Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 18.04.2023 – B 9 E 23.290
Titel:

Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung

Normenketten:
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1, § 61 Nr. 2, § 62 Abs. 3, § 123 Abs. 1 S. 2, Abs. 3
GO Art. 18a Abs. 15, Art. 21
NutzungsO (für den Bürgersaal und den Außenbereich) § 1 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 S. 2, § 8 Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Auch bei privatrechtlicher Ausgestaltung des Nutzungsverhältnisses (vgl. § 1 Abs. 5 NutzungsO) bleibt die Frage der Gewährung des Zugangs zu der Einrichtung ("Ob") im Gegensatz zur Frage der Modalitäten der Benutzung ("Wie") eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, für die der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet ist (vgl. BVerwG BeckRS 1989, 1658 mwN). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei dem Bürgersaal handelt es sich um eine öffentliche Einrichtung der Antragsgegnerin iSd Art. 21 Abs. 1 GO. Eine solche besteht in einer Einrichtung, die von der Gemeinde durch Widmungsakt der allgemeinen Nutzung in erster Linie durch ihre Gemeindeangehörigen und die niedergelassenen Vereinigungen zugänglich gemacht und von ihr im öffentlichen Interesse unterhalten wird. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Veranstaltung hält sich innerhalb des Widmungszwecks nach § 1 Abs. 1 S. 2 NutzungsO. Ein Ausschluss von politischen "Werbeveranstaltungen" von Parteien, Wählervereinigungen oder Initiativen oder Veranstaltungen, die sich gegen die Interessen der Antragsgegnerin richteten – wie auch immer diese zu definieren oder abzugrenzen wären – lässt sich der Nutzungsordnung nicht entnehmen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Zulassungsanspruch ist begrenzt durch die tatsächliche Kapazität der öffentlichen Einrichtung. Ein Anspruch auf Schaffung zusätzlicher Kapazitäten oder Umorganisation besteht nicht. Der Anspruch stößt also an seine Grenzen, soweit die öffentliche Einrichtung bereits anderweitig vergeben ist oder aus anderen Gründen eine Nutzung für jeden Bewerber ausgeschlossen ist. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zugang zu öffentlichen Einrichtungen, Widmungszweck, Neutralitätsgebot, Werbeveranstaltungen, Widmungsakt, Benutzung einer öffentlichen Einrichtung, Nutzungsordnung, tatsächliche Kapazität, Bürgerentscheid, Überlassung eines Bürgersaales, Bürgersaal, Bürgerinitiative
Fundstelle:
BeckRS 2023, 16396

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin den Bürgersaal der … in … am 23. April 2023 in der Zeit von 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr zu den in der von der Antragsgegnerin erlassenen Nutzungsordnung genannten Bedingungen zur Verfügung zu stellen.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin die Überlassung von Räumlichkeiten zur Durchführung einer Veranstaltung.
2
Die Antragsgegnerin betreibt den Bürgersaal und den Innenhof der sogenannten … als öffentliche Einrichtung, § 1 Abs. 1 Satz 1 der Nutzungsordnung für den Bürgersaal und den Außenbereich (Innenhof) der … (Veranstaltungsraum) (NutzungsO). Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 NutzungsO dient der Veranstaltungsraum der Durchführung von kulturellen und gesellschaftlichen Veranstaltungen, Ausstellungen, Tagungen, Versammlungen sowie privaten Veranstaltungen; rein gewerbliche Veranstaltungen sind nicht zulässig, § 1 Abs. 1 Satz 5 NutzungsO. Zudem wird der Veranstaltungsraum nicht für Personen oder Vereinigungen etc. zur Verfügung gestellt, die verfassungsfeindliche Ziele oder Verstöße gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgen oder Veranstaltungen zu diesen oder ähnlichen Zwecken abhalten wollen, § 1 Abs. 2 Satz 1 NutzungsO. Nach § 1 Abs. 4 Satz 1 der NutzungsO ist eine Überlassung des Veranstaltungsraums nicht möglich, wenn er von der Gemeinde selbst benötigt wird bzw. für andere Veranstaltungen eine Beeinträchtigung zu erwarten ist. Der jeweilige Nutzer hat außerdem mit der Unterzeichnung der Nutzungsvereinbarung zu bestätigen, dass die Veranstaltung keine rechtsextremen, rassistischen, antisemitischen oder antidemokratischen Inhalte haben wird, § 1 Abs. 4 Satz 2 NutzungsO. Jegliche Art von Werbung in den Räumen oder auf dem Gelände der Antragsgegnerin bedarf nach § 8 Abs. 2 NutzungsO der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Antragsgegnerin. Das zur Verwendung anstehende Werbematerial (Plakate, Flugblätter, etc.) ist nach § 8 Abs. 3 Satz 1 NutzungsO auf Verlangen der Antragsgegnerin vorzulegen; nach § 8 Abs. 3 Satz 2 NutzungsO kann diese die Veröffentlichung ablehnen, insbesondere wenn sie den Interessen der Antragsgegnerin widerspricht.
