Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 10.05.2023 – Au 8 M 23.493
Titel:

Prozesskostenhilfe im Kostenerinnerungsverfahren sowie Antrag auf Anwaltsbeiordnung

Normenketten:
VwGO § 166, § 173 S. 1
ZPO § 91, § 114 S. 1
JVEG § 20
Leitsätze:
1. Hinreichende Erfolgsaussicht für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist auch im Erinnerungsverfahren zulässig und wirkt sich trotz Gerichtskostenfreiheit des Erinnerungsverfahrens zumindest auf eine begehrte Anwaltsbeiordnung aus. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe für Erinnerungsverfahren, Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin, Festsetzung für beide Instanzenzüge, Aufwendungen der Klagepartei im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Rechtsstreit, hinreichende Erfolgsaussicht, Anwaltsbeiordnung, Kostenerinnerung, Gerichtskostenfreiheit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 17105

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss und begehrt dafür Prozesskostenhilfe.
2
Der Antragsteller beantragte in dem Verfahren Au 8 K 19.127 die Löschung einer Eintragung zu seiner Person im Informationssystem Polizei. Mit Urteil der Kammer vom 19. November 2019 (Au 8 K 19.127) wurde der Beklagte verpflichtet, die Löschung vorzunehmen. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Beklagten auferlegt. Mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Juli 2020 (10 B 20.459) aufgrund mündlicher Verhandlung wurde die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und diesem die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
3
Auf Antrag des Bevollmächtigten des Klägers wurden mit zwei Kostenfestsetzungsbeschlüssen vom jeweils 23. September 2020 die dem Kläger von dem Beklagten zu erstattenden Aufwendungen für das Verfahren in der ersten und in der zweiten Instanz festgesetzt.
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Mit Antrag vom 24. November 2022, ergänzt mit Schreiben vom 13. Dezember 2022, hat der Kläger zusätzlich seine eigenen Aufwendungen unter Vorlage einer Auflistung von 21 verschiedenen Positionen in Höhe von insgesamt 8.764,44 EUR geltend gemacht.
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Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28. Februar 2023 hat die Urkundsbeamtin des Gerichts die zu erstattenden Aufwendungen für das Verfahren in der ersten und zweiten Instanz auf insgesamt 178,20 EUR festgesetzt. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass nur diejenigen Kosten, die der Klagepartei in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht bzw. dem Verwaltungsgerichtshof entstanden sind, zu erstatten seien. Fahrten und Beratungsaufwand für Anwälte, die nicht in dem streitgegenständlichen Verfahren bevollmächtigt seien, könnten nicht berücksichtigt werden. Pro Instanz würde je eine Informationsfahrt als erstattungsfähig anerkannt werden zu Beratungsterminen zum Bevollmächtigten. Gleiches gelte für die Akteneinsicht am Verwaltungsgericht. Die Entschädigung für Zeitversäumnis würde mit 3,50 EUR pro Stunde angesetzt werden. Fahrtkosten würden in Höhe von 0,25 EUR pro km entschädigt werden. Eine Dokumentenpauschale könnte nicht anerkannt werden, zumal die Gerichtsakte und weitere Unterlagen an den Bevollmächtigten zur Einsicht übersandt worden seien. Die Pauschale für Post- und Telekommunikation sei bereits vom Bevollmächtigten beantragt worden.
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Dagegen legte der Antragsteller Einspruch/sofortige Beschwerde ein. Die Kosten seien außergerichtlich angefallen. Die weiteren beiden Anwälte hätten ebenfalls Schreiben verfasst und u.a. Strafanzeige erstattet. Er selbst habe ebenfalls Akteneinsicht beim Verwaltungsgericht genommen, bevor überhaupt sein im streitgegenständlichen Verfahren bevollmächtigter Anwalt den Fall übernommen habe. Die Kosten würden somit alle in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Logischerweise habe er auch Post- und Telekommunikationskosten gehabt. Der Stundensatz mit 3,50 EUR als Selbständiger werde nicht akzeptiert. Die Fahrtkosten mit insgesamt 153,05 EUR würden akzeptiert werden.
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Die Urkundsbeamtin half dem Antrag nicht ab und legte ihn dem Gericht zur Entscheidung vor. Die Beteiligten erhielten die Gelegenheit, sich zu äußern.
8
Des Weiteren beantragte der Antragsteller Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Erinnerungsverfahren.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren als auch im Verfahren Au 8 K 19.127 Bezug genommen.
II.
10
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, da es an den hinreichenden Erfolgsaussichten für die Erinnerung fehlt.
