Titel:
Verwaltungsrechtsweg, öffentlich-rechtlicher Vertrag über Grundabtretung zur teilweisen Sicherung der Erschließung, Erschließungsbeitrag, Vorausleistung, Zahlungsbefehl, Anrechnung der Gegenleistung für die Grundabtretung auf den Zahlungsbefehl, Vertrag vom 9. März 1964, Bestimmung der Gegenleistung, Bestimmungsrecht der Beklagten, Bestimmung nach billigem Ermessen, Zeitablauf von 50 Jahren bis zur Erschließung, keine Bestimmung der Gegenleistung durch das Gericht
Normenketten:
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
BGB § 315 Abs. 1
BGB § 315 Abs. 2
BGB § 315 Abs. 3 S. 1
BGB § 315 Abs. 3 S. 2
BayBO 1901 § 62
BauGB § 128
Schlagworte:
Verwaltungsrechtsweg, öffentlich-rechtlicher Vertrag über Grundabtretung zur teilweisen Sicherung der Erschließung, Erschließungsbeitrag, Vorausleistung, Zahlungsbefehl, Anrechnung der Gegenleistung für die Grundabtretung auf den Zahlungsbefehl, Vertrag vom 9. März 1964, Bestimmung der Gegenleistung, Bestimmungsrecht der Beklagten, Bestimmung nach billigem Ermessen, Zeitablauf von 50 Jahren bis zur Erschließung, keine Bestimmung der Gegenleistung durch das Gericht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 16339
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger ist Miteigentümer der Grundstücke Fl.Nrn. …2/1 und …2 der Gemarkung W., welche an der … Straße gelegen sind. Die Beklagte hat Baumaßnahmen an der … Straße vorgenommen. Die Beteiligten streiten im Rahmen diesbezüglicher Bescheide zur Erhebung von Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag um die Höhe der Anrechnung einer Entschädigung für eine frühere Grundstücksabtretung auf die Vorausleistung.
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Der Großvater des Klägers, E. R., sowie dessen Bruder V. R. und dessen Ehefrau S. R. beabsichtigten Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts die Bebauung des damaligen Grundstücks Fl.Nr. …2 der Gemarkung W., welches nahe der damaligen V. Landstraße gelegen war. Für dieses Bauvorhaben war die Erschließung noch nicht gesichert.
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„Um diese Voraussetzung teilweise zu erfüllen“, traten E., V. und S. R. mit notarieller Urkunde vom … … 1964 der Beklagten vorbehaltlich der geometrischen Vermessung aus dem Grundstück Fl.Nr. …2 den zur Herstellung der Erschließungsanlagen der … Straße erforderlichen Straßengrund von ca. 15 m² „als Vorausleistung nach § 133, Abs. 3, Satz 1 BBauG in Verbindung mit § 13 der Erschließungsbeitragssatzung der Stadt Würzburg vom 21. Juni 1961“ ab.
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In der notariellen Urkunde ist weiterhin geregelt: „Die Abtretung erfolgt gegen spätere Entschädigung gemäß den Bestimmungen des Bundesbaugesetzes und der Erschließungsbeitragssatzung unter entsprechender Anrechnung auf den für das Baugrundstück zu zahlenden Erschließungsbeitrag. Der Wert der abgetretenen Teilfläche wird nur für die Gebührenbewertung mit 10,- DM je qm angegeben.“ Unter der Ziffer V. „Weitere Bedingungen“ verpflichteten sich E., V. und S. R. gegenüber der Beklagten unter anderem dazu, bei Inanspruchnahme der abgetretenen Flächen diese ohne Entschädigung freizulegen und zu räumen, bis zum Ausbau der Straße auf eigene Kosten zum Baugrundstück eine geeignete Zufahrt und Zugang selbst herstellen zu lassen, diese zu er- und unterhalten und keine diesbezüglichen Ansprüche gegen die Beklagte geltend zu machen sowie beim späteren endgültigen Ausbau der Straße alle am Anwesenszugang und an allen damit im Zusammenhang stehenden Anlagen erforderlich werdenden Änderungen auf ihre Kosten, ohne Anspruch auf Kostenersatz oder Entschädigung, ausführen zu lassen. Zugleich bewilligten E., V. und S. R. der Beklagten eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit des Inhalts, die Anlage von Straßenböschungen auf ihrem Grundstück unentgeltlich zu dulden, falls solche durch den Straßenbau notwendig werden würden.
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Mit Messungsanerkennung und Auflassung vom … … 1965 zum Vertrag über die Abtretung von Straßengrund vom … … 1964 wurde eine Teilfläche von 35 m² veräußert.
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Ab dem Jahr 2014 nahm die Beklagte an der … Straße Baumaßnahmen zu deren erstmaliger endgültiger Herstellung vor und informierte die betroffenen Grundstückseigentümer über die diesbezügliche Erhebung von Erschließungsbeiträgen. In diesem Rahmen bat der Kläger um Überprüfung und Mitteilung der Höhe der Entschädigung auf der Grundlage des notariellen Vertrages vom … … 1964/ … … 1965.
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Mit Schreiben vom 4. September 2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Grundabtretung sei eine Voraussetzung zur Erteilung der Baugenehmigung gewesen. Dies sei zum damaligen Zeitpunkt ein übliches und rechtmäßiges Handeln gewesen, vor 1960 seien solche Abtretungen noch unentgeltlich geleistet worden. Für die anzusetzende Entschädigung sei nicht der heutige Verkehrswert heranzuziehen, sondern der Bodenwert bei Abschluss des Grundabtretungsvertrages, also 10,00 DM/m². Da die Grundabtretung als Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag gelte, scheide eine Verzinsung aus.
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Mit Bescheid vom 23. Februar 2017 erhob die Beklagte vom Kläger als Miteigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …2/1 der Gemarkung W. eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die erstmalige und endgültige Herstellung der Erschließungsanlage … Straße in Höhe von 9.996,41 EUR und führte zugleich zur Beitragsberechnung aus, die Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag betrage 10.134,46 EUR. Von der vormaligen Abtretungsfläche von 35 m² entfielen auf das nunmehrige Grundstück Fl.Nr. …2/1 27 m². Der Bodenrichtwert für die Jahre 1964/1965 sei mit 10,00 DM pro m² ermittelt worden. Somit ergäben sich 270,00 DM, also 138,05 EUR als Anrechnung auf die Vorausleistung. Die noch offene Vorausleistung reduziere sich somit auf 9.996,41 EUR.
