Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 23.02.2023 – Au 2 K 22.416
Titel:

Erschließungsbeitragsrecht, Vorliegen einer vorhandenen Erschließungsanlage (sog. „historische“ Straße), Eintritt der Vorteilslage, Abwägungsbeschluss gemäß § 125 Abs. 2 BauGB, Anforderungen an den Nachweis des Herstellungsaufwands

Normenketten:
KAG Art. 5a
BauGB §§ 128 ff.
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, Vorliegen einer vorhandenen Erschließungsanlage (sog. „historische“ Straße), Eintritt der Vorteilslage, Abwägungsbeschluss gemäß § 125 Abs. 2 BauGB, Anforderungen an den Nachweis des Herstellungsaufwands
Fundstelle:
BeckRS 2023, 16628

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.   

Tatbestand

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Der Kläger ist Eigentümer des 555 m² großen, mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. * Gemarkung * (Anwesen O.G.straße *), das mit seiner Nordseite an der Erschließungsanlage „O.G.straße“ anliegt. Die ca. 170 m lange, zwischen den Einmündungen der O.G.straße in die A.straße (vormals I.straße) bzw. in die H. Straße gelegene und durch die am 5. April 1964 erfolgte Eintragung in das Straßenbestandsverzeichnis der Beklagten zur Ortsstraße öffentlich gewidmete Erschließungsanlage sowie die nördlich angrenzenden Grundstücke befinden sich im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB). Die auf der Südseite anliegenden Grundstücke liegen im Geltungsbereich der auf Art. 23 GO i.V.m. § 34 Abs. 4 BauGB a.F. beruhenden und am 5. Dezember 1990 öffentlich bekannt gemachten „Satzung über die Einbeziehung von Grundstücken durch die der im Zusammenhang bebaute Ortsteil abgerundet wird“ vom 5. November 1990, die in § 1 regelt, dass die Grundstücke Fl.Nrn.,,,,, * und * (Teilfläche) dem Innenbereich zugeordnet werden.
2
Im Gemeindegebiet der Beklagten gilt die Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen vom 19. Oktober 2016, die gemäß § 16 Abs. 1 der Satzung am 26. Oktober 2016 in Kraft getreten ist (Erschließungsbeitragssatzung – EBS). Vorgängersatzungen reichen nach den Angaben der Beklagten und den vorgelegten Satzungstexten mindestens zurück bis zur Satzung über Erschließungsbeiträge vom 15. November 1974 (Bl. 97 bis 110 der Gerichtsakte)
3
Der Gemeinderat der Beklagten hat in seiner Sitzung am 29. Juli 2019 die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „O.G.straße“ beschlossen und die Bauarbeiten durch Beschluss vom 18. Mai 2020 vergebenen. Die von der Fa. *GmbH ausgeführten und am 19. Oktober 2020 technisch abgeschlossenen Straßenbaumaßnahmen wurden von der Beklagten ausweislich des darüber gefertigten Protokolls am 29. Oktober 2020 gemäß § 12 VOB/B abgenommen. Der umzulegende Herstellungsaufwand für Grunderwerb (4.439,03 EUR), Straßenbau (172.898,89 EUR), Straßenentwässerung (68.059,75 EUR) und Beleuchtung (5.372,47 EUR) beträgt nach Abzug des Gemeindeanteils von 10 v.H. insgesamt 225.693,13 EUR.
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Ein vom ersten Bürgermeister der Beklagten am 3. März 2021 im Wege einer Dringlichkeitsentscheidung getroffener, die Herstellung der Anlage „O.G.straße“ betreffender Abwägungsbeschluss im Sinn von § 125 Abs. 2 BauGB wurde vom Gemeinderat der Beklagten in der Sitzung am 19. April 2021 erneut gefasst. Dabei wurde die Herstellung der Erschließungsanlage auf der durch die vorhandene Bebauung vorgegebenen Trasse unter Berücksichtigung des zu erwartenden Ziel- und Quellverkehrs mit einer Fahrbahnbreite von 7,50 m ohne Gehweg als ausreichend und mit den öffentlichen sowie privaten Belangen als im Einklang stehend bewertet.
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Der Kläger wurde mit Bescheid der Verwaltungsgemeinschaft, handelnd für die Beklagte, vom 3. März 2021 als Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. * für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „O.G.straße“ zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 22.835,48 EUR herangezogen.
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Der hiergegen vom Kläger erhobene Widerspruch wurde mit am 31. Januar 2022 zur Post gegebenem Widerspruchsbescheid des Landratsamts * vom 24. Januar 2022 zurückgewiesen.
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Am 21. Februar 2022 ließ der Kläger hiergegen Klage erheben mit dem Antrag,
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den Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 3. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts * vom 24. Januar 2022 aufzuheben.
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Die Beklagte wandte sich mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 28. April 2022 gegen das Klagebegehren. Für sie ist beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Für den Kläger wurde mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 30. Juni 2022 zur Begründung der Klage vorgetragen, der angegriffene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids sei rechtswidrig, da die abgerechnete Erschließungsanlage als vorhandene Anlage im Sinn von Art. 5a Abs. 7 KAG anzusehen sei. Die Wohngebäude auf den Fl.Nrn., * und * mit * seien bereits im Zeitraum zwischen 1936 und 1956 errichtet worden. Die damals bestehende Straße Fl.Nr. * sei in dieser Zeit bereits zum Anbau bestimmt gewesen. Auch der Veränderungsnachweis der Gemeinde * (Nr. 36 aus dem Jahr 1954) mit dem Betreff „Käufe, Straßenabtretung Flurstücke,, * und *“ bestätige den Bestand der Straße. Deshalb sei die abgerechnete Erschließungsanlage bereits vor dem 30. Juni 1961 vorhanden gewesen.
