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VG Augsburg, Urteil v. 08.05.2023 – Au 9 K 22.2374
Titel:

Verdienstausfallentschädigung, Anordnung der Absonderung (Isolation), erkrankte Selbständige (SARS-CoV-2), Selbsteinschätzung bei Antragstellung maßgebend, Arbeitsunfähigkeit

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
IfSG § 56 Abs. 1 S. 1
IfSG § 56 Abs. 1 S. 2
IfSG § 30 Abs. 1 S. 2
IfSG § 58
Schlagworte:
Verdienstausfallentschädigung, Anordnung der Absonderung (Isolation), erkrankte Selbständige (SARS-CoV-2), Selbsteinschätzung bei Antragstellung maßgebend, Arbeitsunfähigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15701

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung einer Verdienstausfallentschädigung i.H.v. 384,00 EUR sowie von Sozialbeiträgen i.H.v. 368,00 EUR.
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Die Klägerin betreibt eine Praxis für Systemische Therapie, Traumatherapie und Beratung, Systemische Supervision und Coaching, Systemische Hypnotherapie, Analytische Gestalttherapie und ENDR.
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Für die Klägerin liegt ein positives Testergebnis zum Nachweis des SARS-CoV-2 Virus vom 30. Juni 2022 vor. Die am 1. Juli 2022 durchgeführte PCR-/NAT-Testung bestätigte dieses Ergebnis bei einem CT-Wert von 22. Sie befand sich aufgrund dieser Testergebnisse im Zeitraum zwischen dem 30. Juni 2022 und dem 9. Juli 2022 in häuslicher Isolation.
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Mit Formblattantrag vom 26. Juli 2022 beantragte die Klägerin aufgrund dieser häuslichen Isolation bei der Regierung von ... eine Verdienstausfallentschädigung für den Zeitraum vom 30. Juni 2022 bis zum 9. Juli 2022. Im Formblatt erklärt die Klägerin, dass sie während der Quarantäne erkrankt und arbeitsunfähig gewesen sei. Die Arbeitsunfähigkeit habe zwischen dem 29. Juni 2022 und dem 9. Juli 2022 bestanden (Nr. 5 des Formblatts). Weiter erklärt die Klägerin unter Nr. 5.3, dass ihr Betrieb im Zeitpunkt der Quarantäne vollständig geruht habe. Dies sei dem Umstand geschuldet, dass sie ihre Praxis alleine führe. Der Wert ihrer eigenen Arbeitsleistung zum Betriebserfolg liege bei 100%. Unter Nr. 3.2 des Formblatts erklärt die Klägerin weiter, dass sie die ausgeübte Tätigkeit aus Gründen ihrer Erkrankung sowie des Datenschutzes und ihrer Schweigepflicht nicht im „Homeoffice“ habe ausüben können. Die Klägerin hat weiter erklärt, dass sie die Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht habe. Die möglichen strafrechtlichen Konsequenzen falscher oder unvollständiger Angaben seien ihr bewusst.
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Mit Bescheid der Regierung von ... vom 22. November 2022 (Gz.: ...) wurde der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Verdienstausfallentschädigung abgelehnt.
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Zur Begründung der Entscheidung ist ausgeführt, dass nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) eine Entschädigung in Geld erhalte, wer aufgrund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern i.S.v. § 31 Satz 2 lfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Gewerbstätigkeit unterliege oder unterworfen werde und hierdurch einen Verdienstausfall erleide. Die Entschädigung bemesse sich gem. § 56 Abs. 2 Satz 1 lfSG nach dem jeweiligen Verdienstausfall. Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs nach § 56 Abs. 1 Satz 1 u. 2 IfSG sei, dass der von der Absonderung Betroffene gerade aufgrund der Absonderung einen Verdienstausfall erleide. Die Absonderung müsse allein ursächlich für den erlittenen Verdienstausfall sein. An dieser Alleinursächlichkeit fehle es vorliegend, da die Klägerin nach ihren Aussagen während der Absonderung arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und deshalb ihrer Erwerbstätigkeit nicht habe nachgehen können. Da die Quarantäne/Isolation nicht ursächlich für den Verdienstausfall gewesen sei, sei keine Entschädigung nach § 56 lfSG zu leisten.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids der Regierung von ... vom 22. November 2022 wird ergänzend verwiesen.
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Gegen den Bescheid hat die Klägerin mit am 12. Dezember 2022 eingegangenem Schreiben vom 8. Dezember 2022 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und sinngemäß beantragt,
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ihr die beantragte Verdienstausfallentschädigung für den Zeitraum vom 30. Juni 2022 bis zum 9. Juli 2022 zu gewähren.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass ihre Angabe im Formblattantrag, dass sie krank gewesen sei, missverständlich sei. Sie habe zwar am ersten Tag leichte Symptome gehabt, sei aber weder beim Arzt noch überhaupt behandlungsbedürftig gewesen. Eine Tätigkeit sei ihr eher aufgrund der staatlich verordneten häuslichen Quarantäne nicht möglich gewesen. Die weiteren Tage der Quarantäne sei sie zwar positiv getestet, aber nicht arbeitsunfähig gewesen. Einer Tätigkeit im Homeoffice könne sie nicht nachkommen, da sie zu Hause den Datenschutz und ihre Schweigepflicht gegenüber ihren Patienten nicht gewährleisten könne.
