Titel:
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anforderungen an den vorgebrachten Sachvortrag; Verschulden einer Hilfsperson
Normenketten:
VwGO § 60, § 173 S. 1
ZPO § 85 Abs. 1
Leitsätze:
1. Weitere Wiedereinsetzungsgründe in tatsächlicher Hinsicht können nach Ablauf der Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 S. 2 VwGO – abgesehen von bloßen Ergänzungen und Erläuterungen – nicht mehr vorgetragen werden. Nachgeholt werden kann im Verfahren gemäß § 60 Abs. 2 S. 2 VwGO nur die Glaubhaftmachung. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Familienangehörige, die nicht mit der Vornahme fristwahrender Handlungen, sondern nur mit der Entgegennahme eingehender Post beauftragt sind, sind keine Vertreter iSd § 85 Abs. 2 ZPO, sondern nur „Hilfspersonen“, deren Verschulden sich der Empfänger nicht zurechnen lassen muss. Insoweit kann ein eigenes Verschulden des Empfängers lediglich dann angenommen werden, wenn er bei Auswahl der Hilfsperson oder deren Beaufsichtigung oder Unterweisung schuldhaft gehandelt hat. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung zweier bereits, verfristeter Klagen, Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (abgelehnt), Postentnahme durch Hilfsperson (Familienangehörige), unschlüssiger Sachvortrag, Verschulden des Empfängers gegen sich selbst wegen fehlender Absprachen/Nachfragen, Wiedereinsetzung, Sachvortrag, Zweiwochenfrist, Verschulden, Postentnahme durch Hilfsperson, Familienangehörige
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 03.08.2023 – 24 CS 23.1075
Fundstelle:
BeckRS 2023, 16078
Tenor
1. Die Verfahren AN 16 S 23.903 und AN 16 S 23.916 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Die Anträge werden abgelehnt.
3. Der Antragsteller trägt die Kosten der Verfahren.
4. Der Streitwert wird bis zur Verbindung für das Verfahren AN 16 S 23.903 auf 4.000,00 EUR und für das Verfahren AN 16 S 23.916 auf 5.000,00 EUR festgesetzt. Ab der Verbindung wird ein Gesamtstreitwert in Höhe von 9.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt in Bezug auf die Klagen gegen den Widerruf seiner Waffenbesitzkarte, seines Kleinen Waffenscheins sowie seines Jagdscheins und weitere waffenrechtliche Nebenanordnungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Klagen.
2
Der Antragsteller ist Inhaber einer waffenrechtlichen Erlaubnis (Waffenbesitzkarte Nr. …*) mit einer eingetragenen Waffe sowie Inhaber eines Kleinen Waffenscheins (Nr. …*) und eines Jagdscheins (Nr. …*).
3
Ausweislich der seitens des Landratsamts im Rahmen der Überprüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit und Eignung eingeholten Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 11. April 2022 ist der Antragsteller durch das Amtsgericht … am 17. August 2021 wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50,00 EUR verurteilt worden.
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Mit Schreiben vom 5. Mai 2022 hörte das Landratsamt den Antragsteller zum beabsichtigten Widerruf der Waffenbesitzkarte, des Kleinen Waffenscheins sowie des Jagdscheins an. Der Antragsteller äußerte sich hierauf nicht.
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Mit Bescheid vom 22. Februar 2023 widerrief das Landratsamt die dem Antragsteller erteilte Waffenbesitzkarte, den Kleinen Waffenschein sowie den Jagdschein und erließ weitere waffenrechtliche Nebenanordnungen. Es begründete seine Entscheidungen damit, dass der Antragsteller auf Grund des seit 4. September 2021 rechtskräftigen Urteils wegen Urkundenfälschung und einer verhängten Geldstrafe von 90 Tagessätzen gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 und § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG nicht mehr die erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne des Waffenrechts besitze. Auf die Begründung des Bescheides wird verwiesen. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 28. Februar 2023 durch Einlegung in seinen Briefkasten zugestellt.
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Über seinen Bevollmächtigten hat der Antragsteller unter den Aktenzeichen AN 16 K 23.904 und AN 16 K 23.917 am 2. Mai 2023 hiergegen Klagen erhoben und die streitgegenständlichen Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO sowie jeweils Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.