3
Ein Vertreter der Antragstellerin fragte mit E-Mail vom 28. März 2023 beim Geschäftsleiter der Antragsgegnerin nach einem Ansprechpartner für die Anmeldung von Veranstaltungen in der ….
4
In seiner Antwort vom 29. März 2023 teilte der Geschäftsleiter der Antragsgegnerin die Kontaktdaten der zuständigen Sachbearbeiterin mit und wies darauf hin, dass eine Vermietung für Wahl- und Werbeveranstaltungen Dritter nicht möglich sei. In einer weiteren E-Mail vom selben Tag konkretisierte er dies dahingehend, dass nach der einschlägigen Nutzungsordnung Veranstaltungen, die sich gegen die Interessen der Antragsgegnerin richteten, nicht zulässig seien. Bei einer Veranstaltung der Antragstellerin sei davon aber auszugehen. Zudem gelte das Paritäts- bzw. Neutralitätsgebot.
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Mit E-Mail vom 30. März 2023 wandte sich die Vertreterin der Antragstellerin an die Antragsgegnerin und bat um Anmietung der … für Sonntag, den 23. April 2023 in der Zeit von 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr. Geplant sei ein Frühstücksbrunch mit Vorstellung der Kaufkraftanalyse zur Einschätzung des Wirtschaftsstandorts der Gemeinde … Die Antragsgegnerin antwortete hierauf mit E-Mail vom 5. April 2023, dass die … im Vorfeld der anstehenden Bürgerentscheide am 21. Mai 2023, wie bereits im Vorfeld per E-Mail mitgeteilt, unter anderem auch wegen des Neutralitätsgebotes nicht für Veranstaltungen der Antragstellerin zur Verfügung stehe. Darüber hinaus seien nach der Nutzungsordnung jegliche Werbeveranstaltungen unzulässig.
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Mit Schriftsatz vom 6. April 2023, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 11. April 2023, beantragte die Vertreterin der Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz.
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Die Antragstellerin sehe sich durch die Ablehnung der Überlassung der Räumlichkeiten in ihrer Arbeit als Bürgerinitiative massiv behindert und benachteiligt. Zugleich dürfe die „Freie Liste …“ in der … am 19. April 2023 ein Treffen veranstalten, wie sich aus dem Mitteilungsblatt der Antragsgegnerin vom 31. März 2023 ergebe. Die Veranstaltung der Antragstellerin sei für den 23. April 2023 geplant, da am 21. Mai 2023 ein Bürgerentscheid zum Thema der Antragstellerin stattfinde, so dass eine besondere Dringlichkeit vorliege.
8
Die Vertreterin der Antragstellerin legte dem Gericht mit Telefax vom 13. April 2023 ein Schreiben der drei nach Art. 18a Abs. 4 Satz 1 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (GO) für das Bürgerbegehren der Antragstellerin benannten vertretungsberechtigten Personen vom selben Tag vor, die ihr darin bestätigen, dass sie zur Vertretung berechtigt ist.
