Titel:
Erfolglose Klage gegen Abschiebungskosten
Normenkette:
AufenthG § 66, § 67 Abs. 1
Leitsatz:
Die Begleitung eines Ausländers während seiner Abschiebung ist erforderlich, wenn der Ausländer Anlass hierzu gibt, wenn es also in seiner Person liegende Gründe gibt. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kosten der Abschiebung eines Marokkaners im Hungerstreik, Kosten der Abschiebungshaft: Vorhaltekosten für Haftplatz am Einlieferungs- und am Rückführungstag (bejaht), Kosten für ärztliche Begleitung: Kosten für die Anreise eines auswärtigen Arztes zum Abschiebeflughafen und für die Übernachtung dort in der Nacht vor der Rückführung (bejaht), Rückführung, Ausreisepflicht, ärztliche Begleitung, Gesundheitszustand, Flugkosten, Abschiebungskosten, Verwaltungskosten, Abschiebehaft, Sicherungshaft
Fundstelle:
BeckRS 2023, 16381
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die teilweise Aufhebung eines Abschiebungskostenbescheids.
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Der Kläger, geb. am … in … (Königreich Marokko), ist marokkanischer Staatsangehöriger und hält sich nach seiner Abschiebung in seinem Herkunftsland auf.
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Mit Bescheid vom 21.08.2018 forderte die Regierung von … – Zentrale Ausländerbehörde, Dienststelle … (ZAB) den Kläger, der am 07.11.2015 ohne Visum und Ausweispapiere erstmals ins Bundesgebiet eingereist war, auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe dieses Bescheides zu verlassen (Ziffer 1), drohte ihm, falls er der Ausreiseverpflichtung nicht nachkomme, die Abschiebung nach Marokko an (Ziffer 2) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf drei Jahre und sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 3). Der Kläger besitze keinen Aufenthaltstitel und sei deshalb ausreisepflichtig. Duldungsgründe bestünden nicht. Bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sei insbesondere berücksichtigt worden, dass der Kläger über keinerlei schutzwürdige Bindungen im Bundesgebiet bzw. Nachweise hierüber verfüge und sich seit nunmehr fast drei Jahren unerlaubt im Bundesgebiet aufhalte. Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger am 20.09.2018 Klage erheben (Az. B 6 K 18.988).
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Am 10.01.2019 sprach er beim Standesamt in … (Freistaat X) vor, um die Vaterschaft für das Kind vorgeburtlich anzuerkennen, das seine in … lebende deutsche Verlobte von ihm erwartete. Dabei wurde der seit Mitte September 2018 zur Festnahme ausgeschriebene Kläger von der herbeigerufenen Polizeiinspektion … in Gewahrsam genommen.
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Mit Beschluss vom 10.01.2019 ordnete das Amtsgericht … (Az. …) nach vorheriger Anhörung am gleichen Tag Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens 31.01.2019 an (Ziffern 1 und 2). Außerdem ordnete das Gericht die sofortige Wirksamkeit der Ziffern 1 und 2 des Beschlusses an (Ziffer 3). Mit Beschluss vom 29.01.2019 wies das Landgericht … die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss zurück (Az. …).
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Auf Veranlassung der ZAB wurde der Kläger nach Ende der Anhörung um 18.15 Uhr von … in die kurz zuvor eröffnete Abschiebehafteinrichtung (AHE) in … transportiert, wo er um 22.59 Uhr eingeliefert wurde.
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Ab 11.01.2019 verweigerte der Kläger in der AHE die Nahrungsaufnahme. Deshalb wurde er am 13.01.2019 ab 21.43 Uhr in das Städtische Klinikum … verbracht, weil die AHE keine eigene Krankenstation hat und der Kläger als Abschiebehäftling nicht in einem JVA-Krankenhaus untergebracht werden durfte. In die AHE ist er in der Folgezeit nicht mehr zurückgekehrt. Sein Platz dort wurde bis 31.01.2019 vorgehalten.
