Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.06.2023 – 1 CS 23.647
Titel:

Erfolgloser Nachbareilantrag gegen Baugenehmigung für Nebengebäude im Außenbereich

Normenketten:
VwGO § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4 S. 4
BauGB § 35 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 5
BayVwVfG § 44
BayBO Art. 3 S. 1, Art. 4 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Auf Grund der subjektiven Ausrichtung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes ist auch im Fall der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts Voraussetzung für den Erfolg einer Nachbarklage, dass der um Rechtsschutz ersuchende Nachbar als Kläger in eigenen subjektiven Rechten verletzt ist. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab, dh je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen und je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbareilantrag gegen Nebengebäude im Außenbereich, Gebot der Rücksichtnahme, Abstand zwischen baulichen Anlagen und Wald, vorläufiger Rechtsschutz, Beschwerdeverfahren, Bauplanungsrecht, Baugenehmigung, Nichtigkeit, Außenbereich, Nebengebäude, Hackschnitzelanlage, Rücksichtnahmegebot, Belichtung, Belüftung, Brandgefahr, Neupflanzungen, Baumwuchs, Waldnachverdichtung, Abstandsflächen
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 24.03.2023 – M 1 SN 23.223
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17191

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Nebengebäudes auf dem im Außenbereich gelegenen Grundstück FlNr. …, Gemarkung B… Nach den genehmigten Plänen ist im Erdgeschoss des Gebäudes im westlichen Bereich eine Nutzung als Garage und im östlichen Bereich eine Heizung mit Hackschnitzellager und Abstellraum vorgesehen. Im Dachgeschoss werden zwei Speicherräume genehmigt.
2
Am Vorhabenstandort befand sich seit einem nicht genauer bekannten Zeitpunkt, jedenfalls aber seit Anfang der 1960er Jahre, eine Scheune. Genehmigungsunterlagen hierzu liegen nicht vor. Diese Scheune wurde zuletzt bei einem Sturmereignis im Februar 2020 beschädigt und in der Folge ohne vorherige Genehmigung durch das nunmehr zur Genehmigung gestellte – weitgehend bereits verwirklichte – Vorhaben ersetzt. Auf dem Vorhabengrundstück befindet sich südlich des Nebengebäudes ein Wohnhaus, das vom Sohn des Beigeladenen bewohnt wird. Die Antragstellerin ist Nießbraucherin des nördlich an das Vorhabengrundstück angrenzenden Grundstücks FlNr. …, das nach ihrem Vortrag forstwirtschaftlich genutzt wird.
3
Die Antragstellerin erhob gegen die Baugenehmigung Klage und stellte einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, den das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss abgelehnt hat. Die Baugenehmigung verletze sie nicht in ihren Rechten. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liege nicht vor. Die Abstandsflächen seien eingehalten.
4
Mit der Beschwerde verfolgt sie ihr Rechtsschutzziel weiter.
5
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.
6
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen
II.
7
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
8
Die innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung.
9
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung wird ihre Nachbarklage gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung erfolglos bleiben, sodass das Interesse an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse des Beigeladenen nachrangig ist.
10
Ohne Erfolg macht die Beschwerde geltend, dass die angegriffene Baugenehmigung als Gefälligkeitsentscheidung bereits wegen schwerwiegender Fehler gemäß Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG nichtig und bereits deshalb im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen sei. Auf Grund der subjektiven Ausrichtung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes ist auch im Fall der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts Voraussetzung für den Erfolg einer Nachbarklage, dass der um Rechtsschutz ersuchende Nachbar als Kläger in eigenen subjektiven Rechten verletzt ist (vgl. BayVGH, 16.3.2021 – 15 CS 21.544 – juris Rn. 44; B.v. 25.8.2016 – 22 ZB 15.1334 – juris Rn. 64) Die Frage, ob eventuelle (rein objektiv-rechtliche) Rechtverstöße aufgrund ihrer Vielzahl, ihrer Schwere und / oder aufgrund der gegebenen Umstände zur Nichtigkeit der Baugenehmigung gemäß Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG führen, ist daher für die Erfolgsaussichten in der Hauptsache und damit auch für die hierauf bezogene Abwägungsentscheidung im Eilverfahren gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO irrelevant.
11