9
Der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin erwiderte mit Schriftsatz vom 14. April 2023 und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
10
Der Bau und die Sanierung der … seien mit Baugenehmigungsbescheid vom 17. Oktober 2016 genehmigt worden. Mit Änderungs- und Nachtragsbescheid vom 19. Oktober 2021 sei die Nutzung der … verbeschieden worden; dem habe ein Nutzungskonzept vom 23. Juli 2020 zugrunde gelegen. Darin sei vorgesehen, dass im Bürgersaal der … vor allem gemeindliche Veranstaltungen, Vereinsveranstaltungen sowie private Feiern stattfinden sollen. Entsprechendes ergebe sich aus der vom Gemeinderat am 22. Oktober 2022 beschlossenen Nutzungsordnung.
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Bei der … handele es sich um eine öffentliche Einrichtung i.S.d. Art. 21 Abs. 1 GO. Der Anspruch auf Zugang zu der öffentlichen Einrichtung sei jedoch nur im Rahmen der Widmung möglich. Nach dem Nutzungskonzept vom 23. Juli 2020 diene der Saal vor allem für private Veranstaltungen sowie für Veranstaltungen der Gemeinde bzw. von Vereinen. Darüber hinaus sei im Rahmen der Widmung und mit Verabschiedung der Nutzungsordnung festgelegt worden, dass gerade nur kulturelle oder gesellschaftliche Veranstaltungen bzw. Versammlungen sowie private Veranstaltungen in der … stattfinden sollten. Es sei ausdrücklicher Wunsch des Gemeinderates gewesen, dass keine politischen Werbeveranstaltungen von Parteien, Wählervereinigungen oder Initiativen in den Räumlichkeiten der Bürgerscheune durchgeführt werden können. Bislang hätten in der … auch keine öffentlichen Informationsveranstaltungen von Parteien, Wählergruppen oder Bürgerinitiativen stattgefunden. Darüber hinaus sei in § 8 NutzungsO festgelegt, dass die Antragsgegnerin zur Ablehnung der Veröffentlichung bzw. Werbung berechtigt sei, wenn dies den Interessen der Antragsgegnerin widerspreche. Die Antragstellerin bzw. ihr Bürgerbegehren widerspreche den Interessen der Antragsgegnerin, da dies der beschlussmäßigen Befassung des Gemeinderates zuwiderlaufe.
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Zudem bestehe auch kein Anordnungsgrund. Nach Mitteilung des Landratsamtes … solle am 23. April 2023 vor der …, also nicht auf dem von der Nutzungsordnung betroffenen Gelände, zeitgleich eine Versammlung nach dem Bayerischen Versammlungsgesetz stattfinden. Demnach plane die Antragstellerin gar nicht mehr mit der Veranstaltung in der Bürgerscheune.
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Die Vertreterin der Antragstellerin teilte dem Berichterstatter des Verfahrens am 18. April 2023 telefonisch mit, dass bei einem Treffen der Antragstellerin am 22. März 2023 beschlossen worden sei, dass sie die Veranstaltung am 23. April 2023 bei der Antragsgegnerin anmelden solle. Bei einem weiteren Treffen der Bürgerinitiative am Mittwoch, den 5. April 2023 sei beschlossen worden, dass sie für die Bürgerinitiative einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen solle.
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Ergänzend wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
15
1. Unter Berücksichtigung des Schriftsatzes der Antragstellerseite vom 6. April 2023 ist der Antrag der Antragstellerin im Rahmen des § 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO sachdienlich so auszulegen, dass die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Überlassung des Bürgersaales der … in … am 23. April 2023 in der Zeit von 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr zu den in der von der Antragsgegnerin erlassenen Nutzungsordnung genannten Bedingungen begehrt wird.
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Für den so verstandenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, der Antrag ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
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2. Auch bei privatrechtlicher Ausgestaltung des Nutzungsverhältnisses (vgl. § 1 Abs. 5 NutzungsO) bleibt die Frage der Gewährung des Zugangs zu der Einrichtung („Ob“) im Gegensatz zur Frage der Modalitäten der Benutzung („Wie“) eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, für die der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 7 B 184/88 – juris Rn. 5 m.w.N.).
