Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 05.04.2023 – B 1 S 23.106
Titel:

Ermessen, Nachschieben von Gründen, bestandskräftiger Bescheid, offenbare Unrichtigkeit, Wesensveränderung, Widerspruchsverfahren

Normenketten:
TierSchG § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 3
BayVwVfG Art. 42
Schlagworte:
Ermessen, Nachschieben von Gründen, bestandskräftiger Bescheid, offenbare Unrichtigkeit, Wesensveränderung, Widerspruchsverfahren
Fundstelle:
BeckRS 2023, 16359

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. Dezember 2022 wird in Bezug auf die Ziffern 1, 2, 3 und 5 wiederhergestellt und in Bezug auf die Ziffer 4 angeordnet.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Der Antragsteller unterhält einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Rinderhaltung in …, … Mit bestandskräftigem Bescheid vom 24. Februar 2020 wurde dem Antragsteller vom Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) zum 30. Juni 2020 im Stallbereich 1 (Milchvieh- und Jungviehanbindung) jegliche Rinderhaltung untersagt (Ziff. 1). Auch wurde ihm untersagt, im Stallbereich 3 (Kälberboxen) Rinder bzw. Kälber zu halten (Ziff. 2). Zum 31. März 2020 untersagte das Landratsamt die Haltung von Jungrindern mit einem Gesamtgewicht von mehr als 1.000 kg im Stallbereich 2 (Tiefstreubox) (Ziff. 3). Im Stallbereich 4 (Freilaufboxen) wurde dem Antragsteller die Haltung von mehr als neun Rindern (max. 3 Rinder pro Freilaufbox) untersagt (Ziff. 4). In den Ziff. 5 bis 9 erfolgten Bedingungsanordnungen für die weitere zulässige Rinderhaltung. So wurde unter Ziff. 9 angeordnet, den über die Ziff. 3 und 4 hinausgehenden Rinderbestand in den Stallbereichen 2 und 4 bis 31. März 2020 aufzulösen und die sich noch im Besitz des Antragstellers befindlichen Rinder bis spätestens 31. März 2020 zu verkaufen, anderweitig an Dritte abzugeben oder zu schlachten und aus dem Betrieb zu entfernen. Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Anordnungen wurde angedroht, die dort vorhandenen bzw. nicht mehr in zulässigem Umfang gehaltenen Rinder im Wege unmittelbaren Zwangs wegzunehmen (Ziff. 12). Es wurde zudem die Einziehung für den Fall der Wegnahme angekündigt (Ziff. 13) und deren sofortige Vollziehung angeordnet (Ziff. 14).
2
Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein und beantragte beim Verwaltungsgericht Bayreuth, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen (Az. B 1 S 20.316). Der Antrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 9. April 2020 abgelehnt. Die beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde wurde mit Beschluss vom 14. Juli 2020 zurückgewiesen (Az. 23 CS 20.1087). Die gegen den Bescheid vom 24. Februar 2020 am 1. April 2020 erhobene Klage wurde mit Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 24. Februar 2021 abgewiesen (Az. B 1 K 20.325).
3
In dem Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Bayreuth wurde u.a. klargestellt, dass nach der Bemessungsgrundlage des Landratsamts im Bescheid vom 15. Dezember 2020 „maximal 3 Tiere pro Freilaufbox“ bei vier vorhandenen Freilaufboxen im Stallbereich 4 insgesamt zwölf Rinder vom Antragsteller gehalten werden dürfen und dass es sich bei der Anordnung, dass nur maximal neun Rinder gehalten werden dürfen, um ein offensichtliches Schreibversehen handelt. In der Sache sei klar, dass drei Tiere pro Freilaufbox, mithin insgesamt zwölf Tiere gemeint seien. Eine Berichtigung sei über das Berichtigungsverfahren nach Art. 42 BayVwVfG möglich.
4
Bei einer Vor-Ort-Kontrolle am 5. Oktober 2022 wurde seitens des Landratsamts Folgendes festgestellt: Der Antragsteller hielt insgesamt vierzehn Jungrinder. Zwei Freilaufboxen im Stallbereich 4 waren mit vier Rindern bestückt. Die Wasserversorgung war nicht gewährleistet; drei Tränkbecken waren mit eingetrocknetem Kot gefüllt und der Wasserdurchfluss war kaum wahrnehmbar. In der ersten Box waren beide Tränker verkotet und es stand kein Wasser zur Verfügung. Das Futter war verschimmelt.
5
Eine weitere Vor-Ort-Kontrolle am 7. Oktober 2022 ergab, dass die Tränkbecken nicht mehr verkotet waren. Im Übrigen ergaben sich keine wesentlichen Verbesserungen. Der Wasserdurchfluss der Tränkbecken war deutlich zu gering und verschimmelte Silage befand sich im Futterbarren. Es wurde ein vermutlich seit längerem bestehendes Leck in der Wasserleitung in einem Nebengebäude entdeckt. Nach Auffassung des Amtsveterinärs sei eine Auflösung des Tierbestandes in Verbindung mit einem Rinderhaltungsverbot erforderlich.
