Inhalt

VGH München, Urteil v. 15.06.2023 – 20 B 21.2421
Titel:

zur Schätzung des Wasserverbrauchs nach Ablauf der Eichfrist des Wasserzählers

Normenketten:
BayKAG Art. 8, Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 lit. b
BayVwZVG
AO § 122 Abs. 1, Abs. 2, § 162 Abs. 1 S. 1
VwGO § 70 Abs. 1
kommunale BGS-WAS § 10 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 Nr. 3
MessEV § 34
MessEG § 31 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3
FGO § 96 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Verwendet der Wasserversorger in seinem Versorgungsgebiet Wasserzähler, die dem gesetzlichen Verwendungsverbot wegen Ablaufs der Eichfrist widersprechen, so gilt ein durch sie ermittelter Wasserbrauch nicht als festgehalten, sondern muss nach den Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) aa) KAG i.V.m. § 162 Abs. 1 AO geschätzt werden. (Rn. 20 – 21)
2. Das Verwaltungsgericht kann eine erforderliche Schätzung nicht selbst vornehmen. Diese erfolgt durch die zuständige Behörde. Im Unterschied zu § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, der eine Schätzung durch das Finanzgericht vorsieht, fehlt in der VwGO ein entsprechender Verweis auf § 162 AO. (Rn. 22)
Schlagworte:
Gebührenerhebung für Frischwasser und Abwasser, Heilung eines Bekanntgabemangels, Wasserzähler, Ablauf der Eichfrist, Schätzung, Bekanntgabe, Einwurfeinschreiben, Schriftformerfordernis, Faksimile-Unterschrift, Benutzungsgebühren, Wasser- und Abwassergebühren
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 23.11.2020 – AN 19 K 20.87
Fundstellen:
LSK 2023, 15667
NVwZ-RR 2023, 828
BeckRS 2023, 15667

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23. November 2020 wird geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 2. September 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Dezember 2019 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Das Urteil ist insoweit gegen Sicherheitsleistung in Höhe der zu voll¬streckenden Kosten vorläufig vollstreckbar.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides des Beklagten über Benutzungsgebühren für die örtliche Wasserversorgungs- und Entwässerungseinrichtung vom 2. September 2019 über insgesamt 13.620,67 EUR Wasser- und Abwassergebühren für den Zeitraum 1. Januar 2019 bis 8. August 2019. Das Grundstück der Kläger, ... in … ist seit dem Jahr 2000 an die Wasserversorgungs- und Entwässerungsanlage des Beklagten angeschlossen. Am 25. Januar 2001 wurde der Hauptwasserzähler mit der Zählernummer 20615056 eingebaut. Bei der Auswechslung des Wasserzählers am 8. August 2019 wies dieser einen Zählerstand von 3998 m³ auf und lag 2195 m³ über dem zuletzt im Jahr 2018 durch die Kläger mitgeteilten Zählerstand von 1803 m³. Ausweislich der Aufzeichnungen des Beklagten wurde der Zählerstand letztmals im Jahr 2002 durch den Beklagten abgelesen, in den übrigen Verbrauchszeiträumen erfolgte die Ablesung durch die Kläger selbst und wurde für 2009 und 2015 vom Beklagten geschätzt bzw. – so lässt es sich der Legende einem den Behördenakten beigefügten Systemausdruck der Messdatenübermittlung entnehmen – „maschinell errechnet“.
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Der Beklagte ließ nach Auswechslung des Zählers im Jahr 2019 eine Befundprüfung durchführen (Fa. …, Prüfbericht vom 21. August 2019, Blatt 9 der Behördenakte). Diese ergab, dass die Eichfrist abgelaufen und die Sicherungsplombe entfernt worden sei. Der Zähler sei im Mindestdurchflusswert stehen geblieben. Ein Zahnrad sei beschädigt.