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Es sei auch davon auszugehen, dass die Höchsterhebungsfrist abgelaufen sei (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 AO). Da die streitgegenständliche Straße mindestens seit 1954 bestehe, sei bereits seit langem die Vorteilslage eingetreten. Soweit eine gemeindliche Planung vorliege und die Erschließungsmaßnahmen entsprechend dieser Planung über Jahrzehnte nicht ausgeführt worden seien, trete die Vorteilslage früher als nach der tatsächlichen endgültigen technischen Fertigstellung ein. Vom Eintritt der Vorteilslage sei deshalb auch auszugehen, wenn die Gemeinde die Umsetzung ihrer Planung aufgegeben habe und damit erkennen lasse, dass sie den erreichten technischen Standard als den endgültigen Ausbauzustand betrachte. In den vorgelegten Abrechnungsunterlagen sei die Rechnung der * AG (*) vom 14. August 1987 enthalten, der entnommen werden könne, dass die Verlegung von Straßenbeleuchtungskabeln in der O.G.straße abgerechnet worden sei. Aus dem der Rechnung beiliegenden Lageplan könne herausgelesen werden, dass es sich um Arbeiten zur Erweiterung der Straßenbeleuchtungseinrichtung gehandelt habe. Auch die Abrechnung der * vom 7. Mai 2009 erfasse ausdrücklich Erweiterungsarbeiten. Soweit es sich um eine Erweiterung eines vorhandenen Bestands gehandelt habe, müsse davon ausgegangen werden, dass auch hinsichtlich einer bestehenden Planung schon einmal eine Fertigstellung vorgelegen habe. So seien sporadisch im Abstand von Jahrzehnten an der Straßenbeleuchtung lediglich Ausbesserungs- und/oder Erweiterungsarbeiten ausgeführt worden. Aufgrund der Historie der Straße sei deshalb der Schluss zu ziehen, dass die Vorteilslage spätestens ins den 1990er Jahren eingetreten sei.
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Die sachliche Betragspflicht habe im Übrigen auch nicht entstehen können, weil die Gemeinde den nach § 125 Abs. 2 BauGB notwendigen Abwägungsbeschluss nicht getroffen habe. Schließlich seien auch die abgerechneten Kosten zu rügen, da keine Nachweise über Grunderwerbskosten in Höhe von 4.439,03 EUR vorgelegt worden seien. Bei den Abrechnungspositionen für die Straßenentwässerung und den Straßenbau handle es sich um Verbesserungs- bzw. Erneuerungsarbeiten für die keine Beiträge erhoben werden dürften. Der Rechnung der Firma * GmbH & Co KG vom 22. Oktober 2015 sei zu entnehmen, dass die Arbeiten den Ausbau der * Straße betroffen hätten. Inwieweit die Abrechnung der streitgegenständlichen Erschließungsanlage davon berührt sein soll, könne nicht nachvollzogen werden. Die abgerechneten Erweiterungsarbeiten für die Straßenbeleuchtung könnten ebenfalls nicht umgelegt werden.
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Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 1. September 2022 wurde hierauf erwidert. Bei der „O.G.straße“ handle es sich nicht um eine Erschließungsanlage im Sinne von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG. Zum Stichtag 30. Juni 1961 habe sich die Bebauung der genannten vier Grundstücke noch im Außenbereich befunden und die Straße habe keine Erschließungsfunktion besessen. Auch wenn im Juni 1961 eine Erschließungsfunktion vorgelegen haben sollte, sei die Straße noch nicht endgültig hergestellt gewesen. Es habe sich um einen Feldweg gehandelt, der keinen Unterbau aufgewiesen habe.
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Da der Gemeinderat der Beklagten erst in den Sitzungen vom 29. Juli 2019 und vom 18. Mai 2020 u.a. das Bauprogramm gemäß der Planung „Lageplan Straße, Stand: 3.2.2020“ und „Lageplan Kanal und Wasserleitung, Stand: 4.2.2020“ festgelegt habe, seien die Arbeiten vergeben und im Laufe des Jahres 2020 endgültig technisch fertiggestellt worden. Die Vorteilslage sei daher nicht eingetreten gewesen. Ein Abwägungsbeschluss nach § 125 Abs. 2 BauGB sei hier nicht notwendig geworden, da aufgrund des Vorhandenseins der Straße kein Spielraum mehr für eine Änderung des Straßenverlaufs bestanden habe. Gleichwohl habe der Gemeinderat in seiner Sitzung am 19. April 2021 einen Abwägungsbeschluss gefasst. Dieser Beschluss sei ein Bestätigungsbeschluss im Sinne von Art. 37 Abs. 3 Satz 2 GO gewesen, da durch den Ersten Bürgermeister aufgrund der Dringlichkeit vor Erlass des Beitragsbescheids bereits eine Abwägung vorgenommen worden sei. Diese Entscheidung sei vom Gemeinderat zur Kenntnis genommen und bestätigt worden. Die Straße sei aufgrund der Eintragungsverfügung vom 5. April 1964 gewidmet. Eine Aufstellung der entstandenen Grunderwerbskosten in Höhe von 4.439,03 EUR liege bei.
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Der Klägerbevollmächtigte äußerte sich mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2022 hierzu und führte aus, dass die O.G.straße bereits vor 1961 Erschließungsfunktion besessen habe, da sie durch einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil verlaufen sei. Auf der Nordseite der O.G.straße habe ein Bebauungszusammenhang bestanden, da dort zwischen 1936 und 1956 vier Wohngebäude errichtet worden seien. Der Abwägungsbeschluss sei verspätet gefasst worden, da Planungsalternativen z.B. in Bezug auf Gehweg, Grünstreifen oder Ähnliches bestanden hätten. Eine ausreichende Abwägung durch den Gemeinderat der Beklagten sei nicht erfolgt. Bei den vorgelegten Unterlagen zum Grunderwerb handle es sich um eine bloße Auflistung von Beträgen, die nicht nachvollzogen werden könnten.
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Am 29. November 2022 hat das Gericht Beweis erhoben durch die Einnahme eines Augenscheins. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das darüber gefertigte Protokoll Bezug genommen.
