Titel:
Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs bei Streitigkeiten gegen Bemessungsgrundlagen für die Festsetzung der Entschädigungshöhe in einem Planfeststellungsbeschluss
Normenketten:
GVG § 17a Abs. 4 S. 3
VwGO § 146 Abs. 1
VwVfG § 74 Abs. 2 S. 3, Abs. 3
WaStrG § 14b Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5, § 37 Abs. 2, § 39
Leitsatz:
Für das (Teil-)Rechtsschutzziel, den Planfeststellungsbeschluss um die Bemessungsgrundlagen für die Festsetzung der Entschädigungshöhe – hier die Berechnung anhand des Ertragsausfalls - zu ergänzen, ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde gegen Rechtswegverweisung, Planfeststellung einer Stauhaltung, vorbehaltene Planergänzung, Ausgleichsanspruch wegen Beeinträchtigung eines Fischereirechts, Abgrenzung von Planergänzungs- und Entschädigungsverfahren, Entschädigung, wasserrechtlichen Planfeststellung, Koppelfischereirecht, Ausgleichsmaßnahmen, Planergänzungsbeschluss, Stauhaltung, Verwaltungsrechtsweg, Festsetzungsbescheid, Entschädigungsverfahren, Rechtswegverweisung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 06.03.2023 – RO 8 K 18.118
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15661
Tenor
I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 6. März 2023 wird geändert. Der Verwaltungsrechtsweg ist zulässig.
II. Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Der Kläger begehrt eine Entschädigung für die Beeinträchtigung eines Koppelfischereirechts infolge einer wasserrechtlichen Planfeststellung.
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Der Kläger ist anteiliger Inhaber eines Koppelfischereirechts in der Donau nebst Altwassern. Im Bereich dieses Fischereirechts stellte die Wasser- und Schifffahrtsdirektion ... der Beklagten mit Planfeststellungsbeschluss vom 20. April 1994 die Pläne der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen für die Donaustauhaltung S. – Teilabschnitt IV b – fest. Betreffend die Einwendung des Klägers wegen einer möglichen Beeinträchtigung seines Fischereirechts wurde die Entscheidung über weitere Ausgleichsmaßnahmen oder eine Entschädigungszahlung vorbehalten. Mit am 21. bzw. 24. Juni 1994 unterzeichnetem Vertrag erteilte der Kläger dem Vorhabenträger unter Zusage verschiedener Entschädigungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen die vorzeitige Bauerlaubnis. Seine Einwendungen im Planfeststellungsverfahren erklärte er für erledigt, behielt sich aber vor, im Fall des Auftretens weiterer Beeinträchtigungen des Fischereirechts weitere Forderungen auf Ersatz oder Entschädigung geltend zu machen, die im Rahmen dieser Vereinbarung noch nicht berücksichtigt wurden. Der Gewässerausbau wurde im Wesentlichen im Jahr 1997 abgeschlossen.
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Mit Planergänzungsbeschluss vom 30. November 2010 setzte die Wasser- und Schifffahrtsdirektion ... auf Grundlage gutachterlicher Ermittlungen den Gesamtentschädigungsbetrag für alle Mitinhaber des Koppelfischereirechts auf 53.000 EUR fest. Dem Kläger wurde gemäß seinem Anteil an dem Fischereirecht (13/72) ein Gesamtentschädigungsbetrag von 9.569,44 EUR zuerkannt. Sein Antrag auf eine höhere Entschädigung wurde abgelehnt. Es wurde festgestellt, dass sich der im Planfeststellungsbeschluss vom 20. April 1994 enthaltene Entscheidungsvorbehalt erledigt hat.
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Mit Planergänzungsbeschluss vom 29. November 2010 lehnte die Wasser- und Schifffahrtsdirektion ... einen Antrag des Klägers auf weitere Entschädigung ab.
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Die hiergegen erhobenen Widersprüche des Klägers wies die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2014 zurück.
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Am 7. Mai 2014 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg mit dem Antrag, die Planergänzungsbeschlüsse vom 29. und 30. November 2010 sowie den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 7. April 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm weitere 94.452,52 EUR nebst Zinsen zu bezahlen. Die Entschädigung sei nicht anhand des Verkehrs- bzw. Ertragswerts des Koppelfischereirechts, sondern anhand des tatsächlichen Ertragsausfalls zu berechnen.
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Das Verwaltungsgericht hat am 27. Oktober 2014 mündlich verhandelt. Mit Beschluss vom selben Tag hat es auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet, weil angekündigte Vergleichsverhandlungen eine außergerichtliche Einigung erwarten ließen. Seit 24. Januar 2018 wird das Klageverfahren fortgeführt.