18
3. Der Antrag der Antragstellerin ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
19
a) Die Antragstellerin ist beteiligtenfähig nach § 61 Nr. 2 VwGO. Unabhängig davon, ob sie als nichteingetragener Verein oder als Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu qualifizieren ist (vgl. zur Abgrenzung Schöpflin in Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand 1.2.2023, § 21 Rn. 29 ff. m.w.N.), kann die Antragstellerin als Personenvereinigung Inhaber von Rechten sein (für den nichteingetragenen Verein vgl. BGH, U.v. 11.7.1968 – VII ZR 63/66 – juris; für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts vgl. BGH, U.v. 29.1.2001 – II ZR 331/00 – juris).
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Die Antragstellerin wird nach § 62 Abs. 3 VwGO durch ihre gesetzlichen Vertreter oder Vorstände vertreten. Grundsätzlich richtet sich damit die Vertretung nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 62 VwGO Rn. 17). Sowohl bei einem nichtrechtsfähigen Verein als auch bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts stehen Geschäftsführung und Vertretung den Mitgliedern nach §§ 709, 710 und 714 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) grundsätzlich gemeinschaftlich zu, sofern nichts Anderes vereinbart wird. Für den nichtrechtsfähigen Verein gilt dies durch die Verweisung in § 54 Satz 1 BGB in gleicher Weise (vgl. BVerwG, B.v. 29.1.2013 – 6 B 40.12 – juris Rn. 4). Hier wurde jedoch die Vertreterin der Antragstellerin ausdrücklich mit der Vertretung im gerichtlichen Verfahren beauftragt. Im Rahmen der der Antragstellerin zukommenden Organisationsautonomie obliegt es ihr selbst, zu bestimmen, wer sie gerichtlich vertritt (vgl. Schöne in Hau/Poseck BeckOK BGB, Stand 1.2.2023, § 714 Rn. 6).
21
b) Im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist es dem Gericht nur möglich, eine vorläufige Regelung hinsichtlich des Streitgegenstandes zu treffen. Unter Beachtung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, eine abschließende und endgültige Entscheidung zu treffen, wie sie nur im Hauptsacheverfahren nach Klageerhebung zu erreichen wäre. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) gilt dies jedoch dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 123, Rn. 14 m.w.N.). Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes darf in jedem Fall nur ergehen, wenn der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechtes, den so genannten Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den so genannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht, § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO). Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
22
aa) Die Antragstellerin hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihr ein Anspruch auf Nutzung des Bürgersaales der … in … am 23. April 2023 zusteht.
23
(1) Bei dem Saal handelt es sich um eine öffentliche Einrichtung der Antragsgegnerin i.S.d. Art. 21 Abs. 1 GO. Eine solche besteht in einer Einrichtung, die von der Gemeinde durch Widmungsakt der allgemeinen Nutzung in erster Linie durch ihre Gemeindeangehörigen und die niedergelassenen Vereinigungen zugänglich gemacht und von ihr im öffentlichen Interesse unterhalten wird (vgl. Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Stand Juli 2022, Art. 21 GO Rn. 4 m.w.N.). Nach § 1 Abs. 1 NutzungsO wird insbesondere auch der Bürgersaal der … von der Antragsgegnerin als öffentliche Einrichtung unterhalten.
