Inhalt

VG München, Beschluss v. 28.06.2023 – M 27 E 23.1322
Titel:

kein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung

Normenketten:
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1, § 10 Abs. 1, Abs. 3 S. 3, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 3, § 60a Abs. 2 S. 1
FreizügG/EU § 12a
AEUV Art. 20
Leitsätze:
1. Der für die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 3 S. 3 Hs. 1 AufenthG erforderliche strikte Rechtsanspruch verlangt, dass der Ausländer alle allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG erfüllt. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die in § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG vorgesehene Möglichkeit, im Ermessenswege vom Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen abzusehen, genügt nicht, um einen Anspruch iSv § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG zu begründen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung), Kosovarischer Staatsangehöriger, Vater von minderjährigem Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit, Titelerteilungssperre, Visumverfahren, Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (abgelehnt), Aussetzung der Abschiebung, Duldung, Verfahrensduldung, kleines Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17159

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller ist ein kosovarischer Staatsangehöriger und reiste am … … … in das Bundesgebiet ein. Zuvor hatte er in seinem Heimatland am … … … die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen geschlossen, welche in … … lebt.
2
Am … … … stellte der Antragsteller beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag, welchen das Bundesamt mit Bescheid vom 30. Mai 2022 als offensichtlich unbegründet ablehnte. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller am 8. Juni 2022 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 17 K …) und stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (M 17 S … …), welchen das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 29. Juni 2022 ablehnte. Der Antragsteller hatte im Asylverfahren angegeben, in seinem Heimatland aufgrund einer tätlichen Auseinandersetzung, bei welcher es ein Todesopfer gegeben habe, vier Monate inhaftiert gewesen zu sein. Er fürchte die Rache der Familie des Opfers. Seine in Deutschland lebende Ehefrau sei schwanger. Er hatte im Asylverfahren eine bis zum … … … befristete Aufenthaltsgestattung erhalten.
3
Mit Schreiben vom … … … hatte sich das … … unter Vorlage einer ärztlichen Schwangerschaftsbestätigung der Ehefrau des Antragstellers (Voraussichtlicher Geburtstermin: … … …) an die Antragsgegnerin gewandt und für den Antragsteller um Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gebeten.
4
Mit Schreiben vom 3. August 2022 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass er vollziehbar zur Ausreise verpflichtet sei. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung scheitere an dem Erfordernis des Sprachniveaus A1 des europäischen Referenzrahmens. Der Antragsteller erfülle zudem nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum, weshalb eine Ausreise in den Kosovo und Wiedereinreise mit Visum notwendig sei. Dem Antragsteller wurde vor dem Hintergrund der bevorstehenden Geburt seines Kindes eine Ausreisefrist bis zum … … … gesetzt und eine entsprechend befristete Grenzübertrittsbescheinigung erteilt. Vorbereitend empfahl die Antragsgegnerin dem Antragsteller, bereits einen Termin für die Beantragung eines Visums bei der Deutschen Botschaft in … zu vereinbaren.
5
Mit E-Mail vom 17. August 2022 zeigte der Bevollmächtigte des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin die Vertretung des Antragstellers an und übersandte ein an die Antragsgegnerin gerichtetes Schreiben vom 5. August 2022, in welchem beantragt wurde, die Duldung des Antragstellers für einen möglichst langen Zeitraum zu verlängern sowie dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, hilfsweise nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen. Ferner legte er ein an das Bundesamt gerichtetes Schreiben vom 8. August 2022 vor, worin beantragt wurde, den Bescheid des Bundesamts in Bezug auf das erlassene Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den Zeitpunkt der Eheschließung zu befristen, sowie eine Anmeldung des Antragstellers zu einem Online-Intensivcoaching bei … …
6
Mit Schreiben vom 23. August 2022 hörte die Antragsgegnerin den Bevollmächtigten des Antragstellers zu der beabsichtigten Ablehnung des von ihm gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an und stellte ihm die Erteilung einer Duldung in Aussicht. Die Antragsgegnerin wies in diesem Schreiben darauf hin, dass der Antragsteller der Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 1 AufenthG unterliege. Lediglich im Falle eines gesetzlichen Anspruchs könne hiervon abgesehen werden. Da der Antragsteller jedoch nicht mit dem erforderlichen Visum in das Bundesgebiet eingereist sei, liege ein solcher gesetzlicher Anspruch nicht vor. Die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 AufenthV seien nicht gegeben.