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass sich die Nachbarn nicht gegen ein objektivrechtlich unzulässiges Bauvorhaben im Außenbereich wenden können, steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung (BVerwG, B.v. U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – BauR 1994, 354; BayVGH, B.v. 25.10.2010 – 2 CS 10.2137 – BauR 2011, 256). Dass die Baugenehmigung zu Lasten der Antragstellerin gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt, auf das sie sich gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB berufen kann (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2017 – 4 C 3.16 – BVerwGE 159, 187), zeigt das Beschwerdevorbringen nicht auf. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – BVerwGE 52, 122; BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 16; B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 4). Dabei ist nicht jede Beeinträchtigung des Eigentums durch eine benachbarte bauliche Nutzung rücksichtslos. Ebenso wenig besteht ein Anspruch, vor einer mit einer Nachbarbebauung verbundenen Änderung der Situation und einer damit einhergehenden Wertminderung bewahrt zu bleiben (vgl. BVerwG, B.v. 13.11.1997 – 4 B 195.97 – NVwZ-RR 1998, 540; BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 1 ZB 18.696 – juris Rn. 9). Damit sind auch gewisse Veränderungen in den Bewirtschaftungsanforderungen und damit verbundene Gewinneinbußen hinzunehmen.
12
Hieran gemessen ist ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht dargetan. Soweit die Antragstellerin anführt, dass es durch die vorhabenbedingte Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung zu einer Verschlechterung der Aufwuchsbedingungen bei Neuanpflanzungen in ihrem Wald sowie zu einer Beeinträchtigung des Wasserhaushalts komme, lässt sie unberücksichtigt, dass Waldeigentümer grundsätzlich damit zu rechnen haben, dass die ihrem Wald benachbarten Grundstücke auf eine Weise genutzt werden, die für sie Wirtschaftserschwernisse mit sich bringt (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2021 – 15 CS 21.1081 – juris Rn. 27; B.v. 29.10.2020 – 15 ZB 20.469 – juris Rn. 13). Im Übrigen befand sich am Vorhabenstandort seit Jahrzehnten ein Gebäude, sodass sich im Hinblick auf die Belichtungs-, Belüftungs- und Bewässerungssituation keine wesentliche Änderung für das Grundstück der Antragstellerin ergibt. Angesichts des Abstands des Vorhabens zum Grundstück der Antragstellerin, das nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts die Abstandsflächen einhält, sowie des von der Antragstellerin bei Neuanpflanzungen nach dem AGBG einzuhaltenden Grenzabstands ist eine unzumutbare Beeinträchtigung des Aufwuchses von Bäumen und der Nachverdichtung des Waldes fernliegend. Selbiges gilt für die geltend gemachte Beeinträchtigung durch Lärmimmissionen. Unabhängig davon, dass im Hinblick auf die Nutzung des Gebäudes als Garage und für die Hackschnitzelheizung keine lärmintensive Nutzung zu erwarten steht, befindet sich auf dem Grundstück der Antragstellerin keine schutzwürdige Nutzung. Auf eine bereits nicht näher dargelegte Beeinträchtigung der Vogel- und Wildpopulation kann sich die Antragstellerin nicht berufen, da die Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB nicht drittschützend sind.
13
Eine unzumutbare Beeinträchtigung ergibt sich auch nicht aus der vorgetragenen Brandgefahr durch die Hackschnitzelanlage bzw. durch eine Nutzung als Garage. Die Genehmigung erging hier im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 BayBO, sodass brandschutzrechtliche Vorschriften nicht Prüfungsgegenstand des Genehmigungsverfahrens und damit auch nicht Regelungsbestandteil der Baugenehmigung sind. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht hierzu ausgeführt, dass unzumutbare Umwelteinwirkungen ausgeschlossen werden können, wenn die Hackschnitzelheizung ordnungsgemäß eingebaut und betrieben wird. Hierzu verhält sich das Beschwerdevorbringen nicht.
14
Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, dass das Vorhaben den in Bayern üblichen Abstand von 25 m zwischen baulichen Anlagen und Wald nicht einhalte. Unabhängig davon, dass dieser Vortrag erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO erfolgte, kann sich die Antragstellerin nicht auf die Nichteinhaltung dieses Abstands berufen. Mit ihrem Vortrag bezieht sich die Antragstellerin augenscheinlich auf die auf Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 BayBO beruhenden Vollzugshinweise zu der Abstandsempfehlung im Rundschreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 11. Juli 1986 – Nr. II B7-4101-4.2, aktualisiert durch das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 18. März 2009 – Nr. R 2/a-FG110-211 (jeweils abgedruckt als Anhang Nr. 81 und Nr. 81a bei Busse/Kraus, BayBO, Stand: Januar 2023). Die diesen Vollzugshinweisen zu Grunde liegenden Vorschriften dienen den Interessen der Allgemeinheit und haben grundsätzlich keinen nachbarschützenden Charakter (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2021 – 15 CS 21.1081 – juris Rn. 33; B.v. 16.12.2019 – 1 ZB 18.268 – juris Rn. 10; B.v. 23.8.2016 – 15 ZB 15.2668 – juris Rn. 11).
15
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
16
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).