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Der streitgegenständliche Bescheid vom 2. September 2019 wurde an die Kläger mittels eines sog. Einwurfeinschreibens versendet, das nach Aktenlage am 3. September 2019 zur Post gegeben und ausweislich der in den Akten befindlichen Sendungsverfolgung am 4. September 2019 (Deutsche Post/Brief/Sendungsstatus) zugestellt wurde. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2019 mahnte der Beklagte mit einfachem Brief die ausstehenden Gebühren an, worauf der Kläger Kontakt mit der Kasse des Beklagten aufnahm. Diese versandte am 23. Oktober 2019 auf Bitten des Klägers einen Abdruck des Bescheides per E-Mail an den Kläger und führte begleitend aus: „…anbei erhalten Sie wie telefonisch besprochen, den gewünschten Abrechnungsbescheid, der Ihnen seitens des Marktes … per Einschreiben zugegangen ist, nebst Begleitschreiben vom 02.09.2019.“
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Mit per Faksimileunterschrift unterzeichnetem Schreiben des Prozessbevollmächtigten legten die Kläger mit Schreiben, das am 8. November 2019 bei dem Beklagten einging, Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. September 2019 ein und beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie machten geltend, erst durch die Mahnung Kenntnis von dem Bescheid erhalten zu haben. Es habe in der Vergangenheit bereits des Öfteren Unzuverlässigkeiten bei der Postzustellung gegeben. In den Briefkasten der Kläger seien mehrere Briefe eingeworfen worden, die für Nachbarn oder Bewohner anderer Straßen, deren Namen oder Hausnummern ähnlich klängen, bestimmt gewesen seien. Ähnlich habe es sich offenbar mit dem streitgegenständlichen Bescheid verhalten. Das Landratsamt wies mit Widerspruchsbescheid vom 23. Dezember 2019 den Widerspruch als unzulässig zurück und verwehrte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der streitgegenständliche Bescheid sei den Klägern nach der Zugangsfiktion des Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG am 7. September 2019 zugegangen, der Widerspruch damit nach Fristablauf erhoben. Den vom Bevollmächtigen an das Verwaltungsgericht gerichteten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 12. Februar 2020 (AN 19 S 20.00086) ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos (B.v. 14. April 2020 – 20 CS 20.490).
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Mit Schreiben vom 30. April 2020 ließen die Kläger weiter vortragen, bei der örtlichen Poststelle seien keine Dokumente wegen einer Beschwerde wegen Falschzustellung der Post der Kläger zu bekommen. Familie … aus … habe Post erhalten, die für die Kläger bestimmt gewesen sei und umgekehrt. Dies sei in den letzten Jahren öfter passiert. Im Jahr 2018 hätten sie einen an die Adresse …  adressierten Brief aus Holland erhalten. Darin hätten sich diverse Pillen befunden und dieser sei durch die von den Klägern informierte Polizei sichergestellt worden. Am 25. April 2020 habe der Kläger Post vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erhalten, die ihm von den Anwohnern …, … …, in den Hausbriefkasten eingeworfen worden sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht führten die Kläger dies im Wesentlichen nochmals aus. Sie gaben an, bei einer Vorsprache bei der zuständigen Postfiliale sei erklärt worden, man könne nichts gegen diese Missstände tun, es seien viele Aushilfskräfte eingesetzt. Sowohl die Familie … als auch die Anwohner der …  hätten mehrfach an die Kläger adressierte Post erhalten. Auch für die Steuererklärung benötigte Unterlagen der Bank seien nicht bei ihnen angekommen.
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Mit Urteil vom 23. November 2020 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Zwar sei davon auszugehen, dass die Widerspruchsfrist gewahrt worden sei, weil der Kläger die Vermutung des Zugangs innerhalb dreier Tage nach Aufgabe zur Post erschüttert habe. Den Beweis des Zugangs habe der Beklagte nicht führen können. Der Bescheid sei rechtmäßig. Lege man einen durchschnittlichen Verbrauch der letzten 18 Jahre zugrunde, so erweise sich die gemessene Wasserentnahmemenge nicht als unverhältnismäßig hoch. Der Wasserzähler sei zwar defekt gewesen, habe aber deswegen noch weniger gezählt als den Nenndurchfluss, weshalb keinerlei Zweifel am Verbrauch der gemessenen Wassermenge bestünden. Mit Beschluss vom 13. September 2021 ließ der Senat die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu.