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Nach seiner Aufnahme im Krankenhaus wurde er in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (geschlossene Station) wegen einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome (F 32.2) und sonstigen Essstörungen (F 50.8) bis zum späten Abend des 31.01.2019 behandelt. Da er sich weiter weigerte, Nahrung zu sich zu nehmen, wurde er auf der Grundlage einer sofort vollziehbaren einstweiligen Anordnung des Amtsgerichts … vom 17.01.2019 bis zum 29.01.2019 zwangsernährt (Az. …*). Während seines Aufenthalts im Klinikum bewachten ihn im Dreischichtbetrieb rund um die Uhr ständig zwei Personen.
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Mit Beschlüssen jeweils vom 29.01.2019 lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth zwei Anträge auf Aussetzung der Abschiebung des Antragstellers ab (B 6 E 19.28 -juris und B 6 E 19.83). Auf den Inhalt der Beschlüsse wird Bezug genommen.
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Am 30.01.2019 wurde der Kläger um 23.43 Uhr aus dem Klinikum entlassen und über Nacht in einem Krankenwagen zum Flughafen … transportiert. Am 31.01.2019 um 09.15 Uhr hob die Linienmaschine mit dem Kläger, dem begleitenden Arzt Dr. S. und den Beamten der Sicherheitsbegleitung an Bord, ab und landete um 15.35 Uhr in Casablanca (Königreich Marokko). Sicherheitsbegleiter und Arzt flogen am 01.02.2019 um 11.20 Uhr ab Casablanca zurück und landeten um 16.55 Uhr in … Am 04.05.2020 teilte der Klägerbevollmächtigte im Verfahren B 6 K 18.988 dem Gericht mit, nach der Abschiebung des Klägers beantrage er nicht mehr die Aufhebung der Ausreiseforderung und der Abschiebungsandrohung, sondern die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit und die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes. Mit Urteil vom 30.09.2020, das in Rechtskraft erwuchs, hob das Verwaltungsgericht Bayreuth das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf und wies die Klage im Übrigen ab. Auf die Begründung wird verwiesen.
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Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 28.10.2020, zugestellt an seinen jetzigen Klägerbevollmächtigten laut Empfangsbekenntnis am 09.11.2020, forderte die ZAB den Kläger auf, in Verbindung mit seiner Abschiebung am 31.01.2019 entstandene Kosten in Höhe von insgesamt 17.065,54 EUR zu zahlen (Ziffer 1) und behielt sich die Einforderung weiterer Kosten vor (Ziffer 2).
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Die Kosten schlüsselte die Behörde im Bescheid folgendermaßen auf:
Personalkosten (Rechnung Bundespolizeipräsidium) 5.664,87 EUR
Transportkosten (Rechnung Bundespolizeipräsidium) 3.405,39 EUR
Haftkosten (Rechnung Landesdirektion …) 5.270,98 EUR
Transportkosten (Rechnung Landespolizeinsp. …) 2,70 EUR
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Arztkosten (Rechnung Landkreis …) 20,00 EUR
Arztkosten (Kostenaufstellung Dr. S.) 2.701,60 EUR
Gesamtbetrag 17.065,54 EUR
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Die genannten Rechnungen wurden dem Bescheid in Kopie als Anlagen beigefügt.
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Zur Begründung verwies die Behörde darauf, die Kosten seien im Rahmen der Vorbereitung und der Durchführung der Abschiebung mit amtlich angeordneter Begleitung entstanden. Die ZAB, die die Abschiebung verantwortlich durchgeführt habe, sei verpflichtet, die bei den sie dabei unterstützenden Behörden angefallenen Kosten dem Kostenschuldner komplett in Rechnung zu stellen.
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Mit Schriftsatz vom 09.12.2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben und am 26.04.2021 beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 28.10.2020 aufzuheben, soweit dort die Verpflichtung zur Erstattung von Abschiebungskosten von mehr als 14.861,36 EUR ausgesprochen wurde.
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Ebenfalls am 09.12.2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt, dem Kläger Prozesskostenhilfe zu gewähren.