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Zugleich erhob die Beklagte vom Kläger als Miteigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …2/2 mit Bescheid vom 23. Februar 2017 eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von 13.968,51 EUR und führte zugleich zur Beitragsberechnung aus, die Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag betrage 14.009,41 EUR. Von der vormaligen Abtretungsfläche von 35 qm entfielen auf das nunmehrige Grundstück Fl.Nr. …2/2 8 qm. Der Bodenrichtwert für die Jahre 1964/1965 sei mit 10,00 DM pro qm ermittelt worden. Somit ergäben sich 80,00 DM, also 40,90 EUR als Anrechnung auf die Vorausleistung. Die noch offene Vorausleistung reduziere sich somit auf 13.968,51 EUR.
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Gegen beide Bescheide erhob der Kläger am 22. März 2017 Widerspruch, den die Regierung von Unterfranken mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2020 zurückwies. Dies wurde damit begründet, die Auslegung von Sinn und Zweck des Notarvertrages ergebe, dass die Beklagte diese Vertragsgestaltung gewählt habe, um Grund und Boden zu erwerben, ohne dafür direkt zahlen zu müssen; der Anlieger verringere so die zukünftige Beitragsschuld. Die Angabe zur Gebührenbewertung sei deshalb erforderlich gewesen, weil die Entschädigungszahlung nicht sofort zur Zahlung fällig gewesen sei, sondern mit einer zukünftigen Forderung der Beklagten habe verrechnet werden sollen. Aus der gewählten Formulierung hinsichtlich des Wertes der abgetretenen Teilfläche könne jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass die Entschädigungssumme höher als 10,00 DM pro m² sei.
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II. Am 13. Juli 2020 erhob der Kläger Klage im vorliegenden Verfahren W 3 K 20.896 gegen die Bescheide vom 23. Februar 2017 über die Erhebung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die erstmalige und endgültige Herstellung der Erschließungsanlage … Straße für Grundstück Fl.Nr. …2/1 und für Grundstück Fl.Nr. …2/2 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken vom 5. Juni 2020 und wandte sich in diesem Zusammenhang gegen die Höhe der von der Beklagten festgesetzten Entschädigung für die mit Vertrag vom 9. März 1964 erfolgte Grundabtretung.
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Mit Beschluss vom 14. Juni 2020 trennte das Gericht vom vorliegenden Verfahren W 3 K 20.896 das Begehren des Klägers, soweit es sich auf Grundstück Fl.Nr. …2/2 der Gemarkung W. bezieht, ab und führte es unter dem Aktenzeichen W 3 K 20.897 fort.
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Mit Beschluss vom 9. März 2023 trennte das Gericht vom vorliegenden Verfahren W 3 K 20.896 das Begehren des Klägers festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken vom 5. Juni 2020 insoweit rechtswidrig war, als ein höherer Zahlungsbefehl von 4.872,43 EUR ausgesprochen wird, ab und führte dieses Verfahren unter dem Aktenzeichen W 3 K 20.309 fort.
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Der Kläger beantragte im vorliegenden Verfahren zuletzt:
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Die Gegenleistung für die im notariellen Vertrag vom … … 1964 zwischen den Rechtsvorgängern des Klägers und der Beklagten vereinbarte Grundabtretung wird auf 200,00 EUR/m² bestimmt.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, mit notariellem Vertrag vom … … 1964 und mit Messungsanerkennung und Auflassung vom 12. Juli 1965 sei die Abtretung einer Teilgrundstücksfläche vereinbart worden, um die noch nicht erfolgte Erschließung zu sichern. Die Ersterschließung sei allerdings erst 50 Jahre später in Angriff genommen worden. Die Inanspruchnahme des Klägers auf Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag unter Verrechnung der von der Beklagten geschuldeten Entschädigungsleistung mit einem Verkehrswert von 10,- DM je m² sei rechtswidrig. In dem notariellen Vertrag sei gerade nicht von einem Verkehrswert von 10,- DM je m² als Entschädigung ausgegangen worden. Andernfalls hätte man im Abtretungsvertrag diesen Betrag als Entschädigungsleistung festgehalten. Stattdessen habe man festgehalten, dass dieser Verkehrswert nur für die Gebührenberechnung angesetzt werden solle. Zudem sei zu beachten, dass die Übernahme der möglichen Folgekosten nur dann vertretbar sei, wenn auch ein adäquater Verkehrswert zum Zeitpunkt der Baumaßnahme als Grundlage der Entschädigungsleistung für das auf den Grundstückseigentümer abgewälzte Kostenrisiko erfolge. Nehme man aber das Gegenteil an, sei der Notarvertrag sittenwidrig.
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Die Beklagte beantragte,
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Zur Begründung wurde vorgetragen, der Vorausleistungsbescheid sei rechtmäßig, der Kläger werde nicht in seinen Rechten verletzt.
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Die Beklagte habe im Zusammenhang mit der endgültigen Herstellung der … Straße für den Grunderwerb nur einen Kaufpreis von maximal 80,00 EUR/m² bezahlt. Eine Gegenleistung für die Grundabtretung in Höhe von 200,00 EUR/m² komme schon allein deshalb nicht in Betracht. Demgegenüber seien vielfach auch deutlich geringere Grundstückspreise bezahlt worden.
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Im Übrigen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9. März 2023, auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien, auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten der Beklagten und der Regierung von Unterfranken sowie auf den Inhalt der Gerichtsakten W 3 K 20.897 und W 3 K 23.309, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das Begehren des Klägers, die Bestimmung der Gegenleistung für die im zwischen seinen Rechtsvorgängern und der Beklagten geschlossenen notariellen Vertrag vom … … 1964 vereinbarte Grundabtretung durch Urteil des Gerichtes auf 200,00 EUR/m² zu treffen. Dies ergibt sich aus dem klägerischen Vorbringen und insbesondere aus der entsprechenden Klarstellung in der mündlichen Verhandlung am 9. März 2023.
