Titel:
Abweichung bei den baurechtlichen Abstandsflächen: Atypik weiterhin erforderlich
Normenkette:
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3, Art. 28 Abs. 2 Nr. 1, Art. 63 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Die Erteilung einer Abweichung von der Einhaltung der erforderlichen Abstandstiefe (Art. 6 Abs. 5 BayBO) nach Art. 63 BayBO in der seit dem 1. September 2018 geltenden Fassung erfordert noch eine atypische Situation, um dem Schutzzweck der Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO entsprechen zu können. In Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO findet ein etwa vorhandener Wille des Gesetzgebers, dass eine Atypik bei der Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächen generell nicht mehr zu prüfen sein soll, keinen hinreichenden Niederschlag. (Rn. 26)
2. Mit dem seit dem 1. Februar 2021 eingeführten Regelbeispiel des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO hat der Gesetzgeber erstmals eine atypische Situation konkret festgestellt, mit der eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden soll. (Rn. 27)
Schlagworte:
Nachbarklage, Umbau eines Wohngebäudes und eines ehemaligen Stalls zu einem Wohnheim, Keine regellose Bebauung, Erteilung von Abweichungen, BayBO 2021, Brandwand, keine regellose Bebauung, Abweichung, atypische Situation, Abstandsfläche, Umbau, Wohnheim, Wohngebäude, Abstandsfächenrecht, Bauordnungsrecht
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 23.09.2020 – M 9 K 19.2984
Fundstellen:
BayVBl 2024, 17
BeckRS 2023, 17178
LSK 2023, 17178
NVwZ-RR 2023, 977
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Die Kostenentscheidung ist für den Beigeladenen gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Für die Beklagte ist die Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Umbau eines Gebäudes in ein Wohnheim für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge.
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Der Beigeladene ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung M., auf dem sich ein ursprünglich landwirtschaftlich genutztes Bestandsgebäude aus dem Jahr 1882, bestehend aus einem Wohnteil und einem direkt anschließenden Stall, befindet. Das Gebäude grenzt im Norden unmittelbar an das im Eigentum der Klägerin stehende Grundstück FlNr. … an, nach Westen ist es mit einem Abstand von ca. 70 cm zur Grundstücksgrenze der Klägerin errichtet. Auf der Nord- und Westseite des Gebäudes befinden sich diverse Fenster. Um 1900 verlief auf den ursprünglich ungeteilten Grundstücken der Klägerin und des Beigeladenen entlang der Nordseite des Bestandsgebäudes ein Durchfahrtsweg. Mit Tauschvertrag vom 6. November 1929 wurde dieser Weg, der sich bis dahin im Eigentum der Gemeinde befand, von den Rechtsvorgängern der Klägerin gegen ein anderes Grundstück ausgetauscht. Im Hinblick darauf, dass das Gebäude nunmehr unmittelbar an der Grundstücksgrenze zur Klägerin stand, erfolgte gleichzeitig die Bewilligung einer Grunddienstbarkeit zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Vorhabengrundstücks auf dem Grundstück der Klägerin unter Bezugnahme auf die Darstellung der Fläche im Messungsverzeichnis Nr. 77 aus dem Jahre 1929. Danach ist der jeweilige Eigentümer des herrschenden Grundstücks berechtigt, über die erworbene Teilfläche von 0,053 ha jederzeit zur Verbringung der Kartoffeln und Rüben etc. in seinen Keller, zur Entleerung der dort befindlichen Jauchegrube sowie zur Vornahme von etwaigen baulichen Veränderungen zu gehen und zu fahren. Mit Bescheid vom 27. Mai 2019 erteilte die Beklagte dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächen nach Norden.
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Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage der Klägerin mit Urteil vom 23. September 2020 abgewiesen. Die beantragte Nutzungsänderung löse eine abstandsflächenrechtliche Neubetrachtung aus; nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO seien aber weder nach Norden noch nach Westen vor den Außenwänden Abstandsflächen erforderlich. In der näheren Umgebung des Vorhabens, die eine historisch gewachsene offene und geschlossen Bauweise aufweise, ohne dabei ein städtebauliches Ordnungssystem erkennen zu lassen, liege eine regellose Bebauung vor. Ausnahmsweise könne auch für die westliche Außenwand, die einen Abstand von ca. 70 cm zur Grundstücksgrenze aufweise, Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO Anwendung finden. Der geringe Grenzabstand sei der historischen Entstehung des Grenzverlaufs zwischen dem Vorhabengrundstück und dem Nachbargrundstück geschuldet. Nachbarschützende Vorschriften über die äußeren Brandwände nach Art. 28 BayBO seien nicht verletzt. Nur die westliche Gebäudeabschlusswand müsse als Brandwand ausgeführt werden, nicht aber die nördliche Gebäudewand, da aufgrund des eingeräumten Geh- und Fahrtrechts ein Abstand von 5 m zu bestehenden oder nach baurechtlichen Vorschriften zulässigen künftigen Gebäuden gesichert sei. In der Gesamtschau der Pläne, insbesondere nach dem Messverzeichnis Nr. 77/29, und der durchgeführten Ortseinsicht weise das Geh- und Fahrtrecht auf Höhe des als Wohnteil vorgesehenen Teils des Vorhabengebäudes eine Breite von mindestens 5 m auf. Das Geh- und Fahrtrecht sei nicht auf eine landwirtschaftliche Nutzung des herrschenden Gebäudes beschränkt, da auch bauliche Veränderungen vorgenommen werden dürften. Dem Vorliegen funktionsfähiger Rettungswege nach Art. 31 BayBO komme keine nachbarschützende Wirkung zu. Eine Verletzung der Klägerin nach Art. 14 Abs. 1 GG durch den vorgesehenen zweiten Rettungsweg über ihr Grundstück durch ein entstehendes Notwegerecht sei ausgeschlossen, da insoweit nur der Fall einer fehlenden wegemäßigen Erschließung eines Grundstücks, nicht aber das Fehlen eines zweiten Rettungsweges betroffen sei. Ein Notwegerecht für die Nutzung als zweiten Rettungsweg könne nicht entstehen. Die Benutzung seines Grundstücks zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr habe der Nachbar wegen § 904 Satz 1 BGB zu dulden.