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Die Regierung von ... ist für den Beklagten der Klage mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2022 entgegengetreten und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Ablehnung des Antrags auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 lfSG und auf Aufwendungserstattung nach § 58 lfSG mangels kausalem Verdienstausfall durch die Absonderung rechtmäßig sei und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletze. § 56 Abs. 1 Satz 1 lfSG erfasse zwar auch Kranke i.S.d. § 2 Nr. 4 lfSG, was aber nur arbeitsfähig erkrankte Personen betreffe. Der eindeutige Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 1 u. 2 lfSG verlange einen Kausalzusammenhang zwischen der Absonderung und dem Verdienstausfall. Der Verdienstausfall müsse „dadurch“ verursacht worden sein, dass gegenüber dem Betroffenen ein Tätigkeitsverbot oder eine Absonderungspflicht wirksam geworden sei. Diese Voraussetzung sei nur dann erfüllt, wenn der Betroffene trotz Erkrankung und der damit einhergehenden Symptomatik objektiv arbeitsfähig gewesen sei oder ohne Absonderung keinen Verdienstausfall erlitten hätte. Im vorliegenden Fall sei zu Lasten der Klägerin davon auszugehen, dass die im Antrag vom 26. Juli 2022 gemachten Angaben wahrheitsgemäß erfolgt seien. Die Klägerin habe mit ihrem Antrag ausdrücklich versichert, dass die vorstehenden Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht wurden und die strafrechtlichen Konsequenzen falscher und unvollständiger Angaben bekannt seien. Die nachträglich gemachten Angaben der Klägerin in der Klageschrift vom 8. Dezember 2022 seien nicht geeignet, die ursprünglich gemachten Angaben im Antrag zu entkräften.
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Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2022 sein Einverständnis mit einer Entscheidung in schriftlichen Verfahren erklärt.
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Die Klägerin hat mit am 28. April 2023 bei Gericht eingegangenem Schreiben ebenfalls auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die vom Beklagten vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Kammer konnte über die Klage der Klägerin im Wege des schriftlichen Verfahrens (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit jeweils einverstanden erklärt haben.
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Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Die Klägerin besitzt keinen Anspruch auf Erstattung der beantragten Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG bzw. auf Aufwendungsersatz für gezahlte Sozialversicherungsbeiträge, sodass sich der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 22. November 2022 als rechtmäßig erweist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Für die Beurteilung des von der Klägerin geltend gemachten zeitgebundenen Anspruchs, der sich auf einen bestimmten Zeitraum bezieht, ist maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der behördlichen Isolationsanordnung bzw. der tatsächlichen Isolation abzustellen (vgl. hierzu VG Bayreuth, U.v. 21.6.2021 – B 7 K 21.110 – juris Rn. 22).
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Nach der hier maßgeblichen Fassung des Infektionsschutzgesetzes mit Gültigkeit ab 18. März 2022, gehören auch Kranke i.S.d. § 2 Nr. 4 IfSG zum berechtigten Personenkreis einer Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Ein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung kommt bei Erkrankten aber nur dann in Betracht, wenn der geltend gemachte Verdienstausfall kausal auf die infektionsschutzrechtliche Absonderung zurückzuführen ist (vgl. Eckart/Kruse in Eckart/Winkelmüller, BeckOK Infektionsschutzrecht, 15.Edition, Stand: 10. Januar 2023, § 56 Rn. 38). Dies ist nur dann der Fall, wenn der zum Zeitpunkt der Absonderung Erkrankte trotz der sich zeigenden Symptome objektiv arbeitsfähig war und ohne die angeordnete Absonderung seiner Erwerbstätigkeit hätte nachgehen können.
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2. Im Fall der Klägerin sind diese Voraussetzungen nicht gegeben. Der Beklagte ist nach Ansicht der Kammer zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin im Zeitraum der ihr gegenüber angeordneten Isolation arbeitsunfähig erkrankt war und damit im Ergebnis keinen Anspruch auf die beantragte Verdienstausfallentschädigung hat.
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a) Auf Basis der Angaben der Klägerin in deren Selbsteinschätzung vom 26. Juli 2022 ist davon auszugehen, dass sie im Zeitraum der Isolation arbeitsunfähig war und deshalb bereits aufgrund ihrer Erkrankung nicht in der Lage gewesen ist, ihrer üblichen Erwerbstätigkeit nachzugehen.