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Im Rahmen seiner am 17. März 2020 erhobenen Klage hat der Kläger in verschiedenen Schriftsätzen deutlich gemacht, dass er sich nicht gegen die Festsetzung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die erstmalige und endgültige Herstellung der … Straße zu Lasten seines Grundstückes FlNr. …2/1 als solcher wendet. Vielmehr hat er klargestellt, dass er sich lediglich gegen die Höhe des Zahlungsbefehls wendet, dies deswegen, weil er der Auffassung ist, auf die Vorausleistung hätte ein höherer Betrag als 138,05 EUR (270,00 DM) als Gegenleistung für die mit Vertrag vom … … 1964 vereinbarte Grundabtretung angerechnet werden müssen. Hierbei hat er einen Betrag von 200,00 EUR/m² genannt.
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In diesem Zusammenhang hat er mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2021 deutlich gemacht, dass Streitgegenstand auch die Höhe der von der Beklagten zu zahlenden Entschädigung für die abgetretene Grundstücksfläche ist und somit die Leistungsverpflichtung, die die Beklagte aus dem Vertrag im Rahmen der Erhebung von Erschließungsbeiträgen zu erfüllen hat. Damit geht es dem Kläger – und dies hat er in der mündlichen Verhandlung klargestellt und bestätigt – zum einen um die Bestimmung der Höhe der Gegenleistung für die mit Vertrag vom … … 1964 vereinbarte Grundabtretung und in der Folge zum anderen um die Höhe des Zahlungsbefehls im Bescheid vom 23. Februar 2017, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Höhe der Gegenleistung aus dem Vertrag vom … … 1964 steht, dies deshalb, weil die Gegenleistung auf die Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag anzurechnen ist.
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Das Gericht hat mit Beschluss vom 9. März 2023 das Begehren des Klägers, soweit es sich auf die Höhe des Zahlungsbefehls im Bescheid vom 23. Februar 2017 richtet, vom vorliegenden Verfahren abgetrennt und unter dem Aktenzeichen W 3 K 23.309 fortgeführt, sodass als alleiniger Gegenstand des vorliegenden Verfahrens W 3 K 20.896 das Begehren des Klägers, die Höhe der Gegenleistung aus dem Vertrag vom … … 1964 gerichtlicherseits auf 200,00 EUR/m² zu bestimmen, verbleibt.
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2. Die so verstandene Klage ist zulässig, insbesondere ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
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Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dabei erscheint der Klageanspruch als öffentlich-rechtlich, wenn der beklagten Behörde ein (auch schlicht) hoheitliches Handeln abverlangt wird, selbst wenn die Anspruchsgrundlage für sich gesehen privatrechtlicher Natur ist (Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 40 Rn. 32 m.w.N). Verwaltungshandeln kann auch dann dem öffentlichen Recht zugeordnet werden, wenn sich die Behörde der Form des Vertrages bedient. Denn für die Zuordnung eines Vertrages zum öffentlichen oder privaten Recht kommt es auf seinen Gegenstand und seinen Zweck an. Die Rechtsstellung der Vertragsschließenden ist dabei nicht entscheidend. Ein Vertrag ist dem öffentlichen Recht zuzuordnen, wenn sein Gegenstand sich auf von der gesetzlichen Ordnung öffentlich-rechtlich geregelte Sachverhalte bezieht. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn der Vertrag in einem engen und untrennbaren Zusammenhang mit einem nach Normen des öffentlichen Rechts zu beurteilenden Sachverhalt steht, dies zum Beispiel dann, wenn der Vertragsgegenstand jedenfalls bis zu einem gewissen Maße durch eine öffentlich-rechtliche Vorschrift vornormiert ist. Dies ist beispielsweise im Baurecht weitgehend der Fall (Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 40 Rn. 68), ebenso bei einem Vertrag über eine vorzeitige Erschließung (BVerwG, U.v. 22.08.1975 – IV C 7.73 – juris Rn. 16 ff.).
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Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der notarielle Vertrag vom … … 1964 über die Abtretung von Straßengrund als öffentlich-rechtlicher Vertrag einzustufen. Dies ergibt sich daraus, dass mit ihm als Instrument die Erschließung für das von den Rechtsvorgängern des Klägers beabsichtigte Bauvorhaben auf dem damaligen Grundstück Fl.Nr. …2 zumindest teilweise gesichert werden sollte (vgl. die entsprechende Formulierung in Ziff. II. des Vertrages). Zu diesem Zweck wurde die Abtretung von Grund und Boden vereinbart, der zur Herstellung der Erschließungsanlage … Landstraße (nunmehr … Straße) als Straßengrund erforderlich war. Die Abtretung galt als Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag und erfolgte „gegen spätere Entschädigung […] unter entsprechender Anrechnung auf den für das Baugrundstück zu zahlenden Erschließungsbeitrag“ (Vertrag vom … … 1964, Ziff. II. a.E.). Damit hat der Vertrag eine eindeutige Beziehung zum Baurecht und zum Erschließungs- und Erschließungsbeitragsrecht und ist deshalb öffentlich-rechtlicher Natur, sodass der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet und die Klage als allgemeine Leistungsklage zulässig ist (vgl. hierzu auch Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 18 Rn. 59 m.w.N.), dies in der besonderen Form der Gestaltungsklage (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 42 Rn. 69; Rieble in Staudinger, BGB Stand: 31.3.2022, § 315 Rn. 582).
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3. Allerdings ist die Klage unbegründet.
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Der Kläger hat keinen Anspruch aus Art. 62 Satz 2 BayVwVfG i.V.m. § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 BGB auf Bestimmung der Gegenleistung der Beklagten für die Grundabtretung der Rechtsvorgänger des Klägers im notariellen Vertrag vom … … 1964 auf eine Höhe von 200,00 EUR/m².
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Soll im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages die Leistung durch einen der Vertragsschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel nach § 315 Abs. 1 BGB anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist. Nach § 315 Abs. 2 BGB erfolgt die Bestimmung durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 1. Halbs. BGB die Bestimmung durch Urteil getroffen.