6
Unter dem 7. Oktober 2022 wurde der Antragsteller zum Erlass eines Bußgeldbescheides wegen Verstoßes gegen Ziff. 4 (Haltung von maximal neun Rindern) und Ziff. 5 (Vorhaltung von ausreichend Wasser und bei Haltung von mehr als einem Tier Schaffung zweier Tränkmöglichkeiten pro Box) des Bescheides vom 24. Februar 2020 angehört.
7
Bei einer Nachkontrolle am 10. Oktober 2022 wurden folgende Feststellungen gemacht:
1. Tränkbecken nicht verkotet.
2. Wasserdurchfluss höher als am 7. Oktober 2022.
3. Verdorbenes Futter aus dem Futterbarren entfernt und durch neues Futter ersetzt.
4. Haltung von vier Tieren in den ersten beiden Boxen.
5. Je Box ein Tränkbecken.
8
Der Wasserdurchfluss aller Tränkbecken lag weit unter der Empfehlung der DLG von mind. 18-25 Litern/Minute. Die Durchflussmenge lag nach Einschätzung des Amtsveterinärs bei aktuell unter 5 Litern/Minute. Der Antragsteller sei nicht Willens oder in der Lage, die Anordnungen des Landratsamts zu verstehen bzw. umzusetzen. Sofern die Tierhaltung nicht aufgegeben werde, seien dauerhafte Kontrollen in kurzen Intervallen notwendig.
9
Der Antragsteller wurde unter dem 19. Oktober 2022 zu einer beabsichtigten Fortnahme der überschüssigen Rinder (insgesamt zwei Rinder) sowie zum Erlass eines Bescheides, in dem der Antragsteller zur Herstellung eines Wasserdurchflusses der Tränkbecken von mindestens 18-25 Liter/Minute verpflichtet wird, angehört.
10
Aus einem internen Aktenvermerk des Landratsamts vom 21. Oktober 2022 ergibt sich, dass das Landratsamt davon ausging, dass der Antragsteller aus einer Freilaufbox im Stallbereich 4 zwei Freilaufboxen gemacht hat und damit insgesamt zwölf Rinder halten könnte. Nach Rücksprache mit dem Amtsveterinär sei dies noch in Ordnung. Mithin halte der Antragsteller nur zwei Rinder zu viel. Aus der Behördenakte ergibt sich, dass nach interner Beratung mit den Amtsveterinären die Einigung erzielt wurde, dem Antragsteller insgesamt fünf Rinder fortzunehmen, da er gegenüber der Anordnung im Bescheid vom 24. Februar 2020 insgesamt fünf Rinder zu viel halte (maximal neun Rinder).
11
Daraufhin erging ein korrigiertes Anhörungsschreiben unter dem 24. Oktober 2022. Aufgrund der weiterhin aufgetretenen Mängel, u.a. in der Wasserversorgung, sei eine Erhöhung des Rinderbestandes von neun auf zwölf Tiere mit den tierschutzrechtlichen Bestimmungen nicht vereinbar. Es dürfe die im Bescheid vom 24. Februar 2020 festgelegte Höchstzahl von neun Rindern nicht überschritten werden. Somit würden fünf Rinder zu viel gehalten.
12
Der Antragsteller teilte dem Landratsamt unter dem 25. Oktober 2022 mit, zwei Rinder abgegeben zu haben. Er halte derzeit noch fünfzehn Rinder.
13
Bei einer Vor-Ort-Kontrolle am 24. November 2022 wurde seitens des Amtsveterinärs bestätigt, dass der Antragsteller fünfzehn Rinder in seinem Bestand hält. Bei insgesamt sechs Tieren seien hochgradige klinische Anzeichen von Trichophytie festgestellt worden, wobei davon auszugehen sei, dass auch die anderen Tiere infiziert seien. Es erging die mündliche Anordnung der sofortigen Hinzuziehung eines praktischen Tierarztes, die schriftlich unter dem 30. November 2022 bestätigt wurde.
14
Am 8. Dezember 2022 wurde im Rahmen einer weiteren Kontrolle des Betriebes des Antragstellers festgestellt, dass im Innenbereich drei Boxen mit je drei Rindern belegt waren und die vierte Box leer stand. In der Box im Hof befanden sich drei Rinder, die ebenso wie die Einstreu stark verkotet waren; eine trockene Liegefläche war nicht vorhanden. Im Nebengebäude war eine unbelegte Stallung mit drei Tieren besetzt. Auch hier war die Einstreu mit Ausscheidungen verschmutzt. Insgesamt wurden in der Haltung des Antragstellers fünfzehn Rinder (in fünf Boxen) festgestellt. Die Wasserversorgung war ohne Beanstandung.
