Inhalt

LArbG München, Beschluss v. 15.02.2023 – 11 Ta 10/23
Titel:

1,5-Einigungsgebühr auch bei PKH-Erstreckung auf Mehrvergleich

Normenketten:
RVG § 33, § 48
RVG VV Nr. 1000, Nr. 1003
ZPO § 321
Leitsätze:
1. Wird Prozesskostenhilfe auch für einen (Mehr-)Vergleich gewährt, so fällt für den beigeordneten Rechtsanwalt jedenfalls seit der am 1.1.2021 in Kraft getretenen Neufassung der Anm. 1 S. 1 Halbs. 2 zu Nr. 1003 VV RVG eine 1,5-Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert an (Anschluss an LAG Nürnberg BeckRS 2022, 43506; BeckRS 2021, 26554; LAG Rheinland-Pfalz BeckRS 2020, 346; LAG Baden-Württemberg BeckRS 2016, 68649; Aufgabe der bisherigen Rspr., s. LAG München BeckRS 2022, 10345; BeckRS 2022, 3882; BeckRS 2021, 52196). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat das Arbeitsgericht jedoch über die Erstreckung auf den Vergleichsschluss oder den Vergleichsmehrwert nicht entschieden, bleibt es bei der Einigungsgebühr für den Streitwert des Verfahrens, wenn nicht innerhalb der Frist des § 321 Abs. 2 ZPO Ergänzung beantragt worden und deshalb die Rechtshängigkeit des übergangenen Erstreckungsantrags entfallen ist (Anschluss an BAG BeckRS 2014, 69407). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Vergleich, Mehrvergleich, Einigungsgebühr, Vergleichsmehrwert, Urteilsergänzung
Vorinstanzen:
ArbG München, Beschluss vom 01.12.2022 – 11 Ca 260/22
ArbG München, Beschluss vom 19.05.2022 – 11 Ca 260/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 16353