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Mit am 15. Dezember 2021 eingelegter Berufung beantragen die Kläger,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und den Bescheid vom 2. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Dezember 2019 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Widerspruch sei bereits deshalb unzulässig, weil das Schreiben nur mit einer Faksimile-Unterschrift des Rechtsanwalts der Kläger unterzeichnet gewesen sei. Dies entspreche nicht der geforderten Schriftform. Darauf habe der Beklagte bereits im Widerspruchsverfahren hingewiesen. Außerdem sei die Widerspruchsfrist versäumt worden. Die Kläger hätten nicht plausibel dargelegt, dass sie den Bescheid vom 2. September 2019 nicht innerhalb von drei Tagen nach Aufgabe zur Post erhalten hätten. Ihr Vortrag beschränke sich auf die Darlegung allgemeiner Ungereimtheiten. Schließlich hätten sie die Benachrichtigung von dem Termin zur Zählerauswechslung auch erhalten. Bei der nochmaligen Übersendung des Bescheides habe der Beklagte mit dem erforderlichen Bekanntgabewillen gehandelt. Die Übersendung per E-Mail sei nur erfolgt, weil der Kläger erklärt habe, den Bescheid nicht auf dem Postweg erhalten zu haben. Schließlich sei die Klage aber auch unbegründet. Denn die Kläger hätten ihre Mitwirkungspflichten verletzt, da sie auf die zahlreichen Hinweise des Beklagten, der Wasserzähler müsse ausgetauscht werden, nicht reagiert hätten. Der gemessene Wasserverbrauch sei schließlich über den gesamten hier in Rede stehenden Zeitraum nicht außergewöhnlich hoch, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung hat Erfolg und führt unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zur Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides in der Fassung des Widerspruchsbescheides. Der Bescheid des Beklagten vom 2. September 2019 über die Erhebung von Wasser- und Abwassergebühren für den Zeitraum 1. Januar 2019 bis 8. August 2019 auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 KAG i.V.m. den Satzungsbestimmungen des § 10 BGS-WAS vom 1. Dezember 2010 und des § 10 BGS-EWS vom 31. Oktober 2006 in der Fassung vom 16. Dezember 2015 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen, da die Erhebung des Widerspruchs mit Schriftsatz des bevollmächtigten Rechtsanwalts am 8. November 2019 und damit innerhalb der Frist des § 70 Abs. 1 VwGO erfolgte.
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a) Die vom Beklagten vertretene Auffassung, wegen der Übersendung des Bescheides mit Einwurfeinschreiben sei von einem Zugang bei den Klägern und damit von einer Bekanntgabe des Bescheides nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 b) KAG i.V.m. § 122 Abs. 1, 2 AO spätestens innerhalb der Drei-Tages-Frist des Art. 122 Abs. 2 1. Hs. Nr. 1 AO, also am 7. September 2019, auszugehen, trifft nicht zu, weil die Kläger die gesetzliche Vermutung des Zugangs innerhalb dieser Frist erschüttert haben und der Beklagte den Zugangszeitpunkt nicht nachweisen kann (Art. 122 Abs. 2 2. Hs. AO). Zwar lassen sich sowohl der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post als auch der Zeitpunkt der vom Postdienstleister dokumentierten Zustellung mit hinreichender Gewissheit den Behördenakten (3. Bzw. 4. September 2019) entnehmen. Die Kläger haben aber erklärt, den Bescheid nicht erhalten zu haben und darüber hinaus sowohl