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Mit Nachtragsbescheid vom 16. September 2021 ergänzte die Beklagte die bereits erteilte Abweichungsentscheidung von den nach Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen.
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Die Klägerin beantragt in dem vom Senat mit Beschluss vom 16. August 2021 zugelassenen Berufungsverfahren:
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I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 23. September 2020 wird aufgehoben.
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II. Der Baugenehmigungsbescheid der Beklagten vom 27. Mai 2019 in der Fassung des Nachtragsbescheides vom 16. September 2021 wird aufgehoben.
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Die angefochtene Baugenehmigung verletze drittschützende Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO. Das Bauvorhaben halte weder zur Nordseite noch zur Westseite die erforderlichen Abstandsflächen ein. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO sei nicht einschlägig. Die nähere Umgebung sei nicht regellos. Für die maßgebliche Bebauung müsse ein kleinerer Umgriff herangezogen werden als etwa bei der Frage nach der Art der baulichen Nutzung. Aufgrund der unterschiedlichen städtebaulichen Besonderheiten könne daher nicht auf die Bebauung „rund um den M.platz“ abgestellt werden. Die Anwesen südlich der R. Straße seien direkt grenzständig um den M.platz gruppiert, während die Hauptgebäude nördlich der R. Straße stark zurückgesetzt und getrennt von den zum M.platz grenzständig errichteten Nebengebäuden errichtet worden seien. Zudem wiesen einige der südlich am M.platz gelegenen Gebäude auch eine Grenzbebauung zur seitlichen Grundstücksgrenze auf. Das seit 30 Jahren leerstehende Anwesen M.platz 3 präge die Umgebung nicht mehr; es handle sich um eine Bauruine. Die Bebauung des Vorhabengrundstücks könne die nähere Umgebung als sogenannter Ausreißer nicht prägen. Die erteilten Abweichungen seien rechtswidrig. Die zugelassene Heimnutzung stelle keine Wohnnutzung im Sinn des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO dar. Fraglich sei auch, ob es sich um ein „rechtmäßig errichtetes“ Anwesen handle, da eine Baugenehmigung nicht vorgelegt worden sei. Mit der erstmaligen Zulassung eines Heims zur Unterbringung von Jugendlichen sei eine wesentliche Änderung der Art der baulichen Nutzung des grenzständigen Gebäudes verbunden mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Umfeld, insbesondere auf den sozialen Wohnfrieden. Die genehmigte Nutzungsänderung sei aufgrund der zusätzlichen Schaffung von Aufenthaltsräumen für eine Vielzahl von Personen mit den damit verbundenen Einsichtsmöglichkeiten in bzw. auf ihr Nachbaranwesen auch wesentlich konfliktträchtiger. Das Geh- und Fahrtrecht beinhalte keine Übernahme von Abstandsflächen, sodass eine Überbauung auf ihrem Grundstück, z.B. ab dem ersten Stock, möglich sei. In die Interessenabwägung sei auch nicht eingestellt worden, dass die nachbarschützende Brandschutzvorschrift des Art. 28 BayBO nicht eingehalten werde, da das eingetragene Geh- und Fahrtrecht eine Bebauung ihres Grundstücks in einer geringeren Entfernung als 5 m zur Grundstücksgrenze nicht ausschließe. Die exakte Breite des Ausübungsbereichs des Geh- und Fahrtrechts könne den vorliegenden Unterlagen, insbesondere dem Messverzeichnis Nr. 77/29, nicht entnommen werden. Vielmehr ergebe sich im östlichen Bereich des Ausübungsbereichs des Geh- und Fahrtrechts ein Abstand zwischen den existierenden Grenzpunkten von lediglich 3,7 m ohne weitere Aufweitung. Die Zulassung des Vorhabens dränge ihr auch die Duldung eines zweiten Rettungswegs auf ihrem Grundstück auf. Dabei könne dahinstehen, ob die Rechtsbeeinträchtigung hier ausnahmsweise aus Art. 31 BayBO bzw. aus Art. 14 GG resultiere oder aus dem Gebot der Rücksichtnahme nach § 34 BauGB. Denn das Geh- und Fahrtrecht umfasse nicht die Nutzung ihres Grundstücks als Rettungsweg und zur Aufstellung von Rettungsgerätschaften. Bei dem Vorhaben handle es sich um einen Sonderbau mit zusätzlichen brandschutzrechtlichen Anforderungen; der Beigeladene sei nach § 1020 BGB zu einer schonenden Ausübung des Geh- und Fahrtrechts verpflichtet und müsse den Rettungsweg auf seinem Grundstück schaffen. Für den Fall einer unberechtigten Inanspruchnahme eines Nachbargrundstücks müsse Art. 31 BayBO nachbarschützende Wirkung zukommen. Jedenfalls aber sei das Aufdrängen der Duldung eines zweiten Rettungswegs unzumutbar oder führe – ähnlich wie bei einem aufgedrängten Notwegerecht – ausnahmsweise zu einer Verletzung von Art. 14 GG. Ein zweiter Rettungsweg sei auch nicht nach § 904 BGB zu dulden, da § 917 BGB nur ein Anwendungsfall des allgemeinen Noteingriffsrechts des § 904 BGB darstelle. Die erforderliche Notstandslage sei erst durch die Erteilung der Baugenehmigung geschaffen worden. Dadurch sei es ihr auch nicht mehr möglich, ein Tor an ihrer Einfahrt anzubringen. Die Baugenehmigung sei auch unter Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme erteilt worden, da der Grenzbau eine mögliche Wohnbebauung auf ihrem Grundstück unzumutbar einschränke und sie einen nicht erforderlichen zweiten Rettungsweg auf ihrem Grundstück hinnehmen müsse.