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Zur Begründung der Wiedereinsetzung lässt der Antragsteller im Wesentlichen vortragen, er habe von dem Bescheid des Landratsamtes erst am 18. April 2023 in einem Gespräch mit dem Sachbearbeiter des Landratsamtes erfahren. Er sei insbesondere beruflich viel im Ausland und dies auch zum Zeitpunkt der vom Antragsgegner behaupteten Zustellung des Bescheids am 28. Februar 2023 gewesen. Er habe in Tschechien bei einem Geschäftspartner übernachtet und ausweislich der beigefügten DKV-Flottenabrechnung sein Fahrzeug in Wien um 18:41 Uhr auf dem Weg nach Tschechien getankt. Am 28. Februar 2023 und auch am 1. März 2023 habe seine Mutter auftragsgemäß aus seinem Briefkasten alle Post entnommen und diese für ihn aufgehoben, um sie ihm nach seiner Rückkehr zu geben. Aus ihr nachträglich nicht mehr nachvollziehbaren Gründen habe sie in diesem Fall die Post mit dem Bescheid des Landratsamtes nicht an den Antragsteller weitergegeben. Möglicherweise habe sie diesen Brief an einen anderen Ort als üblich gelegt, wo er dann in Vergessenheit geraten und abhandengekommen sei. Sie sei sich sicher, den Brief vom Landratsamt, der auch wichtig ausgesehen habe, weil er mit Zustellungsvermerk versehen gewesen sei, aus dem Briefkasten geholt zu haben. Sie könne sich allerdings nicht daran erinnern, dem Antragsteller diesen Brief auch weitergegeben zu haben. Sie habe den Brief auch auf Nachfrage trotz intensiver Suche nicht mehr auffinden können, dies sei ihr bisher noch nie passiert. Auf die beigefügte eidesstattliche Versicherung der Mutter werde verwiesen. Der Antragsteller habe seine Mutter schon öfter mit der Entnahme seiner Post während seiner privaten und häufig geschäftlichen Abwesenheit beauftragt. Nach seiner Rückkehr hole er immer die Post bei ihr ab oder sie bringe sie ihm in seine Wohnung, die an der gleichen Postadresse sei. Beide würden im gleichen Haus wohnen, jedoch zwei verschiedene Eingänge und Postkästen haben. Der Antragsteller sei ohne eigene Schuld daran gehindert gewesen, die Klagefrist zu wahren. Ihm sei kein Verschulden an der Fristversäumnis anzulasten. Wenn er urlaubs- oder berufsbedingt abwesend sei, dürfe er eine vertrauensvolle Person beauftragen, für ihn nach der Post zu schauen und diese bis zu seiner Rückkehr zu verwahren. Dies sei nachvollziehbar und schon deshalb sinnvoll, um zu vermeiden, dass in den Briefkasten wegen Überfüllung nichts mehr eingelegt werden könne. Bisher habe es auch noch nie Probleme mit der Weitergabe der Post gegeben.
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Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 19. Mai 2023 lässt der Antragsteller ergänzen, er habe nicht mit Post des Landratsamtes rechnen müssen, da er das Anhörungsschreiben nie erhalten habe. Daher sei auch eine Nachfrage nach Post des Landratsamtes bei seiner Mutter abwegig gewesen. Seine Mutter habe ihm bislang immer alle Post übergeben, auch ohne Nachfrage nach einzelnen Schriftstücken. Das erste Mal habe er von dem Verfahren über die Jagdgenossenschaft am 18. April 2023 erfahren und daraufhin das Landratsamt telefonisch kontaktiert. Er sei vom 27. März bis 29. März 2023 in Tschechien gewesen, wo er bei seinem Geschäftspartner Herrn … übernachtet habe. Ausweislich der beigefügten eidesstattlichen Versicherung des Herrn … habe der Antragsteller ihn in der Zeit vom 27. März 2023 bis 29. März 2023 wegen mehrerer geschäftlicher Termine und Besuche von Holzlieferanten persönlich besucht und während des Aufenthaltes in seinen Räumen unentgeltlich übernachtet. Nach Angaben des Antragstellers sei die Dauer seiner Abwesenheit aus berufstypischen Unwägbarkeiten nicht absehbar gewesen, weshalb er mit seiner Mutter vereinbart habe, dass diese in seiner Abwesenheit seine Post für ihn entnehme und ihm bei Rückkehr übergebe. Der Bescheid des Antragsgegners sei nach summarischer Prüfung rechtswidrig und verletze den Antragsteller in seinen Rechten.