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Voraussetzung für eine Bestimmung der Leistung aus dem Vertrag durch Urteil gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 1. Halbs. BGB ist es somit, dass einer Vertragspartei das Recht eingeräumt ist, die Leistung nach billigem Ermessen zu bestimmen und die in Ausübung dieses Rechtes erfolgte Bestimmung nicht der Billigkeit entspricht. Letztere Voraussetzung liegt indes nicht vor, sodass der Kläger keinen Anspruch darauf hat, dass das Gericht die Bestimmung der Leistung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 BGB trifft. Zwar gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Beklagten auf der Grundlage des Vertrags vom … … 1964 das Leistungsbestimmungsrecht für die Gegenleistung zusteht, dass sie dieses Recht jedoch ordnungsgemäß entsprechend billigem Ermessen ausgeübt hat.
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Dies ergibt sich aus Folgendem:
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a) Im vorliegenden Fall ist die Höhe der Gegenleistung im Vertrag vom … … 1964 nicht bestimmt worden.
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Schließen zwei Parteien einen – auch öffentlich-rechtlichen – Vertrag, so muss in entsprechender Anwendung (Art. 62 Satz 2 BayVwVfG) nach § 241 Abs. 1 BGB der Inhalt der Leistung und der Gegenleistung bestimmt oder zumindest eindeutig bestimmbar sein (Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 241 Rn. 3). Im vorliegenden Fall haben die Rechtsvorgänger des Klägers mit der Beklagten mit Vertrag vom … … 1964, ergänzt mit Vertrag vom 12. Juli 1965, die Abtretung von 35 m² Grund und Boden als Bauland für die Herstellung der Erschließungsanlage … Straße vereinbart. Als Gegenleistung haben sie eine finanzielle Entschädigung vereinbart, die auf den künftig für das Baugrundstück zu zahlenden Erschließungsbeitrag anzurechnen ist. Dies ist nicht zu beanstanden, denn es kann auch Gegenstand eines derartigen Vertrages sein, zweckgerichtet Leistungen auf einen künftig entstehenden Erschließungsbeitrag zu erbringen (Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 10. Auflage 2018, § 21 Rn. 65; Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 18 Rn. 60).
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In diesem Vertrag ist die Leistung der Rechtsvorgänger des Klägers unter Berücksichtigung der Messungsanerkennung vom 12. Juli 1965 hinreichend bestimmt im Sinne des § 241 Abs. 1 BGB. Demgegenüber lässt sich dem Vertrag die konkrete Gegenleistung nicht hinreichend genau entnehmen. In seiner Ziff. II. ist lediglich Folgendes festgehalten: „Die Abtretung erfolgt gegen spätere Entschädigung gemäß den Bestimmungen des Bundesbaugesetzes und der Erschließungsbeitragssatzung unter entsprechender Anrechnung auf den für das Baugrundstück zu zahlenden Erschließungsbeitrag. Der Wert der abgetretenen Teilfläche wird nur für die Gebührenbewertung mit 10,- DM je qm angegeben.“ Hieraus wird lediglich deutlich, dass die Gegenleistung aus einer Geldleistung besteht, die jedoch nicht alsbald fällig ist und ausgezahlt wird, sondern die auf den für das Grundstück in Zukunft festzusetzenden Erschließungsbeitrag anzurechnen ist, sodass der Sache nach zwar der festzusetzende Erschließungsbeitrag selbst unberührt bleibt, der Zahlungsbefehl sich jedoch um die Höhe der Gegenleistung für die Grundabtretung verringert. Demgegenüber ist dem Vertrag keine konkrete Festlegung der Höhe der Gegenleistung (in DM/m²) zu entnehmen.
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In diesem Zusammenhang ist zunächst die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des damaligen Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 in den Blick zu nehmen.
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Vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 durften in Bayern nach § 62 Abs. 3 BayBO 1901 Bauausführungen in neuen Bauanlagen erst dann bewilligt werden, wenn die Herstellung des Straßenkörpers, wozu auch der Grunderwerb zählte, gesichert oder wenigstens Sicherheit für die Herstellung geleistet war. Die Grundabtretung fiel einem vor Erteilung der Baugenehmigung abzuschließenden Übereinkommen mit der Gemeinde anheim (§ 62 Abs. 1 BayBO 1901). Diese Grundabtretung war gemäß der damaligen Gesetzeslage unentgeltlich. Demzufolge entstand der Gemeinde kein Aufwand, der bei der Ermittlung des erschließungsbeitragsfähigen Aufwands berücksichtigt werden konnte (Matloch/Wiens, das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand: 72. AL, 16. Update, 4. Behandlung altrechtlicher entgeltlicher Abtretungen, Rn. 140). Im Gegenzug durften die Anlieger damit rechnen, dass sie keine Beiträge zu den Kosten des Straßenlandes zu entrichten brauchten, das die Gemeinde von anderen Anliegern etwa entgeltlich erwarb (Matloch/Wiens, aaO., Rn. 143). Kam es vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes nicht mehr zum Abschluss der Straßenbaumaßnahmen, sodass weitere, noch benötigte Straßenflächen nunmehr entgeltlich zu erwerben waren und die Erwerbskosten in den umlagefähigen Aufwand eingingen, konnte dies im Rahmen der Erschütterung der Geschäftsgrundlage für die Grundabtretung einen Anspruch auf ein nachträgliches Entgelt nach sich ziehen, das auf die Vorausleistung bzw. den Erschließungsbeitrag anzurechnen wäre (BayVGH, B.v. 3.4.2009 – 6 ZB 07.2049 – juris Rn. 17).
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Demgegenüber umfasst ab dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes vom 30. Juni 1961 der auf die Eigentümer der durch die Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücke umzulegende Anteil nach Maßgabe des Bundesbaugesetzes (nunmehr Baugesetzbuch) gemäß dessen § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 die Kosten für den Erwerb der Flächen für die Erschließungsanlage.