7
Am … … … wurde der Sohn des Antragstellers geboren, welcher die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Der Antragsteller erhielt am 2. September 2022 eine Duldung, welche zuletzt bis zum 5. März 2023 befristet war.
8
Die Ehefrau des Antragstellers legte bei der Antragsgegnerin am 13. September 2022 einen Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis bei der Firma „… …“ in … vor. Der Bevollmächtigte des Antragstellers nahm mit Schreiben vom … … … zu dem Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin Stellung und führte unter anderem aus, dass im Falle des Antragstellers § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV einschlägig sei, da die dem Antragsteller erteilte Duldung auf der mit seiner deutschen Ehefrau geschlossenen Ehe beruhe, nicht jedoch auf der Vaterschaft zu seinem deutschen Kind.
9
Die Antragsgegnerin teilte dem Bevollmächtigten des Antragstellers daraufhin mit Schreiben vom 23. September 2022 mit, dass an der beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis festgehalten werde. Die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis komme aufgrund des Beschäftigungsverbots des § 60a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG (gemeint wohl: § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) ebenfalls nicht in Betracht. Mit E-Mail vom 26. September 2022 wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers nochmals die Möglichkeit gegeben, bis zum 29. September 2022 zu der beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis Stellung zu nehmen. Eine entsprechende Stellungnahme erfolgte mit E-Mail vom … … …
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Mit Bescheid vom 3. November 2022 lehnte die Antragsgegnerin die Anträge des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis als Malerhelfer bei dem Unternehmen „… …“ ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 1 AufenthG bzw. im Falle einer Rücknahme des Asylantrags die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 AufenthG entgegenstehe. Ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe nicht. Der Antragsteller sei nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV lägen im Falle des Antragstellers nicht vor, da er zum Zeitpunkt der Geburt seines Kindes nicht im Besitz einer Duldung gewesen sei. Zudem enthalte § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV ein Doppelverwertungsverbot; der Duldungsgrund dürfe im Falle des Antragstellers mithin nicht in der Geburt des Kindes liegen. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht München am 5. Dezember 2022 Klage erheben lassen (M 27 K …), über welche noch nicht entschieden wurde.
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Am 9. Januar 2023 nahm der Antragsteller seinen Asylantrag zurück; das Bundesamt stellte mit Bescheid vom 16. Januar 2023 fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist. Das Klageverfahren M 17 K … wurde mit Beschluss vom 14. Februar 2023 eingestellt. Am 27. Februar 2023 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage gegen den Einstellungsbescheid des Bundesamts erheben, über welche noch nicht entschieden ist (M 17 K …).
12
Mit E-Mail vom 24. Januar 2023 bat die Antragsgegnerin die Deutsche Botschaft in … um Auskunft zur derzeitigen Dauer eines Visumsverfahrens zum Familiennachzug zum deutschen Kind bei Vorabzustimmung der Ausländerbehörde. Die Deutsche Botschaft in … teilte mit E-Mail vom 24. Januar 2023 mit, dass im Falle des Vorliegens alle erforderlichen Unterlagen in der Regel von einem Zeitraum von zwei Wochen zwischen Antragstellung und Erhalt des Visums auszugehen sei.
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Mit Schreiben vom 1. Februar 2023 informierte die Antragsgegnerin den Bevollmächtigten des Antragstellers über das Ergebnis der Anfrage und empfahl dem Antragsteller, möglichst zeitnah einen Termin bei der Deutschen Botschaft in … zu buchen und das Visumverfahren nachzuholen.
