Titel:
Gerichtsbescheid, Entgeltanspruch für Notarzteinsatz, Prozesszinsen, kein Anspruch auf Verzugszinsen
Normenketten:
GVG § 17a Abs. 2
VwGO § 84
BayRDG Art. 32 S. 1
BayRDG Art. 34 Abs. 9
BayRDG Art. 35 Abs. 2 S. 1 und S. 2
Schlagworte:
Gerichtsbescheid, Entgeltanspruch für Notarzteinsatz, Prozesszinsen, kein Anspruch auf Verzugszinsen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 16598
Tenor
I.Der Beklagte wird verpflichtet, an die Klägerin 997,00 EUR zuzüglich Zinsen hieraus ab dem 28. Juni 2022 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt vom Beklagten Kostenersatz für einen Notarzteinsatz.
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Mit Rechnung vom 11. Januar 2022 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten Kosten in Höhe von 997,00 EUR für einen am 1. Januar 2022 durchgeführten Notarzteinsatz geltend, bei dem der Kläger von seiner Wohnung in das Krankenhaus * gebracht wurde. Nachdem der Beklagte diese Rechnung in der Folgezeit nicht bezahlt hatte leitete die Klägerin ein Mahnverfahren ein. Der Mahnbescheid wurde dem Beklagten am 28. Juni 2022 zugestellt. Nachdem der Beklagte am 6. Juli 2022 Widerspruch eingelegt hatte, wurde das Verfahren am 13. September 2022 an das Amtsgericht * abgegeben.
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Mit Schriftsatz vom 4. September 2022 erhob die Klägerin Klage beim Amtsgericht, mit dem Antrag,
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den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 997,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus ab dem 11. Februar 2022 und 105,04 EUR vorgerichtliche Anwaltskosten zu zahlen.
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Zur Anspruchsbegründung wurde vorgetragen, dass die Klägerin vom Beklagten Entgeltansprüche nach dem Bayerischen Rettungsdienstgesetz einfordere, die namens und im Auftrag des Bayerischen Roten Kreuzes * in Rechnung gestellt worden seien. Die Rechnung sei zum 21. Januar 2021 fällig gewesen. Die Forderung sei im Voraus durch eine Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Bayerischen Roten Kreuz, Standort, zum Einzug abgetreten worden.
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Das Verfahren wurde am 13. September 2022 an das Amtsgericht * abgegeben.
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Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten erklärte das Amtsgericht * mit Beschluss vom 3. November 2022 den Zivilrechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Augsburg, da es sich bei Streitigkeiten über das Entgelt für die Notfallversorgung um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handle. Bei einer Gesamtschau der Bestimmungen des Rettungsdienstgesetzes sei die Wahrnehmung der Aufgaben der Notfallversorgung sowohl im Ganzen als auch im Einzelfall der hoheitlichen Betätigung zuzurechnen, auch wenn sie von einer privatrechtlichen Organisation ausgeführt werde. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien seien damit insgesamt, auch hinsichtlich der Zahlungsansprüche, öffentlich-rechtlicher Natur.
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Im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens legte die Klägervertreterin die auf der Rechtsgrundlage von Art. 34 Abs. 9 Nr. 3 Bayerisches Rettungsdienstgesetz (BayRDG) geschlossene Vereinbarung vor, durch die die Klägerin zur Einziehung der Benutzungsentgelte für die Leistungen des öffentlichen Rettungsdienstes einschließlich der Mitwirkung von Ärzten beauftragt wurde.
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Der Beklagte machte geltend, dass die in diesem Verfahren an ihn gerichteten Schreiben nicht rechtswirksam unterzeichnet und daher unwirksam seien, da sie weder Namen noch Signierung aufweisen würden.
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Mit Schreiben vom 1. März 2023 teilte das Gericht den Beteiligten mit, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid in Betracht komme, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und der Sachverhalt geklärt sei. Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Klägerin äußerte sich nicht, der Beklagte machte erneut geltend, dass das Schreiben mangels Kenntlichmachung eines Sachbearbeiters und einer Unterschrift nicht rechtsgültig sei.
Entscheidungsgründe
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1. Die Entscheidung konnte im vorliegenden Fall durch Gerichtsbescheid ergehen, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu dieser Form der Entscheidung gehört. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.
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2. Das Verwaltungsgericht Augsburg ist zur Entscheidung über den geltend gemachten Klageanspruch aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts * vom 3. November 2022 zuständig. Das erkennende Gericht ist an die Verweisung gemäß Art. 17a Abs. 2 Satz 3 GVG gebunden, weil diese nicht willkürlich, d.h. offensichtlich gesetzeswidrig, ist (vgl. Wöckel in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 41/§§ 17-17b GVG Rn. 27; BVerwG, B.v. 17.1.2013 – 3 AV 2/12 – juris). Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs hat die öffentlich-rechtliche Organisation des Rettungsdienstwesens in Hessen (und wohl auch in Bayern) zur Folge, dass die Wahrnehmung der Aufgaben der Notfallversorgung – auch durch juristische Personen des Privatrechts sowohl im Ganzen als auch im Einzelfall der hoheitlichen Betätigung zuzurechnen ist. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien seien damit insgesamt und insbesondere auch hinsichtlich der Zahlungsansprüche öffentlich-rechtlicher Natur (vgl. BGH, B.v. 17.12.2009 – III ZB 47/09 – NVwZ-RR 2010, 502 Rn. 9). Über die Forderung der Klägerin entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs gemäß § 17 Abs. 2 GVG unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten.