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Vor dem Hintergrund der bis zum 29. Juni 1961 gültigen Rechtslage ist festzustellen, dass der Vertrag vom … … 1964 noch Grundzüge dieser Rechtslage in sich trägt. Dies ergibt sich schon aus dessen Intention, die Erschließung für das zu bebauende Grundstück Fl.Nr. …2 dadurch zu sichern, dass die Rechtsvorgänger des Klägers der Beklagten den für die Herstellung der Erschließungsanlage vor deren Grundstück entsprechend erforderlichen Grund und Boden abtraten. Auch die in Ziffer V. des Vertrages enthaltenen weiteren Bedingungen machen deutlich, dass die damaligen Grundstückseigentümer auf eigene Kosten alles dafür zu tun hatten, um die straßenmäßige Anbindung des Grundstückes technisch und rechtlich sicherzustellen, dies sowohl vor als auch nach erstmaliger endgültiger Herstellung der Erschließungsanlagen; zudem hatten sie alles dafür zu tun, um die Herstellung der Erschließungsanlage selbst rechtlich und technisch zu ermöglichen.
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Insbesondere im Gegensatz zu den detailliert geregelten Pflichten der damaligen Grundstückseigentümer in Ziff. V. des Vertrages, die in direktem Zusammenhang mit dem gesamten Bauvorhaben und der zu dessen Erschließung erforderlichen Grundabtretung standen, verhält sich die Formulierung im vorletzten Satz der Regelungen in Ziffer II. des Vertrages nicht direkt zur Höhe der mit dem künftigen Erschließungsbeitrag zu verrechnenden Entschädigung für die Grundabtretung. Vielmehr nimmt sie lediglich Bezug auf die „Bestimmungen des Bundesbaugesetzes und der Erschließungsbeitragssatzung“. Allerdings ist in den einschlägigen Regelungen des Bundesbaugesetzes vom 23. Juni 1960 (BGBl. I S. 341), insbesondere in dessen §§ 123 bis 135 und 180, keine Bestimmung erkennbar, die sich mit der Höhe einer Entschädigung für eine für die Herstellung der Erschließungsanlage erforderliche Abtretung von Grund und Boden beschäftigt. § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBauG regelt lediglich, dass der Erschließungsaufwand unter anderem die Kosten für den Erwerb der Flächen für die Erschließungsanlagen umfasst, ohne sich mit der Höhe dieser Kosten auseinanderzusetzen. Auch die in § 180 BBauG enthaltene Überleitungsvorschrift von der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes gültigen Rechtslage zu der des Bundesbaugesetzes hilft nicht weiter. Denn sie beschäftigt sich in Absatz 1 lediglich mit der Situation, in der die Beitragspflicht vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes entstanden, aber noch nicht geltend gemacht worden ist und in der Folge in Absatz 4 mit der Problematik nachträglicher Geländeabtretungen und deren Wertberechnung. Dies trifft allerdings nicht den vorliegenden Fall, in welchem die Grundabtretung nicht unentgeltlich erfolgt ist.
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Auch der Satzung der Beklagten über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen vom 21. Juni 1961 (EBS 1961) sind keine Hinweise auf die Höhe von Entschädigungen für Grundabtretungen zu entnehmen. Insbesondere beschäftigt sich deren § 4 Abs. 1 Satz 2 mit unentgeltlichen Grundabtretungen. § 15 Abs. 2 EBS 1961 hebt auf die hier nicht einschlägige Übergangsregelung des § 180 BBauG ab.
42
Damit ist den genannten Unterlagen nichts über die Höhe einer späteren Entschädigung für die Grundabtretung zu entnehmen, sodass die Parteien keine konkrete Bestimmung der Gegenleistung für die Grundabtretung getroffen haben.
43
Entgegen der Meinung der Beklagten enthält auch der letzte Satz in Ziffer II. des Vertrages vom … … 1964 keinen Hinweis auf die Höhe der Gegenleistung. Hier heißt es lediglich: „Der Wert der abgetretenen Teilfläche wird nur für die Gebührenbewertung mit 10,- DM/m² angegeben.“ Diese Formulierung macht deutlich, dass sie ausschließlich darauf abzielt, einen Gegenstandswert für die Berechnung der notariellen Gebühren für die Beurkundung des Vertrages festzulegen. Dies ergibt sich aus den Worten „nur für die Gebührenbewertung“. Dies macht deutlich, dass diese Bestimmung gerade nicht die Höhe der Gegenleistung für die Grundabtretung festlegen sollte. Hinzu kommt die Tatsache, dass für den Vertragsabschluss ein Vordruck verwendet worden ist, in welchem die konkreten Angaben in individualisierter Hinsicht nachträglich maschinenschriftlich eingefügt worden sind. Dieser Vordruck hinterlässt den Eindruck, dass er für eine Vielzahl derartiger vergleichbarer Grundabtretungen entworfen worden ist. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass der letzte in Ziffer II. des Vertrages enthaltene Satz zur Gänze maschinenschriftlich individuell ergänzt worden ist. Dies zeigt, dass die Festlegung eines Wertes der abgetretenen Fläche im Rahmen der Bestimmung der Gegenleistung gerade nicht standardmäßig vorgesehen war und dieser Satz bewusst in dem genannten Duktus eingefügt worden ist, nämlich um die Höhe der Gegenleistung weiter offenzuhalten und allein dem Notar eine Basis für seine Gebührenabrechnung zu verschaffen.
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Aus alledem ergibt sich, dass die Gegenleistung für die Grundabtretung im Vertrag vom … … 1964 nicht bestimmt worden ist.
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b) Jedoch steht der Beklagten auf der Grundlage dieses Vertrages ein Leistungsbestimmungsrecht zu.
