Titel:
zur Belehrung über die Folgen des Nichtbetreibens
Normenkette:
AsylG § 33 Abs. 1, Abs. 4
Leitsatz:
Hat das Bundesamt in einer Belehrung über die Folgen des Nichterscheinens zur Anhörung ausdrücklich auf die Fiktion einer Antragsrücknahme nach § 33 Abs. 1 AsylG (Rechtslage bis zum 31. Dezember 2022), nicht aber auf die seit 1. Januar 2023 geltende Rechtslage, wonach das Nichtbetreiben des Asylverfahrens nun nicht mehr die gesetzliche Fiktion einer Antragsrücknahme zur Folge hat, sondern die Wahlmöglichkeit des Bundesamtes auslöst, entweder das Verfahren einzustellen oder nach Aktenlage inhaltlich zu entscheiden, hingewiesen, liegen die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von § 33 Abs. 1 AsylG nicht vor. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Maßgebliche Sach- und Rechtslage im Asylstreitverfahren, Belehrung über Rechtsfolgen des Nichtbetreibens des Asylverfahrens, Änderung des AsylG mit Wirkung zum 01.01.2023, Asylverfahren, Republik Moldau, Aufforderung zur Anhörung, Nichtbetreiben, Merkblatt „Wichtige Mitteilung“
Fundstelle:
BeckRS 2023, 16397
Tenor
1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. November 2022, Az. …, wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand
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Die Kläger sind Staatsangehörige der Republik Moldau. Sie beantragten am 18. August 2022 in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2022, zugestellt gegen Postzustellungsurkunde am 25. Oktober 2022, wurde die Klägerin zu 1 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) zur Anhörung nach § 25 des Asylgesetzes (AsylG) am 3. November 2022, 8.00 Uhr geladen. In dem Schreiben war folgender Hinweis enthalten:
„Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass Ihr Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen. Dies gilt nicht, wenn Sie unverzüglich nachweisen, dass Ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die Sie keinen Einfluss hatten. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit müssen Sie unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht. Wenn Sie bei der Krankenkasse als arbeitsunfähig gemeldet sind, müssen Sie dieser die Ladung zum Termin unverzüglich mitteilen.
Können Sie dem Bundesamt keinen Nachweis über die Hinderungsgründe vorlegen, entscheidet das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote vorliegen.“
2
Ausweislich eines Aktenvermerks vom 9. November 2022 erschienen die Klägerin zu 1 ohne Angaben von Gründen nicht zur Anhörung.
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In der dem Gericht vorgelegten Behördenakte ist ein als „Wichtige Mitteilung“ überschriebenes Dokument in deutscher und russischer Sprache enthalten, das (in der deutschen Fassung) insbesondere folgende Hinweise enthält:
Sie erhalten einen Termin zur Anhörung vor dem Bundesamt. Sie sind verpflichtet, diesen Termin persönlich wahrzunehmen.
Bitte nehmen Sie den Anhörungstermin unbedingt wahr. Können Sie den Termin nicht wahrnehmen, teilen Sie dies dem Bundesamt bitte rechtzeitig schriftlich mit.
Nichtbetreiben des Verfahrens
Wenn Sie Ihr Asylverfahren nicht betreiben, gilt Ihr Asylantrag als zurückgenommen.
Es wird vermutet, dass Sie Ihr Asylverfahren nicht betreiben, wenn Sie Ihre Mitwirkungspflicht zur Vorlage der für den Asylantrag wesentlichen Informationen nicht nachkommen oder den Anhörungstermin nicht wahrnehmen. Das gleiche gilt, wenn Sie untertauchen, im beschleunigten Verfahren gegen die räumliche Beschränkung verstoßen oder während des Asylverfahrens in Ihren Herkunftsstaat reisen.
Die Vermutung des Nichtbetreibens gilt nicht, wenn Sie dem Bundesamt unverzüglich nachweisen, dass Ihr Versäumnis oder Ihre Handlung auf Umstände zurückzuführen ist, auf die Sie keinen Einfluss hatten.
Gilt der Asylantrag als zurückgenommen, stellt das Bundesamt das Verfahren ein und entscheidet ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob ein Abschiebungsverbot vorliegt.“
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Am Ende des Dokuments ist in der deutschen Fassung (Bl. 43 der Behördenakte) folgende Empfangsbestätigung vorgesehen:
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Auf Bl. 66 der Behördenakte ist folgende „Empfangsbestätigung“ enthalten:
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Mit Bescheid vom 29. November 2022 entschied das Bundesamt, dass die Asylanträge der Kläger als zurückgenommen gelten und stellte fest, dass die Asylverfahren eingestellt sind (Ziffer 1 des Bescheides). Außerdem stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 2 des Bescheides). Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Ihnenwurde die Abschiebung in die Republik Moldau oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht (Ziffer 3 des Bescheides). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4 des Bescheides). Die Kläger seien der Aufforderung zur Anhörung ohne Angaben von Gründen nicht nachgekommen, deswegen werde vermutet, dass sie ihr Asylverfahren nicht betrieben. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheides Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG. Der Bescheid wurde am 5. Dezember 2022 gegen Postzustellungsurkunde an die Klägerin zu 1 zugestellt.