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Baugenehmigung verletze keine Abstandsflächenvorschriften. Die erteilten Abweichungen von den erforderlichen Abstandsflächen nach Norden und Westen nach Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO seien rechtmäßig. Entsprechend der Neuregelung des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO wäre bei Abbruch des Bestandsgebäudes der Neubau eines Wohngebäudes höchstens gleicher Abmessung und Gestalt unter Erteilung einer Abweichung an gleicher Stelle zulässig. Dies müsse erst Recht für die vorliegende Nutzungsänderung gelten. Es liege weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht eine im Vergleich zu einem Wohngebäude gleicher Abmessung und Gestalt abweichende Situation vor, die geeignet sei, den sozialen Wohnfrieden zu stören. Die Nutzungsänderung umfasse lediglich einen 6,21 m langen Teilbereich des ehemaligen Stallgebäudes. Die Qualifizierung des Vorhabens als Wohnheim gemäß Art. 2 Abs. 4 Nr. 11 BayBO ändere nichts daran, dass die Jugendlichen dort wohnen würden. Die Anzahl der in einem Wohnhaus lebenden Personen könne den nachbarlichen Wohnfrieden nicht beeinträchtigen. Desweiteren habe die Abweichung nach Westen aufgrund der vorliegenden Atypik erteilt werden können. Auf den beiden Grundstücken sei bereits ca. 1880 eine besondere bauliche Situation entstanden, da das Vorhabengebäude mit einem Abstand von ca. 70 cm zur westlichen Grundstücksgrenze zulässigerweise errichtet worden sei. Das Interesse des Beigeladenen, den Bestand des Wohnhauses abzusichern, überwiege hier im Vergleich zum Interesse der Klägerin. Zudem seien die Fensteröffnungen durch eine F-60-Wand brandschutztechnisch ertüchtigt worden, sodass die Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayBO erfüllt seien. Die nördliche Wand des Gebäudes müsse keine Brandwand sein, da das Geh- und Fahrtrecht im maßgeblichen Bereich der Nutzungsänderung die Breite von 5 m übersteige. Auch wenn die Kartenbeilage des Messungsverzeichnisses keine exakte Bestimmung mit Maßzahlen zulassen sollte, sei jedenfalls ersichtlich, dass sich die Breite des Geh- und Fahrtrechts, das sich nach Westen erheblich ausdehne und auf Höhe der westlichen Abschlusswand ca. 13 m erreiche, im Bereich des ehemaligen Stadels zumindest 5,50 m breit sei. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liege nicht vor. Durch die Nutzungsänderung sowie Schließung der Fenster gehe keine verschattende bzw. erdrückende Wirkung aus, da keine Änderungen an der Kubatur des Gebäudes erfolgten.
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Der Beigeladene beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Das Vorhaben halte sowohl zur Nordseite als auch zur Westseite die erforderlichen Abstandsflächen ein, jedenfalls sei die Erteilung von Abweichungen nicht zu beanstanden. Ursprünglich habe es sich bei den Grundstücken um einen Hof gehandelt, von dem sein Grundstück vor 1900 abgemarkt worden sei. Das Gebäude sei daher nicht an die Grundstücksgrenze gebaut worden. An der Nordseite des Gebäudes sei früher die O. straße verlaufen. Es habe Einigkeit darüber bestanden, dass bei dem später durchgeführten Grundstückstausch und der Verlegung der H. straße südlich der beiden Anwesen keine Nachteile bei ihm bzw. seinen Rechtsvorgängern eintreten dürften. Das Verwaltungsgericht habe die nähere Umgebung zutreffend eingeschätzt. Das vor über 100 Jahren errichtete Vorhabengebäude stelle keinen Fremdkörper dar. Eine Beeinträchtigung der Klägerin in Bezug auf Belichtung, Belüftung und Besonnung liege nicht vor, der Brandschutz sei gewährleistet. Im Übrigen seien die Ausführungen der Klägerin unzutreffend.
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Auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2023 sowie des Augenscheins mit Bildaufnahmen wird Bezug genommen. Weiter wird ergänzend auf die Gerichtsakten sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Gegenstand des Rechtsstreits ist der Baugenehmigungsbescheid vom 27. Mai 2019 in Gestalt des Nachtragsbescheids vom 16. September 2021, mit dem unter Zulassung von Abweichungen von den Abstandsflächen nach Norden und nach Westen der Umbau eines bestehenden Wohnhauses und eines Teilbereichs des unmittelbar anschließenden ehemaligen Stallgebäudes zu einem Wohnheim für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge zugelassen wurde. Den Nachtragsbescheid hat die Klägerin zulässigerweise in ihre Klage einbezogen (vgl. BVerwG, B.v. 1.9.2020 – 4 B 12.20 – NVwZ-RR 2021, 87).
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Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
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Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 27. Mai 2019 in Gestalt des Nachtragsbescheids vom 16. September 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bauvorhaben des Beigeladenen verstößt nicht gegen nachbarschützendes Abstandsflächenrecht (1.). Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO kommt für die maßgeblichen Grundstücksgrenzen im Norden und Westen des Vorhabengebäudes zwar nicht zur Anwendung, da insoweit die angenommene regellose Bebauung in der näheren Umgebung nicht vorliegt und es zudem im Westen des Vorhabengebäudes an einer Grenzbebauung fehlt (1.1.). Die erteilten Abweichungen von den erforderlichen Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO sind jedoch rechtmäßig, nachbarschützende Belange der Klägerin werden dadurch nicht verletzt (1.2.). Durch das Bauvorhaben wird auch das Rücksichtnahmegebot aus § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht verletzt (2.).
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1. Der Baugenehmigung kommt Feststellungswirkung zu Lasten der Klägerin u.a. hinsichtlich der drittschützenden Anforderungen der BayBO zu (Art. 60 Abs. 1 Nr. 2 BayBO), da ein Wohnheim als Sonderbau nach Art. 2 Abs. 4 Nr. 11 BayBO genehmigt wurde. Das Bauvorhaben des Beigeladenen macht eine neue Gesamtbetrachtung in bauplanungsrechtlicher Hinsicht erforderlich, weil mit der Baumaßnahme eine relevante Erhöhung des Nutzungsmaßes verbunden ist (vgl. BVerwG, U.v. 14.4.2000 – 4 C 5.99 – BayVBl 2001, 22; BayVGH, B.v. 3.12.2014 – 1 B 14.819 – juris Rn. 17). Auch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht ist das Bauvorhaben aus dem Blickwinkel der maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften anders zu beurteilen als die bisherige Nutzung. Das Bauvorhaben verstößt nicht gegen nachbarschützendes Abstandsflächenrecht.