15
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2022, zugestellt am 23. Dezember 2023, wurde der Antragsteller aufgefordert, seinen Bestand an Rindern aufgrund des bestandskräftigen eingeschränkten Tierhaltungs- und Betreuungsverbotes bis spätestens 31.01.2023 auf insgesamt neun Rinder zu reduzieren, wobei die Haltung von Jungrindern mit einem Gesamtgewicht von bis zu 1.000 kg gemäß dem Bescheid vom 24.02.2020, Ziffer 3, davon nicht berührt wird (Ziff. 1). Es wurde in Ziff. 2 angeordnet, dass der Antragsteller die Reduzierung des Bestandes nach Ziff. 1 durch geeignete Maßnahmen so zu reduzieren hat, dass gemäß rechtskräftigem Bescheid vom 24.02.2020, Ziffer 3, im Stallbereich 2 (Tiefstreubox) ausschließlich Jungrinder mit einem Gesamtgewicht von nicht mehr als 1.000 kg und gemäß rechtskräftigem Bescheid vom 24.02.2020, Ziffer 4, im Stallbereich 4 (Freilaufboxen) nicht mehr als neun Rinder (maximal drei Rinder pro Freilaufbox) gehalten werden. Zur Überprüfung der unter Ziff. 1 und 2 angeordneten Bestandsauflösung sei den Mitarbeitern des Sachgebiets Veterinärwesen am Landratsamt … ungehinderter Zugang zum Anwesen sowie den darauf befindlichen Gebäuden, die der Tierhaltung dienen, zu gewähren. Gegebenenfalls benötigte Auskünfte seien zu erteilen und eventuell erforderliche Hilfestellungen seien zu leisten (Ziff. 3). Sollte der Antragsteller den Anordnungen unter Ziff. 1 und 2 nicht fristgerecht nachkommen, würden die dort im nicht zulässigen Umfang gehaltenen Rinder im Wege des unmittelbaren Zwangs weggenommen. Der unmittelbare Zwang werde hiermit angedroht (Ziff. 4). Zudem wurde die Einziehung der Rinder für den Fall angekündigt, sollte es zu dem unter Ziff. 4 angedrohten unmittelbaren Zwang kommen und die Rinder weggenommen werden (Ziff. 5). Die sofortige Vollziehung der Ziff. 1, 2, 3 und 5 werde angeordnet (Ziff. 6). Der Antragsteller habe die Kosten des Verfahrens zu tragen (Ziff. 7). Für den Bescheid werde eine Gebühr in Höhe von 100,00 EUR festgesetzt (Ziff. 8).
16
Zur Begründung wurde ausgeführt, bei einer Vorortkontrolle am 5. Oktober 2022 sei durch das Veterinäramt des Landratsamts festgestellt worden, dass der Antragsteller mit der Anzahl der gehaltenen Rinder gegen den rechtskräftigen Bescheid vom 24. Februar 2020 verstoße. Der Antragsteller dürfe nicht mehr als neun Rinder halten und betreuen. Ausgenommen sei nur die Haltung von Jungrindern mit einem Gesamtgewicht von bis zu 1.000 kg im Stallbereich 2. In den inzwischen vier Freilaufboxen halte der Antragsteller insgesamt vierzehn Jungrinder (zweimal vier und zweimal drei Rinder pro Freilaufbox). Bei einer weiteren Kontrolle habe er sich uneinsichtig hinsichtlich des Boxenbesatzes gezeigt. Bei einer erneuen Vorortkontrolle am 10. Oktober 2022 sei festgestellt worden, dass der Antragsteller im Stallbereich 4 in den vier Freilaufboxen noch immer zweimal vier und zweimal drei Rinder pro Freilaufbox halte. Die überprüfte Wasserversorgung der Rinder sei mit knapp über 5 Litern/Minute unter dem Aspekt des Tierschutzes noch ausreichend gewesen. Bei einer Vorortkontrolle am 24. November 2022 sei festgestellt worden, dass der Antragsteller im Stallbereich 4 in den vier Freilaufboxen nunmehr je drei Rinder pro Box halte. Bei sechs Rindern seien zum Teil hochgradige klinische Anzeichen von Trichophytie festgestellt, wobei davon auszugehen sei, dass auch die übrigen Tiere subklinisch infiziert seien. Bei einer Kontrolle am 8. Dezember 2022 sei festgestellt worden, dass im Stallbereich 4 nunmehr drei Boxen mit je drei Rindern belegt gewesen seien, sich im Stallbereich 2 jedoch drei Rinder befunden hätten. Eine unbelegte Stallung im Nebengebäude sei mit drei Rindern besetzt worden, die zuvor im Stallbereich vier untergebracht gewesen seien. Die im Oktober erneut festgestellten Verstöße in der Tierhaltung ließen jedoch eine Erhöhung des Bestandes als nicht vereinbar mit den tierschutzrechtlichen Bestimmungen erscheinen. Auch die festgestellte hochinfektiöse Trichophytie sei ein weiterer Beleg dafür, dass eine Erhöhung des Rinderbestandes nicht möglich sei. Die Wasserversorgung sei ohne Beanstandung gewesen.