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Ist eine der Leistungen in einem gegenseitigen Vertrag nicht bestimmt worden, muss sie wenigstens bestimmbar sein; andernfalls ist das Schuldverhältnis unwirksam (Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 241 Rn. 3). Bestimmbar ist eine Leistung auch dann, wenn die Bestimmung einem der Vertragspartner vorbehalten wird. Dies ergibt sich aus § 315 Abs. 1 Satz 1 BGB, wo vorausgesetzt wird, dass eine Leistung durch einen der Vertragsschließenden bestimmt werden kann. Voraussetzung hierfür ist jedoch eine – ausdrückliche oder stillschweigende – Einigung der Parteien darüber, dass eine derartige Bestimmung erfolgen soll (Grüneberg, aaO., § 315 Rn. 1 m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall. Zwar ist in Ziffer II. des Vertrages vom 9. März 1964 keine ausdrückliche Regelung enthalten, dass einer der Vertragsparteien das Bestimmungsrecht hinsichtlich der Höhe der Gegenleistung zustehen soll; allerdings ist dies stillschweigend im Vertrag vorausgesetzt. Denn der vorletzte Satz in Ziffer II. des Vertrages legt fest, dass die Grundabtretung gegen spätere Entschädigung unter entsprechender Anrechnung auf den für das Baugrundstück zu zahlenden Erschließungsbeitrag erfolgt. Hieraus wird der Wille beider Parteien deutlich, die Höhe der Gegenleistung im Zusammenhang mit der Erhebung von Erschließungsbeiträgen zu bestimmen. Denn eine „Anrechnung“ kann nur dann erfolgen, wenn zuvor bestimmt worden ist, was angerechnet werden soll. Hieraus wird das stillschweigende Übereinkommen beider Vertragspartner deutlich, die Höhe der Gegenleistung im Rahmen der Erhebung von Erschließungsbeiträgen festzulegen. Zugleich geht aus dieser Regelung die Übereinkunft hervor, dass das Bestimmungsrecht der Schuldnerin der Gegenleistung also der Beklagten, zustehen soll. Auch dies ergibt sich aus dem Begriff „Abrechnung“, der sich auf den zu erhebenden Erschließungsbeitrag bezieht, welcher der Natur der Sache nach nur von der Beklagten erhoben werden kann. Soll die Bestimmung der Gegenleistung im Rahmen der Beitragserhebung erfolgen und hier angerechnet werden, so macht dies deutlich, dass diese Aufgabe entsprechend dem Willen der Vertragsparteien der Beklagten obliegt.
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Im Übrigen macht das konkrete Verhalten des Klägers deutlich, dass er die genannte Passage des Vertrages auch in diesem Sinne verstanden hat. Denn er hat in Reaktion auf die Ankündigung der Beklagten mit Schreiben vom 22. Juli 2015, Erschließungsbeiträge für die Herstellung der … Straße zu erheben, mit Mail vom 11. August 2015 auf den Vertrag vom … … 1964 hingewiesen und um „Mitteilung der Höhe der Entschädigung sowie deren Berechnung“ gebeten. Aus alledem ergibt sich, dass die Parteien des Vertrages vom … … 1964 hinsichtlich der Gegenleistung für die Grundabtretung eine auf den künftig zu erhebenden Erschließungsbeitrag anzurechnende finanzielle Leistung vereinbart haben, deren Höhe durch die Beklagte zu bestimmen ist.
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c) Allerdings ist im vorliegenden Fall – wie oben dargestellt – dem Vertrag kein Bestimmungsmaßstab zu entnehmen. Damit ist mangels anderer Hinweise nach § 315 Abs. 1 BGB anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.
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d) Die Bestimmung der Gegenleistung durch die Beklagte nach billigem Ermessen ist nicht zu beanstanden. Zu Recht hat die Beklagte mit Schreiben vom 4. September 2015 die Bestimmung der Gegenleistung auf 10,00 DM/m² vorgenommen. Dies ist für den Kläger als Rechtsnachfolger der Vertragspartner der Beklagten gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 verbindlich.
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Auf die Mail des Klägers vom 11. August 2015 hat die Beklagte mit Schreiben vom 4. September 2015 reagiert und die Gegenleistung für die Grundabtretung auf 10,00 DM/m² bestimmt, dies mit der Begründung, die Grundabtretung als Voraussetzung zur Erteilung der Baugenehmigung sei zum damaligen Zeitpunkt ein übliches und rechtmäßiges Handeln der Verwaltung gewesen, da ansonsten die Erschließung nicht als gesichert habe angesehen werden können. Vor 1960 seien solche Abtretungen noch unentgeltlich geleistet worden. Deshalb sei für die anzusetzende Entschädigung nicht der heutige Verkehrswert maßgeblich, sondern der Bodenwert bei Abschluss des Grundabtretungsvertrages. Dies gehe aus dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Februar 2006 (6 ZB 03.3362) hervor. Die Geschäftsstelle des Gutachterausschusses der Beklagten habe den Bodenrichtwert für das Gebiet „… Landstraße“ für die Jahre 1964/1965 mit 10,- DM/m² ermittelt. Dies entspreche im Übrigen auch dem unter Ziffer II. des Kaufvertrages angegebenen Wert für die Gebührenberechnung. Diese Erwägungen entsprechen billigem Ermessen.
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Dies ergibt sich aus Folgendem:
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Bestimmt eine Partei gemäß der vertraglichen Vereinbarung eine vertragliche Leistung nach billigem Ermessen, muss sie die die Billigkeit tragenden Umstände darlegen und beweisen (Rieble in Staudinger, BGB, Stand: 31.3.2021, § 315 Rn. 626 m.w.N.). Das Gericht hat in diesem Zusammenhang gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB zu prüfen, ob die Leistungsbestimmung der Billigkeit entspricht (Würdinger in Münchner Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 315 Rn. 61). Was der Billigkeit, also billigem Ermessen, entspricht, ist unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien und des in vergleichbaren Fällen Üblichen im Zeitpunkt der Ausübung des Bestimmungsrechts festzustellen (Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 315 Rn. 10). Hierbei geht es um einen Akt konkreter Einzelfallgerechtigkeit (BGH VGS, B.v. 16.9.2016 – BGHZ 212, 48 Rn. 31). Dabei hat das Gericht nachzuprüfen, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten worden sind und ob nicht sachfremde oder willkürliche Motive für die Bestimmung maßgeblich waren (so der BGH und das BAG, die dem Bestimmungsberechtigten im Rahmen der Billigkeit einen Ermessensspielraum zusprechen; a.A. die Gegenmeinung, die den unbestimmten Rechtsbegriff der Billigkeit im Sinne einer einzig richtigen Entscheidung versteht; vgl. zu allem Rieble in Staudinger, BGB, Stand: 31.3.2021, § 315 Rn. 390 f.; BAG, U.v. 12.10.1961 – 5 AZR 423/60 – NJW 1962, 268; Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 315 Rn. 16). Dies ist eine Konsequenz der Privatautonomie der Vertragsparteien (Rieble in Staudinger, BGB, Stand: 31.3.2021, § 315 Rn. 422 mit Bezug auf BAG, U.v. 3.12.2002 – 9 AZR 457/01 – juris).