18
Mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 3. Januar 2023 wurde abschließend ausgeführt, dass sich aus dem vorgelegten Foto der Zustand der O.G.straße an der Ecke zur I.straße ablesen lasse (Bl. 121 der Gerichtsakte). Das rechts im Bild befindliche Grundstück stelle das Grundstück Fl.Nr. * (Anwesen O.G.straße *) dar. Das Wohngebäude auf diesem Grundstück sei 1990 errichtet worden. Parallel zur Errichtung des Wohngebäudes seien im Bereich der O.G.straße der Schmutzwasserkanal verlegt, eine Asphaltierung durchgeführt, der Wasserhausanschluss, der Gasanschluss, der Kanalhausanschluss und die Entwässerungsanlage errichtet worden. Der Eigentümer habe 1982 Bescheide über den Herstellungsbeitrag für eine Wasserversorgungs- und eine Entwässerungsanlage erhalten. Darüber hinaus werde ein Lichtbild vorgelegt über den Zustand der O.G.straße vor den Umbaumaßnahmen (Bl. 126 der Gerichtsakte). Daraus sei klar ersichtlich, dass es sich gerade nicht um einen Feldweg gehandelt habe. Die Straßenschlussvermessung im Bereich der O.G.straße habe noch nicht stattgefunden. Daher sei auch der endgültige Herstellungszustand noch nicht erreicht worden. Die Betragspflicht könne demzufolge auch noch nicht entstanden sein.
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Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 20. Januar 2023 wurde ergänzend dargelegt, dass aus der beigefügten E-Mail der * vom 11. Januar 2023 deutlich werde, dass zwar im Jahr 1987 ein Straßenbeleuchtungskabel verlegt, aber Straßenleuchten erst im Jahr 2009 aufgestellt worden seien. Diese Leuchten seien an das im Jahr 1987 verlegte Bestandskabel angeschlossen worden. Das Kabel habe zum Verlegungszeitpunkt zu einer Straßenlampe geführt, die zur *straße gehört habe. Die O.G.straße habe vermutlich in den 1960er Jahren eine Staubfreimachung erhalten, die jedoch als Provisorium anzusehen sei.
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Am 23. Februar 2023 fand mündliche Verhandlung statt. Die Sache wurde mit den Parteien in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert. Die Prozessbevollmächtigten der Parteien stellten die schriftsätzlich angekündigten Klageanträge.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvorhalts wird auf die vorliegendem Gerichts- und Behördenakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid der für die Beklagte handelnden Verwaltungsgemeinschaft * vom 3. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts * vom 24. Januar 2022, mit dem der Kläger als Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. * Gemarkung * für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „O.G.straße“ zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 22.835,48 EUR herangezogen wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 79 Abs. 1 Nr. 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Erschließungsbeitragsbescheids ist Art. 5a KAG i.V.m. §§ 128 ff. BauGB sowie die Regelungen der am 26. Oktober 2016 in Kraft getretenen Satzung der Beklagten über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen vom 19. Oktober 2016 (Erschließungsbeitragssatzung – EBS). Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Satzung sind vom Kläger weder vorgetragen worden, noch sind die Ordnungsgemäßheit des Zustandekommens bzw. des Inhalts der Satzung berührende Fragestellungen sonst ersichtlich, so dass von ihrer Gültigkeit auszugehen ist (s. hierzu z.B. BayVGH, B.v. 4.6.1997 – 6 ZS 97.1305 – juris).
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Die von der Beklagten der streitgegenständlichen Erhebung eines Erschließungsbeitrags räumlich zugrunde gelegte Erschließungsanlage „O.G.straße“ stellt eine öffentlich gewidmete beitragsfähige Anbaustraße im Sinn von Art. 5a Abs. 1, Abs. 2 KAG, § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB dar und ist in ihrer Ausdehnung zwischen der Einmündung in die A.straße im Osten und der Einmündung in die H. Straße im Westen als eigenständig zu betrachtende Erschließungsanlage (Art. 5a Abs. 2 KAG, § 130 Abs. 2 Satz 1 BauGB) zutreffend bewertet worden. Die Entscheidung der Frage, wie weit eine einzelne Verkehrsanlage reicht und wo die nächste beginnt, bestimmt sich nach dem Gesamteindruck, den die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Zu fragen ist, inwieweit sich die zu beurteilende Straße als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt. Deshalb hat sich der ausschlaggebende Gesamteindruck nicht an Straßennamen oder Grundstücksgrenzen auszurichten, sondern, ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise, vor allem an der Führung der Straße, deren Länge, Breite und deren Ausstattung (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 10.6.2009 – 8 C 2.08 – NVwZ 2009, 1369; BayVGH, B.v. 28.4.2022 – 6 ZB 21.2951 – juris Rn. 7; B.v. 24.7.2013 – 6 BV 11.1818 – juris Rn. 13; Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 6 Rn. 13 ff.). Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich hier die Abgrenzung der Anlage als offensichtlich zutreffend.
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Die rechtmäßige Abrechnung der an der streitgegenständlichen Anbaustraße durchführten Baumaßnahmen im Wege der Erhebung von Erschließungsbeiträgen setzt aber auch voraus, dass die Erschließungsanlage nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt erstmalig endgültig hergestellt war. Ist dies der Fall, führt dies dazu, dass die Straße aus dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts herausfällt (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2022 – 6 ZB 22.264 – juris Rn. 7; Matloch/Wiens, Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand Dezember 2022, Rn. 180 ff.; Schmitz, a.a.O., § 1 Rn. 7 u. Rn. 38 ff.). Der entsprechende klägerische Einwand, bei der abgerechneten Erschließungsanlage handle es sich um eine Straße, die bereits vor den zum Erlass des streitgegenständlichen Erschließungsbeitragsbescheids führenden Straßenbaumaßnahmen erstmals endgültig hergestellt gewesen sei und für die keine Erschließungsbeiträge mehr erhoben werden könnten, hält jedoch einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
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Aus dem Blickwinkel des Erschließungsbeitragsrechts liegt eine abrechenbare Straße in dem Zeitpunkt vor, in dem sie Erschließungsfunktion besitzt und für diesen Zweck endgültig hergestellt worden ist (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 9.8.2016 – 6 CS 16.1032 – juris Rn. 8 ff.; U.v. 22.7.2010 – 6 B 09.584 – juris Rn. 37 ff.). Bei der abgerechneten Erschließungsanlage „O.G.straße“ handelt es sich weder um eine vorhandene Erschließungsanlage in der Gestalt einer sog. „historischen“ Straße gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG, der regelt, dass für vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht auf Grund der bis zum 29. Juni 1961 geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte, auch danach kein Erschließungsbeitrag erhoben werden kann, noch um eine Erschließungsanlage, die nach dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 die satzungsrechtlich bestimmten Merkmale für eine endgültige Herstellung einer der seither in Kraft getretenen Erschließungsbeitragssatzungen der Beklagten erfüllt hat.