17
Rechtsgrundlage für die teilweise Auflösung des Rinderbestandes sei § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. Satz 1 TierSchG. Der Antragsteller habe dem rechtskräftigen Bescheid vom 24. Februar 2020 grob zuwidergehandelt. Bis zur Kontrolle am 8. Dezember 2022 habe der Antragsteller im Stallbereich 4 zwölf statt der erlaubten neun Rinder gehalten. Bei der Kontrolle am 8. Dezember 2022 sei festgestellt worden, dass drei Rinder aus dem Stallbereich 4 im Nebengebäude in einer unbelegten Stallung untergebracht worden seien. Damit halte der Antragsteller zwar im Stallbereich 4 nicht mehr als neun Rinder, verstoße jedoch gegen sein bestandskräftiges eingeschränktes Tierhaltungs- und Betreuungsverbot, wonach nur maximal neun Rinder und Jungtiere von einem Gesamtgewicht von nicht mehr als 1.000 kg im Stallbereich 2 gehalten werden dürfen.
18
Das Betretungsrecht unter Ziff. 3 basiere auf § 16 Abs. 3 Satz 2 TierSchG.
19
Die Anordnung des unmittelbaren Zwangs in Ziff. 4 beruhe auf Art. 19 Abs. 1 und Art. 34 Satz 1 VwZVG. Die Androhung sei sachgerecht, da nicht ersichtlich sei, dass ein anderes Zwangsmittel, wie Zwangsgeld, den gleichen Erfolg hätte.
20
Rechtsgrundlage für die Einziehungsanordnung bilde § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG. Der rechtskräftige Bescheid vom 24. Februar 2020 lege eine Höchstzahl an noch zu haltenden Rindern fest, die auch bei Veränderung der örtlichen Gegebenheiten nicht überschritten werden dürfe. Es seien auch weiterhin Mängel aufgetreten und der Antragsteller sei nicht in der Lage, mehr Rinder tierschutzgemäß zu halten.
21
Die Anordnung des Sofortvollzugs in Ziff. 6 sei im überwiegenden öffentlichen Interesse notwendig, um ordnungsgemäße Zustände zeitnah herzustellen. Bei Abwägung der Interessen des Antragstellers an einer aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs und des öffentlichen Interesses an einer möglichst raschen Schaffung ordnungsgemäßer Haltungszustände der Rinder bzw. der teilweisen Auflösung des Rinderbestandes müssten die Interessen des Antragstellers zurückstehen.
22
Es folgt die Begründung der Kostenentscheidung.
23
Mit Schriftsatz vom 24. Dezember 2022 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch gegen den Bescheid vom 15. Dezember 2022 einlegen, verbunden mit dem Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs zu verfügen. Der Antrag wurde mit Schriftsatz vom 9. Januar 2023 folgendermaßen begründet: Nach dem Bescheid vom 24. Februar 2020 dürfe der Antragsteller drei Rinder pro Freilaufbox im Stallbereich 4 halten. Die vier Freilaufboxen seien bereits nach einem Brand im Jahr 2008 errichtet worden. Dass der Bescheid insoweit widersprüchlich sei, gehe zu Lasten des Landratsamts. Im Ergebnis dürfe der Antragsteller insgesamt zwölf Rinder im Stallbereich 4 halten. Im Stallbereich 2 stünden zwei Rinder mit einem Gesamtgewicht von ca. 600 kg und in einem bisher nicht genutzten Stallbereich, der allerdings voll ausgestattet sei, in dem insbesondere die Wasserversorgung gesichert sei, halte er drei Rinder mit einem Gesamtgewicht von ca. 450 kg. Damit erfülle der Antragsteller die Bedingungen des Bescheides. Es sei daher nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage und in welchem Umfang ihm tatsächlich die Fortnahme und Entziehung angedroht werde. Die Rinder seien inzwischen alle zweifach gegen Trichophytie geimpft. Es bestehe keine Klarheit darüber, was der Bescheid vom 15. Dezember 2022 bezwecken solle; dieser könne nicht Grundlage für behördliche Maßnahmen sein.
