Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 11.07.2023 – 12 KLs 506 Js 609/22
Titel:

Keine Teilaufhebung des Vermögensarrestes zur Freigabe von Vermögenswerten zugunsten anderer Geschädigter als der im Urteil angegebenen  

Normenkette:
StPO § 111j, § 111k, AO § 371 Abs. 3, § 398a Abs. 1
Leitsätze:
Hat das Gericht wegen Betrugs verurteilt und eine (noch nicht rechtskräftige) Einziehungsentscheidung zugunsten des Geschädigten getroffen, besteht keine Rechtfertigung, das bereits arrestierte Vermögen teilweise freizugeben, um dem Angeklagten eine strafbefreiende Selbstanzeige wegen Steuerstraftaten zu ermöglichen, die im Zusammenhang mit dem Betrug stehen. (Rn. 8 und 11)
Mit Rechtskraft des Urteils tritt die Einziehungsentscheidung als endgültiger Vollstreckungstitel an die Stelle des vorläufigen Arrestes. Ist im wegen Betrugs verurteilenden Urteil die Einziehung zugunsten eines Geschädigten angeordnet, kommt eine spätere Freigabe zugunsten der Staatskasse, weil der Angeklagte auch Steuern hinterzogen haben will, nicht in Betracht. Es besteht auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten keine Verpflichtung des Gerichts, dem Angeklagten durch eine Freigabe der Mittel dabei behilflich zu sein, die Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige (vgl. § 371 Abs. 3 AO) oder einer Absehensentscheidung (vgl. § 398a Abs. 1 AO) herbeizuführen. (Rn. 8) (Rn. 11) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Einziehungsentscheidung, Aufhebung des Arrestes, Freigabe, Selbstanzeige, Steuerhinterziehung, Einziehung, Geschädigte
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 17.03.2022 – 57 Gs 3092/22
Fundstellen:
LSK 2023, 16912
wistra 2024, 131
BeckRS 2023, 16912

Tenor

I. Der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 17. März 2022 – 57 Gs 3092/22 – wird insoweit abgeändert, als der Vermögensarrest in das Vermögen des Angeklagten P noch in Höhe von 1.273.871,22 € angeordnet wird.
II. Im Übrigen wird der Antrag des Verteidigers vom 6. Juni 2023 abgelehnt.