Tenor

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei vom 13.12.2022 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichtes München vom 01.12.2022, Az.: 11 Ca 260/22, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Parteien stritten im Ausgangsverfahren über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
2
Mit der Klage wurde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdeführers beantragt.
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Der Rechtsstreit wurde durch Beschluss vom 11.02.2022 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO, nachdem die Parteien dem Gericht übereinstimmend einen Vergleichstext übersandt hatten, der auch weitere streitgegenständliche Ansprüche erfasste, beendet.
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Mit Beschluss vom 14.02.2022 wurde der Streitwert für das Verfahren auf Euro 10.986 und für den Vergleich auf Euro 19.648 festgesetzt.
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Mit Schriftsatz vom 14.02.2022 wurde beantragt, die bereits beantragte Prozesskostenhilfe auch auf den Vergleich und den Vergleichsmehrwert zu erstrecken.
6
Mit Beschluss vom 11.04.2022 wurde Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdeführers bewilligt und dem Beschwerdeführer dieser Beschluss zugesandt, wobei eine Erstreckung der Bewilligung auf den Vergleichsmehrwert nicht erfolgte.
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Der Beschwerdeführer hat daraufhin mit Schriftsatz vom 22.04.2022 die Festsetzung der Vergütung beantragt in Höhe eines Betrages von 1858,78 €. Darin eingeschlossen war eine 1,5 Einigungsgebühr, bezogen auf den Mehrvergleich.
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Mit Beschluss vom 16.05.2022 hat das Arbeitsgericht die Prozesskostenhilfe auf den Vergleichsabschluss erstreckt.
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Mit Beschluss vom 19.05.2022 hat das Arbeitsgericht die zu zahlende Vergütung auf Euro 1621,38 festgesetzt und dabei lediglich eine 1,0 Einigungsgebühr angesetzt. Hiergegen hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt mit Schriftsatz vom 18.07.2022. Die Erinnerung wurde mit Beschluss vom 01.12.2022 zurückgewiesen unter Hinweis auf eine bestehende Rechtsprechung der 6.Kammer des LAG München. Hiergegen hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt mit Schriftsatz vom 13.12.2022, insbesondere unter Berufung auf die Neufassung von § 48 Abs. 1 RVG i.V.m. Nr. 1003 VV RVG.
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Der Beschwerde wurde nicht abgeholfen.
II.
11
Die statthafte Beschwerde ist unbegründet.
12
Die erkennende Kammer hält zwar an der bisherigen Ansicht des LAG München zur Höhe der Einigungsgebühr bezüglich des Mehrwerts eines Vergleichs nicht mehr fest.
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a) Nach Nr. 1000 Abs. 1 VV-RVG entsteht grundsätzlich eine 1,5 Einigungsgebühr. Nach Nr. 1003 VV-RVG beträgt diese Gebühr allerdings nur 1,0, wenn über den Gegenstand ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbstständiges Beweisverfahren anhängig ist. Nach der Anmerkung in Abs. 1 S. 1 zu Nr. 1003 VV RVG gilt die niedrigere Gebühr auch, wenn ein Verfahren über die Prozeßkostenhilfe anhängig ist, allerdings nach dem 2. HS zur Nr. 1003 VV-RVG gilt dies jedoch dann nicht, wenn sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 erstreckt (§ 48 Abs. 1 und 3 RVG).
14
b) Die nunmehr entscheidende Kammer schließt sich unter Aufgabe der von der 6. Kammer des LAG München bisher vertretenen Ansicht der Auffassung an, dass mit der zum 01.01.2021 in Kraft getretenen neuen Rechtslage die Rückausnahme in Anmerkung (1), S. 1, HS.2 zu Nr. 1003 bereits dann eingreift, wenn die Beiordnung sich auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 erstreckt, also der (Mehr-)Vergleich von der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe ausdrücklich erfasst wird.. Auch wenn die Bewilligung der Prozesskostenhilfe und die Beiordnung das gesamte Verfahren einschließlich Vergleichsschluss betrifft und nicht nur den Vergleichsschluss, liegt jedenfalls auch eine Beiordnung des Prozessbevollmächtigten zum Abschluss eines Vertrages nach Nr. 1000 VV-RVG vor (ebenso LAG Nürnberg v. 26.07.2021 – 3 Ta 68/21; v. 29.12.2022 – 5 Ta 24/22; LAG; LAG Rheinland-Pfalz 08.01.2020 – 7 Ta 182/19; LAG Baden-Württemberg 27.04.2016 – 5 Ta 118/15). Dies zeigt insbesondere auch die Verknüpfung zwischen der Anmerkung (1) S.1 2.HS zu Nr.1003 VV RVG und § 48 Abs. 1 RVG. Insbesondere ist dem Wortlaut der Rückausnahme nicht zu entnehmen, dass die erhöhte Gebühr nur dann anfällt, wenn das angerufene Gericht letztlich nicht in Anspruch genommen wird und gewissermaßen als reines „Beurkundungsorgan“ fungiert. Die Honorierung der anwaltlichen Bemühungen, möglichst eine vergleichsweise Regelung herbeizuführen, mit der höheren Gebühr, was ebenfalls ein Zweck der höheren Gebühr ist (vgl. LAG Düsseldorf 13.1.2014 – 13 Ta 342/14) führt bei Vergleichsschluss auch bei Mitwirkung des Gerichtes zu einer erheblichen Arbeitsersparnis (vgl. Gerold/Schmidt RVG 1003,1004 VV Rnr.46a).
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c) Dies steht letzten Endes auch im Einklang damit, dass in § 48 Abs. 1 RVG vorgesehen ist, dass, soweit sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 des Vergütungsverzeichnisses erstreckt, der Anspruch alle gesetzlichen Gebühren und Auslagen, die durch die Tätigkeit entstehen, die zur Herbeiführung der Einigung erforderlich sind, umfasst. In der dortigen Regelung ist neben der Erstreckung der Beiordnung auch die Beschränkung der Beiordnung oder der Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf den Abschluss eines Vertrages im Sinne der Nr. 1000 angesprochen. Daher hätte es nahegelegen, im Rahmen der Rückausnahme in Anmerkung I S. 1 2. HS VV-RVG, soweit eine reine Beschränkung der Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrages im Sinne der Nr. 1000 gewollt gewesen wäre, dies ausdrücklich, wie in § 48 Abs. 1 S. 2 RVG klarzustellen. Nachdem dies dort aber nicht erfolgt ist, sondern rein auf die Erstreckung der Beiordnung abgestellt wird, lässt sich eine Begrenzung auf eine Einigungsgebühr von 1,0 nicht entnehmen. Vielmehr bezieht sich das Wort „lediglich“ nur auf die Antragstellung bezüglich eines selbständigen Beweisverfahrens oder die Protokollierung eines Vergleichs (so auch LAG Düsseldorf 5 Ta 243/14 – 25.09.2014; LAG Rheinland-Pfalz a.a.O.).
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d) Weiter steht dem auch nicht entgegen, dass die Beantragung der Erstreckung der beantragten Prozesskostenhilfe auf den Mehrvergleich erst nach der Beendigung des Verfahrens, die durch den den Vergleich feststellenden Beschluss vom 11.02.2022 herbeigeführt wurde, erfolgte. Denn wenn die Parteien vor der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe einen Vergleich schließen, mit dem weitere, nicht anhängige Streitgegenstände erledigt werden, ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein Pkh-Antrag, quasi konkludent, auch den Mehrvergleich erfassen soll (BAG 30.04.2014 – 10 AZB 13/14).
17
Jedoch erfolgte durch das Arbeitsgericht mit dem ersten Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 11.04.2022 noch keine Erstreckung auf den Vergleichsschluss oder den Vergleichsmehrwert. Dies muss aber wegen der bindenden Wirkung für den Vergütungsanspruch des Rechtsanwaltes (§ 48 Abs. 1 RVG) und der Vermeidung von Unklarheiten im Vergütungsfestsetzungsverfahren klar aus dem Bewilligungs- und Beiordnungsbeschluss hervorgehen, nämlich entweder aus dem Beschlusstenor oder der Begründung (BAG a.a.O.). Beides ist nicht der Fall. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Arbeitsgericht nur einen Teilbeschluss erlassen wollte, zumal der Beschwerdeführer bereits mit dem 22.04.2022 die Festsetzung der Vergütung beantragte. Nachdem das Arbeitsgericht also über die Erstreckung auf den Vergleichsschluss und Vergleichsmehrwert zu diesem Zeitpunkt nicht entschieden hatte, hätte der Beschwerdeführer innerhalb der Frist des § 321 Abs. 2 ZPO Ergänzung beantragen müssen. Nachdem dies nicht der Fall war, entfiel die Rechtshängigkeit des übergangenen Erstreckungsantrages (s. BAG a.a.O.). Der Beschluss des Arbeitsgerichtes vom 16.05.2022 lief daher leer. Somit besteht insoweit keine Erstreckung auf den Vergleichsschluss und Vergleichsmehrwert und damit konnte die Beschwerde mangels Erfüllung der Voraussetzungen der Anm. (1) S.1 2.HS zu Nr.1003 VV RVG keinen Erfolg haben.
18
Die Entscheidung ergeht kostenfrei (§ 56 Abs. 2 S. 2, 3 RVG) und ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).