Verletzung des Art. 3 EMRK in besonderen Ausnahmefällen aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht kommt, zu denen auch die Gesundheitsversorgung gehört, dass jedoch die im Zielstaat drohenden Gefahren ein „Mindestmaß an Schwere“ aufweisen müssen, das relativ ist und von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Hierzu hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, U.v. 13.12.2016 – Paposhvili/Belgien, Nr. 41738/10 – NVwZ 2017, 1187) entschieden, dass die erhöhte Schwelle für die Anwendbarkeit von Art. 3 EMRK bei Ausweisung schwerkranker Ausländer in ein Aufnahmeland mit schlechterer medizinischer Versorgung in denjenigen besonderen Ausnahmefällen erreicht ist, in denen ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass sie – auch wenn keine unmittelbare Gefahr für ihr Leben besteht – wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Aufnahmeland oder weil sie dazu keinen Zugang haben, tatsächlich der Gefahr ausgesetzt sind, dass sich ihr Gesundheitszustand erheblich, schnell und irreversibel verschlechtert mit der Folge intensiven Leids oder einer erheblichen Herabsetzung der Lebenserwartung.
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Mit diesen höchstgerichtlichen Klärungen befasst sich die Antragsbegründung nicht und macht deshalb entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG die Klärungsbedürftigkeit der Frage d) nicht genügend deutlich.
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6. Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt die Klägerin, die dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
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Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.