24
Der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 15. Dezember 2022 wurde mit Schreiben des Landratsamts vom 11. Januar 2023 abgelehnt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei formell und materiell rechtmäßig ergangen. Anfang Oktober 2022 sei keine ausreichende Wasserversorgung der Tiere gewährleistet gewesen, was seit November/Dezember 2019 der Fall gewesen sei. Der Antragsteller sei erst nach mehreren Kontrollterminen seiner Versorgungspflicht nachgekommen. Derzeit sei die Wasserversorgung zwar nicht zu beanstanden, allerdings weise die weitere Versorgung der Tiere erhebliche Mängel auf. Der Ortstermin am 8. Dezember 2022 habe gezeigt, dass in einer Box im Hof drei Rinder stark verkotet gewesen seien; dies gelte auch für die Einstreu. Eine trockene Liegefläche sei nicht vorhanden gewesen. Bisherige Erklärungsversuche hinsichtlich der Wasserversorgung bagatellisierten die dokumentieren Haltungsbedingungen. Negativ anzulasten sei die Haltung von jeweils drei Rindern in vier Freilaufboxen. Darin liege ein Verstoß gegen den bestandskräftigen Bescheid vom 24. Februar 2020. Aus Ziff. 4 ergebe sich, dass maximal neun Rinder gehalten werden dürfen. Ein Berichtigungsverfahren wegen eines Schreibfehlers sei nicht eingeleitet worden. Jedenfalls sei die Überbelegung spätestens seit den erneut festgestellten Mängeln im Oktober 2022, u.a. in der Wasserversorgung, mit den tierschutzrechtlichen Bestimmungen nicht mehr hinnehmbar. Der Antragsteller habe erst nach Aufforderung durch die Veterinäre aufgrund der im November 2022 festgestellten hochinfektiösen Trichophytie bei sechs Rindern einen Tierarzt konsultiert, sodass eine Impfung habe erfolgen können. Der Antragsteller sei nicht in der Lage, den Gesundheitszustand und die Bedürfnisse seiner Tiere sowie die Dringlichkeit einer tierärztlichen Behandlung eigenverantwortlich und sachgerecht zu beurteilen. Im Ergebnis habe der Antragsteller die gehaltenen Rinder nicht ordnungsgemäß versorgt, sie trotz erheblicher Erkrankungserscheinungen erst nach Aufforderung behandeln lassen und sie nicht art- bzw. verhaltensgerecht untergebracht und betreut, wodurch den Tieren ein nicht unerhebliches Leiden zugefügt worden sei. Eine zwischenzeitliche Verbesserung der Haltungsbedingungen unter dem Druck eines behördlichen Verfahrens sei nicht geeignet, eine grundlegende und nachhaltige Änderung in den Haltungsbedingungen zu belegen. Es sei weiterhin mit einer Tierhaltung zu rechnen, die den tierschutzrechtlichen Anforderungen nicht entspreche. Deshalb sei ein Zuwarten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens nicht zumutbar.
25
Der Widerspruch wurde mit Schreiben vom 2. Februar 2023 der Regierung von … zur Entscheidung vorgelegt. Eine Entscheidung ist bisher nicht ergangen.
26
Mit Schriftsatz vom 13. Februar 2023 ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten beantragen,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15.12.2022 wiederherzustellen.
27
Das Landratsamt beantragte unter dem 20. Februar 2023,
den Antrag abzulehnen.
28
Der Antragsteller verkenne, dass der Umstand, dass die Wasserversorgung der Tiere am 8. Februar 2023 keinen Anlass zur Beanstandung gegeben habe, noch keine positive Zukunftsprognose rechtfertige. Die am 14. Februar 2023 vor Ort festgestellten Zustände belegten keineswegs eine Verbesserung der Haltungsbedingungen. Vielmehr sei ein stark reduzierter Ernährungszustand sowie eine deutliche Wachstumsdepression bei allen Tieren festgestellt worden. Hinzu komme ein schlechter Allgemeinzustand (stark struppiges, schuppiges Fell mit haarlosen Stellen, klinische Anzeichen von Trichophytie). Der schlechte Zustand beruhe auf einer chronischen Unter- und Mangelernährung über einen längeren Zeitraum. Dies erkläre sich durch die stark reduzierte Qualität der Silage (Verfärbungen, Schimmelgeruch, Schimmelnester sichtbar). Darüber hinaus sei der Liegebereich der Tiere stark verkotet und nass aufgefunden worden. Es habe keine trockene Liegefläche zur Verfügung gestanden.
29
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
30
Der Antrag hat Erfolg.
31
1. Der Antrag ist im wohlverstandenen Sinne des anwaltlich vertretenen Antragstellers dahingehend auszulegen, dass dieser die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage in Bezug auf die Ziff. 1, 2, 3 und 5 des Bescheides vom 15. Dezember 2022 und hinsichtlich der Ziffer 4 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (vgl. Art. 21a Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG –) begehrt. Die Klage gegen die Ziff. 7 und 8 (Kostenentscheidung) hat aufschiebende Wirkung, so dass es eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht bedarf.
32
2. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
33
Unter Zugrundlegung dieser Maßstäbe hat der Antrag Erfolg, da der zulässige Widerspruch wohl begründet ist. Der Bescheid des Antragsgegners vom 15. Dezember 2022 erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig.
34
a. Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist – obwohl es sich beim Tierhaltungsverbot um einen Dauerverwaltungsakt handelt – der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Denn der maßgebliche Zeitpunkt ergibt sich aus dem materiellen Recht (vgl. BVerwG, B.v. 23.11.1990 – 1 B 155.90 – juris Rn. 3; U.v. 29.3.1996 – 1 C 28.94 – juris Rn. 15). Ist ein Widerspruchsbescheid jedoch – wie hier – noch nicht ergangen, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes auf die aktuelle Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (SächsOVG, B.v. 11.6.2020 – 3 B 124/20 – juris Rn. 4).