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Seit dem 1. März 2023 ist der Antragsteller im Besitz einer Grenzübertrittsbescheinigung.
15
Mit E-Mail vom 3. März 2023 und nachfolgendem Schreiben vom 6. März 2023 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers bei der Antragsgegnerin die erneute Ausstellung einer Duldung und erklärte, dass der Antragsteller nicht ausreisen werde. Der Antragsteller habe ein Aufenthaltsrecht sui generis nach Art. 20 AEUV. Dieses sei bereits mit Schreiben vom 27. Februar 2023 gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemacht worden. Das erforderliche besondere Abhängigkeitsverhältnis sei in der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Sohnes des Antragstellers von diesem zu sehen, da die Kindsmutter arbeitslos sei. Zudem habe der Antragsteller einen Anspruch auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte aufgrund eines Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU. Verwiesen wurde auf ein Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 7. April 2020 und eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juli 2018.
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Am 16. März 2023 ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten beantragen,
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„der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung gemäß § 123 VwGO aufzugeben, die Abschiebung in den Kosovo auszusetzen und die Grenzübertrittsbescheinigung zurückzunehmen, damit die benachteiligenden Rechtsfolgen einer nicht fristgerechten Ausreise zulasten des Antragstellers nicht eintreten.“
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Hilfsweise wurde beantragt,
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„1. der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung gemäß § 123 VwGO aufzugeben, dem Antragsteller eine Aufenthaltskarte über das Unionsrecht gemäß Art. 20 AEUV sui generis zu erteilen,
20
2. hilfsweise eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG unter Anwendung des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu erteilen,
21
3. äußerst hilfsweise wieder eine Duldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK auszustellen,
22
4. nachrangig hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU unverzüglich eine Bescheinigung über die Antragstellung am 27.02.2023 auszustellen,
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5. letztrangig hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller seinen Reisepass auszuhändigen, damit dieser mit seiner Familie in einen anderen Mitgliedstaat der EU ausreisen kann und nicht behördlich genötigt wird, in den Kosovo auszureisen.“
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Zudem wurde beantragt,
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„6. die Antragsgegnerin anzuweisen, wegen des bestehenden Aufenthaltsrechts des Art. 20 AEUV sui generis dem Antragsteller die Beschäftigung zu erlauben.“
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Ferner wurde beantragt,
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dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu gewähren.
28
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Antragsteller zwar kein Zeugnis vorweisen könne, welches ihm Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 attestiere. Auch habe er derzeit keine Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu sichern, da sein Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis abgelehnt worden sei. Im Falle einer Abschiebung drohe ihm jedoch die Trennung von seiner Familie für eine sehr lange und unbestimmte Zeit. Die Abschiebung in sein Heimatland sei aus rechtlichen Gründen unmöglich. Ihm drohe in seinem Heimatland eine erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK. Da das Bundesamt in seinem Einstellungsbescheid vom 16. Januar 2023 das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG nicht geprüft habe, sei gegen diesen Bescheid am 27. Februar 2023 erneut geklagt worden. Über die am selben Tag bei der Antragsgegnerin für den Antragsteller gestellten unionsrechtlichen Anträge auf Aufenthalt sei noch keine Entscheidung ergangen. Seit dem 1. März 2023 sei der Antragsteller lediglich im Besitz einer Grenzübertrittsbescheinigung. Dem Antragsteller stehe zudem ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht sui generis nach Art. 20 AEUV zu. Der EuGH habe in seiner Entscheidung „…“ festgestellt, dass auch Unionsbürger, die nicht von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätten, weil sie den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besäßen, nicht verlassen hätten, in den Genuss der Unionsbürgerschaft kommen müssten. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit sei aufgrund der finanziellen Situation der Familie – die Mutter des Kindes sei arbeitslos – gegeben. Die Annahme der Antragsgegnerin, dass das Visumverfahren in wenigen Tagen erledigt sei, sei sachfern. Aufgrund der aktuellen Lage sei davon auszugehen, dass der Antragsteller auf unbestimmte Zeit im Kosovo festsäße. Mangels Beschäftigungserlaubnis könne er auch nicht nachweisen, dass er seinen Lebensunterhalt sichern könne. Ferner könne er kein Deutschzeugnis für das geforderte Niveau A1 vorlegen. Somit sei davon auszugehen, dass die Visumstelle der Deutschen Botschaft in … das Visum nicht erteilen werde. Ferner können dem Antragsteller nun auch eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt werden, da er seinen Asylantrag zurückgenommen habe. Der Antragsteller habe zudem ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG. Der Antragsteller bilde mit seinem Kind und dessen Mutter eine Beistandsgemeinschaft.