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Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine sog. „historische“ Straße vorliegt, ist, dass es sich um eine Anlage handelt, die bereits vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 vorhanden und als öffentliche Einrichtung im Sinn des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 des Gemeindeabgabengesetzes vom 20. Juli 1938 (GVBl. S. 225) zu qualifizieren war, Erschließungsfunktion hatte und auch für diesen Zweck entsprechend endgültig hergestellt wurde (BayVGH, B.v. 18.8.2022 – 6 ZB 22.264 – juris Rn. 7; B.v. 9.3.2021 – 6 ZB 21.20 – juris Rn. 7; B.v. 18.8.2017 – 6 ZB 17.840 – juris Rn. 13; Schmitz, a.a.O., § 1 Rn. 38 ff.). Um als vorhandene Erschließungsstraße angesehen werden zu können, muss diese bis zum Stichtag 30. Juni 1961 auch für den Zweck der Erschließung endgültig hergestellt gewesen sein. Dabei genügt es nicht, dass eine Straße als nutzbare Verkehrsfläche angelegt war; sie muss die Schwelle vom Provisorium zur endgültigen Anlage bereits überschritten haben, um als vorhandene Erschließungsanlage im Sinn von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG angesehen werden zu können. Sofern sich hierfür relevante örtliche Bauvorschriften im Laufe der Zeit geändert haben, ist jede Baumaßnahme an der Regelung ihrer Zeit zu messen. War eine Erschließungsanlage zu irgendeinem Zeitpunkt endgültig hergestellt, verliert sie diese Eigenschaft durch spätere Änderungen der Sach- und Rechtslage nicht mehr (BayVGH, U.v. 6.4.2000 – 6 B 96.56 – juris Rn. 17).
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In dem Zeitraum bis zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes gab es bezogen auf das Gemeindegebiet der Beklagten weder einschlägige landesrechtliche Vorschriften, aus denen die Ausbauvorstellungen der Gemeinde hätten abgeleitet werden können, noch lagen örtliche straßenbaurechtliche Vorschriften vor, die bautechnische Anforderungen an die Straßenherstellung enthalten haben. In diesem Fall ist für die Qualifizierung des Ausbauzustands einer Straße die Frage maßgeblich, ob dieser in bautechnischer Hinsicht geeignet war, den örtlichen Verkehrsbedürfnissen zu genügen (BayVGH, U.v. 10.4.2001 – 6 B 96.2239 – BayVBl 2002, 602; Schmitz, Vorhandene Erschließungsanlagen im Sinn des § 242 Abs. 1 BauGB aus bayerischer Sicht, BayVBl 2014, 613). Ob die O.G.straße im maßgeblichen Bereich zu dieser Zeit bereits Erschließungsfunktion besessen hat, bedarf hier keiner Entscheidung, weil sie jedenfalls für diesen Zweck nicht ausreichend ausgebaut gewesen ist. Die Straße hat in dem Zeitraum bis zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes die in Bezug auf den notwendigen Ausbauzustand zu stellenden Mindestanforderungen an eine Erschließungsstraße auch bei Berücksichtigung der Ministerialentschließung vom 6. August 1936 (MABl 1958, S. 627) nicht erfüllt, da sie zwar spätestens in den 1960er Jahren asphaltiert wurde, aber weder mit einem kunstgerechten, d.h. frostsicheren Unterbau, noch mit einer ordnungsgemäßen Straßenentwässerung versehen war (s. hierzu BayVGH, U.v. 29.10.1992 – 6 B 89.42 – zitiert nach Schmitz, Vorhandene Erschließungsstraßen im Sinn von § 242 Abs. 1 BauGB aus bayerischer Sicht, BayVBl 2014, 613/617). Das Fehlen eines ausreichenden frostsicheren Unterbaus der Straße ergibt sich aus den Feststellungen des Ingenieurbüros *mbH in dem Gutachten vom 19. Februar 2018 (Baugrunduntersuchung), denen entnommen werden kann, dass unterhalb der Asphaltdecke kein ausreichend frostsicheres Material angetroffen wurde und deswegen zur Herstellung der Frostsicherheit ein lagenweiser neuer Aufbau der Frostschutzschicht mit geeignetem frostsicheren Material zu empfehlen ist (Behördenakte Heftung a.E.). Die Herstellung eines frostsicheren Unterbaus war hier aber zur Erfüllung der bautechnischen Mindestanforderungen – selbst gemessen an den geringen Verkehrsbedürfnissen für Anbaustraßen in ländlichen Gebieten – notwendig. Schließlich hat die O.G.straße nach den vorliegenden Unterlagen (s. z.B. das Foto Bl. 126 der Gerichtsakte) und den Angaben der Parteien hierzu bis zur Durchführung der Baumaßnahmen im Jahr 2020 auch keine ausreichende Straßenentwässerung aufgewiesen, da keine gezielte Ableitung des Oberflächenwassers durch Straßenprofil und -neigung sowie eine Fassung in Entwässerungsleiteinrichtungen, wie Randsteinen oder Rinnen, erfolgte. Das Abfließen des Oberflächenwassers in die links und rechts der Straße befindlichen Bankettflächen bzw. Privatgrundstücke stellte in der zu betrachtenden Zeitspanne bis zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 auch in ländlichen Wohngebieten keine ordnungsgemäße Straßenentwässerung dar (vgl. z.B. BayVGH, B.v.18.8.2022 – 6 ZB 22.264 – juris Rn. 9; B.v. 29.11.2016 – 6 CS 16.1932 – juris Rn. 8; Schmitz, a.a.O., § 1 Rn. 43 m.w.N.).