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(2) Der Anspruch auf Benutzung einer gemeindlichen öffentlichen Einrichtung steht nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GO allen Gemeindeangehörigen zu. Nach Art. 21 Abs. 4 GO gilt dies auch für Personenvereinigungen mit Sitz in der jeweiligen Gemeinde (vgl. Stepanek in Dietlein/Suerbaum, BeckOK Kommunalrecht Bayern, Stand 1.2.2023, Art. 21 GO Rn. 19). Unabhängig von der konkreten Rechtsnatur der Antragstellerin ist bei ihr von einem Sitz in … auszugehen. Die Antragstellerin hat sich als Bürgerinitiative im Hinblick auf eine örtliche Frage, nämlich der Ausweisung eines Gewerbegebietes, gegründet. Da sich die Tätigkeit der Antragstellerin auf eine Frage der örtlichen Gemeinschaft bezieht, ist sie als ortsansässige Personenvereinigung i.S.d. Art. 21 Abs. 4 GO anzusehen (vgl. zur Abgrenzung auch Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Stand Juli 2022, Art. 21 GO Rn. 36; Stepanek in Dietlein/Suerbaum, BeckOK Kommunalrecht Bayern, Stand 1.2.2023, Art. 21 GO Rn. 19).
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(3) Ein Anspruch auf Benutzung einer öffentlichen Einrichtung besteht nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GO grundsätzlich nur, soweit sich die beabsichtigte Nutzung im Rahmen der Zweckbestimmung der Einrichtung hält, wie sie sich aus deren Widmung ergibt. An den Widmungsakt sind dabei nach ständiger Rechtsprechung keine förmlichen Voraussetzungen zu stellen. Die Widmung kann sich sowohl durch ausdrücklichen Verwaltungsakt oder durch Satzung als auch konkludent durch die andauernde Überlassungs- und Nutzungspraxis ergeben (BayVGH, B.v. 21.1.1988 – 4 CE 87.03883 – BayVBl 1988, 497; B.v. 6.8.2008 – 4 CE 08.2070 – juris Rn. 15). Hier ist der Widmungszweck ausdrücklich in § 1 Abs. 1 Satz 2 NutzungsO geregelt. Danach dient die Einrichtung „zur Durchführung von kulturellen und gesellschaftlichen Veranstaltungen, Ausstellungen, Tagungen, Versammlungen sowie privaten Veranstaltungen“. Ausdrücklich ausgeschlossen sind nach § 1 Abs. 1 Satz 5 NutzungsO rein gewerbliche Veranstaltungen. Ein Ausschluss von „Werbeveranstaltungen“ oder Veranstaltungen, die sich gegen die Interessen der Antragsgegnerin richteten – wie auch immer diese zu definieren oder abzugrenzen wären – lässt sich der Nutzungsordnung nicht entnehmen. Die Antragsgegnerin hat auch keine dahingehende Nutzungspraxis vorgetragen. Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, dass es ausdrücklicher Wunsch des Gemeinderates gewesen sei, dass in der … keine „politischen Werbeveranstaltungen von Parteien, Wählervereinigungen oder Initiativen“ durchgeführt werden können, so hat dies im Wortlaut der Nutzungsordnung keinen Niederschlag gefunden. Im Gegenteil spricht die Verwendung des Begriffs der Versammlung eher dafür, dass dort auch öffentliche Veranstaltungen mit politischem Charakter, d.h. einer auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. Art. 2 Abs. 1 des Bayerischen Versammlungsgesetzes – BayVersG) durchgeführt werden können. Es mag sein, dass dort bisher keine entsprechenden Informationsveranstaltungen von Parteien, Wählergruppen oder Bürgerinitiativen stattgefunden haben. Ausweislich des Mitteilungsblattes der Antragsgegnerin vom 31. März 2023, S. 11, veranstaltet jedoch die „Freie Liste …“ als einer im Gemeinderat vertretenen Wählergruppe am 19. April 2023 ein öffentliches Treffen in der … Somit entspricht es jedenfalls der aktuellen Nutzungspraxis, auch politische Veranstaltungen in diesen Räumlichkeiten zuzulassen. Der von der Antragstellerin geplante Frühstücksbrunch mit Vorstellung einer Kaufkraftanalyse im Vorfeld des Bürgerentscheides am 21. Mai 2023 fällt damit als Versammlung, jedenfalls aber als gesellschaftliche Veranstaltung unter den Widmungszweck.