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Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen den Bescheid des Landratsamtes … vom 22. Februar 2023, Aktenzeichen … hinsichtlich der Ziffern 1, 2, 7 und 9 anzuordnen, hinsichtlich der Ziffern 3, 4, 5, 6, 10 und 11 wiederherzustellen und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren.
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Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO abzuweisen.
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Der Bescheid sei bereits mit Ablauf des 31. März 2023 bestandskräftig geworden. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei abzulehnen, da der Antragsteller, der die Beweislast für fehlendes Verschulden trage, nicht glaubhaft habe machen können, dass die fehlende Kenntnisnahme des Bescheides und die Versäumung der Klagefrist unverschuldet erfolgt seien. Die Angaben des Antragstellers bzw. dessen Mutter, welche für den Verlust des Bescheides verantwortlich sein soll, würden sich trotz deren eidesstattlicher Versicherung auf bloße Behauptungen stützen. Den Antragsteller habe keine Verpflichtung getroffen, die Leerung seines Briefkastens durch seine Mutter zu veranlassen, nachdem das Bundesverfassungsgericht erst ab einer vorübergehenden Abwesenheit von sechs Wochen das Treffen besonderer Vorkehrungen für mögliche Zustellungen fordere. Während eines laufenden Verwaltungsverfahrens habe ein Betroffener zudem Vorsorge dafür zu treffen, dass fristwahrende Handlungen im Falle vorhersehbarer Zustellungen vorgenommen werden können. Im Übrigen sei in der Klageschrift unerwähnt geblieben, wie lange der Antragsteller abwesend gewesen sei. Zu bemerken sei, dass die Mutter des Antragstellers die Wichtigkeit des behördlichen Schreibens sogar erkannt haben will und dass der Antragsteller nicht geschildert habe, sich nach seiner Rückkehr gesondert über den Eingang wichtiger, gegebenenfalls fristauslösender Schriftstücke erkundigt zu haben.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte der Eilverfahren sowie der anhängigen Klageverfahren und die vorgelegten und beigezogenen Behördenakten verwiesen.
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Die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der jagd- und waffenrechtlichen Klagen gegen den Bescheid vom 22. Februar 2023 wiederherzustellen bzw. anzuordnen, sind mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzulehnen, da die Hauptsacheklagen jeweils verfristet eingelegt wurden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist kann dem Antragsteller nicht gewährt werden.
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1. Der Bescheid des Landratsamtes vom 22. Februar 2023 ist bereits seit 29. März 2023 bestandskräftig. Die am 2. Mai 2023 eingegangenen Klagen sind, nachdem der Bescheid dem Antragsteller am 28. Februar 2023 zugestellt worden ist, verfristet.
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Die Klagefrist gegen den Bescheid bestimmt sich nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Sie beträgt einen Monat nach Bekanntgabe des Bescheids, der mittels Zustellung gemäß Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG, Art. 1 ff., 3 BayVwZVG bekanntgegeben wurde. Vorliegend gilt der Bescheid gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. § 180 Satz 1, 2 ZPO mit der Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten des Antragstellers am 28. Februar 2023 als zugestellt. Ausweislich der Zustellungsurkunde (Behördenakte „Waffenbesitzkarte“ Seite 154) lagen die Voraussetzungen für die Ersatzzustellung gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2, § 418 Abs. 1 ZPO vor, sodass die Klagefrist gemäß 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB am Mittwoch, den 1. März 2023 um 0 Uhr zu laufen begann und nach § 188 Abs. 2 1. Alt. BGB am Dienstag, den 28. März 2023 um 24 Uhr endete.
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2. Der mit Einreichung der Klagen gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO war abzulehnen, da die Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung nicht vorliegen. Der diesbezügliche Vortrag ist bereits nicht schlüssig. Nicht glaubhaft gemacht ist zudem, dass der Antragsteller gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ohne Verschulden daran gehindert war, die Klagen fristgerecht zu erheben.