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Zur Begründung führt der Klägerbevollmächtigte am 26.04.2021 und ergänzend am 14.09.2021 aus, der Kläger sei zwar dem Grunde nach verpflichtet, die im Zuge seiner Abschiebung entstandenen Kosten zu tragen. Doch seien die zu erstattenden Kosten um 2.204,18 EUR zu vermindern. Da der Kläger am 10.11.2019 noch nicht und am 31.01.2019 nicht mehr in der AHE … untergebracht gewesen sei, seien die für den 10.01.2019 und den 31.01.2019 zu Unrecht angesetzten Haftkosten um zwei Tagessätze, d.h. um 2 x 239,59 EUR, d.h. um insgesamt 479,18 EUR zu reduzieren. Solange der Haftplatz lediglich vorgehalten worden sei, und der Kläger sich in der AHE nicht aufgehalten habe, dürften die Kosten dafür nicht dem Kläger in Rechnung gestellt werden.
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Außerdem seien die zu erstattenden Kosten für die ärztliche Begleitung zu vermindern. Die eigentliche ärztliche Leistung sei nur während der Zeit der Begleitung des Fluges von
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09.15 Uhr bis 15.35 Uhr, d.h. nicht, wie angesetzt, 30 Stunden lang, sondern nur, gut gerechnet, sieben Stunden lang erbracht worden. Deshalb müssten 23 Stunden zu je 75,00 EUR, d.h. 1.725,00 EUR weniger verrechnet werden. Ansonsten habe der Arzt sein Honorar teilweise buchstäblich im Schlaf verdient. Zudem sei der Beklagte verpflichtet gewesen, Reise- und Übernachtungskosten zu sparen, und hätte deshalb einen im Umfeld des …Flughafens ansässigen Arzt beauftragen müssen.
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Der Beklagte hat am 22.02.2023 beantragt,
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Er begründet seinen Antrag damit, auch die Tagessätze für den 11.01.2019 und den 31.01.2019 seien in Rechnung zu stellen. Für den 10.01.2019 habe die ZAB nach der Festnahme des Klägers für den Fall, dass Abschiebungshaft angeordnet würde, einen Haftplatz reserviert. Außerdem habe die Einrichtung, wie auch in anderen Fällen üblich, die Unterbringungsmöglichkeit auch am 31.01.2019 so lange vorgehalten, bis die Abschiebung mit der Landung in Casablanca vollzogen gewesen sei.
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Zu den Abschiebungskosten zählten auch in vollem Umfang die von Herrn Dr. S. durchaus plausibel pauschal geltend gemachten 30 Stunden für ärztliche Dienstleistungen, auch wenn die eigentliche ärztliche Leistung nur in einem geringeren zeitlichen Umfang abgerufen wurde. Die Begleitung eines Abschiebefluges, für die sich nicht leicht ein Arzt finden ließe, setze voraus, dass der Arzt sich an den deutschen Flughafen begebe, den Abzuschiebenden vor dem Abflug betreue, zum Zielflughafen mitfliege und anschließend zurückreise. Diesen Zeitaufwand habe der Arzt angesetzt.
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Es sei angemessen, dass Herr Dr. S. bereits am Vortag der Maßnahme am 30.01.2019 angereist sei und in … übernachtet habe, weil er spätestens ab der Übergabe des Klägers an die Bundespolizei am Flughafen 2 ½ bis 3 Stunden vor dem Abflug um 09.15 Uhr habe anwesend sein müssen.
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Am 02.11.2021 übermittelte der Beklagte eine Stellungnahme der Landesdirektion … vom 29.10.2021 zu den Kosten der Sicherungshaft. Darin führte die Behörde aus, die zuständige Landesdirektion … habe die Unterbringungskosten von 5.270,98 EUR nach der bei Rechnungslegung am 19.04.2019 geltenden Rechtslage berechnet. Wäre dagegen nach der aktuell im Freistaat … für die Abrechnung geltenden Rechtslage abgerechnet worden, hätte die Landesdirektion für die Zeitspanne vom 14. bis 31.10.2019, während der der Kläger im Krankenhaus kostenaufwändig habe bewacht werden müssen, pro Tag eine Sicherungspauschale von 1.192,50 EUR, d.h. insgesamt 21.465,00 EUR, in Anschlag gebracht. Als Gesamtsumme wären 22.422,20 EUR in Rechnung gestellt worden. Daran lasse sich unschwer erkennen, dass vom Kläger mit dem aufgrund der früheren Rechtslage ergangenen Bescheid weit weniger als die damals tatsächlich entstandenen Kosten gefordert würden.