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Mit Schreiben vom 17. März 2023 teilte die Antragsgegnerin dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit, dass der Sachverhalt erneut geprüft worden sei. Dem Antragsteller stehe kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV zu. Hierbei handle es sich um ein nachrangiges Aufenthaltsrecht, welches lediglich ausnahmsweise oder bei Vorliegen ganz besonderer Sachverhalte bestehe. Die Nachholung des Visumverfahrens sei dem Antragsteller zumutbar. Bei der Prüfung der Erteilungsvoraussetzung eines Visums zum Familiennachzug zum deutschen Kind sei nach § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG von der Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts abzusehen. Ein Sprachnachweis sei nur für die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachweis erforderlich. Nach schriftlicher Auskunft der Deutschen Botschaft in … sei im Falle einer Vorabzustimmung von einer Bearbeitungsdauer von zwei Wochen zu rechnen. Da die Ausreise des Antragstellers lediglich aus eigenverschuldeten Gründen scheitere, bestehe auch kein Duldungsanspruch. Zielstaatsbezogene Ausreisehindernisse seien durch das Bundesamt zu prüfen. Die Antragsgegnerin sei nach § 42 AsylG an die Entscheidungen des Bundesamts gebunden.
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Die Antragsgegnerin legte am 31. März 2023 die Behördenakten vor und beantragte mit Schreiben vom selben Tag,
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den Antrag abzulehnen.
32
Die Entscheidung der Antragsgegnerin sei rechtmäßig und verletze den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Die Abschiebung des Antragstellers sei weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG unmöglich. Ebenso bestünden keine anderweitigen Abschiebungshindernisse. Der Antragsteller könne zumutbar binnen eines Zeitraums von nur zwei Wochen bei der Deutschen Botschaft in … ein Visum zum Familiennachzug zum deutschen Kind einholen. Die Voraussetzung für die Erteilung des Visums seien erfüllt. Eine Vorabzustimmung sei bereits mehrfach zugesichert worden. Vorliegend sei lediglich eine kurzfristige Trennung zu erwarten, welche auch einer deutschen Familie möglich und zumutbar sei.
33
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
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Der Antrag ist lediglich teilweise zulässig, im Übrigen unbegründet.
35
1. Die von dem Antragsteller gestellten Hauptanträge (Antrag auf Aussetzung der Abschiebung und Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis) bleiben ohne Erfolg.
36
Der Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis ist aufgrund Vorwegnahme der Hauptsache bereits unzulässig. Es ist nicht ersichtlich, dass es vorliegend im Interesse des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten wäre, diesbezüglich im Eilrechtsschutzverfahren die Hauptsache vorwegzunehmen.
37
Der Antrag auf Aussetzung der Abschiebung, welcher nach §§ 122, 88 VwGO als Antrag auf Erteilung einer vorübergehenden Duldung ausgelegt wird, ist zulässig, jedoch unbegründet.
38
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung durch einstweilige Anordnung den vorläufigen Zustand in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis regeln, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahr zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch, d.h. den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, als auch einen Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Sache glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
39
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt; ein Anordnungsanspruch ist nicht gegeben. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht.