in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht als auch in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren nachvollziehbar dargelegt, dass es wegen der Ähnlichkeit der Straßennamen in ihrer Nachbarschaft häufig zu Verwechslungen der Postsendungen komme und dass für sie bestimmte Post versehentlich immer wieder an Nachbarn zugestellt werde. Selbst wenn von einem gegenüber einer Versendung mit einfachem Brief erhöhten Beweiswert für den beim Adressaten erfolgten Zugang bei einer Übersendung mit sog. Einwurfeinschreiben auszugehen sein sollte, (dazu Ante „Der Zugangsnachweis bei Einwurf-Einschreiben“, NJW 2020, 3487; BVerwG, U.v. 15.6.2026 – 9 C 19/15 NVwZ 2017, 565 Rn. 18; Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 41 Rn. 127f.), haben die Kläger jedenfalls die Zugangsvermutung des Art. 122 Abs. 2 1. Hs. Nr. 1 AO erschüttert. Den Beklagten trifft damit die Beweislast sowohl für die Tatsache des Zugangs als auch für den Zugangszeitpunkt. Dieser Beweislast genügt das Vorbringen des Beklagten nicht. Bloße Vermutungen, den Klägern sei sicherlich die für sie bestimmte als Einschreiben gekennzeichnete Post durch Nachbarn ausgehändigt worden, sind als Zugangsnachweis ungeeignet. Deshalb ist maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der Frist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Übersendung des Bescheides als E-Mail-Anhang am 23. Oktober 2019, weil erst zu diesem Zeitpunkt die fristauslösende Bekanntgabe gemäß Art. 122 Abs. 2 AO an die Bescheidsadressaten erfolgte. Offenbleiben kann, ob der Beklagte mit dem für eine wirksame Bekanntgabe erforderlichen Bekanntgabewillen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 22.1.2021 – 6 C 26.19 –, BVerwGE 171, 156; Baer in Schoch/Schneider, VerwR, Stand August 2022, § 41 VwVfG Rn. 22 ff.) handelte. Für das Fehlen eines solchen bestehen zwar Anhaltspunkte, da die Mitarbeiterin der Kasse des Beklagten den Bescheid lediglich nochmals zur Kenntnis der Kläger übersandte und in ihrem Anschreiben dokumentierte, dass sie von dem bereits erfolgten Zugang durch Einwurfeinschreiben ausging. Jedoch hat der Beklagte schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung angegeben, zu dem Zeitpunkt der Übersendung der E-Mail am 23. Oktober 2019 die Bekanntgabe des Bescheides weiterhin gewollt zu haben. Die Kläger haben sich durch Erhebung von Widerspruch und Anfechtungsklage gerade nicht auf eine fehlende Bekanntgabe berufen und daran trotz des Hinweises des Senats im Beschluss der Berufungszulassung vom 13. September 2021 (20 ZB 21.225) festgehalten. Damit haben sie die sie betreffende Regelungswirkung des Bescheides anerkannt (BVerwG, U.v. 25.4.2013 – 3 C 19/12 – BeckRS 2013, 51247, Rn. 17; BayVGH, B.v. 22.2.2018 – 5 ZB 17.31905 – BeckRS 2018, 3024 Rn. 8). Schließlich haben die Kläger im Zeitpunkt der Übersendung des Bescheides durch E-Mail der Marktkasse Kenntnis von seinem Inhalt erhalten. Nach dem Rechtsgedanken des Art. 9 VwZVG (bzw. entsprechend des § 8 VwZG) spricht auch für den Fall eines dem Beklagten möglicherweise fehlenden Bekanntgabewillens am 23. Oktober 2019 viel für eine durch Heilung bewirkte Bekanntgabe im Zeitpunkt der Kenntnisnahme (BGH, B.v.12.3.2020 – I ZB 64/19 – juris Rn. 25 zu § 189 ZPO, vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 41 Rn. 232; OVG Greifswald, B.v. 25.1.2018 – 1 LZ 782/17 – NVwZ-RR 2018, 715).