30
In dem Zeitraum nach dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 handelte es sich bei der gemäß der Eintragungsverfügung vom 6. April 1964 (Bl. 74 der Gerichtsakte) als Ortsstraße gewidmeten O.G.straße (Fl.Nr. *) ebenfalls nicht um eine abschließend fertiggestellte Erschließungsanlage. Voraussetzung hierfür ist, dass die Straße in ihrer gesamten Ausdehnung und mit allen Teileinrichtungen den Vorgaben des satzungsmäßigen Einrichtungsprogramms und des dieses ergänzenden gemeindlichen Bauprogramms entsprochen hat (vgl. BVerwG, U.v. 10.10.1995 – 8 C 13.94 – NVwZ 1996, 799; Schmitz, a.a.O., § 5 Rn. 15 ff. m.w.N.). In § 9 EBS und in den Vorgängersatzungen bis zur ersten auffindbaren Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 22. Mai 1979 (Bl. 97 bis 102 der Gerichtsakte) sind die Voraussetzungen für eine endgültige Herstellung genannt. Demnach sind die öffentlichen, zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätze sowie die Sammelstraßen und Parkflächen endgültig hergestellt, wenn sie mit einer den Verkehrserfordernissen entsprechenden neuzeitlichen Straßendecke, Entwässerung und etwa vorgesehener Beleuchtung versehen und an eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße angeschlossen sind. Bei der Prüfung, ob ein Ausbau einer beitragsfähigen Erschließungsanlage den Endpunkt, nämlich die erstmalige endgültige Herstellung im Sinn von Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 133 Abs. 2 BauGB erreicht hat, kommt es im Übrigen nicht auf die jeweiligen subjektiven Vorstellungen der Gemeinde oder der Beitragspflichtigen an. Vielmehr ist dies objektiv nach dem maßgeblichen Ortsrecht zu beurteilen (BVerwG, U.v. 2.12.1977 – 4 C 55.75 – BauR 1978, 133; BayVGH, B.v. 25.3.2019 – 6 ZB 18.1416 – juris Rn. 11).
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Die Regelung von (Ausbau-)Merkmalen, deren Vorliegen die endgültige Herstellung einer Erschließungsanlage beschreiben, soll es den Beitragspflichtigen ermöglichen, sich durch einen Vergleich der satzungsmäßig festgelegten Kriterien für die Fertigstellung mit dem tatsächlichen Zustand, in dem sich die gebaute Anlage befindet, einen Eindruck darüber zu verschaffen, ob die Anlage endgültig hergestellt ist oder nicht. Mit dieser auf die Laiensphäre abstellenden Zielrichtung wäre es von vornherein nicht zu vereinbaren, etwa das Merkmal Straßenentwässerung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 EBS) in dem Sinn zu verstehen, dass es um Ausbaustandards unter Beachtung bestimmter technischer Regelwerke ginge. Entscheidend kann in diesem Zusammenhang nur sein, dass überhaupt eine funktionsfähige, der Straßenlänge und den örtlichen Verhältnissen angepasste Entwässerungseinrichtung vorhanden ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.3.2022 – 6 ZB 21.1543 – juris Rn. 13; B.v. 4.5.2017 – 6 ZB 17.546 – juris; B.v. 29.6.2016 – 6 ZB 15.2786 – BeckRS 2016, 53241; B.v. 6.3.2006 – 6 ZB 03.2961 – juris Rn. 9; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 412a). Hier waren die satzungsmäßigen Voraussetzungen für eine endgültige erstmalige Herstellung der Anlage „O.G.straße“ nicht gegeben. Abgesehen von dem durch das Ingenieurbüro *mbH im Rahmen der Baugrunduntersuchung festgestellte und im Gutachten vom 19. Februar 2018 dokumentierten Fehlen des technisch notwendigen frostsicheren Unterbaus (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1 EBS) hat jedenfalls (auch) keine den Anforderungen genügende funktionsfähige Straßenentwässerung vorgelegen (s. hierzu Schmitz, a.a.O., § 8 Rn. 37 ff.). Wie oben bereits dargelegt, genügt das Abfließen des Regenwassers auf der gesamten Länge der Straße in die anliegenden Bankett- bzw. Seitenstreifen aufgrund der Fahrbahndeckenwölbung hierfür auch unter Berücksichtigung der damaligen geringeren Anforderungen zur Erfüllung der satzungsmäßig festgelegten Merkmale für die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage im ländlichen Bereich nicht (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 13.9.2018 – 9 B 129.17 – juris; BayVGH, B.v. 15.11.2018 – 6 ZB 18.1516 – juris Rn. 7; B.v. 7.1.2018 – 6 ZB 17.546 – juris B.v. 12.6.2014 – 6 CS 14.1077 – BeckRS 2014, 52922; B.v. 6.3.2006 – 6 ZB 03.2961 – BeckRS 2009, 37088; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn 181c; Schmitz, Vorhandene Erschließungsanlagen im Sinn des § 242 Abs. 1 BauGB aus bayerischer Sicht, BayVBl 2014, 613). Erforderlich waren auch bereits in den 1950/60er Jahren Entwässerungsleiteinrichtungen, wie Randsteine oder Gerinne, die jedenfalls im örtlich notwendigen Umfang den Abfluss des anfallenden Oberflächenwassers gewährleisten konnten (BayVGH, U.v. 5.11.2007 – 6 B 05.2551 – juris; Matloch/Wiens a.a.O.). Wie sich den vorgelegten Fotos und den Angaben der Parteien zum Ausbauzustand der O.G.straße vor dem Beginn der Straßenbauarbeiten im Jahr 2020 entnehmen lässt, hat es im gesamten Straßenbereich keine technischen Einrichtungen zur effektiven Ableitung des anfallenden Oberflächenwassers gegeben. Die Vorgaben für die Herstellung einer ordnungsgemäßen vollfunktionalen Straßenentwässerung waren damit nicht erfüllt. Die hier bis zum jetzigen Ausbauzustand vorhandene Art der Entwässerung durch das Abfließen des Oberflächenwassers auf die seitlichen Straßenbankettbereiche bzw. in die anliegenden (Privat-)Grundstücke im gesamten Bereich vermochte selbst die hier zu stellenden geringen Anforderungen an den Ausbaustandard bei einer Ortsstraße in einer ländlichen Gemeinde nicht zu erfüllen (s. hierzu auch BVerwG, U.v. 11.7.2007 – 9 C 5.06 – juris Rn. 40; BayVGH, U.v. 5.11.2007 – 6 B 05.2551 – juris Rn. 33; B.v. 6.3.2006 – 6 ZB 03.2961 – BeckRS 2009, 37088). Im Ergebnis hat es sich bei der abgerechneten Anlage „O.G.straße“ bis zur Durchführung der jüngsten Straßenherstellungsmaßnahmen weder um eine vorhandene Erschließungsanlage im Sinn von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG, noch um eine nach dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 nach Maßgabe der hierfür erlassenen Satzungsbestimmungen erstmalig endgültig hergestellte Erschließungsanlage gehandelt.