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Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 6. Dezember 2022, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am gleichen Tage, ließen die Kläger Klage gegen den Bescheid vom 29. November 2022 erheben und beantragen,
- 1.
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29.11.2022, Az: …, zugestellt am 5. Dezember 2022, wird aufgehoben.
- 2.
-
Die Beklagte wird verpflichtet, das Asylverfahren durchzuführen und die Kläger in diesem Verfahren dann als asylberechtigt und die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG anzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zu gewähren, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Am Tag der Anhörung habe der Kläger zu 2 Fieber gehabt und die Klägerin zu 1 habe niemanden gehabt, der auf ihn hätte aufpassen können. Sie spreche außerdem kein Wort Deutsch. Jedenfalls aber widerspräche die einwöchige Ausreisefrist ab Bekanntgabe in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides der Gnandi-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (U.v. 19.6.2018 – C-181/16).
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Für die Beklagte beantragte das Bundesamt mit Schriftsatz vom8. Dezember 2022,
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 3. April 2023 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Der Rechtsstreit wurde mit Kammerbeschluss vom 20. April 2023 auf den Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.
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Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Über die Klagen kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
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2. Die Klagen sind bereits unzulässig, soweit mit dem Klageantrag die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung als Asylberechtigte, zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und zur Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG begehrt wird. Die Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylG ist allein mit der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO anzugreifen; lediglich hinsichtlich der nach § 33 Abs. 1 Satz 2 AsylG zu treffenden Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann (hilfsweise) eine Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO auf Feststellung eben solcher Abschiebungsverbote erhoben werden (vgl. Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.1.2023, § 33 AsylG Rn. 39; Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.1.2023, § 33 AsylG Rn. 66 f. und 69; jeweils m.w.N.). Somit sind die unter Ziffer 2. des Klageantrags gestellten Verpflichtungsanträge auf Anerkennung als Asylberechtigte und auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus bzw. des subsidiären Schutzes in der hier vorliegenden Konstellation bereits unzulässig.
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3. Soweit mit Ziffer 1. des Klageantrages im Wege der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides begehrt wird, ist die Klage nach oben Gesagtem zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
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a) Insbesondere mangelt es den Klägern nicht deswegen am Rechtsschutzbedürfnis, weil ihnen neben einer Anfechtungsklage auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides auch die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeantrages nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG zur Verfügung steht. Diese Alternative besteht nach § 33 Abs. 5 Satz 5 Nr. 2 AsylG nur einmal; wenn die erstmalige Einstellung zu Unrecht erfolgt ist, ginge der Ausländer dieser einmaligen Möglichkeit zur Heilung eines eigenen Fehlverhaltens verlustig (Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.1.2023, § 33 AsylG Rn. 40 m.w.N.).
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b) Die Anfechtungsklagen haben auch in der Sache Erfolg, der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 29. November 2022 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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aa) Nach § 33 Satz 1 AsylG in der seit 1. Januar 2023 geltenden Fassung, auf die nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG im hiesigen Verfahren allein abzustellen ist, kann das Bundesamt, wenn der Ausländer das Asylverfahren nicht betreibt, das Verfahren einstellen oder den Asylantrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung ablehnen. Über das Vorliegen von Abschiebungsverboten ist nach § 33 Abs. 1 Satz 2 AsylG bei Verfahrenseinstellung nach Aktenlage zu entscheiden. Ein Nichtbetreiben des Asylverfahrens wird nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG insbesondere dann vermutet, wenn der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese gesetzliche Vermutung gilt nicht, wenn der Ausländer innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung über seinen Asylantrag nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte, § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG. Über die Rechtsfolgen nach § 33 Abs. 1 AsylG ist der Ausländer schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen, § 33 Abs. 4 AsylG.
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bb) Hier ist schon nicht nachvollziehbar, ob die Klägerin zu 1 überhaupt eine Belehrung zu den Rechtsfolgen eines Nichterscheinens zur Anhörung erhalten hat. Es mag sein, dass die Empfangsbestätigung vom 18. August 2022 auf Bl. 66 der Behördenakte sich inhaltlich auch auf die als „Wichtige Mitteilung“ bezeichnete Belehrung in deutscher und russischer Sprache bezieht. Allerdings sieht auch die „Wichtige Mitteilung“ selbst eine ausdrückliche Empfangsbestätigung vor (vgl. Bl. 43 bzw. 54 der Behördenakte). Eine Unterschrift der Klägerin zu 1 zu dieser Empfangsbestätigung ist jedoch nicht dokumentiert. Es erschließt sich nicht, weshalb in einem standardisierten Formblatt des Bundesamtes eine zu unterschreibende Empfangsbestätigung vorgesehen sein sollte, die aber tatsächlich nicht verwendet wird. Vielmehr wäre eine Unterschrift zur Bestätigung des Erhalts dieser Belehrung bei lebensnaher Betrachtung gerade auf der unmittelbar zur Belehrung selbst gehörenden Empfangsbestätigung zu erwarten gewesen. Damit ist der Inhalt der Behördenakte zumindest nicht nachvollziehbar.