11
1. Gemäß § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Happ in Eyermann, VwGO, § 166 Rn. 38).
12
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist auch im Erinnerungsverfahren zulässig (BayVGH, B.v. 21.4.2022 – 22 C 21.1561 – juris) und wirkt sich trotz Gerichtskostenfreiheit des Erinnerungsverfahrens zumindest auf die begehrte Anwaltsbeiordnung aus (VG München, B.v. 2.12.2019 – M 22 M 18.6058 – juris).
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2. Die gem. § 165 i.V.m. § 151 VwGO zulässige Erinnerung bleibt in der Sache voraussichtlich ohne Erfolg. Der Antrag ist nicht begründet, da der Kostenfestsetzungsbeschluss rechtlich nicht zu beanstanden ist.
14
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind nach § 162 Abs. 1 VwGO die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten erstattungsfähig. Zweckentsprechend bedeutet, dass die Aufwendungen mit dem Beginn, der Durchführung oder dem Abschluss des Verfahrens in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 162 Rn. 4).
15
Zu den Positionen 1 und 19 des Kostenfestsetzungsantrags vom 14. November 2022:
16
Schmerzensgeld i.H.v. 4.900,00 EUR wegen „Verleumdung mit rechtswidriger Behauptung“ ist bereits rein begrifflich nicht als notwendige Aufwendung anzusehen. Gleiches gilt für die Position 19 („Verleumdung durch Polizistin“).
17
Zu den Positionen 2 bis 7 und 16:
18
Es handelt sich dabei um Aufwand für Akteneinsicht anderer Anwälte, Beratungsaufwand durch andere Anwälte und Fahrtkosten zu diesen Anwälten sowie Kosten für die Stellung eines Strafantrags. Diese Aufwendungen stehen bereits offensichtlich nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Verfahren. Vorbereitungskosten, mit denen Tatsachen ermittelt und Unterlagen beschafft werden, sind erstattungsfähig, wenn sie sich konkret auf den Prozess und nicht etwa auf das Verwaltungsverfahren beziehen (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 162 Rn. 6). Die Tätigkeiten der Rechtsanwälte E. und Z. betrafen nicht das streitgegenständliche Verfahren, in dem es um die Löschung der Eintragung als „Reichsbürger“ ging. Im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren hat sich die Kanzlei ... bevollmächtigt. Gleiches gilt für die im Zusammenhang mit einem Strafantrag angeblich entstandenen Kosten bei der Position 16. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass er erst anlässlich eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens von seiner Eintragung als „Reichsbürger“ Kenntnis erlangt habe, sind diese dabei entstandenen Kosten als Aufwendungen im Vorfeld und damit als nicht erstattungsfähig zu werten.
19
Zu den Positionen 8 und 13:
20
Der Antragsteller begehrt eine Kostenerstattung i.H.v. 120,00 EUR für je drei Stunden Zeitaufwand beim Verwaltungsgericht und beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Die von der Urkundsbeamtin festgesetzte Entschädigung für die Zeitversäumnis nach § 20 JVEG in Höhe von 3,50 EUR/je Stunde (zwei Stunden beim Verwaltungsgericht und vier Stunden beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof) ist jedoch nicht zu beanstanden (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 20 JVEG in der bis 31.12.2020 gültigen Fassung).
21
Zu den Positionen 9, 11, 14 und 15:
22
Der Antragsteller begehrt Kostenerstattung für den Beratungs- und Zeitaufwand sowie die Fahrtkosten zu seinem Rechtsanwalt. Grundsätzlich ist für jede Tatsacheninstanz nur eine Informationsreise zum Prozessbevollmächtigten erstattungsfähig (Huck in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 162 Rn. 5). Dies wurde von der Urkundsbeamtin auch so festgesetzt. Anhaltspunkte dafür, dass mehrere Fahrten erforderlich hätten sein sollen, liegen nicht vor und wurden vom Antragsteller auch nicht (substantiiert) geltend gemacht. Der Zeitaufwand dafür kann dagegen nicht anerkannt werden, da der sonstige Zeit- und Arbeitsaufwand zur Prozessvorbereitung nicht erstattungsfähig ist (Huck in Kopp/Schenke, VwGO, § 162 Rn. 5).
23
Zu den Positionen 17 und 20:
24
Kosten für die eigene Akteneinsicht und Dokumentenpauschale wurden richtigerweise nicht anerkannt, da Akten und Unterlagen dem Bevollmächtigten zur Akteneinsicht übersandt worden sind.
25
Zu der Position 18:
26
Die Fahrtkosten für die Akteneinsicht wurden anerkannt. Sie sind auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
27
Zu den Positionen 10 und 12:
28
Diese wurden vom Antragsteller mit Schreiben vom 13. März 2023 ausdrücklich akzeptiert.
29
Zu der Position 21:
30
Die Pauschale für Post- und Telekommunikation wurde bereits dem Bevollmächtigten des Klägers festgesetzt. Eine doppelte Festsetzung scheidet aus.