Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 23.03.2023 – B 7 K 22.30938
Titel:

erfolglose Aufstockerklage (Einzelfall)

Normenkette:
AsylG § 3, § 4
Leitsatz:
Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass Rückkehrer im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige/Reservisten) allein deshalb in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle bzw. regimefeindliche Gesinnung eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte zu befürchten haben, weil sie sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufstockerklage Syrien, illegale Ausreise, Auslandsaufenthalt und Asylantragstellung in Deutschland, Wehrdienstentziehung, Herkunft aus oppositionellen Gebiet, keine gefahrerhöhenden Umstände glaubhaft gemacht, keine Vorverfolgung glaubhaft gemacht, Syrien, Aufstockerklage, subsidiärer Schutzstatus, Asylantragstellung in Deutschland, Herkunft aus oppositionellem Gebiet
Fundstelle:
BeckRS 2023, 16384

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen. 
2.    Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens. 
3.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. 

Tatbestand

1
Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger mit arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am 29.09.2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 27.10.2021 einen Asylantrag.
2
Bei der persönlichen Anhörung am 16.11.2021 gab der Kläger gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) im Wesentlichen an, er stamme aus Al Bab, ca. 50 km nördlich von Aleppo, und sei am 01.08.2021 aus Syrien ausgereist. Sein Vater, vier Schwestern und drei Brüder seien noch im Heimatland.
3
In Syrien gebe es Luftangriffe und man wisse nicht, wann man dort sterbe. Zu Anfangszeiten des Krieges, als er 12 oder 14 Jahre alt gewesen sei, sei er bei Luftangriffen verletzt worden. Zuletzt habe es in Syrien auch keine Arbeit gegeben und das Leben sei sehr schwer gewesen.
4
Er sei im Jahr 2021 ausgereist, weil er Militärdienst leisten müsse. Einen Einberufungsbescheid habe er nicht erhalten, weil sein Wohngebiet nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes, sondern unter Kontrolle der Freien Syrischen Armee gestanden habe. Seine Mutter habe zu ihm gesagt, er solle in die Türkei kommen. Dort sei er aber nur drei Wochen gewesen, weil es ihm dort nicht gefallen habe.
5
Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er getötet zu werden, weil er Militärdienst leisten müsse. Er wolle aber weder jemanden töten, noch getötet werden. Lieber sterbe er hier, als in Syrien.
6
Mit Bescheid vom 29.08.2022, zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 02.09.2022, wurde dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt (Ziffer 1) und im Übrigen der Asylantrag abgelehnt (Ziffer 2).
7
Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, aufgrund des ermittelten Sachverhalts sei davon auszugehen, dass dem Kläger in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohe.
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Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter seien hingegen nicht gegeben. Der Kläger sei kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Er habe keine drohende oder bereits erlittene Verfolgung in Syrien glaubhaft machen können, die an einen Verfolgungsgrund nach § 3b AsylG anknüpfe. Persönlich gegen den Kläger gerichtete Maßnahmen seien weder geltend gemacht, noch sonst ersichtlich. Der Kläger habe in Syrien weder mit dem Staat noch mit Privatpersonen Probleme gehabt. Er habe demnach sein Heimatland insoweit unverfolgt verlassen. Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage bestehe keine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass der syrische Staat jeden Rückkehrer pauschal unter eine Art Generalverdacht stelle, der Opposition anzugehören. Allein die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der Auslandsaufenthalt stellten keine Anzeichen für politische Gegnerschaft zum syrischen Regime dar. Auch die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung, Wehrdienst- bzw. Kriegsdienstverweigerung oder Desertion stelle für sich allein nach überwiegender obergerichtlicher Rechtsprechung grundsätzlich keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung dar. Es fehle diesbezüglich bereits an der ausreichenden Annahme dafür, dass die Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe erfolge. Auch vor dem Hintergrund des Urteils des EuGHs vom 19.11.2020 könne allein wegen Militärdienstverweigerung nicht pauschal die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen werden (wird umfassend ausgeführt). Bei zusammenfassender Bewertung aller Umstände könne im vorliegenden Fall auch keine individuelle Verfolgungsgefahr festgestellt werden. Der Kläger habe sich nicht politisch engagiert. Es lägen auch sonst keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass er in Syrien politisch in Erscheinung getreten sei oder ihm dies von Seiten des syrischen Staats unterstellt worden sei.