40
Die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind im vorliegenden Fall nach summarischer Prüfung nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
41
a) Ein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, welcher durch eine Verfahrensduldung im Wege einer einstweiligen Anordnung zu sichern wäre, ist vorliegend nicht erkennbar.
42
aa) Aus dem AufenthG ergibt sich kein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
43
Nach § 10 Abs. 1 AufenthG kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern. § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bestimmt, dass einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 bzw. im Falle eines Anspruchs erteilt werden darf. Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne der §§ 10 Abs. 1, Abs. 3 Satz 3 AufenthG setzt einen strikten Rechtsanspruch voraus, der nur vorliegt, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels vorliegen, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat. Der für die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG erforderliche strikte Rechtsanspruch verlangt deshalb auch, dass der Ausländer alle allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG erfüllt (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 27; BayVGH, B.v. 16.3.2020 – 10 CE 20.326 – juris Rn. 15).
44
Die Frage, ob vorliegend aufgrund der Klage des Antragstellers gegen den Einstellungsbescheid des Bundesamts nach wie vor von einem laufenden Asylverfahren mit der Folge der Anwendbarkeit von § 10 Abs. 1 AufenthG auszugehen ist, oder ob aufgrund der Rücknahme des Asylantrags § 10 Abs. 3 AufenthG Anwendung findet, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn es ist weder ein strikter Rechtsanspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gegeben, noch kommt vorliegend die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Abschnitt 5 des AufenthG in Betracht.
45
(1) Der Antragsteller hat weder nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG noch nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG einen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, da er nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und den Aufenthaltstitel auch nicht im Inland beantragen kann (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV). Die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV sind vorliegend nicht erfüllt, da der Antragsteller weder zum Zeitpunkt der Geburt seines Sohnes noch zum Zeitpunkt des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Besitz einer Duldung war (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 16.3.2020 – 10 CE 20.326 – juris Rn. 16).
46
Die in § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorgesehene Möglichkeit, im Ermessenswege von der Voraussetzung der Einreise mit dem entsprechenden Visum abzusehen, genügt nicht, um einen Anspruch im Sinne von § 10 Abs. 1, Abs. 3 Satz 3 AufenthG zu begründen. Ein Anspruch aufgrund einer Ermessensvorschrift ist selbst dann nicht ausreichend, wenn das Ermessen im Einzelfall auf Null reduziert ist (BVerwG, B.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 27).
47
(2) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt des AufenthG kommt ebenfalls nicht in Betracht, insbesondere ist dem Antragsteller keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise zu erteilen. Angesichts der zu erwartenden Dauer des Visumverfahrens hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass das nach § 5 Abs. 2 Satz 2 bzw. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auszuübende Ermessen vorliegend auf Null reduziert wäre (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 16.3.2020 – 10 CE 20.326 – juris Rn. 18).
48
bb) Ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers ergibt sich vorliegend auch nicht aus §§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 Nr. 6 FreizügG/EU i.V.m. § 12a FreizügG/EU, da nicht ersichtlich ist, dass der Sohn des Antragstellers von seinem Freizügigkeitsrecht nachhaltig Gebrauch gemacht hätte.