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Die Klägerin führt in ihrer Selbsteinschätzung aus, dass sie im Zeitraum zwischen dem 29. Juni 2022 und dem 9. Juli 2022 in Folge der Corona-Erkrankung arbeitsunfähig gewesen sei. Diese Aussage kann nach Auffassung des Gerichts nur dahingehend verstanden werden, dass es der Klägerin aufgrund ihrer akuten Erkrankung mit dem Corona-Virus nicht möglich war, ihrer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Ursächlich für den Verdienstausfall der Klägerin war danach die Erkrankung, nicht aber die in der Folge behördlich angeordnete Absonderung, sodass der Klägerin im Ergebnis kein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG zusteht.
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Im Hinblick auf den im Formblattantrag vom 26. Juli 2022 enthaltenen Hinweis auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen im Fall von Falschangaben ist auch davon auszugehen, dass die Darstellung der Klägerin in ihrer Selbsteinschätzung vom 26. Juli 2022 der Wahrheit entspricht.
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b) Für die Beurteilung der Frage der Arbeits(un) fähigkeit der Klägerin ist nach Auffassung der Kammer maßgeblich auf ihre Selbsteinschätzung vom 26. Juli 2022 abzustellen. Zwar hat die Klägerin im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens hiervon abweichende Angaben gemacht und sich dabei entgegen der Angaben im Verwaltungsverfahren als im Zeitraum der Isolation arbeitsfähig beschrieben, doch hält das Gericht diese Angaben nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung für nicht plausibel (§ 108 Abs. 1 VwGO). Es mag sein, dass sich die Klägerin in der Rückschau im Isolationszeitraum für arbeitsfähig hielt, diese nachträgliche subjektive Wahrnehmung vermag aber die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Erkrankung abgegebene Erklärung nicht zu entkräften. Die Klägerin muss sich deshalb an den von ihr vor Erlass des ablehnenden Bescheids vom 22. November 2022 gemachten Angaben in ihrer Selbstauskunft vom 26. Juli 2022 festhalten lassen.
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3. Der Umstand, dass die Klägerin als Selbständige im Gegensatz zu arbeitsunfähigen Arbeitnehmern keine Leistungen im Krankheitsfall erhält, rechtfertigt keine erweiternde Auslegung oder entsprechende Anwendung des § 56 Abs. 1 IfSG. Denn als Billigkeitsanspruch ist § 56 Abs. 1 IfSG eng auszulegen. Eine Pflicht zur Ausweitung der Entschädigungstatbestände besteht daher von Verfassung wegen nicht (Eckart/Kruse in Eckart/Winkelmüller, 15. Edition, Stand: 10.1.2023, § 56 Rn. 2). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass es keine gesetzliche Verpflichtung für Selbständige zum Abschluss einer Krankentagegeldversicherung gibt. Die Entscheidung, keine entsprechende Versicherung oder aber eine erst nach längerer Krankheit greifende Versicherung abzuschließen, ist ausschließlich der Risikosphäre des Selbständigen zuzuordnen. Wird keine oder eine (noch) nicht greifende Versicherung abgeschlossen, wird zugleich bewusst die Entscheidung getroffen im Fall einer Erkrankung die zu einer Arbeitsunfähigkeit führt, keine entsprechenden Leistungen zu erhalten. Wenn der Selbständige dieses Risiko wirtschaftlich mit einkalkuliert, muss er es sich auch entgegenhalten lassen, dass es billig ist, ihm die Entschädigung zu verwehren (vgl. VG Würzburg, U.v. 17.1.2022 – W 8 K 21.1139 – juris Rn. 22).
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4. In der Folge besteht aber auch kein Anspruch auf Erstattung der von der Klägerin aufgewendeten Beiträge für die soziale Sicherung im Umfang von 368,00 EUR gemäß § 58 Satz 1 IfSG. Nach dieser Bestimmung haben Entschädigungsberechtigte i.S.d. § 56 Abs. 1 und 1a IfSG, die der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken-, Rentensowie der sozialen Pflegeversicherung nicht unterliegen, gegenüber dem nach § 66 Abs. 1 Satz 1 IfSG zur Zahlung verpflichteten Land einen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen für soziale Sicherung in angemessenem Umfang. Voraussetzung eines derartigen Anspruchs aus § 58 IfSG ist nach dem eindeutigen Wortlaut von Satz 1 der Vorschrift jedoch eine Entschädigungsberechtigung auf der Grundlage des § 56 Abs. 1 IfSG, an der es vorliegend fehlt. Die Klägerin besitzt gerade keinen Anspruch auf eine Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG, sodass in der Folge auch kein Erstattungsanspruch nach § 58 Satz 1 IfSG besteht.
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5. Weitere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht, da ein Rückgriff auf allgemeine Entschädigungs- bzw. Erstattungsregelungen aufgrund der abschließenden Regelungen im Infektionsschutzgesetz ausscheidet.
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6. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 i.V.m. § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).