Gründe

I.
1
Die Kammer hat den Angeklagten P am 3. Mai 2023 wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in 180 Fällen, davon in 90 Fällen jeweils mit Bestechung, schuldig gesprochen, ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und eine Einziehungsanordnung über 1.273.871,22 € getroffen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
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Im vorangehenden Ermittlungsverfahren hatte das Amtsgericht Nürnberg mit Beschluss vom 17. März 2022 den Vermögensarrest i.H.v. 2.353.928,75 € gegen den Angeklagten angeordnet, der auch vollzogen wurde. Mit Schriftsatz vom 6. Juni 2023 legte der Verteidiger des Angeklagten nunmehr Beschwerde gegen den Vermögensarrest beim Amtsgericht Nürnberg ein und beantragte, ihn in Höhe von 270.114,91 € aufzuheben und Gelder in dieser Höhe freizugeben. Dazu führte er aus: Der Angeklagte habe wegen seiner Steuerhinterziehungen, die in Zusammenhang mit den von der Kammer abgeurteilten Straftaten stehen, bei den Finanzbehörden eine Selbstanzeige erstattet und bereits 1.300.000 € an sie gezahlt. Die Reststeuerschuld von 118.289,91 € und der für die Erlangung der Straffreiheit zu zahlende Zuschlag von 151.825 € seien allerdings noch offen. Die Summe von 270.114,91 € solle daher freigegeben und auf Konten der Finanzbehörden überwiesen werden.
3
Das Amtsgericht hat die Beschwerde an die Kammer abgegeben. Die Staatsanwaltschaft N.-F. hat die beantragte Freigabe verweigert, jedoch angeregt, die Höhe des Arrestes an das Urteil der Kammer vom 3. Mai 2023 anzupassen.
II.
4
Der Antrag ist begründet, soweit der Wert des arrestierten Vermögens (nominell) auf 1.273.871,22 € herabgesetzt wird. Hinsichtlich der weiter begehrten Freigabe von 270.114,91 € bleibt ihm der Erfolg jedoch versagt.
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1. Die eingelegte Beschwerde ist als Antrag an die Kammer auszulegen, den Arrest teilweise aufzuheben, weil dem angerufenen Ermittlungsrichter im gegebenen Verfahrensstadium keine Entscheidungskompetenz mehr zukommt. Anders als bei der Untersuchungshaft (vgl. § 126 Abs. 2 Satz 2 StPO) enthält die Strafprozessordnung keine ausdrückliche Zuständigkeitsregelung für die Entscheidung über einen Arrest, wenn das Urteil bereits gesprochen, dieses aber wegen eingelegter Revision noch nicht rechtskräftig ist. Die Kammer schließt sich der Auffassung an, wonach die Zuständigkeit in gegebener Konstellation bei dem Gericht liegt, dessen Urteil angefochten worden ist (vgl. LG Saarbrücken, Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 2 KLs 2/09, juris Rn. 15 m.w.N.; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 111j Rn. 11 mit § 98 Rn. 30, § 111k Rn. 15), hier also bei der Kammer.
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2. Der Arrest war in der Höhe auf 1.273.871,22 € herabzusetzen, wie es im Urteil der Kammer vom 3. Mai 2023 angeordnet ist. Der ursprüngliche Arrest über 2.353.928,75 € diente der Sicherung der Einziehung von Wertersatz aus mutmaßlichen Betrugstaten des Angeklagten. Nachdem später nur ein Teil der Taten in der Anklage verarbeitet wurde und in der Hauptverhandlung weitere Taten nach § 154 Abs. 2 StPO ausgeschieden wurden, verbleibt es bei dem zu sichernden Rest in ausgeurteilter Höhe, den der Angeklagte nach Feststellungen der Kammer aus den Betrugstaten erlangt hat. Für den darüber hinaus gehenden Betrag fehlt es, wie auch die Staatsanwaltschaft zutreffend sieht, nunmehr am Sicherungsbedürfnis.
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3. Die Freigabe arrestierter Gelder zur Zahlung von 270.114,91 € an die Finanzkasse war zu versagen.
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a) Sie konnte schon deshalb nicht erfolgen, weil der im Antrag angegebene Zweck urteilsfremd ist. Der Arrest und die Einziehungsentscheidung sind aufeinander bezogen. Mit Rechtskraft des Urteils tritt die Einziehungsentscheidung als endgültiger Vollstreckungstitel an die Stelle der vorläufigen Sicherung (Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 111j Rn. 10). Die Kammer hat in ihrem Urteil die Einziehung beim Angeklagten zugunsten der … GmbH angeordnet, die durch die Betrugstaten des Angeklagten geschädigt worden ist. Das korrespondiert mit dem ursprünglichen und aktuellen Sicherungszweck des Arrestes. Dass der Angeklagte im Zusammenhang mit den Betrügereien – nach eigenen Angaben – Steuern hinterzogen und somit die Staatskasse geschädigt haben will, rechtfertigt nicht, dass die Kammer nunmehr abweichend von ihrem eigenen Urteilsspruch das verbliebene Geld anders verteilt.
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b) Im Übrigen liegt eine Übersicherung, die eine Freigabe erlauben würde, ersichtlich nicht vor. Das beim Angeklagten gesicherte Vermögen erreicht den ausgeurteilten Einziehungsbetrag bei weitem nicht. Ausweislich der Akte führte die beim Angeklagten aufgrund des Arrestes vollzogene Vermögensabschöpfung zur Sicherung von Vermögensgegenständen im Wert von 630.572,01 €. Dieser Betrag verringerte sich zudem im Laufe der Zeit, denn die Staatsanwaltschaft gab einige Pfandfreigabeerklärungen ab, so etwa am 13. Oktober 2022 über 440.000 €, die wegen der steuerlichen Selbstanzeige an die Finanzkasse überwiesen wurden. Insgesamt ist für die Kammer nicht erkennbar, dass Vermögen des Angeklagten im Wert von 270.114,91 € überhaupt noch staatlichem Beschlag unterläge.
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Eine Übersicherung liegt aber auch nicht vor, wenn man in Rechnung stellt, dass hier drei Angeklagte teils gesamtschuldnerisch für den Schaden der … GmbH haften (zum Problemfeld vgl. Bittmann in MünchKomm-StPO, 2. Aufl., § 111k Rn. 19 ff.; Rettke, NZWiSt 2021, 288). Die Einziehungsentscheidung gegen den Angeklagten P in Höhe von 1.273.871,22 € war so ausgestaltet, dass sie gesamtschuldnerisch mit den Angeklagten A und Z in Höhe von 734.818,67 € sowie in Höhe von weiteren 539.052,55 € gesamtschuldnerisch mit dem Angeklagten Z erfolgte. Insgesamt ergingen gegen den Angeklagten A Einziehungsentscheidungen in Höhe von 790.054,62 € und gegen den Angeklagten Z in Höhe von 2.451.342,90 €. Nach den Feststellungen der Kammer im Rahmen der Hauptverhandlung reicht das Vermögen der Angeklagten Z und A nicht aus, um die Forderungen der … GmbH auch nur annähernd zu begleichen. Der Angeklagte Z hat sein verwertbares und bereits arrestiertes Vermögen mit 375.926,68 € bewertet. Als Verbindlichkeit sind 104.195,97 € abzuziehen, die er aufgrund des in der Hauptverhandlung geschlossenen Vergleichs dem B schuldet. Beim Angeklagten A dürfte allein dessen hälftiger Anteil an seinem noch nicht abgezahlten Eigenheim auf der Aktivseite stehen. Vor diesem Hintergrund besteht keine Rechtfertigung, eine Freigabe, wie beantragt, zu erklären.
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c) Sonstige Gründe, namentlich solche der Verhältnismäßigkeit, stehen dem weiteren Vollzug des Arrestes nicht entgegen. Es besteht nach Lage der Dinge auch keine Verpflichtung des Gerichts, dem Angeklagten durch eine Freigabe der Mittel dabei behilflich zu sein, die Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige (vgl. § 371 Abs. 3 AO) oder einer Absehensentscheidung (vgl. § 398a Abs. 1 AO) herbeizuführen. Grundsätzlich trägt allein der Steuerpflichtige die Verantwortung für das Ge- oder Misslingen einer Selbstanzeige (LG München II, Urteil vom 13. März 2014 – 5 KLs 68 Js 3284/13, juris Rn. 325 ff.). Bei dieser handelt es sich um einen Strafaufhebungsgrund (Randt in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl., § 371 Rn. 39 m.w.N.), der bei gegebener Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld zur persönlichen Straflosigkeit führt. Daraus folgt, ebenso wenig wie aus den fiskalischen Gründen der Selbstanzeige oder aus deren Zweck der Erleichterung der Rückkehr zur Steuerehrlichkeit (vgl. Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 78. EL, § 371 Rn. 29 ff.), nichts für eine Pflichten- oder Garantenstellung des Gerichts, die es nötigen würde, abweichend vom gesprochenen Urteil zu agieren. Vielmehr hat der Angeklagte hier schlicht die Folgen seiner Delinquenz zu tragen.