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1.1. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO ist für die maßgeblichen Grundstücksgrenzen im Norden und Westen des Bauvorhabens nicht einschlägig. Nach der dem Städtebau den Vorrang einräumenden Bestimmung ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans hängt die Zulässigkeit der Errichtung eines Gebäudes mit oder ohne seitlichen Grenzabstand von der nach § 22 BauNVO festzusetzenden Bauweise ab. Entsprechendes gilt im nicht beplanten Innenbereich nach § 34 BauGB. Das gilt auch dann, wenn die vorhandene Mischung von Gebäude mit und ohne seitlichem Abstand „regellos“ erscheint (vgl. BayVGH, U.v. 25.11.2013 – 9 B 09.952 – juris Rn. 46; U.v. 23.3.2010 – 1 BV 07.2363 – BayVBl 2011, 81). Die angenommene „Regellosigkeit“ aufgrund einer in der näheren Umgebung historisch gewachsenen offenen und geschlossenen Bauweise, die kein Ordnungssystem erkennen lässt, ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
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Nach der planungsrechtlichen Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB reicht der die nähere Umgebung bildende Bereich so weit, wie sich die Ausführung des zur Genehmigung gestellten Vorhabens auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst, wobei auf das abzustellen ist, was in der Umgebung tatsächlich vorhanden ist (vgl. BVerwG, B.v. 22.10.2020 – 4 B 18.20 – juris Rn. 4; B.v. 27.3.2018 – 4 B 60.17 – ZfBR 2018, 479). Dabei muss die Betrachtung auf das Wesentliche zurückgeführt und alles außer Betracht gelassen werden, was die vorhandene Bebauung nicht prägt oder in ihr als Fremdkörper erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 23.86 – BVerwGE 84, 322). Wie weit diese gegenseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls und für die jeweiligen Einfügenskriterien gesondert zu bestimmen. Im Regelfall wird die nähere Umgebung für die Kriterien des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Fläche enger zu ziehen sein als für die Art der baulichen Nutzung, weil es bei diesen Kriterien maßgeblich auf den optischen Eindruck und damit auf eine Sichtbeziehung vom bzw. zum Vorhaben ankommt; letztlich entscheidend ist aber der jeweils zu beurteilende Einzelfall (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – NVwZ 2014, 1246).
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Nach diesen Maßstäben ist nach dem Eindruck, den der Senat bei der Ortsbesichtigung gewonnen hat und der sich aus dem Auszug aus BayernAtlas ergibt, für die Bestimmung der näheren Umgebung auf die Bebauung der Grundstücke nördlich der R. Straße, ausgehend von der Bebauung M.platz 9 und der Bebauung auf dem klägerischen Grundstück (M.platz 7) sowie die Bebauung östlich des M.platzes (M.platz 2 und 3), abzustellen. Dieser Abschnitt ist gekennzeichnet von einer homogenen Bebauung, die – mit Ausnahme des Wohn- und Geschäftshauses M.platz 2 – aus vom M.platz zurückgesetzten Wohngebäuden, die teilweise weit in den rückwärtigen Grundstücksteil hineinragen, und landwirtschaftlich genutzten Gebäuden besteht. Der Senat hat sich beim Ortstermin auch davon überzeugen können, dass es sich bei der Bebauung M.platz 3 noch um eine landwirtschaftliche Hofstelle handelt mit einem Wohngebäude, das noch teilweise als Aufenthaltsraum genutzt wird sowie landwirtschaftlichen Gebäuden, die für die Pferdehaltung genutzt werden. Insoweit ist von einer gegenseitigen Beeinflussung und Prägung dieser Grundstücke auszugehen. Das Vorhabengrundstück (M.platz 8), das im rückwärtigen Bereich unmittelbar an das nördlich Grundstück angrenzt, fällt dagegen hinsichtlich der Bauweise aus dem oben dargestellten Rahmen der näheren Umgebungsbebauung heraus. Dass dies der historischen Entwicklung, insbesondere der Herausteilung aus dem klägerischen Grundstück geschuldet ist, vermag daran nichts zu ändern. Es kann daher wegen seines Fremdkörpercharakters die nähere Umgebung nicht prägen. Die Wohn- und Geschäftsgebäude westlich und südlich des M.platzes hingegen sind grenzständig zum M.platz errichtet und weisen eine andere städtebauliche Struktur auf. Nachdem in der maßgeblichen näheren Umgebung eine regellose Bebauung nicht vorliegt, darf die nördliche und westliche Außenwand des Vorhabengebäudes nicht ohne Grenzabstand zum Grundstück der Klägerin ausgeführt werden.
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Unabhängig davon ist im Hinblick auf die westliche Grundstücksgrenze ein Fall des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO schon deshalb nicht gegeben, weil das Vorhabengebäude nicht unmittelbar an der Grundstücksgrenze liegt, sondern zu dieser eine Abstand von ca. 70 cm einhält. Nach seinem Wortlaut regelt Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO ausschließlich den unmittelbaren Anbau an die Grundstücksgrenze, nicht aber die Verwirklichung geringerer oder ungenügender Abstandsflächen wie z.B. bei Traufgassen oder „engen Reihen“ (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2014 – 1 ZB 13.2536 – BayVBl 2014, 634; U.v. 22.11.2006 – 25 B 05.1714 – NVwZ-RR 2007, 512).
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1.2. Die nach Art. 63 BayBO erteilten Abweichungen von den erforderlichen Abstandsflächen nach Norden und Westen nach Art. 6 BayBO sind rechtmäßig, nachbarschützende Belange der Klägerin werden dadurch nicht verletzt.
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1.2.1. Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde eine Abweichung von den Anforderungen der BayBO – also auch von den Anforderungen des Art. 6 BayBO – zulassen, wenn diese unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Damit verpflichtet das Gesetz, die Belange der Nachbarn, die durch die Abweichung berührt werden, zu ermitteln und entsprechend ihrem Gewicht in die Abwägung einzustellen. Es ist anhand der konkreten Situation zunächst zu klären, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Nachbarbelange durch die Abweichung beeinträchtigt werden. Ist eine nennenswerte Einbuße, insbesondere bei einem Vergleich mit der Situation ohne Abweichung, nicht festzustellen, steht einer Abweichung aus der Sicht des Nachbarn nichts entgegen.