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Mit Beschluss vom 03.12.2021 lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Bayerische Verwaltungsgerichthof mit Beschluss vom 13.02.2023 ab (Az. 19 C 21.3264). Auf die beiden Beschlüsse wird Bezug genommen.
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Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
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1. Die (Teil-) Anfechtungsklage bleibt ohne Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 28.10.2020 ist rechtmäßig, soweit er einen Betrag von 14.861,36 EUR übersteigt, und verletzt deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Gem. § 66 Abs. 1 AufenthG hat der Ausländer die Kosten zu tragen, die durch seine Abschiebung entstehen. Die Kosten der Abschiebung umfassen u.a. die Beförderungskosten für den Ausländer innerhalb des Bundesgebiets und bis zum Zielort außerhalb des Bundesgebiets (§ 67 Abs. 1 Nr.1 AufenthG), die bei der Vorbereitung und Durchführung der Maßnahme entstehenden Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für die Abschiebungshaft (§ 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) sowie sämtliche durch eine erforderliche Begleitung des Ausländers entstehenden Kosten einschließlich der Personalkosten (§ 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG). Die Kosten werden von der Ausländerbehörde durch Leistungsbescheid in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten erhoben (§ 67 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).
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a) Der Beklagte hat zu Recht 22 x 239,59 EUR = 5.270,98 EUR für 22 Tage Sicherungshaft vom 10.01.2019 bis 31.01.2019 in der Abschiebehafteinrichtung … angesetzt, und damit nicht darauf verzichtet, wie vom Prozessbevollmächtigten des Klägers geltend gemacht, auch die zwei Tagessätze für den 10.01 und den 31.01.2019. d.h.
2 x 239,59 EUR = 479,18 EUR mit einzubeziehen.
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aa) Die Kosten einer Sicherungshaft sind von vornherein nur zu erstatten, wenn die Abschiebung und die Anordnung der Haft rechtmäßig waren und den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten verletzen (BVerwG, U. v. 10.12.2014 – 1 C 11.14 – BVerwGE 151, 102 = InfAuslR 2015, 182 Rn.10). Sowohl die Abschiebung als auch die Anordnung der Sicherungshaft waren hier nicht rechtswidrig. Dagegen war das vom Beklagten in Ziffer 3 des Bescheides vom 21.08.2018 verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot zwar rechtswidrig und wurde deshalb mit rechtskräftigem Urteil vom 30.09.2020 aufgehoben. Die Rechtswidrigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbotes führt aber nicht zur Rechtswidrigkeit der Rückführungsentscheidung und ihrer Vollstreckung, so dass die Abschiebung nicht deshalb rechtswidrig ist (BVerwG, U. v. 21.08.2018 – 1 C 21/17 – BVerwGE 162,382 = InfAuslR 2019, 3 jew. Rn. 22).
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bb) Der Beklagte durfte die Haftkosten als tatsächlich entstandene Kosten für den gesamten Zeitraum geltend machen.
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aaa) Am 10.01.2019 wurde der Kläger zwar erst um 22.59 Uhr in die AHE in … eingeliefert. Allerdings war der Haftplatz in der Einrichtung bereits im Laufe des Tages für ihn reserviert worden und konnte deshalb nicht anderweitig belegt werden. Deshalb ist es gerechtfertigt, dass, auch wenn der Kläger sich an diesem Tag nur eine Stunde in der AHE aufhielt, für den 10.01.2019 der volle Tagessatz für einen angefangenen Kalendertag berechnet wird.