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cc) Letztlich kann dies hier jedoch dahinstehen, da Voraussetzung für die Anwendbarkeit von § 33 Abs. 1 AsylG jedenfalls wäre, dass der Ausländer über die danach möglichen Rechtsfolgen inhaltlich zutreffend schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hingewiesen wurde, § 33 Abs. 4 AsylG. Das Erfordernis eines schriftlichen Hinweises nach § 33 Abs. 4 AsylG ist nicht lediglich ein bloße Soll- oder Ordnungsvorschrift, es ist vielmehr obligatorisch (OVG SH, B.v. 12.5.2017 – 4 LA 45/17 – juris Rn. 16 m.w.N.). Dabei setzt der Hinweis neben der Schriftform und der Empfangsbestätigung – jedenfalls bei einem nicht anwaltlich vertretenen Asylbewerber – im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 lit. a) der RL 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (VerfahrensRL) voraus, dass er (auch) in einer Sprache erfolgt, deren Verständnis beim jeweiligen Ausländer vorausgesetzt werden kann (BayVGH, B.v. 24.4.2018 – 6 ZB 17.31593 – juris Rn. 5; VGH BW, U.v. 23.1.2018 – A 9 350/17 – juris Rn. 23; VG München, B.v. 14.2.2017 – M 18 S 17.31557 – juris Rn. 17). Bei einem – wie hier – anwaltlich vertretenen Asylbewerber wird dies in der Rechtsprechung überwiegend für entbehrlich gehalten (vgl. BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 10 C 1.13 – juris Rn. 31; BayVGH, B.v. 24.4.2018 – 6 ZB 17.31593 – juris Rn. 5; VG Düsseldorf, B.v. 15.2.2017 – 2 L 12/17.A – juris Rn. 13; a.A.: OVG MV, B.v. 18.5.2020 – 4 LB 7/17 – juris Rn. 22). Umstritten ist dabei aber auch, in welcher Form die nach § 33 Abs. 4 AsylG erforderliche Empfangsbestätigung bei einem anwaltlich vertretenen Asylbewerber zu erfolgen hat (vgl. zum Meinungsstand Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.1.2023, § 33 AsylG Rn. 7 m.w.N.).
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Weder die in der Ladung zur Anhörung am 3. November 2022 noch die in dem Merkblatt „Wichtige Mitteilung“ enthaltenen Hinweise genügten im Hinblick auf die mit Wirkung zum 1. Januar 2023 in Kraft getretenen und damit nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch hier maßgeblichen Rechtsänderungen inhaltlich § 33 Abs. 4 AsylG: Anders als nach § 33 Abs. 1 AsylG in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung hat das Nichtbetreiben des Asylverfahrens nun nicht mehr die gesetzliche Fiktion einer Antragsrücknahme zur Folge, sondern löst die Wahlmöglichkeit des Bundesamtes aus, entweder das Verfahren einzustellen (und nicht, wie nach alter Rechtslage, lediglich deklaratorisch nach § 32 Satz 1 AsylG a.F. festzustellen, dass das Verfahren eingestellt ist), oder nach Aktenlage inhaltlich zu entscheiden. Das Merkblatt „Wichtige Mitteilung“ stellt jedoch ebenso wie der Hinweis im Ladungsschreiben ausdrücklich auf die Fiktion einer Antragsrücknahme nach § 33 Abs. 1 AsylG a.F. für den Fall des Nichterscheinens zur Anhörung ab. Im Hinblick auf die seit 1. Januar 2023 geltende Rechtslage ist dies jedoch unzutreffend. Ein ausreichender Hinweis auf die Rechtsfolgen nach § 33 Abs. 1 AsylG lag insoweit jedenfalls nicht vor.
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dd) Weil danach über die Asylanträge der Kläger in rechtswidriger Weise nicht entschieden wurde, können auch die daran anknüpfende Entscheidung über die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG nach Aktenlage, der Erlass der Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG sowie die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG nicht als rechtmäßig angesehen werden. Der Bescheid vom 29. November 2022 ist daher insgesamt aufzuheben.
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c) Da damit bereits der Hauptantrag in vollem Umfang Erfolg hat, kommt es auf die Hilfsanträge nicht mehr an.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Einer Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht, da bei einer Kostenaufhebung die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen und die nach § 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO eigentlich hälftig zu teilenden Gerichtskosten hier nach § 83b AsylG nicht erhoben werden; eine Vollstreckung wegen der Kosten (§ 167 Abs. 2 VwGO) ist hier also nicht möglich. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).