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Die Frage, ob die Erteilung einer Abweichung von der Einhaltung der erforderlichen Abstandstiefe nach Art. 6 Abs. 5 BayBO nach Art. 63 BayBO in der seit dem 1. September 2018 geltenden Fassung und nach Einfügung des heutigen Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO noch eine atypische Situation voraussetzt, ist streitig (z.B. offen gelassen: BayVGH, B.v. 10.2.2022 – 15 ZB 21.2428 – juris Rn. 36; B.v. 7.6.2021 – 9 CS 21.953 – juris Rn. 22; ablehnend: BayVGH, B.v. 2. 5.2023 – 2 ZB 22.2484 – juris Rn. 10 in einem Zulassungsverfahren, in dem die Rechtmäßigkeit der Abweichungserteilung nicht entscheidungserheblich war). Nach Auffassung des Senats erfordert die Zulassung einer Abweichung vom Abstandsflächenrecht entsprechend der bisherigen Rechtsprechung auch nach der Gesetzesänderung noch eine sogenannte Atypik, um dem Schutzzweck der Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO entsprechen zu können. Danach sind Gründe erforderlich, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkten Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen. Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (vgl. BayVGH, U.v. 30.5.2018 – 2 B 18.681 – VGHE BY 71, 38 m.w.N.; U.v. 3.12.2014 – 1 B 14.819 – BayVBl 2015, 347). Eine solche Atypik kann sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern ergeben; auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren kann zu einer Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung führen (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – BauR 2007, 1858). In dem zum 1. September 2018 eingefügten Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO, wonach Art. 63 BayBO unberührt bleiben soll (§ 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung der Bayerischen Bauordnung und weiterer Rechtsvorschriften vom 10. Juli 2018, GVBl S. 523), findet ein etwa vorhandener Wille des Gesetzgebers, dass eine Atypik bei der Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächen generell nicht mehr zu prüfen sein soll, keinen hinreichenden Niederschlag. Für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung kommt es in erster Linie auf den objektivierten Willen des Gesetzgebers an (vgl. BVerwG, U.v. 22.8.2000 – 1 C 9.00 – DVBl 2001, 136). Nur wenn der Wille des Gesetzgebers auch im Text Niederschlag gefunden hat, kann dieser bei der Interpretation berücksichtigt werden (vgl. HessVGH, U.v. 23.7.2017 – 6 A 414/15 – juris Rn. 43 m.w.N.). Auf ein in der Gesetzesbegründung niedergelegtes Verständnis der Norm, das – wie hier – keinen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hat, kann nicht entscheidend abgestellt werden (vgl. BGH, U.v. 12.3.2013 – XI ZR 227/12 – BGHZ 197, 21). Auch bisher schon richteten sich die Voraussetzungen für die Erteilung von Abstandsflächenvorschriften nach Art. 63 BayBO, die Frage der Atypik war Teil der Prüfung der Voraussetzungen des Art. 63 BayBO. Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO mit seinem Verweis auf Art. 63 BayBO führt daher nicht zu einer Änderung der Rechtslage.
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Allerdings hat der Gesetzgeber mit Gesetz zur Vereinfachung baurechtlicher Regelungen und zur Beschleunigung sowie Förderung des Wohnungsbaus im Jahr 2021 nunmehr selbst definiert, unter welchen Voraussetzungen eine Abweichung erteilt werden soll. Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO in der seit dem 1. Februar 2021 geltenden Fassung soll für den Fall, dass ein rechtmäßig errichtetes Gebäude durch ein Wohngebäude höchstens gleicher Abmessung und Gestalt ersetzt wird, eine Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO erteilt werden. Mit der Aufnahme des in der Entscheidungspraxis sehr häufig vorkommenden Anwendungsfall für die Erteilung von Abweichungen als Regelbeispiel wird den durch Art. 14 GG geschützten Interessen des Bauherrn an einer sinnvollen Verwertung der vorhandenen Bausubstanz Rechnung getragen. Vorhandene Wohnpotentiale sollen besser reaktiviert und genutzt werden, um dringend benötigten Wohnraum zu schaffen. Die Regelung soll für Wohnraum jeder Art und Größe gelten. Die Erteilung von Abweichungen in anderen Fällen bleibt davon unberührt (vgl. LT-Drs. 18/8547, Begründung zu Nr. 22 Buchst. a (Art. 63 Abs. 1 Satz 2 neu), S. 20; Dhom/Simon in Busse/Kraus, BayBO, Stand Januar 2023, Art. 63 Rn. 28, 28a). Mit diesem Regelbeispiel hat der Gesetzgeber erstmals eine atypische Situation konkret festgelegt, unter der eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden soll (vgl. zu der vergleichbaren Problematik in § 31 Abs. 2 BauGB Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2022, § 31 Rn. 29). Die Änderung der Bayerischen Bauordnung ist im Verfahren zu berücksichtigen, da sie dem Nachtragsbescheid vom 16. September 2021 zugrunde liegt.
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1.2.2. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO sind gegeben.
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(1) Bei dem weit vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzbuches und der Bayerischen Bauordnung errichteten Bestandsgebäude, das sich vor 1900 auf dem Grundstücksteil des ungeteilten Grundstücks der Klägerin befand, handelt es sich um ein rechtmäßig errichtetes Gebäude. Ein solches liegt vor, wenn ein vorhandenes Gebäude zu irgendeinem früheren Zeitpunkt formell aufgrund einer bauaufsichtlichen Genehmigung oder sonst im Einklang mit materiellem Recht legal errichtet wurde und deshalb Bestandsschutz genießt (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 27.11.2020 – OVG 10 N 68.20 – juris Rn. 12 zur abstandsflächenrechtlichen Privilegierung in § 6 Abs. 9 Satz 1 Nr.1 und 2 BauO Bln). Für das Bestandsgebäude liegt zwar keine Baugenehmigung vor. Es befindet sich jedoch in den vorliegenden Unterlagen ein genehmigter Plan vom 5. Oktober 1882 für die Errichtung eines landwirtschaftlich genutzten Gebäudes, bestehend aus einem Wohnteil und einem direkt anschließenden Stall, der die Lage dieses Gebäudes sowie der Nebengebäude in einem Lageplan dargestellt. Dem entspricht der bauliche Ist-Zustand. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist das errichtete Bestandsgebäude als legal geschaffener Altbestand zu werten und fällt hinsichtlich seiner bestehenden baulichen Substanz unter die Regelungsvorschrift des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO.