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bbb) Für den 11.01.2019 bis 13.01.2019, als der Kläger bis zu seiner Verlegung in das Städtische Klinikum am 13.01.2019 ab 21.43 Uhr tatsächlich in der AHE untergebracht war, durfte der Beklagte 3 x 239,59 EUR, d.h. 718,77 EUR ansetzen. Dabei musste er nicht im Einzelnen ermitteln, welche Kosten genau der Kläger in der AHE … verursacht hatte, sondern durfte den Sachverhalt „Unterbringung in der sächsischen Abschiebehafteinrichtung“ typisieren und pauschal über Tagessätze abrechnen (OVG Lüneburg, U. v. 22.02.2007 – 11 LB 307/05 – InfAuslR 2007, 295/297).
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ccc) Für den Zeitraum vom 14.01.2019 bis 30.01.2019 durfte der Beklagte auf der Grundlage der Rechnung der Landesdirektion … vom 19.04.2019 17 x 239,59 EUR, d.h. 4.072,03 EUR verrechnen.
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Zwar war der Kläger in dieser Zeitspanne nicht in der AHE untergebracht, sondern er wurde im Städtischen Klinikum … stationär behandelt. Die Abschiebungshaft des Klägers war zuvor aber nicht auf Antrag des Beklagten aufgehoben worden, sondern wurde als stationäre Unterbringung im Krankenhaus unter Bewachung weiter vollzogen. Der Kläger nahm in dieser Zeit zwar keine Leistungen der AHE in Anspruch. Aufgrund der Fortdauer der Abschiebungshaft durfte der AHE und der Ausländerbehörde aus ihrer damaligen Sicht, auf die abzustellen ist (BVerwG, U. v. 10.12.2014 – 1 C 11.14 – BVerwGE 151, 102 = InfAuslR 2015,182 Rn. 8), eine Rückverlegung zumindest nicht ausgeschlossen erscheinen, so dass es sachangemessen war, den Haftplatz in der AHE weiter vorzuhalten, mit der Folge, dass die Vorhaltekosten in Höhe der 17 Tagessätze erstattungspflichtig sind.
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ddd) Am 31.01.2019 befand sich der Kläger nicht (mehr) in der AHE in …, sondern auf dem Transport nach …, anschließend im Flughafen … und schließlich auf dem Rückflug nach Casablanca. Der Haftplatz wurde dennoch, wie es der Verwaltungspraxis entspricht, für den Fall vorgehalten, dass die Abschiebung, was in der Praxis sehr häufig geschieht, aus tatsächlichen Gründen scheitern sollte.
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Diese Vorgehensweise mit der Folge, dass ein weiterer Tagessatz in Höhe von 239,59 EUR in Rechnung gestellt wurde, ist nicht zu beanstanden. Denn auf diese Weise wurde sichergestellt, dass der Kläger, dessen Flug nach Marokko bereits für 09.15 Uhr terminiert war, im Laufe des 31.01.2019 wieder nach … ins Städtische Klinikum oder in die AHE hätte zurücktransportiert werden können und nicht mangels Haftplatz freigelassen hätte werden müssen.
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b) Weiter hat die Klage auch nicht insoweit Erfolg, als der Beklagte die von Herrn Dr. S. geltend gemachten Kosten von 2.701,60 EUR in vollem Umfang vom Kläger verlangt und die geforderten Kosten nicht um 1.725,00 EUR vermindert, d.h. die geltend gemachten 30 Stunden ärztlicher Dienstleistungen nicht um 23 Stunden zu je 75,00 EUR reduziert.
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aa) Eine ärztliche Begleitung des Klägers war erforderlich.
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Die Begleitung eines Ausländers während seiner Abschiebung ist erforderlich, wenn der Ausländer Anlass hierzu gibt, wenn es also in seiner Person liegende Gründe gibt (BVerwG, U. v. 14.03.2006 – 1 C 5.05 – BVerwGE 125,101 = InfAuslR 2006, 379/382).