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Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der die Wiedereinsetzung beantragende Beteiligte muss die Tatsachen zur Begründung des Antrags binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses glaubhaft machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Erforderlich ist eine rechtzeitige, substantiierte und schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen. Korrekt und vollständig muss mittels einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe angegeben werden, durch welche Umstände und gegebenenfalls welches Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist und wann das für die Versäumung ursächliche Hindernis weggefallen ist. Weitere Wiedereinsetzungsgründe in tatsächlicher Hinsicht können nach Ablauf der Zweiwochenfrist – abgesehen von bloßen Ergänzungen und Erläuterungen – nicht mehr vorgetragen werden. Nachgeholt werden kann im Verfahren gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO nur die Glaubhaftmachung (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, B.v. 23.2.2021 – 2 C 11/19 – juris Rn. 7 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.12.2017 – 10 ZB 16.997 – juris Rn. 8; Schoch/Schneider, 42. EL Februar 2022, § 60 Rn. 59 f.).
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Vorliegend ist der im Wiedereinsetzungsantrag vorgebrachte Sachvortrag nicht aus sich heraus schlüssig und geeignet, die Umstände, aufgrund derer es zur Versäumung der Klagefrist kam, verständlich darzulegen.
19
Unklar ist bereits, ob sich der Kläger – wie zunächst behauptet – tatsächlich im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides am 28. Februar 2023 (bis 1. März 2023) oder – wie später vorgetragen – vom 27. März bis 29. März 2023 im Ausland aufgehalten haben will. Sollte Letzteres zutreffen, ist nicht verständlich, weshalb er aus diesem Grund an der Einhaltung der Klagefrist gehindert gewesen sein sollte. Zwar ist die Klagefrist in diesem Zeitraum abgelaufen, allerdings hätte ab Zustellung des Bescheides am 28. Februar 2023 ausreichend Zeit für die Einlegung eines Rechtsbehelfs bestanden.
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Widersprüchlich ist zudem, dass der Antragsteller sich in Tschechien aufgehalten und übernachtet haben will, während der Geschäftspartner in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 19. Mai 2023 angibt, der Antragsteller habe ihn persönlich besucht und während des Aufenthaltes in seinen Räumen unentgeltlich übernachtet und dabei eine Adresse in der Slowakei, …, 170 km von der tschechischen Grenze entfernt, nennt. Dass der Geschäftspartner auch über Räumlichkeiten in Tschechien verfüge und der Antragsteller in diesen übernachtet habe, ist nicht vorgetragen.
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Nicht nachvollziehbar dargetan ist aber auch, wie gerade ein laut der Mutter des Antragstellers erkennbar „wichtiges“ behördliches Schreiben von ihr zunächst verlegt und anschließend unwiederbringlich abhanden kommen kann und zudem bei Rückkehr des Sohns oder zu einem späteren Zeitpunkt jeglicher Hinweis darauf unterbleibt, dass wichtige Post eingegangen ist. Dies ist bei lebensnaher Betrachtung und vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Mutter um eine sonst stets zuverlässige Person bei der Entnahme der Post handeln soll, jedenfalls ohne ergänzende Erklärung nicht nachvollziehbar.
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Davon abgesehen war der Antragsteller jedoch auch nicht ohne Verschulden daran gehindert, die Klagefrist einzuhalten.