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Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gem. Art. 16 a Abs. 1 GG seien nicht gegeben, da nicht einmal die weitergefassten Voraussetzungen des § 3 AsylG einschlägig seien.
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Mit Schriftsatz vom 09.09.2022 erhob die Bevollmächtigte des Klägers Klage und beantragt,
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mit dem Az.: … verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 4 AsylG zuzuerkennen.
11
Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu. Er halte sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner zumindest unterstellten politischen Überzeugung nicht in Syrien auf. Der Kläger sei zudem nicht bereit, sich bei einer fiktiven Rückkehr nach Syrien durch die Teilnahme am Wehrdienst an Menschenrechtsverletzungen zu beteiligen. Da er sich der Wehrpflicht durch Flucht entzogen habe, drohe ihm Verfolgung, weil er konkret von Strafverfolgung oder Bestrafung bedroht sei, zumindest aber mit menschenwidriger Behandlung oder Folter bei Verhören durch den syrischen Staat rechnen müsse, weil er einer jederzeit möglichen Einberufung nicht zustimmen und sich damit dem Militärdienst entziehen werde. Die nicht genehmigte und somit unerlaubte Ausreise werde wie ein Wehrdienstentzug geahndet. Syrien halte schon das Stellen eines Asylantrags im Kontext mit dem Aufenthalt im westlichen Ausland – unabhängig einer tatsächlich oppositionellen Haltung – als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung. Die drohende Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs oder Desertion diene nicht nur der Sicherstellung der Wehrpflicht und der Ahndung des mit der Dienstverweigerung verbundenen kriminellen Unrechts, sondern die Bestrafung des Wehrdienstentzugs sei vielmehr auch auf eine vermutete regimefeindliche Gesinnung gerichtet. Der EuGH habe mit Urteil vom 19.11.2020 (C-238/19) über Fragen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an einen syrischen Kriegsdienstverweigerer entschieden und festgestellt, dass Wehrpflichtigen aus Syrien im Falle ihrer Rückkehr politische Verfolgung drohe. Dabei gehe der EuGH von einer gesetzlichen Vermutung für das Vorliegen der Verknüpfung zwischen drohender Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund aus. Die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, wonach dem Kläger die Beweislast sowohl für das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2e der Anerkennungsrichtlinie, als auch für eine Verknüpfung der darin normierten Verfolgungshandlung mit einem Verfolgungsgrund aufbürde, sei nicht mehr haltbar.
12
Mit Schriftsatz vom 19.09.2022 beantragt die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
13
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
14
Mit Beschluss der Kammer vom 08.02.2023 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
15
Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung am 23.03.2023 wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der begehrten Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
17
Zwecks Vermeidung unnötiger Wiederholungen verweist das Gericht zunächst vollumfänglich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 3 AsylG).
18
1. Ergänzend wird lediglich noch auf Folgendes hingewiesen:
19
a) Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle mit äußerster Härte vorgehen, ist es letztlich – nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung – nicht beachtlich wahrscheinlich, dass jedweder Betroffene allein wegen einer (illegalen) Ausreise, eines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb eine Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (vgl. beispielsweise BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 21 B 19.30657 – juris m.w.N.; BayVGH, U.v. 2.5.2022 – 21 B 19.34314 – juris m.w.N.; OVG Münster, U.v. 23.8.2022 – 14 A 3389/20.A – juris m.w.N.; OVG Lüneburg, B.v. 11.5.2022 – 2 LB 52/22 – juris).