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Aus der maßgeblichen Sicht des Beklagten zum Zeitpunkt der Durchführung der Maßnahme gebot der Gesundheitszustand des Klägers, der seit 11.01.2019 die Nahrungsaufnahme verweigert hatte, eine ärztliche Begleitung auf dem Flug. Deshalb hatte auch das Verwaltungsgericht Bayreuth darauf gedrungen, dass die Abschiebung ärztlich begleitet wird und der Beklagte dem Gericht die Begleitung schriftlich zusagt (vgl. dazu VG Bayreuth, B. v. 29.01.2019 – B 6 E 19.28 – juris Rn. 77).
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Laut seiner Honorarrechnung vom 01.02.2019 rechnete der begleitende Arzt als ärztliche Dienstleistungen die Anreise nach …Flughafen mit Hotelübernachtung am 30.01.2019, die ärztliche Begleitung des Klägers nach Casablanca, die Hotelübernachtung dort am 31.01.2019 und die Rückreise nach am 01.02.2019 ab. Die dadurch entstandenen Kosten können dem Kläger auferlegt werden, weil sie auf sachgemäßer Verwaltungstätigkeit beruhen (Rechtsgedanke des Art.16 Abs. 5 BayKG: Keine Erstattungspflicht für rechtswidrig verursachte Verwaltungskosten; in diesem Sinne auch Hailbronner, in: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Dezember 2022, § 67 AufenthG Rn. 7).
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aaa) Zunächst beruhte die Maßnahme nicht auf unsachgemäßer Verwaltungstätigkeit. Der Zeitaufwand, den Herr Dr. S. mit 30 Stunden zu je 75,00 EUR = 2.250,00 EUR beziffert, ist damit nicht zu hoch abgerechnet.
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Herr Dr. S. hatte tatsächlich einen Zeitaufwand von (mindestens) 30 Stunden. Wenn man auf der Grundlage u.a. der vorgelegten Taxiquittung und dem Beleg für die Bahnfahrkarte davon ausgeht, dass er seinen Wohnort … am 30.10.2019 um ca. 18.30 Uhr verließ und dorthin am 01.02.2019 um ca. 22.00 Uhr zurückgekehrt ist, nahm sein Einsatz sogar insgesamt ca. 50 Stunden in Anspruch.
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Diesen Aufwand durfte er in vollem Umfang als ärztliche Dienstleistungen abrechnen.
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Zwar gilt gegenüber dem Beklagten als Träger der Ausländerbehörde die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) nicht, die nur im Verhältnis zwischen Arzt und Patient Anwendung findet (BGH, U. v. 12.11.2009 – III ZR 110/09 – NJW 2020,1148 Rn. 9). Die im Bereich der GOÄ gebräuchliche Definition einer ärztlichen Dienstleistung als Leistung, die im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit eines approbierten Arztes erbracht wird (Clausen/Makoski, GOÄ/GOZ, 2019, § 1 GOÄ Rn. 10 f.), kann jedoch auch hier herangezogen werden.
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Im Mittelpunkt der Tätigkeit stand zwar die Begleitung des Klägers auf dem Flug von … nach Casablanca und die medizinische Vorbereitung des Transports, d.h. die von ca. 6.30 Uhr bis 15.35 Uhr, mithin gut sieben Stunden lang erbrachten Tätigkeiten. Dem Arzt war es jedoch nur möglich, diese Leistung am Kläger zu erbringen, weil er sich zuvor von seinem Wohnort nach …begab, nach der Landung der Maschine am Zielort in Casablanca übernachtete und von dort aus über … und … nach … zurückkehrte. Auch im Geltungsbereich der GOÄ ist im Übrigen eine pauschalierte Entschädigung für die Reise zum Patienten vorgesehen, je nachdem, ob der Arzt weniger oder mehr als acht Stunden von Praxis/Wohnort fernbleiben muss (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 GOÄ).
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Im Übrigen hat der Arzt, jedenfalls im Ergebnis, seinen geringeren Aufwand in den Zeiträumen vor und nach der eigentlichen Flugbegleitung und ihrer unmittelbaren Vorbereitung dadurch berücksichtigt, dass er nicht die gesamten 50 Stunden in Rechnung gestellt hat, sondern nur 30 Stunden.