35
b. Die in Ziff. 1 des Bescheides vom 15. Dezember 2022 getroffene Anordnung der Reduzierung des Rinderbestandes auf insgesamt neun Rinder, wovon die Haltung von Jungrindern mit einem Gesamtgewicht von bis zu 1.000 kg gemäß dem rechtskräftigen Bescheid vom 24. Februar 2020, Ziff. 3, nicht berührt wird, erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, da von einem Ermessensfehler in Form eines Ermessensfehlgebrauchs auszugehen ist, welcher nicht durch ein Nachschieben von Ermessenserwägungen geheilt werden kann.
36
aa. Die Anordnung stützt sich ganz wesentlich – so auch explizit im Tenor des Bescheids mit dem Wortlaut „aufgrund des bestandskräftigen Tierhaltungs- und Betreuungsverbotes“ festgehalten – auf einen vorgeblichen Verstoß gegen den bestandskräftigen Bescheid vom 24. Februar 2020, der jedenfalls in der vom Landratsamt angenommenen Form nicht vorliegt. So wurde der streitgegenständliche Bescheid in der Ziff. 1 wie folgt begründet: „Bis zur Vorortkontrolle am 08.12.2022 hat Herr … im Stallbereich 4 zwölf statt der erlaubten neun Rinder gehalten, was einen Verstoß gegen den rechtskräftigen Bescheid vom 24.02.2020 und damit einen Verstoß gegen das eingeschränkte Tierhaltungs- und Betreuungsverbot darstellt. (…) Bereits im Jahr 2020 wurden die Tiere unter tierschutzwidrigen Umständen gehalten, sodass mit Bescheid vom 24.02.2020 die zulässige Höchstzahl an Rindern beschränkt wurde.“
37
Im bestandskräftigen Bescheid des Antragsgegners vom 24. Februar 2020 wurde eine solche zahlenmäßige Beschränkung der Rinderhaltung nicht – wie vom Landratsamt angenommen – angeordnet. Es fehlt eine – sich auf die gesamte Rinderhaltung des Antragstellers beziehende – explizite Festlegung der zulässigen Höchstzahl der Rinder. Vielmehr wurden lediglich Anordnungen zu bestimmten Stallbereichen getroffen. So enthält der Bescheid vom 24. Februar 2020 in Ziff. 1 die Anordnung der Haltungsuntersagung in Bezug auf den Stallbereich 1, in Ziff. 2 die Haltungsuntersagung in Bezug auf den Stallbereich 3, in Ziff. 3 die Haltungsuntersagung von Rindern mit einem Gesamtgewicht von mehr als 1.000 kg im Stallbereich 2 und in Ziff. 4 die Reduktion der Rinderhaltung auf maximal drei Rinder pro Freilaufbox im Stallbereich 4. Eine explizite Haltungsverbotsanordnung in Bezug auf etwaige unbelegte Stallungen im Nebengebäude sowie weitere Boxen im Hof enthält der Bescheid nicht.
38
Richtig ist zwar, dass der Bescheid in Ziff. 4 betreffend den Stallbereich 4 die Haltung „von mehr als neun Rindern (…) (max. 3 Rinder pro Freilaufbox)“ untersagt und damit aufgrund der tatsächlich vorhandenen vier Freilaufboxen, die eine Haltung von insgesamt zwölf Rindern nach dieser Bemessungsgrundlage möglich machen, in sich widersprüchlich ist, was als offenbare Unrichtigkeit im Sinne des Art. 42 BayVwVfG einzustufen ist. Hierauf wurde bereits im Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 24. Februar 2021 (Az. B 1 K 20.325), der den Bescheid vom 24. Februar 2020 zum Gegenstand der gerichtlichen Prüfung hatte, hingewiesen: „Der Kläger hat im Beschwerdeverfahren vorgetragen, dass vier Freilaufboxen im Stallbereich 4 vorhanden sind, so dass nach der Bemessungsgrundlage des Beklagten dort zwölf Rinder untergebracht werden könnten. Dies wurde vom Verwaltungsgerichtshof als zutreffend erachtet, da dies durch den dem Bescheid beigefügten Lageplan bestätigt wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Beschluss vom 14. Juli 2020 in Rn. 17 ausgeführt: „Danach sind vier Freilaufboxen vorhanden (vgl. Anlage zum Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 27.3.2020, GA im Verfahren vor dem VG (B 1 S 20.316), S. 26). Insoweit ist die Ziffer 4 des angefochtenen Bescheids vom 24. Februar 2020 („neun Rinder“) jedoch nicht rechtswidrig, sondern es ergibt sich vielmehr aus dem den Bescheid ergänzenden Plan, dass insoweit ein offensichtliches Schreibversehen vorliegt. In der Sache ist klar, dass drei Tiere pro vorhandener Freilaufbox gemeint sind. Nicht nur aus dem Wortlaut der Ziffer 4. des verfahrensgegenständlichen Bescheids („max. 3 Tiere pro Freilaufbox“), sondern auch aus dessen Begründung geht eindeutig hervor, dass die zahlenmäßige Beschränkung im Stallbereich 4 auf dem Platzangebot in den vorhandenen Freilaufboxen beruht und pro bestehender Freilaufbox maximal drei Rinder gehalten werden können (vgl. Bescheid vom 24.2.2020, S. 7 „entsprechender Platzbedarf“).“ Soweit der Kläger eine Berichtigung dieses Schreibversehens erlangen möchte, ist er auf das Berichtigungsverfahren nach Art. 42 BayVwVfG zu verweisen.“
39
Die Annahme, es handele sich bei dem festgestellten Widerspruch um eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des Art. 42 BayVwVfG führt bei fehlender Korrektur nicht dazu – wie vom Landratsamt offenbar angenommen (vgl. BA Bl. 400) –, dass der Bescheid nunmehr so zu lesen ist, als dass eine Haltungsbeschränkung auf maximal neun Rinder getroffen wurde.