20
In der herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich das erkennende Gericht anschließt, ist ferner geklärt, dass es – selbst unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils vom 19.11.2020 – nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass Rückkehrer im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige/Reservisten) allein deshalb in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle bzw. regimefeindliche Gesinnung eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte zu befürchten haben, weil sie sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben (vgl. z.B.: BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 21 B 19.30657 – juris m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.1.2022 – 21 ZB 22.30063 – juris; BayVGH, U.v. 2.5.2022 – 21 B 19.34314 – juris; BayVGH, U.v. 23.6.2021 – 21 B 19.33586 – juris; BayVGH, U.v. 29.9.2021 – 21 B 19.34339; OVG Lüneburg, B.v. 11.5.2022 – 2 LB 52/22 – juris; OVG Münster, U.v. 23.8.2022 – 14 A 3389/20.A – juris; a.A. insoweit nur OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 29.1.2021 – OVG 3 B 108.18 – juris, wobei inzwischen das BVerwG mit U.v. 19.1.2023 – 1 C 1/22 u.a. mehrere Urteile des OVG Berlin-Brandenburgs aufgehoben hat, bzw. OVG Bremen, U.v. 23.3.2022 – 1 LB 484/21 – juris, deren/dessen Auffassung das erkennende Gericht im Hinblick auf die überzeugenden Ausführungen der anderen Obergerichte nicht folgt). Dementsprechend erfolgt eine „Verfolgung“ in Syrien grundsätzlich jedenfalls nicht in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund des § 3b AsylG. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn besondere gefahrerhöhende Umstände gerade in der Person des jeweiligen Klägers glaubhaft gemacht wurden, was vorliegend nicht er Fall ist (dazu sogleich näher unter b).
21
Es ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die syrischen Sicherheitskräfte den Kläger im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien im Hinblick darauf menschenrechtswidrig behandeln werden, dass er sich zuletzt in einem „oppositionellen Gebiet“ Syriens aufgehalten hat. Nach Auswertung der Erkenntnislage besteht für einen Rückkehrer allein wegen der Herkunft aus einem (vermeintlich) regierungsfeindlichen Gebiet in der Regel keine Rückkehrgefährdung. Eine Verfolgungsgefahr für Rückkehrer aus bestimmten Gebieten besteht nicht bereits allgemein, sondern nur bei Vorliegen zusätzlicher Umstände, die den Rückkehrer in irgendeiner Weise in „Oppositionsnähe“ bringen (BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 21 B 19.30657 – juris m.w.N.). Solche zusätzlichen konkreten Umstände hat jedoch der Kläger nicht (glaubhaft) vorgetragen (siehe hierzu auch sogleich unter b).
22
b) Individuelle und gefahrerhöhende Umstände gerade in der Person des Klägers, die vorliegend die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG begründen würden, liegen nicht vor. Der Kläger hat insbesondere nicht einmal annähernd glaubhaft gemacht, dass er Syrien vorverfolgt im Sinne des Flüchtlingsrechts verlassen hat bzw. dass er aufgrund anderweitiger Umstände im besonderen Fokus der syrischen Behörden, aufgrund derer ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG drohen würde, steht.
23
Die in der mündlichen Verhandlung vorgetragene „Fluchtgeschichte“ des Klägers ist bereits von massiven Widersprüchen und Steigerungen gegenüber dem Vorbringen beim Bundesamt geprägt, so dass dem Kläger schon nicht ansatzweise geglaubt werden kann, dass er wegen Demonstrationsteilnahmen bzw. des bloßen Aufenthalts im oppositionellen Gebiet bei einer Rückkehr mit flüchtlingsrechtlich relevanten Maßnahmen konfrontiert sein wird. Der Kläger erklärte erstmals in der mündlichen Verhandlung, er habe in Syrien zweimal an Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen. Spione aus seinem Ort hätten dies dann dem Regime gemeldet, woraufhin dieses versucht habe, seinen Vater wegen der Demonstrationsteilnahmen des Klägers zu verhaften. Dieser Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung erwies sich schon als äußerst oberflächlich. Weder auf Nachfragen des Gerichts, noch der der Terminsvertretung seiner Bevollmächtigten, war der Kläger in der Lage, die geschilderten „Ereignisse“ auch nur annähernd zeitlich zu konkretisieren. Er erklärte dem Gericht insoweit, er könne sich nicht erinnern, wann man versucht habe, seinen Vater zu verhaften. Dies sei sehr lange her. Auch bei der Frage nach dem Zeitpunkt der besagten Demonstrationsteilnahmen berief sich der Kläger auf Erinnerungslücken. Er äußerte sich insoweit ähnlich, nämlich, dass dies sehr lange her sei und er damals noch ein Jugendlicher gewesen sei.