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Nicht mit Erfolg kann der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Ansatz des Zeitaufwands entgegensetzen, um den abzurechnenden Zeitaufwand niedrig zu halten, wäre es geboten gewesen, einen Arzt aus …oder Umgebung mit der Begleitung zu betrauen. Denn die Auswahl des Arztes war nicht objektiv rechtswidrig, so dass dadurch keine Kosten entstanden sind, die bei sachgerechtem Handeln der Behörde nicht angefallen wären (BVerwG, U. v. 08.05.2014 -1 C 3.13 – BVerwGE 144,320 = InfAuslR 2014, 328, jew. Rn. 21). Es deckt sich mit den Erfahrungen des Gerichts aus anderen vergleichbaren Eil- und Klageverfahren, wenn der Beklagte darauf hingewiesen hat, dass oft auf Ärzte, die in größerer Entfernung vom jeweiligen Abschiebeflughafen zuhause sind, zurückgegriffen werden muss. Eine Ursache dafür dürfte sicherlich sein, dass sich Ärzte vielfach aus weltanschaulicher und berufsethischer Sicht nicht an Vollzugsmaßnahmen im Bereich der Rückführung von Ausländern beteiligen wollen (so Arbeitsgruppe Rückführung des Bundesamtes und der Bundesländer, Vollzugsdefizite, 2011, Ziff. 3.4 S. 9; abzurufen unter www.einwanderer.net/berichte 2011; kritisch zu Ärzten als medizinische Begleitung auf Abschiebeflügen z.B. IPPNWReport, Die gesundheitlichen Folgen von Abschiebungen, 2020, S. 51).
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Davon abgesehen ist die Ausländerbehörde auch nicht generell gehalten, bei erkennbar fehlender Neigung des Ausländers, seinen vollziehbaren Ausreisepflichten nachzukommen, im Zusammenhang mit den deshalb notwendigen werdenden Vollstreckungsmaßnahmen die für ihn günstigste ärztliche Begleitung zu sichern (OVG Saarlouis, B. v. 21.12.2005 – 2 Q 5.05 – juris Rn.16 betr. Einholung von Vergleichsangeboten für Flugtickets).
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Für den damit in nicht zu beanstandender Weise ermittelten Zeitaufwand durfte der begleitende Arzt schließlich im Hinblick auf die für ihn mit der Begleitung einer Abschiebung verbundenen Umstände ein Stundenhonorar von 75,00 EUR ansetzen.
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bbb) Eine Reduzierung der Abschiebungskosten ist schließlich auch nicht deshalb veranlasst, weil der Arzt überhöhte Reisekosten abgerechnet hätte.
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Zum einen schlägt der Einwand nicht durch, der Beklagte hätte 135,50 EUR für die Bahnfahrtkarten (ICE Bahncard 50) und die Taxifahrt von … nach … und 229,00 EUR für die Übernachtung in … sparen können, wenn ein Arzt aus dem Raum …beauftragt worden wäre, weil, wie ausgeführt, ein Mediziner aus dieser flughafennahen Gegend nicht zur Verfügung stand. Zum zweiten konnten auch nicht zumindest die Übernachtungskosten eingespart werden, weil der ärztliche Begleiter ansonsten mit dem Nachtzug, der wesentlich länger braucht, um ca. 02.30 Uhr hätte fahren müssen, um rechtzeitig zur Vorbereitung des Fluges in … zu sein. Zum dritten musste der Beklagte auch die Übernachtungskosten in Casablanca vom 31.01.2019 auf den 01.02.2019 von umgerechnet ca. 87,00 EUR übernehmen, weil der gemeinsame Rückflug für die Sicherheitsbegleitung und den Arzt erst für den 01.02.2019 um 11.20 Uhr organisiert war (so für Übernachtungskosten von Sicherheitsbegleitern VG Saarlouis, U. v. 31.08.2011 – 10 K 2370/10 – juris Rn. 51).
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2. Als unterliegender Teil trägt der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO, § 711 ZPO.