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(2) Bei dem Bauvorhaben handelt es sich auch um ein Wohngebäude im Sinn des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO. Es fehlt zwar an einer gesetzlichen Definition des Begriffs Wohngebäude in der Bayerischen Bauordnung. Es spricht aber nichts dagegen, den Begriff des Wohnens wie im Baugesetzbuch und in der Baunutzungsverordnung als gekennzeichnet durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts anzusehen (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.1996 – 4 B 302.95 – BauR 1996, 676; BayVGH, U.v. 5.2.2015 – 2 BV 14.1202 – BayVBl 2015, 715). Ein Wohngebäude muss zum dauernden Wohnen geeignet und bestimmt sein (vgl. Nolte/Thum in Busse/Kraus, BayBO, Stand Januar 2023, Art. 46 Rn. 7a). Ob die in den vorliegenden Plänen dargestellten Zimmer im genehmigten Wohnheim für die Führung eines selbständigen Haushalts ähnlich wie in einem Studenten-, Lehrling- und Schülerwohnheim grundsätzlich geeignet sind (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2019 – 15 CS 18.2487 -DVBl 2019, 932), kann vorliegend dahinstehen. Denn jedenfalls hat auch ein Wohnheim, das eine selbständige Haushaltsführung nicht ermöglicht, insofern Elemente des Wohnens, da es auf Dauer und als Heimstatt genutzt wird. Die Jugendlichen halten sich dort nach den vorliegenden Unterlagen in den ersten Jahren ihres Ausbildungs- und Berufsleben und damit für einen längeren Zeitraum auf (vgl. auch § 58 Abs. 1a, § 25a Abs. 1 AufenthG), sodass es sich jedenfalls um eine wohnähnliche Nutzung handelt, die nach allgemeiner Auffassung dem Wohnen gleichsteht (vgl. BayVGH, U.v. 16.2.2015 – 1 B 13.648 – juris Rn. 26). Nach Sinn und Zweck der Regelung, dringend benötigten Wohnraum jeder Art und Größe zu schaffen, ist auch ein Wohnheim, das neuen Wohnraum schafft, als Wohngebäude im Sinn des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO anzusehen.
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(3) Der Anwendbarkeit des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO steht auch nicht entgegen, dass es sich nicht um einen Ersatzbau handelt, da das Bauvorhaben nicht den Abriss und Neubau des Bestandsgebäudes vorsieht, sondern die Nutzungsänderung eines Bestandsgebäudes in ein Wohnheim. Denn auch insoweit ist der nach der Gesetzesbegründung zugrunde liegende Zweck der Regelung zu berücksichtigen, dringend benötigten Wohnraum zu schaffen und vorhandene Anlagen wieder nutzbar zu machen. Durch die Nutzungsänderung werden die Maße des bestehenden Baukörpers nicht verändert. Sind die Voraussetzungen bei Abbruch des Gebäudes erfüllt, so gilt nichts anderes für eine (bloße) Nutzungsänderung des Bestandsgebäudes. Das Bauvorhaben kann dem von der Regelung bezweckten gleichwertigen Ersatzbau gleichgestellt werden.
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(4) Die erteilte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften ist auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Abstandsflächenvorschriften und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen erfolgt. Sie ist nach dem Zweck des Abstandsflächenrechts für die Klägerin insbesondere nicht mit unzumutbaren, rücksichtslosen Auswirkungen verbunden. Die verstärkte oder auch erstmalige Einsichtmöglichkeit führt nur in Ausnahmefällen zu einer Verletzung von Nachbarrechten. Solche über die herkömmlichen Einsichtnahmemöglichkeiten in Innerortslagen hinausgehende Belastungen sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Schon bisher konnte von Fenstern der westlichen Gebäudeabschlusswand des Bauvorhabens das Grundstück und das Wohngebäude der Klägerin eingesehen werden, da sich an der Situierung des Vorhabengebäudes nichts geändert hat. Die Schließung der Fenster aus Brandschutzgründen stellt für die Klägerin vielmehr eine Verbesserung dar. Die Fenster in der nördlichen Gebäudeabschlusswand des Bauvorhabens ermöglichen nur einen Blick auf den Durchfahrtsweg und den landwirtschaftlich genutzten Grundstücksbereich der Klägerin mit Nebengebäuden und der Kapelle. Der Klägerin ist es grundsätzlich zuzumuten, ihre Räumlichkeiten, in die potentiell vom Wohngebäude des Beigeladenen eingesehen werden könnte, vor ungewollter Einsichtnahme zu schützen, beispielsweise mit der Anbringung von Sichtschutz (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.544 – juris Rn. 62; B.v. 12.2.2020 – 15 CS 20.45 – BayVBl 2020, 444; B.v. 13.4.2018 – 15 ZB 17.342 – juris Rn. 15). Eine wesentliche Beeinträchtigung der nachbarlichen Rechte der Klägerin stellt auch nicht die Änderung der Nutzungsweise des Bestandsgebäudes in ein Wohnheim dar. Die mit der Schaffung von zusätzlichen Aufenthaltsräumen einhergehende Erhöhung oder ein häufigerer Wechsel der Bewohner vermag daran nichts zu ändern. Eine erhebliche Zunahme von Geräuschemissionen durch die Bewohner des Wohnheims infolge von Gesprächen, Zurufen, Abspielen von Musik oder Kochvorgängen bei offenem Fenster erscheint angesichts der an der dem klägerischen Anwesen gegenüberliegenden Westseite des Vorhabengebäudes hochfeuerhemmend verschlossenen Fenstern unwahrscheinlich. Im Übrigen handelt es sich dabei um grundsätzlich hinzunehmende Wohngeräusche. Eine im Gegensatz zur vorherigen Nutzung des Bestandsgebäudes konfliktträchtigere Nutzung mit einer Beeinträchtigung des sozialen Wohnfriedens ist auch im Hinblick auf die benachbarten Gebäude der Klägerin nicht erkennbar. Ein Anspruch auf die Bewahrung einer bisher günstigeren Situation besteht nicht, insbesondere bietet das öffentliche Baurecht keinen „Milieuschutz“ (vgl. Nds.OVG, B.v. 18.1.2023 – 1 LA 89/22 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 14.2.2019 – 15 CS 18.2487 – DVBl 2019, 932).