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Auch die von Antragsgegnerseite herangezogene Regelung in § 8 Abs. 3 NutzungsO führt nicht zu einer Unzulässigkeit der von der Antragstellerin geplanten Veranstaltung. Nach § 8 Abs. 3 Satz 2 NutzungsO kann die Antragsgegnerin die Veröffentlichung von Werbematerial ablehnen, insbesondere wenn die Veröffentlichung den Interessen der Gemeinde widerspricht. In § 8 Abs. 3 Satz 1 NutzungsO werden insoweit beispielhaft Plakate und Flugblätter genannt. Unabhängig davon, inwieweit widersprechende Interessen der Antragsgegnerin allein im Hinblick auf die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) hier tatsächlich geeignet sind, eine solche Ablehnung zu rechtfertigen, bezöge sie sich jedoch lediglich auf die Veröffentlichung bestimmter Werbematerialien, nicht jedoch auf die Durchführung der Veranstaltung selbst.
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Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, dass sie wegen des Neutralitätsgebotes gehalten sei, keine Veranstaltungen der Antragstellerin im Vorfeld des Bürgerentscheides am 21. Mai 2023 in ihren Räumlichkeiten zuzulassen, stellt dies ebenfalls keinen Grund für die Ablehnung der Überlassung der … an die Antragstellerin dar. Das Neutralitätsgebot folgt aus dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG). Deren Recht, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, wird verletzt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern auf die politische Willensbildung des Volkes einwirken. Das gilt nicht nur im Wahlkampf, sondern darüber hinaus auch für den politischen Meinungskampf und Wettbewerb im Allgemeinen (BVerwG, U.v. 13.9.2017 – 10 C 6.16 – juris Rn. 24 m.w.N.). Entsprechendes muss wohl auch für den politischen Meinungskampf im Vorfeld eines Bürgerentscheides gelten. Allerdings führt diese Neutralitätspflicht nicht dazu, dass die Antragsgegnerin entgegen der Widmung einer öffentlichen Einrichtung (s.o.) dort überhaupt keine Veranstaltungen mit Bezug zu dem Bürgerentscheid zulassen darf. Die gebotene Neutralität hat lediglich zur Folge, dass die Gemeinde bei der Entscheidung über den Zugang zu ihren öffentlichen Einrichtungen im Rahmen von deren Widmungszweck nicht einseitig bestimmte Auffassungen zum Thema des Bürgerentscheides bevorzugen oder benachteiligen darf. Soweit der Widmungszweck – wie hier (s.o.) – grundsätzlich auch Veranstaltungen mit Bezug auf den Bürgerentscheid zulässt, darf die Antragsgegnerin einen danach grundsätzlich gegebenen Zulassungsanspruch aus Art. 21 Abs. 1 GO nicht unter Hinweis auf ihre Neutralität verneinen. Denn der Zulassungsanspruch besteht dann für alle derartigen Veranstaltungen gleich welcher Zielrichtung; insoweit würde es eine Benachteiligung der Antragstellerin darstellen, wenn sie – obwohl sie sich mit ihrer geplanten Veranstaltung im Rahmen der Widmung hält (s.o.) – keinen Zugang erhalten würde. Auch die in Art. 18a Abs. 15 GO enthaltene Ausprägung der Sachlichkeitspflicht der Gemeinde (vgl. dazu Müller in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand Februar 2022, Art. 18a Rn. 51 m.w.N.) führt nicht dazu, dass die Antragsgegnerin berechtigt wäre, der Antragstellerin die geplante Nutzung der … zu verweigern. Im Zusammenhang mit einem Bürgerentscheid dürfen in Veröffentlichungen und Veranstaltungen der Gemeinde die im Gemeinderat und die von den vertretungsberechtigten Personen des Bürgerbegehrens vertretenen Auffassungen zum Gegenstand des Bürgerentscheids nur in gleichem Umfang dargestellt werden, Art. 18a Abs. 15 Satz 1 GO. Streitgegenständlich ist hier aber keine Veranstaltung der Gemeinde selbst, sondern eine Veranstaltung der Antragstellerin.