40
Unrichtig ist der Verwaltungsakt, wenn das von der Behörde Gewollte und das im Verwaltungsakt Ausgedrückte nicht übereinstimmen. Dabei kommt es nicht auf das subjektiv Gewollte, sondern auf den erkennbaren Willen an. Zu dessen Feststellung ist der Inhalt des Verwaltungsakts durch Auslegung zu ermitteln (Baer in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 3. EL August 2022, § 42 Rn. 13), so wie es der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 14. Juli 2020 (Az. 23 CS 20.1087 – juris Rn. 17) getan hat. Auch eine Berichtigung würde den Inhalt des Verwaltungsaktes nicht verändern, sondern den Inhalt lediglich klarstellen. Der Verwaltungsakt gilt bei einer offenbaren Unrichtigkeit auch dann mit dem durch Auslegung ermittelten Inhalt, wenn keine Berichtigung erfolgt (Schemmer in BeckOK VwVfG, 58. Edition, Stand 1.1.2023, § 42 Rn. 5). Auf den unrichtigen Text kann sich weder die Behörde selbst noch der Adressat noch ein Dritter berufen. Mithin ist im bestandskräftigen Bescheid vom 24. Februar 2020 von einer zahlenmäßigen Beschränkung der Rinderhaltung im Stallbereich 4 auf maximal zwölf Rinder (3 Rinder in 4 Freilaufboxen) auszugehen.
41
bb. Die Kammer geht des Weiteren nicht davon aus, dass die Ziff. 1 des Bescheides von der Bescheidsbegründung im Übrigen getragen wird. Unter Bezugnahme auf die Feststellung der hochinfektiösen Trichophytie (Glatz- oder Rinderflechte), zu deren prädisponierenden Faktoren eine dicht gedrängte Aufstallung gehört, hielt das Landratsamt in seinem Bescheid vom 15. Dezember 2022 fest, dass „eine Erhöhung des Bestandes nicht vereinbar mit den tierschutzrechtlichen Bestimmungen“ ist. Daraus wird ersichtlich, dass das Landratsamt auch bei dieser Ermessenserwägung von der fehlerhaften Prämisse ausging, dass der bestandskräftige Bescheid vom 24. Februar 2022 eine zahlenmäßige Beschränkung der Rinderhaltung auf maximal neun Rinder anordnet. Dies ist – wie unter 2. b. aa. festgestellt – aber nicht der Fall. Bei Zugrundelegung einer korrekten Tatsachengrundlage wäre im Rahmen der Ausübung des durch § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG eröffneten Ermessens zu prüfen gewesen, ob gegenüber dem bestandskräftigen Bescheid vom 24. Februar 2022 eine Reduzierung der im landwirtschaftlichen Betrieb des Antragstellers zulässigen Anzahl an Rindern angezeigt ist und nicht – wie vom Landratsamt geprüft –, ob eine Erhöhung der zulässigen Gesamtzahl an Rindern in Betracht kommt. Eine ordnungsgemäße und beanstandungsfreie Ermessensausübung hätte in diesem Falle zur Voraussetzung gehabt, dass das Landratsamt auf die Frage eingeht, weshalb der Rinderbestand nunmehr gegenüber der mit bestandskräftigem Bescheid festgelegten zulässigen Anzahl von zwölf Rindern im Stallbereich 4 auf nur noch neun Rinder zu beschränken ist. Zwar kann als Ermessenserwägung hier durchaus auch der Umstand des Ausbruchs der Trichophytie, der unter anderem auf eine dichte Aufstallung zurückgeführt werden kann, als Erwägung für eine solche Bestandsreduktion herangezogen werden, genügt aber – isoliert betrachtet – nicht als Grund für eine so eingriffsintensive Maßnahme. Dies muss umso mehr dann gelten, wenn – wie hier – eine weitere, sich als ermessensleitend herausstellende, aber auf einer fehlerhaften Tatsachengrundlage beruhende Erwägung den Ausschlag für die behördliche Entscheidung gegeben hat.