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3. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Pauschale in Höhe von 997,00 EUR, weil dieser – unwidersprochen – am 1. Januar 2022 Leistungen des Notarztdienstes in Anspruch genommen hat. Ob die Zahlungsverpflichtung aus Art. 32 Satz 1, Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 BayRDG (so BayVGH, B.v. 5.5.2010 – 21 ZB 10.367 – juris; VG Ansbach, U.v. 10.12.2009 – AN 5 K 09.00736) in Verbindung mit der Benutzungsentgeltvereinbarung folgt, die im Jahr 2021 von der Arbeitsgemeinschaft der Bayerischen Krankenkassenverbände, dem Landesverband Bayern der gewerblichen Berufsgenossenschaften und den Landesverbänden der Hilfsorganisationen mit Genehmigung des zuständigen Staatsministeriums bayernweit abgeschlossen wurde, oder sich aus einer öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag ergibt, kann hier offenbleiben. Nach beiden Rechtsgrundlagen wäre der Beklagte zur Zahlung der gemäß Art. 35 Abs. 3 Satz 1 BayRDG im Wege der Benutzungsentgeltvereinbarung festgelegten Pauschale für den Notarzteinsatz in Höhe von 997,00 EUR verpflichtet.
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4. Die Klägerin hat lediglich einen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen ab dem Tag der Rechtshängigkeit des streitgegenständlichen Klageanspruchs.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung als allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts herausgestellt, dass für öffentlich-rechtliche Geldforderungen Prozesszinsen unter sinngemäßer Anwendung des § 291 BGB zu entrichten sind, wenn das jeweils einschlägige Fachrecht keine gegenteilige Regelung trifft. Demgegenüber können Verzugs- und andere materiell-rechtliche Zinsen in den der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte unterfallenden Gebieten des öffentlichen Rechts grundsätzlich nur kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung gewährt werden (Wöckel, in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 91 Rn. 14; BVerwG, U.v. 17.2.1971 – 4 C 17.69 – BVerwGE 37, 239, 241; U.v. 22.2.2001 – 5 C 34.00 – juris Rn. 10; BVerwG, U.v. 23.3.2017 – 9 C 1.19 – juris Rn. 9). Sofern – wie vorliegend – der Umfang einer Geldschuld eindeutig bestimmt ist oder rechnerisch unzweifelhaft ermittelt werden kann, können somit nach dem im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbaren § 291 Satz 1 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB Prozess- oder sogenannte Rechtshängigkeitszinsen verlangt werden. Eine ausdrückliche Regelung über einen Anspruch auf darüber hinaus gehende Verzugszinsen ist in den Vorschriften über das Rettungsdienstwesen nicht enthalten. Gleiches gilt für die lediglich im Rahmen eines Verzugsschadens berücksichtigungsfähigen vorgerichtlichen Anwaltskosten.
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Da der streitgegenständliche Zahlungsanspruch aufgrund des vorangegangenen Mahnverfahrens nach § 173 VwGO i.V.m. § 696 Abs. 3 ZPO mit der Zustellung des Mahnbescheids rechtshängig geworden ist, war der Anspruch auf Prozesszinsen auf den Zeitraum ab 22. Juni 2022 zu beschränken. Unschädlich ist hierbei, dass die Wirkungen der Rechtshängigkeit im Rechtszug der ordentlichen Gerichtsbarkeit eingetreten sind, da für den Eintritt der Rechtshängigkeit unerheblich ist, ob das zunächst angerufene Gericht zuständig ist, da dieses den Rechtsstreit wie vorliegend geschehen an das zuständige Gericht verweist. Für den Eintritt der Rechtshängigkeit und die daran anknüpfenden Rechtswirkungen kommt es lediglich maßgeblich darauf an, dass der geltend gemachte Anspruch inhaltlich fixiert wurde und in dem geltend gemachten Umfang während der Dauer des Prozesses tatsächlichen und rechtlichen Veränderungen entzogen ist.
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5. Die Kosten des Verfahrens waren nach § 154 VwGO dem Beklagten als der unterlegenen Partei aufzuerlegen. Angesichts des geringfügigen Unterliegens der Klägerin hinsichtlich der geltend gemachten Nebenkosten hat das Gericht von der Regelung des § 155 Abs. 3 VwGO Gebrauch gemacht und die Kosten dem Beklagten zur Gänze auferlegt. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
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Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass der Gerichtsbescheid nach § 84 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 2 VwGO nur in der Urschrift von den Richtern eigenhändig zu unterzeichnen ist. Diese Urschrift verbleibt beim Gericht. Die zur Zustellung an die Beteiligten bestimmten Ausfertigungen müssen nicht von den Richtern handschriftlich unterzeichnet werden, vielmehr genügt die maschinenschriftlich wiedergegebenen Namen an der Stelle, an der die Richterinnen und Richter im Original unterschrieben haben (Kraft in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 117 Rn. 26 m.w.N.). Gleiches gilt im Übrigen auch für alle anderen vom Gericht an die Beteiligten versandten oder weitergeleiten Schriftstücke. Auch hier genügt die maschinenlesbare Angabe der versendenden Stelle.