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Der Erhebung des streitgegenständlichen Erschließungsbeitrags für die Erschließungsanlage „O.G.straße“ steht der am 1. April 2021 in Kraft getretene Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG, der bestimmt, dass für vorhandene Erschließungsanlagen, bei denen seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung mindestens 25 Jahre vergangen sind, keine Erschließungsbeiträge mehr erhoben werden können und die gemäß Art. 5a Abs. 8 KAG als erstmalig hergestellt gelten, nicht entgegen. Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG findet im vorliegenden Fall zwar Anwendung, da die sachliche Beitragspflicht erst am 19. April 2021 und damit nach dem Inkrafttreten dieser Bestimmung und bei Ergehen der letzten Behördenentscheidung, hier dem Widerspruchsbescheid des Landratsamts * vom 24. Januar 2022, entstanden war. Weder die am 10. Februar 2021 eingegangene letzte Unternehmerrechnung, noch die im Wege einer Dringlichkeitsentscheidung des Ersten Bürgermeisters am 3. März 2021 getroffene Abwägungsentscheidung im Sinn von § 125 Abs. 2 BauGB waren im vorliegenden Fall rechtlich geeignet, den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht zu markieren.
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Die sachliche Beitragspflicht für eine beitragsfähige Erschließungsanlage kann erst entstehen, wenn sie rechtmäßig hergestellt ist. Dies folgt aus dem Zusammenhang mit dem Erschließungsrecht und beurteilt sich nach § 125 BauGB. Diese Vorschrift konkretisiert das in § 1 Abs. 3 BauGB enthaltene allgemeine Planerfordernis für die Durchführung von Erschließungsmaßnahmen, indem sie die Herstellung einer beitragsfähigen Erschließungsanlage an das Vorhandensein eines Bebauungsplans (Abs. 1) oder an das Vorliegen einer den materiell-rechtlichen Planungsgrundsätzen genügenden Abwägungsentscheidung der Gemeinde (Abs. 2) bindet. Fehlt – wie im vorliegenden Fall – ein Bebauungsplan, der rechtliche Vorgaben für die die Herstellung der Erschließungsanlage enthält, dürfen diese nach § 125 Abs. 2 BauGB hergestellt werden, wenn sie den in § 1 Abs. 4 bis 7 BauGB bezeichneten Anforderungen entsprechen. Damit ist es für die rechtmäßige Herstellung ausreichend, dass die Gemeinde im Rahmen ihrer planungsrechtlichen Gestaltungsfreiheit eine sog. planersetzende Abwägungsentscheidung trifft, die inhaltlich an denselben Maßstäben ausgerichtet ist, wie die entsprechende Ausweisung der Verkehrseinrichtung in einem Bebauungsplan (Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 11. Aufl. 2022, § 7 Rn. 2 ff.). Die in § 125 BauGB zum Ausdruck kommende Verknüpfung des Erschließungsrechts mit dem Erschließungsbeitragsrecht hat zur Folge, dass die Entstehung der endgültigen Erschließungsbeitragspflicht die Rechtmäßigkeit der Herstellung der Erschließungsanlage voraussetzt (Schmitz, a.a.O., § 7 Rn. 29).
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Die sachliche Beitragspflicht konnte daher aufgrund des Fehlens der notwendigen Abwägungsentscheidung mit dem Eingang der letzten Unternehmerrechnung am 10. Februar 2021 nicht eintreten. Auch die im Wege einer Dringlichkeitsentscheidung nach Art. 37 Abs. 3 Satz 1 GO durch den Ersten Bürgermeister am 3. März 2021 getroffene Abwägungsentscheidung hat nicht dazu geführt, dass die sachliche Beitragspflicht zur Entstehung gelangen konnte, da die Abwägungsentscheidung wegen ihrer planersetzenden Wirkung kein Geschäft der laufenden Verwaltung im Sinn von Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO darstellt (s. hierzu BayVGH, U.v. 23.4.2015 – 6 BV 14.1621 – juris Rn. 42) und auch im Wege einer Dringlichkeitsentscheidung des Ersten Bürgermeisters nicht getroffen werden kann (VG München, U.v. 18.1.2005 – M 2 K 04.3970 – juris Rn. 37; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 90).