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Dabei darf das Gericht nicht schon dann auf der Grundlage von § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB das Bestimmungsrecht der Vertragsparteien durch eine eigene Bestimmung der Leistung ersetzen, wenn es eine andere Festsetzung für richtig hält; vielmehr müssen hierfür die durch die Billigkeit gezogenen Grenzen überschritten sein (BGH, U.v. 24.6.1991 – II ZR 268/90 – NJW-RR 1991, 1248). Dabei darf die gerichtliche Kontrolle nicht auf eine reine Ergebniskontrolle verengt werden; auch die Entscheidungsfindung, also das Verfahren, muss in den Blick genommen werden (Rieble in Staudinger, BGB, Stand: 31.3.2021, § 315 Rn. 420).
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Auf dieser Grundlage gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Leistungsbestimmung der Beklagten der Billigkeit entspricht. Bei der Beurteilung dieser Frage ist auf den Zeitpunkt des Zugangs der Leistungsbestimmung, also des Schreibens vom 4. September 2015, abzustellen (Rieble in Staudinger, BGB, Stand: 31.3.2021, § 315 Rn. 456).
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Zu Recht hat die Beklagte ihrer Leistungsbestimmung im Schreiben vom 4. September 2015 die Motivation des Vertrages vom … … 1964 zugrunde gelegt, nämlich mit der Grundabtretung die Erschließung als gesichert ansehen zu können, dies als Voraussetzung zur Erteilung der Baugenehmigung.
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Zu Recht hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass vor 1960 solche Abtretungen noch unentgeltlich geleistet worden sind. Weiterhin zu Recht hat die Beklagte nicht auf den Verkehrswert der abgetretenen Grundstücksfläche im Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens vom 4. September 2015 abgestellt, sondern auf den Bodenwert bei Abschluss des Grundabtretungsvertrages am … … 1964. Dies ergibt sich aus dem von der Beklagten zitierten Beschluss des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Februar 2006 (6 ZB 03.3362 – juris). Dieser Entscheidung lag eine Grundabtretung zur Sicherung der künftigen Erschließung eines Baugrundstückes zugrunde, die noch der vor dem 30. Juli 1961 geltenden Rechtslage unterfiel, wobei es vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes nicht zum Abschluss der Straßenbaumaßnahme gekommen war. Dies hatte in dem vom Bayer. Verwaltungsgericht entschiedenen Fall die Folge, dass noch weitere benötigten Straßenflächen entgeltlich erworben werden mussten und die Erwerbskosten in den umlagefähigen Aufwand einbezogen werden mussten. Dieser Sachverhalt zog auf der Grundlage der Erschütterung der Geschäftsgrundlage des Vertrages zur unentgeltlichen Grundstücksabtretung ein nachträgliches Entgelt nach sich. Diesbezüglich stellte der BayVGH auf den Bodenwert bei Abschluss des Grundabtretungsvertrages ab (vgl. hierzu auch BayVGH, Beschluss vom 3.4.2009 – 6 ZB 07.2049 – juris Rn. 17).
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In einem mit dem vorliegenden Verfahren vergleichbaren Fall (BayVGH, U.v. 10.2.1986 – 6 B 83 A.780 – n.v.), in welchem der entsprechende Grundabtretungsvertrag auf den 28. Dezember 1972 datiert, also nach dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes/Baugesetzbuchs abgeschlossen worden ist, führt der Bayer. Verwaltungsgerichtshof aus:
„Die Einwendungen der Klägerin richten sich letztlich nicht gegen diese Ermittlungsgrundlagen, sondern gegen den für den Wert maßgeblichen Zeitpunkt, den sie auf denjenigen der Anrechnung hinausgeschoben wissen will […] Die Abtretung diente der Werterhöhung des Grundstückes, das in den Jahren 1970/71 bebaut wurde und hinsichtlich der Garagen auf eine gesicherte Erschließung durch die M.-Straße angewiesen war. Diese bildet insoweit die Voraussetzung, dass überhaupt eine – von der Erschließung abhängige – eigentumsrechtlich verfestigte Position entstehen konnte (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg a.a.O. § 44 RdNr.40). Eine auszugleichende Benachteiligung des Abtretungsverpflichteten liegt demgemäß nicht vor. Diese Beurteilung folgt der vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung zu altrechtlichen Grunderwerbsverträgen aufgezeigten Linie, wonach die Höhe des nach dem Zeitpunkt der Landabtretung zu bemessenden Entgelts für denjenigen geringer sein wird, der damals mit der Abtretung seine Bauabsichten fördern konnte (vgl. BVerwG v. 23.5.1980, BayVBl 1981, 24/25). Auch der Verwaltungsgerichtshof hat darauf hingewiesen, daß bei Abtretungen für Straßengrund dem Bereitstellungszeitpunkt wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH v. 12.3.1981, BayVBl 1981, 435)“ (vgl. zur gesamten Problematik auch die Ausführungen bei Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, 72. AL., 16. Update, 4. Behandlung altrechtlicher unentgeltlicher Abtretungen).
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Demgegenüber ist aus dem in Ziffer II. des Vertrages vom 9. März 1964 verwendeten Begriff „Anrechnung“ nicht der Zeitpunkt zu entnehmen, auf welchen bei der Bestimmung des Wertes der Gegenleistung abzustellen ist. Dieser Begriff legt lediglich den Zeitraum fest, zu dem der finanzielle Ausgleich zu erfolgen hat, nämlich bei der Erhebung der Erschließungsbeiträge. Zu beachten ist dabei allerdings, dass die Anrechnung der Gegenleistung lediglich bei Gelegenheit des Erlasses des Erschließungsbeitragsbescheides erfolgen sollte und damit nicht dessen Bestandteil darstellt (BayVGH, U.v. 10.2.1986 – 6 B 83 A.780, Ziff. 6. – n.v.).
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Demgegenüber ist es folgerichtig, hinsichtlich der Bestimmung des Wertes der Gegenleistung auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Leistung, also die Grundabtretung erbracht worden ist. Die Erbringung dieser Leistung fällt auf den Zeitpunkt des Eigentumsübergangs im Jahre 1965 „als Vorausleistung“, die hiermit erbracht worden ist.