24
Vage, unplausibel und letztlich widersprüchlich sind auch die klägerischen Ausführungen dahingehend, wann sein Vater – ausgelöst durch den Versuch, diesen aufgrund der Demonstrationsteilnahmen des Klägers zu verhaften – Syrien in Richtung Türkei verlassen hat. Insoweit erklärte der Kläger ebenfalls, dies wisse er nicht mehr. Auf Nachfrage führte der Kläger dann zögerlich aus, dies sei ca. drei Jahre her. Zu diesem Zeitpunkt habe das Regime die Macht zurückgeholt und sein Vater sei wegen der Demonstrationsteilnahme des Klägers gesucht worden. In anderem Zusammenhang erklärte der Kläger jedoch wiederum, er wisse nicht mehr, wann das Regime seinen Geburtsort bzw. früheren Heimatort, an dem der Vater gelebt habe, zurückerobert habe, da dies lange her sei. Im Übrigen sind die Ausführungen des Klägers zur Ausreise seines Vaters in die Türkei grob widersprüchlich zum klägerischen Vorbringen gegenüber dem Bundesamt am 16.11.2021. Dort erklärte der Kläger nämlich, sein Vater, vier Schwestern und drei Brüder würden immer noch in Syrien leben, während nach Angaben in der mündlichen Verhandlung der Vater Syrien zeitlich vor dem Kläger verlassen haben soll.
25
Daneben hat der Kläger sein Vorbringen in einem weiteren Punkt gesteigert, in dem er in der mündlichen Verhandlung erklärte, als seine Schwester für ihn einen Registerauszug in Syrien besorgt habe, habe man dieser gesagt, er solle selbst kommen, da er verdächtig sei. Seitdem bestünde auch für seine Schwester, die in Damaskus im Gebiet des Regimes lebe, Gefahr wegen des Klägers und seiner Demonstrationsteilnahmen. Diese Einlassungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung sind – ungeachtet des Aspekts des Nachschiebens – schon deswegen nicht annähernd plausibel, weil der Kläger auch insoweit schon nicht annähernd angeben konnte, wann der „Vorfall“ mit dem Registerauszug und der Aufforderung gegenüber der Schwester, dass er nach Syrien zurückkommen solle, in zeitlicher Hinsicht ungefähr gewesen sein soll. Daneben hat die Schwester nach Angaben des Klägers den begehrten Registerauszug offensichtlich bekommen, da der Kläger dem Gericht erklärte, er habe das von der Schwester besorgte Dokument in Deutschland abgegeben. Es dürfte aber jeglicher Lebenserfahrung widersprechen, dass in der vom Kläger geschilderten Situation dann der Schwester ein Dokument ausgehändigt wurde, dass der Kläger zu seinen Gunsten in einem Asylverfahren vorlegen kann. Im Übrigen lebt die Schwester des Klägers offensichtlich bis heute unbehelligt in Damaskus, so dass nicht annähernd nachvollzogen werden kann, dass aufgrund regimefeindlichen Verhaltens des Klägers eine Gefahr (auch) für die Schwester bestehen soll.
26
Eine plausible Erklärung für das Nachschieben des insoweit schon völlig widersprüchlichen neuen Sachvortrags (Demonstrationsteilnahmen und dadurch bedingte Suche nach Vater und Gefahr für Schwester) konnte der Kläger ebenfalls nicht liefern. Er erklärte lediglich, er habe Angst gehabt, dass man ihn in Deutschland als Terrorist ansehe, was jedoch mitnichten eine tragfähige Begründung ist, zumal der Kläger selbst angegeben hat, Gelegenheit gehabt zu haben, alle wesentlichen Aspekte seiner Flucht gegenüber dem Bundesamt zu schildern. Das Gericht ist vielmehr davon überzeugt, dass vorliegend das Nachschieben der Demonstrationsteilnahmen, deren angebliche Folgen für Vater und Schwester sowie die angebliche Aussage des Regimes gegenüber seiner Schwester, er sei verdächtig, nur aus asyltaktischen Gründen in die mündliche Verhandlung eingeführt wurden. Auch dem Kläger ist sicherlich nicht verborgen geblieben, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur bei individuellen und gefahrerhöhenden Gründen erfolgen kann, die im früheren Sachvortrag des Klägers nicht annähernd ersichtlich sind/waren.