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Mit Beschluss vom 6. März 2023, der Beklagten zugestellt am 10. März 2023, hat das Verwaltungsgericht die Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs festgestellt und den Rechtsstreit an das Landgericht Regensburg verwiesen. Die Beteiligten stritten nicht darüber, ob überhaupt eine Entschädigung zu leisten sei, sondern ausschließlich über deren Höhe bzw. Bemessung. Soweit der „Bescheid“ vom 30. November 2010 eine Entschädigung festsetze, sei er fehlerhaft als „Planergänzungsbeschluss“ bezeichnet; tatsächlich handle es sich insoweit um einen Festsetzungsbescheid, gegen den der ordentliche Rechtsweg und nicht der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sei.
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Mit ihrer am 21. März 2023 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Beschwerde verfolgt die Beklagte die Aufhebung des Beschlusses vom 6. März 2023 und die endgültige Verweisung des Rechtsstreits auf den Verwaltungsrechtsweg. Verfahrensgegenstand sei nicht eine Entschädigung wegen Enteignung, sondern eine Streitigkeit über das Bestehen und die Höhe eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Ein solcher Entschädigungsanspruch nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG betreffe eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Beigeladene schließt sich der Beschwerde der Beklagten an.
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A. Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
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Die nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde wurde zulässig erhoben. Sie ist in der Sache begründet. Die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Verweisung an das Landgericht Regensburg ist daher aufzuheben.
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I. Für das – durch Auslegung anhand der Klagebegründung zu ermittelnde – tatsächliche (Teil-)Rechtsschutzziel, den Planfeststellungsbeschluss um die aus Sicht des Klägers zutreffenden Bemessungsgrundlagen für die Festsetzung der Entschädigungshöhe – insbesondere die Berechnung anhand des Ertragsausfalls (vgl. Erklärung der Klägerseite, Sitzungsprotokoll des VG vom 27.10.2014 S. 2 oben) – zu ergänzen, ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet.
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1. Rechtsgrundlage für Entschädigungsansprüche wegen unzumutbarer Beeinträchtigungen durch die Errichtung eines planfestgestellten Vorhabens ist § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG. Danach hat – sofern Vorkehrungen oder Anlagen zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sind – der Betroffene einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld.
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Der Ausgleichsanspruch nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG gewährt einen finanziellen Ausgleich für einen anderenfalls unverhältnismäßigen Eingriff in das Eigentum. Es handelt sich dabei nicht um eine Enteignungsentschädigung im Sinn des Art. 14 Abs. 3 GG, sondern um einen Ausgleichsanspruch eigener Art. § 74 Abs. 2 Satz 2 und 3 VwVfG bestimmen im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des Eigentums. Wird der Eigentümer in der Nutzung seines Eigentums durch nachteilige Einwirkungen des Vorhabens unzumutbar gestört und können diese Störungen aus den Gründen des Satzes 3 nicht durch physisch-reale Schutzmaßnahmen ausgeglichen werden, muss der Eigentümer die Einwirkungen auf sein Eigentum trotz deren Unzumutbarkeit zwar hinnehmen, wenn in der Abwägung hinreichend gewichtige Belange des Allgemeinwohls für die Verwirklichung des Vorhabens sprechen. Die darin liegende Beschränkung seines Eigentums ist aber nur verhältnismäßig, wenn er finanziell entschädigt wird (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 7 A 11.11 – BVerwGE 143, 249 = juris Rn. 71; U.v. 22.3.1985 – 4 C 15.83 – BVerwGE 71, 166 = juris Rn. 31; Neumann/Külpmann in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 23. Aufl. 2023, § 74 Rn. 192; vgl. auch BVerfG, B.v. 2.3.1999 – 1 BvL 7/91 – BVerfGE 100, 226 = juris Rn. 89).
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Der Ausgleichsanspruch ist dem Grunde nach im Planfeststellungsbeschluss festzustellen, zudem sind die Bemessungsgrundlagen für die Höhe anzugeben (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 7 A 11.11 – BVerwGE 143, 249 = juris Rn. 70; U.v. 22.3.1985 – 4 C 15.83 – BVerwGE 71, 166 = juris Rn. 31). Über die konkrete Höhe der Entschädigung wird nicht im Rahmen der wasserstraßenrechtlichen Planfeststellung des Vorhabens entschieden, sondern erst im – vom Gesetzgeber bewusst aus dem Planfeststellungsverfahren herausgelösten (vgl. BT-Drs. 11/4310 S. 210, 212) – nachgelagerten Entschädigungsverfahren (vgl. § 14b Abs. 1 Nr. 2, § 37 Abs. 2 WaStrG; Friesecke, WaStrG, 7. Aufl. 2020, § 14b Rn. 58 und § 37 Rn. 1; Kupfer in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 74 VwVfG Rn. 90 f.).
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2. Entgegen dieser Rechtslage hat die Wasser- und Schifffahrtsdirektion ... mit Planergänzungsbeschluss vom 30. November 2010 über die Entschädigung der dauerhaft verbleibenden Beeinträchtigung des Koppelfischereirechts, das dem Kläger zu dem Anteil von 13/72 zusteht, nicht nur dem Grunde nach entschieden, sondern eine gemeinschaftlich zustehende Gesamtentschädigung von 53.000 EUR festgesetzt.