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Verschulden gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gegeben, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.1995 – 6 C 13.93 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 198 S. 14). Unverschuldet ist eine Fristversäumnis, wenn dem Betreffenden nach den gesamten Umständen kein Vorwurf daraus zu machen ist, dass er die Frist versäumt hat, ihm also die Einhaltung der Frist nicht zumutbar war (vgl. BVerwG, B.v. 4.10.1991 – 6 B 10.91 – juris Rn. 2 ff., B.v. 8.4.1991 – 2 C 32.90 – juris Rn. 11, B. v. 5.2.1990 – 9 B 506.89 – juris Rn. 3). Das gebotene Maß an Sorgfalt bestimmt sich unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalles, wobei einerseits eine verfassungsrechtlich mit Blick auf die Rechtsschutzgewährleistung und den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht zu vereinbarende Erschwerung der Anforderungen zu vermeiden ist und andererseits die Erfordernisse der Rechtssicherheit sowie Rechtsklarheit hinreichend beachtet werden müssen (vgl. OVG NRW, U.v. 22.8.1996 – 20 A 3523.95 – juris Rn. 27). Dabei ist das Verschulden eines Bevollmächtigten dem vertretenen Beteiligten gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Allerdings sind Familienangehörige, die nicht mit der Vornahme fristwahrender Handlungen, sondern nur mit der Entgegennahme eingehender Post beauftragt sind, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine Vertreter i.S. des § 85 Abs. 2 ZPO, sondern nur „Hilfspersonen“, deren Verschulden sich der Empfänger nicht zurechnen lassen muss (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.1980 – 6 B 63.79 – juris Rn. 3 m.w.N.). Insoweit kann ein eigenes Verschulden des Empfängers lediglich dann angenommen werden, wenn er bei Auswahl der Hilfsperson oder deren Beaufsichtigung oder Unterweisung schuldhaft gehandelt hat (vgl. BFH, U.v. 7.11.1992 – VI R 95.90 – juris Rn. 9, BVerwG, U.v. 9.10.1973 – V C 110.72 – Rn. 29, BVerwG, B.v. 16.7.1980 – 6 B 63.79 – juris Rn. 3).
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Letzteres ist vorliegend der Fall. Der Antragsteller muss sich das fahrlässige Verhalten seiner Mutter im Rahmen der Postentnahme am 28. Februar 2023 zwar nicht zurechnen lassen. Jedoch muss er es sich selbst als fahrlässig vorwerfen lassen, dass er im Vorfeld nicht Sorge dafür getragen hat, dass Briefe, die seine Mutter in seiner Abwesenheit aus dem Briefkasten entnimmt, ihn zuverlässig erreichen. Ob und welche etwaigen Absprachen und Anweisungen es zum Umgang mit eingehender Post zwischen Mutter und Sohn gab, bleibt weitgehend offen. Auch, wie die Post den Antragsteller bei dessen Rückkehr erreicht, scheint nicht festgelegt. Selbstverständlich liegt es in der grundsätzlich freien Entscheidungsmacht der Beteiligten, wie und ob sie solche Beauftragungsverhältnisse bzw. besonderen Vertrauensverhältnisse gestalten und regeln. Jedoch muss sich der Antragsteller, wenn er sich vorliegend auf die Beauftragung berufen und eine unverschuldete Fristversäumnis daraus herleiten möchte, das Fehlen klarer Absprachen im Sinne eines Verschuldens gegen sich selbst entgegenhalten lassen. Es hätte in seiner Macht gestanden, mit konkreten Absprachen und bspw. ergänzenden Nachfragen seinerseits sowohl das Risiko des Abhandenkommens und Weitergebens von Post als auch des unterbleibenden Informationsflusses zu minimieren und damit das ihm Mögliche zu veranlassen, um rechtzeitig Kenntnis von fristauslösenden Schriftstücken zu erhalten und Fristen einhalten zu können. Solche und weitere Absprachen, bspw. in welchen Fällen eine Information des Antragstellers noch während seiner Abwesenheit erfolgen soll, hätten vor allem auch deshalb nahegelegen, weil der Antragsteller angibt, häufig beruflich abwesend zu sein und eine Leerung seines Briefkastens, v.a. bei kurzfristigen Abwesenheiten, bei denen noch keine Überfüllung des Briefkastens droht, ansonsten wenig Nutzen zu haben scheint, sondern vielmehr das Risiko eines Abhandenkommens oder einer unterbleibenden Weitergabe erst schafft. Die Fristversäumnis hätte mit der gebotenen Sorgfalt, die vom Antragsteller als Geschäftsführer eines Unternehmens auch verlangt werden kann, vermieden werden können.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 20.3 und 50.2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Danach sind wegen des Entzugs des Jagdscheins 8.000,00 EUR und für den Widerruf der Waffenbesitzkarte einschließlich einer Waffe sowie des Kleinen Waffenscheins (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2016 – 21 CS 16.1907 – juris Rn. 16) jeweils der Auffangstreitwert (5.000,00 EUR) anzusetzen. Die sich daraus ergebenden Streitwerte sind in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).