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(5) Durch die Baugenehmigung werden auch keine nachbarschützenden Brandschutzvorschriften verletzt. Die bauordnungsrechtlichen Vorschriften über Brandwände als Gebäudeabschlusswand und für Gebäudeabschlusswände an Stelle von Brandwänden im Sinn des Art. 28 Abs. 3 Satz 2 BayBO dienen – anders als die Vorschriften über innere Brandwände – dem Nachbarschutz, weil sie das Übergreifen des Brandes auch auf Nachbargebäude verhindern sollen. Nach Art. 28 Abs. 1 BayBO müssen Brandwände als Gebäudeabschlusswände ausreichend lang die Brandausbreitung auf andere Gebäude verhindern. Brandwände sind grundsätzlich durchgehend (Art. 28 Abs. 4 BayBO) und öffnungslos (Art. 28 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BayBO) zu errichten. Nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayBO sind Brandwände als Gebäudeabschlusswand erforderlich, wenn diese an der Grenze errichtet werden, es sei denn, dass ein Abstand von mindestens 5 m zu bestehenden oder nach baurechtlichen Vorschriften zulässigen künftigen Gebäuden gesichert ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2019 – 9 CS 19.374 – juris Rn. 19). Eine nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayBO geforderte Sicherung muss sicherstellen, dass der brandschutzrechtlich relevante Mindestabstand von 5 m gewahrt wird und muss die Errichtung von Gebäuden, die an sich in den Abstandflächen anderer Gebäude gebaut werden dürften, eindeutig ausschließen. Eine rechtliche Sicherung kann beispielsweise durch die Eintragung einer Dienstbarkeit nach § 1018 BGB erreicht werden (vgl. SächsOVG, B.v. 24.1.2023 – 1 A 462/22 – juris Rn. 12 zum Vorliegen einer tatsächlichen Sicherung beispielsweise bei einem Steilhang, der eine Bebauung nicht zulässt).
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Daran gemessen ist die westliche Gebäudeabschlusswand vorliegend nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayBO als Brandwand auszuführen. Anstelle von äußeren Brandwänden sind nach Art. 28 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BayBO bei Gebäuden der Gebäudeklasse 3 – wie hier – hochfeuerhemmende Wände zulässig. Hochfeuerhemmend ist ein Bauteil grundsätzlich, wenn es 60 Minuten lang der Brandprüfung standhält (vgl. BayVGH, U.v. 9.3.2016 – 15 B 13.2435 – juris Rn. 26). Die auf dieser Seite des Gebäudes (bereits) befindlichen Fenster sind ausweislich der streitgegenständlichen Baugenehmigung im Sinn des Brandschutzes hochfeuerhemmend verschlossen.
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Für die nördliche Gebäudeabschlusswand liegt dagegen eine Ausnahme nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayBO vor; sie muss daher nicht als Brandwand ausgestaltet sein. Die Gebäudeabschlusswand liegt zwar an der Grenze des Baugrundstücks, es ist jedoch rechtlich gesichert, dass zwischen dieser Gebäudeabschlusswand und auf dem Grundstück der Klägerin bestehenden oder nach baurechtlichen Vorschriften zulässigen künftigen Gebäuden aufgrund des eingetragenen Geh- und Fahrtrechts vom 6. November 1929 ein Abstand von mindestens 5 m eingehalten wird. Denn das Geh- und Fahrtrecht umfasst nach seinem Wortlaut nicht nur bauliche Instandsetzungsmaßnahmen am Wohngebäude des Beigeladenen, sondern auch bauliche Veränderungen. Entgegen dem Vortrag der Klägerin ist es ihr auch künftig nicht möglich, in diesem Bereich Baumaßnahmen zu tätigen. Nach Art. 6 Abs. 6 BayBO zulässige Bauten wie beispielsweise ein Überbau des Weges ab dem 1. Obergeschoss mit einer Durchfahrtsmöglichkeit sind ausgeschlossen, da die nach dem Geh- und Fahrtrecht zulässigen Baumaßnahmen dauerhaft auch eine Zufahrt und Abstellmöglichkeit für große Baufahrzeuge und -maschinen erfordern; eine Einschränkung des Weges kommt daher auch in der Höhe nicht in Betracht. Gesichert ist auch die Breite des Weges von mindestens 5 m im Bereich des Bauvorhabens aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Ingolstadt vom 11. Oktober 2018 (14 S 436/18). Das Urteil ist für die Klägerin und den Beigeladenen insoweit rechtlich bindend. Nach § 322 Abs. 1 ZPO reicht die Rechtskraft eines Urteils so weit, als über den erhobenen (prozessualen) Anspruch entschieden ist. Der Inhalt des Urteils und damit der Umfang der Rechtskraft sind der Entscheidung im Ganzen zu entnehmen. Auszugehen ist von der Urteilsformel. Sofern die Urteilsformel allein nicht ausreicht, um den Rechtskraftgehalt der Entscheidung zu fassen, sind Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend heranzuziehen (vgl. BGH, U.v. 17.2.1983 – III ZR 184/81 – NJW 1983, 2032). Das Landgericht hat in den Entscheidungsgründen für die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 BGB auf das von der Klägerin begehrte sogenannte Fensterrecht nach Art. 43 AGBGB auch die Breite des Weges geprüft; das Ergebnis dieser Prüfung nimmt an der materiellen Rechtskraft des Urteils gemäß § 322 Abs. 1 ZPO teil. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass dem vorliegenden Lageplan, der das Geh- und Fahrtrecht darstellt, trotz etwaiger Unschärfen Inhalt und Umfang der auf das Grundstück zu übernehmenden Verpflichtung hinreichend deutlich entnommen werden kann (vgl. OVG LSA, B.v. 26.2.2021 – 2 M 160/20 – juris Rn. 16). Eine zentimetergenaue Abfassung des Lageplans für eine Baulast ist nicht erforderlich. Da sich das Bauvorhaben nicht auf den Zufahrtsbereich erstreckt, kann dahinstehen, ob diese Breite auch in diesem Bereich vorliegt.