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Die Voraussetzungen von § 125 Abs. 2 BauGB waren erst mit der Beschlussfassung des Gemeinderats am 19. April 2021 erfüllt mit der Folge, dass die sachliche Beitragspflicht erst an diesem Tag entstanden ist (Bl. 71 der Gerichtsakte). Rechtlich durchgreifende Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit des Abwägungsbeschlusses bestehen nicht. Der Gemeinderat der Beklagten hat unter Beachtung des von § 1 Abs. 4 bis 7 BauGB vorgegebenen rechtlichen Rahmens die maßgeblichen von der Planung berührten öffentlichen und privaten Interessen erkannt und gegeneinander sowie untereinander in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgewogen (s. hierzu BVerwG, U.v. 26.11.2003 – 9 C 2.03 – BayVBl 2004, 276; BayVGH, B.v. 30.10.2013 – 6 ZB 11.245 – juris Rn. 7). Die ausreichend dokumentierte (Bl. 71 der Gerichtsakte) Beschlussfassung bzw. Abwägungsentscheidung genügt den zu stellenden rechtlichen Anforderungen, da zum einen zu berücksichtigen ist, dass die Trasse der Verkehrsanlage und die für erforderlich erachtete Fahrbahnbreite von 7,50 m ohne Gehweg ohne relevanten Spielraum vorgegeben waren. Zum anderen lassen die der Abwägungsentscheidung zugrunde gelegte Verkehrsbedeutung der O.G.straße als reine Anliegerstraße und der Verzicht auf einen eigenständigen Gehweg vor dem Hintergrund der geringen Länge der Straße von 170 m und des zu erwartenden vernachlässigbaren Ziel- und Quellverkehrs Fehler bei der Abwägung der öffentlichen und privaten Belange nicht erkennen. Auch das Abwägungsergebnis weist im Ergebnis keine Mängel auf, die gemessen an den in § 1 Abs. 4 bis 7 BauGB bezeichneten rechtlichen Anforderungen und des der Gemeinde in § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB gesetzlich zugewiesenen Rechts auf Planungshoheit rechtlich beanstandet werden könnten.
36
Allerdings liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG nicht vor, da seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung der Erschließungsanlage „O.G.straße“ nicht mindestens 25 Jahre vergangen sind. Das Vorliegen einer Erschließungsanlage in diesem Sinn setzt voraus, dass sie Erschließungsfunktion besitzt (vgl. zuletzt VG Ansbach, B.v. 18.7.2022 – AN 3 S 22.00309 – juris Rn. 88). Daran fehlt es, wenn die Anlage wie hier – belegt durch die Luftbildaufnahme aus dem Jahr 1945 (Bl. 1 der Behördenakte) – zunächst im Außenbereich verläuft. Bedeutsam ist in diesem Fall der Zeitpunkt des Funktionswechsels, d.h. der Zeitpunkt, in dem der Anlage Erschließungsfunktion zukommt. Erst dann liegt eine Erschließungsanlage vor, die den Lauf der Frist auslösen kann (Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 1101a). Wann im vorliegenden Fall von einem Funktionswandel der O.G.straße auszugehen ist und ob dies mit der weiteren Bebauung der nördlich der Straße gelegen Grundstücke Fl.Nrn., * und * bereits in den 1950er Jahren der Fall war, wie der Kläger vorträgt, kann dahinstehen, da die in diesem Bereich in der Vergangenheit durchgeführten Straßenherstellungsmaßnahmen als Provisorium anzusehen sind, die nicht in der Lage sind, den Beginn der erstmaligen technischen Herstellung der Anlage zu bestimmen. Die in den 1950/60er Jahren durchgeführte erstmalige Asphaltierung der Fahrbahn (sog. „Staubfreimachung“) ebenso wie die wohl 1987 erfolgte Verlegung eines Straßenbeleuchtungskabels mit der Installation einer Straßenleuchte im Bereich des Grundstücks Fl.Nr. * (s. Foto Bl. 121 der Gerichtsakte), die nach den Angaben der Beklagten der früheren I.straße zuzurechnen ist, genügen hierfür nicht, da nicht alle Bauarbeiten an einer Anbaustraße von vornherein bereits auf deren endgültige Herstellung abzielen und dies selbst bei der späteren Fortführung von Baumaßnahmen an der Straße nicht zwangsläufig angenommen werden kann. Maßgeblich ist, dass diejenige tatsächliche – sichtbare – technische Baumaßnahme, die dem Fristbeginn zugrunde gelegt werden soll – getragen von einer entsprechenden Entscheidung des zuständigen Gemeindeorgans – objektiv auf die erstmalige und endgültige merkmalsgerechte Herstellung gerichtet ist und bei der Fortsetzung der Bauarbeiten auf der Grundlage eines Bauprogramms zur endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage führen soll. Damit scheiden solche Maßnahmen aus, die sich – wie vorliegend – als reine Provisorien darstellen und gerade nicht der bauprogrammentsprechenden endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage dienen sollten (vgl. hierzu VG Ansbach, B.v. 18.7.2022 – AN 3 S 22.00309 – juris Rn. 87 ff.; U.v. 2.12.2021 – AN 3 K 21.00676 – juris Rn. 49 ff.; Matloch/Wiens a.a.O.; Schmitz, a.a.O., § 8 Rn. 23 ff.). Ein anderes Gesetzesverständnis ist weder aus dessen Wortlaut, noch aus den Gesetzesmaterialien, insbesondere der Gesetzesbegründung, abzuleiten. Der an den „ersten Spatenstich als Startschuss für den Beginn der Bauarbeiten“ und damit inhaltlich an die Regelung in § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB anknüpfenden Gesetzesbegründung kann nach Auffassung des Gerichts entnommen werden, dass der „Startschuss“ zielgerichtet den Beginn der endgültigen Herstellung der Anlage markieren soll. Die Gesetzesbegründung bringt darüber hinaus auch den Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck, den Gemeinden bis Ende März 2021 die Möglichkeit zu geben, „unfertige Anlagen baulich fertigzustellen“ (LT-Drs. 17/8225 S.16; VG München, U.v. 1.9.2021 – M 28 K 21.1559 – juris Rn. 35 ff.; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 1101a). Dies hat bezogen auf den vorliegenden Fall zur Folge, dass damit alle (Einzel-)Baumaßnahmen bis 2020, sei es zur Herstellung der Fahrbahn, sei es im Zusammenhang mit dem Aufstellen von Straßenlampen, als Anknüpfungspunkt für den Beginn der erstmaligen technischen Herstellung der Erschließungsanlage „O.G.straße“ ausscheiden. Der Gemeinderat der Beklagten hat letztlich erst in seiner Sitzung am 29. Juli 2019 beschlossen, diese Anlage endgültig erstmalig herzustellen. Die hierfür erforderlichen dem damit aufgestellten Bauprogramm folgenden Bauarbeiten wurden mit Beschluss des Gemeinderats am 18. Mai 2020 vergeben. Da das Herstellen von Provisorien, aber auch bloße Vorbereitungsarbeiten, wie die Einrichtung der Baustelle oder verwaltungsinterne Abstimmungen zur Umsetzung der Bauarbeiten, als Anknüpfungspunkt für den Beginn des Laufs der in Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG geregelten Frist nicht genügen, stellt der tatsächliche Beginn der auf die Beschlussfassung vom 29. Juli 2019 zurückgehenden Baumaßnahmen („erster Spatenstich“) den Beginn der erstmaligen technischen Herstellung der Erschließungsanlage „O.G.straße“ dar (s. hierzu auch Knöpfle, KommP BY 2016, 191/197).