49
cc) Aus Art. 20 AEUV kann der der Antragsteller ebenfalls kein Aufenthaltsrecht herleiten. Art. 20 AEUV, welcher anders als Art. 21 AEUV keinen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraussetzt, steht nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen die Unionsbürgerschaft verleiht, verwehrt wird (vgl. EuGH, U.v. 8.3.2011 – Ruiz Zambrano, C-34/09 – juris Rn. 42 m.w.N.). Die Gewährung eines solchen Aufenthaltsrechts kann nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch nur ausnahmsweise oder bei Vorliegen ganz besonderer Sachverhalte erfolgen. Verhindert werden soll eine Situation, in der der Unionsbürger für sich keine andere Wahl sieht, als einem Drittstaatsangehörigen, von dem er rechtlich, wirtschaftlich oder affektiv abhängig ist, bei der Ausreise zu folgen oder sich zu ihm ins Ausland zu begeben und deshalb das Unionsgebiet zu verlassen (vgl. BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – BVerwGE 147, 261 – juris Rn. 31 ff.). Es ist möglich, dass eine so große affektive Abhängigkeit eines Kindes von dem nicht aufenthaltsberechtigten Elternteil besteht, dass sich das Kind zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen sähe, wenn dem Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht verweigert würde. Einer solchen Feststellung muss die Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Kindeswohls zugrunde liegen (vgl. EuGH, U.v. 10.5.2017 – Chavez-Vilchez u. 8 andere, C-113/15 – juris Rn. 71; BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 15.12 – BVerwGE 147, 278 Rn. 32 ff.). Dabei ist auch die Dauer einer zu erwartenden Trennung des Kindes vom drittstaatsangehörigen Elternteil zu berücksichtigen. Insoweit spielt eine Rolle, ob der Drittstaatsangehörige das Unionsgebiet – etwa zur Nachholung des Visumverfahrens – für unbestimmte Zeit oder aber nur für einen kurzen, verlässlich zu begrenzenden Zeitraum zu verlassen hat (EuGH, U.v. 8.5.2018 – C-82/16 – juris Rn. 56 und 58; vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 35; BayVGH, B.v. 4.5.2020 - 10 ZB 20.666 – juris Rn. 21).
50
Gemessen an diesen Vorgaben ergibt sich aus Art. 20 AEUV kein Aufenthaltsrecht des Antragstellers. Die Antragsgegnerin hat sich bereit erklärt, eine Vorabzustimmung für ein Visum nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu erteilen. Nach der aktuellen Auskunft der Deutschen Botschaft in … ist in dieser Konstellation mit einer Bearbeitungsdauer von lediglich zwei Wochen zu rechnen. Mithin hätte der Antragsteller das Unionsgebiet gerade nicht für einen unbestimmten Zeitraum zu verlassen. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die mit der erforderlichen Nachholung des Visumverfahrens einhergehende vorübergehende Trennung des Antragstellers von seinem deutschen Kind zur Folge hätte, dass dieses de facto gezwungen wäre, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehöriger er ist, sondern das Gebiet der Union als Ganzes dauerhaft zu verlassen (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 10 ZB 20.666 – juris Rn. 21).
51
b) Der Antragsteller hat auch keinen sonstigen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht, da seine Abschiebung nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Zwar kann eine Abschiebung nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK aus familiären Gründen rechtlich unmöglich sein, wenn die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist (BVerfG B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 46). Die in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12).
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Allerdings ist es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Auch ein kleines Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit ist regelmäßig nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Bezugnehmend auf obige Ausführungen ist dem Antragsteller auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls die Nachholung des Visumverfahrens zumutbar.
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2. Die gestellten Hilfsanträge bleiben ebenfalls ohne Erfolg. Die Hilfsanträge in Nr. 1, 2, 4 und 5 sind bereits aufgrund Vorwegnahme der Hauptsache unzulässig. Es ist nicht ersichtlich, dass es vorliegend im Interesse des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten wäre, im Eilrechtsschutzverfahren die Hauptsache vorwegzunehmen.
54
Der in Nr. 3 gestellte Hilfsantrag enthält gegenüber dem Hauptantrag kein eigenständiges Rechtsschutzbegehren.
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3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren ist unter Bezugnahme auf obige Ausführungen mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung ebenfalls abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO). Damit besteht auch keine Grundlage für eine Beiordnung eines Rechtsanwalts gem. § 166 VwGO i.V.m. § 121 ZPO.
57
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5, 8.1 und 8.3 (entsprechend) des Streitwertkatalogs.