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(6) Die Klägerin wird dadurch, dass sie aufgrund der Baugenehmigung einen zweiten Rettungsweg auf ihrem Grundstück dulden muss, auch nicht ausnahmsweise in nachbarschützenden Rechten nach Art. 31 BayBO, Art. 14 GG oder aus dem Gebot der Rücksichtnahme nach § 34 BauGB verletzt. Der nach Art. 31 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 BayBO erforderliche zweite Rettungsweg muss für den Einsatz der Rettungsgeräte von öffentlichen Verkehrsflächen aus einen ausreichenden Zu- oder Durchgang schaffen, der ständig frei zu halten ist. Für die Sicherung des zweiten Rettungsweges ist es nicht erforderlich, dass dieser (zusätzlich) gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde rechtlich gesichert ist; vielmehr reicht das dem Eigentümer des Baugrundstücks eingeräumte und durch Grunddienstbarkeit gesicherte Geh- und Fahrtrecht seinem Inhalt nach aus, um die Freihaltung der Feuerwehrzufahrt zu gewährleisten (vgl. BayVGH, U.v. 14.2.2001 – 2 B 99.933 – BayVBl 2002, 22). Der hier durch das Geh- und Fahrtrecht rechtlich gesicherte Weg auf dem angrenzenden Grundstück der Klägerin ist daher als tatsächlich geeignet anzusehen, da eine Überbauung nach den vorstehenden Ausführungen unter Nummer 5 nicht erlaubt ist. Auch eine Sperrung des Weges durch ein abschließbares Tor kommt vorliegend nicht in Betracht. Denn das als Grunddienstbarkeit eingetragene Geh- und Fahrtrecht kann, soweit – wie hier – der Bestellungsakt nichts Gegenteiliges ergibt, auch von Personen ausgeübt werden, die zu dem Eigentümer des herrschenden Grundstücks in besonderen Beziehungen stehen (vgl. BGH, U.v. 21.5.1971 – V ZR 8/69 – MDR 1971, 738). Das gilt, soweit im Einzelfall erforderlich, auch für die Benutzung durch Kraftfahrzeuge der Feuerwehr und des Rettungsdienstes (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2014 – 15 B 13.2028 – juris Rn. 28). Zudem könnten Feuerwehr und Rettungsdienste im Notfall auch nach §§ 228, 229 BGB das Grundstück der Klägerin unabhängig von einem Geh- und Fahrtrecht oder einem Notwegerecht benutzen.
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Ein Fall der unberechtigten Inanspruchnahme eines Nachbargrundstücks liegt daher nicht vor, sodass sich hier weder die Frage eines ausnahmsweisen Drittschutzes nach Art. 31 BayBO stellt noch die Frage der ausnahmsweisen Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ähnlich wie bei einem aufgedrängten Notwegerecht.
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(7) Die Ermessensentscheidung der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Bei der Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO handelt es sich um ein sogenanntes intendiertes Ermessen (vgl. LT-Drs. 18/8547 a.a.O.). Im Übrigen hat die Beklagte bereits im Bescheid vom 27. Mai 2019 im Hinblick auf die erteilte Abweichung von der erforderlichen Abstandsfläche nach Norden Ermessenserwägungen angestellt, die sie im Nachtragsbescheid vom 16. September 2021 weiter untermauert hat. In der Gesamtschau ist die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass im Hinblick auf die abstandsflächenrechtlich relevanten Gesichtspunkte der Belichtung, Belüftung sowie eines ausreichenden Sozialabstandes durch die Baumaßnahmen im Vergleich zum Vorzustand keine Verschlechterung eintrete, da die Maße des Baukörpers und die bisherige Nutzung des vorderen Gebäudeteils als Wohnhaus unverändert blieben und dass insofern das Interesse des Beigeladenen an der Nutzungsänderung und Absicherung des Bestands und das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Bestandsgebäudes und der Schaffung von Wohnraum höher einzustufen sei. Angesichts der historischen räumlichen Situation ist eine Einhaltung der Abstandsflächen auf dem Grundstück der Beigeladenen nicht möglich.
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2. Durch das Bauvorhaben wird auch das Rücksichtnahmegebot aus § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht verletzt. Durch die neue Nutzung des in seinen Maßen unveränderten Bestandsgebäudes als Wohnheim in einem faktischen Dorfgebiet – wie hier nach der Ortseinsicht feststellbar – werden keine subjektiven Rechte der Klägerin verletzt.
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Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen ausgesetzt werden (vgl. BVerwG, U.v. 15.9.2022 – 4 C 3.21 – BauR 2023, 423). Die Vorschrift findet auch auf unbeplante Gebiete Anwendung, deren Eigenart gemäß § 34 Abs. 2 BauGB einem Baugebiet der Baunutzungsverordnung entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – BVerwGE 109, 314). § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BauNVO ist eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots. Die Vorschrift soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke.
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Durch die neue Nutzung des in seinen Maßen unveränderten Bestandsgebäudes als Wohnheim werden keine subjektiven Rechte der Klägerin verletzt. Bei einer geplanten Belegung des Wohnheims mit 12 Jugendlichen ist nicht mit einer unzumutbaren Lärmbelästigung zu rechnen. Die Klägerin wird durch den Grenzbau insbesondere auch nicht im Hinblick auf eine mögliche und gewünschte Wohnbebauung auf ihrem Grundstück unzumutbar eingeschränkt. Dazu wird zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen auf die vorstehenden Ausführungen unter 1.2.2. Nr. 4 bis 6 verwiesen.
42
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1, § 708 Nr. 11 ZPO.
43
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.