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Dies führt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts aber nicht dazu, dass der Planergänzungsbeschluss als Festsetzungsbescheid im Sinn des Art. 37 Abs. 2 WaStrG eingeordnet oder in einen solchen umgedeutet werden könnte. Ein Entschädigungsverfahren nach den §§ 36 ff. WaStrG ist nicht anhängig geworden; das im Planfeststellungsbeschluss vom 20. April 1994 vorbehaltene Planergänzungsverfahren nach § 14b Abs. 1 Nr. 5, § 74 Abs. 2 Satz 2 und 3 VwVfG ist noch nicht bestandskräftig abgeschlossen (vgl. auch BayVGH, B.v. 26.2.2002 – 8 ZB 01.3108 – juris Rn. 3). Der vom Kläger zur Entscheidung gestellte Leistungsantrag auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme geht deshalb fehl. Darin enthalten ist aber das Rechtschutzbegehren, den Planergänzungsbeschluss um die Angabe der aus seiner Sicht anzuwendenden Bemessungsgrundlagen für die Festsetzung der Entschädigungshöhe zu ergänzen, insbesondere die Vorgabe, dass die Berechnung anhand des tatsächlichen Ertragsausfalls (Fangausfall) und nicht – wie im Gutachten des Dr. S. – anhand des Verkehrs- bzw. Ertragswerts des Koppelfischereirechts erfolgt. Das Verwaltungsgericht ist an die Fassung der Anträge nicht gebunden, sondern hat das wirkliche Rechtsschutzziel zu ermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 23.11.2022 – 6 B 22.22 – DVBl 2023, 349 = juris Rn. 19; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 88 Rn. 8). Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden (§ 86 Abs. 3 VwGO). Gegenüber einem anwaltlich vertretenen Kläger ist die Pflicht zur Anregung der Änderung eines Klageantrags ihrem Umfang nach geringer, aber nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. BVerwG, B.v. 23.3.2023 – 3 BN 12.22 – juris Rn. 4).
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3. Für das so verstandene (Teil-)Rechtschutzbegehren ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2003 – 8 C 03.779 – BayVBl 2004, 695 = juris Rn. 3; B.v. 26.2.2002 – 8 ZB 01.3108 – juris Rn. 3; Friesecke, WaStrG, § 14e Rn. 16). Die vom Verwaltungsgericht herangezogene Sonderzuweisung nach § 39 WaStrG ist insoweit nicht einschlägig; sie gilt ausschließlich für Streitigkeiten über die Festsetzung von Entschädigungen durch die Generaldirektion Wasser und Schifffahrt gemäß § 37 Abs. 2 WaStrG (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2003 – 8 C 03.779 – BayVBl 2004, 695 = juris Rn. 4; Friesecke, WaStrG, § 39 Rn. 2).
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II. Hinsichtlich des weitergehenden Klageziels, die Beklagte zur Zahlung von 94.452,52 EUR nebst Zinsen zu verurteilen, kommt eine Verweisung nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG nicht in Betracht, weil ein Entschädigungsverfahren nach §§ 36 ff. WaStrG nicht durchgeführt wurde und die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt demgemäß keinen Festsetzungsbescheid nach Art. 37 Abs. 2 Satz 1 WaStrG erlassen hat (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2002 – 8 ZB 01.3108 – juris Rn. 3); eine diesbezügliche Leistungsklage gegen den Entschädigungspflichtigen scheidet derzeit aus.
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B. Eine Entscheidung in Bezug auf die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten – Gerichtskosten fallen nach Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG (Kostenverzeichnis) nicht an – ist nicht veranlasst. Zwar ist über die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, § 146 Abs. 1 VwGO grundsätzlich nach §§ 154 ff. VwGO zu entscheiden, da § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG nur die Kosten des erstinstanzlichen Gerichts erfasst (vgl. nur BVerwG, B.v. 9.12.2022 – 10 B 2.22 – NVwZ 2023, 421 = juris Rn. 10). Im Fall einer erfolgreichen Beschwerde ergeht eine Kostenentscheidung aber nur, wenn eine Gegenpartei vorhanden ist, der Kosten auferlegt werden können. Daran fehlt es hier, weil kein Beteiligter die Verweisung des Rechtsstreits beantragt hat oder der Beschwerde der Beklagten gegen die Rechtswegverweisung entgegengetreten ist. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind auch nicht analog § 21 GKG, § 155 Abs. 4 VwGO der Staatskasse aufzuerlegen, weil sie auf dem fehlerhaften Verweisungsbeschluss des Erstgerichts beruhen (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2015 – 4 C 15.2471 – NVwZ-RR 2016, 399 = juris Rn. 10; Wöckel in Eyermann, VwGO, § 41 / §§ 17-17b GVG Rn. 45, jeweils m.w.N.).
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Eine Streitwertfestsetzung entfällt mangels Kostenentscheidung.
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C. Die weitere Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG nicht vorliegen.