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b) Der Widerspruch wurde schriftlich formwirksam (§ 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO) erhoben. Dabei ist Bestandteil des Schriftformerfordernisses in der Regel die eigenhändige Unterschrift des Widerspruchsführers (Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 70 Rn. 2). Die Unterschrift mit einem Faksimile-Stempel erfüllt zwar nicht das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch geklärt, dass auch bei Fehlen einer eigenhändigen Unterschrift die Formanforderungen gewahrt sind, wenn sich aus dem Schriftsatz oder aus ihm beigefügten Unterlagen ohne Weiteres und ohne die Notwendigkeit weiterer Nachfragen oder Nachforschungen die Urheberschaft feststellen lässt und davon auszugehen ist, dass das Schriftstück mit Wissen und Wollen des Urhebers in den Rechtsverkehr gelangt ist (BVerwG, U.v. 17.10.1968 – II C 112/65, VerwRspr 1969, 758; Geis in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 70 Rn. 6). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Das Widerspruchsschreiben trägt den Briefkopf des Unterzeichners, und der Faksimilestempel ermöglicht ohne Weiteres die Zurechnung des Schriftstücks an seinen Urheber. Insofern ist die Fallkonstellation vergleichbar mit der eines nur maschinenunterschriebenen Widerspruchsschreibens (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – 4 C 11/78 – NJW 1979, 120).
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2. Die Anfechtungsklage ist in vollem Umfang begründet. Der angefochtene Bescheid findet in dem auf das Kommunalabgabengesetz gestützten Satzungsrecht des Beklagten keine hinreichende Rechtsgrundlage.
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Nach § 10 Abs. 1 BGS-WAS wird die Verbrauchsgebühr nach der Menge des aus der Wasserversorgungseinrichtung entnommenen Wassers berechnet (§ 10 Abs. 1 BGS-WAS). Der Wasserverbrauch wird durch Wasserzähler festgehalten (§ 10 Abs. 2 Satz 1 BGS-WAS). Er ist durch den Beklagten zu schätzen, wenn 1. ein Wasserzähler nicht vorhanden ist oder 2. der Zutritt zum Wasserzähler oder dessen Ablesung nicht ermöglicht wird oder 3. sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Wasserzähler den wirklichen Wasserverbrauch nicht angibt (§ 10 Abs. 2 Satz 2 BGS-WAS). Die Einleitungsgebühr wird nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BGS-EWS nach Maßgabe der nachfolgenden Absätze nach der Menge der Abwässer berechnet, die der Entwässerungseinrichtung von den angeschlossenen Grundstücken zugeführt werden. Dabei gelten nach § 10 Abs. 2 Satz 1 BGS-EWS als Abwassermenge grundsätzlich die dem Grundstück aus der Wasserversorgungseinrichtung (und aus der Eigengewinnungsanlage) zugeführten Wassermengen abzüglich der nachweislich auf dem Grundstück verbrauchten oder zurückgehaltenen Wassermengen.
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Die streitgegenständliche Abrechnung der Verbrauchsgebühren für Frisch- und Abwasser hat der Beklagte aufgrund der Messungen des unstreitig seit dem Jahr 2008 nicht mehr geeichten Wasserzählers (§ 12 Abs. 1 EichO 1988 (BGBl. I 1988, 1657) i.V.m. Anhang B Ziffer 6.1; entspricht § 34 MessEV i.V.m. Anlage 7 Ziffer 5.5.1) vorgenommen. Dies verstößt sowohl gegen das Satzungsrecht des Beklagten als auch gegen die Vorgaben des MessEG.