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cc. Eine Heilung dieses Ermessensfehlers ist nach summarischer Prüfung nicht möglich, da es sich bei der Erwägung, dass der Antragsteller gegen den bestandskräftigten Bescheid vom 24. Februar 2020 verstoßen habe, um eine für die Ziff. 1 so wesentliche Ermessenserwägung handelt, dass sich ein nachträglicher Verzicht hierauf bzw. das Nachschieben weiterer, hiervon unabhängiger Gründe, die für eine Bestandsreduktion der Rinder des Antragstellers sprechen, als eine unzulässige Wesensveränderung des Verwaltungsaktes darstellten.
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Ob ein Nachschieben von Ermessenserwägungen zulässig ist, bestimmt sich nach dem materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht. Grundsätzlich können Ermessenserwägungen im Widerspruchsverfahren nachgeschoben werden. Neue Gründe für einen Verwaltungsakt dürfen nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht allerdings nur nachgeschoben werden, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46/12 – juris Rn. 41 ff.). Zulässig ist das Nachschieben folglich bei Ermessensentscheidungen, wenn die nachgeschobenen Erwägungen als Präzisierung des tragenden Gedankens der ursprünglichen Rechtfertigung zu begreifen sind (Wolff in Wolff/Decker, VwGO, 4. Aufl. 2021, § 113 Rn. 52). Als tragender Gedanke, der dem streitgegenständlichen Bescheid vom 15. Dezember 2022 zugrunde liegt, muss jedoch die Erwägung herausgestellt werden, dass der Antragsteller mit der Haltung von zwölf Rindern gegen den bestandskräftigten Bescheid vom 24. Februar 2020 verstoßen haben soll. Dies ergibt sich nicht nur aus der Begründung des Bescheides, die sich im Wesentlichen auf diesen Aspekt stützt, sondern auch aus dem Bescheidstenor, der ebenfalls auf den bestandskräftigen Bescheid vom 24. Februar 2020 Bezug nimmt („aufgrund des bestandskräftigen eingeschränkten Tierhaltungs- und Betreuungsverbots“). Würde das Nachschieben von weiteren Ermessenserwägungen in diesem Falle zugelassen, so wäre der Bescheidstenor („Herr … hat seinen Bestand an Rindern aufgrund des bestandskräftigen eingeschränkten Tierhaltungs- und Betreuungsverbots bis spätestens 13.01.2023 auf insgesamt neun Rinder zu reduzieren“) nicht mehr mir seiner Begründung in Einklang zu bringen. Nicht zuletzt daran lässt sich eine Wesensveränderung des Verwaltungsaktes bei Zulassung nachträglicher Ermessenserwägungen ersehen.
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Es bleibt dem Antragsgegner jedoch unbenommen, auf Grundlage der weiteren festgestellten Mängel in der Tierhaltung des Antragstellers (stark reduzierter Ernährungszustand der Rinder, deutliche Wachstumsdepression, schlechter Allgemeinzustand, stark reduzierte Qualität der Silage, verkoteter Liegebereich, keine trockene Liegefläche) – mithin auf einer korrekten Tatsachengrundlage – die geeigneten und angemessenen Anordnungen in Bezug auf die Rinderhaltung des Antragstellers zu treffen.
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c. Da die Ziff. 2 (Modalitäten der in Ziff. 1 angeordneten Bestandsreduktion), 3 (Anordnung der Erteilung von Zutrittsrechten zur Überprüfung der in Ziff. 1 und 2 angeordneten Bestandsauflösung), 4 (Androhung unmittelbaren Zwanges) und 5 (Einziehungsankündigung) auf der in Ziff. 1 angeordneten Bestandsreduktion beruhen, greift die im summarischen Verfahren festgestellte Rechtswidrigkeit des Bescheides in Ziff. 1 auf die anderen Ziffern durch, weshalb die aufschiebende Wirkung der Klage vollumfänglich wiederhergestellt bzw. angeordnet wird.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
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4. Die Höhe des Streitwertes richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 35.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57). Hierzu die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 14.7.2020 – 23 CS 20.1087 – Rn. 28: Tierschutzrechtliche Anordnungen bieten „in aller Regel keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine betragsmäßige Bewertung des klägerischen Interesses im Anfechtungsklageverfahren, weshalb insoweit grundsätzlich der Auffangwert gemäß § 52 Abs. 2 GKG anzusetzen ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2019 – 23 C 19.237 – juris Rn. 5; B.v. 2.8.2016 – 9 C 16.909 – juris Rn. 4; B.v. 18.12.2015 – 9 C 15.2235 – juris Rn. 3 m.w.N.; BayVGH, B.v. 6.5.2015 – 9 C 15.695 – juris Rn. 5; B.v. 21.10.2013 – 9 C 11.1244 – juris Rn. 7). Das entspricht auch den Vorgaben des Streitwertkatalogs, der für Klagen gegen tierschutzrechtliche Anordnungen grundsätzlich den Auffangwert vorsieht.“