27
Ergänzend sei lediglich noch angemerkt, dass – selbst wenn man dem Kläger die Teilnahme an zwei Demonstrationen glauben würde – sich allein aus den „geschilderten“ Demonstrationsteilnahmen keine gefahrerhöhenden Gründe für eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung bei einer Rückkehr nach Syrien ergeben würden. Nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung seien an den beiden Demonstrationen jeweils nur 30 bis 35 Personen beteiligt gewesen. Der Kläger habe keine besondere Rolle unter den Demonstranten eingenommen. Er sei nur mitgelaufen und habe eine Flagge gehalten. Weiterhin hat der Kläger dem Gericht erklärt, er habe von Politik keine Ahnung gehabt und sei einfach nur mitgelaufen, weil er gehört habe, dass es eine Demonstration gebe.
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Individuelle und gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigen könnten, folgen auch nicht daraus, dass sich der Kläger zuletzt im Gebiet der Opposition aufgehalten hat. Warum der Kläger genau deshalb in den besonderen Fokus der syrischen Behörden geraten soll, hat er nicht annähernd dargelegt. Im Übrigen sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass ihm auch im Raum Al Bab keinerlei flüchtlingsrechtlich relevante Gefahr gedroht hat. Trotz mehrmaliger Nachfragen konnte der Kläger nicht annähernd plausibel darlegen, warum er Syrien erst und gerade im Jahr 2021 verlassen hat, obwohl die Demonstrationsteilnahmen schon mehrere Jahre zurückgelegen haben und der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise auch schon mehrere Jahre wehrpflichtig war. Insoweit erklärte er dem Gericht zunächst, er sei nicht früher ausgereist, da ihm im Gebiet der Opposition keine Gefahr gedroht habe. Warum sich dies im Jahr 2021 geändert haben soll, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar dargelegt. Der Kläger führte lediglich aus, im Zeitpunkt der Ausreise habe er auch auf dem Gebiet der Opposition nicht länger leben können. In Syrien müsse man entweder eine Waffe tragen und töten oder man verhungere. Andererseits erklärte er dem Gericht, es sei unmöglich, ihn einzuberufen, solange er in einem Oppositionsgebiet lebe. Daneben führte der Kläger aus, er sei auch nicht von der Freien Syrischen Armee oder einer anderen Miliz gezwungen worden, für diese zu kämpfen, aber es sei allgemein bekannt, dass Männer in Syrien Waffen tragen und kämpfen müssten. Nach diesem „nebulösen“ und völlig unplausiblen Vortrag – der Kläger konnte dem Gericht zu keiner Zeit erklären, wer ihn zwinge, eine Waffe zu tragen – erklärte der Kläger mehr oder weniger selbst, dass er nicht vorverfolgt ausgereist ist. Es folgten nämlich Aussagen wie „man verhungere in Syrien“ oder „man könne in Syrien nicht frei leben“ sowie „er sei auch ein Mensch und habe das nicht mehr gewollt.“
29
Zusammenfassend steht daher für das Gericht fest, dass der Kläger Syrien weder vorverfolgt im Sinne des Flüchtlingsrechts verlassen hat, noch dass ihm bei einer Rückkehr aufgrund individueller und gefahrerhöhender Umstände eine Verfolgungshandlung durch das syrische Regime in Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund des § 3 AsylG droht.
30
c) Das Bundesamt hat dem Kläger daher mit Bescheid vom 29.08.2022 zu Recht (nur) den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zuerkannt. Ein weitergehender Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG besteht ersichtlich nicht.
31
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.