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(4) Anhaltspunkte dafür, dass die von der Antragstellerin geplante Veranstaltung verfassungsfeindliche Ziele verfolgen oder sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten würde (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 NutzungsO) bzw. rechtsextreme, rassistische, antisemitische oder antidemokratische Inhalte haben werde (vgl. § 1 Abs. 4 Satz 2 NutzungsO) sind weder vorgetragen noch sonst auch nur ansatzweise ersichtlich.
29
(5) Der Zulassungsanspruch ist begrenzt durch die tatsächliche Kapazität der öffentlichen Einrichtung. Ein Anspruch auf Schaffung zusätzlicher Kapazitäten oder Umorganisation besteht nicht (vgl. BayVGH, U.v. 23.3.1988 – 4 B 86.02336 – BayVBl 1989, 148). Der Anspruch stößt also an seine Grenzen, soweit die öffentliche Einrichtung bereits anderweitig vergeben ist (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.1988 – 4 CE 87.03883 – BayVBl 1988, 497) oder aus anderen Gründen eine Nutzung für jeden Bewerber ausgeschlossen ist (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2007 – 4 CE 07.2292 – juris). Hierfür ist jedoch nach dem Vortrag der Antragsgegnerin nichts ersichtlich.
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bb) Die Antragstellerin hat auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund zur Regelung eines vorläufigen Zustandes besteht, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint, § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung, ob eine Regelung in diesem Sinne „nötig erscheint“, stellt der Methode nach eine Abwägung zwischen den Interessen des Antragstellers und den Belangen des Antragsgegners dar (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 123 VwGO Rn. 82 m.w.N.). Überwiegen dabei die Interessen des Antragstellers, so liegt ein Anordnungsgrund vor. Droht ohne einstweilige Anordnung der völlige Verlust oder die weitgehende Entwertung des Rechts, so ist der Anordnungsgrund regelmäßig gegeben. Häufig wird eine weitgehende Entwertung eines Rechts gerade dadurch eintreten, dass die Realisierung sich um die Dauer eines Hauptsacheverfahrens verzögert (BayVGH, B.v. 26.1.2007 – 24 CE 06.2853 – juris Rn. 24).
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Für das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin liegt eine entsprechende Eilbedürftigkeit vor. Es ist davon auszugehen, dass bis zu einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren nicht nur der Termin der geplanten Veranstaltung am 23. April 2023, sondern auch der Termin des Bürgerentscheides am 21. Mai 2023, mit dem die Veranstaltung am 23. April 2023 inhaltlich zusammenhängt, bereits verstrichen wäre. Eine Hauptsacheentscheidung wäre dann jedoch nutzlos. Dafür, dass die Antragstellerin kein Interesse mehr an der Veranstaltung in der … hätte, bestehen keine Anhaltpunkte. Dies ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass, wie von der Antragsgegnerin vorgetragen, eine Versammlung vor der … für den gleichen Zeitraum angemeldet wurde. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diese Versammlung die Veranstaltung in der … ausschließen würde. Die Interessen der Antragstellerin überwiegen damit die Interessen der Antragsgegnerin deutlich, da die Antragsgegnerin keine tragenden Gründe anführen kann, die der Zulassung der Antragstellerin zur Nutzung der … entgegenstehen.
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4. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO steht es im freien Ermessen des Gerichts, welche Regelungen es „zur Erreichung des Zweckes“, also zur Regelung des Rechts im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO trifft. Zwar kann das Gericht nicht mehr als das Recht gewähren, ein Minus, also eine Einschränkung, ist jedoch möglich (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 64). Die getroffene Anordnung hält sich im Rahmen dessen, was die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt.
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5. Die Antragsgegnerin hat als unterlegene Beteiligte die Verfahrenskosten zu tragen, § 154 Abs. 1 VwGO.
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6. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. Ziff. 1.5 und 22.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57). Danach kann in Verfahren bezüglich der Benutzung einer gemeindlichen Einrichtung als Streitwert das wirtschaftliche Interesse, sonst der Auffangwert festgesetzt werden. Für das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin bestehen keine Anhaltspunkte. Der danach maßgebliche Auffangstreitwert ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren.