Titel:
keine Erstattung von Kopierkosten der (faktisch) gesamten Behördenakte ohne subtantiierte Darlegung der Gebotenheit zur sachgemäßen Bearbeitung der, Rechtssache
Normenkette:
7000 RVG-VV
Schlagworte:
keine Erstattung von Kopierkosten der (faktisch) gesamten Behördenakte ohne subtantiierte Darlegung der Gebotenheit zur sachgemäßen Bearbeitung der, Rechtssache
Fundstelle:
BeckRS 2023, 16373
Tenor
1. Der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 25.10.2022 wird abgeändert.
Die erstattungsfähigen Kosten werden auf 1077,64 EUR herabgesetzt.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Erinnerungsgegner.
Gründe
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Die Erinnerungsführerin war Klagegegnerin im Verfahren B 3 K 22.30009. Mit Urteil der Einzelrichterin der 3. Kammer vom 20.10.2022 wurde sie unter entsprechender Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides verpflichtet, dem damaligen Kläger (hier Erinnerungsgegner) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens wurden der Erinnerungsführerin auferlegt. Die Kostenentscheidung wurde für vorläufig vollstreckbar erklärt.
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Mit Schreiben vom 21.10.2022 stellte der Erinnerungsgegner einen Kostenfestsetzungsantrag. Hierin wurde unter anderem eine Dokumentenpauschale von 44,65 EUR gefordert. Die Kostenbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth setzte mit Beschluss vom 25.10.2022 die Kosten in Höhe von 1130,77 EUR entsprechend der Aufstellung des Erinnerungsgegners fest.
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Hiergegen beantragte die Erinnerungsführerin mit Schreiben vom 25.10.2022 die Entscheidung des Gerichts, soweit eine Dokumentenpauschale von 44,65 EUR festgesetzt worden ist.
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Gem. Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG seien Kosten der zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache gebotenen Kopien zu zahlen. Dem Rechtsanwalt stehe bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Kopien zwar ein Ermessen zu, das vorsorgliche ungesichtete Kopieren der vollständigen Akte sei jedoch nicht notwendig. Der Rechtsanwalt müsse vielmehr die Relevanz einzelner Schriftstücke für die Bearbeitung des Mandates prüfen. Ablichtungen, die für die Handakte angefertigt würden, seien ebenfalls nicht erstattungsfähig, diese seien mit der Verfahrensgebühr abgegolten. Auch Kosten für die Kopien von Schreiben von/an den Kläger und von Unterlagen, die sich in den Händen des Klägers befinden müssten, seien nicht erstattungsfähig. Es gelte für die Anwaltskosten der das gesamte Kostenrecht beherrschende Grundsatz, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Da die elektronische Aktenbearbeitung in der öffentlichen Verwaltung bereits seit längerem in Gebrauch sei, sei es gerechtfertigt, Ausdrucke aus elektronischen Akten nicht mehr als schlechthin notwendig anzusehen.
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Der Erinnerungsgegner führte hierzu aus, es seien insgesamt 141 schwarz/weiß Kopien und 6 Farbkopien gefertigt worden. Die übersandte Behördenakte umfasse 216 Seiten. Es sei daher unschwer erkennbar, dass nicht der gesamte Akteninhalt abgelichtet worden sei. Die Anfertigung der Kopien sei zur sachgemäßen Bearbeitung notwendig gewesen, da aufgrund der bestehenden Sprachbarrieren die Führung eines Mandantengespräches bereits wesentlich erschwert gewesen sei, so dass dem Mandanten diverse Schriftstücke gezeigt hätten werden müssen. Es sei falsch, dass Ablichtungen für die Handakte nicht gefertigt werden dürften, da das Führen einer Handakte ausdrücklich vorgeschrieben sei.
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Die Urkundsbeamtin half der Erinnerung nicht ab und legte sie dem Gericht zur Entscheidung vor.
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Mit Schreiben vom 6.4.2023 forderte das Gericht den Erinnerungsgegner zur Erläuterung der Notwendigkeit der gefertigten Kopien auf, da ab Seite 140 (- S. 215) der übersandten Behördenakte bereits der Klageschriftsatz begann und somit faktisch die gesamte Behördenakte plus 6 zusätzliche Farbkopien abgelichtet wurde, obwohl die Akte auch elektronisch zur Verfügung stand. Der Erinnerungsgegner widerholte darauf den bereits erfolgten Vortrag und trug erweiternd vor, dass auch Kopierpauschalen anzusetzen seien, wenn Akteninhalte elektronisch zur Verfügung stünden, da es keine Verpflichtung eines Rechtsanwalts zur Verwendung einer elektronischen Akte samt Anschaffung entsprechender technischer Ausstattung gebe. Deshalb gebiete es die Waffengleichheit, dass der Rechtsanwalt sich Auszüge aus den Akten fertigen dürfe. Der Rechtsanwalt sei zudem zum Führen einer Handakte verpflichtet und könne sich nicht auf das Bestehen einer rein elektronischen Handakte berufen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird analog § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
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1. Das Gericht entscheidet über die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 09.08.2018 in der Besetzung, in der die zu Grunde liegende Kostenentscheidung getroffen wurde (BayVGH, B.v. 19.01.2007, Az. 24 C 06.2426, BayVBl 2008, 417), somit vorliegend durch die Einzelrichterin.
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2. Die zulässige Erinnerung (§§ 165, 151 VwGO) hat auch in der Sache Erfolg.
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Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist abzuändern, weil der Erinnerungsgegner nicht substantiiert dargelegt hat, dass die angefertigten Kopien zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtsache geboten waren (Nr. 7000 1 a) RVG-VV). Bei der Beurteilung, was zur Bearbeitung geboten ist, ist auf die Sichtweise eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Rechtsanwalts, der sich mit der betreffenden Akte beschäftigt hat, abzustellen. Dabei muss kein kleinlicher Maßstab angelegt werden. Dem Rechtsanwalt steht ein gewisser Ermessensspielraum zu, denn er und nicht das Gericht, das nachträglich über die Berechnung oder Erstattungsfähigkeit der Dokumentenpauschale zu entscheiden hat, ist für die ihm anvertraute Führung der Rechtssache verantwortlich. Dieses Ermessen muss der Rechtsanwalt aber ausüben. Er darf nicht ohne weiteres die gesamte Behördenakte ablichten. Vielmehr muss er eine grobe Prüfung und vorläufige Bewertung des ihm zur Einsicht überlassenen Materials vornehmen. Denn die Verwaltungsakten enthalten im Allgemeinen zahlreiche Schriftstücke, die auch zu Beginn eines Prozesses für den Rechtsanwalt erkennbar ohne Bedeutung für dessen Ausgang sind. Wenn durch den Rechtsanwalt eine Auswahl der zu kopierenden Dokumente überhaupt nicht erfolgt, widerspricht dies auch dem für die Abrechnung der Dokumentenpauschale im Kostenrecht geltenden Gebot, die Ersatzpflicht Dritter möglichst niedrig zu halten (OVG NRW, B.v. 9.8.2022 – 6 E 324/22 –, Rn. 17, juris). Die dem Bevollmächtigten des Erinnerungsgegners elektronisch übersandte Behördenakte wies 216 Seiten auf, wobei darin bereits die durch das Gericht an die Erinnerungsführerin erstzugestellte Klageschrift enthalten war. Die Zustellung des Klageschriftsatzes beginnt auf Seite 140 der Behördenakte (mit entsprechenden Vorblättern, Empfangsbekenntnissen…) und endet auf Seite 215. Lediglich Seite 216 stellt wieder einen eigenen Akteninhalt dar. Durch den Bevollmächtigten des Erinnerungsgegners wurden 141 Schwarz/Weiß Kopien und 6 Farbkopien gefertigt, so dass bereits die Gesamtzahl der Kopien die Zahl der Seiten der eigentlichen Behördenakte überschreitet. In der Akte ist zudem eine Vielzahl allgemeiner Informationsschreiben, unter anderem betreffend eines möglichen Dublinverfahrens (EURODAC-Belehrungen…) enthalten, die offensichtlich nicht für die Sachbearbeitung notwendig waren. Kopierkosten sind nicht erstattungsfähig, wenn die betreffenden Aktenteile schon auf den ersten Blick irrelevant für die weitere Sachbearbeitung sind (BayVGH, B.v. 18.2. 2020 – 5 M 19.2487 –, Rn. 7, juris). Die Kopie einer vollständigen Behördenakte ist nur bei besonderer Begründung ihrer Notwendigkeit anzuerkennen. Erfolgt eine solche Begründung nicht oder nicht in substantiierter Weise, ist es gerechtfertigt, die angegebenen Aufwendungen in der Kostenfestsetzung unberücksichtigt zu lassen (OVG LSA, B.v. 11.5.2020 – 4 O 42/20 –, Rn. 7, juris). Der Erinnerungsgegner hat bereits gar nicht vorgetragen, welche Seiten der Behördenakte eigentlich kopiert wurden, so dass nicht einmal festgestellt werden kann, ob Seiten doppelt kopiert wurden oder der Erinnerungsgegner Teile seines eigenen Klageschriftsatzes ausgedruckt hat. Dem Bevollmächtigten des Erinnerungsgegners wurde die Behördenakte zudem elektronisch im PDF-Format zur Verfügung gestellt, so dass eine Rückgabe nicht notwendig war und der Erinnerungsgegner jederzeit bei Bedarf auf die elektronische Version der Akte hätte zurückgreifen können, auch wenn er selbst keine elektronische Akte führt. Wenn der Akteninhalt vollständig und verlässlich in digitalisierter Form zu einem Zeitpunkt vorliegt, zu dem sich der Rechtsanwalt noch in den Verfahrensstoff einarbeiten kann, kann dieser regelmäßig auf diese Form der Information über den Akteninhalt verwiesen werden; die Fertigung eines Gesamtaktenausdrucks erweist sich in diesen Fällen als grundsätzlich nicht erforderlich (vgl. für den Pflichtverteidiger BGH, B.v. 12.9.2019, Az. 3 BGs193/19, AnwBl Online 2022, 636).
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Weshalb das Ausdrucken der gesamten Behördenakte (bis zum Eingang der Klageschrift) für das Mandantengespräch aufgrund der Sprachbarriere notwendig gewesen sein soll, erschließt sich aus dem Vortrag des Erinnerungsgegners nicht. Auch hier wäre eine Beschränkung auf bestimmte Schriftstücke (Protokolle, Bescheide…) möglich gewesen. Ein Großteil dieser Schreiben sollte sich zudem auch im Besitz des Erinnerungsgegners befinden.
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Fehlt es – wie hier – an substantiellen Angaben zur Notwendigkeit der Ablichtungen, ist die Dokumentenpauschale insgesamt nicht zu berücksichtigen. Es ist gerade nicht Aufgabe der Kostenbeamtin oder des Gerichts, das eigene Ermessen nachträglich an die Stelle des anwaltlichen Ermessens zu setzen (OVG LSA, B.v. 11.5.2020 – 4 O 42/20 –, Rn. 10, juris). Die festgesetzten Kosten waren somit um die Dokumentenpauschale von 44,65 EUR herabzusetzen, was einen festzusetzenden Betrag von 1077,64 EUR ((950,23 EUR – 44,65 EUR) + USt. (19%)) ergibt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).