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Der Wasserzähler steht im Eigentum des Beklagten (§ 19 Abs. 1 Satz 1 WAS vom 9. Dezember 1994 in der Fassung vom 1. Dezember 2010). Der Beklagte ist u.a. für seine Unterhaltung und Auswechslung zuständig (§ 19 Abs. 1 Satz 2 WAS) und gilt damit als Verwender im Sinne des MessEG. Nach §§ 31 Abs. 1, 2 Nr. 3 und 37 Abs. 1 MessEG dürfen nur geeichte Wasserzähler verwendet werden. Die Verwendung ungeeichter Zähler i.S. des § 31 Abs. 1 Satz 1 MessEG stellt nach § 60 Abs. 1 Nr. 14 MessEG als Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot einen Ordnungswidrigkeitentatbestand dar, der mit einem Bußgeld bis zu 50.000,00 EUR geahndet werden kann. Messungen, die ein ungeeichter Zähler vornimmt, sind daher von vornherein keine Grundlage für darauf beruhende Verbrauchsgebührenabrechnungen. Der Anschein der Richtigkeit des Messergebnisses besteht bei fehlender Eichung nicht (BGH, U.v. 17.11.2010 – VIII ZR 112/10 – BeckRS 2011, 24; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 19.9.2022 – OVG 9 N 24.19 – BeckRS 2022, 25193 Rn. 9; VG Würzburg, U.v. 30.6.2021 – W 2 K 20.1957 – BeckRS 2021, 22077 Rn. 26). Einen anderweitigen Nachweis des angegebenen Verbrauchs kann der Beklagte nicht führen.
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Auch das Ortsrecht des Beklagten regelt, dass bei konkreten Anhaltspunkten für unrichtige Messergebnisse der Verbrauch an Frischwasser geschätzt werden muss (§ 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BGS-WAS). Von dieser Bestimmung ist der Beklagte durch Abrechnung auf der Grundlage eines offensichtlich nicht verwendbaren Messergebnisses abgewichen. Der Einwand, die Befundprüfung habe ergeben, dass mindestens die mit dem Zählerstand angegebene Wassermenge verbraucht worden sei, kann deswegen als Messergebnis ebenso wenig Berücksichtigung finden. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass allein aufgrund der fehlenden Eichung des Wasserzählers seit 2008 das Messergebnis im Abrechnungszeitraum 1. Januar 2019 bis 8. August 2019 nicht verwendet werden darf, zumal nicht bekannt und auch nicht ermittelbar ist, ob die als Zählerstand angegebene Wassermenge im hier streitgegenständlichen Abrechnungszeitraum den Wasserzähler durchflossen hat. Grundlage der Schätzung dürften damit ein Durchschnittsverbrauch des klägerischen Grundstücks in den Vorjahreszeiträumen oder Referenzwerte aus dem Versorgungsgebiet des Beklagten sein. Eine Schätzung des Verbrauchs hat der Beklagte aber in seiner Abrechnung für den Zeitraum 1. Januar 2019 bis 8. August 2019 gerade nicht vorgenommen. Auch der Einwand, der Wasserwart habe den Klägern jährlich Wurfzettel mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit des Austausches des Wasserzählers in den Hausbriefkasten eingeworfen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Vielmehr steht dem Beklagten nach Art. 24 Abs. 3 GO i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 WAS ein Betretungsrecht zur satzungsgemäßen Aufgabenerfüllung zu, das nach § 25 Abs. 1 WAS durch Einzelanordnungen konkretisiert und im Wege des Verwaltungszwangs gegenüber dem jeweiligen Grundstückseigentümer durchgesetzt werden kann. Dies dient auch der Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen des MessEG.
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Das Gericht kann die erforderliche Schätzung der Verbrauchsgebühren im streitgegenständlichen Zeitraum wegen des Fehlens einer dem § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO vergleichbaren Regelung, der den Finanzgerichten eine eigene Schätzung im gerichtlichen Verfahren durch Verweisung auf § 162 Abs. 1 Satz 1 AO eröffnet, nicht selbst vornehmen. Vielmehr ist dies allein Aufgabe des Beklagten (vgl. Sauthoff, Abgabenverfahrensrecht und abgabenrechtliche Nebenleistungen, 2017, § 7 Rn. 55; a.A. wohl VG Bayreuth, U.v. 28.3.2019 – B 4 K 16.872 – BeckRS 2019, 41282, Rn. 25f.).
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Vorstehendes gilt entsprechend für die Abrechnung der Abwassergebühren.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 709, 708 Nr. 11 ZPO.
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4. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.