37
Die vorher durchgeführten Baumaßnahmen, weder die in den 1950/60er Jahren erfolgte Asphaltierung („Staubfreimachung“), noch die Verlegung eines Kabels für die Straßenbeleuchtung im Jahr 1987 bzw. die Errichtung einzelner Straßenlampen sind hier in der Lage, den Zeitpunkt des Beginns der technischen Herstellung der Erschließungsanlage „O.G.straße“ zu belegen, da die Maßnahmen nach den Angaben der Beklagten, denen der Kläger nicht entgegengetreten ist, nicht mit der Absicht durchgeführt worden waren, damit den ersten Schritt zur kompletten erstmaligen technischen Herstellung der Anlage umzusetzen. Eine entsprechende Beschlusslage ergibt sich weder aus den Akten oder aus dem Vorbringen der Parteien, noch erschließt sich dies aus dem Umfang und aus dem zeitlichen Ablauf der Bauarbeiten. Damit handelte es sich lediglich um die Schaffung von provisorischen Einrichtungen, die den Lauf der in Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG geregelten Frist nicht in Gang setzen konnten.
38
Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG, der die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, für nicht mehr zulässig erklärt, kommt im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung, da dessen Tatbestandsvoraussetzungen nicht gegeben sind. Die Vorteilslage ist hier erst durch die im Jahr 2020 abgeschlossene technische Herstellung der Fahrbahn mit frostsicherem Unterbau, der Herstellung einer funktionsgerechten Straßenentwässerung und der Errichtung einer vollständigen Straßenbeleuchtungseinrichtung eingetreten. Zu einem früheren Zeitpunkt konnte die Vorteilslage nicht eintreten, da dies bei einer beitragsfähigen Erschließungsanlage nur angenommen werden kann, wenn sie nach den satzungsmäßigen Herstellungsmerkmalen und dem zugrundeliegenden Bauprogramm technisch endgültig fertiggestellt ist, wenn also eine tatsächlich ungehinderte Nutzungsmöglichkeit einer nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen technisch endgültig fertiggestellten Anlage von den angrenzenden Grundstücken aus eröffnet wird. Das ist regelmäßig erst mit der tatsächlichen Verwirklichung der die erstmalige Herstellung der jeweiligen Anlage betreffenden bautechnischen Vorgaben der Fall (BayVGH, B.v. 4.11.2020 - 6 ZB 20.1569 – juris Rn. 11; B.v. 4.5.2017 – 6 ZB 17.546 – juris Rn. 10 ff; U.v. 24.2.2017 – 6 B 15.1000 – BayVBl 2017, 522; Schmitz, a.a.O., § 2 Rn. 3). Dass die Anlage bereits vorher benutzbar war, ist unerheblich (BayVGH, B.v. 30.3.2016 – 6 ZB 15.2426 – BayVBl 2016, 558). Eine Vorteilslage im Sinn von Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG kann jedenfalls dann nicht eintreten, wenn die Anbaustraße den notwendigen Mindestanforderungen nicht entspricht. Das war hier – wie oben bereits ausgeführt – infolge u.a. des Fehlens einer ausreichenden Straßenentwässerung der Fall (vgl. hierzu z.B. BayVGH, B.v. 15.11.2018 – 6 ZB 18.1516 – juris Rn. 7; B.v.7.1.2018 – 6 ZB 17.546 – juris Rn. 14 ff.).
39
Der nach Abzug des Gemeindeanteils von 10 v.H. (§ 5 EBS) auf die erschlossenen Grundstücke umgelegte Herstellungsaufwand ist von der Beklagten dem Grunde und der Höhe nach zutreffend ermittelt worden. Bedenken gegen den Ansatz der nachgewiesenen Grunderwerbskosten bestehen nicht. Im Übrigen wurden, ohne dass dies von Klägerseite substantiiert in Frage gestellt werden konnte, die Kosten für die bautechnische Angleichung des Einmündungsbereichs O.G.straße/H. Straße, soweit sie der H. Straße zuzurechnen waren, von dem von der Beklagten beauftragten Ingenieurbüro gesondert ermittelt und aus dem für die streitgegenständliche Erschließungsanlage umlagefähigen Aufwand herausgenommen.
40
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
41
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
42
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 1 Satz 1, § 124a Abs. 2 Nr. 3 VwGO).