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Hat die Beklagte aber zu Recht im Rahmen der Leistungsbestimmung auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages vom … … 1964 abgestellt, so hat sie ebenfalls zu Recht auf den vom Gutachterausschuss für die Jahre 1964/1965 ermittelten Bodenrichtwert für das Gebiet „… Landstraße“ in Höhe von 10,- DM/m² abgestellt.
61
Demgegenüber ist nicht erkennbar, dass die Beklagte weitere beachtenswerte Gesichtspunkte außer Acht gelassen hätte oder Gesichtspunkte sachwidrig und damit fehlerhaft in die Bestimmung der Gegenleistung einbezogen hätte.
62
Insbesondere kann das Gericht den diesbezüglichen Gegenargumenten der Klägerseite nicht folgen.
63
Der Kläger ist der Auffassung, es könne nicht gewollt sein, bei der Bestimmung der Gegenleistung auf den Zeitpunkt der Grundabtretung selbst abzustellen, denn er habe mit der Abtretung des Grundes und Bodens als Voraussetzung für eine baldige Erschließung ein massives Interesse daran gehabt, dass die Erschließung zeitnah erfolge, denn er habe sein Grundstück auch erreichen und nutzen können wollen und hierauf nicht 50 Jahre warten wollen. Hierbei ist zu beachten, dass die Rechtsvorgänger des Klägers mit der Grundabtretung mit dem Zweck, die Erschließung zu sichern, bereits 50 Jahre vor der tatsächlichen Erschließung des Baugrundstückes eine Baugenehmigung erhalten haben. Dies hat zur deutlichen Werterhöhung ihres Grundstückes geführt. Ist aber diese Werterhöhung im Zusammenhang mit der Grundabtretung und auf der Grundlage der darauf beruhenden Baugenehmigung im Jahr 1964 erfolgt, ist es sachgerecht, auch hinsichtlich der Gegenleistung auf das Jahr 1964 abzustellen. Im Übrigen muss darauf hingewiesen werden, dass die Rechtsvorgänger des Klägers seit dem Jahr 1964 tatsächlich ihr Grundstück erreichen und nutzen konnten und hierauf nicht 50 Jahre lang warten mussten.
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Zudem ist in Ziffer V. 7. a.E. des Vertrages vom … … 1964 festgehalten, dass der Zeitpunkt des Straßenausbaus allein von der Beklagten bestimmt wird. Hieraus ergibt sich, dass der Kläger aus der langen Dauer bis zum Beginn der erstmaligen Herstellung der … Straße keine für sich günstigeren Rechtsfolgen ableiten kann.
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Das Argument der Klägerseite, wäre die Entschädigungsleistung sofort gezahlt worden, hätte die Möglichkeit bestanden, den Kaufpreis verzinst anzulegen, ist im vorliegenden Fall unbehelflich. Denn es ist integraler Vertragsbestandteil gewesen, die Entschädigungsleistung gerade nicht auszuzahlen, sondern auf den – wann auch immer entstehenden – Erschließungsbeitrag anzurechnen.
66
Auch die Argumentation mit den der Klägerseite zufallenden möglichen Folgekosten auf der Grundlage von Ziffer V. des Vertrages vom … … 1964 kann nicht weiterhelfen. Denn auch diese Vereinbarungen wurden auf der Grundlage des Gedankens getroffen, dass den Rechtsvorgängern des Klägers schon vor der Erschließung ihres Baugrundstückes die Bebauung ermöglicht werden sollte und sie hierdurch einen erheblichen Vorteil hatten, die die in Ziffer V. des Vertrages festgehaltenen Bestimmungen rechtfertigt.
67
Soweit die Klägerseite mit den durch die jahrelange Bauverzögerung entstandenen Mehrkosten argumentiert, kann ihr auch dies nicht weiterhelfen. Im Gegenzug hat sie auch die entsprechenden Erschließungsbeiträge erst viele Jahre später bezahlen müssen und sich diesbezügliche Finanzierungskosten erspart bzw. Guthabenzinsen gewonnen.
68
Dies gilt auch für die von der Klägerseite aufgeworfene Problematik, die Beklagte habe im Laufe der Zeit mit anderen Grundstückseigentümern erheblich höhere Gegenleistungen für deren Grundabtretungen vereinbart.
69
Nicht nachvollziehbar ist das Argument des Klägers in der Mail vom 11. August 2015 an die Beklagtenseite, die Allgemeinheit sei mehr als 50 Jahre lang kostenlos über den Grund und Boden der Kläger gefahren. Vielmehr ist festzuhalten, dass die von der Klägerseite abgetretene Fläche bereits im Jahr 1965 in das Eigentum der Beklagten übergegangen ist.
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Soweit sich die Klägerseite auf eine Sittenwidrigkeit des Vertrages vom … … 1964 beruft und hierbei mit einer übermäßigen Belastung durch die in Ziffer V. des Vertrages vereinbarten Regelungen argumentiert, ist erneut festzuhalten, dass diese Verpflichtungen unter dem Aspekt der erheblichen Steigerung des Grundstückswertes aufgrund der – vorzeitigen – Erteilung einer Baugenehmigung zu bewerten sind. Die von der Klägerseite behauptete Sittenwidrigkeit ist für das Gericht deshalb nicht nachvollziehbar.
71
Aus alledem ergibt sich, dass die Bestimmung der Gegenleistung für die Grundabtretung im notariellen Vertrag vom 9. März 1964 durch die Beklagte auf 10,- DM/m² der Billigkeit entspricht und sie somit für die Klägerseite verbindlich ist.
72
e) Demgegenüber kann das Gericht nur dann eine Bestimmung der Gegenleistung durch Urteil treffen, wenn die zuvor seitens der Vertragspartei bestimmte Höhe der Gegenleistung nicht der Billigkeit entspricht (§ 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 BGB). Auf dieser Grundlage hat der Kläger keinen Anspruch darauf, dass das Gericht die Gegenleistung für die im notariellen Vertrag vom … … 1964 zwischen den Rechtsvorgängern des Klägers und der Beklagten vereinbarte Grundabtretung auf 200,00 EUR/m² bestimmt.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.